Umständliche Rettung - Martina Clavadetscher - E-Book

Umständliche Rettung E-Book

Martina Clavadetscher

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Beschreibung

Ein Moloch, ein stinkendes Monstrum, "die Luft ein überhitztes Gebläse, in dem selbst die Vögelchen zu Schmorbraten werden" – Mikrobiologin Yamila Hanna Bach reist zu Forschungszwecken nach Sodiryia, eine Stadt jenseits des Jordans, die freudig Konsumgüter verschlingt und im Abfall erstickt. Während Yamila sorgfältig ihrer Arbeit nachgeht, Bodenproben sammelt und nach Berlin schickt, geschehen immer wieder rätselhafte Ereignisse. Dazu zählen ihre Begegnungen mit El-Arad, der an einem Tag Fleischer, am nächsten Schnapsverkäufer und am übernächsten Pilot von Kleinflugzeugen ist und mit dem sie zu guter Letzt gemeinsam in einer Vorabendserie auftaucht. Was geht hier vor sich? Die Bewohner Sodiryias, und ganz besonders die Erzählerin Baganja, wissen Bescheid: Yamila ist der lang angekündigte Engel, der gesandt wurde, um El-Arad zu retten vor der nahenden Katastrophe, die über die Stadt hereinbrechen wird. Und schon befindet sich Yamila in einem Verhör wieder, in dem ihr der Offizier allerlei merkwürdige Fragen stellt. Nein, sie ist nicht als Engel nach Sodiryia gekommen, sondern als Wissenschaftlerin und nein, sie hat nicht vor, El-Arad vor der großen Katastrophe zu bewahren, wie denn auch? Doch Baganja kann den Gedanken nicht ertragen, dass gerade El-Arad der Auserwählte sein soll. Warum er? Der Trinker, Mörder und Vergewaltiger seiner Kinder? Nein, der Engel muss sich in der Adresse geirrt haben. El-Arad ist doch ein schlechter Mensch. Baganja versucht verzweifelt, die Geschichte zu ihrer persönlichen Heilsgeschichte zu machen, doch Yamila wehrt sich, denn: Rational bleiben ist wichtig. Aber das fällt ihr immer schwerer, seitdem ihr eine Mission auferlegt wurde, an die alle um sie herum fest glauben. In Martina Clavadetschers brodelndem Sodom und Gomorrha muss sich ausgerechnet die Wissenschaftlerin Yamila auf Phänomene einlassen, die sich auf rationale Weise nicht mehr erklären lassen. Unfreiwillig wird sie zur Retterin El-Arads, einer modernen Version des biblischen Lot, der als einziger der Katastrophe entrinnt. Die Autorin nutzt in ihrem Stück "Umständliche Rettung" das Gleichnis, um über heutige Maßlosigkeit, Profitgier, Konsum und Überfluss und über die Hoffnung auf Rettung zu erzählen. Dabei thematisiert sie immer wieder die Macht des Erzählens selbst. Zum einen genießt Clavadetscher das Schreiben in vollen Zügen, verwendet biblische Motive, Krimielemente, groteske Kuriositäten bis hin zu absurd-komischen Verwicklungen. Zum anderen bäumen sich ihre Figuren auf gegen ihre eigene Geschichte, gegen die Rollen, die sie angeblich spielen sollen und versuchen, ihre persönliche Version Realität werden zu lassen. Doch welche Version ist die beste? Und welche ist richtig? Wer verdient Rettung? In der Geschichte, die Martina Clavadetscher erzählt, ist alles möglich, es gibt Raum für das Unerklärliche, nicht Greifbare, das Vertrauen auf einen anderen Menschen (oder eben doch einen Engel?), der womöglich das "letzte Gramm Gold" in uns entdeckt.

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Seitenzahl: 45

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Martina Clavadetscher

Umständliche Rettung

FELIX BLOCH ERBEN

Verlag für Bühne, Film und Funk

Inhaltsverzeichnis

Title Page

Personenverzeichnis

Zitat

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

X.

XI.

XII.

XIII.

XIV.

XV.

XVI.

