Der nach den Sternen griff - Volker Reinhardt - E-Book

Der nach den Sternen griff E-Book

Volker Reinhardt

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Beschreibung

Mehr Freiheit geht nicht, und mehr Verfolgung auch nicht: Giordano Bruno (1548 – 1600) lehrte, dass der unendliche Kosmos einer Vielzahl von Welten Raum bietet und dass auch das menschliche Denken durch nichts begrenzt wird. Mit dieser Botschaft zog er durch Europa, um die in religiöse «Eseleien» zerrissene Welt zu einen. Volker Reinhardt ist ihm dabei auf der Grundlage neuer Quellen gefolgt. Seine Biographie des faszinierenden Freigeistes ist zugleich das Porträt eines inquisitorischen, rechthaberischen Jahrhunderts, das uns gerade heute eine Mahnung sein sollte. Für Giordano Bruno war das unendliche Universum von einem Höchsten Wesen beseelt, die Erde ein lebendiger Oragnismus und der Mensch in der glücklichen Lage, das alles zu erkennen. Im Geiste reiste er zu den Sternen. Ganz irdisch war sein Leben ein unglaublicher Parcours durch die intellektuellen und religiösen Zentren Europas: Genf, Toulouse, Paris, Oxford, London, Wittenberg, Prag, Zürich … Überall wurde der geistreiche Verächter aller Glaubenswahrheiten als Gelehrter empfangen und früher oder später als Ketzer verjagt. Am Ende landete er in Venedig und in den Fängen der Inquisition, wurde nach Rom ausgeliefert und dort nach jahrelanger Kerkerhaft im Heiligen Jahr 1600 feierlich verbrannt. Volker Reinhardt hat Giordano Brunos Schriften neu gelesen, ist seinen Spuren an den verschiedenen Aufenthaltsorten nachgegangen und hat neu entdeckte Dokumente zum Inquisitionsverfahren entschlüsselt, das sich als eiskalter Justizmord entpuppt.

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Volker Reinhardt

DER NACH DEN STERNEN GRIFF

Giordano Bruno

Ein ketzerisches Leben

C.H.Beck

Zum Buch

Mehr Freiheit geht nicht, und mehr Verfolgung auch nicht: Giordano Bruno (1548–1600) lehrte, dass der unendliche Kosmos einer Vielzahl von Welten Raum bietet und dass auch das menschliche Denken durch nichts begrenzt wird. Im Geiste reiste er zu den Sternen. Ganz irdisch war sein Leben ein unglaublicher Parcours durch die intellektuellen und religiösen Zentren Europas: Genf, Toulouse, Paris, Oxford, London, Wittenberg, Prag, Zürich … Überall wurde der geistreiche Verächter aller Glaubenswahrheiten als Gelehrter empfangen und früher oder später als Ketzer verjagt. Am Ende landete er in Venedig und in den Fängen der Inquisition, wurde nach Rom ausgeliefert und dort nach jahrelanger Kerkerhaft im Heiligen Jahr 1600 feierlich verbrannt. Volker Reinhardt hat Giordano Brunos Schriften neu gelesen, ist seinen Spuren an den verschiedenen Aufenthaltsorten nachgegangen und hat neu entdeckte Dokumente zum Inquisitionsverfahren entschlüsselt, das sich als eiskalter Justizmord entpuppt.

Über den Autor

Volker Reinhardt ist Professor em. für Geschichte an der Universität Fribourg. Bei C.H.Beck erschienen von ihm zuletzt der Bestseller «Die Macht der Seuche» (C.H.Beck Paperback 2022), das viel gerühmte Buch «Die Macht der Schönheit. Kulturgeschichte Italiens» (4. Aufl. 2022) sowie «Montaigne. Philosophie in Zeiten des Krieges» (2023). Für sein Lebenswerk wurde er 2020 mit dem Preis der Kythera-Kulturstiftung ausgezeichnet.

