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Von Büchern, Schotten und traumhaften Neuanfängen …
Ein Highland-Liebesroman für Fans von Wohlfühlgeschichten
Nachdem Grace überraschend die kleine Buchhandlung ihres verstorbenen Onkels im schottischen Städtchen Glenessie erbt, packt sie die Gelegenheit beim Schopf und verlässt mit ihrer fünfjährigen Tochter Ava das überfüllte und hektische London. Dort angekommen, fühlt sich Grace sofort pudelwohl – wäre da nicht der ständig schlecht gelaunte Schotte Keir, der für Grace nur verächtliche Blicke übrig hat. Obwohl beide ihr Päckchen zu tragen haben, kommen sie sich schon bald näher. Können sie ihre schmerzhafte Vergangenheit hinter sich lassen und gemeinsam einen Neuanfang wagen?
Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Titels Der kleine Buchladen zum Verlieben
Erste Leser:innenstimmen
„Feel-Good-Roman zum Träumen und Verlieben.“
„Als Fan von Buchläden und den Highlands musste ich dieses E-Book einfach lesen!“
„Berührender und dabei sehr spannender Liebesroman.“
„Wunderschöner Roman über neue Anfänge und Chancen – Herzklopfen garantiert!“
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 350
Veröffentlichungsjahr: 2023
Nachdem Grace überraschend die kleine Buchhandlung ihres verstorbenen Onkels im schottischen Städtchen Glenessie erbt, packt sie die Gelegenheit beim Schopf und verlässt mit ihrer fünfjährigen Tochter Ava das überfüllte und hektische London. Dort angekommen, fühlt sich Grace sofort pudelwohl – wäre da nicht der ständig schlecht gelaunte Schotte Keir, der für Grace nur verächtliche Blicke übrig hat. Obwohl beide ihr Päckchen zu tragen haben, kommen sie sich schon bald näher. Können sie ihre schmerzhafte Vergangenheit hinter sich lassen und gemeinsam einen Neuanfang wagen?
Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Titels Der kleine Buchladen zum Verlieben
Überarbeitete Neuausgabe Juni 2023
Copyright © 2024 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten
E-Book-ISBN: 978-3-98778-568-9 Taschenbuch-ISBN: 978-3-96817-769-4 Hörbuch-ISBN: 978-3-96817-807-3 Hörbuch-ISBN: 978-3-98778-647-1
Copyright © 2021, dp Verlag, ein Imprint der DIGITAL PUBLISHERS GmbH Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits 2021 bei dp Verlag, ein Imprint der DIGITAL PUBLISHERS GmbH erschienenen Titels Der kleine Buchladen zum Verlieben (ISBN: 978-3-96817-461-7).
Covergestaltung: ArtC.ore-Design / Wildly & Slow Photography unter Verwendung von Motiven von ShuIerstock.com: ©frescomovie ©hans engbers ©Foto2rich ©Ewelina W ©Africa Studio ©Don Pablo ©Dmytro Fomenko ©Happy Author ©Chansom Pantip ©Elena Zajchikova ©Bespaliy Lektorat: Daniela Pusch
E-Book-Version 02.08.2024, 10:59:38.
Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.
Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
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Für alle Träumer.
Dieses Buch ist der Beweis dafür, dass Träume wahr werden.
»Träume sind wahr, solange wir sie träumen, und leben wir nicht immer im Traum?«
Alfred Lord Tennyson
Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Titels Der kleine Buchladen zum Verlieben von Sophie L. Gellar. Da wir uns stets bemühen, unseren Leser:innen ansprechende Produkte zu liefern, werden Cover sowie Inhalt stets optimiert und zeitgemäß angepasst. Es freut uns, dass du dieses Buch gekauft hast. Es gibt nichts Schöneres für die Autor:innen und uns, zu sehen, dass ein beständiges Interesse an ästhetisch wertvollen Produkten besteht. Wir hoffen du hast genau so viel Spaß an dieser Neuauflage wie wir. Dein dp-Team
Arbeitslos, alleinerziehend und bald obdachlos.
Das waren meine Aussichten in der Millionenstadt London. Da war die Mitteilung, dass mein Onkel Gregory verstorben sei und mir seine Buchhandlung im schottischen Städtchen Glenessie vermacht hatte, meine einzige Chance auf einen Neuanfang.
Nun sitze ich mit nicht mehr als zwei Koffern voller Kleidung, einem winzigen Funken Hoffnung und meiner quengeligen fünfjährigen Tochter Ava im Gepäck am Flughafen von Edinburgh. Viel Zeit zu überlegen blieb mir nicht. Da es nicht schlimmer kommen konnte, habe ich Ava geschnappt und alles hinter uns gelassen. Alles bedeutet die schäbige, viel zu kleine Wohnung über einem China-Imbiss in Soho, die ich sowieso nicht mehr bezahlen konnte. Ich schätze, insgeheim war mein Vermieter glücklich, dass ich auszog und er mich nicht rausschmeißen musste.
»Grace Thompson?«
Ich reiße den Kopf herum und starre auf einen silberglänzenden SUV direkt vor mir. Aus dem Fahrerfenster schaut ein Typ mit dunkelblonden Haaren, die ihm achtlos ins Gesicht fallen. Eine Rasur würde dem auch mal guttun, denke ich. Ein Wunder, dass der Bart seinen Mund nicht überdeckt. Ob ihm wohl regelmäßig Essensreste darin hängenbleiben? Igitt, schnell an was anderes denken. An seine muskulösen, definierten Arme oder den eisernen Blick, mit dem er mich mustert.
»Das bin ich!« Als ich vom Boden aufstehe, reiße ich fast die Koffer um und Ava lacht mich aus.
»Einsteigen«, brummt der Typ, nachdem er ausgestiegen ist und den Kofferraum geöffnet hat. Mühelos hebt er unser Gepäck hinein und setzt sich dann wieder hinters Lenkrad.
»Sind Sie … Iona Murrays Enkel?«, frage ich sichtlich verwirrt, was ihm fast ein Lächeln entlockt. Aber nur fast.
»Aye, der bin ich.« Er nickt und blickt stur geradeaus, darauf wartend, dass wir endlich einsteigen.
Ich wende mich meiner Tochter zu und streiche ihr das blonde Haar, welches sie von mir hat, aus dem Gesicht. »Gleich sind wir in unserem neuen Zuhause, Schatz.«
»Endlich«, sagt sie und gähnt herzhaft.
Ich setze mich mit Ava auf die Rückbank des SUV und Mrs Murrays Enkel, der mir immer noch nicht seinen Namen verraten hat, startet den Wagen.