XVII.

EPILOG

Über die Autorin

Über das Stück

Impressum

Personenverzeichnis

BaganjaYamilaOffizier El-Arad

ORT UND ZEIT

Jenseits des Jordans zu einer unbekannten Zeit.

„Errette deine Seele und sieh nicht hinter dich; auch stehe nicht in dieser ganzen Gegend.“1. Mose 19, 17

I.

OFFIZIERWie lautet Ihr Auftrag?

YAMILAIch habe keinen Auftrag.

BAGANJADas Geräusch einer Schreibmaschine setzt ein.Möglicherweise ist es bloß ein Kugelschreiber, der über Protokollpapier rollt.Der Offizier macht seine Arbeit. Er legt los.

OFFIZIERFrau Bach, legen Sie los.

YAMILAIch kam mit dem Überlandbus aus Be’er Sheva. Acht Stunden ohne Klimaanlage. Das war abends. Der Bus hielt beim Kontrollposten vor dem Stadteingang.

OFFIZIERNord oder Süd?

YAMILABeim Südeingang. Ich hatte mir vorgenommen, im Freien zu übernachten. Im Zelt.

OFFIZIERWeshalb kamen sie nach Sodiriya?

YAMILADie biologische Entwicklung der Region ist einzigartig.

BAGANJAWas sie eigentlich sagen will, ist:

YAMILADie Stadt verschlingt Rohstoffe und Konsumgüter wie ein gefräßiger Wal. Was hinten rauskommt, ist stinkender Abfall, sind die Exkremente eines Molochs. Das hat Folgen für die Umwelt.

BAGANJAWas Yamila stattdessen sagt, ist:

YAMILAHauptsächlich beschäftige ich mich mit mikrobiologischen Vorgängen. Deswegen die beschrifteten Kunststoffbehälter, die Gläser und Teststreifen. Die Proben werden später in Berlin untersucht.

OFFIZIERWo in Berlin?

YAMILAAn der Freien Universität. Altensteinstrasse. Beim Botanischen Garten.

OFFIZIERWas sind das für Proben?

YAMILAFlüssigkeitsproben, Pflanzenproben, Flechten, Algen, Pilze. Ich sondiere Bakterien, Protozonen und andere Mikroorganismen, indem ich, ähm, …

BAGANJAIhr Stottern scheint verräterisch.

YAMILAWollen Sie das wirklich alles wissen.

OFFIZIEREigentlich nicht.

YAMILAHören Sie. Ich kann Ihnen nicht weiterhelfen.

BAGANJADer Offizier studiert Yamilas Pass.Der Offizier macht seine Arbeit.

OFFIZIERYamila Hanna Bach?

YAMILAJa?

OFFIZIERWann kommt das Feuer?

Kurze Stille.

YAMILAIch weiß nichts von einem Feuer.

II.

BAGANJANoch versteht Yamila nicht, weshalb sie festgehalten wird. Deswegen springt die Geschichte kurz zurück.

OFFIZIERMeinetwegen. Kurz.

BAGANJADie Sonne ist heiß und gelb. Der Boden ist trockener Sand. Die Luft dazwischen trägt ihr Flimmern wie Tarnkleidung.

OFFIZIERHalten Sie sich kurz. Habe ich gesagt.

BAGANJAAm ersten Tag nach ihrer Ankunft richtete sich Yamila ein. Sie erledigte den Aufbau des Zeltes problemlos, obwohl der Boden für das Einschlagen von Heringen viel zu trocken ist. Es folgte eine erste Besichtigung der Stadt, Besorgung von Lebensmitteln: Zwei Kilogramm Reis, vier Rollen Weizenkekse, sechs Schokoladenriegel mit Himbeerfüllung und zwölf Liter kohlensäurearmes Trinkwasser in Pet-Flaschen - zu dieser Zeit teure Beschaffungen, die ihr der Lebensmittelhändler mit dem Lieferwagen zum Zeltplatz brachte. Dann machte sich Yamila an die Arbeit.