Inhalt

Deckengemälde mit Tierkreiszeichen

EINLEITUNG: Die Entgrenzung der Welt

ERSTES KAPITEL: KINDHEIT UND LEHRZEIT AM FUSSE DES VESUVS – 1548–1576

Melonengärten und Familienbande

Ausbildung im Kloster und erste Rebellion

Die vulkanische Stadt und die Grenzen der Reform

Lehrjahre in turbulenten Zeiten

Zweifel und Zusammenstöße

Der Austritt aus dem Orden

ZWEITES KAPITEL: AUF DER SUCHE NACH GEDANKENFREIHEIT – 1576–1583

Am Wendepunkt

Widerspruch und Demütigung in Genf

Professor in Toulouse und Paris

«Kerzenmacher»: Vorspiele, Verwirrspiele

«Kerzenmacher»: Neapel auf der Bühne

«Kerzenmacher»: Spott über Philosophie, Philosophie des Spotts

Der bizarre König und die Kunst des Gedächtnisses

DRITTES KAPITEL: IN ENGLAND: LITERAT UNTER ARISTOKRATEN – 1583–1585

Skandal in Oxford

Unter Aristokraten, für Aristokraten

Nach den Sternen greifen

Die Erde als lebendiger Organismus

Das Eine in allem: Weltseele, Materie und Form

«Vertreibung der triumphierenden Bestie»

Kritik der Religionen

Eseleien und heroische Leidenschaften

VIERTES KAPITEL: EIN ABSTIEG: PARIS – WITTENBERG – PRAG – HELMSTEDT – 1585–1590

Paris, zum Zweiten: Tumulte und Vertreibung

An deutschen Universitäten

Im Zentrum des Luthertums

Beim Kaiser in Prag

Fürstenlob in Helmstedt

Thesen zur Magie

FÜNFTES KAPITEL: IRRFAHRT IN DEN KERKER – 1590–1592

Als Meister geheimer Künste in Frankfurt und Zürich

Padua, Venedig und vier Traktate für Eingeweihte

Ziele der Serenissima, Illusionen des Nolaners

Der Denunziant: Porträt eines Enttäuschten

SECHSTES KAPITEL: IN DEN KERKERN DER INQUISITION – 1592–1600

Das Gericht und der Papst

Der Philosoph im Verhör

Der Prozess und die große Politik

Der römische Prozess: Quellen und Institutionen

Neue Zeugen, neue Verhöre

Stillstand und Neuanfang

Der Weg zum Scheiterhaufen

EPILOG: DAS NACHLEBEN EINES GROSSEN UNZEITGEMÄSSEN

Anhang

Karte

Zeittafel

Anmerkungen

ERSTES KAPITELKINDHEIT UND LEHRZEIT AM FUSSE DES VESUVS

ZWEITES KAPITELAUF DER SUCHE NACH GEDANKENFREIHEIT

DRITTES KAPITELIN ENGLAND: LITERAT UNTER ARISTOKRATEN

VIERTES KAPITELEIN ABSTIEG: PARIS – WITTENBERG – PRAG – HELMSTEDT

FÜNFTES KAPITEL IRRFAHRT IN DEN KERKER

SECHSTES KAPITELIN DEN KERKERN DER INQUISITION

EPILOG

Quellen und Literatur

Quellen

Literatur (Auswahl)

Bild- und Kartennachweis

Personenregister

Deckengemälde mit Tierkreiszeichen

EINLEITUNG

Die Entgrenzung der Welt

Seine überlebensgroße Bronzestatue beherrscht den Platz, auf dem er starb, und verwandelt den Feuertod in einen späten Triumph, wie die Inschrift darunter erläutert: «Gewidmet Giordano Bruno, von dem Jahrhundert, das er vorhergesagt hat, dort, wo der Scheiterhaufen loderte.» Das Antlitz der düsteren Gestalt wird von der Kapuze überschattet und trägt die Züge eines von seiner Zukunftsschau ergriffenen Visionärs. Die Reliefs am Sockel, darunter ein winziges Luther-Porträt, sind eine wütende Abrechnung mit der katholischen Kirche und ihrer Inquisition. Sie zeigen den stolzen, unbeugsamen Angeklagten vor einer Phalanx aus feisten Mönchen, seinen Richtern. Sie werfen ihm mit der platten und selbstgerechten Beschränktheit wortklauberischer Kleingeister eine Lehre vor, die sich im hellen Licht der Wissenschaft als Wahrheit erwiesen hat: Dass sich die Erde um die Sonne dreht und der Kosmos nicht aus begrenzten Himmelsschalen besteht, sondern unendlich ist und einer Vielzahl von Welten Raum bietet.

