10,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 10,99 €
Ein Zwillingspaar im erbitterten Kampf gegen einen gefährlichen Kult – nach »Die Sekte« endlich Nachschub von Schwedens Thrillerkönigin Mariette Lindstein!
Alex und Dani Brisell sind eineiige Zwillinge und unzertrennlich, seit ihre Eltern sie im Teenageralter im Stich gelassen haben. Als sie 22 sind, verschwindet Dani am Mittsommerabend spurlos. Monatelang gibt es kein Lebenszeichen von ihr. Die Menschen in ihrem Umfeld versuchen Alex davon zu überzeugen, endlich weiterzumachen und zu vergessen, was passiert ist. Doch sie hat nur ein Ziel: Sie muss ihre Schwester finden! Dann geschehen in ihrem Leben weitere mysteriöse Dinge, die Alex langsam an ihrem Verstand zweifeln lassen. Alles deutet darauf hin, dass ein unberechenbarer Kult Dani als Sklavin in seinen Fängen hält, und Alex fürchtet, dass sie selbst die Nächste ist, die verschwinden wird ...
Alle Bände der Bestsellerreihe aus Schweden:
Der Kult – Sein Griff hält dich gefangen
Der Kult – Sein Wort ist dein Gesetz
Lust auf mehr? Lesen Sie außerdem »Die Sekte« von Mariette Lindstein.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 637
Buch
Alex und Dani Brisell sind eineiige Zwillinge und unzertrennlich, seit ihre Eltern sie im Teenageralter im Stich gelassen haben. Als sie 22 sind, verschwindet Dani am Mittsommerabend spurlos. Monatelang gibt es kein Lebenszeichen von ihr. Die Menschen in ihrem Umfeld versuchen Alex davon zu überzeugen, endlich weiterzumachen und zu vergessen, was passiert ist. Doch sie hat nur ein Ziel: Sie muss ihre Schwester finden! Dann geschehen in ihrem Leben weitere mysteriöse Dinge, die Alex langsam an ihrem Verstand zweifeln lassen. Alles deutet darauf hin, dass ein unberechenbarer Kult Dani als Sklavin in seinen Fängen hält, und Alex fürchtet, dass sie selbst die Nächste ist, die verschwinden wird …
Autorin
Mariette Lindstein war fünfundzwanzig Jahre lang Mitglied bei Scientology. Sie arbeitete unter anderem im Hauptquartier der Kirche in Los Angeles, bis sie die Gemeinschaft 2004 verließ. Heute ist sie mit dem Autor und Künstler Dan Koon verheiratet. Die beiden leben mit ihren drei Hunden in einem Wald außerhalb von Halmstad. Ihre Debütreihe »Die Sekte« eroberte die Spitzenplätze der internationalen Liste, wurde mehrfach prämiert und wird derzeit verfilmt. Mit »Der Kult« erschafft sie eine neue bedrohliche Reihe, die die Leser*innen fesselt. Neben dem Schreiben hält Mariette Vorträge über die Gefahren von Sekten.
Von Mariette Lindstein bereits erschienen
Die Sekte – Es gibt kein Entkommen
Die Sekte – Deine Angst ist erst der Anfang
Die Sekte – Dein Albtraum nimmt kein Ende
Die Sekte – Deine Welt steht in Flammen
Die Sekte – Dein Feind ist dir ganz nah
Besuchen Sie uns auch auf www.instagram.com/blanvalet.verlag und www.facebook.com/blanvalet.
MARIETTE LINDSTEIN
SEIN GRIFF HÄLT DICH GEFANGEN
THRILLER
Aus dem Schwedischen
von Stefanie Werner
Die Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel »Vit krypta« bei Bokförlaget Forum, Stockholm.
Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Copyright der Originalausgabe © Mariette Lindstein 2018,
by Agreement with Enberg Agency
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2023 by Blanvalet
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Redaktion: Joern Rauser
Umschlaggestaltung- und motiv: www.buerosued.de
JS · Herstellung: sam
Satz: KCFG – Medienagentur, Neuss
ISBN 978-3-641-29116-7V002
www.blanvalet.de
Für all jene, denen man die Freiheit geraubt hat.
Für all jene, denen man verwehrt hat,
frische Luft einzuatmen,
die Wärme der Sonne zu spüren,
jemanden zu lieben.
Für all jene habe ich dieses Buch geschrieben.
Zeitungsartikel:
Aus der Lokalzeitung Mittelschonen
Am vergangenen Freitag demonstrierten rund fünfzig Umweltaktivisten trotz des Regens und des beißend kalten Nordwinds in der Innenstadt von Höör gegen die Restaurierung der Backaskogkapelle am Syrkhultasee. Die Demonstranten warnen davor, dass ein neuer Eigentümer das Gebiet ausbeuten könnte. Die Gemeinde hingegen begrüßt, dass sich endlich jemand um den Erhalt der alten Kapelle bemüht.
Im Dezember vergangenen Jahres nahm das Bauamt Verhandlungen mit einem anonymen Kaufinteressenten auf, der die Backaskogkapelle erwerben möchte. Voraussichtlich wird die Gemeinde die Genehmigung zur Restaurierung des Gebäudes sowie zu einem Ausbau erteilen.
Die kleine Kapelle, die sich auf einer Anhöhe oberhalb der Sumpfgebiete am Syrkhultasee befindet, wurde 1920 von Graf Erik Rosenborg erbaut, der sie ursprünglich für private Andachten nutzte. Das Grundstück hinter dem Gebäude wurde vom Geschlecht der Rosenborgs als Friedhof genutzt. Aus zuverlässiger Quelle ist bekannt geworden, dass die Geschichte dieses mystischen Ortes der Grund für das Kaufinteresse der potenziellen Käufer ist. Seit die Familie Rosenborg im Jahr 1970 das Anwesen veräußert hatte, wurde die Kapelle nicht mehr benutzt und ist mit den Jahren verfallen. Das Gebiet, in dem sich das Gebäude befindet, steht mittlerweile unter Naturschutz.
Finanzielle Probleme verhindern Abriss
Die Provinzialregierung sieht sich nicht in der Lage, für den Erhalt der Kapelle aufzukommen. Ein Abriss wäre mit hohen Kosten verbunden, da die Kapelle aus Kalkstein besteht und – wie es heißt – auch eine Krypta besitzt. Die Demonstranten behaupten, dass die Gemeinde den geltenden Naturschutzgesetzen zuwiderhandle, wenn sie einer Privatperson eine Baugenehmigung in diesem Gebiet erteile, das unter Naturschutz steht.
Annika Berg, Sprecherin des Bauamts in Höör, betrachtet die Lage zuversichtlich:
»Es ist ein Segen, dass es jemanden gibt, der bereit ist, in dieses baufällige Objekt zu investieren. Wenn man es verfallen lässt, stellt es ein erhebliches Umweltrisiko dar.«
Martin Svedman, Umweltaktivist, behauptet, dass sämtliche Entscheider nur eines im Sinn haben:
»Wie immer dreht sich alles nur ums Geld. Es ist unverantwortlich, das Bauwerk nicht abzureißen und die Natur rundherum zu schützen. Die Renovierungsarbeiten werden die Tiere, besonders die Vögel, die ihren Lebensraum in diesem Gebiet haben, stark beeinträchtigen. Und wer weiß, was die Käufer tatsächlich vorhaben. Wir befürchten, dass dies erst der Anfang eines Beutezugs durch das gesamte Tal sein wird.«
Lebensräume rund um den See
Rund um den Syrkhultasee befindet sich ein artenreiches Naturschutzgebiet, allerdings in einer Randlage und von dichtem Wald umgeben. Im Frühjahr können Besucher, denen es gelingt, bis dorthin vorzudringen, den Tanz der Kraniche am See beobachten und den Gesängen der Singschwäne, der Birkhühner und der Misteldrosseln lauschen. Der Sumpf, an dessen Randgebieten die Glockenheide blüht, bildet außerdem für den seltenen Gemeinen Heufalter eine Lebensgrundlage.
Wie es mit diesem Projekt weitergehen wird, bleibt abzuwarten, doch Martin Svedman verfolgt die Pläne des Bauamtes mit großer Sorge.
»Wir können uns die Stimme heiser schreien, weil alle, die die Entscheidungsgewalt haben, auf der Netzhaut nur Dollarzeichen sehen. Ich schlage vor, dass sie ihre Scheuklappen endlich ablegen und sich die Zeit für einen Spaziergang durch dieses wunderschöne Naturschutzgebiet nehmen, bevor sie eine Entscheidung fällen.«
Der Mann mit der Sturmhaube wird eins mit den Schatten der Bäume. Jetzt steht er hier schon seit über einer Stunde. Es ist nicht vollkommen dunkel, und das wird es auch nicht mehr werden. Die matten Sonnenstrahlen haben den Meeresspiegel bereits ein letztes Mal geküsst. Das Sommerhaus, an dem er Wache hält, liegt auf einem Hügel. Doch auch schon vor dem Grundstück hat man einen großartigen Blick aufs Meer. Der Mann versteckt sich zwischen den eng stehenden Birkenstämmen vor dem Gartentor, ruhelos und ungeduldig, unaufhaltsam pumpt sein Körper Adrenalin in die Blutbahnen. Er weiß, dass sie gleich auftauchen wird, denn sie geht immer als Erste nach Hause. Sie hält es auf Partys nie länger als ein oder zwei Stunden aus. Die andere dagegen wird sicher erst irgendwann in den frühen Morgenstunden herausgetorkelt kommen.
