Der kleine Blumenladen zum Glück - Colleen Oakes - E-Book
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Der kleine Blumenladen zum Glück E-Book

Colleen Oakes

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Beschreibung

Manchmal muss man alles hinter sich lassen, um sein wahres Glück zu finden.


Elly Jordan hat sich einen Traum erfüllt: Noch vor zwei Jahren stand die junge Frau vor den Scherben ihres Lebens, als sie ihren Mann mit einer anderen im Bett erwischte. Von heute auf morgen brach sie alle Zelte ab. Nun ist Elly Inhaberin einer exquisiten Blumenhandlung in St. Louis, täglich umgeben von den schönsten Blumenbouquets, herrlich duftenden Freesien und farbenfrohen Tulpen. Da schlägt sie sich gerne mit Brautzillas und deren hysterischen Müttern herum. Sie ist aufgeblüht, und abgesehen von ihrem unerzogenen Schäferhund und ihrer patzigen Angestellten ist ihr Leben ziemlich perfekt. Und dann ist da noch Ellys neuer Nachbar, ein unverschämt gutaussehender Musiker, der ein Auge auf ihre Kurven geworfen hat. Doch gerade als sie denkt, dass sie ihre Vergangenheit hinter sich gelassen hat, findet sie heraus, dass hinter ihrem lukrativsten Hochzeitsauftrag mehr steckt, als ihr lieb ist ...


Eine irrwitzige romantische Komödie voll Herz, Humor und Blumen. eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.

Dieses Buch ist bereits in einer früheren Ausgabe unter dem Titel "Erst die Liebe, dann das Vergnügen" erschienen.

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EPUB

Seitenzahl: 605

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Inhalt

Cover

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

Prolog

Kapitel Eins

Kapitel Zwei

Kapitel Drei

Kapitel Vier

Kapitel Fünf

Kapitel Sechs

Kapitel Sieben

Kapitel Acht

Kapitel Neun

Kapitel Zehn

Kapitel Elf

Kapitel Zwölf

Kapitel Dreizehn

Kapitel Vierzehn

Kapitel Fünfzehn

Kapitel Sechzehn

Kapitel Siebzehn

Kapitel Achtzehn

Kapitel Neunzehn

Kapitel Zwanzig

Kapitel Einundzwanzig

Kapitel Zweiundzwanzig

Kapitel Dreiundzwanzig

Kapitel Vierundzwanzig

Kapitel Fünfundzwanzig

Kapitel Sechsundzwanzig

Kapitel Siebenundzwanzig

Kapitel Achtundzwanzig

Kapitel Neunundzwanzig

Kapitel Dreißig

Kapitel Einunddreißig

Kapitel Zweiunddreißig

Kapitel Dreiunddreißig

Kapitel Vierunddreißig

Epilog

Danksagung

Über dieses Buch

Elly Jordan hat sich einen Traum erfüllt: Noch vor zwei Jahren stand die junge Frau vor den Scherben ihres Lebens, als sie ihren Mann mit einer anderen im Bett erwischte. Von heute auf morgen brach sie alle Zelte ab. Nun ist Elly Inhaberin einer exquisiten Blumenhandlung in St. Louis, täglich umgeben von den schönsten Blumenbouquets, herrlich duftenden Freesien und farbenfrohen Tulpen. Da schlägt sie sich gerne mit Brautzillas und deren hysterischen Müttern herum. Sie ist aufgeblüht, und abgesehen von ihrem unerzogenen Schäferhund und ihrer patzigen Angestellten ist ihr Leben ziemlich perfekt. Und dann ist da noch Ellys neuer Nachbar, ein unverschämt gutaussehender Musiker, der ein Auge auf ihre Kurven geworfen hat. Doch gerade als sie denkt, dass sie ihre Vergangenheit hinter sich gelassen hat, findet sie heraus, dass hinter ihrem lukrativsten Hochzeitsauftrag mehr steckt, als ihr lieb ist …

Über die Autorin

Colleen Oakes schreibt Jugend- und Erwachsenenbücher. Sie lebt mit Mann und Sohn im Norden von Denver. Wenn sie nicht gerade damit beschäftigt ist neue Bücher zu schreiben, geht sie gerne schwimmen oder auf Reisen.

Besuchen Sie Colleen auf ihrer Homepage: www.colleenoakes.com.

Colleen Oakes

Der kleineBlumenladenzumGlück

Aus dem amerikanischen Englischvon Isa Lorenz

beHEARTBEAT

Deutsche Erstausgabe

»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2015 by Colleen Oakes

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »Elly in Bloom«

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Freya Gehrke

Lektorat/Projektmanagement: Anna-Lena Meyhöfer

Covergestaltung: Guter Punkt, München | www.guter-punkt.de unter Verwendung von Motiven © iStock: benedek; © thinkstock: ConsstantineV | Atlantagreg | katyakatya

eBook-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-6278-7

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Für meine Eltern Ronald und Tricia McCulley,die ihre Kinder stets ermutigten,sich in alle nur möglichen Richtungen zu entwickeln,

Prolog

Georgia, zwei Jahre zuvor. Tagesanbruch.

Der frühe Morgen widerte Elly an.

Das immerhin ist normal.

Ihr Lenkrad roch nach saurer Milch und verfaulten Freesien.

Igitt! Das ist nicht normal.

Durch die schmutzige Windschutzscheibe sah sie die schleichenden Finger der Morgenröte Besitz vom Horizont ergreifen. Helle Sonnenstrahlen näherten sich langsam ihrem Auto, brachen durch das schmuddelige Glas und verwandelten ihre dunklen Ledersitze in blendende Spiegel von Licht, das ihren geschwollenen Augen wehtat.

Elly verabscheute die Morgendämmerung. Die zirpenden Insekten, den dunstigen Frühnebel. Dabei drehte sich ihr der Magen um. Und ausnahmsweise einmal hatte der Gedanke an Essen für sie nichts Verführerisches. Sie presste die Stirn an das stinkende Lenkrad und stöhnte. Einen Tag war es erst her, einen einzigen grottenschlechten, lausigen Tag, seit sich ihr ganzes Leben aufgelöst hatte. Und jetzt saß sie in ihrem Auto und hatte einen Nervenzusammenbruch.

Schon jetzt war es unerträglich heiß. Die gleißende Sonne Georgias reckte sich verstohlen über die Nesselbäume, die ungerührt standhielten, während eine leichte Brise an ihrem Laub rüttelte. Ellys Augen brannten von der Sonne und von den hysterischen Tränen, die sie in der Nacht zuvor vergossen hatte. Jetzt waren sie dankbar für die Luftfeuchtigkeit. Zwölf Stunden am Stück hatte Elly geweint, hatte eine ganze Flasche Wein getrunken und ein Bild zerstört. Und nun saß sie hier, in ihrem Auto, und schwitzte.

Etwas Stärkeres als Wut erfüllte sie, etwas Beklagenswerteres als Traurigkeit. Elly atmete aus, spürte den Atem aus ihren Lungen stolpern, ganz dünn nach dem stundenlangen Heulen. Sie verabscheute ihr trauriges kleines Leben. Verabscheute, was sie am gestrigen Tag geworden war. Verabscheute den Mann, der ihr Ehemann war. Ihr Ehemann gewesen war. Wieder stöhnte sie. Sie verabscheute die aufgezwungene Erkenntnis, dass alles, was sie von ihrem Leben geglaubt hatte, eine Lüge war.

Aber im Moment verabscheute sie noch mehr, dass sie schwitzte. So oft schwitzte sie.

Seufzend drehte sie den Schlüssel im Anlasser, und der spielzeuggroße Motor ihres Toyota Tercel heulte auf. Nach dem Ansturm sengender Hitze wehte ihr jetzt kühle Luft ins Gesicht und trocknete die Mischung aus Schweiß und Tränen auf ihren Wangen. Die Hitze wich zurück, und sie konnte etwas klarer denken.

Sie betrachtete das Gepäck auf dem Rücksitz. Ein riesiger Koffer mit orangefarbenen und blauen Bändern am Griff, ein paar Plastiktüten mit Haarpflegeprodukten und Make-up, eine Kühltasche mit Äpfeln und Sandwiches. Eine blöde Wahl, wenn sie jetzt darüber nachdachte. Und dann noch ihr spitzenbesetztes Hochzeitskleid, das zerknautscht in der Ecke lag. Elly schürzte die Lippen, schnellte herum und ließ den Kopf wieder aufs Lenkrad sinken. Darüber wollte sie nicht nachdenken. Nicht jetzt. Später würde sie sich einen Therapeuten suchen, mit dem sie über das Kleid reden könnte.

Nervös schaute Elly auf die Uhr. Sie wusste, was sie tun sollte. Sie sollte zur Arbeit fahren. Sie sollte mit ihrem Boss Jeff reden, der sich ständig in der Magengegend am Oberhemd zupfte. Sie sollte ihre beste Freundin Cassie anrufen und sie überreden blauzumachen. Zusammen würden sie weinen. Nein, Elly würde weinen. Und sie würden wieder und wieder über diesen Moment reden, diesen schrecklichen Moment. Die Treppenstufen knarren. Eine Hand umklammert weiße Laken. Der Moment, in dem ich meinen Mann daliegen sehe, er und eine andere, ineinander verschlungen. Verzückt starrt er diese andere an. Cassie und sie würden Eiskrem essen, bis sie sich vor lauter verausgabten Gefühlen und Milchzucker nicht mehr rühren könnten.

Cassie würde so tun, als hätte sein Seitensprung sie überrascht. Sie würde darauf beharren, dass Elly zum Haus zurückstürmte und von ihm verlangte, er solle verschwinden. Elly unterdrückte ein Schluchzen. Das Haus verlangen. Treue verlangen. Liebe verlangen und auf einem Friedhof ganz hinten in ihrem Bewusstsein begraben, was geschehen war. Nie wieder davon sprechen.

