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Der Klassiker unter den Seefahrerepen: Horatio Hornblowers elftes Abenteuer. Ein letztes mal muss sich Horatio Hornblower Napoleon in den Weg stellen, um dessen Pläne zu vereiteln. Als dem Konteradmiral geheime Depeschen mit der Unterschrift des Korsen in die Hände fallen, bleibt ihm nur wenig Zeit zu handeln. Alles hängt jetzt davon ab, ob es ihm mit seinem gefährlichen Doppelspiel gelingt, den Vormarsch der napoleonischen Truppen noch einmal aufzuhalten. Der elfte und letzte Band der berühmten Romanserie um Horatio Hornblower, einem Meilenstein der maritimen Literatur, ist ein großes Seeabenteuer und ein Lesevergnügen, das bereits Generationen von Lesern begeistert hat.
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Seitenzahl: 403
Veröffentlichungsjahr: 2012
Cecil Scott Forester
Horatio Hornblower Band 11
Als Hornblower geheime Depeschen mit Napoleons Unterschrift in die Hände fallen, ist ihm klar, dass der Korse zu einem erneuten Schlag ansetzt. Hornblower muss ein gefährliches Doppelspiel beginnen, um einem französischen Admiral gefällschte Pläne und Papiere zuzuspielen. Zusammen mit zwei weiteren Episoden und Foresters Essay ›Meine Bücher und ich‹ bildet dieser Band den Abschluß der Abenteuer Horatio Hornblowers, des berühmtesten Seefahrers aller Zeiten.
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Cecil Scott Forester wurde 1899 in Kairo als Sohn eines ägyptischen Regierungsbeamten geboren. Schon bald schickte ihn der Vater ins weit entfernte England, wo er neben dem Medizinstudium zunehmend Gedichte verfasste, bis er der Medizin schließlich den Rücken wandte, um sich ausschließlich der Literatur zu widmen. Mit dem Zyklus seiner Seeabenteuerromane um Horatio Hornblower schuf Forester ein unvergängliches Epos, das ihm Weltruhm einbrachte und ihn bis heute zu einem der großen Erzähler des 20. Jahrhunderts macht. Während des Zweiten Weltkrieges ging Forester nach Hollywood, wo er 1966 starb.
Die Gesamtserie um Horatio Hornblower:1 ›Fähnrich Hornblower‹2 ›Leutnant Hornblower‹3 ›Hornblower auf der Hotspur‹4 ›Kommandant Hornblower‹5 ›Der Kapitän‹6 ›An Spaniens Küsten‹7 ›Unter wehender Flagge‹8 ›Der Kommodore‹9 ›Lord Hornblower‹10 ›Hornblower in Westindien‹11 ›Zapfenstreich‹
AUS DEM NACHLASS
1 HORNBLOWERS PLAN
2 HORNBLOWER UND DIE WITWE McCOOL
3 DIE LETZTE BEGEGNUNG
MEINE BÜCHER UND ICH
ERKLÄRUNG SEEMÄNNISCHER AUSDRÜCKE
VORBEMERKUNG
RANGFOLGE ZUR ZEIT HORNBLOWERS
DIENSTSTELLUNGEN
Hornblower hatte schon erwartet, daß es klopfen würde, denn er hatte durch sein Kajütenfenster genug gesehen, um zu erraten, was draußen vor sich ging.
»Wasserleichter kommt längsseit«, meldete Bush mit dem Hut in der Hand.
»Danke, Mr. Bush.« Hornblower war innerlich aus dem Gleichgewicht und darum etwas gereizter Stimmung. Jedenfalls war er nicht geneigt, Bush das Leben leichter zu machen.
»Der neue Kommandant ist an Bord, Sir.« Bush war sich über Hornblowers schlechte Stimmung völlig im klaren, aber er besaß nicht genug geistige Wendigkeit, um damit fertig zu werden.
»Danke, Mr. Bush.«
Es war einfach grausam, einen armen Teufel geflissentlich hochzunehmen, der sich so gut wie gar nicht wehren konnte. Hornblower gab sich Rechenschaft, daß sein Verhalten ihm selbst keine Freude machte und Bush nur in Verlegenheit brachte. Er nahm sich vor, der Unterhaltung wenigstens etwas von ihrer dienstlichen Steifheit zu nehmen.
»Nun, Mr. Bush, haben Sie jetzt vielleicht ein paar Minuten für mich übrig?« sagte er. »Nach Ihrer eifrigen Tätigkeit während der letzten zwei Tage ist das vielleicht eine Abwechslung für Sie.«
Das war weder anständig noch freundlich. Bush verriet ihm durch seinen Ausdruck deutlich genug, was in ihm vorging.
»Ich hatte meine Pflicht zu tun, Sir«, murmelte er.
»Natürlich, Sie mußten ja die Hotspur für den neuen Kommandanten tipptopp in Schuß bringen.«
»Ja – jawohl, Sir.«
»Natürlich, ich habe ja hier nichts mehr zu sagen und zähle daher nicht mit.«
»Aber Sir!«
Obwohl Hornblower nichts ferner lag, konnte er doch nicht umhin zu lächeln, als er Bushs unglückliche Miene sah.
»Ich freue mich, Ihnen anzusehen, Mr. Bush, daß Sie doch nur ein Mensch sind wie andere auch. Zuweilen habe ich ernstlich daran gezweifelt. Ich hätte mir keinen besseren Ersten Offizier denken können.«
Bush brauchte ein paar Sekunden, um mit dieser unerwarteten Anerkennung fertig zu werden.
»Ich danke Ihnen sehr für dieses Urteil, Sir. Das ist mehr als ich mir erwarten durfte. Aber schließlich war doch alles Ihr eigenes Werk.«
Jetzt drohte die Gefahr, daß sie im nächsten Augenblick auf den schlüpfrigen Pfad der Gefühlsduselei gerieten. Das durfte nicht sein, er hätte es nicht ertragen.
»Zeit, daß ich an Deck gehe«, sagte Hornblower, »das beste ist, wir verabschieden uns gleich hier, Mr. Bush. Ich wünsche Ihnen unter Ihrem neuen Kommandanten Glück und Erfolg.«
Er gab der Stimmung des Augenblicks so weit nach, daß er Bush die Hand reichte, die dieser dankbar ergriff. Es war ein Glück, daß er vor Rührung nur ein »Leben Sie wohl, Sir« über die Lippen brachte. Hornblower eilte im Geschwindschritt durch die Kajütentür hinaus, und Bush folgte ihm auf dem Fuße.
Als der Wasserleichter jetzt längsseit der Hotspur anlegte, gab es sofort eine Menge Ablenkung. Wohl war die Bordwand des Leichters von vorn bis achtern mit aufgerollten alten Segeln und mit Sandsäcken als Fendern geschützt, dennoch war es auch in dem geschützten Winkel dieser kleinen Bucht eine knifflige Aufgabe, eine Leinenverbindung zwischen beiden Schiffen herzustellen und sie zusammenzuholen. Von dem Wasserleichter wurde unter lautem Geklapper eine Stelling herübergeschoben, um die Lücke zwischen den beiden Decks zu überbrücken; dann machte sich ein stämmiger Mann in großer Uniform als erster daran, diesen unsicheren Steg zu überqueren. Er war sehr groß, mindestens einen Meter neunzig, und schwer gebaut. Anscheinend stand er in mittleren Jahren, womöglich schon darüber, das verriet sein grauer Haarschopf, als er jetzt seinen Hut lüftete. Die Bootsmannsmaate pfiffen laut Seite, und die beiden Trommler des Schiffs schlugen dazu einen nicht ganz sauberen Wirbel.
»Willkommen an Bord, Sir«, sagte Hornblower.
Der neue Kommandant zog ein Papier aus der Tasche, faltete es auseinander und begann zu lesen. Ein Ruf Bushs bewirkte, daß jedermann an Deck die Mütze zog, so daß der Akt mit der gebotenen Feierlichkeit ablief.