Er beobachtet sie beide schon seit einer längeren Zeit, kennt ihre Gewohnheiten und Eigenarten. Er weiß, welche er sich zuerst schnappen wird.
Und jetzt sieht er vor sich, wie ihr das lange, glänzende Haar über den Rücken fiel, als sie auf dem Weg zum Strand gewesen war. Er hat den Duft ihres Parfüms noch in der Nase. Sieht noch den kleinen Anhänger, der an ihrer Fußkette über dem hübschen Knöchel baumelte, die Kurven ihrer Brüste unter dem Spitzenhemd. Die Verheißung, die die sanft schwingenden Hüften ahnen ließen. All diese süßen Details. Und die Prophezeiung würde bald in Erfüllung gehen. Allein bei dem Gedanken daran erschauert er vor Lust.
Aufgeregte Stimmen und schrilles Lachen dringen vom Strand herüber und stören ihn, als er in seinen Gedanken schwelgt. Er schüttelt den Kopf und denkt, dass diese Mittsommerfeste eine echte Plage sind. So unglaublich geschmacklos. Heidnisch. Widerwärtig.
Jetzt knirscht es auf dem Kiesweg, und die Umrisse von zwei Personen werden sichtbar, doch es sind nur zwei angetrunkene Jungs. Sie stinken nach Alkohol, das riecht er, als sie dicht an seinem Versteck vorbeitaumeln.
Einer von ihnen dreht sich zum Meer um und ruft mit belegter Stimme:
»Dani! Komm doch noch mit in die Kneipe!«
»Vergiss es«, schnaubt der andere. »Die kriegst du nie ins Bett.«
Der Mann mit der Sturmhaube spürt, wie sein Herz höherschlägt. Jetzt ist sie auf dem Weg, er kann ihre Silhouette schon in der Ferne erkennen. In Gedanken beschwört er die Jungs, aus ihrem Sichtfeld zu verschwinden, und wie auf Bestellung legen sie tatsächlich einen Schritt zu und sind fort.
Gleich wird sie ihm gehören, doch er kostet diesen Moment unmittelbar vor dem Zugriff ganz besonders aus. Nichts ist so wunderbar wie eine Jagd, bei der die Beute selten und schwer einzufangen ist. Eine heftige Erregung überkommt ihn, sein Haaransatz wird schweißnass. Ein Gesichtsmuskel zuckt spastisch, das ist ein Tic, den er nicht unter Kontrolle bekommt. Für einen Moment schließt er die Augen und atmet tief durch die Nase ein. So bringt er sich wieder zur Ruhe, entwickelt höchste Konzentration. Das hier ist die Jagd. Und dort ist die Beute.
Die Stimmen der Jungs verklingen, und nun ist sie auf der Straße zu sehen. Sie sieht so ahnungslos aus, sie weiß nicht, dass sie beobachtet wird. Und die Auserwählte ist. Er muss ein paar Schritte zurückgehen, die richtige Position einnehmen. Das Geräusch seiner Bewegung lässt sie aufmerken. Es ist ein fast lautloses Rascheln, aber im Dunkeln erkennt er, dass sie unter Hochspannung steht. Ganz überraschend hoppelt ein Kaninchen aus dem Buschwerk. Sein weißes Stummelschwänzchen leuchtet, als es über die Straße läuft und auf einem anderen Grundstück verschwindet. Sie zuckt zusammen, steht einen Augenblick wie angewurzelt da, dann atmet sie erleichtert auf. Schnell bewegt sie sich auf das Sommerhaus zu. Er erlaubt sich, noch eine Sekunde zu zögern. Seelenruhig steht er da, besonnen. Sie legt die Hand auf das Gartentor.
Das ist genau der richtige Moment. Zwei Schritte vor, und in Windeseile hat er das Tuch aus der Tasche gezogen. Er presst es ihr auf Mund und Nase und hält sie an der Taille fest. Obwohl er ihr Gesicht nicht sehen kann, spürt er ihre Gedanken, die verzweifelt um die Suche nach einem Fluchtweg kreisen. Doch es gibt keinen. Er fühlt, wie sich ihre Lippen unter seiner Hand öffnen, sie will schreien. Doch es gelingt ihr nicht.
In Filmen und Büchern strampeln, schreien und schlagen sie wie die Wildkatzen um sich. Im richtigen Leben aber erstarren sie eher vor Schreck. Ihr Körper zittert bereits an seiner Brust. Dann erschlafft er, unterwirft sich, und der Geruch nach Urin mischt sich mit den süßlichen Düften der Sommernacht. Er spürt das Gewicht ihres Körpers, als sie ohnmächtig wird, merkt, wie das Leben aus ihren Muskeln weicht – dasselbe pulsierende Leben, das immer wieder von Neuem geboren werden wird, wenn sie erst in seiner Gewalt ist.
Er trägt sie zu seinem Jeep und legt sie rücklings in den offenen Kofferraum. Dann sieht er sich um, blickt in jede Richtung, doch er kann niemanden entdecken. Zur Sicherheit legt er ihr ein Seil um den Hals, befestigt es an einem Haken und zieht eine Plane über ihren Körper.
Eine Weile lässt er seinen Blick über den Strand schweifen. Der Wind hat nachgelassen. Am Horizont lässt sich schon die Morgendämmerung erahnen. Er atmet den Duft des Meeres ein, einen Duft, der eine großartige Zukunft verheißen kann. Es ist eine selten schöne Mittsommernacht.
Schönheit, Stille und ein Hauch von Wehmut. All das ihm zu Ehren.
Er denkt an die Gesetze der Natur und daran, wie Männer nach manchen intellektuellen Höhenflügen doch immer wieder auf ihre allerprimitivsten Triebe zurückkommen. Jagd, Hunger und Lust. Die Energie der Menschen ist niemals größer, als wenn es um die ureigensten Bedürfnisse geht.
Dann entfährt seinem Mund ein ausgedehnter, sehnsüchtiger Seufzer, und er steigt in den Wagen.
Erst als ich begriffen hatte, dass wirklich alle die Hoffnung aufgegeben hatten, brach meine Welt zusammen.
Anfangs habe ich mich noch hartnäckig geweigert, das Schlimmste anzunehmen, und sämtliche Fakten, die ich im Internet gelesen habe, verdrängt.
Die ersten achtundvierzig Stunden sind die wichtigsten. Personen, die gekidnappt werden, werden zumeist zwischen dem ersten und dem dritten Tag getötet. Die Täter sind häufig innerhalb der Familie oder im Freundeskreis des Opfers zu finden.
Natürlich war das alles beängstigend, doch es zog mir nicht den Boden unter den Füßen weg. Ich war von der Vorstellung, dass wir Dani wiederfinden würden, geradezu besessen. Davon, dass sie eines Tages wieder auftauchen würde … mit irgendeiner Erklärung. Denn eine Erklärung musste es ja geben. Bei allem, was sie tat, verfolgte sie immer eine Absicht. In ihrem Leben gab es keine Zufälle. Sie würde plötzlich vor meiner Tür stehen und erklären, dass sie eine Zeit lang hatte verschwinden müssen – dass der Druck der Prüfungen einfach zu groß geworden war. Aber es waren nur noch wenige Tage bis zu unserem dreiundzwanzigsten Geburtstag. Es wirkte so grausam, so unwirklich, dass sie gerade zu diesem Zeitpunkt verschwinden sollte.
Dann aber, als sie verschollen blieb, begann ich zu glauben, dass eigentlich ich diejenige hätte sein sollen, die man hatte kidnappen wollen. Ich hatte mich selbst dermaßen in diesen Gedanken hineingesteigert, dass ich nachts wach lag und in die Dunkelheit flüsterte. Komm und hol mich. Bring Dani zurück. Du kannst mich haben, Hauptsache, du lässt sie frei. Ach, guter Gott, lass sie doch frei! Ich lag da auf meiner Bettdecke wie ein Opferlamm und flüsterte mich heiser. Manchmal hörte ich ein Rascheln von den Büschen draußen vor dem Fenster. Einmal sah ich auch den Schatten eines Mannes, wie er über den Rasen verschwand. Ich war überzeugt davon, dass der Täter draußen im Dunkeln lauerte, vielleicht auch schon in Danis Bett schlief und mich finden würde. Aber ihr Duft, der noch immer überall hing – in ihrem Kissen, dem Betttuch und in der Luft –, ließ mich nicht los, und Nacht für Nacht weinte ich mich in den Schlaf.
Als wir an diesem Abend zum Strand gegangen waren, hatte sie die Handtasche im Sommerhaus zurückgelassen. Immer wieder rief ich sie an und ließ es klingeln, bis ihre Mailbox übernahm. Einfach nur, um ihre Stimme zu hören. Und dann sah ich sie ganz deutlich vor mir stehen, das war wie ein Faustschlag in den Magen. Nirgendwo wurde ich die Gedanken an sie wieder los.
Wir, Alexandra und Daniella, waren zu Alex und Dani geworden, noch bevor wir zu sprechen lernten. Und ich bin froh, dass wir nicht auf solche Namen wie »Mondschein« oder »Raureif« getauft wurden. Zu unseren Eltern hätte das nämlich gepasst.
Als kleine Kinder sahen Dani und ich uns ganz ähnlich, so wie alle eineiigen Zwillinge. Aber unterschiedliche Charaktere hatten wir schon damals. Dani war ein braves Kind und gehorchte. Ich war ein Wildfang. Meine Mutter hat einmal gesagt, dass Danis erstes Wort »Danke« gewesen sei und meines »Nein«. So waren wir.