Bevor Ava und ich nach Schottland aufgebrochen sind, habe ich ein paar Mal mit Mrs Murray telefoniert, die, wie sich herausgestellt hat, eine Angestellte des Buchladens meines Onkels war. Mit ihr habe ich vereinbart, dass ihr Enkel uns am Flughafen in Edinburgh abholt. Nur hatte ich erwartet, dass ihr Enkel nicht so griesgrämig und … gut aussehend ist. Mrs Murray scheint ziemlich erschüttert über den Tod meines Onkels Gregory zu sein. Ihren Erzählungen zufolge arbeitet sie schon zwanzig Jahre in der Buchhandlung. So kenne ich zumindest eine Person in dem schottischen Vorstädtchen, die mir unter die Arme greifen kann. Ich habe zwar schon viele Jobs ausgeübt, aber niemals den einer Buchhändlerin. Es ist schon eine Ewigkeit her, seitdem ich das letzte Mal ein Buch in der Hand gehabt, geschweige denn gelesen habe. Seit Ava auf der Welt ist und ich mich darum kümmern muss, dass wir über die Runden kommen, bleibt dafür nicht viel Zeit.
»Haben Sie auch einen Namen?«, versuche ich die Situation auf scherzhafte Weise zu lockern.
»Hab ich.«
Wow, der Enkel scheint über einen großen Wortschatz zu verfügen. »Verraten Sie ihn mir?« Ich lächle, als er mir durch den Rückspiegel einen Blick zuwirft.
Sein Griff um das Lenkrad verstärkt sich, das erkenne ich daran, wie seine Sehnen an den Unterarmen hervortreten. Er räuspert sich leise. »Keir«, antwortet er mehr widerwillig.
»War das etwa so schwer?«, rutscht es mir heraus und ich schiebe ein unsicheres Lachen hinterher.
»Ich heiße Ava«, ruft meine Tochter dazwischen und betont dabei ihren Namen besonders lange.
Ein weiterer Blick durch den Rückspiegel, ein weiteres Räuspern, aber keine weiteren Worte seinerseits. Na gut, dann schweigen wir eben die restliche Fahrzeit, die hoffentlich nicht allzu lange dauert.
Als wir Edinburgh verlassen, fahren wir zunächst auf eine Autobahn und nach wenigen Meilen auf eine Landstraße. Die schottischen Highlands sind eine wahre Augenweide und in diesem Augenblick glaube ich das erste Mal, dass das hier ein Neustart werden könnte. Den alten Ballast zurücklassen und eine neue Zukunft schreiben, so lautet mein Motto. Ich wünsche mir, dass auch Ava glücklich wird. Sie ist schon immer ein fröhliches, aufgeschlossenes Mädchen gewesen und hat schnell Kontakte geknüpft. Ich hoffe, sie findet schnell neue Freunde.
***
Die Augen fallen mir allmählich zu, als wir nach dreißig Minuten anhalten und Keir mich ziemlich unwirsch weckt.
»Aussteigen«, raunt er, knallt die Autotür zu, um wenig später den Kofferraum aufzureißen.
Ava ist zwischenzeitlich eingeschlafen. Kein Wunder, schließlich war das ihr erster Flug und für sie ziemlich anstrengend. Ich nehme sie auf den Arm und folge Keir, der mir freundlicherweise die Tür aufhält, in ein Haus. Es riecht würzig nach Suppe und mir läuft das Wasser im Mund zusammen. Wann habe ich das letzte Mal etwas gegessen? Vor Aufregung habe ich nicht mal einen Bagel herunterbekommen, während Ava sich am Flughafen den Bauch vollgeschlagen hat. Für sie ist das ein Riesenabenteuer und ich wünsche mir, ich hätte auch etwas von ihrem Optimismus.
»Grace! Wie schön, dich endlich kennenzulernen.« Vor mir steht eine ältere Frau mit kurzen, lockigen Haaren und einem strahlenden Lächeln. Sie kommt auf mich zu und gibt mir einen Kuss auf die Wange, dann streicht sie über Avas und bedenkt sie mit einem warmen Blick. »Lass uns ins Wohnzimmer gehen, da können wir sie auf das Sofa legen. Du hast sicher Hunger, oder?«
»Und wie«, sage ich.
Nachdem Ava in eine Wolldecke eingekuschelt weiterschläft, bringt mir Mrs Murray einen Teller mit lecker duftender Suppe und eine Tasse Tee.
»Wie war euer Flug?«, fragt sie, als sie sich zu mir setzt.
»Ganz gut. Für Ava ist das alles total aufregend und sie ist wohl nicht ganz so ängstlich wie ihre Mum.« Ich lache auf.
»Die Kleinen verkraften das oft besser als man selbst«, erwidert sie.
»Danke für … einfach alles, Mrs Murray«, sage ich und schiebe einen weiteren Löffel Suppe in meinen Mund, die einfach köstlich schmeckt.
»Nenn mich bitte Iona.« Sie lächelt und ich frage mich, wie zum Henker ihr Enkel das komplette Gegenteil von ihr sein kann. Verwandtschaft hin oder her, Keir ist der unfreundlichste Mensch, der mir je untergekommen ist. Meinen Ex ausgeschlossen.
»Ehrlich gesagt, bin ich jetzt schon von allem überfordert«, meine ich. »Ich muss mich um die Buchhandlung kümmern, Ava einen Platz in der Grundschule beschaffen und nebenbei noch die Wohnung umräumen.«
»Um die Buchhandlung kümmere ich mich, du kannst derweilen alles andere klären, Grace. Ihr müsst beide erst mal ankommen, dann können wir das Geschäft eröffnen, in Ordnung?«
Ich schlucke die Suppe herunter und starre Iona verblüfft an. »Das kann ich nicht annehmen, wirklich nicht.«
Iona legt ihre Hand auf meine. »Kannst du und wirst du, Liebes. Ihr zieht mehrere hundert Meilen weg, lasst euer altes Leben zurück – glaub mir, ich weiß genau, wie es euch geht.«
»Danke«, flüstere ich.
»Ich komme ursprünglich aus Irland, bin aber der Liebe wegen nach Schottland gezogen.« Sie bemerkt meinen Blick und setzt hinzu: »Ich habe einen Schotten geheiratet, mit ihm Kinder bekommen. Wir haben ein schönes Leben geführt, bis mein Sohn bei einem Autounfall ums Leben kam und ich meinen Enkel großziehen musste. Vor wenigen Jahren verstarb mein Mann an Krebs. In all der Zeit gab mir die Buchhandlung Halt und Gregory holte mich aus dem Loch heraus. Ich bin ihm sehr dankbar.«
Es hört sich so schön und zugleich so furchtbar traurig an. Doch das Lächeln in ihrem Gesicht, als sie von ihrem Mann und ihrem Sohn spricht, verrät dass sie aus ganzem Herzen geliebt hat und geliebt wurde.