»Der nachfolgende Befehl wurde von uns, William Cornwallis, Vizeadmiral der roten Flagge, Ritter des ehrwürdigsten Bathordens und Befehlshaber Seiner Majestät Schiffe und Fahrzeuge der Kanalflotte an James Percival Meadows Esquire –«
»Ja glaubt ihr denn, ich habe den ganzen Tag Zeit?« ertönte da eine Stentorstimme an Deck des Leichters. »Wer nimmt hier denn endlich die Schläuche wahr? Herr Leutnant, schicken Sie mir doch Leute für die Pumpen!«
Der Ruf kam, durchaus berechtigterweise, von dem massigen Kapitän des Leichters. Bush winkte ihm wütend zu, den Mund zu halten, bis das Zeremoniell beeendet war.
Aber den dicken Kapitän focht das nicht an. »Für euer Affentheater ist noch Zeit genug, wenn ihr das Wasser an Bord habt. In einer Stunde schlägt der Wind um.«
Kapitän Meadows zog die Stirn in Falten und unterbrach seine Lesung, aber trotz seiner Statur war er außerstande, den Kapitän des Leichters zum Schweigen zu bringen. Also gab er den Rest seines Befehls schreiend in einem Tempo zum besten, das eher einem Galopp als einem Trab zu vergleichen war. Als er die Lesung beendet hatte und damit rechtmäßig als Kommandant HMS Hotspur eingesetzt war, faltete er die Urkunde sichtlich erleichtert wieder zusammen.
»Mützen auf!« kommandierte Bush.
»Sir, ich übernehme hiermit das Kommando«, sagte Meadows zu Hornblower.
»Ich bedaure das üble Benehmen des Mannes auf dem Wasserleichter, Sir«, meinte Hornblower zu Meadows.
»Jetzt brauche ich endlich ein paar kräftige Burschen«, sagte der dicke Kapitän, ohne jemand bestimmten anzureden. Darauf zuckte Meadows gleichmütig die breiten Schultern.
In aller Hast stellte Hornblower vor: »Mein Erster Offizier – Verzeihung, Ihr Erster Offizier, Mr. Bush«.«
»Lassen Sie sich nicht stören, Mr. Bush«, sagte Meadows, und Bush machte sich sofort voll Eifer an die Aufgabe, das Frischwasser aus dem Leichter an Bord zu pumpen.
»Was ist denn das für ein Kerl?«, fragte Hornblower und zeigte mit dem Daumen auf den Kapitän des Wasserleichters.
»Der war die letzten zwei Tage mein Hauskreuz«, gab ihm Meadows zur Antwort. »Jeder Satz, den er sagte, war mit schmutzigen Schimpfworten gespickt, die ich Ihnen nicht zu wiederholen brauche. Der Mann ist nicht nur Kapitän, sondern mit siebenunddreißig von vierundsechzig Anteilen Miteigner des Fahrzeugs. Er steht unter Vertrag mit dem Marineamt. Er und seine Leute sind den Preßkommandos entzogen, weil sie alle Schutzbriefe haben. Er sagt, was ihm einfällt, er tut, was ihm beliebt. Ich sage Ihnen, ich würde alles Prisengeld der nächsten fünf Jahre darangeben, wenn ich den Kerl nur zehn Minuten an der Gräting haben könnte.«
»Ach«, sagte Hornblower. »Und ich muß jetzt bei ihm als Passagier einsteigen.«
»Hoffentlich kommen Sie besser mit ihm zu Rande als ich.«
»Achtung, Sirs!« Ein Matrose des Wasserfahrzeugs kam schweren Schrittes über die Stelling und zog einen leinenen Schlauch hinter sich her. Dicht hinter ihm folgte ein Mann mit Papieren. Im nächsten Augenblick herrschte überall lebhaftes Treiben.
»Ich möchte Ihnen jetzt gern die Schiffspapiere übergeben, Sir. Darum wollte ich Sie bitten, mitzukommen – die Papiere liegen in Ihrer Kajüte bereit, wenn Sie Zeit haben, sich mit ihnen zu befassen.«
Seine Seekiste und sein Seesack standen einsam und verlassen auf den nackten Decksplanken der Kajüte und zeugten in herzbewegender Weise von seiner bevorstehenden Abfahrt. Es war jetzt nur noch eine Angelegenheit weniger Minuten, den Kommandowechsel durchzuführen.
»Darf ich mir von Mr. Bush einen Mann erbitten, der mir mein Gepäck von Bord bringt?« fragte Hornblower Meadows.
Jetzt war er niemand mehr, nicht einmal ein Passagier, seine Rolle an Bord war ausgespielt. Das kam ihm noch deutlicher zum Bewußtsein, als er an Deck zurückkehrte und sich nach seinen Offizieren umsah, um ihnen Lebewohl zu sagen. Sie waren alle mit den Aufgaben des Augenblicks befaßt und hatten für ihn kaum eine Sekunde Zeit. Darum kam es nur zu einem hastigen und oberflächlichen Händeschütteln. Als das überstanden war, wandte er sich seltsam erleichtert der Stelling zu.
Aber dieses Gefühl der Erleichterung war nur von sehr kurzer Dauer. Die Hotspur rollte sogar vor Anker in der Dünung, die um die Landspitze herum in die Bucht hereinkurvte. Aber die Hotspur und der Wasserleichter rollten in entgegengesetztem Rhythmus, ihre Aufbauten neigten sich also zuerst gegeneinander und dann auseinander. So kam es, daß die Stelling, die beide Schiffe verband, mehreren deutlich unterschiedenen Bewegungen unterworfen war. Sie schwang einmal senkrecht wie eine Wippe und zweitens auch horizontal wie eine Kompaßnadel. Zugleich hob und senkte sie sich auch als Ganzes. Bei weitem die übelste Bewegung, die ihm sofort auffiel, als er sich daranmachte, die Stelling zu betreten, bestand darin, daß sie sich ruckartig vor und zurückschob, wenn die Schiffe gegeneinander oder auseinander krängten. Dann war der von der Planke überbrückte Zwischenraum einmal nur zwei Meter, dann wieder volle fünf Meter breit. Für einen barfüßigen Matrosen war es ein Kinderspiel, diese Stelling zu überschreiten, Hornblower sah dem Unterfangen nicht ohne Besorgnis entgegen. Die Planke war immerhin nur einen halben Meter breit und hatte nicht einmal ein Strecktau, an dem man sich festhalten konnte. Er wußte überdies genau, daß ihn der dicke Kapitän des Wasserfahrzeugs beobachtete; daher nahm er sich vor, sich kein Zögern anmerken zu lassen, nachdem er sich einmal entschlossen hatte hinüberzugehen. Bis zu diesem Augenblick verfolgte er die Bewegungen der Stelling auf das genaueste aus dem Augenwinkel und erweckte dabei den Anschein, als sei seine ganze Aufmerksamkeit durch die Vorgänge an Bord beider Schiffe voll in Anspruch genommen.
Dann – plötzlich – stürmte er los. Im nächsten Augenblick hatte er beide Füße auf der Planke, dann kam ein schrecklicher Augenblick, als er trotz aller Eile überhaupt nicht voranzukommen schien. Endlich gelangte er ans Ende der Stelling und erreichte mit einem letzten großen Schritt das vergleichsweise stabile Deck des Wasserleichters, wo er dankbar aufatmete. Dem dicken Kapitän fiel es nicht ein, ihn an Bord seines Schiffes willkommen zu heißen. Zwei Matrosen setzten Hornblowers Sachen an Deck, er selbst aber sah sich durch das Verhalten des Mannes genötigt, selbst den ersten Schritt zur Bekanntschaft mit ihm zu unternehmen.
»Sind Sie der Kapitän dieses Schiffes, Sir?« fragte er.
»Kapitän Baddlestone, Kapitän des Leichters Princess.«
»Ich bin Kapitän Hornblower und soll an Bord Ihres Schiffes nach England fahren«, sagte Hornblower. Er wählte absichtlich diese Ausdrucksweise, weil er sich über Baddlestones großspuriges Getue ärgerte.