In der Teenagerzeit kamen unsere verschiedenen Persönlichkeiten noch deutlicher zum Vorschein – damals nämlich, als wir unsere Eltern verloren.
In den meisten Familien, in denen Kinder ihre Eltern verlieren, sind es tragische Umstände, die dazu führen. Ein schrecklicher Unfall, vielleicht auch Misshandlungen, Krebs oder eine andere schreckliche Krankheit.
Unsere Eltern allerdings haben uns verlassen, um in einer Sekte zu leben.
Wir haben ihre religiösen Ideen nie richtig ernst genommen, dieses Gefasel von einer Lehre, die zum ewigen Leben führen soll. Andachten, Handauflegen, New-Age-Gruppen, das Erstellen von Horoskopen und Séancen, all das haben wir in unserem Wohnzimmer erlebt. Urlaubsreisen an spirituelle Orte. Ihre manisch verzerrten Augen, wenn sie von Reinkarnation sprachen und von Erlebnissen außerhalb der eigenen Körperhülle. Alles war so absurd, man wusste nicht, was man glauben sollte. Eine Verrücktheit löste die nächste ab, die noch abgefahrener war, wir haben uns nie dafür interessiert. Wären unsere Eltern nur Mitglieder einer Freikirche gewesen, hätten wir uns ihnen vermutlich angeschlossen. Doch sie waren viel zu gierig, um bei einer einzigen Lehre zu bleiben, sie waren ständig auf der Jagd nach neuen Antworten auf das Mysterium des Lebens. Hör niemals auf, nach dem Sinn des Lebens zu suchen. Das Lieblingsmotto meiner Mutter. Es wurde zu ihrem Mantra.
Wir dachten erst, dass das alles nur eine Art Zeitvertreib für sie war. Ein Hobby, dem sie ihre Freizeit widmeten, so wie andere Eltern Golf spielten oder Kochkurse besuchten.
Und in unserer Kindheit hat es auch schöne Erlebnisse gegeben. Dank ihrer Frömmigkeit behandelten unsere Eltern uns zärtlich und wie eigenständige Individuen. Sie stritten fast nie. Und sie zwangen uns auch nicht, etwas zu tun, das wir nicht selber wollten.
Aber als sie eines Tages nach Hause kamen und uns von Ammata Kumar erzählten, habe ich gleich gemerkt, dass es diesmal ernst wurde. Am Blick meiner Mutter hatte sich etwas verändert. Sie hat uns gar nicht mehr wahrgenommen. Ihr Bewusstsein hatte sich bereits von unserer kleinen Welt entfernt. Mein Vater machte ein ganz feierliches Gesicht, wie er da saß, in der Ecke, und Mama das Wort überließ.
Dani und ich, wir waren fünfzehn. Die darauf folgenden Monate waren die schlimmsten unseres Lebens. Unsere Eltern versuchten, uns zu überreden, alle Beziehungen abzubrechen, mit ihnen nach Indien zu gehen und uns der Sekte in ihrem Hauptquartier in der Nähe von Neu Delhi anzuschließen. Dani und ich lehnten das jedoch konsequent ab. Für uns war es der völlig falsche Zeitpunkt. Wir befanden uns in der Pubertät, wurden von starken Gefühlen hin und her gerissen. Freunde und die erste Liebe waren Grund genug, in Schweden bleiben zu wollen. Ich widersprach besonders lautstark. Ich würde mit Sicherheit nicht auf die andere Seite der Erdkugel ziehen – in so ein Loch. Bis zur letzten Minute stritten wir furchtbar miteinander.
Zwei Tage nach unserem sechzehnten Geburtstag verschwanden unsere Eltern. Auf dem Küchentisch hinterließen sie uns einen Brief. Ich habe zwar nicht mehr alles im Kopf, was sie geschrieben haben, aber die Quintessenz war, dass sie ein paar Monate fort sein würden, um nach der Lehre von Ammata Kumar zu leben, und dass sich unsere Tante Anita um uns kümmern würde. Es sollte eine Probezeit sein. Wenn es ihnen dort nicht gefiel, konnten sie jederzeit wieder zurückkehren. Logo, dachte ich.
Bei Ammata Kumar durfte man seine Angehörigen nur anrufen, wenn man in Not war. In den ersten Monaten bestand der Kontakt zu unseren Eltern ausschließlich aus handgeschriebenen Bekehrerbriefen, auf die wir nie eine Antwort schrieben. Am Ende postete ich auf Facebook einen wütenden Kommentar, in dem ich unter anderem erklärte, dass unsere Eltern einer Gehirnwäsche unterzogen worden seien. Meine Freunde teilten den Beitrag unzählige Male, und der Post ging viral. Daraufhin nahm ein Vertreter von Ammata Kumar sofort Kontakt zu mir auf und wies mich an, den Beitrag unverzüglich zu löschen und eine öffentliche Entschuldigung an meine Eltern zu formulieren. Ich weigerte mich entschlossen, das zu tun, Dani ebenso.
Ein paar Wochen später erhielten wir einen weiteren handgeschriebenen Brief meiner Eltern. Diesmal hatte sich ihr Tonfall komplett verändert. Da wir nun Feinde von Ammata Kumar seien, hätten sie beschlossen, den Kontakt zu uns abzubrechen.
Und dann wurde unser Leben ganz schrecklich und auch furchtbar traurig. Dani und ich weinten viel und lebten nur noch in den Erinnerungen an unsere Eltern. Sie hatten bei ihrer Abreise bloß ein paar Koffer mitgenommen, daher befanden sich viele ihrer Alltagsgegenstände weiterhin im Haus. Mutters Bürste, die noch voller Haare war. Und Vaters ausgewaschener Morgenmantel mit dem Peace-Zeichen auf dem Rücken. Regalweise Heilkräuter und Vitamine, Cremes und Salben, die nach Mutters Händen dufteten. Wir sahen uns der Reihe nach ihre Sachen an, nahmen sie in die Hand und hielten sie uns unter die Nase.
»Es ist, als wären sie immer noch da«, flüsterte Dani.
»Sind sie aber nicht«, sagte ich. »Und sie werden auch nicht wieder heimkommen. Wir müssen uns an den Gedanken gewöhnen.«
In unserem Viertel hatte es viel Gerede gegeben, als unsere Eltern verschwunden waren. Im Laden hörte ich einmal, wie sich ein paar Frauen darüber unterhielten. Ob sie gar nicht gemerkt hatten, dass ich da in der Schlange stand, nur ein paar Meter hinter ihnen? Natürlich hatten sie die ganze Zeit schon geahnt, dass an unserer Familie etwas faul war.
Dani und ich hatten uns ein Spiel ausgedacht. Wir stellten uns einander gegenüber und taten so, als wären wir jeweils das Spiegelbild der anderen. Das war ein Gefühl, als ob man sich selber sah. Aber eines Tages funktionierte es nicht mehr. Die Gesichtszüge passten zwar noch – unsere langen hellblonden Mähnen, die vollen Lippen, der dezente Überbiss. Die schmalen Nasen, die ein kleines bisschen zu lang waren. Die Sommersprossen von der Nasenwurzel bis über die Wangenknochen. Doch Danis Augen waren nicht mehr meine. Sie wirkte jetzt mehr in sich gekehrt, hatte sich irgendwie entfernt.
Das war der Moment, als mir klar wurde, dass wir anfingen, uns zu verändern.
Mit einem Mal hatten wir unterschiedliche Interessen. Dani entschied sich, Medizin zu studieren. Ich entwickelte einen etwas ungesunden Appetit auf Jungs und Klamotten. Aber im Grunde spielte es keine Rolle. Wenn Dani von ihrem Studium erzählte und medizinische Fremdworte benutzte, hörte ich ihr fasziniert zu. Und sie hing an meinen Lippen, wenn ich von Mode und Männern schwärmte.
Die Träume der jeweils anderen machten uns high.
Als wir den Verlust unserer Eltern verkraften mussten, trösteten wir uns gegenseitig. Und als die Sehnsucht nach ihnen überhandnahm, dachte ich mir ein Mantra aus: Manche Menschen haben gar keine Familie. Aber ich habe Dani. Ich habe Dani. Ich habe Dani.
Man kann sich an fast alles gewöhnen, und Anita gab sich die größte Mühe mit uns. Dani und ich mochten sie. Und obwohl sie und Mama eineiige Zwillinge waren, war es nie ein Problem gewesen, die beiden auseinanderzuhalten. Anita trug schöne Kleider und hatte eine moderne Frisur. Mutter lief meist in Jeans und weiten Shirts herum und hatte ihr graues Haar wachsen lassen. Mit Anita konnten wir wirklich über alles reden: Mode, Jungs und Sex. Sie war spannend. Aber sie verhielt sich nicht wie eine Mutter, eher wie eine Freundin. Sie reiste viel, und oft mussten wir allein zurechtkommen. Einmal hatte ich gehört, wie meine Mutter ihre Schwester hinter ihrem Rücken als »ein bisschen schlampig« bezeichnete. In ihrem Leben kamen und gingen die Männer. Aus Rücksicht auf uns brachte sie die Typen aber nie mit nach Hause, sondern ging lieber abends fort, und das häufig.
