Der Kommodore - C. S. Forester - E-Book

Der Kommodore E-Book

C. S. Forester

0,0
7,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Der Klassiker unter den Seefahrerepen: Horatio Hornblowers achtes Abenteuer. In der sturmumtosten Ostsee muss der Kommodore Hornblower gleich an zwei Fronten kämpfen: Durch geschickte Diplomatie gelingt es ihm, den russischen Zaren davon zu überzeugen, an der Seite Englands gegen Frankreich in den Krieg zu ziehen. Als aber Riga von Napoleons Truppen belagert wird und es zur unerbittlichen Schlacht kommt, ist es für Hornblower alles andere als sicher, ob auf das Wort des Zaren Verlass ist. Der achte Band der berühmten Romanserie um Horatio Hornblower, einem Meilenstein der maritimen Literatur, ist ein großes Seeabenteuer und ein Lesevergnügen, das bereits Generationen von Lesern begeistert hat.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 551

Veröffentlichungsjahr: 2012

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Cecil Scott Forester

Der Kommodore

Horatio Hornblower Band 8

Aus dem Englischen von Eugen von Beulwitz

Mit Illustrationen von Samuel H. Bryant

Fischer e-books

1GUTSHERR VON SMALLBRIDGE

Kapitän Horatio Hornblower saß in seiner Sitzbadewanne und betrachtete angewidert seine über den Rand hängenden Beine. Sie waren dünn und behaart und erinnerten ihn an die Beine der Spinnen, die er in Mittelamerika gesehen hatte. Es fiel ihm schwer, seinen Gedanken eine andere, erfreulichere Richtung zu geben, während er in dieser lächerlichen Badewanne saß und seine Beine so aufdringlich dicht vor der Nase hatte – sie hingen unten heraus, oben ragte sein Oberkörper aus dem Wasser, so daß eigentlich nur die Mitte von den Hüften bis oberhalb der Knie eingetaucht war. Dabei mußte man sich fast wie ein Taschenmesser zusammenklappen. Hornblower fand es aufreizend, auf diese Weise baden zu müssen, wollte aber seiner Gereiztheit nicht nachgeben. Nicht mehr denken! Keine Vergleiche mehr mit den unzähligen herrlichen Bädern an Bord, wo ihn die Deckwaschpumpe mit unbegrenzten Mengen erfrischenden Seewassers übersprudelt hatte! Er griff zu Seife und Waschlappen und seifte heftig die über Wasser befindlichen Teile seines Körpers ab. Dabei schwappte eine Menge über und spritzte auf die gebohnerten eichenen Dielen seines Ankleidezimmers. Nicht schön für das Dienstmädchen! Nun, wenn schon – in seiner augenblicklichen Stimmung fand Hornblower geradezu einen Genuß darin, anderen Unannehmlichkeiten zu bereiten.

Ungeschickt stand er in seiner Badewanne auf und spritzte dabei wieder nach allen Seiten um sich. Er seifte und wusch noch die Körpermitte; dann rief er nach Brown, der sofort aus dem Schlafzimmer erschien. Ein Diener mit größerer Erfahrung hätte vielleicht die Laune seines Herrn erraten und in diesem Fall eine oder zwei Sekunden gezögert, um ihm Gelegenheit zu einem herzhaften Donnerwetter zu geben. Brown legte Hornblower ein angewärmtes Handtuch um die Schultern und verhinderte geschickt, daß die Zipfel eintauchten, als sein Herr nun aus dem schmutzigen Seifenwasser herausstieg und unter Hinterlassung einer Spur von Tropfen und nassen Fußtapfen durchs Zimmer schritt.

Hornblower trocknete sich ab und starrte dabei finsteren Blicks ins Schlafzimmer hinüber auf den Anzug, den Brown dort für ihn bereitgelegt hatte.

»Herrlicher Morgen, Sir«, bemerkte Brown.

»Rutsch mir den Buckel herunter!« erwiderte Hornblower. Jetzt mußte er sich in diese verfluchten braun-blauen Klamotten und in die Lackstiefel hineinzwängen und dazu den dummen goldenen Uhranhänger tragen. Er hatte den Anzug noch nie angehabt, schon bei der Anprobe war er ihm zuwider gewesen. Seine Frau war begeistert, aber das verschlug nichts, ihm, Hornblower, war dieses Zeug nun einmal ein Greuel, und daran konnte sich seiner Lebtage nichts ändern. Es half nichts – er mußte hinein! Sein Widerwillen hatte ein doppeltes Gesicht, einmal war er ein einfaches, blindes Gefühl ohne jede Überlegung, zum anderen wurde er von der Vorstellung genährt, daß ihm der Anzug miserabel zu Gesicht stand, daß er darin nicht nur gewöhnlich, sondern geradezu albern aussah. Mit Todesverachtung zog er das Zwei-Guinees-Hemd über den Kopf und schlüpfte dann mit unendlicher Mühe in die engen braunen Hosen, die ihm an den Beinen saßen wie eine Haut. Endlich war er drin, und Brown war eben hinter ihn getreten, um die Gürtelschnalle anzuziehen, da merkte er, daß er die Strümpfe vergessen hatte. Die Hosen wieder ausziehen hieß seinen Fehler eingestehen, das aber wollte er unter keinen Umständen. Als ihm daher Brown diesen Vorschlag machte, erntete er nur einen neuen, kräftigen Fluch, der diesen aber nicht aus seiner philosophischen Ruhe bringen konnte. Er ließ sich ergeben auf die Knie nieder und begann, seinem Herrn die Hosenbeine aufzurollen, kam aber damit beim besten Willen nicht weiter als bis zum Knie. Es erwies sich als hoffnungsloses Beginnen, die langen Strümpfe auf diese Weise anziehen zu wollen.

»Schneid die verdammten Dinger oben ab«, fuhr ihn Hornblower an.

Der kniende Brown schlug in stummem Protest die Augen zu seinem Herrn auf, Hornblowers Gesichtsausdruck erstickte ihm aber das Wort im Munde. Schweigend und beherrscht gehorchte er dem Befehl und holte die Schere vom Toilettentisch. Klipp-klapp, klipp-klapp, und schon fielen die oberen Enden der Strümpfe zu Boden. Nun fuhr Hornblower in die verstümmelten Fußteile und empfand heute zum erstenmal eine Art Genugtuung, als ihm Brown die Hosen darüberzog. Mochten sich alle bösen Gewalten gegen ihn verschworen haben, bei Gott, er wollte ihnen zeigen, daß er noch seinen Willen besaß. Er zwängte seine Füße in die Lackstiefel. Sie waren verdammt eng, aber nein, er wollte nicht darüber fluchen – schuldbewußt erinnerte er sich seiner Nachgiebigkeit gegen den modischen Schuhmacher, bei dem er nicht genug auf bequemen Sitz bestanden hatte. Aber auch da war eben seine Frau dabeigewesen und hatte darauf geachtet, daß den Gesetzen der Mode Genüge geschah. Er stelzte hinüber zum Toilettentisch, um das Halstuch umzubinden, und dann schnallte ihm Brown die Halsbinde zu. Dieses lächerliche Ding kratzte ihn an den Ohren, sooft er den Kopf wandte, er hatte das Gefühl, als würde sein Hals auf die doppelte Länge gedehnt. Nie im Leben hatte er etwas so Unbequemes angehabt. Solange er diese verdammte Binde trug, die Brummel und der Prinzregent kreiert hatten, war ihm jeder freie Atemzug verwehrt. Nun kam die geblümte Weste an die Reihe – blau mit rosa Stickerei – und zuletzt fuhr er in den feinen, braunen Tuchrock mit den großen, blauen Knöpfen; nebenbei gesagt, war das Innere der Taschenklappen und die Rückseite der Aufschläge und des Kragens von dem gleichen Blau. Zwanzig Jahre lang hatte Hornblower nur Uniformen getragen, was Wunder, daß sein Spiegelbild seinem voreingenommenen Blick unnatürlich, grotesk und lächerlich erschien? Die Uniform war etwas so unendlich Bequemes, er hatte sie zu tragen, wie sie war, also konnte auch niemand etwas aussetzen, wenn sie ihm nicht stand. Beim Zivil war es etwas ganz anderes. Da nahm man an, daß er sich nach eigenem Geschmack und eigener Wahl kleidete – obgleich er doch verheiratet war –, und konnte sich also auch über alles lustig machen, was er trug. Brown hakte die goldene Uhr an den Anhänger und zwängte sie in die Tasche. Dort machte sie gerade über dem Bauch eine häßliche Beule. Sollte er sie weglassen? Nein! Voll Wut verwarf Hornblower den Gedanken, ohne Uhr zu gehen, nur damit sein Anzug besser saß. Schließlich steckte er noch ein Leinentaschentuch, das ihm Brown gereicht hatte, in den Ärmel, nachdem er es vorher noch mit einem Schuß Parfüm benetzt hatte. Er war bereit.

»Ein herrlicher Anzug, Sir«, meinte Brown.

»Herrlicher Plunder!« entgegnete Hornblower.

Steif ging er durch das Ankleidezimmer zurück und klopfte an die Tür an dessen anderem Ende.

»Herein!« hörte man die Stimme seiner Frau.

Barbara saß noch in ihrer Badewanne, ihre Beine baumelten über den Rand, genau wie vorhin die seinigen.

»Wie hübsch du aussiehst, Liebster«, meinte sie, »es ist eine Wohltat, dich zur Abwechslung einmal in Zivil zu sehen.«

Selbst Barbara, die liebste und beste Frau der Welt, war also nicht frei von jenem lästigen Fehler, den alle Frauen an sich hatten: die Abwechslung um ihrer selbst willen zu lieben. Aber Hornblower konnte ihr nicht gut so antworten, wie er Brown geantwortet hatte.