»Haben Sie denn einen Berechtigungsschein?«
Diese Frage und die Art, in der sie an ihn gerichtet wurde, stellte Hornblowers Selbstbeherrschung auf eine harte Probe. Jetzt war das Maß voll, weitere Unverschämtheiten ließ er sich nicht mehr gefallen.
»Ja«, erklärte er.
Baddlestone hatte ein großes, rundes, rotes, fast purpurnes Gesicht. Aus diesem Gesicht, unter zwei buschigen schwarzen Brauen hervor, begegneten ein Paar überraschend helle blaue Augen Hornblowers hochmütigem Blick. Hornblower war entschlossen, keinen Zoll zu weichen, und wollte dem Frontangriff dieser blauen Augen bis auf weiteres standhalten, aber er mußte erfahren, daß seine Flanke säuberlich umgangen wurde.
»Kajütverpflegung kostet im Tag eine Guinee. Sie können aber auch einen Pauschalpreis von drei Guinees bezahlen«, verkündigte ihm Baddlestone.
Er war überrascht zu hören, daß er für die Verpflegung an Bord überhaupt zu zahlen hatte, und war sich sehr wohl bewußt, daß diese Überraschung in seiner Miene zum Ausdruck kam. Aber mit Worten wollte er sich nicht verraten. Ja, er wollte sich nicht einmal dazu herablassen, die Fragen zu stellen, die er schon auf der Zunge hatte. Baddlestone hatte ohne Zweifel das Recht auf seiner Seite. Der Chartervertrag mit dem Marineamt verpflichtete ihn wahrscheinlich, reisenden Offizieren auf seinem Schiff Unterkunft zu gewähren.
Aber von Vereinbarungen über ihre Verpflegung war darin vermutlich nicht die Rede. Hornblower überlegte in aller Eile.
»Also drei Guinees«, sagte er so hochmütig, wie er nur konnte, und mit dem Gehaben eines Mannes, dem der Unterschied zwischen einer und drei Guinees überhaupt nichts ausmacht. Erst als er diese Worte gesprochen hatte, kam er zu der Erkenntnis, daß der Wind wahrscheinlich wieder nach Osten zurückdrehte und daß sich daraus eine lange Rückreise ergeben mußte.
Während dieses Gesprächs hatte die eine Pumpe höchst unregelmäßig gearbeitet, und jetzt hörte plötzlich auch die zweite zu arbeiten auf. Nach dem monotonen Geräusch der Pumpen wirkte die plötzliche Stille überraschend. Jetzt hörte man Bush von der Hotspur herüberrufen:
»Das sind nur neunzehn Tonnen«, rief er, »wir können noch zwei mehr unterbringen.«
»Die werden Sie nicht bekommen«, schrie Baddlestone. »Unsere Tanks sind leer.«
Es war ein seltsames Gefühl für Hornblower, daß ihn diese ganze Geschichte nichts mehr anging. Er war ja jetzt frei von jeder Verantwortung. Dennoch rechnete er sich wie automatisch aus, daß die Hotspur jetzt Frischwasser für vierzig Tage an Bord hatte. Es war nun Meadows’ Aufgabe, mit diesem Vorrat hauszuhalten. Und wenn der Wind wirklich nach Osten drehte, dann war es Aufgabe der Hotspur, die Mündung des Goulet so dicht unter Land zu sperren, wie es irgend möglich war. Auch diese Aufgabe oblag jetzt Meadows, ihn ging sie nichts mehr an, jetzt nicht und in aller Zukunft nicht.
Die Matrosen, die an den Pumpen gearbeitet hatten, liefen jetzt eilig über die Stelling zurück auf die Hotspur, die zwei Männer der Princess, die die Schläuche bedient hatten, kamen mit diesen wieder auf ihr Schiff zurück. Als letzter erschien der Steuermann der Princess mit seinen Papieren.
»Klar zum Loswerfen!« schrie Baddlestone. »Klar bei Klüverschot.«
Baddlestone ging selbst ans Ruder und manövrierte seinen Leichter sehr geschickt frei von der Hotspur. Dann steuerte er sein Schiff weiter, während seine sechs Männer unter Aufsicht des Steuermanns darangingen, die Fender, die an der Bordwand hingen, binnenbords zu holen und zu verstauen. Sekunden später war der Abstand zwischen den beiden Schiffen schon so groß, daß man ihn mit der Stimme nicht mehr überbrücken konnte. Hornblower warf einen Blick über das sonnenglitzernde Wasser zurück nach seinem alten Schiff. Meadows hatte offenbar alle Mann pfeifen lassen, um der Besatzung seine Antrittsrede zu halten; für den Leichter oder gar für ihn, Hornblower, der hier einsam an Deck stand, hatte bestimmt keiner mehr einen Blick übrig. Die Bande der Kameradschaft, ja des gegenseitigen Vertrauens waren in der Navy viel stärker als anderswo, aber diese Bande konnten plötzlich, mit einem Wort zerrissen werden. Es wahr mehr als wahrscheinlich, daß er Bush nie mehr in seinem Leben begegnete.
Das Leben an Bord des Wasserleichters Princess war alles andere als angenehm. Das Schiff hatte seine ganze Ladung Trinkwasser abgegeben, und es war so gut wie nichts vorhanden, das verlorene Gewicht zu ersetzen. Die leeren Fässer durften ja auf keinen Fall durch Seewasser verunreinigt werden, dazu waren sie viel zu wertvoll. So gab es denn nur ein paar Säcke Sand, die zwischen die leeren Fässer geklemmt wurden, um dem Leichter doch noch etwas Stabilität zu geben. Man hatte diese Schwierigkeit schon beim Entwurf des Fahrzeugs berücksichtigt, sein schüsselähnlicher Rumpf war so breit, daß Kentern kaum in Frage kam, auch wenn der Laderaum leer war, aber dafür hatte es alle anderen schlechten Eigenschaften, die man sich nur denken konnte. Alle seine Bewegungen waren unwahrscheinlich heftig und für jeden Neuling an Bord völlig ungewohnt. Es konnte kaum besser Luv halten als ein Floß und trieb so haltlos nach Lee, daß für die Fahrt nach Plymouth das Schlimmste zu befürchten war, solange der Wind den geringsten östlichen Einschlag zeigte. So kam es, daß Hornblower auf diesem Schiff beträchtliche Härten in Kauf nehmen mußte. Als Folge der neuen Bewegungen unter seinen Füßen war er zwei Tage lang in Gefahr, regelrecht seekrank zu werden. Da er schon mehrere Wochen ohne Unterbrechung in See gewesen war, kam das Übelsein nicht richtig zum Ausbruch. Er sagte sich zwar, daß das wohl nicht so unerfreulich gewesen wäre wie sein augenblicklicher Zustand, zugleich aber wußte er im Innersten seines Herzens, daß das nicht stimmte. Er bekam eine Hängematte in einer winzigen Kammer zugewiesen, die nur vier Quadratmeter Bodenfläche besaß und einen Meter fünfzig hoch war. Diese Kammer wenigstens hatte er für sich allein und konnte sich sogar ein klein wenig damit trösten, daß sich in dem kleinen Raum Haken für nicht weniger als acht Hängematten befanden, die in zwei Reihen zu je vieren übereinander angebracht waren. Er hatte schon seit langem nicht mehr in einer Hängematte geschlafen, darum wollte sich sein Rückgrat nicht gleich in die nötige Biegung fügen. Eben dieses Rückgrat übermittelte ihm dabei ununterbrochen die ausgefallenen Stampf- und Schlingerbewegungen des Leichters. So kam es, daß ihm in diesem Elend die Erinnerung an seine Koje auf der Hotspur wie ein sehnsuchtsvoller Traum von unerhörtem Luxus vor Augen stand.
