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Ein Inder im Norden.
Ruhe auf Pellworm. Zu viel, meint Bürgermeister und Hotelier Feddersen. Seine Bemühungen, alternative Formen des Tourismus anzukurbeln, scheinen erfolgreich zu sein, als ein indischer Guru seine Heilslehren auf der Insel verkünden will. Frerk Thönnissen, der Dorfpolizist, ist nicht begeistert, da viele neue Besucher viel Arbeit bedeuten könnten. Als er in einem ausgebrannten Wohnwagen eine Leiche findet, drohen seine Befürchtungen wahr zu werden. Offenbar ist der Tote der Stellvertreter des Gurus. Als man ihm aus Husum Unterstützung schickt – ausgerechnet den unfähigen Kommissar Hundt – nimmt das Schicksal seinen Lauf ...
Spannend und skurril – ein Kriminalroman mit dem besten Dorfpolizisten aus dem hohen Norden.
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Seitenzahl: 331
Ein Inder im Norden
Ruhe auf Pellworm. Zu viel, meint Bürgermeister und Hotelier Feddersen. Seine Bemühungen, alternative Formen des Tourismus anzukurbeln, scheinen erfolgreich zu sein, als ein indischer Guru seine Heilslehren auf der Insel verkünden will. Frerk Thönnissen, der Dorfpolizist, ist nicht begeistert, da viele neue Besucher viel Arbeit bedeuten könnten. Als er in einem ausgebrannten Wohnwagen eine Leiche findet, drohen seine Befürchtungen wahr zu werden. Offenbar ist der Tote der Stellvertreter des Gurus. Als man ihm aus Husum Unterstützung schickt – ausgerechnet den unfähigen Kommissar Hundt –, nimmt das Schicksal seinen Lauf.
Spannend und skurril – ein Kriminalroman mit dem besten Dorfpolizisten aus dem hohen Norden.
Hanne Nehlsen
Der Inselschamane
Ein Nordsee-Krimi
Inhaltsübersicht
Informationen zum Buch
Eins
Zwei
Drei
Vier
Fünf
Sechs
Sieben
Acht
Neun
Zehn
Elf
Zwölf
Epilog
Über Hanne Nehlsen
Impressum
Wem dieses Buch gefallen hat, der liest auch gerne …
Ein strahlendblauer Himmel zeigte sich. Nirgendwo war eine Wolke zu sehen. Die Wärme war durch den leichten, von der See wehenden Wind erträglich. Trotz aller Warnungen würde niemand auf die hohe UV-Strahlung achten. Sie färbte die Unvorsichtigen rot, statt ihnen eine von den Daheimgebliebenen beneidete Urlaubsbräune zu schenken. Die sanfte Brise, die die Haut angenehm streichelte, sorgte dafür, dass sich das Wasser ein wenig kräuselte. Es ähnelte zerknittertem Stanniolpapier.
Flut.
Die Wellen plätscherten gegen den Damm, der vom Tiefwasseranleger zum Deich führte, ihn in einem eleganten Schwung überwand und auf der Binnenseite im Inneren der Insel endete. Seitdem man diesen Damm ins Wattenmeer hinaus gebaut hatte, war die Fähre unabhängig von Ebbe und Flut. Den alten Inselhafen hatte das Schiff nur bei Hochwasser anlaufen können.
Der Damm war auch eine Attraktion für die Urlauber. Manch einer fuhr zum Zeitvertreib hinaus und beobachtete das Anlegemanöver und das Be- und Entladen der Fähre. Überall auf den Inseln dieser Welt faszinierte die Ankunft eines Schiffes die Menschen. Hier konnte man es auch mit einem Besuch auf dem »Turm« verbinden, der am Ende des Damms auf einer Warft stand und bei ungünstigem Wasserstand den Fluten der Nordsee trotzte. Die Gastronomie in der Spitze des Bauwerks, dem Turm, bot für jeden etwas.
Wer sich die Zeit nahm, genauer zu beobachten, vermochte Neuankömmlinge und schon länger anwesende Urlaubsgäste zu unterscheiden. Es war nicht nur der Teint, sondern auch der Blick der Menschen. Die Neuen reckten die Hälse und suchten die Schönheit des Inselambientes zu erfassen, empfanden den Fahrweg, der durch das Wasser führte, als erstes kleines Abenteuer.