Ettore Ferraris Bronzestatue Giordano Brunos auf dem römischen Campo de’ Fiori verschmilzt philosophischen Tiefsinn, ungebrochene Widerstandskraft und Verachtung für Kerkermeister und Inquisitoren zu düsterer und expressiver Monumentalität.

Die Einweihung des Giordano Bruno-Denkmals am Pfingstsonntag des Jahres 1889 auf dem römischen Blumen-, Fisch- und Gemüsemarkt Campo de’ Fiori war eine von langer Hand geplante und sorgfältig inszenierte Großdemonstration gegen das Papsttum, das sich der nationalen Einigung Italiens jahrzehntelang entgegengestellt hatte, aber am 20. September 1870 vor den Truppen des 1861 ausgerufenen Königreichs Italien kapitulieren und seinen Kirchenstaat nebst Hauptstadt dem Monarchen aus dem Haus Savoyen-Piemont abtreten musste. Das Festkomitee, in dem Freidenker aus aller Herren Länder wie Henrik Ibsen, Victor Hugo und Ernst Haeckel vertreten waren, verstand und verkündete seine Veranstaltung als einen Triumph der Wissenschaft und des Fortschritts über Aberglauben und Ignoranz als Herrschaftsmittel der rückständigen und repressiven katholischen Kirche.

Das Monument an der Stelle, wo Giordano Bruno am 17. Februar 1600 verbrannt wurde, zeigt, wie das geeinte Italien und das liberale Europa diesen ideologisch vereinnahmten: Der große Philosoph und Naturforscher aus dem Städtchen Nola bei Neapel, der für seine Zeit zu früh kam, dafür mit seinem Leben bezahlte und erst angemessen geehrt werden konnte, als der Fanatismus, den er lebenslang bekämpfte, durch die vereinten Kräfte der Vernunft und der Nation niedergerungen worden war. Dieses Urteil blieb nicht unwidersprochen, aber auch die Einsprüche gegen diese Heroisierung boten überwiegend verzerrte Bilder: Nur wenige historische Gestalten sind mit so unvereinbaren Abstempelungen in die Erinnerung eingegangen wie der «Nolaner».

Pietro Masullis Marmorstatue von 1863 im Cortile del Salvatore der Universität Neapel spiegelt die Vereinnahmung Brunos durch das Risorgimento wider: Dynamisch, mit geballter Kraft, als Kämpfer gegen klerikale Unterdrückung und politische Unfreiheit tritt er für ein besseres und geeintes Italien ein.

Auch in der heutigen Wahrnehmung steht Bruno, der Pionier der modernen Astronomie und Kosmologie, unverbunden neben Bruno, dem Seher und Begründer einer intuitiv ausgerichteten Welterforschung, die durch die Einbeziehung von Herz, Gemüt und Ahnung die seelenlose Schulwissenschaft widerlegt und überwindet. Ebenso schroff kontrastiert Bruno, der Vorkämpfer für Gewissens-, Denk- und Schreibfreiheit, mit Bruno, dem unduldsamen Verächter aller etablierten Glaubensrichtungen und der mit ihnen verbundenen Kulte. So polarisiert der Mann aus Nola bis heute. Es fehlt nicht an Websites, die ihn als Ahnenfigur aller ehrenfesten Atheisten feiern, als Autorität zur Aufdeckung von Weltverschwörungen zitieren oder als Teufel in Menschengestalt anprangern, der im Auftrag der Hölle den Gottesglauben aus der Welt vertreiben möchte.