»Ich danke dir für dein Kompliment«, sagte er und gab sich dabei verzweifelte Mühe, seinen Ton so zu wählen, daß diese Worte auch wirklich dankbar klangen.

»Mein Handtuch, Hebe!« sagte Barbara. Das kleine Negermädchen glitt herbei und hüllte sie ein, während sie aus dem Sitzbad stieg.

»Venus entsteigt den Wogen«, meinte Hornblower galant. Warum er es nur immer unschicklich fand, wenn er seine Frau in Gegenwart eines anderen weiblichen Wesens nackt sah? Dabei war Hebe doch nur eine Dienerin und obendrein eine farbige. Er gab sich Mühe, dieser törichten Empfindung Herr zu werden.

»Ich nehme an«, sagte Barbara, während sie dastand und sich von Hebe mit dem Handtuch trocken frottieren ließ, »daß man im Dorf schon von unserer seltsamen Gewohnheit gehört hat, jeden Tag ein Bad zu nehmen. Ich kann mir aber kaum eine Vorstellung machen, was sie davon denken.«

Hornblower konnte sich das gut vorstellen, er war ja selbst einmal ein Dorfjunge gewesen. Nun warf Barbara das Handtuch ab und stand wieder einen Augenblick ganz nackt vor ihm, bis Hebe ihr das Seidenhemd überwarf. Frauen verloren doch jedes Schamgefühl, wenn die Hemmungen einmal gefallen waren. Barbara wirkte in diesem durchsichtigen Hemd eigentlich noch anstößiger, als wenn sie ganz nackt war. Sie saß nun an ihrem Frisiertisch und machte sich daran, ihr Gesicht mit Creme zu behandeln, während Hebe ihr Haar bürstete. Vor ihr auf dem Tisch stand eine Unzahl von Töpfen und Tiegeln, aus denen sie der Reihe nach ihre Zutaten entnahm, als wollte sie eine Hexensalbe bereiten.

»Ich freue mich«, meinte sie, während sie ihr Spiegelbild aufmerksam musterte, »daß die Sonne scheint. Es ist gut, daß wir für unsere heutige Feier schönes Wetter haben.«

Hornblower hatte seit dem Aufstehen an nichts anderes denken können als an diese Feier. Nicht daß sie ihm etwa zuwider gewesen wäre, nein, das konnte man nicht behaupten, aber er fühlte sich doch nicht ganz wohl in seiner Haut. Die Feier war der erste Markstein in dem neuen Leben, das ihm hier bevorstand, und es war eigentlich kein Wunder, wenn er seiner eigenen Anpassungsfähigkeit noch mißtraute. Barbara studierte sein Gesicht durch den Spiegel.

»Meinen Willkommengruß dem neuen Herrn von Smallbridge«, sagte sie endlich lächelnd, indem sie sich nach ihm umwandte.

Dieses Lächeln bewirkte nicht nur einen äußeren Wandel in Barbaras Gesichtsausdruck, es vermochte weit mehr: es warf Hornblowers ganzes Denken über den Haufen und gab ihm ein völlig neues Bild seiner Lage. Barbara war mit einem Male nicht mehr die große Dame, die Tochter eines Earl, durch deren Adern das blaueste Blut des ganzen englischen Adels floß, nicht mehr die Frau, deren vollendete Haltung und Sicherheit ihn zu seinem größten Ärger immer so schüchtern und befangen machte. Jetzt war sie wieder, was sie früher gewesen war, der Kamerad, der drüben im Pazifik ohne Furcht neben ihm auf dem von Kugeln aufgerissenen Deck der Lydia gestanden hatte, das Weib, das in seinen Armen vor Liebe verging, Gefährtin und Geliebte in einem. Und schon flog ihr sein Herz wieder zu. Wäre nur Hebe nicht im Zimmer gewesen, er hätte sie in die Arme gerissen und abgeküßt. Barbara begegnete seinem Blick und las darin alles, was in ihm vorging. Wiederum lächelte sie ihm zu, ja, sie verstanden einander, sie befanden sich in vollständigem Einvernehmen, sie teilten alle Geheimnisse miteinander, und seitdem es so war, war die Welt für sie schöner und strahlender geworden.

Barbara zog ein Paar weißseidene Strümpfe an und band die scharlachroten Strumpfbänder über ihren Knien. Da stand auch schon Hebe mit dem Kleid bereit, und alsbald tauchte sie kopfüber hinein. Das Kleid wogte und bauschte sich, als Barbara sich durch die Stoffmassen ihren Weg bahnte, endlich kam sie am anderen Ende zum Vorschein. Um sich schlagend fuhr sie in die Ärmel und hatte nun ganz zerzauste Haare. Wer hätte dabei die große Dame spielen können? Hornblower liebte sie in diesem Augenblick heißer als je. Hebe zog und zupfte ihrer Herrin das Kleid zurecht und warf ihr dann einen spitzenbesetzten Frisiermantel über, um noch einmal Hand an ihre Frisur zu legen. Endlich saß die letzte Haarnadel, die letzte Locke an ihrem richtigen Platz, saßen auch die Schuhe an ihren Füßen, die ihr Hebe auf allen vieren kriechend mit einem Schuhlöffel angezogen hatte. Zuletzt galt es nur noch, den riesigen, mit Rosen und Bändern geschmückten Hut aufzusetzen.

»Wie spät haben wir denn, Liebster?« fragte sie.

»Neun Uhr«, gab Hornblower zur Antwort, als es ihm mit Mühe gelungen war, seine Uhr aus der strammen Uhrtasche vorn an der Hose herauszuziehen.

»Ausgezeichnet«, entgegnete Barbara und griff nach den langen, weißen Seidenhandschuhen, die sie auf unwahrscheinlichen Schmuggelpfaden aus Paris bezogen hatte.

»Hebe, Master Richard wird jetzt auch schon bereit sein, sage der Kinderfrau, sie soll ihn zu mir bringen … übrigens, Liebster, glaube ich, daß es der heutigen Gelegenheit besonders angemessen wäre, wenn du Ordensband und Stern anlegtest.«

»Wie, vor meiner eigenen Haustür?« warf Hornblower aufbegehrend ein.

»Ja, leider«, entgegnete Barbara. Dazu wiegte sie vielsagend den Kopf, den nun eine ganze Pyramide von Rosen krönte, und wieder lächelte sie, aber diesmal nicht verliebt, sondern so verschmitzt, daß alle Einwürfe, die sich Hornblower gegen das Anlegen des Ordens zurechtgelegt hatte, davor zerstoben wie Spreu im Wind. Sie gestand ihm damit stillschweigend und unter vier Augen ein, daß sie der Begrüßungsfeier für den neuen Herrn von Smallbridge keine größere Bedeutung beimaß als er selber. Es war das verständnisinnige Lächeln eines Auguren.

Also holte er jetzt in seinem Schlafzimmer das rote Band und den Stern des Bath-Ordens aus der Schublade des Wäscheschrankes, und Brown legte unterdes die rehledernen Handschuhe bereit, die er anzog, während er die Treppe hinunterstieg. Ein schüchternes Dienstmädchen knickste vor ihm, und unten in der Halle stand der Butler Wiggins mit dem hohen Biberhut bereit. Neben ihm zeigte sich der Diener John in seiner neuen, von Barbara ausgewählten Livree. Da kam auch schon Barbara selbst und mit ihr Richard auf dem Arm seiner Kinderfrau. Richards Locken waren mit viel Pomade zu feierlichen, steifen Kringeln gedreht. Nun stellte ihn die Kinderfrau auf die eigenen Beine und zupfte ihm rasch noch das Röckchen und das Spitzenkrägelchen zurecht. Hornblower beeilte sich, ihn an der einen Hand zu nehmen, während Barbara die andere ergriff. Der Kleine war ja noch nicht sicher genug auf den Beinen, man mußte gewärtigen, daß er sich im unpassendsten Augenblick plötzlich auf alle viere niederließ und dadurch die Würde der Feier beeinträchtigte, die nun gleich beginnen sollte. Wiggins und John rissen beide Türflügel auf, und alle drei, Barbara, Hornblower und Richard in ihrer Mitte, traten auf die obere Plattform der Freitreppe hinaus, die von der Anfahrt heraufführte. Hornblower dachte gerade noch rechtzeitig daran, den hohen Hut aufzusetzen, ehe er die Schwelle überschritt.

Es schien, als hätte sich die ganze Einwohnerschaft von Smallbridge dort unten vor ihnen versammelt. An der einen Seite stand der Pfarrer mit der Schar der Schulkinder, dann folgten nach der Mitte zu die vier Hofpächter in ihren schlecht sitzenden, schwarzen Feiertagsanzügen mit allen ihren Knechten in Arbeitskitteln. Links schloß sich eine Gruppe Frauen an, die Schürzen und Hauben trugen. Hinter den Kindern klemmte sich der Hausknecht aus der Goldenen Kutsche seine Geige unters Kinn und stimmte einen Ton an, der Pfarrer hob seine Rechte, und schon piepsten die schrillen Kinderstimmen los:

»Seh-eh-eht ihr den tapfern He-e-elden nahn?

Nun schlagt die Trommeln, blaset die Trompeten

und laute Freudenlieder stimmet an.«

Kein Zweifel, daß sie damit Hornblower meinten, er nahm also den Hut ab und ließ die Ehrung linkisch und ungeschickt über sich ergehen. Die Melodie sagte seinem unmusikalischen Ohr überhaupt nichts, und auch den Text verstand er nur bruchstückweise. Endlich gelangte der Chor, allerdings in einiger Unordnung, an den Schluß, und sogleich trat der Pfarrer einen Schritt vor.