Der Wind stand weiterhin aus Nordosten, er brachte klaren Himmel und Sonnenschein, aber Hornblower hatte nicht viel davon, es sei denn die Genugtuung, daß er Baddlestones Kajütkost nun bestimmt länger als drei Tage genießen durfte. Ein recht zweifelhaftes Vergnügen. Er hatte nur den Wunsch, so schnell wie irgend möglich nach England, nach London und nach Whitehall zu gelangen, um sich dort eine Kommandantenstelle zu sichern, ehe sich irgendein Ereignis dabei störend auswirken konnte. Verdrossen beobachtete er, wie die Princess immer weiter nach Lee sackte, schneller sogar als die schwerfälligen Linienschiffe, die vor Ouessant versammelt lagen. Hier an Bord gab es nichts zu lesen und nichts zu tun, ja es fand sich sogar nirgends ein Winkel, wo er dieses Nichtstun wenigstens hätte genießen können.
Er hatte es satt, in der Hängematte zu liegen, darum kam er an Deck. Baddlestone hob eben mit Schwung den Kieker ans Auge und starrte nach Luv.
»Da kommen sie!« sagte er so mitteilsam, wie man es sonst nicht von ihm gewohnt war.
So herablassend wie möglich reichte er Hornblower das Glas. Für einen Kapitän gab es, wie Hornblower sehr wohl wußte, kaum eine großzügigere Geste, als sich auch nur für einen Augenblick von einem Glas zu trennen, wenn etwas Interessantes in Sicht war. Hier kam nun eine richtige Flotte auf sie zu, weit mehr als ein bloßes Geschwader. Vier Fregatten jagten einander unter vollen Segeln, um die Spitze zu gewinnen. Hinter ihnen folgten zwei Kolonnen Linienschiffe, sieben in der einen, sechs in der anderen Kiellinie. Sie setzten eben ihre Leesegel, während sie in genauen Abständen näher kamen. Mit dem Wind recht von achtern und unter Vollzeug kam die Flotte auf die Princess angebraust. Es war ein grandioser Anblick. Die Kommandowimpel flatterten voraus und die Admiralsflaggen taten es ihnen gleich, es war, als ginge es ihnen nicht schnell genug. Jeder der steilen Steven schob eine schäumende Bugwelle vor sich her, die sich rhythmisch hob und senkte, während das Schiff über das blaue Wasser glitt. Hier zeigte sich Englands Seemacht in all ihrer Herrlichkeit. Die zweite Fregatte von rechts kam dicht an dem wild arbeitenden Wasserleichter vorüber.
»Das ist die Diamond, 32 Geschütze«, sagte Baddlestone, der inzwischen auf irgendeine Art wieder in den Besitz seines Kiekers gelangt war.
Hornblower starrte neidisch und sehnsüchtig hinüber, als sie in Kanonenschußweite vorüberbrauste. Jetzt enterten die Männer drüben im Fockmast auf, das Vorbramsegel wurde in der kurzen Zeitspanne geborgen und wieder gesetzt, während die Diamond an ihnen vorüberkam. Dieses Schiff war wirklich in bester Form – Hornblower hatte am Stand seiner Segel nicht das geringste auszusetzen. Der Steuermann des Leichters hatte im letzten Augenblick eine schmutzige rote Handelsflagge gesetzt, gerade noch rechtzeitig, um sie grüßend zu dippen. Zur Erwiderung wurde drüben die blaue Flagge gedippt. Jetzt kam die Steuerbordkolonne der Linienschiffe heran. Ein mächtiger Dreidecker lag an der Spitze und ragte mit seinen Decksaufbauten hoch über die See. Seine drei karierten Reihen Geschützpforten boten sich immer deutlicher dem Blick, als er näher kam, eine blaue Vizeadmiralsflagge wehte im Vortopp.
»Prince of Wales, 98 Geschütze, Vizeadmiral Sir Robert Calder, Baronet«, sagte Baddlestone. »Bei diesem Haufen sind noch zwei Admirale mehr.«
Die Flaggen senkten sich zum Gruß, und schon kam der nächste heran, sein Bug setzte vor dem Wind ein, daß die Gischt flog, wieder wurde gedippt, und so ging es weiter, bis die sieben Schiffe vorüber waren.
»Guter Wind nach Finisterre«, sagte Baddlestone.
»Ja, es sieht so aus, als wäre das ihr Ziel«, meinte Hornblower.
Offenbar wußte Baddlestone über Flottenbewegungen ebensoviel wie er selbst, wahrscheinlich sogar mehr. Vor noch nicht einer Woche war der Mann ja in Plymouth gewesen, hatte dort englische Zeitungen gelesen und den ganzen Wirtshausklatsch gehört. Hornblower selbst hatte ja auch erst kürzlich auf der Shetland allerlei erzählen hören, dem Schiff mit dem Verpflegungsnachschub, das erst ein paar Tage vor der Princess längsseit der Hotspur gelegen hatte. Die Tatsache, daß Baddlestone ohne weiteres Finisterre als Calders Ziel bezeichnete und nicht die Straße von Gibraltar oder Westindien, war fast ein überzeugender Beweis, wie gut der Mann im Bilde war.
Hornblower stellte ihn mit seiner nächsten Frage auf die Probe:
»Meinen Sie, daß er dann bis zur Meerenge weiterläuft?«
Baddlestone maß ihn mit einem Blick, der fast mitleidig zu nennen war. Dann erwiderte er herablassend:
»Nein, diese Flotte segelt nur bis Finisterre.«
»Aber warum denn?«
Baddlestone konnte offenbar kaum begreifen, daß Hornblower wirklich noch nicht wußte, worüber schon in der ganzen Flotte und in der Werft von jedermann gesprochen wurde.
»Es ist wegen Villain-noove«, sagte er.
Damit meinte er Villeneuve, den französischen Admiral und Befehlshaber der Flotte, die erst vor einigen Wochen aus dem Mittelmeer ausgebrochen und über den Atlantik nach Westindien geflohen war.
»Was ist denn mit ihm?« fragte Hornblower.
»Er kommt zurück und steuert Brest an. Boney meint doch, daß er die französische Flotte herausholen soll. Dann ist der Kanal dran. Boneys Armee wartet schon in Boulogne, und er meint, er könne seine nächste Portion Frösche schon im Schloß Windsor verzehren.«
»Wo ist denn Nelson?« fragte Hornblower.
»Der ist Villain-noove hart auf den Fersen. Wenn er ihn nicht erwischt, dann fängt ihn Calder. Boney muß also noch eine ganze Weile warten, bis er im Kanal französische Segel zu sehen bekommt.«
»Woher wissen Sie denn das alles?«
»Als ich in Plymouth auf guten Wind warten mußte, lief gerade eine Sloop von Nelson ein. Eine halbe Stunde später wußte schon die ganze Stadt Bescheid. Ist doch klar, nicht?«
Das war die wichtigste und allerneueste Kunde, die man sich denken konnte. Und dabei war sie offenbar schon allgemein bekannt. Bonaparte hatte in Boulogne eine viertel Million ausgebildeter und voll ausgerüsteter Soldaten bereit. Trotz der Tausende flachbodiger Fahrzeuge, die er in die französischen Kanalhäfen zusammengeholt hatte, mochte es schwierig sein, dieses Heer über den Kanal zu schaffen, aber mit der Unterstützung von zwanzig oder dreißig, ja womöglich sogar vierzig französischen und spanischen Linienschiffen, die diese Transporte deckten, konnte er schon auf Erfolg hoffen. Es mochte also wirklich sein, daß Bonaparte binnen Monatsfrist seine Frösche im Schloß Windsor verspeiste. Das Schicksal der ganzen Welt, die Zukunft der Zivilisation hing also jetzt davon ab, wie es den britischen Flottenverbänden gelang, ihre Operationen aufeinander abzustimmen. Wenn man in der vergangenen Woche in Plymouth schon so viel wußte, dann war das heute bestimmt auch in Bonapartes Hauptquartier in allen Einzelheiten bekannt. Genaue Kenntnis der britischen Bewegungen und Absichten war ja für die Franzosen von wesentlicher Bedeutung, wenn sie ihren Plan verwirklichen wollten, dessen wichtigste Voraussetzung war, daß sie jeden Zusammenstoß mit feindlichen Seestreitkräften vermieden.