Ja, das hörte sich toll an. Aber ehe diese Auseinandersetzung stattfinden könnte, müsste sie den Kopf vom Lenkrad lösen. Und dazu schien ihr Hals im Moment nicht in der Lage zu sein. Sie konnte sich nicht mehr rühren. Jetzt nicht und nie wieder.

Als sie eine Tür zuschlagen hörte, riss sie den Kopf hoch. Ihre Nachbarin Jen brachte ihren Sohn zur Schule. Jen schien verwirrt darüber, dass Elly reglos in ihrem Auto saß, trotzdem winkte sie freudig. Elly verdrehte die Augen und hob kraftlos die Hand. Voller Selbstmitleid empfand sie nichts als Hass auf Jen, die eigentlich ein netter Mensch war. Ja, tu nur so, als wäre nichts passiert. Tu nur so, als hättest du mich nicht bis zum Sonnenaufgang wie eine Todesfee kreischen und heulen hören. Tu nur so, als wäre es total normal, wenn ich um sechs Uhr morgens in meinem Auto sitze, mit einer Kühltasche voller Roastbeef und mit Selbstmordgedanken.

Jens weizenblonder kleiner Sohn kletterte auf den Rücksitz des Autos, und fürsorglich schnallte seine Mutter ihn an.

Tränen, von denen Elly gar nicht gewusst hatte, dass sie noch in ihr waren, überfielen sie ganz plötzlich. Ihr blieb keine Zeit, sich dagegen zu wappnen. Ein Jaulen, ein unweibliches, unattraktives Heulen entschlüpfte ihrem Mund, und sie überließ sich der Flut der Tränen. Kummer breitete sich vor ihr aus wie ein Ozean.

Ihre perfekte Zukunft, ihr imaginäres Kind, ein kleiner Junge, der fröhlich auf seinen Autositz kletterte, war nicht mehr. Diese Zukunft lag nicht in diesem Haus, das sie für genau diesen Zweck gebaut hatte. Diese Zukunft gab es nicht mit diesem Mann, dem sie so sehr vertraut hatte, mit diesem Mann, der ihre Träume Wirklichkeit werden lassen sollte. Ihre Zukunft gab es auch nicht in dem Büro, in dem sie jahrelang gearbeitet hatte, in dem sie fröhlich mit Freundinnen über die Liebe ihres Lebens getratscht hatte. Diese Zukunft gab es nicht in dem Park, wo sie sich schon mit dem Kind im Buggy gesehen hatte, ihren Künstler-Ehemann an ihrer Seite. Ihr Leben, wie sie es sich erträumt hatte, war gestern implodiert. Die Scherben waren nach innen geschossen, in ihren Körper hinein, in dem Moment, als sie die beiden zusammen gesehen hatte. Dieses Leben war zerbrochen, ehe sie begriffen hatte, was passiert war.

Wie kam es, dass eine so wundervoll erdachte, so perfekt ausgeführte Liebesgeschichte so voller Fehler, so zerbrechlich sein konnte? Wie konnten, durch einen einzigen Akt, zwei Jahre Ehe bis auf den Grund niederbrennen und nur Ruß und Asche zurücklassen?

Die Zukunft, die sie sich vorgestellt hatte, war für immer verschwunden. Sie ließ sich nicht mehr reparieren.

Er hat nicht mich auserwählt.

Später würde sie übertreiben, den Leuten erzählen, es sei innere Stärke gewesen oder ihre große Überzeugung, die sie ins Unbekannte vorangetrieben hatte. Eine solche Kraft, eine solche Überzeugung hatte sie nicht. Was sie hatte, war die Verzweiflung über eine fehlende Zukunft vor sich und die völlige Vernichtung eines Traums hinter sich.

Elly schloss die Augen und hämmerte mit dem Hinterkopf gegen die Kopfstütze. Wieder sah sie die zwei vor sich. Sein Gesicht verzückt vor Freude, die grünen Augen, mit denen er die Frau auf ihm anstrahlte. Schweißperlen, die ihr das nackte Rückgrat hinunterliefen. Die feuerrote Mähne, die sich über ihren Rücken ergoss.

Wieder wollten die Tränen fallen.

Verbeiß sie dir!

Mit diesem Gedanken fällte sie die Entscheidung, drehte den Schlüssel. Immer weiter zerbrach ihr das Herz in scharfe, gezackte Scherben. Elly legte in ihrem spürbar rüttelnden Wagen den ersten Gang ein und wendete in der Sackgasse. Sie lenkte das Auto auf die Straße, die durch ihre perfekte Wohngegend führte. Dann bog sie nach Nordwesten ab und fuhr Richtung Autobahn. Sie suchte ihren Lieblingssender heraus und drehte das Radio auf volle Lautstärke. Die flüsternden Stimmen in ihrem Kopf wollte sie nicht hören. Und dann fuhr sie und fuhr und fuhr. Die seicht dahinplätschernde Musik vermischte sich mit ihren ruckartigen Schluchzern. Elly fuhr, bis die Sonne vor ihr unterging.

Sie weigerte sich zurückzuschauen.

Kapitel Eins

Clayton, Missouri. Gegenwart.Weit nach Tagesanbruch, diesmal also zu einer zivilen Morgenstunde.

Posies, eine hochklassige Blumenhandlung im wohlhabenden Vorort Clayton, Missouri, Ecke Wydown Street, gehörte einer gewissen Elly Jordan, die das Geschäft auch führte. Wenn sie um sieben Uhr zur Stimme eines unausstehlichen Radiomoderators aufwachte und den Kopf träge aus dem Kissen hob, galt neuerdings ihr erster Gedanke der Arbeit.

So war das jetzt immer. Sie lebte und atmete für Posies. Manchmal schien es, als würde sich alles, was sie dachte oder tat, um ihren Laden drehen. Eigentlich ziemlich mitleiderregend. Nun gut, nach dem Weckruf legte sie sich normalerweise noch etwa eine Stunde zurück ins Bett. Aber irgendwann stieg sie schließlich aus ihrer sauberen kleinen Wohnung die Treppe ins Geschäft hinunter, den Schlaf noch in ihren hellblauen Augen und mit klatschenden Flipflops. Und wenn sie Licht machte, hatte sie meist noch einen getoasteten Frühstückskuchen zwischen den Zähnen.

Unweigerlich ging ihr jedes Mal das Herz auf, wenn sie sich im Geschäft umsah und sich klarmachte, dass all das ihr gehörte. Einen Moment lang genoss sie dann die warme Luft, die durch die Fenster hereinwehte, und versuchte, in einen friedlichen, Zen-ähnlichen Zustand zu kommen. Das klappte nie. Also zuckte Elly amüsiert mit den Schultern und begann trotzdem mit der morgendlichen Routine. Zuerst wurde kurz durchgeputzt. Die Fenster, der Arbeitstisch und die Eingangstür wurden abgewischt, und alles wurde an seinen Platz geräumt. Sie zog die Vorhänge etwas weiter zurück und zupfte sie forsch in Form. Dann hob sie übrig gebliebene Stängel oder fallen gelassene Blätter vom Teppichboden auf.

An diesem Morgen überzeugte sie sich außerdem davon, dass der Temperaturregler noch richtig eingestellt war, nachdem sie die Nacht tief und fest durchgeschlafen hatte. Dann schnappte sich Elly ein kleines Arrangement orangefarbener Ranunkeln und trottete zur Vordertür hinaus. Erst jetzt war sie bereit, der Welt außerhalb der Wärme und Sicherheit ihres Geschäfts gegenüberzutreten.

Sie ging ein Stück die Straße hoch und betrat Adas Café. Brita, die überzogene Barista, begrüßte sie mit mehr Sonnenschein, als Elly handhaben konnte.

»Guten Morgen, Elly!«, zwitscherte sie.

Statt einer Erwiderung nickte Elly müde und unterdrückte ein Augenrollen. Vor zehn Uhr morgens war sie einfach kein Mensch. Sie stellte die Blumen auf die Theke, wobei sie beinahe einen dampfenden Latte macchiato umwarf. Im Austausch nahm sie die Vase mit den verwelkenden Ehrenpreisblüten und Kornblumen und klemmte sie sich unter den Arm. Auf ihrer Bluse prangte ein Kaffeefleck.

Die Barista sah zu ihr herüber. »Ach, Elly! Du bist einfach zu komisch! Jeden Tag, wenn du hier reinkommst, wirfst du entweder was um oder hast einen Fleck auf der Bluse! Wie bei so einem kleinen Kind. Einfach hinreißend.«

Elly seufzte.

»Dir auch einen guten Morgen, Brita.«

Die Barista schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. »Heiße Schokolade heute?«

Elly nickte. »Ja, bitte. Genau wie gestern … Genau wie jeden Tag.«

Amnesie, dachte Elly.

Brita strahlte sie an. »Diese Blumen sind ja sooo bezaubernd. Ich guck die so gerne an. Du musst deinen Job wirklich lieben.«

Elly wand sich innerlich vor Unbehagen.

»Ja, das tue ich. Aber es sind ja schließlich nicht bloß Blumen, und …«

Das Glöckchen am Eingang bimmelte, und Brita warf sich in Positur, um den Neuankömmling zu begrüßen.

»Hi! Willkommen in Adas Café!«

Elly war noch mitten im Satz und stellte plötzlich fest, dass sie kein Gegenüber mehr hatte. Sie konnte es nicht ausstehen, wenn sie so allein gelassen stehen blieb. Peinlich. Sie seufzte und sah sich in dem Café um. Dutzende Paare saßen da und genossen ihr Morgengetränk. Genau hier hatte Elly zwei Jahre zuvor ihre neue beste Freundin kennengelernt. Und genau hier hatte sie beschlossen zu bleiben. Sie atmete das üppige Aroma gerösteter Kaffeebohnen ein. Und sofort sah sie sich wieder zwei Jahre früher vor sich, an dem Tag, der ihr Leben verändert hatte. Dem Tag, an dem sie Kim kennengelernt hatte.