»Mylady«, begann er, »Sir Horatio! Im Namen des ganzen Dorfes heiße ich Sie willkommen. Ich begrüße Sie, Sir Horatio, in der Zierde des Ruhms, mit dem Sie sich im Kampfe gegen den korsischen Tyrannen bedeckt haben, und ich begrüße Sie, Mylady, als Gattin des Helden, der hier vor uns steht, als Schwester des anderen Helden, der gegenwärtig unser tapferes Heer in Spanien führt, und als Tochter eines der vornehmsten Adelsgeschlechter unseres Landes! Ich heiße Sie willkommen …«

»Mann!« rief Richard ganz unerwartet dazwischen. »Da – da!«

Der Pfarrer ließ sich durch die Unterbrechung nicht aus der Fassung bringen, er war schon so gut im Zuge, daß ihm seine blumenreiche Sprache ungehemmt weiter entströmte. Er sprach von der Freude, die ganz Smallbridge bewege, weil sein neuer Gutsherr ein so berühmter Seemann sei. Hornblower konnte der Ansprache nicht recht folgen, weil er darauf achten mußte, Richards Hand unter keinen Umständen loszulassen. Entwischte er ihm, dann konnte man sicher sein, daß er sofort auf allen vieren die Treppe hinunter strebte, um mit den Dorfkindern nähere Bekanntschaft zu machen. Hornblower ließ seinen Blick über den üppig grünen Park wandern. Im Hintergrund sah man die klaren Umrisse der Downs-Hügelkette, und seitwärts erhob sich der Kirchturm von Smallbridge über den Wipfeln der Bäume. Der Obstgarten davor stand in voller Blüte und bot einen Anblick von zauberhaftem Liebreiz. Park, Obstgarten und Kirche, all das war nun sein, er war ein Squire, ein begüterter Gentleman, Besitzer vieler Morgen fruchtbaren Bodens, und er wurde heute von seiner Pächterschaft willkommen geheißen. Hinter ihm stand sein eigenes Haus, in dem es von seinen eigenen Dienstboten wimmelte, an seiner Brust trug er Stern und Band eines hohen Ordens als Zeichen seiner Ritterschaft, und in London verwahrten Coutts & Company in ihren Gewölben einen Schatz goldener Guinees, die gleichfalls sein Eigentum waren.

Hatte er nicht das Ziel seiner Wünsche erreicht? Ruhm, Vermögen, Sicherheit, Liebe, ein Kind – war das nicht alles, was das Herz begehrte? Und doch stand er nun, während die Rede des Pfarrers weiterplätscherte, hier auf der Treppe seines Hauses und zerbrach sich den Kopf darüber, warum er trotz allem nicht glücklich war. Er empfand heftigen Ärger über sich selbst. Sollte er nicht vor Stolz und Glück und Freude außer Rand und Band sein? Statt dessen stand er da und fühlte nur einen leichten Druck auf der Seele, wenn er an die Zukunft dachte, einen Druck, der ihn bei der Vorstellung befiel, daß er nun für immer hier leben sollte, und der sich in ausgesprochenen Widerwillen verwandelte, wenn er sich erinnerte, daß er alljährlich die elegante Season in London verbringen mußte. Nicht einmal die Aussicht, ständig mit Barbara zusammen zu sein, vermochte diese Empfindungen zu mildern oder gar zu wandeln.

Plötzlich fuhr Hornblower aus seinen schweifenden Gedanken auf. War da nicht eben ein Wort gefallen, das nicht fallen durfte? Da der Pfarrer der einzige war, der sprach, konnte es kein anderer gesagt haben als er. Offenbar ahnte er aber nichts von seinem Mißgriff, da seine Rede ohne Stocken weiterfloß. Hornblower warf einen verstohlenen Seitenblick zu Barbara hinüber und sah, wie sie sich eine Sekunde mit ihren weißen Zähnen auf die Unterlippe biß; das war für jeden, der sie kannte, ein sicheres Zeichen, daß sie sich über irgend etwas ärgerte. Sonst aber zeigte sie auch jetzt die stoische Ruhe, die alle Angehörigen der führenden Schicht Englands auszeichnete. Über welche Worte mochte sie sich so aufgeregt haben? Hornblower strengte sein unterbewußtes Erinnerungsvermögen an, um sich ins Gedächtnis zu rufen, was der Pfarrer gesagt hatte. Er hatte wohl hingehört, aber ohne alle Aufmerksamkeit. Halt! Richtig, das war es! Dieser Esel hatte ja von Richard gesprochen, als ob der Junge ihrer beider Kind wäre, und Barbara konnte es doch nicht vertragen, wenn man ihren Stiefsohn für ihr eigenes Kind hielt. Merkwürdigerweise gingen ihr solche Verwechslungen um so stärker auf die Nerven, je mehr ihr das Kind selbst ans Herz wuchs. Schließlich konnte man aber dem Pfarrer seinen Irrtum kaum zum Vorwurf machen. Da trat ein verheiratetes Paar mit einem sechzehn Monate alten Kind neu in Erscheinung. War es da ein Wunder, wenn man allgemein annahm, daß dieses Kind beiden Eltern gehörte?

Endlich hatte der Pfarrer geendet, und nun entwickelte sich eine peinliche Pause. Offenbar erwartete man von ihm eine Antwort, es war also seine, Hornblowers, Sache, die richtigen Worte zu finden und zu sprechen.

»Ha-hm«, begann er – noch war er nicht lange genug mit Barbara verheiratet, als daß er dieser alten Gewohnheit schon völlig Herr geworden wäre – und suchte verzweifelt nach einigen passenden Phrasen. Darauf hätte er natürlich gefaßt sein müssen, es wäre entschieden besser gewesen, sich auf diese Ansprache vorzubereiten, als bis zum letzten Augenblick in den Tag hineinzuträumen. »Ha-hm. Voll Stolz schweift mein Blick über diese liebliche englische Landschaft …«

Er schaffte es schließlich doch, alles zu erwähnen, was erwähnt werden mußte, den korsischen Tyrannen, das freie englische Bauerntum, den König und den Prinzregenten, Lady Barbara und Richard. Als er geendet hatte, entstand wiederum eine peinliche Pause, die Leute sahen einander an, bis endlich einer der Bauern vortrat: »Drei Hurras für Mylady!«

Alle stimmten ein, so laut sie konnten, so daß Richard heftig erschrak und in lautes Gebrüll ausbrach.

»Drei Hurras für Sir Horatio! Eins, zwei, drei und noch ein donnerndes Hoch!«

Nun hatten sie nur noch die Pflicht, sich mit Anstand ins Haus zurückzuziehen, dann würde sich die versammelte Pächterschaft von selbst zerstreuen. Und damit war die Geschichte dann, Gott sei Dank!, endgültig überstanden.

In der Halle erwartete ihn der Diener John in einer Haltung, die dieser selbst wahrscheinlich für einwandfrei hielt. Er wollte ihm bald beibringen, seine Ellbogen am Körper zu halten, jedenfalls nahm er sich das etwas gelangweilt vor. Wenn er sich schon einen Diener hielt, dann wollte er auch etwas Richtiges aus ihm machen. Da war auch die Kinderfrau und stürzte sich auf Richard, um nachzusehen, ob er sich naßgemacht hatte. Und nun kam der alte Butler herbeigehumpelt und überreichte ihm auf einem Tablett einen Brief. Als Hornblower das Siegel erblickte, fühlte er, wie ihm das Blut zu Kopf stieg. Ein solches Siegel und dieses dicke Leinenpapier benutzte, soviel er wußte, nur die Admiralität. Monate waren vergangen, Monate, die ihm wie endlose Jahre vorgekommen waren, seit er das letztemal ein Schreiben der Admiralität in Händen gehabt hatte. Erregt und hastig griff er nach dem Brief und erinnerte sich nur dank einer gnädigen Vorsehung im letzten Augenblick daran, sich bei Barbara mit einem kurzen Blick zu entschuldigen, ehe er das Siegel erbrach.

 

Die Beauftragten Lords der Admiralität. White Hall, den 10. April 1812.

 

›Sir,

Auf Befehl der Beauftragten Lords teile ich Ihnen mit, daß die Herren für Sie mit sofortiger Wirkung eine dienstliche Verwendung als Kommodore unter Beigabe eines unterstellten Kapitäns in Aussicht genommen haben. Es handelt sich um eine Aufgabe, die nach Meinung der Herren Lords sowohl Ihrem Dienstalter wie Ihrer Qualifikation durchaus angemessen ist. Sie werden daher ersucht und angewiesen, die Herren Lords durch mich schnellstens zu unterrichten, ob Sie das vorgeschlagene Kommando anzunehmen gedenken. Bejahendenfalls werden Sie weiterhin ersucht und angewiesen, sich unverzüglich bei der unterfertigten Dienststelle zu melden, um die mündlichen Befehle der Herren Lords entgegenzunehmen und, soweit erforderlich, auch die Anweisungen anderer Staatsminister einzuholen.

