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"Inflation" ist das Wort der Stunde und das Schreckgespenst für deutsche Sparer. Sie entwertet Löhne, Kontostände und Altersvorsorgen und macht unser aller Leben teurer. Kann man sich dagegen schützen? Börsen-Altmeister Thomas Gebert gibt in seinem neuesten Buch Antworten auf die drängendsten Fragen: Was ist mit Aktien und Immobilien? Wie wird sich Gold entwickeln? Was wird die EZB unternehmen? Was bedeutet das für mich, mein Konto, meine Rente und mein ganzes Leben? Oder kurz gefasst: Was soll ich tun? Dieses Buch bietet eine fundierte Analyse der gegenwärtigen Situation und der künftigen Aussichten, gepaart mit bewährten Inflationsschutzstrategien. Gewohnt faktenbasiert und analytisch räumt Thomas Gebert mit einigen Mythen auf und präsentiert spannende Erkenntnisse. Prädikat: Unbedingt lesenswert!
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Seitenzahl: 185
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THOMAS GEBERT
So retten Sie Ihr Vermögen vor der schleichenden Entwertung
Copyright 2022:
© Börsenmedien AG, Kulmbach
Gestaltung Cover: Daniela Freitag
Layout: Sabrina Slopek
Charts: Katja Strobel
Satz und Herstellung: Timo Boethelt
Vorlektorat: Claus Rosenkranz
Korrektorat: Egbert Neumüller
Druck: CPI books GmbH, Leck, Germany
ISBN 978-3-86470-841-1
eISBN 978-3-86470-842-8
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Einleitung
Die Inflation
Die alte Geldtheorie
Die moderne Geldtheorie MMT
Eigene Gedanken zur Inflation
Der Inflationsschub des Jahres 2021
Mögliche zukünftige Entwicklung der Inflation
Was kann der Anleger tun?
Zusammenstellung der möglichen Investments
Zusammenfassung
In diesem Buch wollen wir uns damit beschäftigen, wie wir uns vor der Inflation schützen können. Ein direkter Schutz existiert allerdings nicht. Man kann den höheren geforderten Preisen und gestiegenen Kosten ja nicht entgehen. Will man nicht mehr zum Friseur gehen, wenn der Preis fürs Haareschneiden um zehn Prozent gestiegen ist, oder aufs Brötchen verzichten, weil der Bäcker nun mehr dafür verlangt? Wir müssen wohl oder übel die höheren Preise zahlen. Es führt kein Weg daran vorbei, dass Geld weniger wert werden wird. Offen ist nur die Frage, in welcher Geschwindigkeit sich der Kaufkraftschwund fortsetzen wird. Werden wir mit Inflationsraten von fünf Prozent oder sogar mehr wie zuletzt im Dezember 2021 rechnen müssen, oder werden sie zurück in Richtung zwei Prozent tendieren? Ich werde im Verlauf des Buches versuchen, darauf eine Antwort zu finden. Aber selbst bei einer Inflationsrate von drei Prozent wird sich die Kaufkraft in 25 Jahren halbiert haben. Da wir darum nicht herumkommen und gestiegene Ausgaben auf uns zukommen werden, müssen wir versuchen, unser Geld so anzulegen, dass es sich um (mindestens) so viel vermehrt, wie ihm die Kaufkraft geraubt wird. Angelegt werden muss das Geld offensichtlich, um es zu schützen, denn wenn es auf dem Konto liegt, greift der Kaufkraftschwund hemmungslos zu. Um die Frage zu beantworten, wie sich die Inflationsrate in der Zukunft vermutlich entwickeln wird, werde ich mich zunächst mit der Inflation selbst und den Gründen für ihre Entstehung beschäftigen. Neben der klassischen Geldtheorie sehen wir uns dazu auch die moderne Geldtheorie an.
Nach der alten Lehre beruht Inflation auf zu viel Geld und zu wenig Waren. Dem Ökonomie-Nobelpreisträger Milton Friedman zufolge ist es deshalb die Aufgabe der Notenbank, mithilfe der Zinspolitik Kredite zu verteuern, um so die Wirtschaft abzukühlen und die Nachfrage zu dämpfen. Dies sollte zu einer nachgebenden Inflationsrate führen. Jedoch hat die Entwicklung in den 1970er-Jahren gezeigt, dass die angehobenen Zinsen weniger die Nachfrage reduzierten als vielmehr das Angebot. Wegen des hohen Zinses wurde nicht in Produktionskapazitäten investiert, die das Warenangebot erweitert hätten und damit die Preise hätten fallen lassen. Es gilt mittlerweile als gesichert, dass die Inflationsbekämpfung mit hohen Zinsen in den 1970ern die Inflation eher angeheizt als unter Kontrolle gebracht hat.
