Der kalte Atem der Nacht - Eberhard Leucht - E-Book

Der kalte Atem der Nacht E-Book

Eberhard Leucht

0,0
2,49 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Im Mitelpunkt der Story steht das Gothic Girl Jackie Malone. Von ihrem Freund verlassen, lernt sie den Sohn des Besitzers eines Bestattungsinstitutes kennen. Im Keller dieses Etablissements erweckt sie einen Vampir zum Leben, indem sie ihm einen Holzpflock aus dem Herzen zieht. Sie, die stets von der dunklen Seite träumt, sieht alle ihre Wünsche in Erfüllung gehen, als sie einem leibhaftigen Vampir gegenübersteht. Nur dass dieser Vampir nicht gerade den gängigen Schönheitsidealen von Twilight entspricht und zudem noch den sperrigen Namen Constantin Brczeczinski trägt. Nichtsdestotrotz bemüht sich Jackie Malone, das Vertrauen des Untoten zu gewinnen und ihn auch zu ihrem eigenen Vorteil zu benutzen. Als das ungleiche Paar später einen weiteren Vampir trifft, eskaliert die Situation. Mit einem tragischen Ende. Vampir-Romanze mit satirischen Einschlag.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 137

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Eberhard Leucht

Der kalte Atem der Nacht

Vorspann

 

 

 

 

 

 

 

Eberhard Leucht

 

DER KALTE ATEM DER NACHT

 

 

 

Impressum

 

Eberhard Leucht

Der kalte Atem der Nacht

1. eBook-Auflage – September 2016

© vss-verlag, Frankfurt

[email protected]

Titelbild: Armin Bappert unter Verwendung eines Fotos von Pixabay

Lektorat: Chris Schilling

 

 

1. Teil - EinHaus voller Leichen

 

„Jay Garner, du bist ein verdammtes Arschloch!“

Es war ein stummer Schrei in den Nachthimmel, der von geballten Fäusten und zornigen Blicken begleitet wurde und der in Jackies Kopf widerhallte. „Jay Garner, du bist ein verdammtes Arschloch!“

Ein Arschloch, weil er den ganzen Abend mit dieser Blondine auf Gregs Party herumhing. Jay ging doch seit unendlicher Zeit schon mit Jackie, sie beide gehörten zusammen. Er hatte auch wieder sein Cure-T-Shirt angezogen. Sie hatten später, zu mitternächtlicher Stunde, noch eine romantische Nacht auf dem Friedhof verbringen wollen. Knutschen und fummeln zwischen Grabsteinen. Vielleicht auch etwas mehr, je nachdem, wie Jay drauf war. Er nannte sie Black Angel, sie war sein schwarzer Engel, denn alles an ihr war schwarz, angefangen von den schulterlangen, glatt herabfallenden Haaren über ihre Klamotten bis zum tiefschwarzen, dick aufgetragenen Lidschatten. Um ihren Hals hing eine Silberkette mit einem Totenkopfanhänger. Den hatte Jay ihr geschenkt. Jackie liebte es, sich das Aussehen einer frischen Wasserleiche ins Gesicht zu schminken. Es war großartig, die Leute in dem Kaff, in dem sie zu leben verdammt war, mit ihrem morbiden Aussehen zu schockieren. Eine richtige Szene gab es zu ihrem Bedauern hier leider nicht. Wenn sie sich mit Gleichgesinnten treffen wollte, musste sie knapp anderthalb Stunden mit dem Greyhound fahren. Hier war sie nichts anderes als eine Außenseiterin. Und Jay gewissermaßen auch, weil er zu ihr stand und das oft genug mit seinem Totenkopf-T-Shirt und Death Metal auf dem iPod zum Ausdruck brachte.

Sie waren Freunde. Na und? Schließlich taten sie niemandem etwas, konnten sich sogar manch heimlicher Bewunderung der weniger Mutigen sicher sein.

Und dann erschien plötzlich diese Daggy auf der Bildfläche! Die hatte auf der Party eigentlich gar nichts verloren! Ihre wallende blonde Mähne war wie ein Sonnenstrahl, der in Jackies schöne, anheimelnd dunkle Welt brach, ein Sonnenstrahl, der lange tiefe Schlagschatten warf, in denen die Angst vor dem Verlassenwerden lauerte. Die Blondine mit ihrem falschen Cheerleaderlächeln und dem kurzen Röckchen war eines dieser Mädchen, die stets im Mittelpunkt standen, die sich blind darauf verstanden, alle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Und Jay, dieser hirnlose Idiot, war an ihr kleben geblieben!