 

Ihr gehorsamer Diener E. Nepean

Sekretär der Beauftragten Lords der Admiralität.‹

Hornblower mußte den Brief zweimal lesen – beim ersten Male war er noch außerstande, seinen vollen Sinn zu erfassen. Erst beim zweiten Lesen kam ihm mit einem Schlage sein ganzes Glück zum Bewußtsein. Das erste, was ihm klar wurde, war dies: Das Leben hier in Smallbridge oder in der Londoner Bond Street ging nicht in alle Ewigkeit weiter. Er war wieder frei von all diesen Fesseln und konnte sein Bad wieder unter der Deckwaschpumpe nehmen, statt in dieser verdammten Sitzwanne, die nur ein paar Tropfen Wasser faßte, er durfte wieder auf seinem eigenen Deck spazierengehen und die frische Seeluft atmen, er konnte diese verfluchten engen Hosen ein für allemal ablegen, brauchte keine Abordnungen zu empfangen, keine blöden Pächter mehr anzureden, keine Schweinekoben mehr zu riechen und keinem Gaul mehr auf die Hinterbacken zu klopfen. Aber das war ja nur die eine Seite der Angelegenheit, viel wichtiger noch war das andere, daß man ihm eine Verwendung als Kommodore zugedacht hatte – noch dazu als Kommodore erster Klasse mit einem unterstellten Kapitän. Damit hatte er faktisch die Stellung eines Admirals. Von nun an führte er den Breitwimpel des Kommodore im Großtopp und hatte Anspruch auf dessen Salut und sonstige Ehrenrechte. Nicht daß ihm darum zu tun gewesen wäre, aber es handelte sich eben doch um äußere Zeichen des Vertrauens, das er genoß, und des Ranges, den er sich verdient hatte. Louis bei der Admiralität konnte offenbar keine schlechte Meinung von ihm haben, wenn er ihn jetzt schon zum Kommodore ernannte, obwohl er in der Rangliste der Kapitäne noch kaum in die obere Hälfte aufgerückt war. Dieses ›sowohl Ihrem Dienstalter wie Ihrer Qualifikation angemessen‹ war natürlich nur eine Phrase, aus der die Admiralität das Recht ableiten konnte, ihn auf Halbsold zu setzen, falls er ablehnte. Dafür sagte die Bemerkung hier am Schluß, daß er auch ›die Anweisungen anderer Staatsminister einholen‹ sollte, um so mehr. Das konnte doch nichts anderes heißen, als daß ihm ein besonders verantwortungsvoller Auftrag, eine Aufgabe von internationaler Bedeutung zugedacht war. Wogen freudiger Erregung schlugen über ihm zusammen.

Er zog die Uhr. Zehn Uhr fünfzehn – nach zivilen Vorstellungen war es also noch früh am Tage.

»Wo ist Brown?« fuhr er Wiggins an.

Wie durch ein Wunder tauchte der Gesuchte auch schon im Hintergrunde auf. – Vielleicht war dieses Wunder nicht einmal gar so groß, da ja das ganze Haus schon wußte, daß der Herr ein Schreiben von der Admiralität bekommen hatte.

»Leg meine beste Uniform und meinen Säbel zurecht. Und laß den Wagen anspannen! Ich möchte, daß du mitkommst, Brown, du sollst kutschieren. Und halt, vergiß das Nachtzeug nicht, denk auch an dein eigenes.«

Die Dienstboten sprangen nach allen Richtungen, handelte es sich doch nicht nur um gewichtige Anordnungen ihres Herrn, sondern ganz offenkundig um eine Staatsaktion, wodurch jede Aufgabe eine doppelte Bedeutung bekam. Als sich Hornblower endlich wieder auf seine Umgebung besann, sah er Lady Barbara ganz allein abseits stehen.

Mein Gott, er hatte sie in seiner Aufregung ganz vergessen, und sie hatte das natürlich genau bemerkt. Man sah ihr an, daß sie etwas niedergeschlagen war, ihr einer Mundwinkel hatte sich so gesenkt … Da trafen sich ihre Blicke, gleich hob sich der Mundwinkel wieder, es blieb aber nicht dabei, sondern sie ließ ihn alsbald erneut herabsinken.

»Ein Schreiben der Admiralität«, erklärte Hornblower lahm. »Man will mich zum Kommodore mit unterstelltem Kapitän ernennen.«

Hornblower durchschaute ihre Bemühungen, sich erfreut zu zeigen, und empfand quälendes Mitleid mit ihr.

»Das ist eine hohe Ehre für dich«, sagte sie, »eine Ehre, die du aber auch vollauf verdient hast. Du hast allen Grund, dich darüber zu freuen, und ich freue mich mit dir.«

»Wir werden uns trennen müssen«, sagte Hornblower.

»Liebster, wir waren doch volle sechs Monate zusammen. Sechs Monate eines Glücks, wie du es mir bereitet hast, sind mehr, als die beste Frau verdient. Und dann kommst du doch eines Tages wieder zu mir zurück.«

»Selbstverständlich«, meinte Hornblower.

2OSTSEE-KOMMANDO

Das Wetter machte dem Monat April alle Ehre. Während der Feier vor der Freitreppe von Smallbridge House hatte die Sonne herrlich geschienen, aber schon während der zwanzig Meilen langen Fahrt nach London war ein förmlicher Wolkenbruch niedergegangen. Dann war aufs neue die Sonne zum Vorschein gekommen und hatte sie wieder erwärmt und getrocknet. Und nun, während sie gerade Wimbledon Common überquerten, hatte sich der Himmel zum zweiten Male schwarz bezogen, und schon trieb ihnen der Wind die ersten Tropfen ins Gesicht. Hornblower hüllte sich fester in seinen Mantel und knöpfte den Kragen hoch. Der Dreimaster mit Goldstickerei und Kokarde ruhte unter dem schützenden Mantel auf seinen Knien. Setzte man diese Hüte längere Zeit dem Regen aus, dann bildeten sich obenauf und an den Rändern richtige Wasserlachen, und zuletzt kamen sie völlig aus der Fasson.

Nun ging es auch schon los, Sturm und Regen heulten von Westen daher, die Welt, in der noch vor einer halben Stunde köstlicher Frühling herrschte, hatte sich in unbegreiflicher Weise verwandelt. Der Gaul an der Windseite war der vollen Wucht des Unwetters ausgesetzt und wollte daher nicht mehr recht mitmachen, bis ihm Brown mit der Peitsche eins überzog, daß er sich mit neuem Eifer ins Zeug legte. Brown konnte gut kutschieren, er verstand sich wirklich auf alles. Er war der beste Bootssteurer der Kommandantengig gewesen, den er je gehabt hatte, er hatte sich während der Flucht aus Frankreich als zuverlässiger Untergebener bewährt, und zuletzt hatte er sich in den besten Leibdiener verwandelt, den man sich wünschen konnte. Nun saß er gleichmütig im strömenden Regen, das schlüpfrige Leder der Zügel lag fest in seiner großen, braunen Faust, Hand, Handgelenk und Unterarm wirkten wie eine empfindliche Feder mit jenem leisen Druck auf die Mäuler der Pferde, der nicht so stark war, daß er sie auch nur im mindesten in der Arbeit behindert hätte, aber doch ausreichte, ihnen auf der schlüpfrigen Straße Halt und Sicherheit zu geben und sie bei jedem unvorhergesehenen Zufall fest in der Hand zu haben. Jedenfalls zogen sie heute den Wagen auf der schmutzigen Makadamstraße mit mehr Lust und Liebe den steilen Berg des Wimbledon Common hinauf, als sie je an den Tag legten, wenn Hornblower selbst kutschierte.

»Möchtest du gern wieder zur See fahren, Brown?« fragte er nun. Die bloße Tatsache, daß er dieses ganz unnötige Gespräch anknüpfte, war ein Beweis dafür, daß seine innere Erregung jedes Maß überschritt.

»Das wäre mein größter Wunsch«, gab Brown kurz zur Antwort.

Es blieb Hornblower überlassen zu erraten, was Brown wirklich dachte. War diese kurz angebundene Antwort die englische Art, seine echte Begeisterung zu verbergen, oder gab er sich nur aus Höflichkeit den Anschein, als teilte er die Leidenschaft seines Herrn?

Der Regen rann Hornblower aus den nassen Haaren am Hals herunter in den Kragen hinein. Es wäre besser gewesen, einen Südwester mitzunehmen. Zusammengekrümmt saß er auf seinem gepolsterten Ledersitz und stützte beide Hände auf den Griff des Säbels, den er umgeschnallt hatte – es war der Ehrensäbel im Wert von hundert Guinees, verliehen von der patriotischen Stiftung. Der senkrecht aufgestützte Säbel hielt den schweren, durchnäßten Mantel frei von dem Dreimaster, der auf seinen Knien lag. Wieder bahnte sich ein kleines Rinnsal seinen Weg unter die Kleider, so daß er sich schaudernd krümmte und wand. Als der Regenschauer endlich aufhörte, war er gründlich durchnäßt und fühlte sich höchst unbehaglich, aber da begann auch schon die Sonne wieder herrlich warm zu scheinen. Die Regentropfen auf dem Ginster- und Brombeergestrüpp glitzerten wie Millionen Diamanten, die Pferde dampften, die Lerchen stimmten hoch oben in den Lüften wieder ihre Lieder an, und Hornblower schlug den Mantel zurück und trocknete sich mit dem Taschentuch sein nasses Haar und den Hals. Als die Höhe erreicht war, ließ Brown die Pferde in Schritt fallen, um ihnen vor dem scharfen Trab bergab noch eine Atempause zu gönnen.

»London, Sir«, bemerkte er.

Sie waren am Ziel. Der Regen hatte die Luft von Rauch und Staubdunst reingewaschen, so daß Helm und Kreuz von St. Paul schon von weitem golden in der Sonne funkelten. Auch die anderen Kirchtürme, die sich neben der riesigen Kathedrale wie Zwerge ausnahmen, standen in unnatürlicher Schärfe gegen den klaren Himmel. Man meinte, man könne die Ziegel auf den Dächern zählen. Brown schnalzte aufmunternd mit der Zunge, und alsbald fielen die Gäule wieder in Trab. Das Gefährt rasselte den steilen Berg nach Wandsworth hinunter, und nun zog Hornblower seine Uhr. Erst zwei, also hatte er noch reichlich Zeit zu seiner Meldung. Es machte ihm nichts aus, daß sein Hemd innerhalb des Rockes von dem eingedrungenen Wasser ganz feucht war, jedenfalls war dieser Tag ganz anders, unendlich viel schöner verlaufen, als er erwartet hatte, während er heute morgen in seiner Wanne saß.