Die reine Seeluft wurde heute durch die Abgase laufender Motoren verdrängt. Auf dem Damm Richtung Insel hatte sich ein Stau gebildet. Fast nichts rührte sich mehr. Nur durch das beherzte Eingreifen der Fährleute war es möglich, dass das letzte Fahrzeug vom Schiff fahren und das Beladen mit den wartenden Abreisenden erfolgen konnte.
Die landeinwärts führende Autoschlange endete nach ungefähr einem halben Kilometer in Höhe eines grün-weißen Golfs, der auf dem Randstreifen parkte. Erst auf den zweiten Blick war ersichtlich, dass ihm die Insignien eines Polizeifahrzeugs fehlten. Auf dem Dach war kein Blaulicht montiert, der Schriftzug »Polizei« an der Seitenfront war überlackiert. Echt hingegen war der Polizeibeamte, der den Fahrzeugen Halt gebot.
Polizeiobermeister Frerk Thönnissen war die Ordnungsmacht auf Pellworm. Der Inselpolizist. Er hatte Dienstjackeund Dienstmütze abgelegt, trat zur Seite und bedeutetedem Fahrer des japanischen Kleinwagens, dass er fahren könne.
»So ein Schwachsinn«, knurrte der ältere Mann am Steuer. »Damit schrecken die die Touristen ab.« Es krachte im Getriebe, als der Gang eingelegt wurde. Der Motor heulte auf, und mit einem Satz bewegte sich das Auto Richtung Deich. Thönnissen legte lässig die Hand an den Haaransatz und deutete ein Salutieren an. »Schönen Urlaub«, rief er dem Wagen hinterher. Dann winkte er das nächste Fahrzeug heran und zeigte gebieterisch auf einen Fleck vor seinen Füßen.
Aus dem geöffneten Fenster streckte sich der Kopf einer rotgesichtigen jungen Frau entgegen.
»Was ist denn los?«, fragte sie, um sich sogleich umzudrehen und über die Schulter in den Fond zu versichern: »Gleich, mein Kleines, bekommst du etwas zu trinken. Es dauert nicht mehr lange.«
Das »Kleine« waren zwei schwitzende Kinder, die angeschnallt in ihren Sitzen hockten. Das jüngere fing an zu weinen.
Thönnissen winkte sie durch. »Ich wünsche Ihnen einen schönen Urlaub«, sagte er und zeigte dem Hintermann an, vorzufahren.
Der Mercedes gab Gas und wollte am Polizisten vorbei. Nur ein gebieterisches »Halt« ließ den Fahrer noch einmal stoppen.
»Ich werde mich beschweren«, blaffte der Mercedesfahrer. »Was soll die Schikane?«
»Möchten Sie einen unbeschwerten Urlaub auf unserer schönen Insel verleben?«, fragte der Inselpolizist.
»Was soll der Scheiß? Ich will hier nicht in der Schlange stehen.«
»Allgemeine Verkehrskontrolle«, erwiderte Thönnissen mit stoischem Gleichmut. »Führerschein. Fahrzeugpapiere.«
»Das ist hirnrissig.«
»Steigen Sie bitte aus.«
»Nein! Ich fahre jetzt ins Hotel.«
»Aber nicht mit dem Auto. Ohne Papiere läuft da nichts. Oder besser– Sie laufen.«
»Ich beschwere mich.«
»Das steht Ihnen frei. Aber zunächst Ihre Papiere bitte.«
Mühsam schälte sich der korpulente Mann aus dem Wagen, öffnete die hintere Tür, kramte umständlich in einem Leinensakko nach der Brieftasche und fischte schließlich die Dokumente hervor. Dabei schimpfte er unablässig. »Schikane. Staatsterror. Das hat Konsequenzen«, drang als Wortfetzen an Thönnissens Ohr.
Der Inselpolizist umrundete das Auto, verglich die Nummernschilder mit den Fahrzeugpapieren und sah abwechselnd auf das Bild im Führerschein und auf den Mann.
»Sie sind ganz schön alt geworden«, raunte er ihm zu, so dass die gewichtsmäßig zu ihm passende Beifahrerin es nicht hören konnte.
Der Mund des Mannes öffnete und schloss sich wie bei einem Goldfisch im Aquarium. »Sie– Sie«, japste er.