Genau zwei Tage nach ihrer übertrieben dramatischen Flucht aus Georgia war Elly in St. Louis angekommen – die Augen vom Weinen und Fahren geschwollen, die Haare eine Pferdeschwanzkatastrophe und innerlich völlig gebrochen. Irgendwie hatte sie den Weg in ein elegantes Café gefunden und eine heiße Schokolade mit extra Schlagsahne bestellt. Nervös hatte sie sich umgesehen. Sie wollte nur noch zurück in ihr Auto und so lange fahren, bis sie zusammenbrach. Eine hinreißende Blondine hinter der Theke starrte sie an. Verwirrung stand ihr ins hübsche Gesicht geschrieben.

»Extra Schlagsahne? Wirklich? Sie wissen schon, dass da sowieso schon Schlagsahne dabei ist, oder? Das sind gleich hundert Kalorien mehr.«

Gereizt stieß Elly den Atem aus und hörte hinter sich ein unterdrücktes Lachen. In ihrer verrückten Gemütslage würde sie jeden Streit gewinnen, und so wirbelte sie herum und fand sich einer der atemberaubendsten Frauen gegenüber, die sie je gesehen hatte.

Elly wich die Luft aus den Lungen. Langes karamellbraunes Haar mit goldenen Reflexen ergoss sich über gebräunte Schultern mit Sommersprossen. Augen so blaugrün wie Strandglas und mit dichten mahagonifarbenen Wimpern blickten aus einem makellosen Gesicht ohne Make-up. Sie war so groß und schlank wie Elly klein und, nun ja, gewissermaßen rund. Von derartiger Schönheit sofort eingeschüchtert wirbelte Elly wieder herum und spießte das Mädchen hinter der Theke mit Blicken auf.

»Haben Sie ein Problem damit? Haben Sie Probleme mit Leuten, die sich eine Extraportion Schlagsahne bestellen?«

Das Mädchen schien bestürzt.

»Nein, nein, Ma’am. Schon gut.«

Sie sah Elly mit genau dem Mitleid an, das den Rundlichen und den Schmutzfinken vorbehalten war. Elly wollte schon zum Angriff übergehen, als sie eine kühle Hand auf der Schulter spürte.

Die schöne Frau flüsterte ihr ins Ohr. »Machen Sie sich nichts draus. Das hat mit Ihnen überhaupt nichts zu tun. Ich bin jeden Tag hier, und Madame Einstein hinter der Theke kriegt immer wieder meine Bestellung durcheinander – und zwar jeden … einzelnen … Tag.«

Ellys Ärger schmolz dahin. Zum ersten Mal seit achtundvierzig Stunden lächelte sie.

Schließlich bekam sie ihre heiße Schokolade und tatsächlich auch einen Haufen gefährlich schwankende Extrasahne. Sie setzte sich an einen kleinen Tisch am Fenster. Verblüfft sah sie zu, wie sich die strahlend schöne Frau auf den Stuhl ihr gegenüber setzte, als wären sie alte Freundinnen.

»Hi, ich bin Kim«, erklärte die Fremde und streckte den Arm über den Tisch. Elly schüttelte ihr die Hand. »Ich kann diesen Laden nicht ausstehen, aber ich bin abhängig. Wenn ich nicht jeden Tag meinen Latte bekomme, leide ich wie ein Tier.«

Elly musterte ihr Gegenüber.

Schweigend rührte Kim in ihrem Getränk und war offenbar völlig unbeeindruckt davon, wie seltsam dieser Austausch war. Plötzlich lächelte sie. »Woher kommen Sie? Sie sehen aus, als hätten Sie einen ganz schön weiten Weg hinter sich.«

Als hätte man Elly daran erinnern müssen, wie sie aussah … oder wie sie sich fühlte. Hier saß sie nun also, ungewaschen, wahrscheinlich müffelnd und in grauer Jogginghose und einem knappen schwarzen Hemdchen mit einem aufgedruckten Kürbis. Die Wimperntusche hatte sich schon längst von ihren Augen verabschiedet, ihre Haare waren fettig. Ihre Flucht im Auto hatte Elly erwischt wie ein Ziegel mitten ins Gesicht.

»Ähm …« Sie brach ab und konnte nur mit Mühe die Tränen im Zaum halten. Dass dieser Moment kommen würde, war ihr klar gewesen. Lüge ich über meine Vergangenheit? Fange ich ganz von vorn an? So tun, als wäre nichts passiert? Sie machte den Mund auf, wollte schwindeln, aber stattdessen sprudelte die Wahrheit aus ihr heraus.

»Ich bin schon seit Tagen unterwegs. Ganz ehrlich, ich weiß nicht mal, welchen Wochentag wir heute haben. Mein Mann … er …« Die Tränen begannen zu fließen. Mist! »Er ist …« Sie wedelte mit der Hand, ganz aufgewühlt, brachte es nicht heraus. »Ich kann nicht drüber reden. Ich bin noch nicht so weit. Ich weiß nicht mal, was ich hier mache. Ich bin einfach weg aus Georgia. Weg von meinem Haus, meinem Job, meinen Freunden. Und jetzt bin ich hier. Keine Ahnung, was ich machen soll. Vielleicht fahre ich weiter bis nach Kalifornien oder nach Washington oder einfach über eine Klippe. Keine Ahnung.« Ein gepresstes Schluchzen brach aus ihr heraus. »Ich kann nicht mal an das denken, was ich hinter mir gelassen habe. Ich hab gedacht, wenn ich wegfahre, könnte ich vielleicht so tun, als wäre das alles gar nicht passiert. Aber mittlerweile glaube ich, das war die denkbar dümmste Entscheidung. Und dass ich nie mehr in Ordnung bringen kann, was er zerbrochen hat. Und das, was er zerbrochen hat … tja, das war ich.«

Elly bedeckte die Augen mit den Handflächen und schüttelte den Kopf. »Tut mir leid. Ich muss Ihnen ziemlich geistesgestört vorkommen.«

Als Kim antwortete, hörte Elly ein Lächeln aus ihrer Stimme heraus. »Ein bisschen. Aber bitte, erzählen Sie weiter!«

Elly war viel zu nervös, um aufzuschauen. Sie hielt den Kopf gesenkt.

»Ich bin … Nein, ich war … Sekretärin bei einem großen Speditionsdienstleister. Ich war gut in meinem Job. Persönliche Assistentin des Vorstandsvorsitzenden. Ohne mich wäre er mit ziemlicher Sicherheit nicht klargekommen. Das Gehalt war gut, ich hatte sogar bezahlten Urlaub. Ich hab auf ein hübsches kleines Haus in so einem Vorort gespart, das perfekte Plätzchen. Ich dachte, ich hätte alles, was ich wollte. Dann hab ich Aaron …« Das erste Mal seit Tagen erwähnte sie seinen Namen. Er blieb ihr in der Kehle stecken wie ein Zitronendrops. »… Aaron kennengelernt. Und er war total anders.«

Er war wie ein Licht. Ein Licht, das bis zu diesem Augenblick in mir gefehlt hat, ohne dass ich es gewusst hätte, dachte sie.

Kim nickte wissend.

»Ich hab mich verliebt, so schnell, so heftig. Ich konnte nicht mal mehr atmen. Und ich dachte, wenn ich diesen Mann nicht heirate, sterbe ich. Also hab ich ihn geheiratet. Er hat mich die Liebe zur Kunst und zu gutem Essen gelehrt. Aber vor allem habe ich ihn geliebt. Es war wie so eine große Liebesgeschichte, die man im Kino sieht. Er hat Sachen für mich gemacht. Er hat mich ermutigt, das Haus zu kaufen, und wir waren so … glücklich. Ich bin richtig übergesprudelt vor lauter Lebensfreude, ich fand es so unglaublich. Meine Freundinnen haben wohl etwas anderes gesehen. Er war immer so beschäftigt mit seiner Kunst. Und seine Erfolge, seine Probleme haben ihn so … gefühlsbetont gemacht. Jetzt komme ich mir strohdumm vor, aber …«

Kims Gesichtsausdruck wurde weicher. Sie beendete den Satz für Elly. »Sie fanden das sexy.«

Elly wurde das Herz schwer. »Ja, stimmt. Aber das war noch nicht alles. Ich fand es so wunderbar, Teil des Ausdrucks seiner Kreativität zu sein. Ich war Teil seiner Leidenschaft. Mein Job war so langweilig. Und ich war dankbar, dass er mir eine Flucht davor ermöglicht hat. Wir haben geheiratet. Er war vernarrt in meine Mutter, hat ihren Tod nicht so leicht verwunden.« Elly spürte, wie ihre Wut sich über den Tisch ergoss, bis hinaus auf die Straße. »Er war allein in seiner Kunst verwurzelt. Ich weiß, er hat mich geliebt. Also wieso hat er dann …? Ich meine, wie konnte er das tun?« Elly hielt inne. »Tut mir leid. Ich bin fix und fertig. Das war das erste Mal, dass ich mit jemandem darüber gesprochen habe. Ich fühle mich ganz schrecklich. Sie sind so ein netter Mensch. Tut mir leid, dass ich diesen ganzen Ballast auf Ihnen abgeladen habe. Sie können ruhig gehen. Ich würde das verstehen.«

Kim kniff die Augen zusammen. »Sind Sie verrückt geworden? Das ist das Aufregendste, was ich seit Langem gehört habe. Sie haben einfach alles stehen und liegen gelassen und sind aus Ihrem Leben davongefahren. Sie haben getan, woran viele von uns bloß gedacht haben, und das Gott weiß wie oft.« Kim berührte Ellys Handrücken. »Nicht, dass es unbedingt gut gewesen wäre. Es ist bloß … mutig. Die Leute hier«, erklärte sie und machte eine ausladende Geste, »sind ziemlich langweilig. Sie stecken fest in ihrem Oberschichtleben, gehen jeden Morgen Kaffee trinken, reden über Politik und sind immer alle derselben Meinung. Sie geben zu viel Geld für die Schulen ihrer Kinder aus und gehen zum Schönheitschirurgen. Sie sind der ehrlichste Mensch, der mir seit einer Ewigkeit über den Weg gelaufen ist.«

Elly lächelte zaghaft.