Aber dann wurde uns auch unser Elternhaus genommen. Meine Eltern hatten beschlossen, es zu verkaufen und Ammata Kumar eine große Spende zukommen zu lassen. Die Immobilie war viel wert, sie befand sich im Stadtzentrum von Lund und hatte einen großen, wild gewachsenen Garten. Ob sie es aus Fürsorge taten oder um wenigstens einen Rest Anstand zu wahren, wir würden es niemals erfahren, doch immerhin überwiesen sie die Hälfte des Erlöses auf unsere Bankkonten. Davon kauften wir uns in Lund eine Wohnung. Wir behielten das Sommerhäuschen in Lomma und verbrachten dort weiterhin die Sommerferien.
So kamen wir einigermaßen zurecht, aber der Gedanke an meine Eltern ließ mich nie los. Häufig kamen Erinnerungen an sie hoch, und dies meist ganz unerwartet – wenn ich unter der Dusche stand, frühstückte oder in einer Bar hockte. Dabei wollte ich gar nicht an sie denken. Die Bilder waren einfach plötzlich da. Manchmal versuchte ich mir auszumalen, wie es in Ammata Kumar aussehen mochte. Auf der Homepage wurden einem hysterisch grinsende Menschen in kunterbunten Kleidern und mit Kränzen im Haar präsentiert. Aber das konnte doch nicht die Wirklichkeit sein.
Dani wurde mit der Zeit immer verschlossener. Sie lächelte kaum noch. Meist hatte sie die Nase in ihren Büchern vergraben oder las irgendeinen Aufsatz. Manchmal entdeckte ich auch Wehmut in ihren Augen. Unsere Lebenswelten wurden immer unterschiedlicher, und doch empfanden wir uns gegenseitig nie als fremd. Manchmal witzelten wir darüber, dass wir zwei Gehirne besaßen, uns aber dasselbe Herz teilten.
An dem Tag, als sie verschwand, wurde mir dieses Herz aus der Brust gerissen.
Als Erstes sprach die Polizei den Verdacht aus, dass Ammata Kumar Dani gekidnappt haben könnte, doch die Polizei in Neu Delhi durchsuchte ihre Besitztümer und fand Dani dort nicht. Und mitten in diesem emotionalen Chaos, als ich schon völlig hysterisch und außer mir war, wurde mir gleichzeitig bewusst, dass unsere Eltern das Interesse an uns vollkommen verloren hatten. Anita telefonierte mit meiner Mutter und hatte den Lautsprecher eingeschaltet.
»Wir glauben nicht, dass Dani gekidnappt worden ist«, sagte meine Mutter. »Wahrscheinlich ist sie einfach bloß verreist. Dani und Alex sind immer schon sehr impulsiv und wild gewesen. Für uns existieren die beiden eigentlich nicht mehr. Warum in Gottes Namen sollten wir denn eine von ihnen entführen? Wir haben doch alles, was wir brauchen.«
Ihre Stimme klang roboterartig, nicht wie die meiner Mutter. Und da schrie ich, ganz laut, damit sie es auch durch das Telefon hören konnte:
»FAHRZUMTEUFEL, FAHRZUMTEUFEL, FAHRZUMTEUFEL!«
Dann rannte ich ins Bad und stürzte zum Klo. Der bittere Geschmack von Galle füllte meinen Mund, und ich brach, bis mein Magen nur noch krampfte.
Anita kam und legte mir sanft die Hand auf die Stirn.
»Sie meint es nicht so«, sagte sie. »Du darfst nicht vergessen, dass sie im Zuge dieser Gehirnwäsche ihre Gefühle betäubt haben. Sie liebt euch von ganzem Herzen. Eines Tages wird sie wieder aufwachen.«
Nach einem Monat gab es noch immer keine Spur von Dani, obwohl Suchtrupps der Polizei und der Organisation Missing People unterwegs waren. Ihr Foto flackerte in den Nachrichtensendungen sicher hundert Mal über den Bildschirm.
Überall hingen die Plakate mit der Vermisstenanzeige. Immer wieder kam es vor, dass mich Leute mit ihr verwechselten, sie sprachen mich auf der Straße an, erst zögernd, doch dann voller Hoffnung.
»Sind Sie nicht die junge Frau, nach der in den Nachrichten gesucht wurde?«
»Nein, das ist meine Zwillingsschwester.«
Bei diesem Satz erstarb ihr Lächeln dann.
»Ist sie denn inzwischen gefunden worden?«
»Nein, noch nicht.«
»Bestimmt findet die Polizei sie bald. Geben Sie die Hoffnung nicht auf!«
Immer derselbe abgedroschene Satz, wenn sie auch nicht weiterwussten. Ich hatte eine Ahnung, was in ihren Köpfen vor sich ging. Nämlich dass es in Wirklichkeit kaum noch Hoffnung gab.
Der letzte Besuch bei der Polizei hat mich dann völlig aus der Bahn geworfen. Ich war zu einem Termin einbestellt worden, um über den aktuellen Stand der Ermittlungen informiert zu werden. In dem Zimmer begegneten mir blasse Gesichter. Als ich den mitleidigen Gesichtsausdruck des Polizeibeamten sah, wusste ich sofort, was er verkünden würde. Zudem flüsterte er Danis Namen nur. Sein Blick wich meinem ständig aus.
»Wir haben die Gegend unzählige Male durchkämmt«, erklärte er. »Das komplette Wohngebiet, den Strand und die Straßen, doch wir haben nicht die geringste Spur von Daniella gefunden. Natürlich gab es Reifenspuren und Fußabdrücke am Strand, aber schließlich war Mittsommer und der Strand voller Menschen.«
Ich wollte gerade den Mund aufmachen, da hob er die Hand.
»Niemand in der Umgebung hat irgendetwas Verdächtiges bemerkt. Sie müssen das verstehen, wir nehmen die Angelegenheit wirklich ernst, aber jetzt haben wir keine Anhaltspunkte mehr, wir können nicht weiter ermitteln. Wir werden den Fall zwar nicht zu den Akten legen, aber wir haben auch nicht die Manpower, um die Suche nach Ihrer Schwester weiter aktiv voranzutreiben. Im Moment prüfen wir andere Möglichkeiten.«
»Und welche?«
»Dass Daniella vielleicht ganz einfach verschwinden wollte.«
»Niemals!«
»Das ist natürlich nur eine Möglichkeit, wie ich schon sagte. Wir tun alles, was in unserer Macht steht, um sie ausfindig zu machen.«
Und dann noch schnell dieser Schlusssatz: »Wir geben die Hoffnung nie auf!«
Mit einem Mal kam ich mir so idiotisch vor, wie ich da stand, kein Wort herausbrachte und mir die Tränen in die Augen schossen. Über der Polizeiwache zog ein düsterer grauer Himmel auf. Ich sprang hastig auf. Auf dem Weg aus dem Gebäude suchte ich die Toilette auf, und beim Händewaschen fiel mein Blick auf mein Gesicht im Spiegel. Ich war bleich, meine Haare waren strähnig und meine Augen weit aufgerissen.
Der Anblick einer Verrückten.
In dem Moment wurde mir klar, dass ich jetzt ganz allein auf der Welt war.
Diese Gewissheit wirkte anfangs wie ein irrsinniges Jucken überall auf der Haut. In meinen Ohren hörte ich das Blut rauschen. Dann öffnete sich unter mir ein großes schwarzes Loch. Ich hörte mich selbst schreien. Es gab einen Knall, als ich auf den Boden schlug, und es knackte unheimlich, als mein Schädel auf der Toilettenbrille aufkam. Trotzdem schrie ich immer weiter, es war ein eintöniges Heulen wie das eines Steppenwolfs.
Sie mussten mir Beruhigungsmittel geben. Die Dunkelheit überkam mich Knall auf Fall, und dann schlief ich vierundzwanzig Stunden lang den Schlaf der Gerechten. Als ich aufwachte, lag ich in einem Krankenhausbett. Durch das Fenster erkannte ich die Silhouette der Stadt.
Und draußen tobte ein unbezähmbarer, böser Wind.
Als sie aufwacht, hat sie keine Ahnung, wo sie sich befindet, welche Uhrzeit es ist, welcher Tag überhaupt, nicht einmal an die Jahreszeit erinnert sie sich. Sie ist wie bewusstlos und in höchster Alarmbereitschaft zugleich. Ihre Gedanken bewegen sich frei, doch ihr Körper fühlt sich betäubt an. In Armen und Beinen hat sie keinerlei Gefühl. Ihre Augen reiben sich vor Trockenheit wie Sandpapier an den Lidern, und ihre Kehle tut weh.
Eine vage Erinnerung kommt hoch – daran, dass alles wackelt. Und an einen Schmerz in der Magengegend. Derbe Hände, die sie hochheben, und ein Schatten, der das Licht verdeckt. Ihr Kopf wird mit Gewalt vor- und zurückgeschleudert. Am Ende verschwinden die Tannenwipfel in tiefen aschgrauen Wolken.
Sie versucht zu begreifen, was passiert ist, gräbt in den Tiefen der Erinnerung, doch sie kann sich nur noch an eine laue Sommernacht erinnern. An den warmen Seewind in ihrem Gesicht. Den Geschmack von Salz auf ihren Lippen – und den Duft des Geißblatts, als sie auf dem Schotterweg nach Hause lief.
