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Der Band Freiheit. Bewusstheit. Verantwortlichkeit erscheint zum 60. Geburtstag des Philosophen und Religionswissenschaftlers Volker Zotz, der mit Büchern wie "Geschichte der buddhistischen Philosophie" (1996), "Auf den glückseligen Inseln" (2000), "Der Konfuzianismus" (2015) und "Mit Buddha das Leben meistern" bekannt wurde. Teil 1 enthält Beiträge zu seinem geistigen Werdegang und einzelnen Facetten seines Schaffens. Teil 2 ist dem deutsch-indischen Schriftsteller und Künstler Lama Anagarika Govinda (1898-1985) gewidmet, dessen Schüler Volker Zotz war. Teil 3 enthält Beiträge zu Fragen des Buddhismus und seiner Rezeption in Indien und Europa. Teil 4 geht auf Aspekte des religiösen und universitären Lebens in Japan ein. Teil 5 befasst sich mit Martin Buber, Valentin Tomberg, Michael Brink und Oscar Kiss Maerth. Teil 6 vereint meditative, literarische und künstlerische Beiträge. Mit Beiträgen von Antonio-Maria Caruso - Otfried H. Culmann - Ulrich Dehn - Michael Frensch - Peter Gäng - Michael Gerhard - Peter Michael Hamel - Wilfried Huchzermeyer - Jochen Kirchhoff - Reinhard Kirste - Gerhard Knauss - Zensho Wolfgang Kopp - Yukio Kotani - Mondrian Graf von Lüttichau - Peter Michel - Friederike Migneco - Daniel Müller - Andreas Neider - Muhō Nölke - Harry Oldmeadow - Peter Riedl - Yoshin Franz Ritter - Munish Bernhard Schiekel - Perry Schmidt-Leukel - Heinz Stein - Kunihiko Terasawa - Benedikt Maria Trappen - Gerhard Weißgrab - Karel Werner - Peter Wevelsiep - Werner Zimmermann "Selten habe ich einen so glücklich und zugleich so umfassend komponierten biografischen Essay zu einer ja noch längst nicht zuende gekommenen geistigen Existenz gelesen." (Prof. Dr. Kuno Lorenz)
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Seitenzahl: 532
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Edition Habermann
FESTSCHRIFT FÜRVOLKER ZOTZZUM 60. GEBURTSTAG
Edition Habermann
München 2016
Freiheit. Bewusstheit. Verantwortlichkeit.
Festschrift für Volker Zotz zum 60. Geburtstag
© 2016 Edition Habermann
der Lama und Li Gotami Govinda Stiftung, München
ISBN
Hardcover
978-3-96025-009-8
e-Book
978-3-96025-010-4
www.lama-govinda.de
BENEDIKT MARIA TRAPPEN
GERHARD WEIßGRAB
OTFRIED H. CULMANN
PERRY SCHMIDT-LEUKEL
PETER RIEDL
ULRICH DEHN
PETER WEVELSIEP
DANIEL MÜLLER
REINHARD KIRSTE
HARRY OLDMEADOW
PETER MICHEL
JOCHEN KIRCHHOFF
PETER MICHAEL HAMEL
KAREL WERNER
PETER GÄNG
MICHAEL GERHARD
WILFRIED HUCHZERMEYER
YOSHIN FRANZ RITTER
ANDREAS NEIDER
KUNIHIKO TERASAWA
MUHŌ NÖLKE
GERHARD KNAUSS
YUKIO KOTANI
BENEDIKT MARIA TRAPPEN
MICHAEL FRENSCH
MONDRIAN GRAF VON LÜTTICHAU
WERNER ZIMMERMANN
MUNISH BERNHARD SCHIEKEL
ZENSHO W. KOPP
FRIEDERIKE MIGNECO
ANTONIO-MARIA CARUSO
BENEDIKT MARIA TRAPPEN, HEINZ STEIN
Volker Zotz 2016 (Foto: Marlen Neufeld)
„MIT SECHZIG WAR MEIN OHR GEÖFFNET.“ KONFUZIUS
Aus Anlass seines 60. Geburtstages erscheint die vorliegende Festschrift für Volker Zotz. Geehrt wird damit ein Philosoph und Buddhologe, Religionswissenschaftler und Autor, der nicht nur mit einflussreichen Werken und durch sein Wirken an Universitäten in Europa und Asien das wissenschaftliche Leben bereicherte. Zudem vermittelte er zahlreichen Menschen durch seine Bücher, Vorträge und über persönliche Impulse existentielle Inspiration.
Autoren, die das philosophische, wissenschaftliche und schriftstellerische Schaffen von Volker Zotz schätzen oder die sich mit Inhalten beschäftigten, die den Themen seiner Arbeiten verwandt sind, beteiligten sich am Entstehen dieser Festschrift. In den Band wurden, wie es der Vielfalt der geistigen Aktivitäten und Wirkungen des Jubilars angemessen ist, akademische und literarische Beiträge sowie persönliche Erinnerungen und Zeugnisse aufgenommen. Die Texte wurden nach thematischen Gesichtspunkten in sechs Abteilungen gegliedert, die verschiedene der Lebens- und Schaffenskreise des Jubilars ansprechen sollen.
Teil I widmet sich dem Leben und Wirken von Volker Zotz, dessen Werdegang BENEDIKT MARIA TRAPPEN in einem ersten Artikel als ein „Leben für den interkulturellen Dialog“ würdigt. „Freiheit. Bewusstheit. Verantwortlichkeit“,
die Überschrift dieses biografischen und werkgeschichtlichen Artikels, wurde auch als Titel des Buches gewählt, weil diese Begriffe charakteristische Anliegen des Jubilars wiedergeben.
Die acht anschließenden Artikel befassen sich exemplarisch jeweils mit einem der Bücher von Volker Zotz. Die acht Texte wurden entweder eigenes für diesen Band geschrieben oder von den Autoren als ursprünglich zeitnahe Reaktionen auf die behandelten Werke zur Verfügung gestellt. Die Reihung der Artikel folgt der Chronologie der ersten Publikation der Bücher, auf die sie sich beziehen.
GERHARD WEISSGRAB schildert in seinem Beitrag „Kurze Gedanken und Gratulation in höchster Wertschätzung und Demut“ ein persönliches Erlebnis mit Volker Zotz vor dem Hintergrund der Lektüre des Buches Freiheit und Glück (1987), in dem der Autor die lebenspraktisch angewandte Philosophie des Buddha Gautama interpretierte. – OTFRIED H. CULMANNwendet sich in „Volker Zotz schrieb über I7I3“ dessen biografischem Buch über André Breton (1990) und damit einer seiner Arbeiten über den Surrealismus zu. – Ein Text von PERRY SCHMIDT-LEUKEL widmet sich mit dem Werk Der Buddha im Reinen Land (1991) einer der buddhologischen Studien des Verfassers, welche die japanische buddhistische Richtung Jōdo Shinshū behandelt.
PETER RIEDL gibt seine Eindrücke und Überlegungen anlässlich des Erscheinens von Mit Buddha das Leben meistern (1999) wieder, eines Buches, das in Deutschland bislang 15 Auflagen erlebte und das im Jahr 2016 in chinesischer Sprache erscheint. – Die Texte von ULRICH DEHN und PETER WEVELSIEP haben das Werk Auf den glückseligen Inseln (2000) zum Gegenstand, eine geistesgeschichtliche Studie über den Buddhismus in der deutschen Kultur. – Unter der Überschrift „Führungsstärke durch Selbsterkenntnis“ reflektiert DANIEL MÜLLER das Buch Kamasutra im Management (2008). REINHARD KIRSTE stellt mit Der Konfuzianismus (2015) eines der neueren Werke des Jubilars zur Geistesgeschichte Ostasiens vor.
Den Abschluss des ersten Teils bildet eine Bibliografie der Arbeiten von Volker Zotz. Es kann davon ausgegangen werden, dass diese, was die Druckausgaben seiner Bücher und Artikel betrifft, weitgehend vollständig erstellt wurde. Auf diesen Veröffentlichungen basierende elektronische Ressourcen, zum Beispiel E-Books, wurden nicht aufgenommen.
In Teil II geht es in fünf Beiträgen Über Anagarika Govinda um einen wichtigen Lehrer des Jubilars. Von 1972 bis zu dessen Tod war Volker Zotz ein Schüler Govindas, über den er schrieb: „Die intensive persönliche Begegnung und langjährige Auseinandersetzung mit ihm beeinflusste meine Weise des Lesens der klassischen Literatur Indiens stark, wenn es um die Suche nach praktisch wirksamen essenziellen Aussagen ging.“ (Kamasutra im Management 2008, S. 17f.) – Heute ist Volker Zotz als der Ratsvorsitzende der Lama und Li Gotami Govinda Stiftung mit der Verwaltung des literarischen, künstlerischen und geistigen Erbes seines Lehrers betraut.
Im ersten Artikel „Lama Anagarika Govinda“ liefert HARRY OLDMEADOW eine Übersicht über den Lebensgang und die Arbeiten des 1898 geborenen indischen Autors und Künstlers deutscher Herkunft. Die folgenden Texte stammen von Verfassern, die durch Begegnungen oder Korrespondenz noch persönliche Kontakte zu dem 1985 verstorbenen Anagarika Govinda unterhielten. – PETER MICHEL vergleicht in „Der Freiheitsgedanke bei Lama Anagarika Govinda und Krishnamurti“ die beiden im Indien des 20. Jahrhunderts einflussreichen Denker auf Basis eines ihrer wichtigen Anliegen.
JOCHEN KIRCHHOFF, der seine Gedanken über den „Fall Govinda“ als „philosophische und sehr persönliche Betrachtungen zu einem deutschen Phänomen“ bezeichnet, geht dabei auch auf seine Diskussionen mit Volker Zotz ein. – PETER MICHAEL HAMEL berichtet über die Geschichte seiner Komposition „Maitreya für Lama Govinda“ und kommt dabei auf Treffen mit diesem in Indien und Amerika zu sprechen. – Den von Anagarika Govinda 1933 in Darjeeling gegründeten Orden „Ārya Maitreya Maṇḍala“ stellt in seinen zentralen Anliegen der Beitrag von KAREL WERNER vor.