Baddlestone beobachtete Hornblower voll Neugier. Offenbar hatte ihm sein Ausdruck einiges von dem verraten, was ihn jetzt bewegte.
»Warum machen Sie sich Sorgen?« sagte Baddlestone. »Dabei ist noch nie etwas Gutes herausgekommen.«
Jetzt war es an Hornblower, den scharfen Blick des dicken Kapitäns zu erwidern.
Bis zu diesem Gespräch hatten die beiden kaum zwanzig Worte gewechselt, während sie seit zwei langen Tagen auf besseren Wind warteten. Baddlestone tat sich offenbar etwas darauf zugute, Seeoffizieren gegenüber eine harte, unzugängliche Haltung zu zeigen. Vielleicht hatte sich diese Einstellung gerade dadurch gemildert, daß Hornblower seinerseits nichts unternahm, ein vertraulicheres Verhältnis herzustellen.
»Sorgen?« sagte Hornblower wegwerfend. »Warum sollte ich mir denn Sorgen machen? Wenn die Zeit kommt, werden wir mit Boney schon abrechnen.«
Baddlestone schien bereits zu bedauern, daß er sich zu einer solchen Äußerung hatte hinreißen lassen. Wie es jeder Kapitän tun sollte, wenn er sich an Deck aufhielt, hatte er wiederholt einen prüfenden Blick nach dem Liek des Großsegels geworfen. Jetzt kehrte er Hornblower den Rücken und ging auf den Rudergänger los.
»Paß besser auf, verdammter Hornochse!« brüllte er den Mann an. »Du sollst voll und bei halten. Oder willst du vielleicht, daß wir in Spanien auf Dreck laufen? Ein leerer Wasserleichter und am Ruder ein Zuckerbäcker mit Affenpranken – da lernt der Kompaß tanzen.«
Während dieser Schimpfkanonade zog sich Hornblower zurück. Außer den Sorgen, von denen Baddlestone gesprochen hatte, gingen ihm noch ganz andere Dinge durch den Kopf. Offenbar stand jetzt eine Krisis des Seekrieges bevor. Dabei kam es bestimmt zu Seeschlachten – und er hatte kein Schiff. Man hatte ihm nur eines versprochen, man hatte ihm zugesagt, er werde zum Fregattenkapitän ernannt, sobald er sich bei der Admiralität melde, um an die Einlösung dieser Zusage zu erinnern. Zwei Jahre lang hatte er bei der Blockade von Brest Härten und Gefahren, endlose Langeweile und Mühen aller Art auf sich genommen. Und jetzt, ausgerechnet in dem Augenblick, da das Kriegsgeschehen seinen Höhepunkt erreichte, sah er sich ohne Kommando. Es konnte nur zu leicht sein, daß er jetzt schon zwischen zwei Stühlen saß. Die Entscheidungsschlacht war vielleicht bereits geschlagen, die Krisis überwunden, wenn er endlich wieder dazu kam, zur See zu fahren. Vielleicht gelang es Calder schon in dieser Woche, Villeneuve abzufangen, vielleicht versuchte Bonaparte schon im Lauf der nächsten vierzehn Tage, den Kanal zu überqueren. Da war es besser, man war nur Commander, aber mit Schiff, als Kapitän ohne Schiff, als Kapitän, der noch nicht einmal im Marine-Verordnungsblatt gestanden hatte. Das alles reichte hin, um einen Menschen rasend zu machen. Zu allem Überfluß wehte der Wind schon seit zwei Tagen stetig aus Nordost, und er saß darum gefangen auf diesem verfluchten Leichter, während Meadows auf der Hotspur jede Gelegenheit hatte, sich hervorzutun. Nach zehn Jahren See-Erfahrung sollte Hornblower immerhin zu der Einsicht gekommen sein (und dessen war er sich auch wohl bewußt), daß es keinen Sinn hatte, sich wegen widriger Winde so zu grämen, daß man Fieber bekam, wegen dieser Winde, die man nie beherrschte, die man nie voraussagen konnte. Er war mit ihnen groß geworden, sie hatten sein ganzes Leben mitgestaltet, darum hätte er wissen müssen, wie man sich zu ihnen stellen mußte. Dennoch regte er sich jetzt so auf, daß er Fieber bekam.
Hornblower lag noch in seiner Hängematte, obwohl der Tag längst angebrochen war und die Sonne schon am Himmel stand. Er hatte sich von einer Seite zur anderen gewälzt, ohne dabei ganz wach zu werden – das war eine Kunst, die er erst wieder neu lernen mußte, seitdem er wieder in einer Hängematte schlief. Jetzt war er fest entschlossen, zu bleiben wo er war und so lange wie möglich im Halbschlaf vor sich hinzudösen. Auf diese Art waren die Tage nicht so unerträglich lang und der im Halbschlaf gehemmte Verstand konnte nicht die ganze Zeit gespannt in den Problemen wühlen. Der gestrige Tag war schlimm gewesen. Bei Dunkelwerden war der Wind umgesprungen, so daß sie kanaleinwärts steuern konnten. Aber dieses Glück hatte nur so lange vorgehalten, bis die Princess wieder mitten im Blockadeverband angelangt war, dann hatte der Wind wieder in die alte Richtung zurückgedreht. Es war zum Verrücktwerden!
Jetzt entstand an Deck über seinem Kopf Lärm und geschäftiges Hin und Her. Offenbar war ein Boot längsseit gekommen. Was konnte das schon groß sein, knurrte er vor sich hin, als er sich jetzt anschickte, die Hängematte zu verlassen. Bestimmt ging ihn diese Sache nicht das mindeste an, und außerdem handelte es sich wahrscheinlich nur um irgendeinen bürokratischen Stumpfsinn. Aber der Vorgang an Deck reichte dennoch aus, ihn gegen seine ursprüngliche Absicht aus der Hängematte zu locken.
Er hatte die Füße eben an Deck gesetzt, saß aber noch in der Mulde der Hängematte, als der Fähnrich hereinkam. Hornblower sah den Jungen aus trüben Augen an, seine makellose weiße Kniehose und die Schnallenschuhe verrieten ihm, daß er irgendein verwöhntes Bürschchen von einem Flaggschiff vor sich hatte. Der Fähnrich hielt ihm einen Brief entgegen. Da war Hornblower augenblicklich hellwach. Er riß die Oblate durch, mit der das Schreiben versiegelt war.
›Sie werden hiermit ersucht und angewiesen, auf eigene Gefahr als Zeuge vor einem Kriegsgericht auszusagen, das am 20. Mai 1805 um 9 Uhr vormittags in der Kajüte Seiner Majestät Schiff Hibernia zusammentreten wird. Angeklagt sind der Kapitän James Percival Meadows sowie die Offiziere und Mannschaften der früheren Korvette Hotspur, wegen des Verlustes besagten Schiffes durch Strandung in der Nacht zum 18. Mai 1805.
Henry Bowden, R. A. Chef des Stabes.
P. S. Sie werden mit einem Boot abgeholt.‹
Das war aufregend, ja bestürzend. Hornblower starrte unentwegt auf das Schreiben und las es immer wieder von Anfang bis zum Ende durch. Endlich besann er sich auf die Gegenwart des Fähnrichs, die von ihm verlangte, so zu tun, als ob ihn nichts erschüttern könnte.
»Es ist gut, ich danke Ihnen«, sagte er kurz angebunden. Kaum hatte ihm der Fähnrich daraufhin den Rücken gekehrt, da sprang er auf, um seine Seekiste zu öffnen. Gleichzeitig überlegte er krampfhaft, wie er seine schäbige und zerknitterte Galauniform wieder einigermaßen ansehnlich machen könnte.