Der Vormittag verging schnell. Elly offenbarte Kim weit mehr von sich als je einer ihrer Freundinnen in Georgia. Und Kim erzählte ihr Geschichten, die Elly die Röte ins Gesicht trieben und sie zum Lachen brachten über die Nachbarn – die Bewohner von Clayton, diesem schicken, kleinen, fremden Vorort. Elly gönnte sich drei Tassen heiße Schokolade und Kim zwei weitere Latte macchiato, begleitet von Kürbisbrot. Als die Mittagszeit heranrollte, hatte sich Ellys Ehrgeiz, ins Vergessen zu fahren, verflüchtigt. Die Erschöpfung hatte sich ihr bis ins Mark gegraben.

»Also. Wie geht es denn jetzt weiter mit dir?«, fragte Kim.

»Keine Ahnung … Ich war unterwegs Richtung Westen. Ich dachte, da ist es bestimmt hübsch.« Elly zuckte zusammen, so dämlich klang das. Dann reckte sie die Arme über den Kopf. »Wahrscheinlich suche ich mir einfach ein Hotel, bleibe über Nacht und fahre morgen weiter.«

Rasend schnell feuerte Kim weitere Fragen auf sie ab. »Da gibt es also niemanden, zu dem du fahren kannst? Wie sieht denn dein Plan aus? Kennst du irgendwen da im Westen?«

»Keine Menschenseele. Ich dachte einfach, ich fahre, bis ich irgendwo ankomme, wo es mir gefällt.«

»Tja, wie wäre es denn mit hier?«, fragte Kim.

»Hier? Wo sind wir denn hier?«, fragte Elly zurück.

Kim grinste. »Du bist in Clayton, Missouri. Land der Hitze und der Blumen.«

»Hier?« Elly musterte die gut angezogenen Leute, die an dem glänzenden Marmortresen ihre überteuerten Getränke schlürften. »Tja … irgendwie passe ich hier wohl nicht so richtig hin«, seufzte sie. Ihr draller Körper, der die mondäne Hauptstraße hinunterwatschelte … Das sah sie einfach nicht.

»Na ja, ich irgendwie auch nicht.« Nachdenklich schaute Kim sich um.

Wie wahr, dachte Elly. Kim passte wirklich nicht hierher. Sie war angezogen wie ein Hippie. Sie trug ein hellblaues Kleid, dessen Nähte auf der Außenseite verliefen, eine teuer wirkende türkisfarbene Kette und schwarz-weiße Espadrilles. Für diesen piekfeinen Vorort ziemlich großstädtisch. Trotzdem, Elly war klar, dass schöne Menschen wie Kim überall hineinzupassen schienen. Das war so natürlich wie Lächeln. Sogar jetzt spürte sie die Blicke der Männer, die zu ihrem Tisch herüberschauten. Ein gut aussehender, wenn auch fülliger Mann mit Schürze hatte zu ihrem Tisch gestarrt, seit sie sich gesetzt hatten. Dabei hatte er erfolglos versucht, sich hinter seiner Zeitung zu verstecken.

»Was soll ich denn hier machen? Ganz ehrlich, wahrscheinlich muss ich nach Hause fahren und … darum betteln, dass ich meinen Job wiederkriege.« Sie stellte sich vor, wie sie ihrem Chef gegenübertreten müsste, der ihr ungebetene Ratschläge erteilen und einen Geschenkgutschein von Macy’s überreichen würde. Bei der Vorstellung wogte Übelkeit durch ihren Magen.

Kim runzelte die Stirn und sah ihr direkt in die Augen. »Wieso solltest du das tun? Schließlich bist du aus gutem Grund weggegangen. Du bist doch nicht zwei Tage geradeaus gefahren, bloß um jetzt wieder kehrtzumachen. Was immer du zurückgelassen hast, es hat sich nicht geändert, bloß weil du nicht mehr da bist. Wenn du jetzt wieder angekrochen kommst, landest du genau bei dem, wovor du weggelaufen bist.«

Kim schwieg einen Moment. Dann fuhr sie fort. »Und wenn das jemand weiß, dann ich. Ich hab schon so einige Männer verlassen und bin wieder zurückgegangen. Bloß dass ich dann in genau derselben Situation war und wieder fort bin. Die Zeit, die ich damit vergeudet habe, bekomme ich nie zurück. Und wenn ich daran denke, werde ich ganz depressiv. Vor allem jetzt, wo ich mit einem wunderbaren Mann verheiratet bin.« Kim hatte sich in Schwung geredet und wurde von Minute zu Minute lauter. Wild fuchtelte sie mit den Händen herum. Elly wäre am liebsten im Boden versunken.

»Dein Herz ist gebrochen, Elly. Das sehe ich in deinem Gesicht, und ich höre es in deiner Stimme. Und ich weiß ja, wir kennen uns überhaupt nicht, aber ich hab da so ein Gefühl, als würdest du hierher gehören … genau hierher, in dieses alberne Café.«

Sie kicherte, aber dann wurde sie ernst. »Heute Morgen bin ich aufgewacht und habe gespürt, dass etwas Wichtiges passieren würde. Ich hab gesehen, wie du diese Barista angefaucht hast. Und auf einmal hab ich gespürt, dass du Teil meines Lebens werden würdest. Ein absolut seltsames Gefühl. Ich bin nicht der Mensch, der normalerweise an Zeichen glaubt. Aber ich werde das Gefühl nicht los, dass ich heute Vormittag aus einem ganz bestimmten Grund hier bin. Und dieser Grund bist du.« Kim hielt inne und griff nach Ellys Hand. »Ich finde, du solltest bleiben.«

Elly war ganz überwältigt von Müdigkeit und der Eindringlichkeit des Augenblicks. Sie blinzelte die Tränen weg, hob den Kopf und schaute an Kim vorbei. Durch die Fenster strömte das Licht herein. Auf einmal war sie wieder in ihrem Auto. Die Sonne ging auf. Elly saß vor ihrem Haus und versuchte zu atmen. Sie ging die Treppe hinauf, hinein in ihr Haus, hörte zwei Stimmen, gedämpft durch die Tür …

Sie würde nicht dorthin zurückgehen. Sie konnte nicht zurückgehen. Nicht jetzt. Und vielleicht, wenn sie nur lange genug wartete, würde er ihr hinterherkommen. Bis dahin wären ihre seelischen Wunden sicher verheilt.

»Also … wie hieß das hier noch mal?«

»Clayton, Missouri. St. Louis.«

Elly lächelte und wiederholte den Namen. »Clayton. Na schön!«

Und so hatte sie beschlossen zu bleiben. Und das war auf den Tag genau zwei Jahre her.

Rasch stellte Elly ihr Bewusstsein wieder auf die Gegenwart in Adas Café ein. Mit der freien Hand schnappte sie sich ihr Getränk, schenkte der Barista ein Lächeln und ging ins Posies zurück. Sie schob ihren altmodischen goldenen Schlüssel in das ausladende Messingschloss und öffnete die Tür. Als die Türglocke bimmelte, kam Cadbury, ihr englischer Schäferhund, von oben heruntergetrottet. Er beschnupperte ihre Füße, als sie die Tür mit der Hüfte zustieß und dann die Stereoanlage einschaltete. Mit einem hohen Winseln beschwerte Cadbury sich, als sie ihn ignorierte, weil sie ihren Kakao abstellen wollte.

»Jetzt ist es aber gut. Ich bin ja wieder da. Und die letzten acht Stunden haben wir schließlich auch gemeinsam verbracht. Weißt du nicht mehr? Als du mich in den Magen getreten hast?« Cadbury leckte ihr den Ellenbogen. »Ach, Herzchen«, sagte sie und kraulte ihn hinter den Ohren. »Du bist wirklich der schlimmste Hund auf der ganzen Welt.«

»Guten Morgen!«, ertönte eine melodiöse Stimme irgendwo aus dem hinteren Teil des Ladens. Die Lippen halb zu einem Lächeln verzogen, setzte Elly die heiße Schokolade ab. Ihre treue Angestellte war schon hier und arbeitete hart für die Hochzeit am nächsten Tag. Elly ging ins Hinterzimmer, wo Dutzende Eimer unzählige Blumen bis zu ihrer Weiterverarbeitung beherbergten. Elly stieg über einen Haufen welkender Blätter und Zweige und sah zu ihrer stellvertretenden Geschäftsführerin hinüber.

»Wir befinden uns in der Kategorie ›Kein Grünzeug‹. Keine große Überraschung.« Kim stand da, einen dekorativen Rosenzweig in der halb ausgestreckten Hand, dessen taubenetzte cremefarbene Blütenblätter sich an den Spitzen zu hellem Rosa verfärbten. »Was denn? Ist doch so.«

Elly seufzte. »Du steckst jede Braut in die Kategorie ›Kein Grünzeug‹. Für anspruchsvolle Frauen fehlt dir einfach das kleine Quäntchen Toleranz.«

»Wohl kaum. Sonst wäre ich ja sicher nicht mit dir befreundet, oder? Ich meine ja bloß, dass sie mir heute Vormittag schon zwei E-Mails geschickt und angefragt hat, ob ihre Rosen so richtig voll erblüht oder gerade eben erst voll erblüht sind. Und damit ist sie definitiv in der Kein-Grünzeug-Kategorie der Bräute«, erwiderte Kim.

Elly brummelte vor sich hin. Wahrscheinlich hat sie recht.