Jemand wie Jackie existierte in der Welt von Daggy gar nicht. Sie bekam nicht mit, dass sie Jay einer anderen wegnahm, sie wusste nicht, was sie anderen antat. Mädchen wie Daggy kratzten mit allem, was sie taten, nur ein bisschen an der Oberfläche des Lebens. Dabei war doch klar, dass Jay ihr eigentlich nichts bedeutete. Er war nicht mehr als ein Spielzeug für sie. Vielleicht für eine Woche, möglicherweise nur für eine Nacht. Für Mädchen wie sie war ein Spielzeug nur interessant, so lange es neu war. Irgendwann kam der Moment, in dem sie ihm das Herz brach. Das war eigentlich jedem bewusst. Nur Jay nicht. Ebenso wenig wie er schnallte, dass es mit Jackie aus war. Er brauchte, wenn er irgendwann Trost suchte, gar nicht bei ihr angekrochen kommen.

No way, Boy! Sie würde dann nur ein herzhaftes „Fuck you!“ für ihn übrig haben. Schlimm und verdammt schmerzhaft war nur das lange Warten bis der Moment der Genugtuung kam.

Jackie biss die Zähne zusammen, um nicht heulen zu müssen. Erstens stand ihr Weinen nicht, zweitens hätten die Tränen ihre Schminke verwischt und ihr ein lächerliches Aussehen gegeben. Das wollte doch niemand, nicht wahr? Niemand lachte über die Kreaturen der Nacht, und über den schwarzen Engel gleich gar nicht. Sie kämpfte gegen das Gefühl der Enttäuschung und Verzweiflung, das ihr die Tränen in die Augen trieb, so hart an, dass sie am ganzen Leib zitterte. Wenn sie jetzt jemand sähe, der hätte glauben müssen, sie litte an Schüttelfrost. Ihre Gedanken flogen durch die Nacht. Die Nacht war ihr Freund, ein zuverlässiger Freund, auf den sie sich immer blind verlassen konnte. Die Nacht war ihr Beschützer und ihr Verbündeter, sie würde Jay im Schutze der Dunkelheit auflauern. Natürlich würde er die Blondine, diese Schlampe, nach Hause begleiten. Aber die beiden hatten ihre Rechnung ohne Jackie gemacht, die Rächerin der Verlassenen dieser Welt. Sie würde sich aus der Luft auf Jay herabstürzen und ihn zu Boden werfen. Der schwarze Engel war wiederauferstanden. Mit ungeheurer Kraft packte sie ihn am T-Shirt und riss das Konterfei von Robert Smith in der Mitte durch. Dann stieß sie ihre spitzen Fingernägel tief in seine Brust und schrieb ihm die blutigen Initialen JM ins Fleisch. Narben würden zurückbleiben, in Form der beiden ineinander verschlungenen Buchstaben. Sie würden ihn für immer an sie erinnern: Jackie Malone.

Diese Vorstellung gefiel Jackie. Mit diesen mit seinem Blut geschriebenen Initialen hatte sie ihn zu einem Wesen der Nacht gemacht, aber sie, Jackie, hatte er für immer verloren. Diese Strafe hatte der verfluchte Verräter verdient. Irgendwann kam er in die Nähe ihrer schwarz lackierten Fingernägel …

Mit diesen erbaulichen Gedanken drehte sich Jackie um und begab sich zurück ins Haus. Mit unbewegter Miene mischte sie sich wieder unter die Partygäste. Wer sich die Mühe machte, ihre Hände anzusehen, hätte den Eindruck bekommen, hier sei eine Katze kurz davor, ihre Beute zu packen.

Das Licht war inzwischen gedimmt, statt hämmernder Partyklänge säuselte nun etwas von Paul Simon aus den Boxen. Die Paare auf der Tanzfläche rückten näher zusammen.

Als wenn es dazu der Musik bedurft hätte! Manche Pärchen wälzten sich bereits auf einem der in der Wohnung verteilten Sofas oder drückten sich in irgendwelchen Ecken herum. Hinter der verschlossenen Küchentür waren auch schon Geräusche zu vernehmen, die an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig ließen. Und Gregs Schlafzimmer war garantiert schon ausgebucht. Wahrscheinlich hatte er als guter Gastgeber auch ein paar Nutten eingeladen, der lockeren Stimmung wegen.