Die moderne Geldtheorie hingegen sieht den Staat in der Verantwortung. Demnach solle Inflation nicht durch höhere Zinsen, sondern durch höhere Steuern bekämpft werden. Überdies kann auf diese Weise gezielt dort Nachfrage entzogen werden, wo die Überhitzung stattgefunden hat, und zusätzlich eine Lenkungsfunktion eingeführt werden, sodass zum Beispiel der CO2-Preis höher besteuert werden kann, um den ökologischen Umbau zu gewährleisten. Der Inflationsschub im Jahr 2021 geht nach der modernen Deutung also auf zu hohe Staatsausgaben zurück, weil die Coronahilfen vor allem in Deutschland und den Vereinigten Staaten offensichtlich etwas zu üppig ausgefallen waren. Demnach sollte die Inflationsrate wieder sinken, wenn die Konjunktur- und Stützungsprogramme ausgelaufen und mittlerweile neue Produktionskapazitäten entstanden sind, um die höhere Nachfrage zu bedienen.
Um es vorwegzunehmen: Eine aus dem Ruder laufende Teuerungsrate oder gar eine Hyperinflation wie im Jahr 1923 im Deutschen Reich scheint extrem unwahrscheinlich zu sein. Dennoch diskutieren wir auch diesen Fall mit einer gangbaren Abwehrstrategie. Wichtiger scheint jedoch zu sein, dass wir uns mit dem wahrscheinlichsten Fall beschäftigen: dass die Inflationsrate auf zwei bis drei Prozent zurückgeht und so an der Kaufkraft unseres Ersparten schleichend zehrt. Um das beste Investment für dieses Szenario herauszusuchen, gehe ich im Einzelnen durch, wie sich welche Anlage in früheren Inflationsphasen entwickelt hat. Dabei treten überraschende Erkenntnisse zutage. Nicht alle gängigen Ratschläge, die man in Zeitungen und Magazinen liest, lassen sich tatsächlich als aussichtsreich verifizieren. So verlor beispielsweise eine Aktieninvestition in den 1970er-Jahren deutlich an Kaufkraft. Von Anfang 1970 bis Ende 1980 gaben die Aktienkurse per saldo zehn Prozent nach. Die Kaufkraft des Geldes sank in dieser Zeit auf 60 Prozent der des Jahres 1970. Insgesamt musste der Aktieninvestor in diesen elf Jahren also eine Halbierung der Kaufkraft seines Ersparten erleiden. Von dem viel gerühmten Inflationsschutz der Aktien keine Spur. Die steigenden Zinsen, die der Inflationsbekämpfung dienen sollten, lasteten auf der Aktienkursentwicklung. Erst nachdem der Gipfel der Inflation erreicht war und sowohl der Kreditzins für kurzfristige Ausleihungen als auch der langfristige Zins, den eine deutsche Bundesanleihe abwirft, wieder sanken, konnten die Aktienkurse steigen und die verlorene Kaufkraft wiedererlangen. Auch Gold verhielt sich nicht so, wie man es von ihm eigentlich erwartet hatte. Bei dem jüngsten Anstieg der Inflation in Deutschland von Mitte 2020 bis Ende 2021 von null auf fünf Prozent gab der Goldpreis zehn Prozent nach. In den Jahren davor dagegen, von Mitte 2018 bis Mitte 2020, gewann er 50 Prozent an Wert bei einer in diesem Zeitraum von zwei Prozent auf null Prozent fallenden deutschen Inflationsrate. Nicht nur da stimmte die gängige Weisheit nicht, dass man Gold kaufen soll, wenn die Inflationsrate zu steigen anfängt. Im Gegenteil: Der Goldpreis konnte in der Vergangenheit regelmäßig gewinnen, wenn die Inflationsrate fiel – weil dann der langfristige Zins nachgab, was Gold relativ zu Bundesanleihen attraktiver erscheinen ließ.