In Teil III finden sich fünf Artikel Zum Buddhismus. Dieser Abschnitt des Buches schließt daran an, dass der Jubilar zahlreiche Studien über verschiedeneAspekte des Buddhismus vorlegte und die buddhistische Bewegung in Europa ihm wichtige Impulse verdankt. – PETER GÄNG untersucht in seinem Artikel die im Deutschen meist mit „Gier, Hass und Verblendung“ wiedergegebenen Konzepte auf der Basis von frühbuddhistischen und tantrisch-buddhistischen Quellen. – MICHAEL GERHARD wendet sich in seinem Artikel über die „Buddha-Natur“ einem in Europa häufig gebrauchten „Begriff und seinen philosophischen Implikationen“ zu.
WILFRIED HUCHZERMEYER behandelt unter dem Titel „Sri Aurobindos Kommentare über Buddha und den Buddhismus in The Life Divine“ einen Aspekt der Buddhismus-Rezeption im modernen Indien. – FRANZ RITTER schildert die Entwicklung des „Buddhismus in Österreich“ und geht dabei auch auf die Rolle von Volker Zotz bei der staatlichen Anerkennung des Buddhismus in diesem Land ein. – ANDREAS NEIDER widmet sich in seinem Beitrag über „Buddhismus und Anthroposophie“ einem Thema des Dialogs und fragt, „wie sich östliche und westliche Meditation ergänzen können.“
Mit Teil IV werden Themen Aus Japan präsentiert, wo der Jubilar von 1989 bis 1999 ein Jahrzehnt an Universitäten in Kyōto und Tōkyō tätig war und über dessen Kultur und Religionen er Bücher und Artikel verfasste. – KUNIHIKO TERASAWA stellt in „Der Fall Hirose Akira (1919-1947)“ einen Aspekt der neueren Geschichte der Tradition der Jōdo Shinshū dar, nämlich „Japans buddhistische Jugend im Konflikt mit der Militärgewalt im Zweiten Weltkrieg.“ – MUHŌ NÖLKE berichtet in „Mein Weg zum Zen“ darüber, wie er als gebürtiger Deutscher zum Abt in einem „abgelegenen Zen-Kloster in den Bergen nahe der Küste zum japanischen Meer“ wurde.
GERHARD KNAUSS, der fast vier Jahrzehnte vor Volker Zotz an japanischen Universitäten wirkte, gibt seine Erinnerungen „Als erster deutscher Philosophie-Professor im Nachkriegs-Japan“ wieder. – Von YUKIO KOTANI, mit dem der Jubilar in Tōkyō an der Risshō Universität zusammenarbeitete, wurde der Text „Hanjirō Tominaga, Hans Prinzhorn und der Buddha. Lebensphilosophische Gedanken über Bildung, Verkanntwerden und Offenheit“ aufgenommen.
In Teil V werden im Sinn der akademischen Interessen des Adressaten dieser Festschrift vier Philosophische Persönlichkeiten behandelt, wobei die Reihenfolge der Texte chronologisch deren Geburtsdaten folgt. – BENEDIKT MARIA TRAPPEN widmet sich mit dem Artikel „Die Andersheit des anderen. Dialektik und Dialog“ dem Denken des jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber.– MICHAEL FRENSCH stellt mit seiner Antwort auf die Frage „Wer war Valentin Tomberg?“ den in St. Petersburg geborenen Grenzgänger vor, von dem Volker Zotz zwei nachgelassene Werke mitherausgab.
Den katholischen Denker und Publizisten Michael Brink (1914–1947) untersucht MONDRIAN GRAFVON LÜTTICHAUunter dem Titel „Armut, Ganzheit, Freiheit – Mensch werden nach Auschwitz?“ – WERNER ZIMMERMANN, dessen Beitrag „Oscar Kiss Maerth“ einen „Außenseiter und seine Wirkungen“ erörtert, berichtet auch über die jugendliche Begegnung und Auseinandersetzung des Jubilars mit dem ungarisch-britischen Autor.
Teil VI umfasst Lyrisches und Meditatives, zwei Elemente, denen im facettenreichen Werk von Volker Zotz gleichfalls seit früher Zeit ein besonderer Raum zukommt. – MUNISH BERNHARD SCHIEKEL liefert mit seinem Beitrag „Hongzhi Zhengjue“ Betrachtungen des gleichnamigen Chan-Meisters, der zur Zeit der Song-Dynastie im 12. Jahrhundert wirkte. – ZENSHO WOLFGANG KOPP trägt Gedanken über „Die allumfassende Ganzheit des Seins“ bei.
Von FRIEDERIKE MIGNECO folgen unter dem Titel „Alles ist anders“ mehrere Dichtungen in deutscher, französischer und italienischer Sprache. – Die gleichfalls mehrsprachige Lyrik von ANTONIO-MARIA CARUSO ist mit „Le chant de l’aigle“ überschrieben. – Abschließend widmen BENEDIKT MARIA TRAPPEN und HEINZ STEIN dem Jubilar „Dreizehn Silben” und einen Farbholzschnitt.
Die an dieser Festschrift beteiligten Autoren, Künstler und Herausgeber werden am Ende des Bandes in alphabetischer Reihenfolge mit Kurzbiografien vorgestellt. – Weil Autoren aus sehr unterschiedlichen Disziplinen und Hintergründen die Texte für dieses Buch lieferten, wurde auf für alle einzelnen Beiträge gültige formale Regeln verzichtet.
Dass dem Jubilar noch lange Jahre weiteren fruchtbaren Schaffens beschieden sein mögen, wünscht sich ein weiter Kreis dankbarer Freunde und Kollegen, Schüler und Leser.
Ich wünsche, daß dein Glück sich jeden Tag erneue,
Daß eine gute That dich jede Stund’ erfreue!
Und wenn nicht eine That, sodoch ein gutes Wort,
Das selbst unsterblich wirkt zu guten Thaten fort.
Und wenn kein Wort, doch ein Gedanke schön und wahr, Der dir die Seele mach’ und rings die Schöpfung klar.
Friedrich Rückert: Die Weisheit des Brahmanen(4. Band. Leipzig 1838, S. 239)
„EIGENTLICH WEISS ICH NICHT, WOVON ICH
SCHREIBE, WEISS ICH DOCH NICHT EINMAL,
WER ICH BIN. ABER DA IST EIN ZWIEFACHER
TROST: ZUVIEL WISSEN WAR SCHON IMMER
GEFÄHRLICH. UND SCHLIESSLICH: WAS HEISST
SCHON ‚EIGENTLICH‘?“1
BENEDIKT MARIA TRAPPEN
Volker Zotz zählt mit mehr als 20 Buchveröffentlichungen2 in den Bereichen Philosophie, Religionswissenschaft, Psychologie und Management, darunter umfangreiche Standardwerke zur Geschichte der buddhistischen Philosophie und zur Rezeptionsgeschichte des Buddhismus im deutschsprachigen Raum, zahlreichen Beiträgen in Büchern und Zeitschriften, Lehrgängen, Herausgeberschaften, Einführungen und Vorworten, Kolumnen, Rezensionen, Übersetzungen sowie Vorträgen und Medienbeiträgen zu den derzeit besten Kennern des Buddhismus und des Konfuzianismus. Einzelne seiner Bücher wurden ins Koreanische, Französische, Tschechische, Ungarische, Polnische, Spanische und Bulgarische übersetzt.
Die interkulturelle Hermeneutik verdankt ihm nicht nur die Begriffe der „interkulturellen Spiritualität“ und des „eurasischen Humanismus“3. Aus der Auseinandersetzung mit dem Buddhismus hervorgegangene Fragen und Einsichten beleuchten die Grundprobleme der Hermeneutik, im Besonderen im interkulturellen Kontext, neu und setzen nachhaltige Impulse für die schöpferische Auseinandersetzung mit dem Eigenen und dem Fremden. Seine Forschungen weisen immer wieder eindringlich darauf hin, dass beim Versuch des Verstehens nicht nur Achtsamkeit gefordert ist im Hinblick auf mögliche Projektionen, den eigenen biografischen und kulturellen Hintergrund sowie unterschiedliche Sprachwelten, Stile und damit verbundene Fragen der Übersetzung. Schwerer wiegen vor allem in der Auseinandersetzung mit Nāgārjuna gewonnene grundsätzliche Einsichten der Unangemessenheit abendländischer Logik und Fragestellungen für die Rezeption östlicher Traditionen.
Dass sich einander Widersprechendes notwendig ausschließt erweist sich dabei ebenso fragwürdig und hinfällig wie die Frage nach dem Weseneiner Sache, Lehre oder Tradition. Bedeutsame buddhistische Einsichten wie die wechselseitige Abhängigkeit der Dinge und Ereignisse, die Vorläufigkeit jeder Aussage und der unabschließbare Prozesscharakter der Wirklichkeit erfordern eine andere Weise der Betrachtung und Geschichtsschreibung, die – Hegels Diktum folgend, dass das Ganze das Wahre ist – statt dasEigentliche und historisch Anfängliche zu suchen und zu wahren, der schöpferischen Entfaltung des Ursprünglichen nachspürt.
Damit einher geht nicht nur das Bewusstsein des Andersseins des Anderen, das letztlich immer Geheimnis bleibt, sondern auch die Achtung der Vielfalt und der Sinn für die nicht in einem vereinheitlichenden Synkretismus aufzuhebende Pluralität der Betrachtungsweisen. Die Spiegelung des Eigenen im Fremden wird damit zum unabschließbaren Prozess der Annäherung und der wechselseitigen Bereicherung, Erweiterung des Horizontes. Während abendländisches Denken dazu neigt, der verständlichenVersprachlichung im Sinne metaphysischer Systeme und dogmatischer Aussagen einen Eigenwert beizulegen, spricht sich in östlichem Denken der Vorrang derErfahrung aus und das Wissen, dass diese unendlicher Vertiefung und Erweiterung fähig ist und von Aussagen niemals eingeholt und ausgeschöpft werden kann. Ein sich selbst in seiner Zeitlichkeit und Endlichkeit als Prozess verstehendes Sein kann daher immer nur Vorläufiges wissen und sagen. Auch weiß es um den Werkzeugcharakter des Denkens, das Leiter ist und Floß, um, sich wandelnd, eine andere Dimension zu erwecken, die es unablässig in alltäglicher Bewährung zu erweitern und zu vertiefen gilt. Dies Wissen um den allem Schöpferischen zuGrunde liegenden Prozess der Menschwerdung und den Weg der kleinen Schritte dürfte einer der bedeutsamsten und nachhaltigsten Impulse sein, die aus den Forschungen von Volker Zotz auf Philosophie, Religionswissenschaft, Literaturwissenschaft und Kulturwissenschaft ausstrahlen.