Die Dokumente waren in Ordnung.
»Jetzt möchte ich noch das Warndreieck und die Warnweste sehen.«
»Die habe ich.«
»Schön. Dann zeigen Sie sie mir, bitte.«
»Das geht nicht. Die ist ganz unten im Kofferraum.«
Thönnissen zuckte mit den Schultern und zeigte auf den Randstreifen. »Halten Sie dort hinter dem Golf. Dann können Sie in Ruhe auspacken.«
»Wissen Sie, wer ich bin?«
Thönnissen schüttelte den Kopf. »Sie tragen keine Uniform. Aber ich. So sehen Sie auch, wer ich bin.«
»Der Meister ist gut mit uns bekannt.«
»Welcher Meister?« Der Inselpolizist zeigte auf seine Schulterklappen. »Drei Sterne. Ich bin Obermeister.«
»Sie werden Ihres Lebens nicht mehr froh. Ich sorge dafür, dass Sie künftig nur noch Parksünder aufschreiben.«
»Gut. Aber heute führe ich eine allgemeine Verkehrskontrolle durch. Also! Fahren Sie rechts ran, und dann suchen Sie die Warnweste heraus.«
Inzwischen hatte sich das Fenster der Beifahrertür herabgesenkt. Ein runder Frauenkopf mit Doppelkinn zwängte sich durch die Öffnung. Die lange Kette klirrte gegen die Tür.
»Herbert! Wie lange dauert das noch. Ich muss mal. Dringend!«
»Sag das dem hier«, fluchte der Mann. »Warum musst du auch so viel trinken? Wo steckt die blöde Warnweste?«
»Haben wir so etwas?«
»Natürlich.«
»Weiß ich doch nicht. Du bist doch der Mann.« Die Stimme wurde weinerlich. »Herbert! Wenn ich nicht sofort auf die Toilette gehen kann, dann…«
»Kann ich nichts für.«
»Herbert? Wie sprichst du mit mir?«
Der Mann setzte sich hinters Steuer und fuhr den Wagen an die Seite. Thönnissen hörte dabei einen handfesten Krach, der aus dem Wageninneren drang.
Als Nächstes rollte ein alter Unimog heran, der arg mitgenommen aussah. Zwei merkwürdig aussehende Männer blinzelten durch die geteilte Scheibe.
»Was ist denn los?«, fragte der Fahrer, während sich die Gestalt neben ihm ebenfalls Richtung Fenster lehnte.
Thönnissen wiederholte seinen Spruch.
»Oh.« Es klang, als würde der Fahrer flöten. »Auch bei uns?«
»Bei allen Fahrzeugen.«
»Was möchten Sie denn wissen?«
Thönnissen musste ein Schmunzeln unterdrücken. Der Beifahrer trug ein orangefarbenes Gewand und gab sich nicht nur hinsichtlich der Kleidung alle Mühe, feminin zu wirken. Die beiden schienen aber schon eine Weile unterwegs zu sein. Und der Wille allein, weiblich zu wirken, reicht nicht, das Sprießen der Bartstoppeln zu bremsen.
Der Fahrer machte eine linkische Handbewegung.
»Hach. Da muss ich nachsehen.« Er schob den Beifahrer zur Seite, der sich über seinen Schoß gelehnt hatte. »Schätzchen, reich mir doch bitte mein Täschchen herüber.«
»Gerne doch«, erwiderte der Beifahrer mit nasal klingender Stimme und tauchte ins Fahrzeuginnere ab.
Thönnissen wurde abgelenkt, weil weiter hinten ein Fahrzeug aus der Schlange ausscherte, auf die Gegenfahrbahn fuhr und alle überholte. Das wuchtig wirkende Fahrzeug kam ihm entgegen, als er sich auf die Straße stellte und mit beiden Händen über dem Kopf ein Haltesignal gab. Es schien, als würde der Fahrer hinter den getönten Scheiben seinen Stoppbefehl missachten wollen. Vorsichtig verlagerte der Inselpolizist sein Körpergewicht auf das linke Bein, um abspringen und sich in eine Lücke der wartenden Autoschlange retten zu können. Im letzten Moment bremste die große Limousine. Zwischen dem charakteristischen Kühlergrill und ihm war ein knapper Meter Platz geblieben. Thönnissen versuchte, die weichen Knie zu verbergen und seinem Gang Sicherheit zu verleihen, als er zur Fahrerseite ging. Die getönten Scheiben ließen nur einen schemenhaften Blick ins Innere zu.