Es kommt also nicht darauf an, in was man investiert, sondern wann man in was investiert. Da dieser Zeitpunkt sich als sehr sensibel und ausschlaggebend für den langfristigen Erfolg der Anlage erweist, versuche ich, diesen Inflations- und Zinsbewegungen auf die Spur zu kommen und sinnvolle Einstiegs- und Ausstiegshinweise für ein Investment zu erlangen. Als hilfreich und als Schlüssel zu einer Inflationsschutz-Strategie stellt sich die Beachtung des Verlaufs des amerikanischen Wirtschaftszyklus heraus. Je nach Stand in diesem Zyklus werden verschiedene Investments bevorzugt. Anschließend untersuche ich, wie sich welche Geldanlage, also Immobilien, Anleihen, inflationsgeschützte Anleihen, Gold und Aktien – und bei Aktien besonders, in welchen Branchen diese Aktiengesellschaften tätig sind – sich in welchen Phasen wie entwickelt haben. Es stellt sich dabei eine Gesetzmäßigkeit heraus, auf deren Grundlage ich eine einfache Inflationsschutz-Strategie formuliert habe, die in den letzten Jahren das Anlageergebnis dramatisch gesteigert und den Kaufkraftschwund um ein Vielfaches kompensiert hätte. Die ersten sechs Kapitel dieses Buches beschäftigen sich mit der Theorie der Inflation, und die Kapitel danach mit der Umsetzung der Überlegungen. Ein ungeduldiger Leser kann natürlich auch gleich zum Kapitel 7 springen und sich mit der Praxis beschäftigen.
Viele Grafiken in diesem Buch zeigen Wirtschaftszusammenhänge in den USA. Das Weltwirtschaftsgeschehen wird maßgeblich von den USA geprägt. Deshalb erweisen sich Entwicklungen in den USA oft als bedeutsamer für die deutschen Finanzmärkte als Ereignisse in Deutschland. Man kann es täglich beobachten, wie das deutsche Aktienbarometer mal mehr und mal weniger den amerikanischen Indizes folgt. Zum Verständnis des Weltwirtschaftsgeschehens, der Inflation, des Ölpreises, des Zinses und der Währungsrelationen sind die USA unabdingbar. Das Inflations- und Wirtschaftsgeschehen kann man nicht losgelöst nur in Deutschland oder Europa betrachten. Deshalb beschäftigt sich ein großer Teil des Buches mit den USA, weil nach dem Takt des dortigen Wirtschaftsgeschehens auch die deutschen Finanzmärkte tanzen.
So, und nun wünsche ich Ihnen viel Spaß bei der Lektüre. Ihnen werden vielleicht Überlegungen und Schlussfolgerungen begegnen, die Sie in Zeitschriften, Magazinen oder anderen Büchern noch nicht gelesen haben.
Die Inflation spürt im Moment wohl jeder. Alles wird teurer, so scheint es. Die Frage, wie man das Ersparte, das Einkommen, das Vermögen und die Altersvorsorge vor dem drohenden Kaufkraftverlust schützen kann, drängt sich immer mehr auf. Ich möchte mich dem Thema von mehreren Seiten her nähern und mich zunächst mit der Inflation, wie man sie misst und wodurch sie verursacht wird, beschäftigen.
Die offizielle Teuerungsrate in Deutschland wird nach einem in Europa harmonisierten Verfahren vom Statistischen Bundesamt errechnet. Dazu verwendet es die ihm von den Statistischen Landesämtern zugelieferten Daten. Die Statistischen Landesämter schicken jeden Monat Kundschafter los, die in Geschäften, Betrieben und Serviceunternehmen aktuelle Preise eruieren. Ein nicht unerheblicher Teil dieser Datenerhebung findet heute elektronisch statt, doch die Basis bilden nach wie vor die sogenannten „Vor-Ort-Erhebungen“. Bei der Auswahl der Produkte wird versucht, das Ausgabeverhalten einer Durchschnittsbürgerin oder eines Durchschnittsbürgers nachzustellen. Dazu wird ein sogenannter „Warenkorb“ festgelegt, der repräsentieren soll, wie viel die Menschen in unserem Land im Durchschnitt wofür ausgeben. Eine häufige Ausgabe, die viel Geld verschlingt, muss in der Berechnung der Teuerung natürlich stärker gewichtet werden als eine seltene kleine Ausgabe.