Zwei Sorten von Bräuten kamen ins Posies, ihr hochelegantes Floristikatelier. Grünzeug-Bräute waren umgängliche, in sich ruhende Mädchen vom Typ Gänseblümchen. Bräute der Kategorie »Kein Grünzeug« waren gegen Chrysanthemen, gegen Blattgrün, gegen alles.

Kim fuhr fort mit ihrer Litanei. »Wenn es nach denen ginge, würden wir allesamt Brautsträuße aus weißen Rosen mit perlmuttfarbenen Akzenten tragen. Alles umwickelt mit Weiß, und definitiv KEIN Grünzeug. Nichts, was das Bouquet irgendwie verschönern könnte.«

Die rufen auch achtmal am Tag an, um weitschweifige Diskussionen über die Ansteckblumen loszutreten, dachte Elly. Ganz schön viel Arbeit hatte man mit denen, aber Elly mochte sie trotzdem. Die meisten. Sie überlegte kurz. Na ja,ein paar.

Triumphierend und mit elegantem Schwung löste Kim auch den Rest der Blätter von der Rose und stopfte sie in den Eimer. »Dann gib du dich doch mit ihr ab!« Sie schaute zu Elly hinüber. »Mensch, du schwitzt ja mächtig.«

Elly nickte und wischte sich mit dem Ärmel übers Gesicht. »Danke! Nett, dass du mir das sagst.«

Kim, bemerkte Elly, leuchtete wie immer einfach von innen heraus. Ihre makellose Haut mit den vielen Sommersprossen strahlte Licht und Wärme aus. Im Geiste versetzte Elly ihr einen Stoß. »Na wenigstens hab ich keine Tulpenerde in den Haaren.«

In diesem Moment schlenderte Patzella, ihre andere Angestellte, in den Atelierbereich, schnappte sich ein paar Margeriten aus Ellys Eimer und verschwand wieder.

»Oh, bitte sehr, gern geschehen«, rief Elly ihr hinterher.

Patzella steckte den Kopf um die Ecke. »Gern geschehen? Was ist gern geschehen? Dass du mich meinen Job machen lässt? Soll ich mich dafür jetzt bedanken? Pff!«

Am zweiten Arbeitstag der jungen Dame hatte Kim ihr den Spitznamen »Patzella« verpasst. Und patzig war sie, also war es dabei geblieben.

Patzella marschierte nach hinten. Durch das hauchdünne T-Shirt blitzte ihr leuchtend pinker BH.

Kim verdrehte die Augen und formte tonlos mit den Lippen die Worte »Krise mit dem Freund«.

Entnervt schüttelte Elly den Kopf und ging in ihr kleines Büro, wo sie sich auf ihren ausladenden Chefsessel fallen ließ. Das feuchte blonde Haar klebte ihr im Gesicht. Es war erst April, aber schon jetzt fühlte es sich an wie der heißeste Monat, den sie je erlebt hatte. Im Hinterzimmer des Geschäfts gab es keine Klimaanlage. Ventilatoren bliesen Luft in jede nur erdenkliche Richtung. Deshalb sah ihre Frisur auch wie nach einer wilden Knutscherei aus … auch wenn jeder weiß, dass so was hier nun wirklich nicht passiert. Doch trotz der herumgewirbelten Luft sickerte ihr die Hitze unter die Haut wie eine dampfende Körperlotion. Abkühlung war einfach nicht möglich. In einem Rinnsal tröpfelte ihr der Schweiß zwischen den Brüsten hinunter. Na klasse! Busenschweiß. Es fühlte sich an, als würde sie sich in einer warmen, lebendigen Gebärmutter bewegen.

Wie oft hatte Kim gedroht, sie würde kündigen, sollte Elly nicht endlich eine Klimaanlage fürs Hinterzimmer anschaffen. Aber das waren leere Drohungen. Kim würde definitiv nicht weggehen. Dafür liebte sie die Blumen zu sehr. Genau wie Elly. Elly liebte Blumen und ihr Geschäft – ihr kleines Stückchen Himmelreich.

Der vordere Teil des Ladens war pastellgelb gestrichen, mit altweißen Akzenten, ein bisschen wie Tortendekoration aus dem Spritzbeutel. Wilder Wein schlängelte sich an Standregalen herunter, in denen sich zahllose Bücher und Magazine über Hochzeiten und Blumen aneinanderreihten. Die Sprache der Blumen, Ausgefallene Brautbouquets, Martha Stewart Weddings und andere. Ihr dunkler Kirschholzschreibtisch war aufgeräumt und übersichtlich. Darauf stand nichts weiter als ein Foto ihrer Mutter, ein Computer – eine komplizierte Maschine, die sie kaum verstand – und eine große Porzellantasse mit dem Aufdruck »Love« auf der Seite, in der ein paar Stifte steckten. Elly verzog das Gesicht über das, was hier unbestreitbar fehlte, aber die Tasse war eines der wenigen Dinge, die sie aus Georgia mitgebracht hatte. Einen besonderen Grund dafür gab es nicht. Sie liebte einfach ihre Love-Tasse. Auf ihrem Schreibtisch stand alles am rechten Fleck. Alles war schlicht und ordentlich. Und so mühelos es auch aussah, musste sie doch hart dafür arbeiten, dass es so blieb.

Rechts vom Schreibtisch gab es ein riesiges Fenster mit hölzernen Läden. Es ging auf einen winzigen Hof, der an die Wydown Street grenzte. Elly und Kim hatten sich die größte Mühe gegeben, die öde, unkrautüberwucherte Fläche zu verschönern. In den Ecken hatten sie Blumenlandschaften angelegt, hatten Rosenbüsche auf ein Podest aus Ziegelsteinen gepflanzt, wo man sitzen konnte, und weiße Lampions in die Bäume gehängt. Trotzdem wirkte immer noch alles ein bisschen … hässlich. Es würde immer ein bisschen hässlich sein, aber Elly mochte es trotzdem.

Seufzend nahm sie einen Schluck aus ihrer Wasserflasche. Sie genoss es, wie ihr die kühle Flüssigkeit die Kehle hinunterlief – allerdings leider in die Luftröhre. Keuchend rang Elly nach Atem. Gerade wenn sie sich mal sexy fühlte, geriet alles aus den Fugen. Na ja, was soll’s, hat ja sowieso keiner gesehen. Sie zuckte mit den Schultern. Wenigstens ihr Geschäft war schön. Bis unter die Decke angebrachte Halterungen für Bindebänder zierten die Wände und präsentierten einen pastellfarbenen Regenbogen von Satin. Zwei Kühler summten den ganzen Tag und verliehen allen anstehenden Projekten den unbedingt nötigen Aspekt der Dringlichkeit.

Das Atelier Posies hatte täglich eine große Bandbreite von Laufkundschaft, angefangen von älteren Damen, die in den prachtvollen Villen entlang der Straße lebten, bis hin zu verlegenen Schülern der Highschool, die eine einzelne Rose für ihre Freundin kauften. Diese Jungs waren Ellys Lieblingskunden. Davon abgesehen kamen meist Bräute. Ach, die endlos vielen Bräute!

Sie kamen herein, das Gesicht gerötet vor Aufregung über die bevorstehende Hochzeit. Sie hatten Mütter, Schwestern und Freundinnen im Schlepptau. Und sie alle hielten verschiedenste Bücher über Hochzeiten und Zeitschriftenausschnitte umklammert.

Elly pflegte ihre Kundinnen an der Tür in Empfang zu nehmen und bat sie dann, an ihrem Tisch Platz zu nehmen. Im Anschluss erging sie sich in Ausführungen über so reizende Dinge, dass die Kundinnen immer ein wenig benommen zurückblieben. Elly hatte einen großen Glastisch. Unter der Tischplatte lagen die Dankschreiben von Dutzenden von Bräuten, alle voller Hochachtung und Überschwang. Im Lauf von zwei Jahren hatte es gerade einmal eine Handvoll Bräute gegeben, denen ihre Blumen nicht gefielen – »zu erdig« war die immer gleiche Klage. Aber die überwiegende Mehrheit der bei Posies ausgestatteten Bräute liebte ihre Blumen und konnte das Geschäft gar nicht schnell genug weiterempfehlen.

Jeden Tag verbrachte Elly ein paar Minuten damit, gedankenverloren mit den Fingern über die Briefe zu fahren. Meine Bräute, meine Mädchen. Oft wurde sie für ihre Kundinnen mehr als nur die Floristin … Freundin, Vertraute, geschätzte Hochzeitsratgeberin. Diesen Teil der Arbeit liebte Elly neben der Planung am meisten. So gern wirkte sie ihre organische Magie, schuf und bündelte reine Schönheit – die der Braut bei der Überreichung regelmäßig ein entzücktes Luftschnappen entlockte. Ständig dachte sich Elly neue Kombinationen aus. Stundenlang konnte sie dasitzen und Blumensorten und Farben notieren. Auch heute trat sie genau dazu ans Schaufenster und ließ ihre Gedanken schweifen.

Das schrille Klingeln des Telefons riss Elly aus ihrer freesienverzückten Trance. Schnell trank sie einen Schluck Wasser, um sich die Kehle zu befeuchten, und nahm den Hörer ab.

»Vielen Dank für Ihren Anruf bei Posies! Sie sprechen mit Elly.« Und so verging der Tag. Beratungen, Blumenbestellungen, Abwicklung der Aufträge, Gespräche mit Kim, lautstarke Zurechtweisungen von Patzella … Alles ein fröhliches Durcheinander von Arbeit und Vergnügen.

Als gegen fünf Uhr die Hektik vorüber war, drehte Elly das Schild an der Eingangstür auf »Geschlossen« und beobachtete die Berufstätigen, die auf dem Weg nach Hause zu ihrem prachtvollen Leben in ihren prachtvollen Häusern vorbeifuhren. Mit einem friedvollen Seufzen lehnte sie den Kopf an die kühle Glasscheibe. Nie hätte Elly sich träumen lassen, dass sie einmal an diesem Punkt sein könnte. Nie hätte sie sich träumen lassen, dass sie ihr eigenes Geschäft haben würde, ihr eigenes Leben. Nicht nach der Atomsexbombe, die ihr Leben in Georgia vernichtet hatte. Der Neuanfang war schmerzlich, herzzerreißend, aber auch aufregend gewesen. Ich bin neugeboren. Ich bin gesegnet. Ich bin … echt hungrig. Pizza?