Bisher hatte Thönnissen nur von der Existenz dieses Fahrzeugtyps gehört. Ein Bentley Mulsanne hatte sich noch nie noch Pellworm verirrt. Nun stand er vor ihm. Es war das Spitzenmodell des englischen Herstellers, dem auch die britische Königin vertraute. Sie fuhr allerdings eine Sonderausführung. Keine zwei Dutzend waren in Deutschland angemeldet. Thönnissen wusste, dass der Bentley mit dem legendären Phantom oder Ghost von Rolls-Royce konkurrierte. Die über fünfhundert PS und der Sieben-Liter-Motor ließen den Wagen über dreihundert Stundenkilometer schnell werden. Und das bei einem Eigengewicht, das mit einem Lkw konkurrieren konnte.
Der kurze Augenblick des Erstaunens war vorüber.
Thönnissen klopfte gegen die Scheibe. Der Fahrer schien zu zögern. Der Inselpolizist sah, wie sich der Schatten umdrehte und mit jemandem im Fond sprach. Dann senkte sich die Scheibe herab und gab den Blick ins Innere frei. Zunächst fiel sein Blick auf die Kombination aus Edelhölzern und hellem Leder, die das Interieur ausmachten. Dann schenkte er dem Fahrer in der grauen Uniform mit der Schirmmütze seine Aufmerksamkeit.
»Was war das denn?«, fragte Thönnissen. »Wie kommen Sie dazu, über die Gegenfahrbahn an allen Autos vorbeizufahren?«
»Dieses ist das Auto des Raja.«
»Wer soll das ein?«
Spöttisches Erstaunen zeichnete sich auf dem Gesicht des Fahrers ab. »Sie kennen den Raja nicht?«
»Nö.«
»Das ist der Fürst.«
»Welcher? Fürst Pückler– der mit dem Eis? Oder Fürst Bismarck– der mit dem Hering?«
»Man spottet nicht über den Raja. Schon gar nicht in seiner Gegenwart.«
Thönnissen deutete ein Nicken in Richtung des Rücksitzes an. »Ist er das?«
»Selbstverständlich. Seine Hoheit.«
Der Inselpolizist kratzte sich den Hinterkopf. »Tja. Wenn Sie mit einer offiziellen Eskorte gefahren wären, hätte ich Sie passieren lassen. Aber so sind Sie einer von vielen.« Thönnissens ausgestreckter Arm zeigte auf die Schlange. »Und Sie haben gegen die Straßenverkehrsordnung verstoßen. Das müssen wir jetzt aufnehmen.«
»Sie wollen den Raja warten lassen?«, fragte der Fahrer mit Empörung in der Stimme.
»Er kann ja zu Fuß vorausgehen.«
Irgendwo hinten in der Schlange wurde gehupt.
Thönnissen wollte nachsehen, wurde aber durch einen BMW-Geländewagen abgelenkt, der sich mit hoher Geschwindigkeit von der Landseite näherte und mit quietschenden Reifen auf ihrer Höhe zum Stehen kam. Die Tür wurde aufgerissen, und ein Mann sprang aus dem Fahrzeug. Er fand nicht einmal Zeit, den Schlag wieder zu schließen. Sein puterrotes Gesicht schien kurz davor, zu platzen. Mit drohenden Fäusten stürmte er auf Thönnissen zu.
»Bist du nicht ganz dicht?«, brüllte er, dass es den Anschein erweckte, man könne es bis zum Festland hören.
»Boy«, begrüßte ihn Thönnissen in normaler Lautstärke.
Feddersen, Hotelier und Bürgermeister, packte Thönnissen am Hemd und schüttelte ihn.
»Das ist der helle Wahnsinn. Was soll man von uns denken? Da kommen die Leute auf unsere Insel, weil sie hier Ruhe und Erholung finden wollen. Und wem begegnen sie als Erstes? Einem durchgeknallten Polizisten, der die Urlauber schikaniert, bevor sie überhaupt richtig angekommen sind.«
Thönnissen packte Feddersens Hände an den Gelenken und drückte sie von sich.