Die Wohnkosten gehen dabei mit 32 Prozent in den Warenkorb ein. Nicht nur die Ausgaben für die Miete schlagen zu Buche, sondern fast 50 Unterkategorien, von der Instandhaltung über die Wasserversorgung bis zur Müllabfuhr. Den zweitgrößten Ausgabenblock einer Durchschnittsfamilie bildet der Verkehr mit einem Anteil von 13,5 Prozent. Von den Neupreisen und Gebrauchtpreisen von Pkws, Motorrädern, Fahrrädern und E-Bikes über Kraftstoffe, Betriebsmittel und Reparaturen bis hin zu Fahrkarten für den öffentlichen Nah- und Fernverkehr wird alles, was der Beförderung dient, unter dieser Rubrik subsumiert. Insgesamt elf Warenkategorien werden in verschiedenen Gewichtungen in diesem Warenkorb zusammengefasst und aus den Preisen ein Index berechnet, der zu einem gewählten Startpunkt auf 100 normiert wird. Die Preise der im Warenkorb enthaltenen Güter und Dienstleistungen werden jeden Monat neu ermittelt, und der Index wird neu berechnet. Als wichtiger als die absolute Höhe des Preises eines Warenkorbs gelten die Veränderungen zum gleichen Vorjahresmonat. An dem Verhältnis erkennt man, was wie viel teurer geworden ist. Mit dem gleichen Monat des Vorjahres wird verglichen, weil die Höhe des Warenkorbpreises mit der Jahreszeit schwankt. Im Sommer sind beispielsweise frische Lebensmittel wie Erdbeeren, die bei uns im Juni im Überfluss wachsen, deutlich billiger als im Winter, wenn sie von weit her hierher transportiert werden müssen.
Gemäß der herkömmlichen Lehre ist zu viel Geld schuld an der Inflation. Wenn mehr Geld vorhanden ist als Güter, die man mit dem Geld erwerben kann, steigen die Preise so lange, bis beides wieder im Gleichgewicht ist, Angebot und Nachfrage. Der Ökonomie-Nobelpreisträger Milton Friedman pflegte deshalb zu sagen: „Inflation ist immer und überall ein monetäres Phänomen“, also ein Problem, das unmittelbar mit der Geldversorgung einer Volkswirtschaft zusammenhängt. Unter Geld wird dabei das Zahlungsmittel verstanden, das kurzfristig zum Erwerb von Gütern bereitsteht, also im Fall der sogenannten Geldmenge M1 der Bargeldumlauf und die Sichteinlagen und bei der etwas weiter gefassten Geldmenge M2 neben dem Bargeldumlauf und den Sichteinlagen noch Sparanlagen und Termingelder, die auch zum Kauf von Gütern verwendet werden können. Friedman postulierte also, dass die Preise steigen müssen, wenn die Geldmenge stärker als das Warenangebot steigt.
Ähnlich sieht es die berühmte Quantitätsgleichung. Demnach ist die Geldmenge mal die Umlaufgeschwindigkeit gleich dem Preisniveau mal das Handelsvolumen. In dieser Gleichung wird angenommen, dass sich die Umlaufgeschwindigkeit nicht ändert und sich so bei gleichem Handelsvolumen eine größere Geldmenge in einem höheren Preisniveau niederschlagen muss. Dabei kann diese Kopplungsgröße zwischen der Geldmenge und dem Preisniveau, die Umlaufgeschwindigkeit, nicht unabhängig bestimmt werden. Sie kann sich nur aus den drei anderen Größen ergeben. Dazu muss zu einem bestimmten Zeitpunkt das Handelsvolumen mit dem Preisniveau multipliziert und durch die Geldmenge dividiert werden. Dann hat man den Zusammenhang bestimmt und kann in der Zukunft aus einem Zuwachs der Geldmenge direkt auf die Veränderung des Preisniveaus schließen. So weit die Theorie. In der Praxis jedoch haben sich die Volkswirtschaften nicht an diese Gleichung gehalten, noch nicht einmal ansatzweise, sondern ganz im Gegenteil. Schauen wir uns als Beispiel die Entwicklung der Geldmenge und der Inflationsrate in den USA an.