Seiner Majestät frühere Korvette. Das konnte nur bedeuten, daß die Hotspur total verlorengegangen war. Aber Meadows lebte noch, was wiederum hieß, daß keine oder nur geringe Verluste zu beklagen waren. Sicher hatte Meadows die Hotspur unverzüglich auf Strand gesetzt. Das war in einem solchen Fall immer die einfachste Lösung. Jedenfalls behaupteten das immer jene, die noch nie gezwungen gewesen waren, sich dazu zu entschließen.
Um sich zu rasieren, mußte er seine Seekiste unter das Deckslicht ziehen und sich daraufstellen, so daß sein Kopf über Deckshöhe war und er seinen Spiegel an Deck stellen konnte. Er war nicht groß genug, um ohne die Kiste auszukommen. Dabei ging ihm durch den Kopf, wie leicht es Meadows hier an seiner Stelle hätte. Er wäre groß genug gewesen, um über das Süll des Deckslichts hinwegschauen zu können, ohne seiner Größe künstlich ein Stück hinzuzufügen.
Jetzt kam Baddlestone herzu und versorgte Hornblower aus freien Stücken mit den allerneuesten Nachrichten, während dieser mühsam das Gleichgewicht hielt, weil er sich noch nicht genügend an die Bocksprünge der Princess gewöhnt hatte. Es fiel ihm vor allem schwer, mit der Linken die Gesichtshaut glattzuziehen, während er mit der Rechten das Messer handhabte.
»Die Hotspur ist ja nun auf den Pierres Noires verlorengegangen«, sagte Baddlestone.
»Ja, sie ist gestrandet«, sagte Hornblower, »ich wußte nur nicht, wo.«
»Nennen Sie das gestrandet, wenn ein Schiff auf dem Grund der See liegt? Sie ist bei fallender Tide auf einen Felsen aufgelaufen. Bekam natürlich ein Leck und lief voll. Bei der nächsten Flut kam sie frei und sackte ab.«
Es war immer wieder erstaunlich, wie diese Hilfsschiffe zu ihren Nachrichten kamen.
»Sind dabei Menschen umgekommen?« fragte Hornblower.
»Nicht daß ich wüßte«, sagte Baddlestone.
Er hätte es sicher gehört, wenn Offiziere ertrunken wären. Sie waren also alle in Sicherheit, Bush eingeschlossen. Hornblower konnte seine Aufmerksamkeit endlich wieder dem Rasieren zuwenden, zumal jetzt die schwierige Stelle um den linken Mundwinkel an der Reihe war.
»Und Sie, heißt es, sollen als Zeuge vernommen werden?« fragte Baddlestone.
»Ja.« Hornblower hatte durchaus keine Lust, Baddlestones Vorrat an Klatsch zu bereichern.
»Wenn der Wind nach Westen krimpt, segle ich ohne Sie ab. Ihre Seekiste setze ich dann in Plymouth an Land.«
»Sie sind außerordentlich gütig«, entfuhr es Hornblower. Aber dann gebot er sich sofort Einhalt. Es kam ja nichts dabei heraus, wenn er sich mit diesem einfachen Mann aus dem Volke anlegte, vor allem aber gab es auch noch andere Erwägungen, die ihn bestimmten, mit dem Mann den Frieden zu wahren. Endlich war er fertig. Er trocknete sein Gesicht ab und wischte die Klinge des Rasiermessers sauber. Dann sah er Baddlestone fest in die Augen.
»Diese Antwort hätten mir nicht viele Männer gegeben«, sagte Baddlestone.
»Nicht viele Männer haben ihr Frühstück so nötig wie ich in diesem Augenblick«, gab ihm Hornblower zur Antwort.
Um 8 Uhr war das Boot längsseit, und Hornblower stieg ein. Er trug die einzelne Epaulette auf der linken Schulter zum Zeichen, daß seine Beförderung zum Kapitän noch nicht bestätigt war. Der Säbel an seiner Seite war ein billiges Stück mit Messinggriff, einen besseren hatte er nicht vorzuzeigen. Als er dann aber das Seefallreep der Hibernia erstieg, wurde er mit dem ihm gebührenden Zeremoniell empfangen. Vor ihm waren zwei Kapitäne in glitzernden Uniformen und mit Epauletten auf beiden Schultern an Bord gekommen, die diesem Kriegsgericht offenbar als Richter angehören sollten. Auf der Leeseite des Achterdecks entdeckte er Meadows und Bush, die dort in ernstem Gespräch auf- und abgingen. Aber der Fähnrich, der ihm als Führer zugeteilt war, geleitete ihn von den beiden weg. Das war ein Beweis dafür – wenn es noch eines solchen bedurfte –, daß er auf Antrag des Gerichts als sachverständiger Zeuge geladen war und darum von den Angeklagten ferngehalten werden mußte, damit jede Möglichkeit der Verdunkelung oder der Einflußnahme vermieden wurde.
Fünfundzwanzig Minuten nach dem Kanonenschuß, der die Eröffnung der Verhandlung anzeigte, wurde Hornblower in die große Kajüte gerufen, wo sieben Kapitäne in goldglänzenden Uniformen an einem Tisch unter den Heckfenstern saßen. Ihnen gegenüber saßen Meadows und Bush, Prowse, der Navigationsoffizier und Wise, der Bootsmann. Es war widerwärtig, qualvoll, um nicht zu sagen trostlos, die Besorgnis sehen zu müssen, die in diesen Gesichtern geschrieben stand.
»Kapitän Hornblower, das Gericht möchte einige Fragen an Sie richten«, sagte der Mann in der Mitte, der offenbar den Vorsitz führte, »danach können die Angeklagten von Ihnen wünschen, daß Sie Ihre Ausführungen näher begründen.«
»Jawohl, Sir«, sagte Hornblower.
»Dem Gericht ist bekannt, daß Sie das Kommando über die Korvette Hotspur am Vormittag des 17. übergeben haben.«
»Das ist richtig, Sir.«
»War das Schiff in gutem Zustand?«
»Sein Zustand war annehmbar.« Er hatte hier die Wahrheit zu sagen.
»Was verstehen Sie unter annehmbar? Gut oder schlecht?«
»Gut, Sir.«
»War die Deviationstabelle Ihres Kompasses Ihrer Überzeugung nach in Ordnung?«
»Gewiß, Sir.« Bei allen nautischen Maßnahmen hatte er immer auf größte Sorgfalt und Genauigkeit Wert gelegt.
»Sie haben wohl gehört, daß Seiner Majestät Schiff Hotspur bei fallender Tide auf den Pierres Noires aufgelaufen ist. Haben Sie dazu etwas zu bemerken, Kapitän Hornblower?«
Hornblower knirschte mit den Zähnen.
»So etwas kann sehr leicht geschehen, Sir.«
»Vielleicht haben Sie die Güte, uns diese Behauptung näher zu begründen.«
Dazu gab es natürlich eine Menge zu sagen, aber er mußte dabei jedes Wort auf die Waagschale legen. Er durfte hier vor dem Gerichtshof auf keinen Fall den Eindruck eines törichten Schwätzers machen. Zu betonen waren vor allem die navigatorischen Schwierigkeiten, die dieses Gewässer bot, andererseits mußte er dennoch vermeiden, allzusehr zu betonen, daß er selbst diese Schwierigkeiten so lange Zeit gemeistert hatte. Er mußte und wollte für die Angeklagten alles tun, was in seiner Macht stand, aber es galt dabei immer die Grenzen zu wahren, die ihm nach Lage der Dinge gesetzt waren. Einige Tatsachen gab es allerdings, die er ohne weiteres vorbringen konnte, weil ein Blick in das Logbuch der Hotspur genügte, sie zu bestätigen. Darum sprach er von dem stetigen westlichen Wind, der zuvor tagelang geweht hatte und der an jenem Nachmittag in östliche Richtung umgesprungen war und erheblich aufgefrischt hatte. Unter solchen Bedingungen steigerte sich der Ebbstrom oft überraschend zu ungewöhnlicher Stärke. Dabei konnte es leicht geschehen, daß innerhalb der Felsen ein störender rückläufiger Wirbel entstand, der alle Berechnungen über den Haufen warf. Die Strömung konnte sich dabei innerhalb einer Kabellänge plötzlich umkehren. Von den Pierres Noires ab erstreckte sich ein langgezogenes Riff nach Südosten, auf dem – abgesehen von der äußersten Spitze – Brecher nur bei Spring-Niedrigwasser zu sehen waren. Das Lot gab von diesem Riff keinerlei warnende Kunde. Ein Schiff, das dicht vor dem Goulet stationiert war, konnte hier sehr leicht durch den Wind in eine Falle geraten.