Immer das Gleiche. Und immer die gleichen bonbonbunten Schickimicki-Cocktails. Jay hatte sie inmitten des Getümmels noch nicht entdeckt. Sie suchte ihn auch nicht. Ihre angriffsbereiten Klauen hatten sich wieder in Hände verwandelt.

„Hi!“

Jackie fuhr herum. Was war denn das für einer, der da ungefragt mit ihr anstieß und sie angrinste wie ein Honigkuchenpferd? Der Typ war lang, fast einen ganzen Kopf größer als sie. Er wirkte eher schlaksig als sportlich, was auch sein leicht gebeugter Rücken unterstrich, seine dunklen Haare hatte er mit jeder Menge Gel zu einer verwegenen Frisur gestylt, die ihm eigentlich gar nicht stand. Wahrscheinlich hatte er im normalen Leben einen ganz spießbürgerlichen Seitenscheitel. Eine schmale, etwas zu lang geratene Nase warf einen leichten Schatten auf seine dünnen, blutleer wirkenden Lippen. Die Haut war blass. Das war einer dieser Typen, die sich gar nicht schminken brauchten, um wie ein waschechter Grufti auszusehen. Abgesehen allerdings von den lächerlich vielen Sommersprossen in Gesicht und an den Armen.

„Hi“, erwiderte Jackie verhalten den Gruß, während sie noch überlegte, woher sie den Kerl kannte.

Aber eigentlich war ihr das egal. Er laberte eh nur Scheiß. Und Smalltalk war etwas, wonach ihr der Sinn im Augenblick überhaupt nicht stand. Seine Worte prallten an ihr ab wie Tischtennisbälle an einer Wand. Ping pong. Blah blah.

Der Typ gehörte offenbar zu den Menschen, die ganz einfach unsensibel genug waren, um nicht zu merken, dass ihr Gerede nur die Geduld der anderen über Gebühr strapazierte. Mit einem weiteren Cocktail trank er sich Mut an, um weiter gegen Jackies eisiges Schweigen anzureden.

Phil! Jetzt war es Jackie eingefallen. Phil Lanotta. So hieß der Typ. Er ging im Städtischen Beerdigungsinstitut ein und aus. Ja, klar, er war der Sohn des Besitzers. Stand ja in großen Buchstaben über dem Geschäft. Er war zwei oder drei Jahre älter als Jackie. Sein Bild, so erinnerte sie sich, hatte in der Schule an der Wand gehangen. Er hatte als Bester des damaligen Jahrgangs abgeschlossen. Auf dem Bild war er ordentlich frisiert gewesen, ganz anständig mit einem Seitenscheitel. Wie sie vorher schon vermutet hatte.

„He, was gibt’s da zu lachen?“, unterbrach Phil seinen Redeschwall und warf Jackie einen vorwurfsvollen Blick zu. O ja, ihr war bei der Erinnerung an das Foto tatsächlich ein Lachen herausgeschlüpft. „Es ist nicht wirklich lustig, wenn einem ein Biker mitten auf dem Highway vors Auto fällt, während seine Maschine in die Leitplanke kracht!“

„Nein, natürlich nicht.“ Erschrocken schlug sich Jackie die Hand vor den Mund. „Ich musste nur gerade an etwas anderes denken, dass … Na ja, erzähl ruhig weiter.“

Um Phil nicht weiter zu verärgern, nahm sie mit einem dankbaren Nicken den Cocktail entgegen, den er ihr reichte. Sie prostete ihm zu.

„Und du?“, zeigte Phil dann mit der Hand auf sie.

„Und was ich?“, zuckte sie ratlos mit den Schultern. Nein, ihr war noch nie ein Biker vor das Auto gefallen, was durchaus auch daran liegen könnte, dass sie gar keinen fahrbaren Untersatz besaß.

„Was machst du? Hast du schon einen Job?“

„Nein, leider nicht. Ich suche noch, weißt du.“

„Aha. Und was schwebt dir vor?“

Jackie zuckte ein weiteres Mal mit den Schultern. „Am liebsten was in Richtung Model … Wenn sich im Fernsehen was findet, hätte ich auch nichts dagegen. Ich lass das auf mich zukommen. So was muss wohlüberlegt sein.“

„O ja, das hast du recht. Ich drück dir die Daumen, dass es klappt.