Doch ist Volker Zotz nicht nur Pandit, ungemein belesener und derart gebildeter Universitätslehrer. Als Schüler – und Nachfolger – Lama Anagarika Govindas sowie weiterer bedeutsamer Persönlichkeiten und Meister wie Kiichi Tetsuo Nagaya Roshi und Takamaro Shigaraki steht er zugleich in einer auch durch Initiation und intensive zwischenmenschliche Begegnung weitergebenen Tradition und ist ebenso spiritueller Lehrer, Guru, einer, der weiß, weil er erfahren hat. Wie wenige sonst vereint er damit in seiner Person Exoterisches – bloßes Wissen – und Esoterisches – existenzielles Wissen, Erfahrung. Er kann damit als Prototyp eines Wissen Suchenden und Wissen Weitergebenden verstanden werden, der der Akademie Platons näher steht als der Bologna-Reform und der in dem von ihm hoch geschätzten Konfuzius seinen Ahnherr und Meister findet.
Volker Helmut Manfred Zotz wurde am 28.10.1956 in Landau in der Pfalz geboren. Die Familie seines Vaters, Helmut Zotz (* 1928), stammt aus Tirol. Seine Mutter, Ines Aehle (1938 – 2014), wurde in Berlin geboren.
Johannes Baptist Zotz (1700 – 1759) gründete in Landau eine Manufaktur für Lederwaren. Die katholische Familie war königlich-bayerischer Hoflieferant und Ausstatter für die bayerische Kavallerie. Dementsprechend waren seine männlichen Vorfahren gelernte Sattler wie sein Großvater Severin Zotz (1838 – 1940) oder Kaufmänner wie sein Vater Helmut Zotz. Durch Bombenangriffe verlor die Familie im Zweiten Weltkrieg ihr gesamtes Eigentum und musste die Firma aufgeben. Margarethe Zotz (geb. Ibold), die Großmutter väterlicherseits, stammt aus einer preußischen katholischen Unternehmerfamilie. Seine Familie mütterlicherseits kommt aus Ostdeutschland. Von den Großeltern lernte Volker Zotz nur Erna Aehle kennen, die Mutter seiner Mutter. Diese hatte jüdische Wurzeln und war in der Kindheit und frühen Jugend eine wichtige Bezugsperson.
Volker Zotz wuchs als einziges Kind seiner Eltern in Landau auf. Er wurde römisch-katholisch erzogen. Seiner Herkunft und Verwurzelung in einer gelebten Tradition blieb Zotz sich auch bei seiner Auseinandersetzung mit den philosophischen und religiösen Lehren Asiens immer bewusst. Dem entsprechend hat er sich immer wieder auch mit christlicher Theologie und Spiritualität beschäftigt.4
1971 traf Volker Zotz den britischen Schriftsteller Oskar Kiss Maerth (1914 – 1991), mit dem er bis zu dessen Tod in Kontakt stand. Trotz Kritik an einzelnen Thesen Maerths war Zotz beeindruckt und berührt von dessen Idee einer buddhistisch inspirierten gesellschaftlich-politischen Veränderung. Politische und soziale Themen stellen bis heute einen integrativen Aspekt seiner spirituellen Forschung und Lehre dar.
Durch Briefe kam Volker Zotz, der sich von Kindheit an für Asien interessierte und seit 1970 mit asiatischer Literatur auseinandersetzte, mit dem ursprünglich deutsch-bolivianischen Ernst Lothar Hoffmann in Kontakt, der nach Aufenthalten in Italien und Ceylon und mehreren Forschungs- und Pilgerreisen durch Tibet als Lama Anagarika Govinda mit seiner indischen Frau Li Gotami in Indien lebte. Govinda, der vor allem durch sein Buch Der Weg der weißen Wolken auch in Deutschland bekannt geworden war, nahm Volker Zotz 1972 in den 1933 von ihm gegründeten Orden Ārya Maitreya Maṇḍala auf. Bereits während seiner Gymnasialzeit unterhielt Zotz Kontakte zu weiteren Schülern Govindas und Angehörigen des Ordens, von denen vor allem Ernst Pagenstecher und Karl-Heinz Gottmann für ihn zu bedeutsamen Lehrern wurden, mit denen er sehr viel Zeit verbrachte. Bedeutsam wurde für ihn daneben die aus einem Briefwechsel hervorgegangene Bekanntschaft mit Friedrich Fenzl und dessen Lehrer Harry Pieper.
Auch, wenn sich einzelne Überzeugungen und Betrachtungsweisen Govindas für Zotz auf Grund eigener Studien später als fragwürdig und unhaltbar erwiesen, achtet und schätzt er den kreativen Lebensweg Govindas als inspirierende bedeutsame schöpferische Rezeption und Entwicklung buddhistischer Traditionen, der der Westen nachhaltige Impulse verdankt.
Lama Anagarika Govinda und Volker Zotz in Mill Valley, Kalifornien, Dez. 1982 (Foto: Karl Schmied)
Bereits während seiner Schulzeit begann Zotz mit dem Schreiben, das ihm auch während seines Zivildienstes in einem evangelischen Pflegeheim nach dem Abitur am Max-Slevogt-Gymnasium in Landau bedeutsam blieb. Zwei Gedichtbände und eine Erzählung aus dieser Zeit erschienen 1978 und 1979 in der Verlagsedition Dittmer.5 Neben wissenschaftlichen, philosophischen und essayistischen Arbeiten und Sachbüchern entstehen auch heute noch immer wieder literarische Arbeiten.6 Zudem setzte sich Volker Zotz immer wieder mit Autorinnen, Autoren und literarischen Strömungen auseinander. Er schrieb eine Biografie André Bretons, setzte sich für eine Neubewertung des Schriftstellers Norbert Jacques ein, mit dessen Tochter Adeline Jacques-Marin (1921 – 1992) er seit 1987 befreundet war und schrieb eine umfassende Würdigung der amerikanischen Autorin Ruth Tabrah (1921 – 2004). Tabrah, mit der Zotz seit 1989 befreundet war, schrieb nach einem Studienaufenthalt in Japan mehrere Bücher über Buddhismus und engagierte sich in dem Vorbereitungskomitee zur Gründung des interkulturellen Projektes Kōmyōji, dem sie bis zu ihrem Tod als Beirat angehörte.
„Der surrealistische Dichter“ - Portrait Volker Zotz, München 1980 (Foto: Matthias Falck Wohlfahrt)
1978 nahm Volker Zotz das Studium der Philosophie, Buddhologie, Geschichte und Kunstgeschichte an der Universität Wien auf. Von herausragender Bedeutung wurde für ihn dort der mit Paul Feyerabend befreundete Philosoph Kurt Rudolf Fischer (1922 – 2014), bei dem er 1986 mit einer Arbeit Zur Rezeption, Interpretation und Kritik des Buddhismus im deutschen Sprachraum vom Fin-de-Siècle bis 1930 promovierte. Zu den zahlreichen Impulsen, die er von diesem unkonventionellen Professor jüdischer Herkunft erhalten hat, zählt die Sensibilität für mögliche Affinitäten philosophischer Richtungen zur Ideologie des Nationalsozialismus, die Volker Zotz auch für die Geschichte des Buddhismus geltend gemacht und untersucht hat. Zweitgutachter war der Philosoph, Gruppendynamiktrainer, Sozialwissenschaftler und Publizist Gerhard Schwarz, mit dem Zotz auch nach seiner Promotion in interdisziplinären Projekten unter dem Titel „mehrdimensionale Ursachenforschung“ zusammengearbeitet hat.
Volker Zotz und Gerhard Schwarz bei einer wissenschaftlichen Konferenz im Festsaal der Universität Wien am 23.8.1990 (Foto: Thomas Waysocher)
Während seiner Studienzeit hielt sich Zotz mehrfach für längere Zeit in Asien auf. Eine seiner Reisen auf dem Landweg von Indien nach Europa beschreibt er in seinem Buch Offenes Leben und Tod.7
1981 wurde Volker Zotz von Lama Anagarika Govinda zum Repräsentanten und Leiter des österreichischen Zweigs des Ārya Maitreya Maṇḍala ernannt.
Afghanistan 1979: Volker Zotz mit seinem Freund Matthias Falck Wohlfahrt auf dem Rückweg von Indien nach Europa (© M. Wohlfahrt)
1982 gründete er die Zeitschrift Damaru. War diese zunächst buddhistischen Themen im Sinne Govindas gewidmet, öffnete sie sich später für ein breiteres Themenspektrum und erscheint heute als Damaru. Zeitschrift für interkulturelle Spiritualität im Verlag von Kōmyōji. Herausgeberin ist seit 2006 die Kulturund Sozialanthropologin Birgit Zotz, die Ehefrau von Volker Zotz.
1984 erschien auf Anregung Lama Govindas, der dem Buch ein Geleitwort hinzufügte, Maitreya. Kontemplationen über den Buddha der Zukunft, das Volker Zotz „in Dankbarkeit“ seinem „verehrten Lehrer Dr. Karl-Heinz Gottmann“ widmete. In der Auslegung der 26. Lehrrede der Sammlung Dīgha-Nikāya des Pāli–Kanon, die von allen Schulen und Lehrmeinungen des Buddhismus anerkannt wird und die das Erscheinen Maitreyas, des kommenden Buddhas der Liebe, voraussagt, nähert Zotz sich dem Phänomen „Buddha“ auf den Ebenen der Wortbedeutung, der Definition, der Geschichte und der Mythologie. Kern der als „Erwachen“ beschriebenen Erleuchtungserfahrung des historischen Buddha ist demnach die Überwindung, Auslöschung des „kleinen Ich“, das sich in der Erfahrung des vollkommenen Loslassens der Leere öffnet, die tiefes Verstehen und unmittelbaren Bezug zu allem Seienden ermöglicht. Die Auslöschung des durch seine bisherige Geschichte (Karma) bestimmten Ich in der Wiederholung des Gewesenen und der ekstatischen Erfahrung des „Lichts“ stillt alle Bedürfnisse und Sehnsüchte und schenkt dem in gewisser Weise neu Geborenen tiefen Frieden, ewige Ruhe, ewiges Licht und bedingungslose Liebe. Diese ungeheure geheimnisvolle Erfahrung des „Auslöschens“ des Ichs, die alles durchdringende Erfahrung des Seins und die damit verbundenen vielfältigen Einsichten sind so tief und unerschöpflich, dass sie von Verstand und Sprache nicht zu fassen sind.