Vor der Admiralität brachte Brown die Pferde zum Stehen, und gleich tauchte ein zerlumpter Straßenjunge auf und sorgte dafür, daß Hornblower sich beim Aussteigen nicht Mantel und Uniform an den Rändern des Wagens beschmutzte.

»Also im Goldenen Kreuz, Brown«, bemerkte Hornblower, während er in seiner Tasche nach einem Kupferpenny für den Jungen suchte.

»Aye aye, Sir«, gab Brown zur Antwort, während er schon den Wagen umwendete.

Sorgfältig setzte Hornblower seinen Dreimaster auf, strich sich den Rock glatt und zog das Schloß des Säbelkoppels genau in die Mitte. In Smallbridge war er Sir Horatio, Hausherr, Gutsherr, unumstrittener Selbstherrscher, hier war er nichts als Kapitän Hornblower, im Begriff, sich bei den Lords der Admiralität zu melden.

Aber Admiral Louis war ganz Kameradschaft und Herzlichkeit. Er ließ Hornblower nicht länger als drei Minuten im Vorzimmer warten – wirklich keine Minute länger, als er brauchte, um den augenblicklichen Besucher loszuwerden – und schüttelte ihm dann mit offenkundiger Freude die Hand. Dann läutete er einem Diener, der Hornblowers nassen Mantel in Empfang nahm, und schob ihm eigenhändig einen Stuhl an das riesige Feuer, das er seit seiner Rückkehr vom Kommando der Ostindischen Station winters und sommers unterhielt.

»Lady Barbara ist doch wohlauf?« fragte er.

»Danke, Sir, es geht ihr ausgezeichnet«, gab Hornblower zur Antwort.

»Und Master Hornblower?«

»Gedeiht glänzend, Sir.«

Hornblower wurde rasch Herr seiner anfänglichen Schüchternheit, er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und genoß die wohlige Wärme des Feuers. Da hing ein neues Bild von Collingwood an der Wand, aha, es war der Ersatz für das alte Portrait von Barham. Wie schön, dort auf dem Bild das gleiche Rote Band und den gleichen Stern wahrzunehmen, den er auch vor Augen hatte, wenn er auf seine eigene Brust hinuntersah.

»Und doch haben Sie Ihr häusliches Glück sofort im Stich gelassen, als Sie unser Schreiben erhielten?«

»Natürlich, Sir.«

Hornblower gab sich Rechenschaft darüber, daß es vielleicht nützlicher gewesen wäre, mit seinen echten Empfindungen hinter dem Berg zu halten, es war bestimmt gescheiter, wenn er mit gespielter Zurückhaltung zu seinem Dienst zurückkehrte, so daß es aussah, als brächte er dem Vaterland damit ein großer persönliches Opfer. Aber so etwas brachte er ums Leben nicht fertig. Dazu freute er sich viel zu sehr über seine Beförderung, dazu war er viel zu neugierig darauf zu erfahren, was die Admiralität mit ihm vorhatte. Er sah Louis, der ihn mit forschenden Blicken musterte, frei und offen in die Augen.

»Welche Verwendung haben Sie für mich ins Auge gefaßt, Sir?« fragte er, weil er es einfach nicht mehr aushalten konnte, so lange zu warten, bis Louis selbst darauf zu sprechen kam.

»Die Ostsee«, gab Louis zur Antwort.

Das war es also. Diese beiden Worte machten den wilden Kombinationen ein Ende, die Hornblower den ganzen Vormittag beschäftigt hatten, sie zerrissen das große Spinnennetz von Möglichkeiten, in dem er bis dahin gefangen war. Es gab ja kaum einen Punkt der Welt, der nicht in Frage gekommen wäre, seien es Java oder Jamaica, das Kap Hoorn oder das Kap der Guten Hoffnung, der Indische Ozean oder das Mittelmeer, wo immer eben auf dem 25 000 Meilen weiten Umfang unserer Erdkugel die britische Flagge wehte – und wo wehte sie nicht? Also die Ostsee. Hornblower suchte sich zu vergegenwärtigen, was er darüber wußte. Als er zum letztenmal in nördlichen Gewässern zur See fuhr, war er gerade Leutnant geworden.

»Dort hat doch Admiral Keats das Kommando, nicht wahr?«

»Ja, bis jetzt. Aber Saumarez wird ihn ablösen. Er wird Befehl bekommen, Ihnen größte Entscheidungsfreiheit einzuräumen.«

Das war eigenartig und deutete fast auf eine Teilung des Kommandos hin, eine Maßnahme, die sich nach Hornblowers Erfahrung schon immer als recht zweischneidig erwiesen hatte. Besser noch ein schlechter Befehlshaber als ein geteiltes Kommando. Es war auch bestimmt nicht unbedenklich, einem Untergebenen zu eröffnen, daß sein Vorgesetzter gehalten sei, ihm größte Selbständigkeit einzuräumen, wenn dieser Untergebene nicht ein hervorragend zuverlässiger und kluger Mann war. Hornblower mußte schlucken – er hatte wirklich im Augenblick vergessen, daß ja er selbst dieser Untergebene war, um den es sich hier handelte. Nun, vielleicht hielt man ihn eben hier in der Admiralität für einen hervorragend zuverlässigen und klugen Mann.

Louis sah ihn fragend an.

»Sind Sie nicht neugierig zu hören, was Ihnen unterstellt werden soll?« fragte er.

»Ja, natürlich«, antwortete Hornblower, obwohl ihm eigentlich gar nicht so sehr darum zu tun war. Die Tatsache, daß er überhaupt ein Kommando bekam, war ihm viel wichtiger, als zu wissen, was man ihm unterstellen wollte.

»Sie bekommen die Nonsuch, 74 Geschütze«, sagte Louis.

»Damit haben Sie ein kampfkräftiges Schiff, wenn Sie es einmal brauchen. Im übrigen geben wir Ihnen alles Kleinzeug, das wir zusammenkratzen können, die Glattdeckskorvetten Lotus und Raven, zwei Kanonenboote, Moth und Harvey, und dazu den Kutter Clam. Das ist einstweilen alles, aber bis Sie auslaufen, können wir Ihnen vielleicht noch mehr zur Verfügung stellen. Wir möchten jedenfalls, daß Sie gut für Operationen unter Land ausgerüstet sind, weil wir annehmen, daß Sie viel mit solchen Unternehmungen zu tun haben werden.«

»Das glaube ich auch«, erwiderte Hornblower.

»Einstweilen wissen wir noch nicht einmal, ob Sie mit den Russen oder gegen sie kämpfen werden«, fuhr Louis sinnend fort, »und ebenso steht es mit den Schweden. Gott allein weiß, was sich da drüben zusammenbraut. Aber der hochmögende Herr wird Ihnen ja alles auseinandersetzen.«

Hornblower sah ihn fragend an.

»Ich meine Ihren sehr verehrten Herrn Schwager, den hochgeborenen Marquis Wellesley, K. P., Seiner Britischen Majestät Staatssekretär für Auswärtige Angelegenheiten. Wir nennen ihn kurz den ›Hochmögenden‹. Nachher gehen wir gleich hinüber und melden uns bei ihm. Aber vorher ist noch eine andere, wichtige Frage zu klären. Wen wollen Sie als Kommandanten für die Nonsuch?«

Hornblower verschlug es den Atem. Nun konnte er endlich in großem Stil für seine Schützlinge sorgen. Bisher hatte er höchstens einmal einem Fähnrich oder Sanitätsmaat zu Stellungen verholfen, und einmal hatte sich ein Pfarrer mit etwas dunkler Vergangenheit hungrig und flehentlich um den Posten als Bordgeistlicher seines Schiffes beworben, aber was hieß das alles, gemessen an der Tatsache, daß er nun das Recht hatte, über das Kommando eines Linienschiffes zu verfügen? Es gab 120 Kapitäne, die dienstjünger waren als er, lauter ausgezeichnete Männer, von deren Taten man sich bis zu den Enden der Welt mit verhaltenem Atem berichtete. Sie hatten den Rang, den sie bekleideten, mit ihrem Blute bezahlt und durch einen Wagemut und ein berufliches Können verdient, die in der Geschichte nicht ihresgleichen hatten. Die Hälfte von ihnen, wahrscheinlich sogar noch mehr, würden mit Freuden einschlagen, wenn er ihnen das Kommando über ein Linienschiff von 74 Kanonen anbot. Hornblower erinnerte sich noch genau, wie glücklich er selbst gewesen war, als er vor zwei Jahren die Sutherland erhielt. Es gab genug Kapitäne auf Halbsold, Kapitäne in Landstellungen, die sich vor Sehnsucht nach einem Bordkommando verzehrten, und nun stand es in seiner Macht, Leben und Laufbahn eines dieser armen Kerle mit einem Wort zum Guten zu wenden. Und doch zögerte er nicht einen Augenblick mit seiner Entscheidung. Gewiß gab es Kapitäne, deren Eigenschaften bestechender waren, Kapitäne mit höherer Bildung und Intelligenz, aber für ihn kam nur ein Mann in Frage, und den wollte er haben. »Ich möchte Bush«, sagte er, »wenn ich ihn bekommen kann.«

»Dem steht nichts im Wege«, meinte Louis und nickte zustimmend. »Ich habe mir schon gedacht, daß Sie ihn anfordern würden. Ob ihn sein Holzbein nicht zu sehr behindern wird? Wie denken Sie darüber?«

»Das glaube ich auf keinen Fall«, gab Hornblower zur Antwort. Es wäre ihm höchst lästig gewesen, mit einem anderen Kommandanten als Bush in See zu gehen.