Langsam zwingt sie ihre Augenlider, sich zu heben, und stellt fest, dass da gar kein Licht ist. Sie ist eine Gefangene in einer undurchdringlichen Dunkelheit. Trotzdem fühlt sie, dass sie sich in einem Raum befindet. Irgendwo. Es ist ein Gefühl, als läge sie in einem Sarg begraben, tief in der Erde. Ein muffiger, stechender Geruch dringt ihr in die Nase. Sie zwingt sich, sowohl die miefige Luft einzuatmen als auch die Gerüche, die von ihrem eigenen Körper stammen. Auf ihrem Gesicht liegt etwas Weiches, vermutlich ist es eine Augenbinde. Indem sie tief und konzentriert einatmet, gelingt es ihr, den rasenden Puls zu beruhigen. Sie versucht, ihre Sinne zu schärfen, und dann nimmt sie das Geräusch von rieselndem Wasser wahr. Ein Duft von frisch poliertem Messing hängt irgendwo weiter oben in der Luft.
Da erklingen schwere Schritte, die bedrohlich widerhallen. Die Schritte haben etwas an sich, das ihren Puls wieder in die Höhe schnellen lässt. Dann erklingt das Geräusch eines Schlüssels, der in einem Schloss umgedreht wird, und sie spürt einen Windzug, der von einer Tür herrührt, die sich öffnet. Wie ein Tier, das sich totstellt, zwingt sie ihre Muskeln, sich zu entspannen.
Sie hält die Luft an und wartet. Auf ein Wort. Eine Berührung. Irgendwas.
»Ich weiß, dass du wach bist, Daniella.«
Sie dreht den Kopf in die Richtung, aus der die Stimme kommt.
Er hat eine ruhige, neutrale Stimme.
»Willkommen. Ich werde dir jetzt die Regeln erklären, die hier gelten. Dein Leben ist auf etwas sehr Einfaches reduziert worden. Deine Welt ist jetzt unsere Welt, sie ist abhängig davon, wie wir sie definieren möchten. Du bist unser Werkzeug, und du wirst uns in jeder Hinsicht gehorchen.«
Sie holt tief Luft. Das darf nicht wahr sein. Es ist doch bloß ein Albtraum. Doch er fährt mit energischer Stimme fort.
»Einen Kampf gegen uns kannst du nicht gewinnen. Von der Zivilisation bist du weit entfernt. Von hier kannst du nicht fliehen. Niemand kann deine Schreie hören. Bald werden sie die Suche nach dir aufgeben. Du gehörst jetzt uns. Je eher du das einsiehst, desto erträglicher wird dein Leben hier sein.«
Sie versucht zu protestieren, doch ihr Mund öffnet sich nur ein paar Millimeter, stößt ein Wimmern aus.
Er spricht ganz gelassen weiter.
»Wir sind ein allmächtiger Orden. Wir haben Mitglieder auf der ganzen Welt. Der einzige Grund dafür, dass in dieser selbstgerechten, behäbigen Gesellschaft überhaupt etwas vorwärtsgeht, ist der, dass Menschen wie wir bereit sind zu tun, was getan werden muss. Gegen eine Superstruktur kann man nicht kämpfen. Deshalb hör auf unseren Rat, mit uns zusammenzuarbeiten. Du wirst über eine längere Zeit hier bei uns sein, länger, als du denkst.«
Eine Welle Adrenalin schießt durch ihren Körper, und ihr eines Bein erwacht zum Leben. Sie beginnt wild zu strampeln. Ein Tritt trifft ihn irgendwo, und er stöhnt überrascht auf. Sie versucht, etwas zu sagen, doch seine Hände um ihren Hals bringen sie schnell zum Schweigen. Die Berührung kommt so plötzlich, dass ihr ganzer Körper zuckt. Sie schlägt sich den Kopf an einem Gegenstand an, so heftig, dass sie Sterne sieht. Er drückt ganz fest zu. Sie hat keinen Sauerstoff mehr in der Lunge. Kleine Punkte tanzen jetzt hinter ihren Augenlidern.
Das darf nicht wahr sein. Lass es nicht wahr sein, bitte. Bitte Gott, hilf mir!
Ihre Konzentration lässt nach. Die Dunkelheit wird stärker, wird zu etwas Warmem, das sie ganz umhüllt. Für einen Augenblick fühlt sie sich völlig entspannt, als befände sie sich im Auge des Orkans. Das Einzige, was sie jetzt tun muss, ist loszulassen, mehr nicht. Doch sie kann immer noch Alex’ Wärme spüren – irgendwo da draußen, ganz weit entfernt.
Als ich im Krankenhaus aufgewacht bin, fühlte ich mich wie ausgewrungen. In meinen Muskeln war jedes Fünkchen Kraft versiegt. Draußen auf der Straße war es still, nur das Geräusch der entfernten Schritte eines Fußgängers drang an mein Ohr. Ein Bus stoppte quietschend an einer Haltestelle. Irgendwo war auch eine Sirene zu hören. Ich starrte an die Decke. Ein Stoffvorhang bewegte sich vor dem halb geöffneten Fenster. Hellgrün. Die gleiche Farbe wie Danis Augen.
Sofort überkam mich eine unbändige Sehnsucht nach ihr, danach, sie zu umarmen. Von da an konnte ich nicht mehr aufhören, an sie zu denken. Kaum eine Sekunde verging ohne den Gedanken an sie. Wären meine Gesichtsmuskeln beweglicher gewesen, hätte ich wahrscheinlich hemmungslos geheult. Doch was jetzt kam, waren nur stille Tränen. Die Erinnerungen waren fragmentarisch, belanglose Dinge kamen mir in den Sinn. Diese Bilder konnten mich so mitnehmen, dass ich katatonisch wurde, mich völlig verkrampfte.
Und eine Erinnerung wirkte klarer als alle anderen: Es war im vergangenen Winter, wir sehnten uns nach dem Frühling, doch der finstere Himmel schüttete pausenlos dichte Schneeflocken auf uns nieder. Ich hatte keine Handschuhe, und Dani wärmte mir die Hände in ihren.
Was ganz unerklärlich war: Ich spürte, wie meine Hände warm wurden, als ich daran zurückdachte, doch gleichzeitig fror ich trotzdem bis auf den Grund meiner Seele.
Drei Wochen lang lag ich fast ausnahmslos auf dem Rücken, starrte die Decke an und konzentrierte mich auf Dani. In den Nächten war es am schlimmsten. Ich wachte auf, nachdem ich von ihr geträumt hatte, ich war außer mir, wusste nicht, wo ich war. Manchmal dachte ich ein paar Sekunden lang, sie wäre da. Doch dann holte mich die Wirklichkeit wieder ein, und zwar so heftig, dass meine Lunge keine Luft mehr bekam. Es war ein Gefühl, als würde ich bestraft werden. Ich fühlte mich ausgepeitscht, in Einzelteile zerfetzt. Ich hätte für alle Zeit in diesem Klinikbett liegen können. Jetzt war doch sowieso alles egal.
Es hätte mich treffen sollen. Dieser Gedanke ließ mich nicht los. Dani war doch die Fleißige von uns beiden, die Intelligente mit der vielversprechenden Zukunft. Ich hingegen hatte nur Flirts im Kopf und war unberechenbar, ich vergeudete mein Leben. Als wir noch Kinder waren, hatte Dani in der Schule immer bessere Zeugnisse gehabt als ich. Sie war klug und gewissenhaft. Ich hingegen launisch und trotzig. Jeder mochte Dani. Bei ihr war alles immer durchdacht und vernünftig. Ich hatte nie so viele Freunde wie sie. Verächtlich hatte ich damals behauptet, ich wollte gar nicht so viele haben. Die Lehrer hatten Dani ins Herz geschlossen, bei mir waren sie immer in Habtachtstellung, außerdem fürchteten sie mein loses Mundwerk.
Vielleicht habe ich mich deshalb mehr für Jungs interessiert. Auf diesem Gebiet konnte ich unschlagbar sein. Wenn es ums Flirten ging, hatte ich Dani schnell abgehängt, da war sie chancenlos, doch sie war auch nicht besonders interessiert daran. Wir gerieten nie in Konkurrenz zueinander, und aus diesem Grund war es für uns in Ordnung.
Ich hatte immer das Gefühl, in unserem Freundeskreis etwas außen vor zu sein. Alle anderen besaßen wenigstens eine Mutter oder einen Vater. Ein Teil nahm an den Elternabenden teil, kam zu den Schulfesten und zum Abiball. In den Ferien gab es jemanden, der sie in den Urlaub mitnahm. Tante Anita flatterte in unser Leben hinein und wieder hinaus, so wie eine Libelle. Sie hatte selbst genug um die Ohren, und Elternabende und Schulfeste waren sowieso nicht ihr Ding. Sie war nie die Mutter für uns, eher eine große Schwester. Ihre Ermahnungen waren oft schwer zu verstehen:
»Kämpf doch nicht gegen die ganze Welt, Alex!«
»Sei mal ein bisschen locker, Dani!«
»Macht nicht den Fehler und verliebt euch. Wenn man sich verliebt, ist es, als wäre man stockbesoffen, und irgendwann wacht man auf und hat einen furchtbaren Kater.«
Aber am schlimmsten war es, wenn sich unsere Freunde nach unseren Eltern erkundigten:
»Wo sind eigentlich eure Eltern?«
»Verreist.«
»Jahrelang?«
»Jepp.«
»Aber … Kann man denn seine Kinder einfach so allein lassen?«
»Offensichtlich.«
»Oh je, ihr Armen …«
Mitleid ist eine echte Belastung. Das tut weh.