An meine eigenen Eltern habe ich keinerlei Erinnerungen mehr, sie sind ebenfalls früh bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Ich bin bei meiner Tante und meinem Onkel Gregory in London aufgewachsen und hatte eine schöne Kindheit. Selbst als sie sich trennten und Gregory nach Schottland ging, verlief alles harmonisch. Zwar hatte ich ihn nie besucht, aber wir schrieben uns regelmäßig Briefe und telefonierten. Onkel Gregory zog Briefe modernen Emails vor und tatsächlich fällt es mir bis heute schwer, elektronische Post zu verfassen. Handschriftliche Briefe haben etwas Persönliches, fast Intimes, und die Vorstellung, sie nach Jahrzehnten wieder zu öffnen, beschert mir ein wohliges Gefühl. Aber bisher habe ich nie von jemanden anderen als meinem Onkel einen Brief erhalten. Zu wissen, dass mein Briefkasten in der Zukunft leer bleiben wird, schmerzt mich.
Meine Tante Julia ist vor zwei Jahren an einem Schlaganfall gestorben, was mir immer noch ziemlich zusetzt. Sie und Onkel Gregory waren meine einzigen lebenden Verwandten, nun ist da niemand mehr. Wie eine Wunde, die niemals verheilt.
Ein Geräusch, das von dem Sofa kommt, lässt mich kurz zusammenzucken. Ich werfe einen Blick zu Ava, sie schläft jedoch seelenruhig.
»Ist, äh, Keir immer so … Wie soll ich es sagen?« Ich lege nachdenklich die Hände um die Tasse und wähle die folgenden Worte sorgfältig aus. »Ist er immer so wortkarg?«
Iona lacht herzhaft auf und schlägt sich dann die Hand vor den Mund. »Entschuldige, aber es ist einfach entzückend, wie nett du Keir umschreibst.«
»Ich meine, vielleicht hat er auch einfach seine Periode oder zu lange keine Frau mehr gehabt.« Die Worte verlassen meinen Mund, bevor ich darüber nachdenke und so bin ich diejenige, die die Hand vor den Mund schlägt.
»Er hatte es nicht immer leicht«, sagt Iona, als ein Räuspern uns zusammenschrecken lässt. Im Türrahmen steht Keir, breit und groß und ein wenig angsteinflößend. Die Haare hat er nun zu einem unordentlichen Dutt zusammengebunden, das weiße T-Shirt hebt seine Bräune hervor und die Sehnen, die bedrohlich an seinem Unterarm zucken, machen mich ganz verrückt.
Ich schlucke den Kloß, der mir im Hals hängt, hinunter. Oh Mist, habe ich das gerade ernsthaft gesagt? Und hat er es mitbekommen? Ich möchte auf der Stelle im Erdboden versinken! Okay, … an Erdboden, … an Erdboden, bitte lass mich in dich versinken.
»Wir sehen uns morgen, Iona. Dann schau ich mal, was deiner flotten Schnecke fehlt.« Er hebt zum Abschied die Hand und ist binnen weniger Sekunden in der Dunkelheit des Flurs verschwunden, einzig die Geräusche seiner schweren Stiefel sind noch zu vernehmen.
»Flotte Schnecke?«, frage ich und ziehe die Augenbrauen zusammen.
»Mein Auto. Ich nenne es liebevoll flotte Schnecke, weil es genau das Gegenteil von flott ist«, erwidert sie. »Aber ich liebe die Schrottschüssel einfach.«
Ich nicke. »Ich hoffe, er hasst mich nun nicht noch mehr als ohnehin.«
»Keir hasst die Menschen nicht, er leidet nur an seinem gebrochenen Herzen«, sagt Iona und nippt an ihrem Tee.
»Und das ist ein Grund, sich anderen gegenüber so unhöflich zu verhalten?«
»Das sollte keine Rechtfertigung sein, Grace. Ich weiß, wie er drauf sein kann und dass es nicht leicht ist, durch die harte Schale hindurchzukommen.«
»Dann ist eine Frau, die ihn aus seinem schwarzen Loch herausholt, möglicherweise das Richtige.« Ich zucke mit den Schultern.
»Dafür ist er wohl noch lange nicht bereit.«
»Das ist dein und Avas neues Reich.« Iona breitet die Arme aus und ich lasse den Blick durch die ausgebaute, renovierte Dachgeschosswohnung gleiten. »Gregory hatte nicht viel Möbel, er hat die meiste Zeit im Buchladen verbracht.«
Das sieht man. Der Esstisch, die vier Stühle, die Küchenzeile, das kleine, abgenutzte Sofa und der bücherüberladene Schreibtisch wirken vollkommen verloren in der geräumigen Wohnung. Das komplette Haus gehörte Onkel Gregory und nun mir, samt des Buchladens nebenan. Iona wohnt im Erdgeschoss, Ava und ich nun obendrüber. So muss ich mich glücklicherweise nicht darum bemühen, eine Wohnung für uns zu finden.
»Das könnte Avas Zimmer werden«, meint sie und öffnet eine Tür, die einen ungenutzten Raum offenbart. Nur vereinzelt zieren Gemälde die Wände. Wie geschaffen für meine Tochter.
»Ich glaube, das wird ihr gefallen«, bringe ich heraus.
Als wir schließlich das zweite Zimmer betreten, das über bodenlange Fenster verfügt, kann ich mir bereits vorstellen, wie ich es einrichten werde. Ein großes Bett nur für mich allein, ein überdimensionaler Kleiderschrank und ganz viele Pflanzen. Der Blick aus dem Zimmer ist überwältigend – ein kleiner, verlassener See, dahinter liegen die Highlands, auf denen schottische Hochlandrinder grasen. Wie kann ein Tag nicht gut starten, wenn man hier aufwacht und rausschaut?
***
Der Tag kann tatsächlich nicht gut starten, trotz dieser atemberaubenden Aussicht. Ein heulendes Motorengeräusch, gefolgt von einem »Mummy! Mummy!« von Ava reißen mich aus dem Schlaf. Sie hüpft neben mir auf der Matratze auf und ab, ihre Zöpfe fliegen dabei wild umher.
»Ava, bitte«, stöhne ich. »Ich bekomme noch Kopfschmerzen.«
Sie lässt sich auf das Bett plumpsen und kichert. »Machen wir Rührei? Oder Spiegelei? Lieber Rührei!«
»Schätzchen, lass mich erst mal aufstehen. Ich weiß nicht, ob wir überhaupt Eier im Haus haben. Wir müssen noch einkaufen gehen und –« Das ohrenbetäubende Geräusch eines Motors lässt mich erneut zusammenzucken und an die Decke gehen. Der erste Tag im neuen Zuhause und …
Ich bleibe wie vom Donner gerührt stehen, als ich aus den Fenstern schaue.
Keir.
Oberkörperfrei.