»Was du Schikane nennst, ist eine allgemeine Verkehrskontrolle. Wenn wir das bei der Ankunft erledigen, können wir sicher sein, dass alles mit rechten Dingen vor sich geht. Die Menschen können einen unbeschwerten Urlaub verbringen und wissen, dass jedes entgegenkommende Fahrzeug überprüft ist. Sag mal, hast du eigentlich eine Warnweste an Bord?«
»Ich gebe dir gleich was– von wegen Warnweste. Du lässt sie sofort durchfahren.«
Thönnissen grinste. »Wer sagt das? Der Bürgermeister in dir? Oder der Gastronom, der Sorge hat, dass die Kaffeegäste heute eine halbe Stunde später bei ihm erscheinen?«
»Das wird dich deinen Job kosten«, drohte Feddersen. »Das war das letzte Mal, dass du so etwas gemacht hast.«
»Okay«, erwiderte Thönnissen gelassen. »Dann werde ich eben Justizvollzugsbeamter. Dann sehen wir beide uns wieder, wenn ich dich einschließe, weil du wegen Steuerhinterziehung, Bedrohung eines Vollzugsbeamten, Schwarzbrennerei, Bestechung und einem weiteren Dutzend Vergehen eingelocht worden bist.«
»Ich bring dich um– ich bring dich um«, fluchte Feddersen, als er zu seinem BMW zurückkehrte, das Fahrzeug wendete und mit durchdrehenden Reifen Richtung Insel verschwand.
Thönnissen winkte dem Unimog und bedeutete ihm zu fahren. Doch der Mann am Steuer wedelte mit einem Dokument. »Hier«, rief er mit hoher Stimme. »Meine Frau hat das Täschchen gefunden.«
Thönnissen ließ seinen Arm rotieren. »Fahren Sie endlich. Machen Sie den Weg frei.«
»Ach, da wird Maria aber traurig sein«, stöhnte der Fahrer, bequemte sich aber doch, das eigentümliche Gefährt in Betrieb zu setzen.
Thönnissen hatte sich vor den Bentley gestellt und versuchte, die Wartenden zum Weiterfahren zu animieren.
»Blödes Arschloch«, rief ihm ein Mann aus einem geöffneten Wagenfenster zu, dessen Gesicht nur aus Haaren zu bestehen schien.
»Und nun zu Ihnen«, wandte sich der Inselpolizist dem Fahrer des Bentleys zu. »Ihre Papiere.«
»Ich bin der Fahrer des Raja.«
»Und wie heißt der Fahrer? Ist der auch göttlich? Oder hat er –so ganz nebenbei– einen bürgerlichen Namen?«
»Wissen Sie, was es bedeutet, dass der Guru seinen Fuß auf diese Insel setzt?«
»Doch.« Thönnissen nickte »Ich bin mir bewusst, was es heißt: Stress. Besonders für mich. Und jetzt haben wir genug geredet.«
»Das darf nicht wahr sein«, stöhnte der Fahrer und zeigte seine Papiere vor. Er hieß Hubertus Filsmair.
»Filzmeyer«, sprach Thönnissen es falsch aus. »Das ist bei Ihrem Verein sicher Programm.« Dann staunte er, als er die Fahrzeugpapiere durchsah.
»Das Auto ist auf ›Die Kinder der Erleuchtung– Kultur und Gesundheits GmbH‹ zugelassen. Ein Firmenwagen. Was bedeutet das?«
»Muss das hier erläutert werden? Die Dokumente sind in Ordnung.«
Es stimmte. Leider.
Thönnissen ließ Filsmair aussteigen und den Kofferraum öffnen. Das Staunen steigerte sich. Im Heck des Fahrzeugs war ein solider Tresor eingebaut.
»Was ist das?«, wollte der Inselpolizist wissen.
»Das geht Sie nichts an.« Der Fahrer räumte zwei lederne Aktenkoffer zur Seite. »Hermès« konnte Thönnissen erkennen, bis er die Warnweste präsentiert bekam.
»Wenn ein schlechtes Karma auf die Insel fällt, tragen Sie die Schuld daran«, drohte der Fahrer.