Als wir achtzehn wurden, wollte ich keine Freunde mehr haben. Die bohrenden Fragen der Jungs, was mit meiner Familie los war, konnte ich nicht mehr hören. Stattdessen besuchte ich Bars und Klubs und riss Männer für One-Night-Stands auf. Sex war für mich die Lösung, etwas fühlen zu können, ohne reden zu müssen. Mein Leben bestand an den Wochentagen aus Arbeit und an den Samstagabenden aus unkompliziertem Sex, während Dani immer den Kopf in die Bücher steckte. Manchmal verursachten meine nächtlichen Abenteuer eine unheimliche Leere in mir. Aber Dani meinte, das sei nur eine Phase, die bald vorbeigehen würde. Sie sprach davon, nach ihrer Ausbildung ein geregeltes Leben zu führen und eine Familie zu gründen. Eins stand für mich fest – auf keinen Fall wollte ich heiraten oder Kinder haben. Meine Eltern hatten hinreichend bewiesen, dass die Geborgenheit in der Kernfamilie eine Illusion war, die sich von einem Tag auf den anderen in Luft auflösen konnte.
Doch so unterschiedlich Dani und ich auch sein mochten, sie war mein Anker. Sie holte mich immer wieder auf den Boden zurück. Und als sie verschwand, war ich wie ein welkes Herbstblatt im Wind.
Ein Gespräch mit meinem Psychologen Mats Levinger gab schließlich den Ausschlag, dass ich mein Krankenhausbett verließ. Er war Mitte fünfzig, hatte den Kopf kahl rasiert und trug eine Brille mit dicken Gläsern, die seinen Augen etwas Insektenartiges verliehen. Zudem sonderte er einen unangenehmen Geruch nach Schweiß und Knoblauch ab. Doch er hatte eine hypnotisierende Stimme und einen eindringlichen Blick. In seiner Gegenwart wurde ich wie von selbst schlapp und gefügig.
»Denken Sie an Dani«, sagte er. »Versuchen Sie nicht herauszufinden, wo sie sich befindet. Versuchen Sie sich nicht auszumalen, was für schlimme Dinge sie erlebt haben könnte. Was hätte Dani gesagt, wenn sie wüsste, dass Sie hier im Bett liegen, anstatt Ihr Leben in die Hand zu nehmen?«
Er legte eine Pause ein, beugte sich vor und blickte mir in die Augen.
»Sie müssen den Gedanken zulassen, dass Dani nicht mehr zurückkommt«, sagte er und machte ein ernstes Gesicht.
»Das kann ich nicht. Niemals.«
»Mit der Zeit werden Sie es trotzdem lernen. Hätte sie nicht gewollt, dass Sie einen Schlussstrich ziehen und nach vorn schauen?«
»Ich habe überhaupt nicht vor, nach vorn zu schauen, bis ich Dani gefunden habe.«
»Können Sie sich vorstellen, dass es Ihnen helfen würde, zu dem Strand zu gehen, an dem sie verschwunden ist?«, schlug er vor. »Sie könnten dort eine Gedenkstunde einlegen und ein paar Blumen hinlegen?«
»Wie bitte? Eine Gedenkstunde? Sie ist doch nicht tot!«
»Okay, dann ist es dafür vielleicht noch etwas zu früh. Aber versuchen Sie, sich daran zu gewöhnen, ohne Dani zu leben, einen Tag nach dem anderen. Es mag vielleicht schwer zu glauben sein, wenn man trauert, aber die Zeit heilt die Wunden der Seele.«
Meine Wunden werden niemals heilen, dachte ich verächtlich – die Zeit streut nur noch Salz hinein. Auf diesen Vorschlag, mich mit Danis Tod abzufinden, bin ich nie eingegangen. Akzeptanz. Typisches Psychologengeschwätz.
Später kam Mats Levinger wieder in mein Zimmer. Er setzte sich auf die Bettkante und sah mich traurig an. Auf seiner Stirn bildete sich eine tiefe Falte, als er blinzelte.
»Alexandra. Darf ich mal des Teufels Advokat spielen?«, fragte er mich.
»Wofür soll das gut sein?«
»Hören Sie mir einfach zu.«
Ich wendete mich ab und seufzte.
»Okay.«
»Nehmen wir mal an, Sie haben recht, und Dani lebt. Sollten Sie dann nicht für sie da sein?«
»Wie meinen Sie das?«
Eine Weile sprachen wir nichts. Ich konnte fast zusehen, wie seine grauen Zellen arbeiteten. Ein hoch entwickelter Computer, der darauf programmiert war, mich zu überlisten.
»Hier sind Sie keine große Hilfe. Würde sie Sie hier finden, wenn sie unvermutet doch noch am Leben ist?«
Ich durchschaute seine neue Taktik sofort, aber eines gab mir zu denken: Hier bloß zu liegen und die Decke anzustarren, war wie ein stiller Verrat.
Mit einem Mal schossen mir Gedanken durch den Kopf, was ich alles einfach stehen und liegen gelassen hatte. Was geschah zum Beispiel mit unserer Wohnung? Mit der Post? Unserer Katze Zelda? Ich hatte Tante Anita überhaupt nicht nach der Katze gefragt, als sie zu Besuch gekommen war, ich hatte nur vor mich hingestiert und monoton auf ihre Fragen geantwortet. Jetzt bildete ich mir ein, dass Zelda verhungert sein musste und sicher auch Strom und Wasser in der Wohnung abgestellt sein würde, schließlich hatte ich keine Rechnung mehr bezahlt. Aber am allerschlimmsten war die Vorstellung, dass Dani vielleicht versucht hatte, nach Hause zu kommen, und mich nicht hatte finden können …
Mit einem Mal begriff ich, dass ich mich im letzten Monat in einem Schockzustand befunden hatte. Doch dann kam eine Erkenntnis völlig schlagartig. Mats Levinger war doch nur einer von vielen, die überzeugt waren, dass Dani tot sei. Auf ganz schonungslose Weise musste ich einsehen, dass ich also ihre letzte Hoffnung war. Und dann konnte es mit der Entlassung aus der Klinik gar nicht schnell genug für mich gehen.
»Er geht mir jetzt wirklich besser«, sagte ich also zaghaft zu Mats Levinger. »Wahrscheinlich haben Sie recht, es ist an der Zeit, nach vorn zu schauen.«
Ein paar Tage später entließ er mich.
Ich warf meine Sachen in einen Trolley, den Anita mir mitgebracht hatte. Ohne zu duschen, ohne Make-up machte ich mich auf den Weg aus dem Krankenhaus. So schnell wie möglich stieg ich die Treppen hinunter. Als ich durchs Foyer auf den Ausgang zulief, kamen mir plötzlich Zweifel. Da war ein Haufen Menschen, es war eng und laut. Ich bekam einen Schweißausbruch und wusste nicht, ob das an der Hitze lag oder ob ich in Panik geriet, weil ich nicht sicher war, ob ich die richtige Entscheidung getroffen hatte.
Doch dann musste ich daran denken, was ich mir selbst versprochen hatte. Ich wollte alles tun, was in meiner Macht stand, um Dani zu finden, ich würde niemals aufgeben. Ab dem heutigen Tag würde sich mein Leben nur noch darum drehen.
Ich bahnte mir einen Weg durch die Menschentraube am Eingang des Krankenhauses und wollte zur Bushaltestelle laufen. Doch ich war unachtsam und stieß eine Frau fast um, die im Rollstuhl saß. Sie schrie erschreckt auf, sodass ich unwillkürlich einen Satz zurück machte. Da spürte ich etwas Hartes an meinem Rücken, und mein Fuß landete auf dem Schuh einer anderen Person.
Ich fuhr herum und sah, dass ich einem auffällig attraktiven Mann mit hellblauen Augen auf den Fuß getreten war. Ein paar Sekunden lang sahen wir uns an. Eine Art Knistern, ganz unterschwellig. Dieser Mann hatte etwas, ich vergaß ganz, mich zu entschuldigen.
»Aua!«, sagte er schließlich. »Sie haben es offenbar ziemlich eilig?«
»Ja«, erwiderte ich kurz. »Entschuldigen Sie bitte, ich muss zum Bus.« Dann drehte ich mich um und wollte mich weiter durch den Menschenauflauf kämpfen.
»Warten Sie!«, rief er und berührte mich leicht am Arm. »Mit diesem Koffer werden Sie sich in der Rushhour schwertun.« Er warf einen Blick auf meinen Trolley. »Kann ich Sie vielleicht irgendwo hinbringen?«
Ich sah ihn misstrauisch an.
»Nein, danke«, antwortete ich. »Ich nehme den Bus.«
Aber aus irgendeinem Grund blieb ich stehen. Ich konnte keinen Schritt vorwärts tun.
Er stellte sich als Jim Zander vor und blickte mich ernst an, fast ein bisschen nachdenklich. Seine beinahe femininen Gesichtszüge – schmale Nase, große Augen, volle Lippen – wurden von einem markanten Kinn gerettet. Dazu perfekte Zahnreihen. Er war schlank, aber groß und muskulös. Seine Augen waren so blau, dass ich mich fragte, ob er wohl farbige Kontaktlinsen trug. Es bestand kein Zweifel, dass er gut situiert war. Ich hatte mich von meinem Job als Verkäuferin bei H&M hochgearbeitet und war nun in einer exklusiven Designer-Boutique angestellt, daher hatte ich mit Menschen zu tun, die Geld hatten. Und Jim Zander musste vermögend sein, das war nicht zu übersehen. Leicht amüsiert betrachtete er mein schlampiges Erscheinungsbild. Ich sah nach den Wochen im Krankenhaus vermutlich wie ein Straßenmädchen aus.