Der Schweiß läuft ihm über den Rücken und die Haare kleben in seinem Nacken. Er hat sich über die Motorhaube der flotten Schnecke gebeugt und greift gerade zu einem Werkzeug, wirft es wieder fluchend auf den Boden und nimmt ein anderes.
Durchatmen, Grace, durchatmen.
»Huuuuunger, Mummy!« Ava springt an mir hoch und ich muss aufpassen, dass mein Sabber nicht auf ihren Kopf tropft.
»Zieh dir erst mal neue Klamotten an, Süße, danach gibt’s Frühstück. Alles klar?« Ich gebe ihr einen Kuss auf den Mund und sie läuft fröhlich summend davon.
Als ich den Blick wieder aus dem Fenster gleiten lasse, starrt Keir mich an. Zu lange. Es wirkt fast beängstigend und unangenehm. Ich schäme mich nicht für meinen Körper, aber seinen Blick kann ich nicht einordnen. Doch ich halte ihm stand und bemerke zu spät, dass ich eine Unterhose mit Früchten darauf trage. Darüber ein weißes Trägertop, das meine aufgerichteten Brustwarzen nicht versteckt, sondern hervorhebt. Dass meine Haare ein einziges Vogelnest sind, muss ich wohl nicht erwähnen.
Als er sich wieder umdreht und weiterarbeitet, kann ich nur die Hände vors Gesicht schlagen. Auf welche Gedanken bringt mich dieser Typ nur? Dabei mag ich ihn nicht mal.
»Fertig!«, ruft Ava und betritt mein Zimmer. Sie trägt ein rosa Blümchenkleid und hat sich zwei ebenfalls rosa Spangen ins Haar gemacht. Die rosa Schühchen machen das Outfit komplett.
Ava zerrt mich aufgeregt in die Küche und ich öffne den Kühlschrank. Der Trommelwirbel in meinem Kopf setzt jedoch schneller aus als er angefangen hat. Keine Eier, keine Milch, nur ein Glas Rollmops, Gewürzgurken und Pharmaschinken.
»Ich schätze, wir müssen erst einkaufen«, sage ich, woraufhin Ava ein genervtes Geräusch von sich gibt.
Zwanzig Minuten später habe ich mich umgezogen, die Zähne geputzt und will mich mit Ava auf dem Weg zum nächsten Supermarkt machen, als der Wohnungsflur von einem köstlichen Duft erfüllt wird. Das riecht eindeutig nach Pancakes und gerade könnte ich so ziemlich alles verdrücken. Mein Magen gibt ein knurrendes Geräusch von sich, als würde er mir zustimmen.
»Los, Mummy, schneller!«, drängelt Ava und zieht an meinem T-Shirt. »Oder willst du, dass wir vor lauter Hunger umfallen?«
Ich lache auf. Immer, wenn sie vergisst zu trinken, sage ich ihr, dass das nicht gut ist. In meiner Kindheit habe ich auch immer zu wenig getrunken, was eines Sommers dazu führte, dass ich umkippte. Deshalb ist es mir wichtig, dass Ava immer genug Flüssigkeit zu sich nimmt. Das hat sie wohl auch auf das Essen übertragen und glaubt, mich immer überzeugen zu können, eine Extraportion beim Abendbrot zu bekommen.
Bevor ich jedoch etwas erwidern kann, wird die Tür zu Ionas Wohnung geöffnet und sie steht in Küchenschürze und mit einem Pfannenwender im Türrahmen.
»Guten Morgen, ihr zwei!«, begrüßt sie uns. »Kommt rein, es gibt Pancakes und dazu selbstgemachte Marmelade.« Dann beugt sie sich zu Ava herunter. »Du magst doch sicher Erdbeermarmelade, oder?«
»Ja!«, ruft sie freudestrahlend aus und flitzt an Iona vorbei in die Küche.
»Der Kühlschrank ist ziemlich leer, wir wollten erst mal einkaufen«, sage ich zu meiner Untermieterin.
»Ach, papperlapapp, das könnt ihr später auch noch machen«, meint sie und winkt mich in ihre Wohnung. »Keir will später in das nahegelegene Einkaufszentrum, da kann er dich gleich mitnehmen.«
»Sicher«, erwidere ich zähneknirschend und versuche, meinen Unmut durch ein Lächeln zu überspielen.
Eine weitere Autofahrt mit unangenehmen Schweigen und meinen erfolglosen Versuchen, eine Unterhaltung in Gang zu bringen? Darauf habe ich wenig Lust. Da ich aber noch kein Auto besitze, bin ich wohl oder übel auf Keir angewiesen. Ich setze einen weiteren Punkt auf meine To-Do-Liste: Auto kaufen. Schnellstens. Für eine alte Schrottschüssel, die fährt, müsste ich noch Geld übrighaben. Luxus wie eine Klimaanlage oder elektrische Fensterhebel kann ich mir nicht leisten und ist auch nebensächlich. Hauptsache einen fahrbaren Untersatz, mit dem ich Einkäufe erledigen und Ava zur Grundschule fahren kann.
Iona deckt den Esstisch und sie konnte sogar Ava dazu bringen, ihr zu helfen. In London haben wir immer im Wohnzimmer auf dem Sofa und am Kaffeetisch gegessen, Platz für einen Esstisch war da nicht.
»Mach es dir gemütlich, Grace«, sagt Iona. »Kaffee? Orangensaft?«
»Ein Kaffee wäre toll, danke.« Ich nehme auf einem Stuhl an dem runden Tisch Platz und Ava setzt sich neben mich.
»Für dich eine heiße Schokolade, Kleines?«
Begeistert klatscht meine Tochter in die Hände. »Ja!«
Während Iona den Kakao vorbereitet, schaue ich mich in der Wohnung um. Wohn- und Essbereich gehen ineinander über, dunkle Möbel dominieren den Raum, lassen es aber nicht erdrückend wirken. Große Gemälde und vereinzelte Bücherregale schmücken die Wände, was sehr gemütlich wirkt. Auch der kleine Ofen im Wohnzimmer macht es romantisch.
Gerade bekommt Ava die heiße Schokolade serviert und Iona wendet den letzten Pancake auf dem Herd, da wird die Tür aufgerissen.
»Morgen«, brummt Keir, der sich ein T-Shirt übergezogen hat und das nun an seinem Oberkörper klebt. »Deine Schnecke läuft wieder.«
»Danke, Liebling.« Iona gibt ihrem Enkel einen Kuss auf die Wange, den er nur widerwillig zulässt.
Dann setzt er sich gegenüber von Ava, die ihn mit großen Augen betrachtet. »Du bist ja riesig«, sagt sie und kichert.
Keir nickt. »Vielleicht wirst du eines Tages auch so groß«, antwortet er und für eine Millisekunde hellt sich sein Gesichtsausdruck auf.