YAMILAIch nahm Bodenproben, Sandproben, ich pflückte weiß beschlagene Blätter von Gebüschen, kratzte Flechten und Moos von Steinen.Aber im Hintergrund. Pausenlos rollen sie durch die Grenzposten.

BAGANJAWas Yamila meint, sind Lastwagen, beladen mit Tintenpatronen für Drucker, Container mit in Plastikschalen abgepacktem Humus, Dosenfleisch, Klopapier, Transporte von Schnittblumen, meistens Tulpen, dann Spielzeuglieferungen, Barbiepuppen und Actionfiguren, kleine Soldaten in Wüsten-Camouflage, Kühltransporte mit Garnelenschwänzen aus vietnamesischer Zucht, getrocknete Seetangblätter, gestapelte Metallrohre, gestapelte Kloschüsseln und Unmengen an Bananen.

YAMILASo viele Aufzählungen.

BAGANJADiese Stadt besteht aus Aufzählungen.Da sind noch mehr Lastwagen. Diese wiederum verlassen die isolierte Stadt. Auf den Ladeflächen liegt zu Würfeln gepresstes Aluminium, zu Würfeln gepresster Kunststoff, zerschlissene Autoreifen, unsortiertes Altglas, der selbe Container voller in Plastikschalen abgepacktem Hummus, da sind leere Batterien, Akkus, Stromkabel, Computerbildschirme, faulige Äpfel, Knochen von toten Tieren und …

YAMILAAb und zu ein Leichenwagen.

BAGANJADiese motorisierte Karawane erinnert Yamila an …

YAMILADie Arterien und Venen eines Monsters.

BAGANJADie schweren Reifen der Fahrzeuge wirbeln Staub auf. Ihr Dröhnen und Keuchen ist bis in die Nacht zu hören.

YAMILADas Monstrum ist krank. Es ist an seiner Bedrohung erkrank. Da ist ein Ekzem, das sich ausweitet. Ein Kollaps ist denkbar.

BAGANJAAkkurat verpackt Yamila ihre ersten Proben. Sie beschriftet die Behälter mit einem blauen Filzstift.

YAMILAEinem roten.

BAGANJAMit einem blauen Filzstift. Und klebt die vorbereiteten Barcodes auf die Plastiktaschen. Die Plastiktaschen wiederum packt sie – erneut sehr sorgfältig – in einen gepolsterten Umschlag, den sie per Post ihrem Bürokollegen zu Voruntersuchungen nach Deutschland schickt. Um dies mit ihm zu vereinbaren, geht Yamila in die Stadt und findet ein altes Münztelefon. Sie greift zum Hörer des Münztelefons, das zwischen dem Korbhändler Rishon und einem Salon voller Spielautomaten mit beträchtlicher Schluddrigkeit an die Wand geschraubt worden war.Sie wählt.

YAMILAVorwahl Deutschland, dann die Nummer.

BAGANJADas zerkratzte Telefongerät schluckt die Münze. Es knackt und ein entfernter Piepston ist zu hören. Just in diesem Augenblick, als sich ihr Kollege, ein wissenschaftlicher Mitarbeiter der Freien Universität Berlin, am anderen Ende meldet …

STIMMEHallo?

BAGANJADa schleicht ein Schwindel in das sonst robuste Wesen von Yamila.

STIMMEHallo?

YAMILAIch …

STIMMEHallo? Ist da jemand?

BAGANJAHilflos hängt der Hörer am verstärkten Kabel,das verstärkte Kabel am zerkratzten Gerät,das zerkratzte Gerät an der brösmeligen Hauswand,und die brösmelige Hauswand an zwei anderen brösmeligen Hauswänden.

STIMMEHallo?! …

BAGANJAHier wäre interessant zu erfahren, was Yamila als Ursache ihres Schwindels zu Protokoll gibt.

OFFIZIERUrsache des Schwindels?

YAMILAEs ist nicht die Stimme meines Mitarbeiters aus dem fernen Berliner Büro.

STIMMEYamila? Bist du das?

YAMILAObwohl wir letzten März nach sieben Feierabendbier zusammen im Bett gelandet sind.

STIMMEHallo?

BAGANJA