»Ich danke Ihnen, Kapitän Hornblower«, sagte der Vorsitzende, als Hornblower zu Ende war. Dann wandte er seinen Blick zu den Angeklagten. »Haben Sie zu dem Vorgebrachten noch Fragen?«
Aus dem Verhalten des Vorsitzenden konnte man schließen, daß er weitere Fragen für überflüssig hielt, aber Meadows erhob sich von seinem Platz. Er machte einen ausgezehrten Eindruck. Dazu trug vielleicht die geliehene Uniform bei, die er trug, aber seine Augen lagen tief in ihren Höhlen, seine Wangen waren eingesunken und über die linke lief in kurzen Abständen immer wieder ein befremdliches Zucken hin.
»Kapitän Hornblower«, fragte er, »nicht wahr, der Wind stand frisch aus Nordosten?«
»Ja.«
»Das waren die besten Bedingungen für einen Ausbruch der Franzosen, nicht wahr?«
»Ja.«
»Welcher Standort war der Hotspur bei dieser Wetterlage zugewiesen?«
»Sie sollte so dicht wie möglich vor dem Goulet stehen.«
Das war ein wesentlicher Punkt. Es war gut, daß er auf diese Art besonders hervorgehoben wurde.
»Ich danke Ihnen, Herr Kapitän«, sagte Meadows und nahm wieder Platz. Hornblower bat den Vorsitzenden mit einem fragenden Blick um die Erlaubnis, sich zurückziehen zu dürfen. Aber Meadows’ Frage gab Anlaß zu einer weiteren.
»Wollen Sie die Güte haben, dem Gericht zu sagen, wie lange Sie die Hotspur im Blockadedienst geführt haben?«
»Etwas über zwei Jahre, Sir.« Das war die einzige Antwort, die er auf diese Frage geben konnte.
»Und welchen Bruchteil dieser Zeit haben Sie dabei dicht vor dem Goulet gelegen? Eine ungefähre Schätzung genügt uns, Herr Kapitän.«
»Etwa die Hälfte der Zeit – vielleicht war es auch nur ein Drittel.«
»Ich danke Ihnen, Herr Kapitän.« Diese letzte Feststellung war geeignet, den Vorteil zu entwerten, den sich Meadows eben gesichert hatte. »Sie können sich jetzt zurückziehen, Kapitän Hornblower.«
Hornblower konnte jetzt noch einen Blick auf Bush und die anderen werfen. Aber dieser Blick mußte völlig gleichgültig und unbeteiligt wirken. Es durfte jetzt nicht geschehen, daß er etwa durch eine Sympathiekundgebung dem Gericht gegenüber seine Unbefangenheit in Frage stellte. Also machte er seine Verbeugung und ging.
Noch war keine halbe Stunde vergangen, seit Hornblower zur Princess zurückgekehrt war, da wußte Baddlestone bereits die letzten Neuigkeiten. Sie machten die Runde von einem Schiff der Flotte zum anderen, das hier seine Zeit mit Warten auf günstigen Wind verbrachte.
»Schuldig«, sagte Baddlestone zu Hornblower.
In diesem Augenblick hätte Hornblower den Anschein äußeren Gleichmuts besonders nötig gehabt und fand es doch so schwierig wie kaum je zuvor, ihn zu wahren.
»Wie lautete das Urteil?« fragte er. Die Spannung gab seiner Stimme einen rauhen Klang, den man sehr wohl als Gleichgültigkeit deuten konnte.
»Verweis«, sagte Baddlestone, und Hornblower fühlte, wie ihn Erleichterung warm durchströmte.
»Welcher Art Verweis?«
»Einfacher Verweis.«
Also nicht einmal ein strenger Verweis. Nach einem ›Schuldig‹ war dies das mildeste Urteil, das ein Kriegsgericht verhängen konnte, es sei denn, die Richter ließen es bei einer bloßen Ermahnung bewenden. Aber jetzt, da die Hotspur verloren war, mußte jeder Offizier und Deckoffizier dieses Schiffes um Wiederverwendung einkommen, und dabei hatte natürlich die hohe Führung ein Wort mitzureden. Wenn die Herren dort nicht gerade nachtragend waren, hatten die Männer – Meadows ausgenommen – wenig zu befürchten. Erst in diesem Augenblick kam Baddlestone mit einer weiteren Kunde heraus, die Hornblower einige Sorge erspart hätte, wäre er gleich davon unterrichtet worden.
»Den Ersten Offizier und den Navigationsoffizier haben sie freigesprochen«, sagte er. Hornblower preßte die Lippen zusammen, er war entschlossen, seine Gefühle nicht zu verraten.
Baddlestone hatte das Glas am Auge, und Hornblower folgte seinem Blick. Die Pinnaß eines Schiffes kam unter ihren zwei Luggersegeln vor dem Wind auf sie zu. Hornblower war sich sofort darüber klar, daß das Boot zu einem Linienschiff gehören mußte. Obwohl er es nur von ferne sah, glaubte er zu erkennen, daß es besonders groß war und darum wahrscheinlich von einem Dreidecker stammte.
»Ich gehe jede Wette ein«, sagte Baddlestone, ohne den Kieker vom Auge zu nehmen, »daß wir Gesellschaft bekommen.«
Hornblower zuckten die Finger vor Gier, nach dem Glas zu greifen.
»Ja, es sieht ganz so aus«, sagte Baddlestone und hielt den Kieker eisern fest. Wahrscheinlich merkte er gar nicht, wie grausam das war.
Dann wandte er sich um und erteilte mit lauter Stimme Befehle. An Steuerbord sollten Fender ausgebracht werden, und der Leichter sollte etwas abfallen, um Lee zu machen. Jetzt war das Glas schon überflüssig. Hornblower konnte mit bloßem Auge Bush erkennen, der barhäuptig in der Achterplicht saß, und dann auch den neben ihm sitzenden Meadows. Auf der Ducht vor ihnen saßen die Deckoffiziere der Hotspur, und vor ihnen war ein Durcheinader von Gestalten, die er nicht unterscheiden konnte.
Die Pinnaß drehte in den Wind und kam sauber längsseit.
»Boot ahoi!« rief ihr Baddlestone entgegen.
»Gruppe mit Berechtigungsscheinen für eine Reise nach England«, hörte man Bush antworten. »Wir kommen an Bord.«
Baddlestone kollerte ein paar Sekunden, weil er ›mit Ihrer Erlaubnis‹ vermißte, aber die Pinnaß machte inzwischen fest. Jetzt merkte man erst, wie stark der Leichter rollte, im Vergleich dazu konnte man die Pinnaß wirklich als stabil bezeichnen. Nach einer kurzen Weile turnte Meadows über die Reling, und bald darauf erschien hinter ihm auch Bush. Hornblower eilte nach vorn, um sie zu begrüßen. Nach dem Untergang der Hotspur sollten ihre Offiziere offenbar nach England zurückkehren, um dort neue Kommandos zu bekommen, während die übrige Besatzung wahrscheinlich auf die anderen Schiffe des Geschwaders verteilt worden war.
Hornblower mußte sich jetzt überwinden, als es ihm jetzt oblag, Meadows zu begrüßen.