Er kann tatsächlich lächeln. Na ja, wenn man das als Lächeln bezeichnen kann. Jedenfalls haben sich seine Mundwinkel ein kleines bisschen nach oben bewegt.
»Dann wäre ich das größte Mädchen auf der ganzen Welt«, gibt Ava erstaunt zurück.
»Du bist schon jetzt für mich das größte Mädchen auf der ganzen Welt«, sage ich zu ihr und küsse sie auf die Stirn. Dabei spüre ich Keirs Blick auf mir, doch als ich mich zu ihm umdrehe, schaut er sofort weg.
Gemeinsam sitzen wir am Tisch, essen Pancakes mit Ionas selbstgemachter Erdbeer-Marmelade, aber am Gespräch beteiligt sich Keir gar nicht. Stets die Augen auf seinen Teller gerichtet, isst er und trinkt den Kaffee in wenigen Zügen leer. Er sieht mich kein weiteres Mal an und auch meine Blicke ignoriert er. Na gut, anscheinend kann er mich nicht leiden, hat keine Lust, sich zu unterhalten oder spricht allgemein nicht gerne. Komischer Typ. Das Lächeln steht ihm besser als der ständig grimmige Blick.
Nachdem er mehrere Pancakes vertilgt hat, stellt er seinen Teller und die Tasse in die Spüle, will gerade zur Tür hinaus, als Iona sagt: »Ach, Keir, sei so lieb und nimm später Grace mit zum Einkaufszentrum. Sie braucht ein paar Sachen, wie du weißt, hat Gregory nicht viel Zeit in seiner Wohnung verbracht.«
Mit dem Arm stützt er sich am Türrahmen ab, bedenkt mich mit einem ausdruckslosen Blick. »In einer Stunde?«
Ich nicke, er nickt ebenfalls und verschwindet nach draußen.
Unangenehmes Schweigen wäre zu nett ausgedrückt. Nicht einmal das Radio läuft und da ich mit Ava auf der Rückbank sitze, komme ich mit dem Arm auch nicht an den Anschaltknopf. Wobei es noch unbehaglicher wäre, direkt neben ihm zu sitzen.
Dann sitze ich lieber mit meiner Tochter hinten und spiele mit ihr Ich sehe was, was du nicht siehst. Er verzieht nicht eine Miene, als wir vor uns her kichern und Ava mit Argusaugen ein Hochlandrind dabei beobachtet, wie es … nun ja, das große Geschäft verrichtet. Sie findet das zum Schießen, nur Keir scheint das überhaupt nicht zu jucken.
Nach geschlagenen fünfundvierzig Minuten erreichen wir das Einkaufszentrum, das so riesig ist, dass es bestimmt eine eigene Postleitzahl hat. Überall wuseln Menschen herum und im Inneren duftet es nach leckerem Essen.
Keir schiebt den Einkaufswagen, bleibt dann plötzlich abrupt stehen. »Was brauchst du?«
»Äh … «, sage ich dümmlich, weil ich nicht darauf vorbereitet war, dass er auf einmal anfängt zu sprechen. »Moment … « Ich krame in meiner Jackentasche und ziehe einen Zettel heraus. »Wir brauchen … «
»Eine Liste?« Er zieht spöttisch eine Augenbraue noch oben.
»Was dagegen?«, erwidere ich nicht weniger schnippisch, woraufhin er abwehrend die Hände vor sich hält.
»Also?« Der genervte Unterton in seiner Stimme entgeht mir nicht und dann verdreht er noch die Augen.
Dieser eingebildete Vollidiot! Was bildet der sich eigentlich ein?
»Wenn du es schon so grausam findest, mit meiner Tochter und mir einkaufen zu gehen, wieso hast du dann zugestimmt?«, fahre ich ihn an und vereinzelt drehen sich Köpfe zu uns um, was mir aber piepegal ist. »Gib doch einfach zu, dass du keinen Bock hast!«
Sein Blick fixiert mich auf wieder mal unangenehme Art und Weise. Und dann tut er etwas, das ich nicht für möglich gehalten habe. »Okay.« Er lässt den Einkaufswagen los, der gegen meinen Bauch stößt, und läuft Richtung Ausgang.
Er geht.
Er tut es wirklich!
Er sieht sich nicht um und bevor ich kapiere, was ich da mache, renne ich ihm hinterher. »Keir, bleib stehen!«, rufe ich. »Bleib stehen!«
Und er bleibt tatsächlich stehen. Doch so unerwartet, dass ich gegen ihn stoße und er mich noch rechtzeitig auffangen kann. Seine Finger legen sich um meinen Arm und sie fühlen sich so warm, so stark an. Die Berührung ist ebenso unerwartet, aber tausendmal schöner.
Wir sehen uns in die Augen und in diesem Moment weicht der ausdruckslose Blick aus seinen. Sie glänzen ein wenig und das erste Mal lässt Keir durchblicken, dass er kein Mann ohne Gefühle ist. Ich erkenne sein gebrochenes Herz, das immer noch frisch und nicht verheilt ist.
Doch als er seine Hand von meinem Arm nimmt, ist der Augenblick vorbei und Keir wieder so starr und gleichgültig wie zuvor.
»Was ist?«, raunt er.
»Ich … es tut mir leid, Keir«, sage ich. »Ich muss noch so viel erledigen. In der Grundschule für Ava anrufen, ein Auto, damit ich dich nicht weiter behelligen muss, den Kühlschrank füllen und … «
»Ein Auto?«
»Ja.«
»Das ist das kleinste Problem.«
Ich ziehe eine Augenbraue hoch. »Ach ja?«
»Komm morgen in meiner Werkstatt vorbei, sie liegt wenige Meter neben dem Buchladen.« Dann greift er nach dem Einkaufswagen, hebt den Zettel vom Boden auf und Ava trottet ihm lächelnd hinterher.
Was war das denn gerade? Hat Keir mir ernsthaft seine Hilfe angeboten? Und meine Entschuldigung angenommen? Und was war das, als er mich berührt hat? Schon viel zu lange habe ich so etwas nicht mehr gespürt. Ich bin einfach zu anfällig, daran liegt es. Ich bin eine erwachsene, alleinerziehende, unabhängige Frau. Ich brauche keinen Mann. Weder in meiner Küche noch in meinem Bett. Probleme kann ich nicht gebrauchen und genau die machen Männer.
»Wunderbar, vielen Dank. Dann sehen wir uns morgen um zehn Uhr. Ja, Ava freut sich schon sehr.« Ich lege das Telefon auf und atme tief durch. Ein weiterer Punkt auf meiner To-Do-Liste ist abgehakt – morgen melde ich meine Tochter in der Grundschule an und in wenigen Wochen geht’s los.