»Da komme ich mit zurecht«, erwiderte Thönnissen leichthin. »Besonders, wenn es mich erst im nächsten Leben trifft.« Er winkte dem Fahrer lässig zu. »Passen Sie auf«, gab er zum Abschied noch einen Rat. »Wenn Sie Ihr Gefährt nicht ordnungsgemäß auf einem abgegrenzten Parkplatz unterbringen können, bin ich zur Stelle. Das macht dann fünfzehn Euro. Aber vielleicht haben Sie die ja in Ihrem Safe.« Er klopfte auf das Dach des Bentleys.
Der Stau hatte sich inzwischen aufgelöst. Lediglich Herbert, der Mercedesfahrer, saß auf einem stabilen Koffer, den er aus dem Fahrzeug geholt hatte, und schmauchte seelenruhig eine dicke Zigarre.
»Sie können fahren«, sagte Thönnissen.
»Nein!«, protestierte Herbert. »Ich habe mit viel Aufwand die Warnweste hervorgekramt. Jetzt müssen Sie sich die ansehen.«
Thönnissen erfüllte ihm den Wunsch.
»Jetzt aber«, beschied ihm der Inselpolizist.
Herbert schüttelte bedächtig den Kopf. »Zu spät«, erklärte er und zeigte mit dem Daumen über die Schulter in Richtung seiner Frau. »Jetzt haben wir alle Zeit der Welt.«
Pellworm war überschaubar. Die Einheimischen kannten sich untereinander. Man begegnete sich beim Kaufmann, auf der Straße, überall. Jeder wusste etwas vom Nachbarn. Kaum etwas blieb verborgen. Kein Wunder. Viele waren auch miteinander verwandt. Und auch die Urlauber wurden einem vertraut. Wohin sollten sie auch ausweichen? Sie steuerten die gleichen Ziele an wie die Insulaner. Spätestens am dritten Tag ihres Aufenthalts gehörten sie zumindest temporär dazu. Na ja. Nicht ganz. Pellwormer wurde man, sofern man hier nicht geboren war, erst nach fünfundsiebzig Jahren Aufenthalt auf der Insel. Thönnissen war ein echter Insulaner. Seit Generationen wohnte seine Familie hier, auch wenn er jetzt der Letzte war.
Er seufzte, trank noch einen Schluck Kaffee und legte die Zeitung beiseite. Damit die Familie nicht ausstarb, war er gefordert. Die ganze Zukunft des Geschlechts ruhte auf ihm. Aber es zeichnete sich eine Lösung ab. Elizabeth tauchte vor seinem geistigen Auge auf, als er die Lider zuklappte. Zweimal war er schon rund um den Erdball bis ans Ende der Welt geflogen. Nach Tuvalu, der Insel auf der anderen Seite der Welt. Man gelangte auf abenteuerlichen Wegen dorthin. Zunächst war er bis zu den Fidschi-Inseln gereist. Von dort waren es noch einmal tausend Kilometer in die Einsamkeit des Pazifiks, bis die kleine Turbo-Prop-Maschine auf dem internationalen Flughafen in Funafuti aufsetzte. Der viertkleinste Staat der Welt hatte eine Größe, die etwa achtzig Prozent der Fläche Pellworms entsprach. Darauf lebten halb so viele Menschen, wie Husum Einwohner hatte. Es gab eine einzige Straße, die mit ihren acht asphaltierten Kilometern das kleinste Straßennetz der Welt bildete, und der Flughafen nahm einen Großteil der Hauptstadt ein. Das mochte nicht jeden reizen. Es war sein Traum gewesen, einmal Tuvalu zu besuchen. Er hatte nicht ahnen können, dass er dort Elizabeth begegnen würde, einer atemberaubenden Frau. Wenn er auf Pellworm war –auf Insel–, schweiften seine Gedanken ab nach Tuvalu. Dort war es wunderschön, auch wenn statt Traumstränden überall der Müll herumlag, weil es weder eine Deponie noch ein Recylingsystem gab. Die Einkaufsmöglichkeiten auf Pellworm wirkten im Vergleich zu den dortigen Möglichkeiten wie die 5th Avenue in New York im Vergleich zu… zu… Nein. Ihm fiel kein passender Ort ein. Aber auf Tuvalu lebte Elizabeth. Und was waren alle Trauminseln dieser Welt gegen diese Frau? Keine hätte er gegen sie eingetauscht. Na ja. Wenn er es sich richtig überlegte. Keine? Mit Ausnahme von Pellworm.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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