»Gut, das wäre also erledigt«, sagte Louis und warf dabei einen Blick auf die Wanduhr. »Wenn Sie nichts dagegen haben, gehen wir jetzt gleich zum Hochmögenden hinüber.«

3SCHWIERIGE POLITIK

Hornblower saß in seinem Wohnzimmer im Goldenen Kreuz. Ein gutes Feuer prasselte im Kamin, und auf dem Tisch, an dem er saß, standen nicht weniger als vier Leuchter mit brennenden Wachskerzen. Dieser ganze Luxus, das Appartement mit dem eigenen Wohnzimmer, das Feuer, die Wachskerzen, schmeckte Hornblower immer noch wie eine verbotene Frucht. Er war so lange arm gewesen, hatte sein ganzes Leben lang so genau rechnen, so ängstlich sparen müssen, daß jede Großzügigkeit im Geldausgeben eine seltsam zwiespältige Empfindung in ihm weckte, die aus Freude und Schuldbewußtsein gemischt war. Morgen stand sicher mindestens eine halbe Krone allein für Licht auf seiner Rechnung. Hätte er sich mit einer gewöhnlichen Talgfunzel begnügt, dann wäre er mit zwei Penny ausgekommen. Auch das Feuer kostete mindestens einen Shilling. Außerdem konnte man sich darauf verlassen, daß diese Wirte alles nahmen, was sie bekommen konnten, wenn sie einen sichtlich gutgestellten Gast vor sich hatten, einen Ritter des Bath-Ordens, der mit Diener reiste und einen eigenen Zweispänner besaß. Es war vorauszusehen, daß der Betrag der Rechnung morgen näher bei zwei Guinees lag als bei einer. Hornblower fühlte nach seiner Brusttasche, um sich zu vergewissern, ob der dicke Packen Pfundnoten noch dort steckte. Er konnte es sich ja auch leisten, täglich zwei Guinees auszugeben.

Beruhigt beugte er sich wieder über die Notizen, die er während der Unterredung mit dem Staatssekretär des Auswärtigen gemacht hatte. Sie waren ohne Ordnung oder System, Wellesley hatte einen Punkt nach dem anderen erwähnt, wie ihm die Dinge einfielen, und er hatte die Punkte alle der Reihe nach aufgeschrieben. Offenbar wußte im Augenblick nicht einmal das Kabinett, ob die Russen gegen Bonaparte zu Felde ziehen würden oder nicht. Nein, so war es falsch ausgedrückt. Man mußte den Satz umdrehen: Niemand wußte, ob Bonaparte gegen Rußland zu Felde ziehen würde oder nicht. Bei aller feindseligen Stimmung gegen die Franzosen, so bitter diese Gefühle auch allem Anschein nach waren, dachte der Zar nicht daran zu kämpfen, wenn er nicht mußte, das hieß, wenn Bonaparte ihn nicht angriff. Es war sogar anzunehmen, daß er sich auf alle möglichen Zugeständnisse einließ, wenn er den Kampf vermeiden konnte. Das galt wenigstens für den Augenblick, solange er noch im Begriff stand, seine Armee aufzubauen und von Grund auf neu zu organisieren.

»Eigentlich kann man sich schwer vorstellen, daß Boney so verrückt sein sollte, einen Zusammenstoß zu provozieren«, hatte Wellesley gesagt, »da er doch so ziemlich alles, was er will, kampflos bekommen kann.«

Wenn es aber doch zum Krieg kam, dann war es natürlich wichtig, daß England in der Ostsee mit ausreichenden Seestreitkräften vertreten war.

»Gesetzt den Fall, es gelingt Boney, Alexander aus Rußland zu verjagen, dann seien Sie bitte bereit, ihn aufzunehmen«, sagte Wellesley. »Wir haben dann immer eine nützliche Verwendung für ihn.«

Diese Fürsten im Exil wirkten wie Galionsfiguren, sie waren zum mindesten nützliche Wahrzeichen oder Richtpunkte für alle Widerstandsaktionen, die auch in den von Bonaparte überrannten Ländern nicht zum Schweigen kamen. Im Lauf der Zeit hatte England schon die Herrscher Siziliens, Sardiniens, der Niederlande, Portugals und Hessens unter seine schützenden Fittiche genommen; sie alle bewirkten, daß in der Brust ihrer früheren Untertanen, die nun unter den Fußtritten des Tyrannen stöhnten, der Funke der Hoffnung nicht erlosch. »Sehr viel hängt von Schweden ab«, lautete eine andere Bemerkung Wellesleys. »Niemand kann erraten, was Bernadotte im Sinn hat. Die Eroberung Finnlands durch die Russen hat überdies in Schweden viel böses Blut gemacht. Wir versuchen jetzt, ihnen klarzumachen, daß Bonaparte dennoch die schlimmere Bedrohung für sie darstellt, weil er am Eingang zur Ostsee sitzt, während die Russen nur den nördlichen Zipfel beherrschen. Aber es ist bestimmt nicht angenehm für Schweden, sich in diesem Augenblick vor die Wahl zwischen Rußland und Bonaparte gestellt zu sehen.«

Das war auch wirklich eine richtige Zwickmühle, wie immer man die Lage ansah. – Schweden wurde von einem Kronprinzen regiert, der noch vor drei Jahren französischer General gewesen und überdies durch Heirat irgendwie mit Bonaparte verwandt war, Dänemark und Norwegen waren dem Tyrannen schon zum Opfer gefallen, Finnland eben von den Russen erobert und die ganze Südküste der Ostsee von den Truppen Bonapartes überschwemmt.

»Er hat große Truppenlager in Danzig und Stettin«, hatte Wellesley erklärt. »Außerdem stehen süddeutsche Verbände landeinwärts gestaffelt bis in die Gegend von Berlin, von den Preußen, Österreichern und seinen sonstigen Verbündeten gar nicht zu reden.«

Europa lag ja nun Bonaparte zu Füßen, so stand es ihm frei, die Heere seiner früheren Gegner für die eigenen Absichten dienstbar zu machen. Wollte er gegen Rußland Krieg führen, dann würde sich seine Armee allem Anschein nach zu einem wesentlichen Teil aus ausländischen Kontingenten zusammensetzen: Italienern, Süddeutschen, Preußen und Österreichern, Holländern und Dänen.

»Wie man mir berichtet, sollen sogar Spanier und Portugiesen darunter sein«, hatte Wellesley gesagt. »Ich will nur hoffen, daß ihnen der jüngst vergangene Winter in ihren polnischen Quartieren recht gut bekommen ist. Wie ich höre, sprechen Sie Spanisch?« Hornblower sagte« »Ja.«

»Auch Französisch?«

»Ja.«

»Russisch?«

»Nein.«

»Deutsch?«

»Nein.«

»Schwedisch? Polnisch? Litauisch?«

»Nein.«

»Das ist schade. Aber die meisten gebildeten Russen sprechen besser Französisch als Russisch, so sagte man mir wenigstens. Wenn es zutrifft, dann müssen sie allerdings – nach den Russen zu urteilen, die ich selbst kennengelernt habe – ihre Muttersprache sehr schlecht beherrschen. Zudem haben wir einen schwedischen Dolmetscher für Sie – ja richtig, Sie müssen mit der Admiralität noch vereinbaren, unter welchem Dienstgrad er in der Besatzungsrolle geführt werden soll – so heißt es doch seemännisch richtig, nicht wahr?«

Diese kleine Stichelei sah Wellesley ähnlich. Der frühere Generalgouverneur von Indien, jetzt Staatssekretär für Auswärtige Angelegenheiten, war ein Edelmann von blauestem Blut und dazu ein Weltmann von feinstem Schliff. Mit den paar hingeworfenen Worten hatte er seine erhabene Unwissenheit in allen seemännischen Angelegenheiten und damit natürlich auch seine hochmütige Nichtachtung für diese Dinge zu verstehen gegeben. Gleichzeitig hatte er damit diese ungehobelte Teerjacke da seine weltmännische Überlegenheit fühlen lassen, wobei es ihm wenig verschlug, daß besagte Teerjacke zufällig sein eigener Schwager war. Hornblower wurmte dieses Gehaben, und da er sich immer noch in einem Zustand überhöhten Selbstbewußtseins befand, unternahm er es, Wellesley einen Gegenhieb zu versetzen.

»Sie stellen doch in jedem Beruf ihren Mann, Richard«, meinte er ganz ruhig.

Es tat dem vornehmen Herrn sicher gut, sich daran zu erinnern, daß die Teerjacke immerhin aus verwandtschaftlichen Gründen das Recht hatte, ihn beim Vornamen zu nennen. Außerdem mochte er an dem Wort Beruf zu kauen haben – als ob so etwas für ihn überhaupt in Frage käme!

»Leider nicht in dem Ihrigen, lieber Hornblower. Ich habe mich nie in all diesen Ausdrücken zurecht gefunden und kann Backbord und Steuerbord oder Luv und Lee noch immer nicht unterscheiden. So etwas muß man eben als Schuljunge lernen, genau wie hic, haec, hoc.«

Es war anscheinend nicht so einfach, die erhabene Selbstzufriedenheit zu durchstoßen, die den edlen Marquis wie ein Panzer umgab.