Während Maitreya die „vierte Dimension“ in den Mittelpunkt stellt, die sich – den Menschen wandelnd und im eigentlichen Sinn erst menschlich, weil wahrhaft liebend und lebendig machend – in der Erfahrung des Erwachens öffnet, begreift Zotz die Vielfalt buddhistischer Schulen und Lehrmeinungen später wesentlich aus der Unmöglichkeit des sprachlichen Ausdrucks. Diese ermöglicht es und macht zugleich unumgänglich, immer wieder andere Aspekte dieser unergründlichen Erfahrung in schöpferischer Aneignung zu betonen, und die mit jedem Versuch sprachlich-verständlicher Fassung dessen, was unsagbar und undenkbar ist, verbundenen Widersprüche zu entwickeln.
In dieser Einsicht gründet das entschiedene Plädoyer von Volker Zotz für die relative Berechtigung und Gültigkeit unterschiedler Perspektiven. Im Hinblick auf das Absolute ist alles Endliche vorläufig und relativ. Was wirklich zählt ist die geduldige Bewährung im Alltag in der liebenden Hingabe an die anderen. Der sich auf diese Weise Gebende und Schenkende erfährt sich zugleich als der Getragene, der „sich“ als offene Weite, Leere und Fülle zugleich, zurück erhält.
1987 veröffentlichte Volker Zotz mit Freiheit und Glück ein buddhistische Einsichten und Methoden „für heutige Menschen“ vermittelndes unorthodoxes Lehr- und Übungsbuch für jeden, der sich entschließt, seinem Leben Richtungund Sinn zu verleihen. Das Buch erschien 1990 unter dem Titel Erleuchtung im Alltag und 1999 als Mit Buddha das Leben meistern. Unter diesem Titel erreichte es 2015 die 15. Auflage. Gewidmet ist das auf inneres Wachstum und Verwandlung des Lebens zielende Buch dem Gedächtnis an Ernst Pagenstecher und seine Frau Traude.
Mit Karl Jaspers erinnert Zotz den Leser immer wieder daran, dass das kleine, egozentrische Ich auf seinem Weg zum Licht notwendig scheitern muss. Es gibt keine Erlösung für das Ich. Auch kann es nicht um das endgültige Erreichen eines Ziels gehen, sondern nur darum, seinem Leben Richtung zu geben und die auf diesem Weg immer überwältigender aufleuchtende Erfahrung einer anderen Seinsweise, einer anderen Kraft zuzulassen und geduldig zu vertiefen und zu erweitern. Was zählt ist der Augenblick, hier und jetzt, in dem vollkommen wach und gegenwärtig zu sein die Aufgabe des Ich ist. Dem nicht mehr von Begierden, Vorurteilen und Abneigungen bestimmten, wacher und lebendiger gewordene Ich geschehen und fügen sich die Ereignisse von selbst.
1989 ging Zotz nach Japan, wo er bis 1999 an den Universitäten Ryūkoku und Ōtani in Kyoto sowie an der Rissho-Universität in Tokio tätig war. Er arbeitete in dieser Zeit u.a. mit dem von Paul Tillich beeinflussten buddhistischen Religionsphilosophen Takamaro Shigaraki (1926 – 2014), dem Spezialisten für Jōdo-Shinshū, Meiji Yamada (1935 – 2015), und dem mit Goethe, Gide, Klages und der Lebensphilosophie vertrauten Yukio Kotani zusammen. Während zwischenzeitlichen Aufenthalten in Europa lebte er in dem fast zur Hälfte von Kroaten bewohnten kleinen österreichischen Dorf Weingraben im Burgenland.
Aus seiner bereits in den achtziger Jahren begonnenen intensiven Auseinandersetzung mit dem Surrealismus ging die 1990 veröffentlichte Biografie André Bretons hervor. Dass Kunst ein Weg der Erkenntnis und Befreiung sein kann, verband Lama Govinda bereits mit der Romantik. Für die Surrealisten wurde die schöpferische Entdeckung des Unbewussten, das Streben nach Ganzheit, das Verständnis des Alltags als Schlaf und Traum und des alltäglichen Ich als unwirklich zum Programm. Zotz sieht die Bedeutung Bretons daher weniger in seinem literarischen Schaffen und den Einflüssen, die er auf andere ausübte, sondern in einer als solche weitgehend unbeachtet und unverstanden gebliebenen Philosophie und Technik. Bretons vielfältige Einsichten in wechselseitige Abhängigkeiten und Bedingtheiten, die ihn mit Freud, Marx, Engels, Trotzki und Lenin verbinden, sein Verständnis aller Selbst- und Welterfahrung als Prozess wie auch die Relativierung des Historisch-Einmaligen zu Gunsten einer universal wirksamen Gegenwart des schöpferischen Geistes, stellen attraktive Schnittstellen zur buddhistischen Welterfahrung dar.
Takamaro Shigaraki und Volker Zotz in Kyoto (Foto: Ryūkoku Universität)
Philosophie, Literatur und Kunst werden damit zu Spiegeln, in denen der leidenschaftlich Suchende sich selbst erblicken und erkennen kann, Zuspruch und Ermunterung findet. Es ist, wenn auch in den Prägungen von Zeit und Raum, im Grunde derselbe Geist in allen, der sich von Erfahrung zu Erfahrung, von Stufe zu Stufe durchringt auf der Suche nach Erlösung, nach Erweiterung vorgegebener Grenzen, nach Vertiefung, Intensivierung, Vereinigung der Gegensätze, nach Ganzheit. Synchronizitäten, Begegnungen, Zufälle, Zeichen und Offenbarungen begleiten solchen Aufbruch, solchen entschlossenen Versuch des Verrückens. Träume werden Wirklichkeit, die Wirklichkeit traumhaft. Dass die mit der radikalen Infragestellung der Subjektivität einhergehende Dialektik von Diesseits und Jenseits von den Surrealisten letztlich immer wieder zu Gunsten einer Treue zur Erde und zum Menschen – einer neuen Erde und einem neuen Menschen – entschieden wurde, verbindet sie, wie auch der Primat der Erfahrung, mit Nietzsche ebenso wie mit Buddha.
Früchte seiner Studien und Zusammenarbeit in Japan sind die 1991 erschienenen Bücher Buddha und Der Buddha im Reinen Land. Seiner Darstellung des Lebens und der Lehre Siddhārtha Gautamas voraus stellt Zotz klare und tiefe Einsichten in die grundsätzlichen Schwierigkeiten dieses Versuchs. Dabei weist er nicht nur auf die unterschiedlichen Interessen des historischen Stifters, der sein Leben und Lehren überliefernden religiösen Tradition, der späteren Interpretationen und der noch späteren wissenschaftlichen Erforschung hin und beleuchtet die Quellenlage und Traditionsgeschichte. Er wendet zentrale Einsichten dieser Lehre auf deren Erforschung und Geschichtsschreibung selber an und ergänzt und bereichert die interkulturelle Hermeneutik dadurch nachhaltig.
Nicht die einzelne überlieferte Episode und Aussage kann daher Gültigkeit beanspruchen, sondern nur das Gesamtbild. Da Buddha kein Buddhist war, zeigt Zotz den kulturellen, philosophischen und geschichtlichen Hintergrund Gautamas zunächst ausführlich auf, um das Besondere des „mittleren Weges“ in der Erfahrung des großen Erwachens deutlich werden zu lassen. Die sich in vierfacher Vertiefung anbahnende tiefgreifende Wandlung seines in-der-Welt-Seins, die als „Aufhebung des Leidens“ in vollkommener Gegenwärtigkeit den Kern des Erwachens ausmacht, entzieht sich letztlich jeder zureichenden Beschreibung. Wesentlich ist die tief empfundene Vergänglichkeit und die Einsicht in die wechselseitige Abhängigkeit, Verwobenheit des Lebens, die radikale Infragestellung des Ich, die schonungslose Selbsterkenntnis sowie das geduldige Überwinden der Egozentrik.
Auf diesem meditativen Weg vom Ich zum Licht zeigt sich das Unendliche im Endlichen, und die unmittelbare Erfahrung überschreitenden metaphysischen Fragen heben sich auf. Die mit dem Schwinden des Eigenseins erfahrbare Leere ist zugleich Fülle. Dem Lassenden geschieht alles wieder. Mit heiterer Gelassenheit und achtsamer Gegenwärtigkeit entspricht er dankbar den Anforderungen von Augenblick zu Augenblick. Dass Buddha sich im klaren Wissen um die Undenkbarkeit und Unsagbarkeit dieser Erfahrungen dennoch zum Lehren des „edlen achtfachen Pfades“ entschloss, was Quelle vielfältiger Diskussionen und Schulbildungen wurde, gründet in seinem tiefen Mitgefühl mit allem Lebenden. Seine mit erheblichem zeitlichen Abstand aus der Erinnerung aufgezeichneten, schriftlich überlieferten Lehrreden müssen daher immer situativ, orts-, zeit- und adressatenbezogen verstanden werden.
Die tiefen Einsichten und Erfahrungen Buddhas lassen vielfältige Akzentuierungen zu. Der Shin-Buddhismus zählt zu den Schulen, die zwar den Primat der Erfahrung vor der Metaphysik betonen, die Eigenleistung des Menschen aber hinter der Notwendigkeit des Vertrauens und der Erfahrung eines ganz Anderen zurücktreten lassen. Wie könnte sich der in sich selbst und die Welt verstrickte Mensch überhaupt auf den Weg machen, wenn er nicht der Gerufene wäre? Und wer anders als Buddha könnte diese Sehnsucht in ihm erwecken? Zwar ist die Mitwirkung des Menschen auf dem Weg der Erlösung unverzichtbar. Geduld, Demut, Vertrauen, Hingabe und Anrufung sind unerlässlich. Die tragende, führende und erlösende Kraft aber ist nicht die des Ich.
Gemeinsam mit dem 23. Abt des Nishi Honganji, Kōshō Ōtani (1911 – 2002), einem Cousin des japanischen Kaisers Hirohito, gründete Volker Zotz 1994 die Institution „Kōmyōji - Eurasischer Humanismus & Interkulturelle Spiritualität.“ Unterstützt wurde die Gründung durch die Äbte mehrerer buddhistischer Tempel in Japan und japanische Universitätslehrer wie Takamaro Shigaraki. Der Name Kōmyōji kommt von der japanischen Lesart für drei chinesische Schriftzeichen:
光 - Kōheißt Licht, ein universelles Sinnbild für Erkenntnis und Orientierung.