Damit tat er schon mehr als Jackie selbst, die all das, was mit Ausbildung und Job zu tun hatte, weit vor sich herschob. War sie sich doch sicher, dass sie ihren Weg gehen würde. So oder so. Ihr war etwas Besseres als profane Arbeit in die Wiege gelegt worden. Das hatte ihre geliebte Großmutter, bei der sie einen großen Teil ihrer Kindheit verbrachte, stets verkündet.

„Eigentlich sollte ich das Geschäft meines Vaters übernehmen“, fuhr Phil derweil fort. „Aber dazu hatte ich überhaupt keine Lust. Ist nichts für mich.“

Jackie nickte, als verstünde sie, wovon Phil sprach. Wenn sie ihm zugehört hätte, wüsste sie jetzt, wo er arbeitete. Im Geschäft seines Vaters hätte er es mit richtigen Leichen zu tun gehabt, sein Arbeitsplatz wäre der Friedhof gewesen. Aber so … Was ging sie das eigentlich an?

„Gefällt es dir hier eigentlich?“, wollte Phil dann wissen und deutete mit der Hand, in der er das Cocktailglas hielt, vage in den Raum.

„Nicht wirklich“, schüttelte Jackie den Kopf.

„Kann ich verstehen.“

Verständnis hatte er also auch noch! Klar.

„Und Tanzen macht dir nicht gerade Spaß, was?“

Ah, verstand sie, er fühlte – ganz die Vorsicht – vor, ob mit ihr etwas anzufangen sei. „Nicht mein Stil“, schüttelte sie sich angesichts der Musik. Der klebrige Sound einer Achtzigerjahreschnulze schweißte die Tanzpaare noch enger zusammen.

„Ist auch nicht so mein Ding“, meinte Phil mit einer abfälligen Geste in Richtung der Tanzenden.

Jackie lachte kurz auf. „Würde es dir nicht gefallen, jetzt deinen Körper an mir zu reiben?“

„Doch, das schon“, beeilte er sich ihr zu versichern, derweil ihm das Blut in den Kopf schoss und ihn wie eine Signallampe bei Red Alert aufglühen ließ.

„Das war kein Angebot!“, stellte Jackie schnell klar.

„Habe ich auch nicht als solches aufgefasst.“

„Dann ist’s ja gut.“ Nicht, dass er noch auf dumme Gedanken kam!

Um den Moment der Verlegenheit zu überspielen, besorgte er schnell noch zwei Cocktails und stieß ein weiteres Mal mit ihr an.

Die ganze Party war schon öde, stöhnte Jackie innerlich auf, und dann musste ihr auch noch dieser Langweiler über den Weg laufen. Wie sollte sie den bloß wieder loswerden? Der hing wie eine Klette an ihr. Da konnte sie mit Zaunpfählen winken, wie sie wollte. Ihm zu entkommen war schier unmöglich. Jay hätte sie von Phils Gegenwart erlösen können, aber der zappelte im Netz des Cheerleadergirls. Womöglich hatte ihn dieses Miststück bereits in irgendeine Ecke gezerrt und nahm sich, was bisher Jackie gehört hatte!

Sollte sie. Es spielte längst keine Rolle mehr, was Jay mit wem trieb. Mechanisch schlürfte Jackie den nächsten Cocktail, den Phil, die Quasselstrippe, ihr kredenzte. Noch ein, zwei von der Sorte und ein gewisser Jay Garner hörte ganz auf zu existieren.

Eine Stunde und ungefähr zehn Drinks später hatte sie mehr als nur Jay vergessen. Das erste, was sie wieder bewusst wahrnahm, war die Tatsache, dass sie sich auf der Straße befand und im Schein der Laternen durch die Nacht spazierte. Zusammen mit Phil Lanotta!

Wie hatte das geschehen können?

Zum Glück hielt er sich mit Annäherungsversuchen zurück. Als er jetzt den Arm um sie legte, bewahrte er sie nur vor einem Sturz in den Rinnstein. Sie war über etwas gestolpert. Ja, über diesen blöden Papierkorb am Mast einer Straßenlampe. Das verdammte Ding konnte man allerdings leicht übersehen. Kaum dass Jackie wieder sicher auf den Beinen stand, ließ Phil sie los. Sein Glück!

Die frische Nachtluft tat gut und vertrieb ein bisschen die Schleier, die sich über ihre Wahrnehmung legten.

„Wir sind da!“, stoppte Phil abrupt ihren Lauf.

Da? Wo?

Sie standen vor einem Gebäude, das ihr nicht unbekannt war.

Lanottas Beerdigungsinstitut!