Hornblower ließ diese Episode auf sich beruhen und wandte sich wieder ernsteren Dingen zu. Die Russen hatten in Reval und Kronstadt eine ganz anständige Flotte liegen, sie mochte etwa vierzehn Linienschiffe zählen, und Schweden hatte beinahe ebensoviel. In den deutschen und pommerschen Häfen wimmelte es von französischen Kaperschiffen, und es war eine der wichtigsten Aufgaben, die Hornblower zu übernehmen hatte, die englische Schiffahrt vor diesen Wölfen der See schützen zu helfen. Der Handel mit Schweden war ja für England lebenswichtig, denn von hier aus der Ostsee kamen die unentbehrlichen Nachschubgüter für die Seefahrt, auf die man für die Aufgaben der Seeherrschaft nicht verzichten konnte: Teer und Terpentin, Fichtenstämme für die Masten, Tauwerk und Schiffbauholz, Harz und Leinöl. Wenn sich Schweden mit Bonaparte gegen Rußland verbündete, dann ging der schwedische Anteil an diesem Handel, das war mehr als die Hälfte, verloren, und England mußte sich mit dem Rest begnügen, den es in Finnland und Estland zusammenkratzen konnte, immer vorausgesetzt, daß es gelang, die Ladungen der schwedischen Flotte zum Trotz sicher durch die Ostsee zu geleiten und irgendwie durch den Sund zu schaffen, obgleich Bonaparte Herr der dänischen Inseln war. Dabei brauchte Rußland selbst diese Güter dringend für die eigene Flotte und mußte auf die eine oder andere Weise dazu bestimmt werden, dennoch so viel abzulassen, wie England nötig hatte, um eine Flotte seetüchtig und einsatzbereit zu halten. Es erwies sich jetzt als günstig, daß England den Finnen nicht zu Hilfe geeilt war, als sie von Rußland angefallen wurden. Hätte man sich damals anders entschlossen, dann bestünde jetzt viel weniger Aussicht, daß Rußland Bonaparte den Krieg erklärte. Geschickte Diplomatie, die sich auf Machtmittel stützen konnte, brachte es vielleicht fertig, Schweden vor einem Bündnis mit Bonaparte zu bewahren, die Sicherheit des Ostseehandels wiederherzustellen und womöglich sogar freien Zugang zu den norddeutschen Küsten zu verschaffen, der es ermöglichte, Vorstöße gegen die Verbindungslinien Napoleons zu unternehmen. Kam zu diesem Druck noch das Wunder, daß Bonaparte einen Rückschlag erlitt, dann mochte sich sogar Preußen bereit finden, zu seinem bisherigen Gegner überzutreten. Hornblowers weitere Aufgabe bestand also darin, daß er dazu beitrug, einerseits das altüberlieferte Mißtrauen der Schweden gegen Rußland zu zerstreuen, und anderseits Preußen zum Bruch seines erzwungenen Bündnisses mit Frankreich zu ermutigen. Dabei durfte es jedoch unter keinen Umständen zu einer Gefährdung des Ostseehandels kommen. Ein einziger falscher Schritt konnte unabsehbares Unheil heraufbeschwören.

Hornblower legte seine Notizen auf den Tisch und starrte mit blicklosen Augen gegen die Wand des Zimmers. Da war die Ostsee mit ihrem Nebel, ihrem Eis und ihren Untiefen, dazu die russische Flotte, die schwedische Flotte, die französischen Kaperschiffe, der Ostseehandel, das russische Bündnis und die Haltung Preußens. Es ging um hohe Politik, um lebenswichtige Handelsstraßen. In den nächsten paar Monaten standen das Schicksal Europas, die ganze Weltgeschichte auf des Messers Schneide, und er, er hatte in diesem Drama die Verantwortung. Hornblower fühlte, wie sein Puls rascher wurde und seine Muskeln sich spannten, die alten, wohlbekannten Erscheinungen, wenn Gefahr im Anzuge war. Fast ein Jahr war vergangen, seit er sie zum letzten Male verspürt hatte, das war damals gewesen, als er die große Admiralskajüte der Victory betrat, um das Urteil des Kriegsgerichts entgegenzunehmen, das auf Tod lauten konnte. Diese Aussicht auf Gefahren und der Gedanke an das ungeheuerliche Gewicht seiner Verantwortung bereiteten ihm ausgesprochenes Unbehagen. Derartiges hatte er sich nicht träumen lassen, als er heute mittag fröhlich und guter Dinge hier ankam, um seine Befehle entgegenzunehmen. Dafür brachte er nun Barbara und ihre Liebe zum Opfer, dafür verzichtete er auf das Leben eines Grundherrn, auf die Ruhe und den Frieden seines neugegründeten Heims.

Aber noch während er in ratloses, fast verzweifeltes Brüten versunken an seinem Tisch saß, meldeten sich erst leise, dann immer lauter die Probleme und Aufgaben, die ihn erwarteten mit ihrem verlockenden Zauber. Die Admiralität gab ihm freie Hand, in dieser Hinsicht konnte er sich also nicht beklagen. Reval fror im Dezember zu, Kronstadt oft schon im November. Solange diese Häfen zu waren, mußte er sich einen Stützpunkt weiter südlich wählen. Wie war es mit Lübeck? Gab es dort überhaupt Eis? Jedenfalls war es am besten, wenn … Plötzlich sprang Hornblower auf und schob den Stuhl zurück. Wahrscheinlich wußte er gar nicht, was er tat, aber er brachte es einfach nicht zuwege, im Sitzen schöpferisch zu denken, oder doch höchstens so lange, wie er den Atem anhalten konnte. Dieser Vergleich war deshalb besonders treffend, weil bei ihm die Symptome einer langsamen Erstickung auftraten, wenn er einmal gezwungen war, im Sitzen scharfe Gedankenarbeit zu leisten. Da stieg jedesmal sein Blutdruck, und gleichzeitig befiel ihn eine wilde körperliche Unrast.

Heute abend zwang ihn, Gott sei Dank!, niemand, sitzenzubleiben. Er hatte den Stuhl zurückgeschoben und konnte nun ungehindert auf und ab gehen, immer vom Tisch zum Fenster und dann wieder zurück zum Tisch, die Strecke war mindestens ebenso lang, wie die auf dem Achterdeck manches seiner Schiffe, und dabei gab es hier obendrein weniger Hindernisse. Kaum hatte er seine Wanderung begonnen, da öffnete sich leise die Zimmertür, und Brown, den das Geräusch des Stuhlrückens herbeigerufen hatte, steckte durch den Spalt vorsichtig seinen Kopf herein. Der Kapitän hatte also begonnen, auf und ab zu wandern, das hieß, daß er bestimmt noch sehr lange nicht schlafen ging.

Brown war ein kluger Mensch, der sich auch bei der Bedienung seines Herrn immer von seinem gesunden Menschenverstand leiten ließ. Der eine Blick sagte ihm genug. Deshalb machte er jetzt die Tür leise wieder zu und wartete volle zehn Minuten, ehe er das Zimmer betrat. Bis dahin war nämlich Hornblower mit seiner Wanderung gut in Zug gekommen, und dann hatte sich auch der Strom seiner Gedanken ein Bett gegraben, aus dem er nicht mehr so leicht abzulenken war. So war Brown imstande einzutreten, ohne seinen Herrn zu stören, es war sogar nur sehr schwer festzustellen, ob Hornblower seine Anwesenheit überhaupt zur Kenntnis nahm oder nicht. Nun stimmte er seine Bewegungen genau auf das regelmäßige Hin und Her des Kapitäns ab, so konnte er rasch und unauffällig an den Tisch treten und die Wachslichter putzen, die schon begonnen hatten, zu tropfen und schrecklich zu blaken, und schnell noch frische Kohle aufs Feuer schütten, das schon zu einem Haufen glühender Asche zusammengesunken war. Dann schlüpfte er wieder aus dem Zimmer und machte sich auf eine lange Wartezeit gefaßt. Sein Kapitän war sonst ein sehr rücksichtsvoller Herr und dachte gar nicht daran, seinen Diener bis spätnachts aufbleiben zu lassen, nur damit er ihn beim Zubettgehen zur Verfügung hatte. Das wußte Brown genau, und deshalb fand er auch nichts dabei, wenn er heute ausnahmsweise einmal vergessen hatte, ihn zu entlassen.

Hornblower aber wanderte ohne Unterlaß mit regelmäßigen, gemessenen Schritten in seinem Zimmer auf und ab, der eine Wendepunkt lag zwei Zoll von der Wandvertäfelung und dem Fenster, der andere war so berechnet, daß er beim Wenden mit der Hüfte leicht die Tischkante streifte. Russen und Schweden, Geleitzüge und Kaperschiffe, Stockholm und Danzig, all das gab ihm eine Fülle von Stoff zum Nachdenken. In der Ostsee war es kalt, das hieß, daß er für wirksamen Schutz zu sorgen hatte, damit seine Besatzungen gesund blieben. Vor allem aber mußte eines geschehen, und zwar, sobald der Verband zusammentrat. Er mußte sich vergewissern, daß auf jedem Fahrzeug wenigstens ein Offizier war, der Signale rasch und richtig geben und ablesen konnte. Klappte der Signaldienst nicht, dann war die beste Disziplin umsonst und die klügste Organisation ein Schlag ins Wasser. Dann konnte er sich das Plänemachen von vornherein ersparen. Und dann diese Kanonenboote! Sie hatten den Nachteil …

Hier sah sich Hornblower durch ein Klopfen an der Tür plötzlich roh unterbrochen.

»Herein!« rief er kurz und ungnädig.

Langsam öffnete sich die Tür, auf der Schwelle stand Brown und neben ihm mit verängstigter Miene der Wirt in seiner grünen Schürze.

»Was ist denn los?« herrsche Hornblower die beiden an. Jetzt, da seine Achterdeckswanderung unterbrochen war, merkte er auf einmal, daß er sehr müde war. Er hatte ja auch allerlei erlebt, seit ihn seine Pächter heute morgen als neuen Gutsherrn von Smallbridge begrüßt hatten, und die Müdigkeit in den Beinen verriet ihm, daß er hier zwischen Tisch und Fenster eine ordentliche Wegstrecke zurückgelegt hatte.