明 - Myōwird aus den Symbolen für Sonne und Mond gebildet.
Das Zeichen qualifiziert Licht somit als klar und glänzend. In einigen Zusammensetzungen verweist es auf den kommenden Tag oder die Zukunft. Wird esMeiausgesprochen, kann es fürScharfblick,Klarblick,EinsichtundErkenntnisbedeuten.
寺 - Jibezeichnet einen Tempel.
„Kōmyōji“ steht somit für einen Ort, an dem das klare Licht der Erkenntnis im transkulturellen Dialog im Besonderen zwischen Europa und Asien in die Zukunft weisende Einsichten vermitteln soll. Die Einrichtung veranstaltet internationale Kongresse, Tagungen und Seminare und gibt Veröffentlichungen heraus. Ein zentraler Bestandteil der Tätigkeit sind Fernkurse zu Themen asiatischer Philosophie. Präsidentin von Kōmyōji ist derzeit Birgit Zotz.
In seinem 1996 erschienenen umfangreichen Standardwerk Geschichte der buddhistischen Philosophie zeigt Zotz ausführlich das Entstehen der Vielfalt buddhistischer Schulen in wechselseitiger Abhängigkeit als schöpferische Entfaltung einer anfänglichen Erfahrung, Akzentuierung unterschiedlicher Aspekte und Entwicklung der mit der Versprachlichung unvermeidlich gegebenen Widersprüche auf. Nicht eine ursprüngliche reine Lehre gilt es durch – innerhalb ihrer Grenzen durchaus bedeutsame und berechtigte – philologische und kulturwissenschaftliche Forschung wieder zu gewinnen. Buddhismus wird vielmehr verstanden als die grundsätzlich unabschließbare geschichtliche Entfaltung des Anfänglichen. Was neu scheint in diesem schöpferischen Prozess entsteht dabei nicht aus Eigensinn und dem Willen zur Originalität, sondern geht aus der Besinnung und Rückwendung auf die Tradition ursprünglich hervor. Entmythologisierung führt, dem Gesetz des Entstehens inAbhängigkeit folgend, von selbst zur Erfahrung eines neuen Mythos, Metaphysikkritik zu neuer Metaphysik. Das Wahre ist das Ganze.
Volker Zotz mit Yoshiko und Kōshō Ōtani in einem Wiener Heurigenlokal 1990 (Foto: Thomas Waysocher)
Diesem entschiedenen, aus tiefer Einsicht hervorgehenden Pluralismus gegenüber sieht Zotz die Tendenz abendländischer Philosophie und Theologie, Perspektiven und Standorte zu verabsolutieren und davon Abweichendes zu diskriminieren, zu verfolgen und zu vernichten. Der östlichen Neigung, die Einheit in der Vielheit zu sehen, diese zu respektieren und zu tolerieren entgegen gesetzt sieht er eine ausgeprägte Tendenz des Abendlandes zum Totalitarismus. Auch wenn dies sicher nicht auf alle Denker, im Besonderen der sogenannten Mystik, zutrifft, hat Zotz damit doch eine wesentliche, in der Eigenart abendländischer Metaphysik gründende Gefahr erkannt und benannt, deren sorgsame Erwägung angesichts vielfältiger Krisen unserer globalisierten Welt dringend geboten ist.
Zotz zog 1999 nach Luxemburg, wo er als assoziierter Professor der Université du Luxembourg Philosophie und Geistesgeschichte lehrte. Im Rahmen der Überführung des vormaligen Centre Universitaire de Luxembourg in eine Volluniversität beteiligte er sich an der öffentlichen Diskussion und betonte die Bedeutung der Geisteswissenschaften. Von 1999 bis 2000 war er Chefredakteur der buddhistischen Zeitschrift Ursache & Wirkung, für die er zunächst als Kolumnist tätig war.
In seinem 2000 erschienenen umfangreichen Buch Auf den glückseligen Inseln. Buddhismus in der deutschen Kultur untersucht Zotz die Rezeptionsgeschichte des Buddhismus im deutschsprachigen Raum im Licht mehrerer grundlegender Hypothesen. Die kulturelle Grenze zu Asien stellt demnach ein auf Projektion und Abspaltung beruhendes konstituierendes Element europäischen Selbstverständnisses dar. Die auf diese Weise entstandene Einheit Europas betont nicht nur Naturwissenschaft und Technik, sondern enthält auch rassistische Elemente, die der Sicherheit und Abgrenzung dienen. Dem Pluralismus, der Selbstgenügsamkeit und Gelassenheit Asiens gegenüber steht damit ein auf Vereinheitlichung, Expansion und Unterwerfung zielendes Abendland, was sich nicht zuletzt in der oft wenig liebevollen und toleranten christlichen Missionierung anderer Völker spiegelt.
Die Faszination und Angst, die der Osten auf den Westen ausübt, wird damit verständlich. Europas weitgehend verdrängte irrationale Schattenseite wurde im Bild Asiens einerseits als prälogisch, prärational und mythisch verurteilt und bekämpft. Andererseits spürte der Westen immer wieder, dass ihm gerade diese verdrängte Schattenseite zu seiner Ganzheit und wirklichen Vernünftigkeit fehlt. Wie gefährlich, verführerisch und überwältigend diese abgespaltene Nachtseite vermeintlicher Rationalität und Vernunft sein kann, wurde dem Westen eindringlich mit der unmenschlichen Ideologie des Nationalsozialismus vor Augen geführt. „Die gleiche von der Suche nach Heil geleitete geistesgeschichtliche Tradition führte zu Albert Schweitzer wie zu Heinrich Himmler […] Humanistische deutsche Kultur und der NS-Abgrund als zwei Seiten einer Medaille?“8 Das als solches nicht verständliche Irrationale stellt daher nicht das ganz Andere der Vernunft dar. Seine Anerkennung stellt vielmehr ein notwendiges Moment wirklicher Vernünftigkeit dar. Diese tiefe Weisheit findet Zotz auch im Konfuzianismus.
Obwohl Begegnungen zwischen Ost und West durch Reisen und Begegnungen seit der Antike möglich und spätestens mit dem Feldzug Alexanders 326 v. u. Z. nach Indien verbürgt sind, beginnt die eigentliche Rezeptionsgeschichte des Buddhismus in Deutschland erst 1802. Zotz zeigt auf, wie nicht nur Fragen der Zugänglichkeit und Verlässlichkeit von Quellen und deren Übersetzung die Auseinandersetzung erschwerten, sondern vor allem metaphysische und geschichtsphilosophische Konzepte notwendig zu Unverständnis und Verzerrungen führten. Erst sprachphilosophische Reflexionen und die allmähliche Unterscheidung zwischen vorstellendem Denken, Intuition und der Reflexion von Erfahrung ermöglichten eine von Projektionen und Spiegelungen zunehmend freiere Wertschätzung östlicher Traditionen. Dass auch diese von rassistischen Überzeugungen keineswegs frei sind und mit den Konzepten von Karma und Reinkarnation Elemente enthalten, die zumindest Auslegungen zulassen, die wenig menschlich und sozial akzeptabel sind, wird von Zotz deutlich heraus gestellt.9
Ebenso wird deutlich, dass es von geografischen und zeitlichen Bedingungen unabhängig wirksame, universelle, mit dem Menschsein verbundene Einsichten, Strukturen, Ideen gibt, die sich im Osten wie im Westen finden. Ökonomische, soziale und politische Faktoren wirken zwar prägend, reichen aber für eine hinreichende Erklärung der Aktualisierung universaler Ideen nicht aus. Die Beschäftigung mit dem Fremden wird damit zu einem Prozess, der zu den eigenen Wurzeln zurückführt und manches neu zu sehen und wertzuschätzen lehrt, was man zuvor nur im Fremden zu finden glaubte.10 Zotz hat damit sowohl Gefahren wie auch Chancen eines Eurasischen Humanismus aufgezeigt und der Forschung ebenso wie dem interessierten Leser östlicher Texte nachhaltige Impulse vermittelt.
Ebenfalls im Jahr 2000 erschien seine Bildmonografie Konfuzius, die seine große Wertschätzung des chinesischen Weisen erkennen lässt. Die Anregung für die vertiefte Beschäftigung mit dem chinesischen Weisen verdankt Zotz Lama Anagarika Govinda, der sich gründlich mit dem I Ging auseinander gesetzt und ein viel beachtetes Buch darüber geschrieben hat. Wichtige weitere Impulse erhielt er später u. a. von Shoken Yamasaki (1907 – 1989), Keisai Doki, dem vormaligen Abt des Senpuku-Tempels in Takaoka, und Yukio Kotani. An sich selbst arbeiten und sich bilden in der Rückbindung an die Tradition, ihrer sozialen Funktion wegen Riten einhalten und wertschätzen „als ob“ das Reich der Ahnen und Geister wirklich sei, auch wenn sie sich im tiefsten Kern rationalem Verständnis entziehen, bescheiden, arm und schweigsam Maß und Mitte wahren, in der Hinwendung zum andern großzügig, weitherzig, einfach und echt ohne Unterscheidung und Ansehen der Person Gutes tun, lebenslang lernen und durch Vorbild und Beispiel mehr lehren als durch Worte: auf diese Weise sich unablässig bemühen menschlich zu werden und zu sein, versteht Zotz als bleibende Aufgabe und Weg auch in unserer Zeit.
Mit den beiden 2007 und 2015 erschienen Büchern Konfuzius für den Westen. Neue Sehnsucht nach alten Werten und Der Konfuzianismus vertiefte und erweiterte er die bedeutsame Thematik und forderte über „die müde Toleranz der Unverbindlichkeit“ hinaus, „die jedem seinen Glauben und Lebensstil lässt, solange einen dies nicht belästigt“ eine „intensive und existenzielle Kenntnisnahme des anderen“, „ein Verstehen, das im Innersten berührt und verwandelt“.11 In dieser Forderung kommt der Kern seines eigenen schöpferischen Lebensweges klar und deutlich zum Vorschein.