US-Geldmenge M2 und US-Inflationsrate
Quelle: Federal Reserve Economic Data
Seit 1980 hat sich die Geldmenge, hier M2, verzehnfacht, während die Inflationsrate von 15 Prozent auf noch vor Kurzem etwas über ein Prozent zurückgegangen ist. Was sagt die Theorie dazu? Sie meint, dass die Umlaufgeschwindigkeit gesunken ist. Doch als studierter Physiker frage ich mich, was eine Gleichung mit einer Konstanten soll, die variabel ist und sich nicht unabhängig messen lässt, sondern nur mit der Gleichung, in der sie vorkommt, bestimmen lässt. Mit einer variablen Konstanten, die man nicht messen kann, kann ich drei beliebige Größen in eine Gleichung einführen, die Außentemperatur, die Lottozahlen und das Politbarometer zum Beispiel. Der umgekehrte Zusammenhang scheint zu gelten, wenn wir einmal die Zeit nach der Pandemie kurz außer Acht lassen.
Mir ist zum Beispiel Ende der 1970er-Jahre aufgefallen, dass wir in Deutschland ein Millionenheer an Arbeitslosen hatten, und trotzdem musste man auf einen neuen Mercedes zwei Jahre warten. Ich hatte mich damals gefragt, warum die Menschen, die keine Arbeit haben, nicht Mercedes-Autos bauen, die offensichtlich nachgefragt wurden. Wie kam es zu dieser Fehlallokation? Der Grund war der damals hohe Zins in Höhe von fast zehn Prozent. Daimler hätte die Kapazitäten erweitern müssen, und dazu hätte das Unternehmen Kapital gebraucht. Bei dem Zins von zehn Prozent hätte Daimler nach 20 Jahren aufgezinst fast die siebenfache Summe zurückzahlen müssen. Der hohe Zins schränkte also die Produktion von Gütern ein, weil das Kapital knapp und teuer war, und daraus resultierten die Knappheit und die hohen Preise der Güter. Dabei war der hohe Zins von der Bundesbank festgesetzt worden, um die Inflation zu dämpfen. Tatsächlich aber sorgte er für das genaue Gegenteil. In den USA erreichte die Teuerung in den 1970er-Jahren noch höhere Werte als bei uns. In der Spitze wurden Raten von 15 Prozent gemessen.
Begonnen hatte diese Welle der Teuerung mit einem steigenden Ölpreis aufgrund der damaligen Ölkrisen. Wegen des Spritpreis-Anstiegs verlangten die Arbeitnehmer mehr Lohn. Dabei war natürlich die Frage: Was konnten die Arbeitgeber dafür, dass die Arbeitnehmer an den Tankstellen mehr für Benzin zahlen mussten? Warum sollten gerade die Arbeitgeber ihnen das erstatten? Die Scheichs hatten ihnen doch die zusätzlichen Ausgaben aufgebürdet. Jedenfalls wurde 1979 Paul Volcker Chef der amerikanischen Notenbank. Er verfolgte das Ziel, mit einem hohen Zins die Wirtschaft abzuwürgen, um so durch die schwindende Nachfrage der Inflation das Genick zu brechen. Bis heute wird er dafür gefeiert, dass er die Inflation besiegt habe. Man kann diese Zeit aber auch anders deuten.
Der hohe Ölpreis hatte dazu geführt, dass sich die Exploration und die Ausbeutung schwer zugänglicher Lagerstätten in der Tiefsee wie zum Beispiel im Golf von Mexiko oder in der Nordsee vor Großbritannien auf einmal lohnten. Durch diese höheren Fördermengen fiel der Ölpreis zurück, und die Inflationsrate hätte sich auch ohne Paul Volcker wieder reduziert. Es kann sogar sein, dass durch seine Gewaltkur mit der Erhöhung des kurzfristigen Zinses auf fast 20 Prozent die Inflation zunächst verschlimmert wurde. Wie gerade geschildert, fand bei diesem Zins kein Ausbau der Produktionskapazitäten mehr statt, die ein höheres Warenangebot, das das Preisniveau hätte drücken können, ermöglicht hätten. Vielleicht war die schwere Rezession, die Volcker mit seinen Zinserhöhungen eingeleitet hatte, die Millionen Menschen um Arbeitsplätze und Ersparnisse gebracht hat, gar nicht notwendig gewesen. Heute stellt es sich so dar, dass das Wirtschaftswachstum, das durch seine Rezession ausgefallen war, nie wirklich aufgeholt worden ist. Ohne die damalige Rezession wären das Bruttoinlandsprodukt der USA heute höher und die Menschen entsprechend reicher.