Mit plötzlich wieder großem Nachdruck schaltete Elly die Lichter aus, warf einen letzten Blick in den stillen Laden und schnalzte mit der Zunge, um Cadbury zu rufen. Dann ging sie hoch zu ihrer Wohnung. Sie schloss die Tür auf und genoss die kühle Luft der Klimaanlage. Schließlich legte sie die Schürze ab, zog sich die Hose aus und bündelte ihre Haare mit einer Spange zum Pferdeschwanz. Schnell verdrückte sie ihre selbst gemachte Pizza und ließ sich neben Cadbury auf dem Sofa nieder. Ein paar Fernsehwiederholungen später ging sie hinauf aufs Dach.

Das Dach ihres Gebäudes befand sich unmittelbar über ihrer Wohnung und war ein hundert Quadratmeter großes Paradies mit Kautschukbodenbelag. Dort standen Pflanzen in Übertöpfen, und es gab gerade genug Platz für zwei Zweisitzersofas für den Außenbereich, beide in einem schönen Terrakotta bezogen und mit pinken Kissen, in die man sich kuscheln konnte. Liebend gern kam Elly hier herauf, um nachzudenken, ein Nickerchen zu machen oder zu weinen. Entspannt in die Kissen zurückgelehnt, starrte sie nach oben, fasziniert vom Nachthimmel. Dabei gab sie sich alle Mühe, nicht an ihre Vergangenheit zu denken und sich keine Sorgen wegen der Hochzeit am nächsten Tag zu machen. Leider stieß sie mit dem Ellenbogen ans Sofa und verschüttete Rotwein über ihre nackten Beine. Sie warf die Decke zurück.

»Mist!«, schrie sie laut, und sofort fühlte sie sich nackt.

Sie sah sich um und beruhigte sich. Sie war die Einzige hier oben, die Einzige mit einer Dachterrasse, die Einzige ohne Hosen. Sie musste sich keine Sorgen machen, dass jemand sie in Unterwäsche Wein trinken sah. Und auch dabei, wie sie kurz vorher eine ganze kleine Pizza allein verschlungen hatte, war niemand Zeuge gewesen.

Ich bin allein. Immer bin ich allein. Der Gedanke erschütterte Elly. Sie lehnte sich auf dem Sofa zurück und stützte den Kopf an die Rückenlehne. Zwei lange Jahre war es her, dass sie von ihm fortgefahren war. Von ihm, dem Mann, dessen Namen sie nicht einmal mehr denken wollte. Kim hatte recht gehabt. Clayton war … okay. Ich bin okay. Elly verweilte bei dem Gedanken. Ich bin doch okay, oder? Allmählich zählte sie sehnsüchtig die Stunden, bis sie wieder zur Arbeit gehen konnte. Denn in der Nacht erwachte tief in ihr die Einsamkeit. Ein bohrender Finger presste sich ihr ans Herz und hielt ihr unbarmherzig vor, dass irgendetwas fehlte.

Kapitel Zwei

»Ich fasse es einfach nicht, dass du BIS GERADE EBEN kein Wort davon gesagt hast, dass sie einen zusätzlichen Brautjungfernstrauß bestellt hat. War dir denn nicht klar, wie wichtig das ist?« Elly schmiss die Tür des Kühlers zu und funkelte Patzella wütend an.

Das Mädchen strich sich die Haare aus den Augen und zog sich die Hose hoch, die den lavendelfarbenen Stringtanga kaum bedeckte.

»Hör mal. Tut mir echt leid. Die E-Mail kam vor einer Woche, und ich hab vergessen, das in den Vertrag zu übernehmen. Ich hab Scheiße gebaut. Ist mir schon klar.«

Elly verdrehte die Augen. »Entschuldigungen bringen uns nicht weiter. Mach’s beim nächsten Mal einfach richtig! Okay?«

Patzella nickte schmollend.

»Na schön! Hol mir ein paar von denen hier!« Schnell stellte Elly den Brautjungfernstrauß zusammen: Hellrosa Teerosen setzten sich ab von blassgrünen Hortensien, gelben Minicalla und cremefarbenen Edelwicken. Als die perfekte lockere Kuppel zusammengestellt war, band Elly sorgsam tropische Blätter unter die schwebenden Blüten und steckte sie mit Perlen fest. Sie schnappte sich ein birnengelbes Satinband und umwickelte das Bouquet, wickelte und wickelte immer weiter, bis alles fest und sicher saß. Schließlich ließ sie den Strauß in eine Vase fallen und wirbelte gerade rechtzeitig herum, um ihre launische junge Mitarbeiterin beim SMS-Schreiben zu erwischen.

»Los, an die Arbeit! Der Lieferwagen muss beladen werden!«, fauchte sie.

Patzella schlurfte gemächlich zur Tür hinaus.

Elly seufzte. Hochzeitsauslieferungen waren, egal wie gut geplant und organisiert, immer stressig. Gott steh mir bei, dachte sie, schnappte sich ihren Laufzettel und zwei Körbe für die Blumenmädchen vom Tisch und hastete zum Lieferwagen. Dort angekommen prüfte sie gemeinsam mit ihrer hormongesteuerten Angestellten die in Auftrag gegebene Lieferung.

»Ein Brautstrauß?«

»Check.«

»Vier Brautjungfernsträuße … und der zusätzliche, den du vergessen hattest?« Elly zog die Augenbrauen hoch.

»Check.«

»Ansteckblumen?«

»Check.«

»Zwanzig kleine Sträuße für die Tischdekoration?«

»Check.«

»Dann können wir also fahren?«

Patzella nickte. Sie warf Elly einen Blick zu. »Warum schwitzt du eigentlich so?«

Weil ich ein dickes Weib bin, dachte Elly. Sie ignorierte die Frage, wischte sich aber mit der Hand über die feuchte Stirn. Grundgütiger! Ich bin noch nicht mal vom Parkplatz runter und schon klatschnass. Ist es wirklich erst das erste Maiwochenende? Elly kletterte in den Wagen und schlug schwungvoll die Tür hinter sich zu.

»Und vergiss ja nicht die Abholung für die Meskes nachher um vier«, instruierte sie das Mädchen. »Ich komme nach der Hochzeit dazu.«

Patzella nickte und ging ins Geschäft zurück. Aus dem Unterhöschen, das sich als Shorts zu tarnen versuchte, schauten ihre Pobacken hervor. Darüber werde ich mit ihr reden müssen. Aber Elly wusste, dass sie es doch nicht tun würde.

Sie lenkte den Lieferwagen auf die Straße und fuhr Richtung Interstate 40. Die Klimaanlage blies ihr ins sommersprossige Gesicht. Die Hochzeit heute fand im Missouri Botanic Garden statt. Das war zwar schön und romantisch, aber Elly lieferte nur höchst ungern dorthin. Erstens war der Platz für die Trauzeremonie gefühlte hundert Meilen vom Eingang weg. Bei dem Gedanken schnaubte Elly verächtlich. Und zweitens war es im Afrikateil des Parks so heiß wie im Unterholz des echten afrikanischen Buschs. Und sie würde alles allein auf ihrer kleinen Transportkarre dorthin befördern müssen. Elly drehte das Radio lauter und versuchte, die bevorstehende traumatische Erfahrung zu verdrängen.

Als sie am Tor eintraf, wurde sie zunächst zum falschen Eingang durchgewinkt. Dort entluden die Leute vom Catering weiße Servierwagen und Platten mit gefrorenen Shrimps. Sie fuhr herum, bis sie den richtigen Eingang fand, der immer noch weit entfernt vom Ort der Trauung war.

Elly hob die erste Blumenbox heraus, in der die Bouquets für die Damen ruhten, trug sie über den Parkplatz und ins Brautzimmer. Die Braut war zum Glück noch nicht da, also holte sie die Vasen aus der Box und gönnte sich eine Minute, um die schlichte Schönheit der Arrangements zu bewundern. Der Brautstrauß bestand aus weißen Orchideen, Bischofskraut, weißen Minicalla und weißen Rosen, dazwischen als Farbakzent grüne Beeren. Abgesetzt von dem hellen Rosa, dem Grün und dem Gelb wirkten die weißen Blüten in ihrer Kristallvase umso strahlender.

Schnaufend ging Elly zum Lieferwagen zurück, warf die Box ganz nach hinten und wollte sich die Ansteckblumen der Herren greifen. Sehr zu ihrer Erleichterung standen die attraktiven jungen Männer in ihren Kakianzügen tatsächlich ganz in der Nähe der Vorhalle zum Gartenhaus.

»Ähm, ’tschuldigung. Entschuldigung mal bitte?«

Die Männer beachteten sie nicht.

»Sie da!« Elly deutete auf den Bräutigam, der sich gerade einen Schluck aus einem Flachmann gönnte.

Leicht verärgert schauten die Männer auf.

»Ich muss Ihnen die anmachen.«

Die Jungs kicherten. Auf einmal fühlte sich Elly ganz klein.

»Bitte ziehen Sie Ihr Jackett an, und kommen Sie zu mir herüber.«

Der Bräutigam schlenderte zu Elly und musterte sie mit blutunterlaufenen Augen. Sie schnappte sich sein Knopflochgesteck aus Teerosen und hielt es an das Jackett.

»Stechen Sie mich bloß nicht«, witzelte er und lehnte sich zurück.

