Der letzte Europäer - Martina Clavadetscher - E-Book

Der letzte Europäer E-Book

Martina Clavadetscher

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Beschreibung

Frau Angst hat ihren Kontinent fest im Griff. Die Muttermaschinen laufen wie geschmiert, alles funktioniert wie immer, auch wenn draußen ein unsichtbarer Krieg tobt. Niemand bewegt sich und alle sind zufrieden, auch der letzte Europäer. Die Muttermaschine füttert ihn täglich mit den ewig gleichen Trugbildern. Damit die lästigen Träume verschwinden und nur die weichgespülten Erinnerungen übrigbleiben. Der Letzte hält eisern an den Routinen und seinem Müsli fest, spaziert durch die hübsch angelegten Wege seines symmetrischen Jardin des Étoiles. Alles scheint geordnet, alles bleibt harmonisch abgegrenzt. Nur eine Hündin fühlt sich gelangweilt. Sie wünscht sich Chaos und Dreck zurück. Einen Unort, wo man sich gleichermaßen Freund und Feind ist, wo man sich wieder spüren kann, vielleicht barbarisch, aber dafür real. Die Hündin fordert die Angst zu einer Wette heraus. Sie ist davon überzeugt, dieses eine Exemplar zum Ausbruch zu bewegen. Dazu begeben sich die Hündin und der letzte Europäer auf eine Reise, die keine ist. Die Schweizer Autorin Martina Clavadetscher verhandelt in ihrem neuen Stück "Der letzte Europäer", das als Auftragswerk für das Theater Neumarkt entstanden ist, nichts weniger als die naheliegende sowie dramatische Vorstellung, das gute alte Europa könnte bald schon Vergangenheit sein. In einer von Angst und Mythen gelenkten Phase der Weltgeschichte gedeiht keine große Idee mehr – oder wie es Nietzsche nannte: "Der letzte Mensch kann keinen Stern mehr gebären." Man scheint sich einig: Jede Aufregung soll folgenlos bleiben, jede Handlung korrekt geplant und kontrolliert. Die tatsächliche Selbstbestimmung hat längst dem Sicherheitswahn Platz gemacht. Was bleibt, ist der passive Widerstand, der darin besteht, sich mit Illusionen einer vermeintlichen Freiheit und Aufgeklärtheit füttern zu lassen.

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Seitenzahl: 42

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Martina Clavadetscher

Der letzte Europäer

FELIX BLOCH ERBEN

Verlag für Bühne, Film und Funk

Inhaltsverzeichnis

Title Page

Personenverzeichnis

Zitat

Erstens – Gib mir einen Alltag

INTRALOG

Zweitens – Gib mir ein Haustier

Drittens – Gib mir etwas Bewegung

ERSTES ZWISCHENSPIEL - ZWISCHENFRAGE

Viertens – Gib mir einen Aufbruch

Fünftens – Gib mir einen Weg zum Meer

ZWEITES ZWISCHENSPIEL - FEIERABEND

Sechstens – Gib mir eine süße Unmöglichkeit

Siebtens – Gib mir Nachkommen

Achtens – Gib mir einen Krieg

Neuntens – Ich suche mir einen Ausweg

EPILOG

Über die Autorin

Über das Stück

Impressum

Personenverzeichnis

MuttermaschineDer LetzteAngstHund, eine Hündin

ORT & ZEIT

Man stelle sich vor: Irgendwo im ehemaligen Europa. Und alles geschieht auf kleinstem Raum.Zugegeben, es könnte eine Anstalt sein.

You raise up your head and you ask, „Is this where it is?“ And somebody points to you and says, „It`s his“And you say, “What`s mine?” and somebody else says, „Well, what is?“ And you say, „Oh my God, am I here all alone?“But something is happening and you don`t know what it is Do you, Mr. Jones?

Bob Dylan – Ballad Of A Thin Man

Erstens – Gib mir einen Alltag

MUTTERMASCHINEWas hast du?

DER LETZTEIch mache einen doppelten Knoten.Die zwei Rümpfe sind jetzt mit dem Tragdeck verbunden.Den Rest der Schnur schneide ich mit dem Taschenmesser durch.Das Segel hält. Der Kiel auch.Um den kleinen Nagel beim Bug binde ich noch eine Schnur.Ein ganz lange Schnur, die vom Meer bis ans Ufer reicht.Moment, nicht so schnell.Das kleine Licht da draußen, es blendet und ist wie Feuer.Natürlich, die Sonne - deswegen muss man eine Kappe tragen.Warte!

MUTTERMASCHINEPsst!Du hast jetzt einen Morgen.Du hast seine Geräusche im Ohr.Deine Augen sehen die Welt hinter deinen Lidern.Sie ist dunkel, aber geordnet nach Gedanken,Sauber gestaltet wie eine Parkanlage.Deine Augen begreifen ein Aufkommen vonHelligkeit.Du hast eine Welt da draußen.Dein Hinterkopf fühlt das Daunenkissen.Deine Hand geht zum Vorderkopf.Deine Finger gleiten dir tröstend über dasGesicht.