»Ich freue mich, Sie wiederzusehen, Kapitän Meadows«, sagte er. »Und Sie auch, Mr. Bush.«
Bush dankte ihm mit einem gezwungenen Lächeln, Meadows brachte nicht einmal dieses auf, er stand noch im Schatten des Verweises, der ihm eben erteilt worden war. Baddlestone beobachtete diese Begegnung mit so viel zynischem Vergnügen, wie sein rotes, aufgeschwemmtes Gesicht zum Ausdruck bringen konnte.
»Vielleicht haben die Herren die Güte, mir ihre Scheine vorzuzeigen«, sagte er nach einer Weile.
Bush steckte die Hand in die Brusttasche und brachte ein ganzes Bündel Papiere zum Vorschein.
»Bitte zählen Sie, es sind vierzehn«, gab er zur Antwort.
»Und diese Scheine hier betreffen Matrosen, für die trage ich keine Verantwortung.«
»Das wird ein ziemliches Gedränge geben«, sagte Baddlestone. »Kajütessen kostet eine Guinee am Tag oder drei Guinees pauschal für die Überfahrt.«
Meadows beteiligte sich mit keinem Wort an dem Gespräch, seine Reaktion war nur eine unmißverständliche Geste. Mit finsterer Miene sah er sich um und beobachtete, was hinter ihm vorging. Inzwischen waren auch die Deckoffiziere an Bord gekommen, Prowse, der Steuermann, Cargill und die anderen Maate, Huffnell, der Zahlmeister, dann der Bootsmann, der Segelmacher, der Zimmermann, der Küfer und der Koch. Ihnen folgte eine Anzahl Matrosen, einer von ihnen – vielleicht der Bootssteurer Meadows’ – bemühte sich, einem anderen an Bord zu helfen, dessen Hilfsbedürftigkeit offenbar wurde, als sich herausstellte, daß er seine Hand verloren hatte. Wahrscheinlich war das bei einem der zahlreichen Bordunfälle geschehen, die die Besatzungen der Blockadeflotte dezimierten. Ihm folgten noch einige weitere Leute, die den Grund ihrer Rückkehr nach England nicht so offen zur Schau trugen. Die meisten waren wohl so arg mitgenommen, daß sie auf ihre Entlassung rechnen durften. Ein paar andere waren anscheinend wider das Gesetz zum Dienst gepreßt worden und hatten das Glück, zu Hause Freunde von Einfluß zu besitzen, die ihnen wieder die Freiheit verschafften. Im ganzen hatte sich ein ansehnlicher Haufen Männer an Bord des Leichters eingefunden. Sie drängten sich nun an Deck, während die Pinnaß ablegte und mit hart angeholten Luggersegeln die lange Kreuzfahrt zum Flaggschiff antrat.
Baddlestone folgte Meadows’ Blick und sah sich gleichfalls all die Menschen an, die sich vor den beiden drängten. Mit einer ausholenden Handbewegung schien ihm Meadows dartun zu wollen, was sich da begab. Hornblower mußte bei seinem Anblick unwillkürlich an jenen legendären Kommandanten eines Kriegsschiffs denken, den man fragte, wer ihn zu seiner Handlungsweise ermächtigt habe. Daraufhin habe jener Mann nur auf seine Geschütze gezeigt und gesagt: diese da.
»Den Bedingungen Ihres Vertrags entsprechend haben Sie Mannschaften für einen Satz von Sixpence pro Tag zu verpflegen«, sagte Meadows trocken. »Auf dieser Reise werden Sie die Offiziere zu dem gleichen Satz beköstigen. Mehr ist Ihr Essen auch nicht wert.«
»Das ist ja übelste Seeräuberei!« rief Baddlestone ganz entsetzt.
»Nennen Sie es, wie Sie wollen«, gab ihm Meadows ruhig zur Antwort.
Baddlestone trat unwillkürlich ein paar Schritte zurück und sah sich um, aber auch der Himmel oder die See konnte ihn nicht trösten, und das nächste Schiff war mehrere Kabellängen entfernt. Meadows machte nach wie vor den Eindruck eines freudlosen, einsamen Mannes. Wie immer der Text des Verweises lauten mochte, den ihm das Gericht erteilt hatte, offenbar lag er ihm jetzt noch wie eine Zentnerlast auf der Seele. Da er der Überzeugung war, daß er in der Navy ohnedies nichts mehr zu erwarten hatte, konnte es ihm auch gleichgültig sein, wenn ihn dieser Baddlestone womöglich wegen Meuterei anzeigte. Seine Offiziere waren durch ihn, ihren Vorgesetzten, gedeckt. Als die Hotspur unterging, verloren sie alles, was sie besaßen, außerdem wußten sie, daß ihnen nach Recht und Gesetz von jenem Augenblick an nur noch der Bezug von Halbsold zustand. Wenn man ihnen Widerstand entgegensetzte, konnten sie gefährlich werden, zumal ihnen die Mannschaften bestimmt ohne Zögern gehorchten. Die Besatzung der Princess bestand außer Baddlestone nur aus einem Steuermann, einem Koch, vier Matrosen und einem Schiffsjungen. Sie war also weit unterlegen und hätte auf jeden Fall den kürzeren gezogen, wenn keine Möglichkeit bestand, eine vorgesetzte Stelle anzurufen. Darüber war sich Baddlestone natürlich im klaren. Dennoch blieb er bei seiner herausfordernden Redeweise.
»Wir sprechen uns im Hafen wieder, Kapitän Meadows«, sagte er.
»Kapitän Hornblower wird zum gleichen Satz verpflegt«, sagte Meadows seelenruhig.
»Ich habe schon drei Guinees bezahlt«, warf Hornblower ein.
»Um so besser. Das macht – 126 Sixpence, die schon bezahlt sind. Stimmt meine Rechnung, Mr. Baddlestone?«
Auf der Princess herrschte jetzt eine unerträgliche Enge. Wo Hornblowers Hängemattplatz gewesen war, hingen jetzt weitere sieben Hängematten, so daß jeder der insgesamt acht Offiziere kaum über soviel Platz verfügte, wie er in einem Sarg gefunden hätte. Wenn sie alle in ihrer Kammer schliefen, bildeten sie zusammen beinahe eine feste Masse. Aber ganz fest war diese Masse eben doch nicht, denn wenn die Princess im Seegang stampfte und schlingerte, dann hatte jeder einzelne doch noch genügend Spielraum, daß er alle paar Sekunden gegen seinen Nachbar oder gegen eine Schottwand stieß. Es war zum Verrücktwerden. Hornblower hatte seinen Platz in der unteren Reihe (den hatte er vernünftigerweise gewählt, um die schlechte Luft zu meiden, die oben, dicht unter den Decksbalken herrschte). Er hatte Meadows über sich, ein Schott an der einen und Bush an der anderen Seite. Zuweilen drückte ihn das Gewicht der drei Körper zur Linken mit Gewalt gegen das Schott, dann wieder flog er nach der anderen Seite und boxte Bush in die Rippen. Manchmal hob sich ihm das Deck von unten entgegen, dann wieder schien es, als senkte sich der massige Meadows auf ihn herab, um ihn zu erdrücken. Meadows war ein paar Zoll größer, als die ganze Kammer lang war, und mußte sich daher in der Hängematte richtig zusammenkrümmen. Hornblowers ruheloser Geist schloß aus all den heftigen Bewegungen, wie sehr die Princess arbeitete. Wenn sie rollte, dann bewirkte das, daß sich die Kammer richtig verzog. Dann nahm ihre Höhe jedesmal um einen oder zwei Zoll ab, was ihm durch das Knacken und Krachen auf allen Seiten bestätigt wurde. Lange vor Mitternacht kroch er unter allerlei Schwierigkeiten aus seiner Hängematte und schlüpfte dann auf dem Rücken unter der unteren Reihe hindurch aus der Kammer, um eine Stelle zu suchen, wo ihm reinere Luft um die Hemdzipfel wehte.