Die gestrige Einkaufstour mit Keir war schließlich doch noch ganz nett, auch wenn er nicht sehr gesprächig war. Mit Ava scheint er sich jedenfalls besser zu verstehen als mit mir. Sie konnte ihn sogar ein oder zweimal zum Lächeln bringen. Gerade hilft sie Iona im Garten, die beiden verstehen sich großartig und ich glaube, Ava sieht so was wie eine Oma in ihr. Iona scheint es aber zu genießen, daher lasse ich den beiden ihren Spaß.
Ich ziehe mir noch schnell ein frisches Oberteil an, bürste die Haare durch und verabschiede mich dann von den beiden Gärtnerinnen. »Bis später und wünscht mir viel Glück, dass ich ein Auto finde!«
»Daumen sind gedrückt!«, ruft Iona zurück und winkt mir mit einer Harke zu.
Als ich nach einigen Metern Fußweg die Werkstatt von Keir erreiche, schallt mir lauter Punk-Rock entgegen. Einen schlechten Geschmack hat er allerdings nicht. Wenn man als Jugendliche in London wohnt, verbringt man die Wochenenden meistens auf Konzerten. Hauptsache laut und zum Mittanzen.
Ich trete in die große, geräumige Werkstatt ein, deren Wände mit Postern von Bands und Musikern der vergangenen Jahrzehnte plakatiert sind. Mehrere Autos stehen herum, die Stoßstange beschädigt, Fensterscheiben eingeschlagen, platte Reifen oder sonstige Schäden. Zwischen einem roten Geländewagen mache ich Keir ausfindig oder zumindest seine Beine. Denn er hantiert unter dem Wagen herum.
Bevor ich weiter unschlüssig herumstehe, klopfe ich auf die Motorhaube und Keir krabbelt unter der Karosserie hervor. Seinen Gesichtsausdruck kann ich nicht deuten. Ist er erfreut, mich zu sehen, oder geht es ihm gegen den Strich? Ich habe mich ihm ja nicht aufgedrängt, er hat mir gestern angeboten, bei ihm nach einem Auto zum Kauf zu schauen.
»Also, was für einen Wagen hast du dir vorgestellt? Was großes oder kleines?«, fragt er ohne Umschweife.
Ich ziehe eine Augenbraue nach oben. »Wie wär’s mal mit einem Hallo? Oder einem Schön, dich zu sehen? Wobei das wohl eine Lüge aus deinem Mund wäre«, platzt es mir heraus und ich verschränke die Arme vor der Brust.
Keir fährt sich mit der Hand durch den Bart, ohne den Blick von mir abzuwenden. »Woher willst du wissen, was in meinem Kopf vorgeht? Vielleicht freut es mich ja, dich zu sehen?«
»Ja klar«, gebe ich schnippisch zurück.
»Nennst du mich etwa einen Lügner?« Er wischt sich mit einem Handtuch über das schweißnasse Gesicht und das Funkeln in seinen Augen verrät mir, dass er mich wohl auf den Arm nimmt.
Ich komme auf ihn zu, lasse meinen Blick über ihn gleiten und fühle ein Verlangen, das mir in den letzten Jahren fremd geworden ist. Scheiße ja, er sieht gut aus. Sein trainierter Körper, die starken Arme und die Haare, die ihm auf der Stirn kleben. Und die Tatsache, dass wir allein in der Werkstatt sind, lässt mein Kopfkino zur Höchstform auflaufen.
»Was ist nun? Groß oder klein?« Keirs Stimme reißt mich aus meinen Gedanken.
Ich beiße mir auf die Lippe, um den zweideutigen Kommentar herunterzuschlucken, der mir auf der Zunge liegt. »Gibt’s auch die Variante günstig?«
Ein Grinsen umspielt seine Lippen und er deutet mir, ihm zu folgen. Im Hinterhof der Werkstatt stehen noch mehr Autos und Keir zeigt auf einen Ford. Es glänzt silberfarben und hat sogar ein Dachfenster. »Baujahr 2001, keine Klimaanlage, dafür ein Dachfenster, läuft noch spitze.« Er öffnet die Fahrertür und ich nehme auf dem Autositz Platz. Ein Lenkrad, Gas- und Bremspedal sind vorhanden, alles in allem ein fahrbarer Untersatz.
»Wie viel?«, frage ich.
»Gib mir dreihundert.«
»Dreihundert was?« Ich starre ihn an. Das kann er unmöglich ernst meinen.
»Pfund, was sonst?«
»Bist du dir sicher?«
Er runzelt die Stirn. »Ganz sicher.«
»Aber … wieso?«
»Du brauchst dringend ein Auto und ich helfe dir.«
»Das ist zwar immer noch keine richtige Antwort auf meine Frage, aber bevor du es dir anders überlegst«, entgegne ich schulterzuckend.
»Gut.« Dann dreht er sich um und ich muss fast rennen, um mit ihm Schritt zu halten. Als wir in einem Büro ankommen, bin ich etwas außer Atem. Keir setzt sich an den Schreibtisch, tippt auf dem Rechner herum und legt mir dann einen Kaufvertrag vor.
Es sind tatsächlich nur dreihundert Pfund. Ich kann mein Glück kaum fassen. Ob er mir das Auto wirklich so günstig verkauft, um mir zu helfen, werde ich wohl nie erfahren.
Ich setze meine Unterschrift darunter und Keir überreicht mir eine Kopie des Kaufvertrags. Dabei fällt mir ein Bild auf, das auf dem Tisch steht. Es zeigt eine Frau, schätzungsweise in meinem Alter, mit blonden Locken und einem strahlenden Lächeln. Sie ist die Art klassische Schönheit, an der selbst ein Kartoffelsack gut aussehen würde. Auf ihrem Schoß sitzt ein kleines Mädchen mit denselben blonden Locken und einem Lächeln, das eine Zahnlücke entblößt.
»Deine Familie?«, frage ich.
Keir nickt.
»Wie heißt deine Tochter? Vielleicht können Ava und sie mal zusammen spielen.«
»Maisie … Ihr Name war Maisie«, antwortet er tonlos.
War.
Ihr Name war.
Keir steht auf, scheucht mich aus seinem Büro. »Ich muss jetzt weiter arbeiten … «
Ich übersehe eine Stufe und sehe mich bereits auf dem kalten Boden aufschlagen, als Keir mich noch rechtzeitig auffängt. Seine Finger schließen sich um meinen Arm und er zieht mich an sich heran. Wir sind uns so nahe, sein Duft steigt mir in die Nase und ich kann seinen Atem rasseln hören. Sein Blick bohrt sich in meinen und wieder ist da diese unheimliche Spannung zwischen uns. Als wäre ihm die Berührung zuwider, als würde er nur darauf warten, mich endlich loslassen zu können. Und doch fühlt es sich so an, als würde er die Berührung brauchen und daraus Kraft saugen.