Viele dieser Legenden können sich auf einzelne biographische Fakten und aus dem Zusammenhang gerissene Textpassagen stützen. Manche Gegensätze bleiben aber auch bestehen, wenn man Brunos Gedankenwelt als ganze und zugleich näher und differenzierter betrachtet. So verspottete er sämtliche Religionen der Geschichte als Triumph einer menschlichen Dummheit, für die er den Begriff «Eseligkeit» prägte; trotzdem war er davon überzeugt, dass keine Gesellschaft ohne Religion auskommen könne. Ebenso plädierte er wortgewaltig für die absolute Freiheit des Denkens und Glaubens und rief dennoch dazu auf, besonders schädliche Konfessionen wie die calvinistische zu bekämpfen, da sie durch ihre Lehre den Menschen herabwürdige und entmutige. Die logische Schlussfolgerung daraus lautete, dass die Herrschaft der Vernunft notfalls mit Gewalt durchgesetzt werden musste; so hegten die venezianischen und römischen Inquisitoren den Verdacht, dass Bruno eine Verschwörung zum Sturz aller politischen und kirchlichen Ordnungen und zur Einführung der von ihm entworfenen Weltreligion plante, die Wissen und Glauben miteinander versöhnen sollte. Tiefe Kontraste scheinen auch zwischen den verschiedenen Lebensphasen des Nolaners auf. So machte sich Bruno anfangs als Literat und Philosoph in geistvollen Spottschriften über Astrologie, Alchemie und ähnliche Scharlatanerie lustig, um sich in späteren Traktaten als Großmeister aller magischen Künste zu präsentieren.

Begnadeter Satiriker und begeisterter Verkünder besserer Welten, nüchterner Rationalist und hochfliegender Phantast, präzise argumentierender Mathematiker und kühn spekulierender Philosoph, elitärer Verächter der ignoranten Masse und engagierter Verteidiger der kleinen Leute – alle diese scheinbar unvereinbaren Gegensätze verschmolz Giordano Bruno in seinem Leben und Denken zu einem spannungsreichen Ganzen und wurde gerade dadurch zum exemplarischen Zeitzeugen, der Moden und Trends seiner Zeit aufnahm, bündelte, weiterentwickelte und zuspitzte, oft bis zum Extrem. Vor allem aber wehrte und stemmte er sich vehement gegen alle Beschränkungen und Einengungen im Denken und Schreiben, die das Zeitalter der streitenden Konfessionen und Kirchen mit ihren immer detaillierter ausgearbeiteten Rechtgläubigkeitsregelungen, ihrer wechselseitigen Verteufelung und absoluten Unduldsamkeit prägten.

Auf diese Weise ist Bruno, der freieste aller Freidenker, intellektueller Anarchist und Albtraum aller Orthodoxiewächter, durch seine lebenslange Opposition gegen die Regeln und Normen seiner Zeit zugleich deren rebellischstes Produkt. Wie kaum ein anderer Mensch hat er in den dreieinhalb Jahrzehnten seines Erwachsenendaseins zwischen 1565 und 1600 Verdammung, Zwänge und Verfolgung der Mächtigen und der Wohlgesinnten erfahren, zuerst als Mönch in Neapel, dann als Kritiker aller anerkannten Autoritäten und Verkünder einer neuen Philosophie des grenzenlosen Kosmos an den intellektuellen, politischen und kirchlichen Brennpunkten Europas: in Genf, Toulouse, Paris, Oxford, London, Wittenberg, Prag, Helmstedt, Zürich, Frankfurt am Main, Padua, Venedig und Rom. An allen diesen Orten hoffte er nach eigenen Worten auf die Freiheit zu denken, zu schreiben und zu veröffentlichen, und erlebte am Ende seiner Aufenthalte mit niederschmetternder Regelmäßigkeit das Gegenteil: Empörung, Ablehnung, Ausweisung. Denn die umfassende Freiheit, die Bruno meinte, war damals (und ist auch heute) überall ein Ärgernis und zur Fahndung ausgeschrieben.

Die Unfreiheit, die Bruno auf seiner Wanderung durch Europa antraf, war nicht überall total. Relativ zwanglos ging es in London zu, wo schöngeistig interessierte Höflinge darin wetteiferten, lässige Überlegenheit in kleinlichen Glaubenskontroversen an den Tag zu legen, und sich für jede intellektuelle Neuheit, und sei sie noch so exzentrisch, offen zeigten. Einigermaßen duldsam war das Klima eine Zeitlang in der Lutherstadt Wittenberg, aus Faszination und Hass gemischt in Paris. Gegen Null tendierte die Toleranz in Genf, wo Bruno zuerst nach seiner Religion und erst danach nach seinen Fähigkeiten gefragt wurde, und später in Rom. An allen Stätten seines Wirkens suchte und forderte der Nolaner die Bereitschaft der Anderen, ihm zuzuhören und sich auf eine Debatte über seine Ideen einzulassen. Stattdessen stieß er fast immer auf eisige Dialogverweigerung. Seine öffentlichen Vorträge in akademischen Hörsälen endeten regelmäßig in Tumulten, mit Handgemenge, Redeverbot und Vertreibung. Für die Theologen aller Glaubensrichtungen und Kirchen waren seine Ideen eine einzige Blasphemie. Für die Philosophen war er als Verächter aller anerkannten Autoritäten ein größenwahnsinniger Phantast.