Ach ja, kehrte angesichts der stilvoll dekorierten Särge im Schaufenster die Erinnerung zurück, sie war so leichtsinnig gewesen, Phil zu fragen, ob er sie nicht einmal mitten in der Nacht in das „Haus des Todes“, wie sie sich gewählt ausdrückte, einlassen würde. Es musste doch spannend sein, sich zu dieser Stunde dort ungestört umsehen zu können.

Natürlich hatte Phil keinen Moment gezögert und sie abgeschleppt. Erhoffte er sich mehr als nur den Nervenkitzel an einem offenen Sarg oder vor einem frischen Leichnam, wie sie sich insgeheim wünschte? Dann allerdings hatte er sich gehörig geschnitten.

Es dauerte nicht lange, dann machte sich Jackie selbstständig, um all das, was sie so brennend interessierte, in Ruhe in Augenschein nehmen zu können. So eine Gelegenheit bekam sie so schnell nicht wieder. Nur dass ihre Suche der vielen Cocktails wegen ziemlich unkoordiniert ablief. An diesem Ausstellungsstück eines Sarges mit dieser blöden Puppe davor lief sie nun schon das dritte Mal vorbei.

Aber wo war sie denn nun gelandet? Das sah interessant aus. Sie folgte einer Treppe, die in die Tiefe führte. Das mutete ja fast wie eine Gruft an. Die Luft war feucht, es roch modrig. Beim Betätigen des Lichtschalters war eine schwache Glühbirne hinter so etwas wie aufgestapelten Holzstiegen angegangen. Im schwachen Lichtschein war anfangs nicht viel zu erkennen. Um mehr sehen zu können, musste sie mitten hinein in die schwarzen, bedrohlich wirkenden Schatten treten. Eiskalte Schauer rieselten Jackie über den Rücken. Es wäre jetzt gar nicht schlecht, Phil in der Nähe zu wissen. Aber der war weit weg. Und sie wusste nicht einmal, wo. Wahrscheinlich war er schon ins Bett gefallen. Irgendwann mussten auch bei ihm die Cocktails Wirkung zeigen. Er hatte sich ja nun wirklich nicht gerade zurückgehalten.

Da! Jackie fuhr zusammen. Atmete gleich darauf erleichtert auf. Das Gerippe an der Wand war aus Plastik und klapperte nur leise und künstlich, als sie daran stieß. Nichts, was jemand wie Jackie erschrecken konnte. Vielleicht gehörte es früher mal zur Dekoration des Geschäfts. Eine makabre Dekoration für ein Bestattungsinstitut. Aber was soll’s?

Jackie kämpfte sich tapfer weiter in das Schattenreich hinein. Ein helles Bimmeln und ein plötzlicher Schmerz auf ihrer Stirn schreckten sie auf. Ihr Kopf fuhr herum. Sie hatte sich an einer Glocke, die von einem lächerlich geblümten Vorhang halb verdeckt wurde, gestoßen.

War das eine Friedhofsglocke? Die hätte sie gern gehabt, die würde ausgezeichnet in ihre Sammlung zu Hause passen. Es wäre mal was Echtes gewesen zwischen all dem Krimskrams aus Plastik, der sich im Laufe der Jahre in ihrem Zimmer angesammelt hatte.

Jackie stampfte wütend mit dem Fuß auf, als es ihr nicht gelang, den metallenen Verschluss, mit dem die Glocke an der Wandhalterung befestigt war, zu öffnen.

Sie musste bei Gelegenheit Phil bitten, ihr das gute Stück zu beschaffen. Wusste sie doch genau, dass sie eins von jenen Mädchen war, denen Jungs wie Phil mit Begeisterung jeden Gefallen tun würden. Sie warf noch einen letzten bedauernden Blick auf die blass schimmernde Glocke. Die musste sie haben!

Ein schmaler Gang führte in eine weitere Kammer. Im schwachen Lichtschein bemerkte Jackie aufeinander gestapelte Holzstühle, die über und über mit einer dicken Schicht Staub bedeckt waren. Daneben stand ein Tisch mit abgerundeten Ecken, auf dem verschiedene Utensilien aus Metall, deren Verwendungszweck sich Jackie nicht erschloss, herumlagen. Eine schmale hölzerne Bank an zwei Seiten des Raumes, in deren Staub Mäuse und Ratten ihre Spuren hinterlassen hatten, stieß in der hinteren Ecke auf einem kunstvoll verzierten Sarg.