Dieser Mann ist voller Geheimnisse, voller Rätsel, so undurchschaubar.
»Keir«, wispere ich.
»Geh jetzt, Grace«, erwidert er harsch. »Ich mache das Auto noch sauber, morgen kannst du es abholen.«
Benommen und mit dem Vertrag in der Hand stolpere ich aus der Werkstatt. Dann höre ich wie Glas zerbricht und kurz darauf Keirs fluchende Stimme. Doch ich sehe nicht zurück, stattdessen laufe ich so schnell wie mich meine Beine tragen.
Verdammt, was war das denn? Habe ich einen Nerv bei ihm getroffen?
Als ich mit zitternden Händen die Tür zum Wohnungsflur öffne, höre ich bereits Ava trällern und finde sie mit Iona im Wohnzimmer wieder. Sie sitzen gemütlich auf der Couch, schlürfen Eistee und essen Kuchen.
»Mummy!« Ava springt mir in die Arme und ich wirble sie in der Luft herum.
»Na Liebes, wie war es?«, fragt mich Iona und deutet auf einen freien Platz auf dem Sofa. »Eistee? Kuchen?«
»Gerne.« Nach dem, wie meist, aufreibenden Gespräch mit Keir, habe ich mir das verdient.
»Und, hast du bei Keir gefunden, was du gesucht hast?«
»Ja, einen Ford, er ist klein und fahrtüchtig und perfekt. Er hat mir einen sehr guten Preis gemacht.« Ich schiebe mir eine Gabel mit einem Stück Kuchen in den Mund und seufze genüsslich.
»Das freut mich«, entgegnet Iona. »Bist du bereit für deinen ersten Arbeitstag morgen im Buchladen?«
Stimmt, der Buchladen meines Onkels … Ob ich es hinbekommen werde, ein Geschäft zu führen? Ich habe schon Probleme dabei, eine Einkaufsliste aufzusetzen und rechtzeitig tanken zu gehen.
»Klar«, antworte ich wenig überzeugend.
Iona legt mir beschwichtigend die Hand auf den Oberschenkel. »Das wird schon, Grace.«
Ich hoffe inständig, dass sie recht behält. Denn falls nicht, gibt mir das Leben sicherlich keine weitere zweite Chance.
***
Das erste Mal betrete ich die Buchhandlung von Onkel Gregory. Unzählige dunkle Bücherregale reihen sich an den Wänden, dazwischen Tische mit Buchempfehlungen und gemütliche Sessel, die zum Verweilen in fiktionalen Welten einladen. Es wirkt urig und gemütlich und erinnert mich an das Reihenhaus, in dem ich mit meiner Tante und meinem Onkel in London gelebt hatte. Auch da hatten dunkle Möbel und vollgestopfte Bücherregale dominiert. Onkel Gregory hatte, egal wo wir hingingen, immer ein Buch dabei.
»Was gibt es Besseres, als sich lästiges Warten in fiktionalen Welten zu vertreiben?«, hatte er stets gesagt und mir zugelächelt.
Und tatsächlich hatte er recht. Als Jugendliche hatte ich deshalb fortan ein Buch dabei, falls ich auf den Bus oder im Arztzimmer warten musste. Ich hatte sogar einmal im Matheunterricht eins gelesen, was mir ziemlichen Ärger einbrockte, und weshalb mein Onkel sogar zum Direktor musste. Statt mich aber zu rügen, hatte er nur über die Beschwerde des Direktors geschmunzelt und mir beim Hinausgehen aus seinem Büro »Das hast du gut gemacht« zugeflüstert.
Die vielen Erinnerungen lassen mir unwillkürlich die Tränen in die Augen schießen.
»Du vermisst ihn auch, stimmt’s?«, sagt Iona und legt mir den Arm um die Schulter.
»Meine Eltern sind früh gestorben und ich bin bei Gregory und meiner Tante aufgewachsen«, erzähle ich. »Sie haben alles für mich getan. Jetzt habe ich niemanden mehr.«
»Du hast die Buchhandlung, etwas Schöneres hätte Gregory für dich nicht zurücklassen können. Und du hast Ava und mich und na ja, Keir. Auch wenn er das vielleicht nicht ganz so sieht.« Sie lächelt und auch auf meinem Gesicht bildet sich ein kleines, aber feines Lächeln.
Mit den Fingerspitzen fahre ich über die Buchrücken in den Regalen und frage mich, was das letzte Buch war, das ich gelesen habe. So sehr ich auch versuche, mich an einen Buchtitel zu erinnern, mir fällt einfach keiner ein. Gott, ist es etwa schon so lange her, dass ich gelesen habe? Was Onkel Gregory wohl dazu sagen würde? Vermutlich würde er mir einen Stapel Literatur kaufen und einen Buchclub mit mir eröffnen. Bei der Vorstellung daran muss ich fast lachen, denn es kam tatsächlich häufig vor, dass er und ich uns über etwas Gelesenes austauschten.
»Was ist das denn?«, frage ich und deute auf einen überladenen Tisch zwischen zwei Ohrensesseln. Auf ihm stapeln sich unzählige Souvenirs, von denen ich nicht einmal von der Hälfte weiß, was sie sind. »Ist die Tischdecke etwa ein … Kilt?«
»Richtig«, erwidert Iona. »Auch wenn dein Onkel ein waschechter Londoner war, hat er die schottische Kultur sehr verehrt. Sind dir schon die Vorhänge an den Fenstern aufgefallen?«
Mein Blick gleitet an die Fenster, die von Tartanmustern geschmückt werden. »Und das, obwohl England und Schottland nicht unbedingt eine rosige Vergangenheit haben.«
Ein Schmunzeln umspielt Ionas Mundwinkel. »Seltsam, oder? Die Muster und Farben stehen übrigens für die verschiedenen schottischen Clans.«
Ich streiche über den Stoff und betrachte ihn näher. Er ist größtenteils rot mit dicken grünen und blauen sowie dünnen weißen Streifen. »Und zu wessen Clan gehört dieser?«
»Der steht für den Fraser-Clan«, erklärt sie mir. »Am ehesten kennt man ihn aus den Zeitreise-Büchern von Diana Gabaldon.«
»Hab ich leider noch nicht gelesen.«
»Dafür muss man sich auch Zeit nehmen, das sind ganz schön dicke Schinken.«
Für dicke Schinken werde ich wohl in den nächsten Monaten keine Muße haben. Mich hier einzuarbeiten, wird vermutlich eine ziemliche Herausforderung. Kurz kommen mir Zweifel auf und ich bin selbst verwundert, London über Nacht und Nebel verlassen zu haben. Aber ich hatte ja nichts zu verlieren – außer einem penetrant nervenden Ex-Freund, der sich nicht an die Beschlusse des Gerichts halten wollte. Mehrere hundert Meilen zwischen uns zu bringen, schien mir der letzte Ausweg zu sein.