Mit weit geöffneten Augen sah Elly zu ihm hoch. »Wissen Sie, das höre ich heute wirklich zum ALLERERSTEN Mal. Sie sind ja ein richtiger Scherzkeks!«

Elly hielt den Kopf schief. Solche Kerle konnte sie nicht ausstehen. Es waren genau diese Typen, die sie auf der Highschool wegen ihres Gewichts gehänselt hatten. Genau die Typen, die ihren eigenen Hochzeitstag nicht ernst nahmen. Die Typen, die Seitensprünge für selbstverständlich hielten.

Elly zog die Augenbrauen hoch. »Außerdem sollten Sie so kurz vor der Trauung keinen Alkohol trinken. Ihre Braut hat ein volles Jahr mit der Planung dieses Tages zugebracht. Da sollten Sie wirklich nicht betrunken sein. Die Zeremonie ist heilig.«

Das Lächeln des Bräutigams verblasste. Seine Trauzeugen starrten sie mit weit offenen Mündern an.

»Na dann!«, sagte sie nervös und tänzelte zurück zum Wagen. Also, ihr Mundwerk war manchmal wirklich ein Problem.

Elly gönnte sich einen Schluck Wasser. Dann machte sie sich daran, die Tischarrangements auf einen kleinen Karren zu laden. Die großen trompetenförmigen Glasvasen nahm sie zuerst, dann die kleinen runden Gläser mit elegant umwickeltem Liliengrün und rosafarbenen Lotusblüten. Das war die erste Ladung. Sie schob den Karren und seine empfindliche Fracht über holprigen Kies, durch den Japanischen, dann durch den Viktorianischen Garten.

Zwanzig verschwitzte Minuten später kam sie zurückgelaufen, um die zweite Fuhre der Tischdekoration zu holen. Hinten im Lieferwagen befanden sich noch Klarglasgefäße, üppig gefüllt mit überhängenden Fuchsschwanzblüten, fuchsienfarbenen Teerosen, grünen Calla, gelben Dahlien und rosafarbenen Gerbera.

Die Transportkarre war bis zum letzten Platz gefüllt mit Blumen. Zwei Arrangements musste Elly gegen die Hüfte gestemmt vorwärtsbugsieren. Und so machte sie sich erneut auf den Weg in den Afrikanischen Garten. Mitten in diesem Teil des Parks wiegten sich die Seitenteile eines prachtvollen weißen Festzelts im Wind.

Elly setzte die Tischdekorationen ab und gönnte sich einen Moment zum Luftholen. Dann machte sie sich an den Aufbau. Bauchige Gläser und Lotusblüten wurden an der Bar, am Buffet und am Tisch des Brautpaars aufgestellt. Dazwischen verteilte sie zarte weiße Windlichter. Danach waren die trompetenförmigen Vasen an der Reihe, die sie auf die fuchsienfarbenen Tischdecken setzte. Um die Vasen legte sie einzelne grüne Orchideen.

Allmählich entspannte sich Elly ein wenig und konnte das Dekorieren für diesen wunderschönen Anlass genießen. Da hörte sie eine vertraute schrille Stimme durch den Garten schallen.

»Wieso sind meine Erdbeeren mit ROSA Streuseln versehen? Wir wollten gelbe! Das haben wir GESTERN vertraglich festgelegt und Ihnen zugesandt!«

Ach du meine Güte!, dachte Elly. Die Hochzeitsplanerin ist eingetroffen. In neonrosa High Heels mit Leopardenmuster kam sie über den Rasen geschritten: Lizette Kobul, die Eigentümerin von Kobul Creations, einer der größeren Firmen für Hochzeitsplanung in St. Louis. Bräute liebten Lizette, weil sie ein Auge für Details sowie hochrangige Verbindungen hatte – und weil sie die Planung mit militärischer Herangehensweise in Angriff nahm. Allgemein gehasst wurde sie dagegen von den meisten Leuten, mit denen sie Geschäfte machte. Denn die behandelte sie wenig freundlich. Sie brüllte Befehle, machte die Leute nieder und gab Kommentare von sich, die von Verachtung für die unteren Gesellschaftsschichten nur so trieften. Unaufhörlich bedrängte sie Elly, den Posies-Bräuten Kobul Creations zu empfehlen. Aber Elly hatte ein tief sitzendes Bedürfnis, NICHT mit dieser Verrückten zusammenzuarbeiten.

Schenk mir Kraft, Herr, dachte Elly. Bitte schenk mir die Kraft, dass ich diese Person nicht ermorde!

»Ellllleeee Jordan? Sind Sie das?«, kreischte Lizette und schirmte geziert die Augen mit der Hand vor der Sonne ab. »An diesem prachtvollen runden Hintern hätte ich das gleich erkennen müssen.«

Dieses aufgesetzt vornehme Getue einer Südstaatenlady ging Elly jedes Mal auf die Nerven. Von einer Freundin aus der Hochzeitskonditorei hatte sie gehört, dass Lizette in Wirklichkeit aus Rhode Island stammte. Im Grunde wusste keiner, weshalb sie sich dieses Getue zugelegt hatte. Elly drehte sich um und wischte sich die Hände ab.

»Hallo, Lizette. Wie geht es Ihnen?«

»Ach, prächtig. Wirklich prächtig. Diese Leute sind alles Idioten, und meine Braut flippt aus. Aber mir geht es prächtig. Und wie geht es Ihnen? Die Blumen sind wunderschön, wie immer.« Sie befingerte eine der grünen Orchideen. »Ich hatte Leslie gesagt, sie sollte sich für Kleegrün entscheiden. Aber sie hat auf Limette bestanden … nach dem Treffen mit Ihnen. Ach, na ja, hübsch ist es wohl. Aber richtig schön wäre Kleegrün gewesen. Oder was meinen Sie?«

Sie schenkte Elly ein süffisantes Lächeln. »Die Tischdekoration ist ja zauberhaft. Bei der Hochzeit vergangene Woche hatten wir so etwas in der Art von Clayton Flowers. Das war unglaublich. Einfach unglaublich.«

Elly spürte die Wut in sich aufsteigen. Aber sie schluckte alles hinunter und hielt sich dazu an, die versteckten Kränkungen zu ignorieren.

»Die waren mit Sicherheit wunderschön. Clayton Flowers leistet großartige Arbeit.«

Lizette nickte und musterte Elly argwöhnisch. »Wissen Sie, Herzchen, ich frage mich immer noch, wie Sie sich so schnell mit Ihrem Geschäft einen Namen machen konnten. Beinahe von einem Tag auf den anderen ergingen sich alle in Lobeshymnen über Posies. Und dann auf einmal haben Sie ganze Wagenladungen von Hochzeiten mit Ihren …«, sie malte Anführungszeichen in die Luft, »… Ihren ›Gartendekor‹-Feiern und Ihren toskanischen Vasen, und ich begegne Ihnen andauernd. Juchhuuu!«

Als Lizette sich zur Seite wandte, verdrehte Elly verstohlen die Augen. Sie wappnete sich.

»Tja. Wir hatten großes Glück, und wir lieben unsere Bräute. Jetzt sollte ich mich aber wirklich wieder ans Dekorieren machen. Sie haben doch bestimmt auch Leute, die Sie … in Reih und Glied bringen müssen.«

Lizette musterte die Tischdekorationen. »In der Tat. Ich werde Leslie wohl fragen, ob sie die Orchideen wirklich auf die Seiten verteilt haben will oder nicht doch nur in der Mitte. Sonst wirkt es so … versprengt.«

Lizette lächelte süffisant und fauchte ihre Assistentin an, eine nervös wirkende rehäugige Brünette, die sofort zu ihr gelaufen kam. »ASHLEE! Wieso stehst du in der Gegend herum wie ein tumber Stock? Frag Leslie nach diesen Orchideen! Aber in fünf Minuten bist du wieder hier. Und bring diese Erdbeeren in die Küche zurück. Sag den Leuten, wenn sie es nicht schaffen, die Streusel in der richtigen Farbe hinzubekommen, sollen sie irgendwo Burger braten gehen, aber nicht das Catering für meine Hochzeitsfeiern übernehmen. Verstanden?«

Kurz stellte Elly sich vor, was für ein Triumph es wäre, der Hochzeitsplanerin ins Gesicht zu schlagen. Stattdessen drehte sie sich um und machte mit den Blumen weiter.

Lizette zwitscherte ihr ins Ohr: »Also dann. Tja … nett, mit Ihnen zu plaudern, Elly. Immer nur weiter so. Ach, diese Kerzen stehen ein bisschen zu dicht zusammen. Meinen Sie nicht?« Dann wirbelte sie auf ihren hochhackigen Schuhen herum und stolzierte aus dem Zelt – nicht jedoch, ohne auf dem Weg nach draußen einen Kellner anzufauchen, weil er Kaugummi kaute.

Elly holte tief Luft und beglückwünschte sich dazu, dass sie Lizette nicht geschlagen hatte. Dann widmete sie sich wieder der Arbeit und verschönerte das Zelt mit ihren Blumen.

Eine halbe Stunde später trat sie zurück und bewunderte ihr Werk. Der weiße Pavillon, ursprünglich nur schmucklose Zeltbahn, war in einen üppigen Garten verwandelt. Rosa, grün und gelb überall, ein leuchtendes Fest der Farben. Die Blumen hatten aus einem langweiligen Veranstaltungsort für eine Trauung ein Gartenparadies gemacht. Diesen Moment liebte Elly, diesen Moment, in dem sie Öde in Schönheit verwandelte, in dem tristes Leben vor ihren Augen erblühte.

Aus dem Augenwinkel sah Elly ein Blumenornament etwas zu lose im Wind flattern. Eins noch, dann hab ich’s geschafft. Die Hängeampel befand sich in der hintersten Ecke des Zelts, über dem bereits aufgebauten beeindruckenden Büfett. Essen. Mmmh … Essen. Elly schaute sich um. Die Kellner und Caterer verteilten gerade die Gläser auf den Tischen. Von Hochzeitsnazi Lizette war weit und breit nichts zu sehen.