Es setzt sich gerade in jüngster Zeit mehr und mehr die Erkenntnis durch, dass nicht der Zins der Inflationsrate folgt, sondern die Inflationsrate dem Zins. Zu einem ähnlichen Schluss kam ein Arbeitspapier der Dallas-Filiale der amerikanischen Notenbank unter Leitung von James Bullard. Die bis vor Kurzem niedrigen Inflationsraten – auf den jüngsten Anstieg kommen wir später – waren eine Folge der Niedrigzinspolitik. Nur durch eine schier unbegrenzte Menge Geld zum Fast-Nulltarif konnte Jeff Bezos sein Internet-Handelsimperium aufbauen. Mit diesen kolossalen Investitionen schuf er im Internet eine Preistransparenz, die auch andere Anbieter dazu veranlasste, ihre Preise zu reduzieren. Nur durch einen Überfluss an Kapital konnte die „Fracking-Revolution“ in Texas und North Dakota finanzieren werden, die schließlich sehr kapitalintensiv so viel Öl an die Oberfläche brachte, dass der Ölpreis im Jahr 2020 zeitweise sogar fast auf null sinken konnte. Ohne das billige Geld hätte die Fracking-Revolution nicht stattgefunden, und der Ölpreis hätte in den letzten Jahren wesentlich höher notiert, mit der Folge einer deutlich größeren Preissteigerungsrate bei uns. Diese überraschende Entwicklung, dass billiges Geld die Inflationsrate drückte, die im Gegensatz zu den Vorhersagen der alten Geldtheorie steht, veranlasste seit etwa der Finanzkrise einige Wirtschaftswissenschaftler, umzudenken und neue Ideen unter dem Stichwort der modernen Geldtheorie, Modern Monetary Theorie, MMT, zu Papier zu bringen.
Ich kann mich noch genau erinnern, wann diese Diskussion – jedenfalls in meiner Wahrnehmung – begann: kurz nach der Finanzkrise des Jahres 2008. Dazu muss ich meine Sichtweise des Ablaufs und den Grund für die Finanzkrise vorher kurz schildern. Entsprechend der alten Routine und den hergebrachten Verfahrensweisen hatte die US-Notenbank die Fed Funds Rate, den von ihr gesteuerten Zins, zu dem sich Geschäftsbanken über Nacht gegenseitig Geld leihen, von einem Prozent zu Anfang des Jahres 2004 bis auf über fünf Prozent im Laufe des Jahres 2007 angehoben.
Diese Fed Funds Rate wird von der US-Notenbank, also dem Federal Reserve System, durch Offenmarktgeschäfte maßgeblich bestimmt, indem sie den Geschäftsbanken mehr oder weniger Liquidität zukommen lässt. In den turnusmäßigen Sitzungen des Offenmarktausschusses der Notenbank wird eine Zielgröße oder häufiger noch ein Zielkorridor, die Fed Funds Target Rate, beschlossen, der dann durch Offenmarktgeschäfte, also den Kauf oder Verkauf von Zinspapieren, angepeilt wird. Der kurzfristige Zins für Tagesgelder und damit auch für variabel verzinste Ausleihungen wird also von der US-Notenbank bestimmt. Der langfristige Zins zum Beispiel für zehnjährige Ausleihungen, wie er als Rendite einer zehnjährigen US Staatsanleihe auftritt, bildet sich dagegen am Markt durch Angebot und Nachfrage. Die Steuerung dieses kurzfristigen Zinses ist eines der Instrumente, die der Notenbank zur Verfügung stehen, um die ihr gesetzten Aufgaben, stabiles Geld und Vollbeschäftigung, zu erfüllen.