Er begann einen Small Talk, offenbar unbeeindruckt von all den Menschen, die an uns vorbeirauschten. Es hatte den Anschein, als hätte er alle Zeit der Welt, und irgendetwas strahlte er aus, das mich erdete. Seine tiefe Stimme und seine höfliche Art weckten Vertrauen in mir. Als wir dort standen, hörte ich ihm nur mit einem halben Ohr zu. Das Gefühl, wie ein ganz normaler Mensch und nicht wie ein psychisch Kranker behandelt zu werden, war so wohltuend.
Er stand so dicht vor mir, dass ich zwangsläufig überlegte, wie ich aussah, ich fühlte mich schmuddelig und verschwitzt. Durch die Glasscheiben am Eingang sah ich den Himmel grau und regenverhangen. Mir kam der Gedanke, dass es schön wäre, wenn es regnen würde, damit das Wasser mich reinwaschen würde, sobald ich auf die Straße kam.
Jim Zander sprach immer weiter, er sprach davon, dass die Wände im Krankenhaus die völlig falsche Farbe hätten. Er war der Auffassung, dass Weiß bei kranken Menschen ein Gefühl von Einsamkeit und Ausgegrenztsein hervorrufen könne. Ich biss mir auf die Lippe, um nicht lachen zu müssen – was war denn das für ein Typ? Als er seinen Gedankengang zu Ende geführt und ich nichts entgegnet hatte, entstand für den Moment ein peinlich berührtes Schweigen.
»Ja, dann möchte ich Sie nicht länger aufhalten«, sagte er. »Passen Sie gut auf sich auf.«
Ich stand da und wartete darauf, dass er ging. Als ich ihn dann durch die Eingangstür verschwinden sah, dachte ich, dass er ein besonderer Mensch war. Zum ersten Mal seit Ewigkeiten spürte ich die Sympathie eines anderen.
Als sie die Augen öffnet, ist alles verschwommen. Erst fühlt es sich wie ein schöner Traum an, ihr Körper ist angenehm warm und entspannt. Doch dann bewegt sie ein Bein und hört ein Plätschern, und da begreift sie, dass sie im Wasser liegt. Ihr Kopf ist in den Nacken gelegt. Als sie den Blick senkt, sieht sie ihre Arme auf dem Rand einer Badewanne. Ihre Brustwarzen durchstoßen die Wasseroberfläche.
Alles ist weiß: die Decke, die Wände und die Badewanne – so weiß, dass ihr Körper dagegen braun gebrannt aussieht, obwohl sie in diesem Sommer kaum dazu gekommen ist, sich in die Sonne zu legen. Sie versucht, den Kopf anzuheben, merkt aber, dass sie einen Riemen um den Hals hat. Das ist der Moment, in dem sie Panik bekommt. Sie krallt sich mit den Fingernägeln in die harte Oberfläche der Badewanne. Strampelt wild mit den Beinen, fuchtelt mit den Armen in der Luft herum und brüllt sich die Seele aus dem Leib. Doch die dicken Wände des Raums schlucken jedes Geräusch.
Eine kalte Hand legt sich auf ihre Stirn.
»Ich habe dich gebadet. Sag jetzt ›Danke, Meister‹.«
Die Stimme ist kühl und ganz ruhig.
Ein Mann, den sie noch nie in ihrem Leben gesehen hat, nimmt auf einem Hocker neben der Wanne Platz. Er muss etwa Mitte dreißig sein, hat einen durchtrainierten Oberkörper. Seine Augen fallen ihr auf. Wie leer sie sind. Er sieht sie an, sieht sie aber nicht. Und da kommt ihr der beklemmende Gedanke, dass sie jetzt sein Gesicht gesehen hat. Dass sie deswegen sterben muss. Ist das in den Kinofilmen nicht immer so? Doch wenn er sie töten wird, warum badet er sie vorher?
Sie weint. Ist machtlos dagegen. Die Tränen laufen ihr über die Wangen.
Und in den nächsten Sekunden kommt die Erinnerung zurück. Sie hat das Grillfest am Strand wieder vor Augen. Sie ist als Erste nach Hause gegangen. Der süße Duft der Blüten auf dem Heimweg. Und dann dieser Wahnsinnsschrecken, als der Mann sie packte. Das Tuch auf dem Mund. Es war mit Chloroform getränkt. Sie kann sich wieder an den ekelhaften Geruch erinnern. Daher also diese heftige Übelkeit.
»Warum?« Mehr bringt sie nicht heraus. Und schon dieses eine Wort fällt ihr schwer, ihre Stimme ist heiser und ihr Hals ganz trocken.
»Du darfst keine Fragen stellen«, sagt er. »Weder mir noch irgendwem anders hier.«
Jetzt erkennt sie seine Stimme. Das ist der Mann, der sie fast erwürgt hat. Er beugt sich über sie, packt ihre Schultern und presst ihren Rücken gegen die Wanne.
»Sag ›Danke, Meister‹, dann darfst du aus der Wanne aussteigen.«
Hinter sich hört sie ein Geräusch. Jemand anders ist in den Raum gekommen.
»Lassen Sie mich los«, ruft sie. »Sie haben kein Recht …«
Und dann geht es ganz schnell.
Bevor sie einen Gedanken fassen kann, wird ihr etwas Weiches auf Mund und Augen gedrückt. Ein heftiger Wasserfall überspült ihr Gesicht, strömt ihr in die Nasenlöcher, dringt durch ihre Lippen. Sie schluckt, so viel sie kann, doch es reicht nicht. Sie strampelt wie wild mit den Beinen, das Wasser spritzt überall hin. Sie zittert, und obwohl das Wasser warm ist, überkommt sie kalter Schweiß. Jemand greift an ihre Fußgelenke und hält sie fest.
Da wird der nasse Stoff von ihrem Gesicht genommen. Das Einzige, was sie erkennen kann, sind seine Augen. Kalt und durchdringend – aber sie sehen sie nicht wirklich an.
»Du weißt, was du sagen musst, damit wir aufhören.«
Sie presst die Lippen aufeinander. Ihre Kehle schnürt sich zu, während sie versucht, die Tränen zurückzuhalten.
Als er das Tuch wieder auf sie presst, spannt sie alle Muskeln ihres Körpers an. Dann wird alles pechschwarz. Sie bekommt keine Luft. Wasser, das nach Dreck und Seifenlauge schmeckt, läuft ihr den Schlund hinunter. Sie kann nicht mehr atmen, ihre Beine schlottern. Es hämmert in ihrem Kopf, jede Zelle in ihrem Körper schreit nach Sauerstoff. Sie muss Luft holen, und zwar schnell, bevor sie völlig kraftlos ist. Stechende Schmerzen schießen wie elektrische Schläge durch ihre Nervenbahnen. Sie verliert die Orientierung, hört auf zu strampeln und lässt sich vom Wasser wiegen.
Ihre Pupillen werden immer weiter. Jedes Fünkchen Kraft ist verbraucht.
Sie weiß nicht, wie lange dieser Zustand anhält. Zwanzig Sekunden? Mehrere Minuten?
Als der Druck auf ihrem Gesicht nachlässt, schwebt sein Gesicht über ihr. Sie ringt nach Luft, hustet, würgt, kann aber mit dem nach hinten überstreckten Kopf nicht erbrechen.
Jetzt lassen sie ihre Fußgelenke los. Ein anderer Mann erscheint.
»Oh Gott, tut das nicht noch einmal«, stöhnt sie.
»Dann sprich die Worte.«
Das Einzige, was sie hervorbringt, ist ein kraftloses Flüstern.
»Danke, Meister.«
Der Mann hebt sie aus der Badewanne und trocknet sie ab. Es ist ganz offensichtlich, dass dieser Mann, der sich »Meister« nennt, hier das Sagen hat. Der andere Mann scheint ein Untergebener zu sein, er schlägt die Augen nieder. Die harten Hände der Männer rubbeln über ihre Haut, aber sie wagt es nicht, auch nur einen Mucks von sich zu geben. Das Verhalten der Männer ist so merkwürdig. Sie geben keine Kommentare über ihren nackten Körper ab, begrapschen sie auch nicht. Mechanisch und gefühlskalt gehen sie mit ihr um, als wäre sie ein Tier auf dem Weg zur Schlachtbank. Sie setzen ihr eine neue, trockene Augenbinde auf und heben sie mit ihren starken Armen hoch. Am Ende legen sie sie auf eine Matratze.
Sie schalten das Licht aus. Die Dunkelheit ist undurchdringlich.
Vom Boden her steigt eine feuchte Kälte auf.
Schnell verliert sie das Zeitgefühl.
Sie fixiert sich ganz auf das Geräusch ihrer eigenen Atmung. Alle anderen Geräusche ihres Körpers empfindet sie als störend – das leise Pfeifen in den Ohren, das Klicken, wenn sie schluckt, die zischende Luft, die beim Ausatmen aus ihrer Nase dringt.
Sie friert, und dann schaltet sich ihr Hirn ab. Trotzdem hat sie nicht den Mut, loszulassen und sich dem Schlaf hinzugeben.
Wenn sie im Boden doch nur ein tiefes Loch graben könnte, um dort zur Ruhe zu kommen.