2002 gründete Volker Zotz gemeinsam mit der deutsch-italienischen Lyrikerin und Schriftstellerin Friederike Migneco den gemeinnützigen Kulturverlag Kairos Edition. Wichtige Gesprächspartner waren für ihn in dieser Zeit auch der Theologe und Islamwissenschaftler Wilhelm Maas (1937–2012), Bruno Fromme OC, Abt des Klosters Himmerod von 1991 bis 2011, sowie der damalige Erzbischof von Luxemburg, Fernand Franck. Von 2002 bis 2004 war Zotz Redaktionsleiter der Zeitschrift Forum für Politik, Gesellschaft und Kultur.
Birgit und Volker Zotz, Pangong Tso, Ladakh 2012 (Foto: Dorje Ngawang)
Am 5. Juli 2005 wurde Zotz an der philosophischen Fakultät I der Universität des Saarlandes auf der Grundlage seiner bis dahin erschienenen Bücher, mehrerer Aufsätze, einer studiengangbezogenen Lehrveranstaltung und eines Vortrages „Zur Geschichte des Reinkarnationsglaubens in Europa“ von Karl-Heinz Ohlig für das Fach Religionswissenschaft habilitiert. An dem Verfahren beteiligt war mit Kuno Lorenz ein in Logik, Sprachphilosophie, Anthropologie, indischem Denken und Buddhismus vielfach ausgewiesener Philosoph. 2005 lernte Volker Zotz auf einer wissenschaftlichen Tagung in Österreich die Kulturanthropologin und Tourismuswissenschaftlerin Birgit Hutter kennen, die er 2008 heiratete. Ihr verdankt er nicht nur „kostbare Inspiration und Hilfe“12 bei seinen Forschungen. Birgit Zotz hat sowohl für Kōmyōji als auch für Ārya Maitreya Maṇḍala und den Kairos Verlag wichtige Aufgaben übernommen.
Ebenfalls 2005 erschien in der Zeitschrift Damaru „Leitmotive des Ārya Maitreya Maṇḍala“. In dem 2013 noch einmal als eigenständige Publikation erschienenen Beitrag geht Volker Zotz der Geschichte des Ordens nach und klärt dessen Leitmotive in Vergangenheit und Zukunft. Dabei kristallisieren sich fünf wechselseitig mit einander verbundene, gleichursprüngliche Leitmotive heraus:
• Der Mythos des kommenden Buddha Maitreya und das Ideal des Bodhisattva
• Das Vorbild und Beispiel des Gründers Lama Anagarika Govinda
• Philosophie, Ethik und Meditation des Buddhismus
• Die tantrische Weltsicht und die Praxis des Siddha
• Die Idee des Ordens als Maṇḍala und Kula
Der Orden kennt keine Gelübde, die an einen bestimmten Lebensstil binden. Wesentlicher ist das Streben nach innerer Freiheit, um in der Entfaltung eigener Begabungen und Interessen dem Gemeinwohl zu dienen. Die Aufnahme in den Orden, der sich als eine „Bruderschaft des Herzens und des Geistes“13 versteht, erfolgt nach Jahren des Studiums und der Vorbereitung durch Initiation, die eine unverlierbare geistige Tatsache darstellt. „Auf diese Weise besteht der Orden als die Ganzheit aller jemals Initiierten in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.“14 Die Mitglieder des Ordens fühlen sich wahlverwandt und verstehen sich als Familie, in der einer den anderen inspiriert, unterstützt, ermahnt und ihm beisteht.15 Die geheimnisvollen Erfahrungenauf dem Weg der Wandlung bleiben nicht Initiierten verborgen, da „das Mysterium der inneren Verwandlung nur dann vor sich gehen (kann), wenn die geheimen Kräfte seiner Symbole profanen Augen und dem müßigen Geschwätz der Welt entzogen bleiben.“16
Das Verständnis des Ordens als Mandala erläuterte Lama Govinda 1966 wie folgt: „So aber wie im Seelischen sich die chaotischen Mächte der Tiefe zur Ganzheit bewusster Erkenntnis zusammenschließen, entsteht aus dem Zusammenschluß gleichstrebiger Individuen ein Mandala, aus dem jeden Einzelnen höhere Kräfte der Verwirklichung zufließen. Das ist der Sinn des Ārya Maitreya Maṇḍala, in dem jeder, der zum Glied des heiligen Kreises wird, gleichgültig aus welcher „Richtung“ er auch kommen mag, einem gemeinsamen Zentrum zuschreitet, in dem die Verschiedenheit aller individuellen Wege ihren Einheitspunkt findet.“17 Von den „Torheiten der Epoche“18 distanziert, wirken die Mitglieder des Ordens gleichwohl in der Welt und halten sich bereit, nach Krisen und Katastrophen in der liebenden Zuwendung zu anderen „den Grundstein einer neuen Kultur zu legen.“19 Unablässig an sich arbeitend werden sie „zu Mitwirkenden und Teilhabern“ einer neuen Schöpfung.20
Mit Die neue Wirtschaftsmacht am Ganges, Business im Land der aufgehenden Sonne und Kamasutra im Management erschienen ab 2006 Bücher, die Volker Zotz’ jahrzehntelange Erfahrungen in Asien für die Wirtschaft und das Management in Europa hilfreich und fruchtbar werden lassen. Dementsprechend war er in interkulturellen Fragen immer wieder auch als Unternehmensberater tätig.
2007 erschien als Festgabe anlässlich des 75. Geburtstages von Friedrich Fenzl Die Suche nach einem sozialen Buddhismus. Zotz reflektiert darin nicht nur seinen eigenen Weg und die Entwicklung einer buddhistischen Gemeinschaft und Kultur im Deutschland der siebziger Jahre. Die Schrift kann ebenso als vortreffliche Einführung in Jōdo Shinshū gelesen wie als Plädoyer für „ein bereicherndes Lernen von Kulturen, Denkweisen und Religionen, die außerhalb der vertrauten Sphären entstanden sind.“21
Seit 2009 hält sich Volker Zotz, der sich „als ein Bewohner Eurasiens“ versteht, das er „als einen einzigen bunten Kontinent“ empfindet22, immer wieder lange in Indien auf. Den wesentlichen Ertrag dieses interkulturellen Lebens formulierte er 2015 in einem Gespräch mit dem Marix-Verlag: „Bei meinem Pendeln zwischen Ost und West immer wieder zu erleben, wie sogar in gewöhnlichsten Belangen nichts selbstverständlich und allgemein gültig ist, hilft der philosophischen und wissenschaftlichen Arbeit. Dass alles mit gleicher Berechtigung ganz anders sein kann, lässt mich nicht vergessen, wie ungewiss alle scheinbaren Gewissheiten sind.“23
Am 11. Mai 2013 wurde Zotz zum stellvertretenden Leiter des Ordens Ārya Maitreya Maṇḍala ernannt.24 Seit dem 20. März 2015 ist er Leiter des Ordens. In seiner „Botschaft zum Amtsantritt als Maṇḍalācārya“25 betonte er noch einmal die außerordentliche Bedeutung der kulturellen, methodischen und individuellen Vielfalt, die für schöpferischen Wandel unverzichtbar ist. Gleichzeitig kündigte er an, im Rahmen einer grundlegenden Erneuerung mit dem Amt verbundene Machtbefugnisse zugunsten eines internationalen Gremiums und der inhaltlichen und administrativen Selbstständigkeit der einzelnen Zweige des Ordnens abzugeben. Mit dem Abbau von Hierarchien zu Gunsten der Gemeinschaftlichkeit soll eine Revision der Ordensregel erfolgen. Eine neu einzurichtende Plattform soll dem weltweiten Austauschdienen. Neben der geplanten Zurückführung des internationalen Zentrums des Ordens nach Indien plant Zotz die Herausgabe einer Gesamtausgabe der Werke von Anagarika Govinda.
Volker Zotz in der Songtsen Bibliothek, Dheradun, Indien 2010, (Foto: Elvira Glocker)
Im August desselben Jahres erschien mit Sage etwas oder schweige eine Auswahl von ihm selbst übersetzter Kōans, mit der Zotz sich noch einmal ausdrücklich dem Zen-Buddhismus zuwendet, der durch einfaches Sitzen und die meditativ-intuitive Arbeit mit Kōans zu einer alles Sagbare und Denkbare überschreitenden Erfahrung unmittelbaren gegenwärtig Seins führen will.
Anfang 2016 schufen Volker Zotz und seine Frau Birgit in der niederösterreichischen Gemeinde Grimmenstein, südlich von Wien, Räumlichkeiten für das „Anagarika Govinda Institut für buddhistische Studien“, das auch den Nachlass Govindas verwahrt.
Zotz, selbst vielseitiger Autor und Mitglied des PEN-Clubs, gelten „ungeachtet ihrer jeweiligen Einstellung vor allem Schriftsteller, die in mehreren Gattungen Beachtliches schaffen“ als vorbildlich wie der indische Autor Khuswhant Singh (1915 – 2014). „Bei solchen Menschen reflektiert das geschriebene Wort die Wirklichkeit in einem denkbar weiten Sinn. Als Dichter fiktiver Stoffe und zugleich Verfasser sachlicher Arbeiten leben sie in vielen Dimensionen der Sprache und damit in einer offenen Welt.“26
1 Volker Zotz: Brief aus Kyoto: Selbstverantwortung?, in: Ursache & Wirkung Nr. 24, 1998, S. 29
2 Vollständige Bibliographie siehe in diesem Buch S. 71-90
3 Die Begriffe „interkulturelle Spiritualität“ und „eurasischer Humanismus“ finden sich erstmals in: Offenes Leben und Tod. Scheden und Wien 1979
4 Bereits 2007 für die Veröffentlichung vorgesehen, durch das Zusammentreffen vielfältiger Faktoren aber unveröffentlicht geblieben ist sein Buch Jesus.
5Transformation, Scheden 1978 ; Geraunt, Scheden und Hannoversch Münden 1979; Das Projekt Adytum, Scheden und Hannoversch Münden 1979.