Der Eckzins für kurzfristige Ausleihungen in Dollar, die Fed Funds Rate
Quelle: Federal Reserve Economic Data
Nach der alten monetären Theorie stehen sich diese beiden Ziele der Notenbank diametral gegenüber. Niedrige Zinsen, die zu einer vermehrten Kreditaufnahme von Unternehmen führen, sorgen zwar einerseits für mehr Beschäftigung, aber andererseits durch die Ankurbelung der Wirtschaft für mehr Nachfrage und dadurch für steigende Preise. Hohe Zinsen dagegen veranlassen viele Firmen, auf eine Kreditaufnahme zu verzichten und keine neuen Arbeitskräfte einzustellen. Durch die auf diese Weise abgebremste Wirtschaftstätigkeit geht die Teuerungsrate zurück. Die Aufgabe der Notenbank war es danach, mit ihrem Instrumentarium so gut es geht zwischen diesen beiden Zielkonflikten zu navigieren. So weit die alte Theorie, gemäß der die US-Notenbank den Kurzfristzins zum Jahre 2007 auf fünf Prozent angehoben hatte.
Nun hatten viele Amerikaner im Gegensatz zu den Gepflogenheiten bei uns in Deutschland die Kredite für Hauskäufe zu einem variablen Zinssatz abgeschlossen, nicht mit einer fixen 30-jährigen Rate. Das schien auf den ersten Blick günstiger zu sein, da der Tagesgeldsatz, nach dem sich die variable Rate richtet, die quartalsweise angepasst wird, in der Regel unter der Rate für 30-jährige Ausleihungen liegt. Allerdings beinhaltete diese Vorgehensweise das Risiko, dass dieser kurzfristige Zins deutlich steigen kann, was er in den Jahren 2004 bis 2007, wie die Grafik oben zeigt, auch tat. Hauskäufer, denen die Finanzierung des neuen Eigenheims mit einem Zins von etwas über einem Prozent noch schulterbar erschien, sahen sich bei einem Anstieg auf fünf Prozent oft nicht mehr in der Lage, diese Last zu tragen.
Durch eine Eigenheit des amerikanischen Rechts konnten diese Hausbesitzer dann die erworbenen Häuser samt den darauf lastenden Schulden an die Bank, von der sie den Kredit erhalten hatten, zurückgeben. Eine Hypothek lastet in den USA nicht auf dem Hausbesitzer, sondern auf dem Haus selbst. In Deutschland kann sich ein Hausbesitzer nicht so ohne Weiteres seiner mit einer Hypothek eingegangenen Verpflichtungen entledigen. Wer hier ein Haus verkauft und nicht so viel Geld erlöst, wie für die Rückzahlung der Hypothek nötig wäre, haftet mit seinem eigenen Vermögen und Einkommen für die Differenz. In den USA dagegen konnte ein Hausbesitzer, der eine Immobilie im Wert von 300.000 Dollar mit 50.000 Dollar Eigenkapital und 250.000 Dollar Kredit gekauft hatte, in dem Fall, dass der Preis des Hauses auf 200.000 Dollar fiel, einfach den Haustürschlüssel auf den Küchentisch legen und ausziehen, ohne dass er die 50.000 Dollar Differenz hätte aufbringen müssen.
Er konnte sich also im Handumdrehen seiner Hypothek entledigen und den Fehlbetrag der Bank aufhalsen. Diese aus unserer Sicht merkwürdige Rechtslage wurde in den USA eingeführt, um einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen die eigene Wohnimmobilie zu ermöglichen. Ein großer Teil des Wohlstandszuwachses in den vergangenen Jahrzehnten in den USA beruhte neben dem Anstieg der Aktienkurse auf dem Wertzuwachs der Immobilien. An diesem Wohlstandszuwachs wollte man benachteiligte Bevölkerungsgruppen beteiligen, ohne sie dem Risiko ihnen nachlaufender Schulden auszusetzen. Zusätzlich wurde es ermöglicht, dass Immobilien fast ohne Eigenkapital und damit zu fast 100 Prozent finanziert erworben werden konnten. Auch dies sollte eine soziale Wohltat sein, die Menschen, die sich bisher kein Haus leisten konnten, die eigenen vier Wände ermöglichen sollte. Diese soziale Errungenschaft ging allerdings nach hinten los.
Durch den von der amerikanischen Notenbank zum Zweck der Inflationsbekämpfung erhöhten Kurzfristzins konnten viele neue Besitzer von Immobilien ihren variablen Ratenzahlungen nicht mehr nachkommen. Sie zogen folglich einfach aus ihren Häusern aus, und die Immobilien