DER LETZTEEinmal, zweimal, dreimal.

MUTTERMASCHINEDein Mund spricht wieder und wieder diese Worte:

DER LETZTEEinmal, zweimal, dreimal.

MUTTERMASCHINEDu siehst jetzt die Fenster.

DER LETZTEEins, zwei, drei.

MUTTERMASCHINEDie blauen Vorhänge, die Fensterrahmen,das ganze Schlafzimmer ist im üblichen Zustand.Dein Körper - ebenfalls im üblichen Zustand -hat eine Lust nach Kaffee.Du fühlst die Bettdecke über dem Körper, die Organe in deinem Körper,allesamt am rechten Ort, du ahnst, wie sie arbeiten,die Lunge, das Herz, der Darm,allesamt im üblichen Modus.Der Modus heißt Morgen.

DER LETZTEGuten Morgen.

MUTTERMASCHINESagst du, im Scherz zu dir selber.

DER LETZTEDiese Sache am Meer.

MUTTERMASCHINEDiese wirren Wechselgedanken sindbloß nächtliche Entladungen.Aber du siehst diese Bildfetzen.

DER LETZTEAls wichtige -

MUTTERMASCHINEAber irreale!

DER LETZTEHinweise. Es sind Hinweise.Die Gischt, nein, das Geräusch der Wellen.Die Möwen über meinem Kopf,ein kreisendes Geschrei,fast wie Kindergeschrei.

MUTTERMASCHINEDas interpretierst du.

DER LETZTEIch kombiniere die Skizzen in meinem Kopf.

MUTTERMASCHINEAber du weißt trotz allem:

DER LETZTETräume bleiben Träume.

MUTTERMASCHINEGenau. Solange man:

DER LETZTEIm sicheren Bett erwacht.

MUTTERMASCHINEDu stellst deine Beine auf dem Boden,die Füße schreiten über den kühlen Parkett,über die Keramikkacheln der Dusche.Das Wasser säubert deinen Organismus.Reinigungsmodus.Was grübelst du?

DER LETZTEDas Abwasser verschwindet im Abfluss.

MUTTERMASCHINEUnd?

DER LETZTEIch brauche Kaffee und Frühstücksflocken.

MUTTERMASCHINEDie mit Honig und Nüssen.

DER LETZTEDie kleinen Weizenbeutelchen aus Vollkornfasern.Sie schwimmen in Vollmilch,wie winzige, essbare Schiffchen,liegen sie Seite an Seite im Milchmeer,schwappen nie über den Schüsselrand,saugen sich stattdessen voll und voller,bis ich sie mit dem Löffel abschöpfe.

MUTTERMASCHINEEines nach dem anderen.

DER LETZTEEins, zwei, drei.

MUTTERMASCHINEUnd alles ist gut.So gut wie vergleichsweise?

DER LETZTEDer Park.

MUTTERMASCHINEEin schönes Beispiel.

DER LETZTEDer Jardin des Etoiles.Seine Architektur besteht aus symmetrischen Strukturen.Nichts ist zufällig: Das Aufeinandertreffen von Wegen.Der saubere Einsatz von dynamischer Vegetation.Bäume, Büsche, Wiesen.Eins, zwei, drei.

MUTTERMASCHINEWillst du heute in deinen Park?

DER LETZTEWie jeden Tag.Wäre nur jemand dabei.Dann könnte ich das jemandem erklären.

MUTTERMASCHINEDer Park gehört dir alleine.

Kurze Stille.

DER LETZTEManchmal ist es fast,als gäbe es sonst nichts mehr.Kein Jemand. Kein Irgendwo.

MUTTERMASCHINEDu bist etwas Besonderes.Hier. Sei belustigt.

DER LETZTEIch klicke mich ins Angebot.

MUTTERMASCHINESuch was aus.

DER LETZTENachrichten, Klängebewegte Bilder.

MUTTERMASCHINEOder hier.

DER LETZTELustige Tiere, Pandabären,Tiger, Tauben, Honigbienen.

MUTTERMASCHINEGenau, was du magst.

DER LETZTESüße Kinder, Autos, Berge,Fussballszenen, Kochrezepte,Hasen, Handys, Superhelden.Das schmeckt alles wie:schon,bereitsundnoch einmal?

MUTTERMASCHINEIch kenn dich doch.Hier. Ein Kinderspiel?

DER LETZTEMünzen sammeln,Schätze finden,Mädchen retten.Vielleicht was am Meer?

MUTTERMASCHINENein, nichts mit Meer.Lieber die Ländereien aus nächster Nähe,sauber gezeichnet.Beste Bildqualität.

DER LETZTEFrontspieleSuperwaffen,Energieschildkräfte,Luftangriffe,Eindringlinge.Ebene dreizehn, check,vierzehn, check,fünfzehn,sechzehn,siebzehn,mindestens achtzehn …Achtzehn müsste sie schon sein.