»Ich schätze, da muss ich mich noch in schottischer Kultur einarbeiten«, meine ich, den Blick auf die vielen Souvenirs gerichtet. »Ich habe nämlich keinen blassen Schimmer, was das alles sein soll.«
Iona deutet mit dem Finger auf einen Comic. »Das hier ist der wohl beliebteste schottische Comic, Oor Wullie, und wird uns von den Kindern noch heute aus den Händen gerissen, auch wenn er über achtzig Jahre alt ist.«
Ich greife nach dem Comic, blättere darin herum und runzle die Stirn. »Ist das in einer anderen Sprache?«
»Nein«, sie lacht auf, »das sind schottische Slangs. Keine Sorge, die lernst du noch schnell genug in Glenessie.«
Da bin ich mir nicht so sicher. Ich wage es nicht einmal, die Ausdrücke auszusprechen, da es sich bei mir wahrscheinlich anhört, als hätte ich einen Sprachfehler.
»Ob man mich hier als Londonerin überhaupt akzeptieren wird?«, murmle ich, während ich in einen Korb orangefarbener Getränkedosen greife.
»Vor den Leuten in Glenessie brauchst du dich nicht fürchten, Liebes. Du bist Gregorys Nichte, sie werden dich mit offenen Armen empfangen«, muntert Iona mich auf. »Das ist Irn-Bru, es ist sozusagen ein Nationalgetränk in Schottland. Probier ruhig, wenn du möchtest.«
Die Dose öffnet sich mit einem leisen Klacken und kaum setze ich sie an meine Lippen an, benetzt die grellorange Flüssigkeit meine Zunge. Es schmeckt süßlich und erinnert mich an Kaugummi. »Gar nicht mal so schlecht.«
»Und das hier sind Postkarten mit Motiven bekannter Künstler aus der Umgebung, auch ein beliebtes Mitbringsel für Touristen«, fährt sie fort. »Schottischer Whisky und Gin dürfen natürlich auch nicht fehlen, dein Onkel hat den Abend gerne mal mit einem Glas davon ausklingen lassen.«
»Und einem Buch?«
Sie nickt wissend. »Und einem Buch. Ohne hat man Gregory fast nie angetroffen.«
Ein Lächeln stiehlt sich auf unsere Gesichter und für einen Moment scheinen wir beide in Erinnerungen zu schwelgen. Ich hätte mir niemand besseres als Iona vorstellen können, die mich hier aufnimmt und mir zeigt, wie alles läuft. Sie war die gute Seele der Buchhandlung und wird es immer bleiben.
»Das wohl ulkigste Mitbringsel sind aber die Tartan Brollys«, sagt Iona schließlich. »Es sind Regenschirme in verschiedenen Tartanmustern, schottischen Flaggen oder Scotty-Hunden. Du musst wissen, das schottische Wetter ist unberechenbar und man erlebt häufig alle vier Jahreszeiten an einem Tag.«
»Da kann man ja glatt ein Buch über die schottische Kultur schreiben«, merke ich an.
»Das hatte dein Onkel tatsächlich vor, aber dazu kam er leider nicht mehr.« Gedankenverloren berühren ihre Finger den Kilt des Fraser-Clans. »Nun will ich dir aber zeigen, wie das Kassensystem funktioniert. Das ist kein Hexenwerk und wirst du im Handumdrehen hinbekommen.«
Ich hoffe, dass Iona recht behält, denn Zahlen sind nicht meine Stärke. Ich bin froh, wenn ich den Inhalt meines Wocheneinkaufs einigermaßen richtig überschlage.
Die Kasse, die auf einem abgenutzten Tresen mit weiteren Souvenirs steht, ist bestimmt hundert Jahre alt. Sie ist weinrot mit goldenen Akzenten und sieht, trotz einiger Beschädigungen, hochwertig aus. Ich traue mich kaum, sie anzufassen.
»Dein Onkel war modernen Sachen eher abgeneigt«, setzt Iona an. »Obwohl es einfacher gewesen wäre, sich ein elektronisches Kassensystem anzulegen, hat er lieber die Preise eigenhändig eingetippt.«
Ohje, mir schwant Übles. Bei meinen Rechenfertigkeiten wird die Buchhandlung schneller rote Zahlen schreiben als ich hier angekommen bin. Mein Gesichtsausdruck spricht wohl Bände.
»Keine Sorge, ein Taschenrechner liegt immer bereit.« Aus einer Schublade unter der Kasse zieht sie einen deutlich abgenutzten Taschenrechner hervor.
»Da bin ich beruhigt.«
Dann zeigt sie mir, wie ich den Preis eintippe und die Kasse sich mit einem lauten Pling öffnet und ich das Restgeld herausgebe. »Für jeden verkauften Artikel schreibst du hier eine Rechnung und heftest sie in den Ordner ein.«
»Klingt machbar«, sage ich, nachdem ich selbst den Preis mehrerer Artikel eingetippt habe und den Dreh raushabe. »Wird die Buchhandlung häufig besucht?«
»Allzu viele Touristen verschlägt es nicht in unser beschauliches Städtchen, aber hin und wieder verirren sich welche hierher«, erzählt mir Iona. »Die kaufen fast die ganzen Souvenirs leer, dein Onkel hatte da ein gutes Gespür. Als er mir von seiner Idee erzählte, neben den Büchern auch Souvenirs verkaufen zu wollen, glaubte ich nicht daran, dass wir die loswerden. Und nun muss ich im Sommer alle zwei Monate welche nachbestellen.«
»Und die Bewohner von Glenessie? Lassen die sich hier sehen?«, frage ich.
»Die meisten sind Stammkunden, aber auch mit Bestellungen für Schulbücher zum Schulbeginn kommt Geld in die Kasse.«
Ich nicke und merke, wie sich mein Kopf mehr und mehr mit Informationen füllt. Als ich auf die Uhr blicke und mir bewusst wird, dass wir bereits eine ganze Weile im Buchladen sind. Ava! Ich hatte ihr versprochen, dass ich nicht länger als zwei Stunden wegbliebe und sie versicherte mir hoch und heilig, ich könne sie alleine lassen.
»Iona hat soooo viele Puppen, mit denen ich spielen kann«, hatte sie mit einem Strahlen in ihren blauen Augen gesagt, dem nicht einmal Keir hätte widerstehen können.
Das war aber schon über zwei Stunden her und ich war es in London nicht gewohnt, meine Tochter alleine lassen zu können. Ständig läuteten Postboten, Vertreter, die einem etwas aufschwatzen wollen, oder aber Väter, die damit drohen, einem das Kind wegnehmen zu wollen.