6 U.a. „Mensch ärgere Dich oder nicht“ (in: Ursache & Wirkung Nr. 88 S. 36-37, 2014) und die Kurzgeschichte „Kriegsgründe“ (in: Ursache & Wirkung Nr. 95 S. 48-49, 2016)
7 Volker Zotz: Offenes Leben und Tod. Scheden und Wien 1979
8 Volker Zotz: Auf den glückseligen Inseln. Berlin 2000, S. 38
9 Vgl. auch Volker Zotz: „Swastika und Hakenkreuz. Zum Verhältnis von Buddhismus und Nationalsozialismus.“ In: Zur Debatte. Themen der Katholischen Akademie in Bayern 1/2012 S. 24-26
10 In diesem Zusammenhang interessant ist René Descartes, der von Jesuiten erzogen wurde und dessen Leben und Werk aus dem Vajrayāna vertraute Motive und Dimensionen erkennen lässt. – Vgl. „Der Traum des Descartes“ in: Benedikt Maria Trappen: Dasselbe, das ein anderes ist. München 2014, S. 9 - 46
11 Volker Zotz: Konfuzius für den Westen. Frankfurt 2007, S. 46-47
12 Volker Zotz: Der Konfuzianismus. Wiesbaden 2015, S. 14
13 Volker Zotz: Leitmotive des Ārya Maitreya Maṇḍala. Luxemburg 2013, S. 37
14 A.a.o. S. 37
15 A.a.o. S. 35ff.
16 Zitat Lama Govindas a.a.o. S. 34
17 A.a.o. S. 36
18 A.a.o. S. 7
19 A.a.o. S. 6
20 A.a.o. S. 7
21 Volker Zotz: Die Suche nach einem sozialen Buddhismus. Luxemburg 2007, S. 13
22 Interview mit dem Marix Verlag, veröffentlicht am 04.02.15; http://www.verlagshaus-roemerweg.de/Aktuelles/marix/interview-mit-marixwissen-autor-volker-zotz.html
23 A.a.o.
24Der Kreis Nr. 270, Oktober 2013
25 In: Der Kreis Nr. 273, Mai 2015, S. 8ff.
26 Interview mit dem Marix Verlag, veröffentlicht am 04.02.15; http://www.verlagshaus-roemerweg.de/Aktuelles/marix/interview-mit-marixwissen-autorvolker-zotz.html
GERHARD WEIßGRAB
Es ist mir eine große Freude und Ehre, einen Beitrag zu dieser Festschrift zu Ehren des Jubilars verfassen zu dürfen. Umso mehr, da ich bedauerlicherweise keine bedeutende gemeinsame Wegstrecke mit Volker Zotz vorweisen kann. Mein persönlicher buddhistischer Lebenslauf beginnt zwar schon im Jahre 1979, trifft aber erst in den 1990er Jahren zum organisierten Buddhismus in Österreich, für den ich mich seit dem Jahre 2006 als Präsident der „Österreichischen Buddhistischen Religionsgesellschaft“ (ÖBR) engagieren darf.
Trotzdem ist der Moment meiner ersten Wahrnehmung von Volker Zotz schon vor dem Kontakt mit dem organisierten Buddhismus, zwar nicht in Form eines persönlichen Treffens, sondern in Form eines Buches von ihm. Ich weiß nicht mehr in welchem Jahr mir auf der Suche nach der Möglichkeit, mein Verständnis der Buddha Lehre zu vertiefen, ein Buch des Jubilars in die Hände gefallen ist. Freiheit und Glück, mit dem Untertitel: Buddhas Lehren für das tägliche Leben hieß dieses Werk.1 Ich weiß auch nicht mehr genau, wie viele buddhistische Bücher ich bis dahin gelesen hatte, aber dieses Buch gehörte sicher in meinen buddhistischen Anfangszeiten zu einem der wesentlichen – wiewohl ich inzwischen auch weiß, dass Volker Zotz sicher ganz viele, wahrscheinlich noch weit wichtigere Werke verfasst hat. Aber hier muss man die Frage stellen, woran misst sich die Wichtigkeit und Bedeutung eines Buches wirklich? Ist es das wissenschaftliche Niveau, ist es das spezifische Thema oder der Kontext in dem es erscheint? Oder ist es die Wirkung, welche es auf den einzelnen Leser ausübt? Und damit handelt es sich für mich bei diesem Buch jedenfalls um eines mit Bedeutung.
Mit diesem Buch verbinde ich nicht nur das erste Wahrnehmen von Volker Zotz, als einen wichtigen „Weitertragenden“ des Dharma im Westen, sondern auch meine erste, von wenigen persönlichen Begegnungen mit ihm. Es war in den 1990er Jahren und es war im Zuge einer Sangharats-Sitzung der ÖBR. Durch die staatliche Anerkennung des Buddhismus in Österreich seit dem Jahre 1983 gehört es auch zu den Aufgaben der Österreichischen Buddhistischen Religionsgesellschaft, in ihrer Eigenschaft als „Körperschaft öffentlichen Rechts“, darüber zu entscheiden, ob neu ins Land kommende Orden oder Gruppen sich zur staatlich anerkannten buddhistischen Religion zählen dürfen. Bei jener Sitzung ging es um die Anerkennung eines japanischen Ordens und Volker Zotz war als großer Kenner, eben auch der buddhistischen Verhältnisse in Japan, beratender Teilnehmer dieser Sitzung.
Am Schluss der Sitzung sprach ich ihn an, da ich beeindruckt und erfreut war, den Autor eines für mich wichtigen Buches persönlich zu treffen. Ich erzählte ihm, dass ich eines seiner Bücher gelesen hätte und es mir sehr hilfreich auf meinem Dharmaweg ist. Ich würde mich an diese Begegnung heute vielleicht gar nicht mehr erinnern, hätte er mir eine andere Antwort gegeben. Seine damalige Antwort habe ich aber heute noch in den Ohren und sie wird mich auch immer weiter begleiten. Sie hat für mich, vor allem auf den zweiten Blick, wesentlich mehr Inhalt und weise Botschaft, als der erste Blick scheinen lässt.
Er antwortete mir damals auf meine Erklärung, dass ich sein Buch gelesen hätte: „Ach ja, das war zu der Zeit, als ich noch glaubte etwas zu wissen und darüber Bücher schreiben zu müssen.“ Das war, wie gesagt, in den 1990er Jahren.
Es gab danach, vor allem auch im Rahmen meiner Funktion in der ÖBR, noch weitere Begegnungen mit Volker Zotz und unter anderem auch Kooperationen mit dem von ihm ins Leben gerufenen Institut „Kōmyōji“. In allen diesen seinen Aktivitäten ist Volker Zotz ein wesentlicher Faktor für die Entwicklung des Buddhismus im Westen, aber nicht nur. Seine Form des Verständnisses und Zugangs zur Buddha Lehre stellt auch einen unverzichtbaren Baustein dar, um das Wesen dieser Weisheitslehre besser erfassen zu können. Für den Westen mit seiner völlig anderen Denkkonditionierung sind Irrwege der Interpretation östlicher Weisheitslehren fast unvermeidlich. Genau deshalb bedarf es gelehrter Persönlichkeiten, um solche Fehlentwicklungen aufzuzeigen und behutsam auf mögliche andere Verstehens-Wege hinzuweisen.
Volker Zotz ist eine solche Persönlichkeit und daher für alle Menschen im Westen, welche die Lehre des Buddha verstehen wollen, ein ganz wichtiger Wegweiser. Für mich persönlich bleibt sein damaliger Ausspruch über sein „Bücher schreiben“ ein lebensbegleitender Lehrsatz.
Möge er auch für viele andere Menschen zu einer großen Inspiration werden, mögen seine Aktivitäten das Verständnis der Menschen im Westen für die Weisheitslehren des Ostens fördern.
Mit den herzlichsten Wünschen für Wohlergehen, Glück und ein langes erfülltes Leben, in Dankbarkeit und Wertschätzung
Gerhard Weißgrab, Präsident der ÖBR
1 Volker Zotz: Freiheit und Glück. Buddhas Lehren für das tägliche Leben. München 1987
OTFRIED H. CULMANN
Es hatte in Deutschland lange gedauert, bis eine Monografie über André Breton erschien. Breton spielte eine führende Rolle beim Pariser Surrealismus, der sich nicht als eine Kunstrichtung verstand, sondern als eine Revolution des Geistes: „Die Welt verändern, das Bewusstsein verändern, das Leben verändern,“ lautet verkürzt dargestellt die Haltung der Surrealisten.
1968, als ich dem in Saarbrücken geborenen und mit André Breton befreundeten „militanten Surrealisten“ Edgar Jené in Kaiserslautern half, seine Radierungen zu drucken, erzählte er mir einiges über die Phantasten in Wien und über Breton und die Zusammenkünfte der Surrealisten. An dieser Stelle sei daran erinnert, dass laut einer testamentarischen Verfügung bis zum Jahr 2016 der schriftliche Nachlass von André Breton nicht veröffentlicht werden durfte.
Es war eine entscheidende Tat, als 1990 der Rowohlt-Verlag die hervorragende Bildmonographie aus der Reihe rororo über André Breton von Volker Zotz herausbrachte, die auf meinem Bücherregal eine herausragende Stellung einnimmt.1 Dieses Buch hatte ich auch dabei, als ich im Jahr 1999 während eines Stipendiums in Paris in die Rue Fontaine 42 ging, wo sich Bretons Studio, das einstige Zentrum des Surrealismus, unberührt und verstaubt befinden sollte. Durch eine lange, dunkle Einfahrt gelangte ich in einen Innenhof und zu einem ziemlich heruntergekommenen Eingang B mit einer Wendeltreppe.
Ursprünglich soll an der Tür ein Zettel mit der Aufschrift I7 I3 gewesen sein. Diese Zahl entstand durch die Buchstaben AB, die von Breton schludrig hingeschriebenen Anfangsbuchstaben seines Namens, die dadurch zu einer mysteriösen Jahreszahl wurde – doch dieser Zettel war nicht mehr da, weshalb ich auf gut Glück irgendwo klingelte und darauf wartete, was geschehen würde. Eine ältere Frau öffnete die Tür, hinter der ein asiatisch aussehendes Mädchen stand. Die Frau war Aube, die einzige Tochter von André Breton.
Als Vorstandsmitglied von „LABYRINTHE – Gesellschaft für phantastische und visionäre Künste e.V.“ (Sitz München –Rom) waren und sind wir immer bestrebt, Kontakte zu Künstlern und Schriftstellern zu bekommen, die dem Surrealismus und der Phantastischen Kunst in irgendeiner Weise nahestehen.
Als ich an einem Tag im April 2009 wieder einmal in der rororo-Monografie von André Breton blätterte, fragte ich mich, wer wohl Volker Zotz sei und ich machte mich per Internet auf die Suche. Mit großem Erstaunen las ich bei Wikipedia, dass Volker Zotz zwar in Wien wohnt, aber quasi vor meiner Haustür, in Landau in der Pfalz geboren wurde, wo damals noch seine Eltern lebten. Umgehend schrieb ich ihm eine E-Mail. Einige Tage später traf seine Antwort ein, in der er mir von seinem frühen Interesse am Surrealismus berichtete, das bis in die Gegenwart bestehe.