Auf dem Heimweg starrte ich die ganze Busfahrt lang nur aus dem Fenster. Die Stadt erschien mir kalt, schmutzig und trist. Aus dem stahlgrauen Himmel strömte der Regen. Er trommelte gegen die Scheiben, wo die Tropfen kleine Rinnsale bildeten, die über das Glas nach unten liefen. Am Ende peitschte das Wasser sogar wellenartig gegen die Fenster. Die ersten Momente auf der Straße hatte ich als befreiend empfunden. Endlich frische Luft in der Nase. Regentropfen auf dem Gesicht. Die beißende Kälte des Windes. Aber kaum hatte ich mich in den Bus gesetzt, überkam mich ein Gefühl von Traurigkeit, ein plötzliches Tief. Ich flüchtete vor den Menschen um mich herum, was ganz ungewohnt war. Ich mied selbst die Gesichter der anderen Fahrgäste.
Es war ein heftiges, aber kurzes Gewitter. Genau in dem Augenblick, als ich ausstieg, riss der Himmel auf und die Sonne kam zum Vorschein, doch es war eine trügerische Sonne, sie stach mir in die Augen. Das Wetter während der Busfahrt hatte meinem Gemütszustand mehr entsprochen.
Als ich die Wohnung betrat, kam mir eine verzückte Zelda entgegengesprungen. Ich hockte mich hin und bohrte meine Nase in ihr weiches Fell. Sie hörte gar nicht mehr auf zu schnurren. Dani hat Zelda geliebt, ihr hätte es nicht gefallen, dass ich sie einen ganzen Monat lang allein gelassen habe.
Ich hatte zu Mats Levinger gesagt, dass ich jetzt stabiler sei, doch das war gelogen. Im Bus war ich richtig apathisch gewesen. Jetzt fühlte ich mich unter Stress und leicht hysterisch. Mein Kopf hatte sich in einen Bienenstock verwandelt, in dem Gedankenfetzen hundertfach hin und her schwirrten. Aber einer übertönte all die anderen: Ich muss Dani finden.
Während ich mein Handy lud, überflog ich schnell die Post. Ich bezahlte die Rechnungen und öffnete meinen Posteingang absichtlich nicht, denn da erwartete mich ganz bestimmt eine Flut von Mails. Eigentlich hatte ich keinen Hunger, aber ich beschloss, trotzdem etwas zu essen. Aus dem Kühlschrank drang ein säuerlicher Geruch, also schloss ich die Tür schnell wieder. Lieber griff ich zu einer fertigen Nudelsuppe, die ich mir kurz aufwärmte und dann im Stehen aß.
Als ich ins Bad kam, fiel mein Blick auf mein Spiegelbild über dem Waschbecken. Ich war unnatürlich blass, aber in meinen Augen entdeckte ich eine neue Entschlossenheit. Schnell legte ich etwas Rouge auf, griff auch zu Lippenstift und Mascara. Ich versuchte, Anita anzurufen, allerdings ohne Erfolg, also hinterließ ich eine Nachricht auf ihrem Anrufbeantworter und teilte ihr mit, dass ich aus der psychiatrischen Klinik entlassen worden war. Bevor ich die Wohnung verließ, füllte ich Zeldas Fressnapf auf und lief dann eilig die Treppen hinunter zum Auto.
Schon im Krankenhaus hatte ich einen Entschluss gefasst, wohin ich als Erstes fahren würde. Zu unserem Sommerhaus in Lomma. Dorthin, wo alles begonnen hatte.
Der Sommer räumte allmählich seinen Platz. Hier und da tauchten die ersten gelben Blätter an den Bäumen auf. Bald schon würden sich dunkle Herbstschleier darüberlegen. Der Regen hatte den Duft verwelkter Blumen hervorgelockt, jetzt drang er durch die geöffnete Scheibe ins Wageninnere. Doch als ich vor unserem Sommerhaus in Lomma vorfuhr, konnte ich keinerlei Anzeichen des Herbstes erkennen. Alles sah noch genauso aus wie am Mittsommerabend. Die Birken im Wäldchen bogen sich im Wind. Das strahlend blaue Meer schlug seine Wellen ans Ufer.
Vor dem Gartenzaun blieb ich stehen.
Da gab es eine Sache, die ich verdrängt hatte, etwas, das mich beschäftigte. Dani und ich hatten Streit gehabt. Was normalerweise nie vorkam, doch gerade an diesem Abend. Es war meine Schuld gewesen, Dani hätte von sich aus nie Streit angefangen. Aber ich war sauer und verärgert, wahrscheinlich weil ich Anfang der Woche meinen Job verloren hatte. In der Boutique war eigentlich alles gut gelaufen bis zu dem Moment, in dem ich einen herablassenden Kommentar über die aktuelle Modekollektion vom Stapel gelassen hatte. Indem ich mich weigerte, mich zu entschuldigen, machte ich meiner vielversprechenden Karriere kurzerhand ein Ende. Und das war nicht das erste Mal gewesen. Anpacken konnte ich zwar, nicht aber mein loses Mundwerk zügeln.
Wie immer hatte Dani schon frühzeitig nach Hause gehen wollen. Im Alkoholrausch nannte ich sie eine Spaßbremse, bevor sie ging. Das waren meine letzten Worte zu ihr gewesen. Sie verzog das Gesicht, stand auf und verschwand. Das tat mir auch bald schon wieder leid, und ich sprang auf, um ihr hinterherzurennen und mich zu entschuldigen. Aber ich war zu betrunken, um schnell rennen zu können, und Dani war schon nicht mehr in Sicht, daher entschied ich mich, auf dem Fest zu bleiben. Und diese Tausendstelsekunde, nämlich die Zeit, in der ich das beschloss, sollte mein Leben vollkommen verändern.
Bei dieser Vorstellung lief mir ein eiskalter Schauer über den Rücken.
Ich ging durch das Gartentor und blieb für einen Moment direkt vor dem Haus stehen. Die Apfelbäume trugen jetzt Früchte. Die Herbstanemonen in den Beeten blühten. Es war ganz still hier, unheimlich still. Von den Baumkronen über mir war Geraschel zu hören. Säuselnde Stimmen flüsterten mit dem Wind. Die Hängematte schaukelte sanft vor und zurück. Dieser Anblick versetzte mich in die glücklichen Sommerabende mit Dani zurück. Wie oft hatten wir in dieser Hängematte gesessen und zugesehen, wie sich die Dämmerung über den Garten legte. Jetzt spürte ich, dass etwas kaputtgegangen war, etwas, das nie wieder heil werden würde. Ich musste mich sehr zusammenreißen, um nicht melancholisch zu werden.
Ich weiß, dass du lebst. Gib mir ein Zeichen. Irgendwas.
Bei einem plötzlichen Blätterrascheln in den Birken neben dem Gartentor fuhr ich herum. Mir blieb das Herz stehen. Doch es war nur eine Krähe, die hinabgeflogen kam und nun über den Kiesweg spazierte. Mein Herz begann wieder heftig zu pochen, doch es war viel zu schnell. Ich hatte Angst bekommen.
Langsam ging ich zum Haus und schloss die Tür auf. Muffige Luft schlug mir entgegen. Ich zog die Jalousien hoch und öffnete ein Fenster. Es war, als würde das ganze Häuschen erleichtert aufatmen, endlich strömte frische Luft hinein.
Ich begann, das Wohnzimmer systematisch zu durchsuchen. Irgendwo musste doch ein Hinweis zu finden sein, etwas, das allen entgangen war – ein Zeichen, das nur ich zuordnen konnte. Überall fand ich Haare, aber dann wurde mir schlagartig klar, dass selbst ein DNA-Test nicht würde klären können, ob es sich um meine oder Danis Haare handelte. Das machte mich irgendwie traurig. Ich war auf der Suche nach etwas, das eindeutig von ihr stammte. In dem Moment fiel mein Blick auf die Kaffeetasse auf der Fensterbank. Ich ging hin und hob sie hoch. Am Rand war kein Abdruck von Lippenstift, also musste Dani sie benutzt haben. Auf dem Boden war ein Kaffeerest eingetrocknet und leicht schimmlig, doch ich strich liebevoll über die Tasse und versuchte, Dani in Gedanken zu erreichen, ihr zu sagen, wie sehr sie mir fehlte. Stattdessen fing eine böse Stimme in meinem Hinterkopf zu schimpfen an. Daran hättest du früher denken können. Du Idiotin.
Glücklicherweise gelang es mir, mich auf meine Suche zu konzentrieren, doch obwohl ich eine Stunde lang alles intensiv durchkämmte, konnte ich im Haus nichts finden. Die Leere, die Dani hinterlassen hatte, wurde schließlich so erdrückend, dass ich in den Garten lief, um frische Luft zu schnappen. Als ich dort eine Weile auf dem Rasen stand, stieg in mir die Gewissheit auf, dass die Antworten irgendwo anders zu finden sein mussten – an einem Ort, an dem es niemandem in den Sinn kam zu suchen. Ich beschloss, zurück in die Stadt und in unsere Wohnung zu fahren, also ging ich wieder zum Haus und schloss die Tür ab. In diesem Augenblick klingelte mein Handy. Eine unbekannte Nummer.
»Jim Zander hier, wir sind uns zufällig am Krankenhaus über den Weg gelaufen«, sagte eine fremde Stimme.
Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich mich wieder an ihn erinnerte.
»Woher haben Sie meine Handynummer?«
»Die findet man im Internet.«
»Aber woher wissen Sie, wer ich bin?«