Brown tauschte noch einen Blick mit dem Wirt, bis sich dieser endlich ein Herz faßte:

»Die Sache ist die«, begann er aufgeregt, »auf Nummer vier, genau unter diesem Zimmer, wohnt Seine Lordschaft, Sir. Seine Lordschaft sind etwas reizbar, Sir, halten zu Gnaden, Sir. Und Mylord sagte, nichts für ungut, Sir, also er sagte, um zwei Uhr morgens könnte er von jedem verlangen, daß er aufhörte, über seinem Kopf spazierenzugehen. Mylord meinte …«

»Zwei Uhr morgens?« warf Hornblower fragend ein.

»Es geht schon auf drei, Sir«, erlaubte sich Brown taktvoll zu bemerken.

»Jawohl, Sir, als er zum zweitenmal läutete, schlug es gerade halb. Er sagte, wenn Sie wenigstens mit den Sachen herumwürfen oder ein Lied sängen, dann wäre es nicht halb so schlimm. Aber immer nur dieses Auf und Ab, Auf und Ab, Sir – Seine Lordschaft meinten, man müsse dabei immer an den Tod und an das Jüngste Gericht denken. Es sei ebenso arg regelmäßig und eintönig. Als seine Lordschaft das erstemal läuteten, habe ich gesagt, wer Sie sind, Sir. Aber jetzt …«

Hornblower, der sich von der Flut seiner Gedanken hatte fortspülen lassen, war indessen allmählich wieder auf dem festen Boden der Wirklichkeit gelandet. Er sah die aufgeregten Gesten des armen Wirts, der zwischen dem Zornteufel des unbekannten Lords im unteren Stockwerk und den Hochseeträumen des Kapitäns Horatio Hornblower im oberen in einer bösen Klemme saß, und mußte darüber lächeln … Es kostete ihn sogar Mühe, nicht laut herauszuplatzen. Man konnte sich ja dieses ganze lustige Zwischenspiel so hübsch ausmalen:

Den cholerischen Aristokraten dort unten, dazu den Wirt, der eine heillose Angst davor hatte, es mit einem der beiden wohlhabenden und einflußreichen Gäste zu verderben, und, um allen Verwicklungen die Krone aufzusetzen, Brown, der sich, solange es irgendwie tragbar schien, standhaft und hartnäckig gegen jeden Versuch zur Wehr setzte, die Gedankenarbeit seines Herrn zu stören. Hornblower bemerkte, wie die beiden Männer auf sein Lächeln hin sichtlich erleichtert aufatmeten, und darüber mußte er nun wirklich hellauf lachen. Gewiß, er war in letzter Zeit recht reizbar gewesen, und sicherlich hatte Brown deshalb auch jetzt einen Ausbruch erwartet, von dem armen Wirt ganz zu schweigen, der sich ohnehin bei einem Gast keine andere Reaktion vorstellen konnte. Diese Wirte erwarteten gar nichts anderes, als daß die Gäste, die ihnen das Schicksal zuführte, wegen jeder Kleinigkeit einen Koller bekamen. Hornblower mußte daran denken, daß er Brown erst heute morgen ohne jeden Anlaß aufgefordert hatte, ihm den Buckel herunterzurutschen. Aber Brown war eben doch nicht ganz so gewitzt, wie es den Anschein hatte, denn heute früh, als das geschehen war, da hatte er, Hornblower, sich noch als ein zum Landleben und zum Ziviltragen verurteilter Seeoffizier herumärgern müssen, heute abend dagegen war er Kommodore mit einem Verband, der darauf wartete, daß er seinen Stander setzte. Konnte es da noch etwas geben, was ihm die Laune verdarb? Diesen Wandel der Dinge hatte Brown nicht in Rechnung gesetzt.

»Versichern Sie Seine Lordschaft meiner Hochachtung«, sagte er, »und bestellen Sie ihm, daß der Unglücksmarsch augenblicklich aufgehört hat. Brown, ich möchte zu Bett gehen.«

Der Wirt eilte froh und erleichtert die Treppe hinunter, Brown aber nahm einen der Leuchter – die Kerze war bis auf einen kurzen Stummel niedergebrannt – und leuchtete seinem Herrn ins Schlafzimmer voran. Hornblower schälte sich aus seinem Rock mit den schweren, goldgestickten Epauletten, den Brown eben noch rechtzeitig auffing, ehe er zu Boden fiel. Schuhe, Hemd und Hose folgten, und dann fuhr Hornblower in das prachtvolle Nachthemd, das auf dem Bett ausgelegt war. Dieses Nachthemd war aus schwerer chinesischer Seide mit Brokatborten und Falbeln am Hals und an den Ärmeln. Barbara hatte mit Hilfe ihrer Feunde in der Ostindischen Kompanie eigens eine Bestellung in den Fernen Osten geschickt, um es zu bekommen. Der in ein Tuch gewickelte heiße Ziegelstein, der im Bett lag, hatte sich zwar schon erheblich abgekühlt, dafür hatte sich seine Wärme aber höchst angenehm auf das ganze Bett verteilt und bot Hornblower ein freundliches Willkommen, als er sich wohlig hineinkuschelte.

»Gute Nacht, Sir«, sagte Brown und löschte das Licht. Da stürzte die Finsternis aus den Ecken des Zimmers hervor, und zugleich mit ihr eilte eine Fülle wilder Traumgesichte herbei. Ob im Schlaf oder im Wachen – Hornblower hatte am nächsten Morgen keine Ahnung –, jedenfalls verfolgten ihn auch für den Rest der Nacht die tausend Schwierigkeiten dieser bevorstehenden Ostseeunternehmung, bei der für ihn wieder einmal Leben, Ruf und Selbstachtung auf dem Spiele standen.

4SALUT DEM KOMMODORE

Hornblower beugte sich aus seinem Sitz in der Kutsche vor und spähte durch das geschlossene Fenster hinaus. »Der Wind schießt wohl etwas nach Norden aus«, bemerkte er, »er steht jetzt anscheinend bereits aus West zu Nord.«

»Ja, Liebster«, erwiderte Barbara geduldig.

»Verzeihung, lieber Schatz«, sagte Hornblower, »ich habe dich unterbrochen, du sprachst doch eben von meinen Hemden.«

»Nein, damit war ich schon zu Ende, Liebster. Ich wollte aber gerade sagen, daß du die flache Seekiste nicht auspacken lassen sollst, bevor das Wetter kalt zu werden beginnt. Darin sind nämlich dein Schafpelz und dein schwerer Pelzmantel, und zwar gut eingekampfert. So sind sie bestimmt am besten vor Motten geschützt. Laß also diese Kiste auf jeden Fall gleich verstauen, wenn du an Bord kommst.«

»Ja, mein Schatz.«

Die Kutsche rasselte gerade über das Kopfpflaster von Deal. Barbara richtete sich etwas auf und nahm Hornblowers Hand wieder in die ihrige.

»Ich spreche so ungern von dem Pelzwerk«, sagte sie, »weil ich hoffe, ach, so sehr hoffe, daß du wieder hier bist, ehe die Kälte einsetzt.«

»Das hoffe ich selbst auch, mein Schatz«, erwiderte Hornblower. Er sagte damit die volle Wahrheit.

Im Wagen herrschte trübes Zwielicht, nur auf Barbaras Gesicht lag ein heller Schein, der durch das Fenster hereinfiel, und ließ es wie das Antlitz einer Heiligenfigur in einer Kirche aufleuchten. Unter ihrer kühnen Adlernase zeigte sie um den Mund einen festen, energischen Zug, auch in ihren graublauen Augen stand nichts von Weichheit zu lesen. Nein, dieses Gesicht verriet gewiß nichts davon, daß ihr das Herz zu brechen drohte. Als sie nun aber ihre Handschuhe ausgezogen hatte, da krampfte sich ihre Hand fieberheiß um die Hand Hornblowers.

»Komm zurück zu mir, mein Liebster, komm zurück zu mir!« flüsterte sie leise.

»Natürlich komme ich zurück«, sagte Hornblower darauf. Sieh da, seine Barbara konnte also trotz ihrer vornehmen Abkunft, trotz ihres scharfen Verstandes und trotz ihrer eisernen Selbstbeherrschung genauso törichte Dinge sagen wie jede nächstbeste, gewöhnliche Seemannsfrau, die von ihrem Mann Abschied nehmen mußte. Wenn sie mit dieser rührenden Stimme flüsterte ›Komm zu mir zurück‹, als ob es in seiner Macht stünde, den französischen oder russischen Kugeln, die ihm galten, zu entgehen, dann liebte er sie mehr denn je.

Da tauchte plötzlich eine scheußliche Vorstellung in ihm auf, einer aufgedunsenen Wasserleiche vergleichbar, die sich vom schlammigen Meeresgrund löst und an die Oberfläche steigt. Hatte Lady Barbara nicht schon vor ihm einen Gatten scheiden sehen, der nicht aus dem Krieg zurückkam? Er war in Gibraltar unter dem Messer des Chirurgen gestorben, nachdem ihm während der Schlacht vor der Rosas-Bucht ein Splitter die Weiche aufgerissen hatte. Dachte etwa Barbara jetzt, in diesem Augenblick, an jenen Toten? Unwillkürlich schauderte Hornblower bei diesem Gedanken etwas zusammen, aber Barbara vermochte es trotz des starken, gegenseitigen Einfühlungsvermögens, das immer zwischen ihnen bestand, nicht, seine Bewegung richtig zu deuten.