Im Jahr 2013, anlässlich der Eröffnung der von mir organisierten Biennale „art-imaginär – phantastische und visionäre Kunst“ im Kulturzentrum HERRENHOF Neustadt-Mußbach, durfte ich Volker Zotz dann auch persönlich kennenlernen.
Ich würde mir wünschen, dass das von ihm übersetzte Buch L’ Art magique von André Breton auch in Deutschland veröffentlicht werden würde.
Die besten Wünsche zum Geburtstag!
Otfried H. Culmann und Volker Zotz bei der Eröffnung der Biennale„art-imaginär – phantastische und visionäre Kunst“ 2013(© O. H. Culmann)
Auszug aus Otfried H. Culmanns PARIS. Die Unbekannte in der Passage (Edition Daedalus Palatinus 2013, S. 108-109):
„[...] Als ich mich umdrehte, entdeckte ich in der vollkommen menschenleeren und stillen Passage unter einer Glaskuppel, Ecke Wachsfigurenkabinett ‚Musée Grévin’ und Hotel Chopin, die Unbekannte – sie stand dort wie eine Statue. Hatte sie mich wieder die ganze Zeit verfolgt, ohne dass ich es bemerkt hatte? Sollte nun dasselbe Spiel wie vor einigen Tagen weitergehen? Würde ich erneut in rätselhafte Räume gelangen? In Räume, bei denen – wenn ich erwischt werden würde – mit einem Fuß in der Préfecture de Police stünde! Würde ich in eine Geschichte wie André Breton hineingeraten, mit dem Unterschied, dass zwischen mir und der Unbekannten immer eine bestimmte räumliche Distanz blieb?
Nachdem meine Wanderungen durch Paris wegen der Unbekannten immer seltsamere Dimensionen annahmen, holte ich in meinem Appartement die André-Breton-Rowohlt-Monografie des in Landau geborenen Philosophen und Schriftstellers Volker Zotz aus meinem Koffer und las das ‚Nadja’ betreffende Kapitel, um vielleicht dadurch hinter das Geheimnis dieser mysteriösen Geschichte zu kommen, in die ich anscheinend immer tiefer hineinrutschte, zumal sie sich im Umfeld der Straßen, die im Buch genannte werden abspielte.
Im Gegensatz zu mir war Breton der Frau ganz nahe gekommen und er erfuhr durch die Gespräche mit ihr, dass sie hellseherische Fähigkeiten besaß und Dinge aus seinem vergangenen und zukünftigen Leben wusste. Außerdem glaubte sie, dass durch seine Gedanken ihre Gedanken und ihr Handeln beeinflusst würden.
Ihre Wirkung auf andere konnte so erstaunlich sein, dass z. B. ein Kellner in einem Restaurant nicht nur ständig den Wein an ihrem Tisch verschüttete, sondern am Ende elf Teller zerbrochen hatte. Volker Zotz schreibt: „Zwei gewöhnlich voneinander getrennte Wirklichkeiten stoßen aufeinander, verschmelzen zu einer neuen, die ein Tor zum Wunderbaren ist, das einen Blick auf verborgene Dimensionen des Lebens gestattet. Die Begegnung beider war ein Zusammentreffen dieser Art, scheinbar zufällig und doch erfüllt von verborgenem Sinn. Ihm erschien Nadja, um das ganze Verlangen nach dem Wunderbaren auf sich zu konzentrieren.“
1 Volker Zotz: André Breton in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek bei Hamburg 1990, 2. Aufl. 2007, französische Ausgabe in der Übersetzung von Catherine Métais mit einem Vorwort von José Pierre: André Breton. Paris: Édition d'art Somogy 1991.
PERRY SCHMIDT-LEUKEL
Die auf den ersten Blick verblüffend wirkende Ähnlichkeit zwischen (Jōdo-)Shin-Buddhismus (andere Bezeichnungen: Amida-Buddhismus, Reines-Land-Buddhismus) und Christentum hat immer wieder ein großes christliches Interesse erregt. Die jesuitischen Japan-Missionare des 16. u. 17. Jhd. verwiesen überrascht auf seine Nähe zur „lutherischen Häresie“ und Karl Barth hielt die Ähnlichkeit zwischen Jōdo-Shin und protestantischem Christentum gar für eine providentielle Fügung, weil durch sie deutlich werde, dass über Wahrheit und Lüge zwischen den Religionen allein der „Name Jesus Christus“ entscheide, „wirklich in der ganzen formalen Simplizität dieses Namens“, wie er ausdrücklich hinzufügt. Ist man hingegen nicht bereit, jenen religionstheologischen Exklusivismus zu teilen, der sich hier auf einen zutiefst befremdlich wirkenden Namensformalismus als sein allerletztes Refugium zurückzieht, dann wird sich der Christ durch die Ähnlichkeit zwischen Jōdo-Shin und Christentum in seinem ureigensten Anliegen nicht bedroht, sondern auf unerwartete Weise bekräftigt fühlen.
Der Jōdo-Shin wirkte auf Christen umso verblüffender, als er sich historisch im Rahmen des Buddhismus entwickelt hatte – einer Religion also, in der man gewöhnlich den krassesten Widerspruch zum Christentum verwirklicht sah: kein Gott, keine Seele, dafür aber Glaubenslosigkeit, Selbsterlösung, Daseinspessimismus und Nihilismus. Wohlwollendere christliche Darstellungen des Jōdo-Shin zeigten sich folglich eifrigst bemüht, den Gegensatz zwischen Jōdo-Shin und der übrigen buddhistischen Tradition hervorzuheben, so dass dessen Entstehung aus buddhistischen Wurzeln mirakulös und unverständlich erschien. Das Lob des Jōdo-Shin – so glaubte man – erforderte seine Herauslösung aus dem Buddhismus.
Gibt es inzwischen leise Anzeichen dafür, dass das gängige westlich-christliche Buddhismus-Klischee als Resultat verhängnisvoller Fehlinterpretationen erkannt wird und sich dementsprechend allmählich zu verändern beginnt, so ist damit zugleich auch einer neuen Einschätzung des Jōdo-Shin sowohl in seinem Verhältnis zur buddhistischen Tradition als auch in seiner Nähe zum Christentum der Weg geöffnet. Leider sind jedoch gute deutschsprachige Einführungen in den Jōdo-Shin immer noch eine große Mangelware. Von Shinran, dem Begründer des Jōdo-Shin, liegen kaum Schriften in deutscher Übersetzung vor, und die Informationen in den gängigen religionshistorischen Standardwerken verbleiben in der Regel an der Oberfläche und zeigen überwiegend von Unkenntnis und Unverständnis. Aus theologischer Sicht brachte die Arbeit von Christiane Langer-Kaneko einen bemerkenswerten Fortschritt.2 Umso erfreulicher ist es, dass mit der besprochenen Schrift nun auch eine gute, allgemein verständliche Einführung in den Jōdo-Shin aus der Feder eines (österreichischen) Jōdo-Shin-Buddhisten vorliegt. Zotz’ Buch schließt endlich eine schon lange offene Lücke!
In seiner Darstellung zeigt Zotz die Entwicklung des Amida-Buddhismus aus seinen indischen Wurzeln über seine chinesischen Ausprägungen bis hin zu seiner japanischen Gestalt (in Form der Jōdo-shū Hōnens und der Jōdo Shinshū Shinrans) auf. Da den indischen und chinesischen Entwicklungen fast zwei Drittel des Buches gewidmet sind, ist der Untertitel („Shin-Buddhismus in Japan) leicht irreführend. Er rechtfertigt sich jedoch dadurch, dass Zotz die indischen und chinesischen Erscheinungsformen des Amida-Buddhismus aus der Perspektive Shinrans behandelt. Damit gelingt Zotz ein zweifaches: zum einen macht er deutlich, dass der Amida-Buddhismus aus urbuddhistischen Elementen erwachsen ist und einen kontinuierlich vorhandenen Strang der buddhistischen Tradition bildet; zum anderen zeigt Zotz, indem er die geschichtlichen Entwicklungen aus der Sicht Shinrans reflektiert, dass der Jōdo-Shin sich selbst als zentrale Ausprägung des Buddhismus verstanden hat und verstanden wissen wollte. Mit beidem sind zwei gängige westliche Fehleinschätzungen korrigiert.
Der Schwerpunkt von Zotz’ Darstellung liegt auf der Erläuterung der historischen Entwicklung. Wegen der retrospektiven Anlage vermag er diese jedoch auch als Lehrentwicklung zu explizieren. Dabei kommen fast alle grundlegenden Lehren des Jōdo-Shin zur Sprache. Zotz verdeutlicht, wie sich diese harmonisch aus den älteren buddhistischen Grundauffassungen bilden konnten. Es gelingt ihm, auf einfühlsame Weise besonders jene Lehrgegenstände einsichtig zu machen, die im Westen vor allem dadurch missverstanden wurden, dass man glaubte, sie nur allzu leicht verstehen zu können: So demonstriert Zotz z. B. überzeugend – unter Einbeziehung neuester Quellenforschung -, dass es sich bei den „Buddhaländern“ nicht einfach um primitive Paradiesvorstellungen naiver Volksreligiosität und bei Verdienstübertragung im Zusammenhang mit Bodhisattvagelübden nicht um magische Akte handelt. Deutlich wird herausgestellt, dass aufgrund des spezifisch buddhistischen Verständnisses von „Selbst“ weder der ältere Buddhismus zutreffend als „Selbsterlösungsreligion“ verstanden werden kann, noch der Shin-Buddhismus einfach i. S. einer Fremderlösung. Durchgängig geht es vielmehr um die Erlösung von bzw. angesichts ich-hafter Selbstbezogenheit. Bewundernswert ist, wie es Zotz immer wieder gelingt, komplizierteste Sachverhalte (z. B. das Problem des Verhältnisses von Hingeburt und Rückkehr aus dem Reinen Land oder das Verhältnis von logischer Dialektik und devotionaler Frömmigkeit im Mahāyāna-Buddhismus) in wenigen Sätzen auf schlichte Art zu darzulegen, so dass demjenigen Leser, der mit den Fragen der Shin-Interpretation nicht vertraut ist, überhaupt nicht auffallen dürfte, mit welcher Eleganz und Leichtigkeit er hier gerade in die schwierigsten Aussagen des Shin-Buddhismus eingeführt wird.