Elly streckte eine Hand nach den Kerzen und den Orchideen aus und tat so, als wollte sie noch etwas umstellen. Mit der anderen Hand schnappte sie sich etwas Käse vom Tablett und stopfte ihn sich in den Mund. Manchego. Er war köstlich, so salzig und würzig. Elly gönnte sich einen Moment, um den Käse zu genießen und ihn sich auf der Zunge zergehen zu lassen, bevor sie die Leiter hochkletterte, um die Blumenampel zu sichern.

Schnell hatte sie auch das erledigt und lehnte sich auf der Leiter zurück, die etwas nach rechts kippelte. Elly reagierte mit einem etwas zu heftigen Hüftschwung in die andere Richtung und musste seitlich von der Leiter herunterspringen. Auf dem Weg nach unten stieß sie mit dem Hintern an die Tafel mit dem Essen. Sie landete auf den Knien, Auge in Auge mit dem Tisch. Die Käseplatte war nur Zentimeter von ihrem Kopf entfernt. Panik durchflutete sie, bis zu ihr durchdrang, dass die Tafel und alle Speisen darauf unversehrt waren. Ihr brannte das Gesicht vor Verlegenheit. Wie ist das denn bloß passiert? Oh nein, oh nein, oh nein … Durch ihre Tränen sah sie, wie zwei Leute vom Catering auf sie zugelaufen kamen. Hastig rappelte sie sich auf.

»Mir geht’s prima, Leute. Wirklich prima. Diese Leiter ist … unheimlich. Na ja. Aber mir geht’s prima. Danke für Ihre Fürsorglichkeit!« Die Leute starrten sie an. Genau in dem Moment spürte sie eine merkwürdige Wärme hinten auf der Hose.

Nein, nein, nein … hab ich mir in die Hose gemacht? HAB ICH MIR IN DIE HOSE GEMACHT??? Elly wirbelte herum. Es gelang ihr nicht, die Rückseite ihrer Hose zu erspähen. Sie wischte mit den Händen darüber. An ihren Fingern war etwas Braunes zu sehen.

Töte mich! Bitte! Töte mich auf der Stelle! O lieber Gott, fahr hernieder mit deiner mächtigen Hand …

Sie hob die Finger an die Nase. Schokolade. Das war Schokolade, was sie da roch. Sie tupfte sich etwas davon auf die Zunge. Ja. Definitiv Schokolade. In diesem Moment schaute sie auf und sah, wie eine kleine Gruppe entsetzter Kellner sie mit weit offenem Mund anstarrte. Sofort begriff sie, wie das alles aussehen musste. Sie hielt die Hand hoch und winkte verlegen.

»Ist bloß Schokolade. Keine Kacke. Ich hab mir nicht in die Hose gemacht! Bloß Schokolade. Ich muss gegen den Schokobrunnen gestoßen sein … kein Drama.«

Zwei niedliche Mädchen vom Catering rissen die Augen weit auf, schauten sich an und begannen miteinander zu flüstern. Der DJ schüttelte verärgert den Kopf. Elly brannte das Gesicht. Auf einmal war sie wieder in Georgia. Sie saß in ihrem Auto, den Kopf aufs Lenkrad gestützt. In ihrem Bauch tat sich ein Riesenloch auf, und sie ließ all die negativen Gefühle in sich hineinströmen. Auf einmal wurde Elly die Schürze eng um die Taille, ihre Beine schienen in der Caprihose noch dicker zu werden, die Haare klebten ihr an der Stirn.

Was mache ich hier bloß? Wieso hab ich nur gedacht, ich könnte das alles schaffen? Verschwunden war die hübsche, kecke Floristin. Und ungebeten hob die Frau in ihr das Haupt, die von so vielen zurückgewiesen worden war – zurückgewiesen von dem Mann, der sie doch eigentlich lieben sollte. Und sie hatte Schokolade auf der Hose, die an der Seitennaht auch noch aufgeplatzt war. Der Raum verschwamm vor ihren Augen, war nur noch ein leuchtender Strudel aus Rosa und Grün.

Tja, da wären wir mal wieder, dachte Elly und presste die Handflächen gegen die Augen. Da spürte sie eine leichte Berührung an der Schulter. Sie schaute auf. Ein älterer Herr lächelte auf sie herab. Sein fedriges weißes Haar stand in alle Richtungen ab. Seine Brille sah aus wie die von Willy Wonka aus Charlie und die Schokoladenfabrik, und er lächelte mitten in ihre Verlegenheit hinein.

»Was zum Teufel glotzt ihr denn so?«, blaffte er die gaffende Menge an. »Die Frau könnte ein Papierhandtuch brauchen! Sie da, ja, Sie mit dem Ohrring«, er wedelte mit der Hand in Richtung des punkigen DJs, »jetzt stehen Sie doch nicht so blöd da und halten Maulaffen feil. Besorgen Sie lieber ein paar Papierhandtücher!«

Der DJ brummelte etwas Unverständliches und schlich davon. Der Rest der Menge zerstreute sich leise murmelnd. Elly drehte sich zu dem Mann um, der sie vor einem sehr öffentlichen Zusammenbruch bewahrt hatte.

»Danke! Vielen, vielen Dank!« Sie hielt inne. Dann fragte sie: »Wie schlimm ist es denn?« Langsam drehte sie sich um und zeigte dem Fremden ihr schokoladenbeflecktes Hinterteil.

Das breite Lächeln des Mannes ging von einem Ohr zum anderen. »Tja, um ehrlich zu sein, sehen Sie schon so aus, als wäre Ihnen ein kleines Malheur passiert. Ein Malheur mit einem Campingklo.«

Elly lächelte. Dann kicherte sie. Und dann platzte ein schallendes Lachen aus ihrer Körpermitte und breitete sich immer weiter aus. Und ehe es Elly so recht klar wurde, liefen ihr vor Lachen die Tränen übers Gesicht. Sie hielt sich an der Schulter des älteren Herrn fest und lehnte sich an ihn, an diesen Fremden – und lachte.

Auch der ältere Herr lachte. »Hier, Herzchen, schauen Sie in den Spiegel!« Er schnappte sich einen vergoldeten Spiegel von einem der Tische.

Elly zuckte zusammen. Über den rückwärtigen Teil ihrer Caprihose breitete sich ein tellergroßer dunkler Schokoladenfleck aus. Der Fleck schimmerte im Sonnenlicht.

»Oh ja. Das ist wirklich sehr schlimm.«

Der Mann deutete auf sie. »Vielleicht könnten Sie Ihre Schürze hinten umbinden?«

Ellys Gesicht leuchtete auf. Gott sei Dank! Schwungvoll zog sie die Schürze nach hinten und bedeckte den Fleck. Sie schob sich die Ponyfransen aus der Stirn.

»Ich glaube, so geht es ganz prima. Sie haben mir heute das Leben gerettet!«

Der ältere Herr lächelte und nickte. »Nichts zu danken, Herzchen. Ich bin wegen der Hochzeit hier. Ich arbeite mit dem Vater des Bräutigams zusammen.« Großväterlich tätschelte er ihr den Kopf. »Das war definitiv der Höhepunkt meines Tages. Ich verabscheue diese Leute und ihre lächerlichen Partys.«

Und nachdem er das gesagt hatte, schlenderte ihr Schutzengel im Anzug in den Sonnenuntergang davon, gestützt von seinem Rollator.

Elly kümmerte sich um die verbleibenden Aufgaben, ohne die dicke braune Masse zu beachten, die ihr am Hintern klebte. Schnell sammelte sie ihren Abfall zusammen und lud ihn auf die Transportkarre. Noch ein prüfender Blick auf jedes einzelne Tischarrangement, hier ein Blütenblatt zurechtgezupft, da eine Hortensie umgesetzt, dann war sie fertig.

Jetzt gab es nur noch eine Sache zu erledigen: Sie musste die Braut sehen. Sie schob ihre Karre auf den Kies des Gartens hinaus und gestattete sich einen raschen letzten Blick zurück ins Zelt. Es sah sensationell aus. Ein Paradies erschaffen durch die Arbeit von Hunderten von Menschen … und mit sehr viel Geld von Daddy.

Als Elly beim Gartenhaus ankam, überprüfte sie noch einmal den Sitz der Schürze, damit der Stoff auch ja den dicken Kuhfladen auf ihrer Hose bedeckte. Dann tauchte sie ein ins Ankleidezimmer der Braut. Es sah aus, als wäre ein Brautmodengeschäft explodiert. Auf dem Boden lagen rosa High Heels und BHs verstreut. Etliche Brautjungfern, alle in blassgrünen Kleidern, plapperten aufgeregt durcheinander und vernebelten die Luft mit Haarspray. Elly bezweifelte, dass überhaupt etwas davon tatsächlich auf den Frisuren landete. Diese Frisuren waren so straff, dass sie die Augenwinkel der Mädchen hochzogen und ihnen diesen wilden, verrückten Brautjungfernlook verliehen.

Die Mutter der Braut stand beim Spiegel und veranstaltete ein großes Getue um ihre Tochter. Gerade schimpfte sie: »Ich hab denen gesagt, wir wollen die Pekannuss-Buttercreme nicht auf allen Schichten, bloß oben. Und ich schaue mir unseren Vertrag an, und da steht: ›Pekannuss-Buttercreme auf der zweiten Hälfte‹. Ist das zu fassen? Ich hoffe bloß, die Creme ist heute nicht auf der ersten Schicht …«

Leslie, die schüchterne Braut, schaute mit jeder Minute erschrockener drein, während ihre Mutter ihr an den Haaren zerrte. Elly hatte Mitleid mit ihr.

»Hi, Leslie! Ich wollte nur mal schnell gratulieren und Ihnen alles Gute wünschen.«

Leslie sprang aus ihrem Stuhl auf und warf Elly die Arme um den Hals.

»Ich danke Ihnen SO sehr. Die Blumen sind wundervoll. Ich liebe sie!«