Die 70 Zentimeter hohe Gipsplastik von Ettore Ferrari, Vorstudie (bozzetto) für die Bronzestatue auf dem römischen Campo de’ Fiori, verewigt den Nolaner in der Pose des grüblerischen Erforschers der letzten Weltgeheimnisse.

So war es nur konsequent, dass Bruno als einziger Intellektueller seiner Zeit von allen etablierten Konfessionen verurteilt wurde: von der anglikanischen Staatskirche in Oxford, deren Vertreter ihm mit der Einleitung eines Plagiatsverfahrens drohten, von den Calvinisten in Genf, wo er für seine Kritik an einem unfähigen Dozenten entwürdigende Abbitte leisten musste, im lutherischen Helmstedt, wo ihm der Hauptpastor die Teilnahme am Abendmahl verbot, und am folgenreichsten von der katholischen Inquisition in Rom, wo er als Erzketzer zur Erbauung frommer Pilger öffentlich verbrannt wurde.

Das Bild Brunos, des Märtyrers der Gedankenfreiheit, das die Festveranstaltung am 9. Juni 1889 in Rom verbreitete, findet durch die Ablehnung und Verfolgung aller Seiten seine Bestätigung und ist doch nur ein Aspekt seiner komplexen Persönlichkeit und seines Werdegangs. Je länger Bruno auf der Suche nach einem Ort der Freiheit, der Förderung und der Anstellung vergeblich durch Europa zog, desto hochgemuter wurde der Ton seiner Verkündigung. Je mehr Ablehnung ihm entgegenscholl, desto stolzer präsentierte er sich als kühner Erkunder unerforschter Weltraumsphären und unerschlossener Weisheitsschätze. Je tiefer die Kluft zwischen seiner Selbsteinschätzung und seiner Wahrnehmung durch die Anderen wurde, desto hochfahrender verkündete er seine Botschaften. Und je heftiger seine Polemik gegen die verstockten Pedanten und engstirnigen Wissenschaftsverderber an Hochschulen, Akademien und Fürstenhöfen ausfiel, desto unannehmbarer, ja unheimlicher wurde seine Lehre für seine Zuhörer und Leser. Dieser tragische Kreislauf, der psychologisch als Kompensation von Frustration und Zurückweisung nachvollziehbar ist, aber auch die Reaktionen seiner zahlreichen Gegner verständlicher werden lässt, soll in dieser Biographie erstmals mit all seinen Aspekten und Konsequenzen nachgezeichnet werden.

Die einfache, aber fundamentale Wahrheit, dass das Werk ohne das Leben nicht verstanden werden kann, bestätigt sich im Falle Brunos besonders nachdrücklich. Es fehlt nicht an profunden Studien, die dem Denker Giordano Bruno und seiner Philosophie, seinem Verhältnis zu Vorläufern in Antike, Mittelalter und Renaissance wie Aristoteles, Albertus Magnus, Nikolaus von Kues und Agrippa von Nettesheim sowie seiner Auseinandersetzung mit Zeitgenossen wie Francisco Sanchez gewidmet sind. Alle diese Einflüsse sind in Brunos Texten nachweisbar, aber über den bescheidenen Rang von Lesefrüchten und Versatzstücken, die selbst geschaute, im tiefsten Sinne eigenständig erfahrene Wahrheiten zusätzlich zu belegen haben, gelangen sie nur selten hinaus. Bruno präsentierte sich seiner Zeit als Entdecker im doppelten Wortsinn: als einer, der den Schleier vor verborgenen Mysterien fortriss und darüber hinaus neue Räume des Forschens und Denkens erschloss. Alles, was andere vor ihm gefunden hatten, war in seinen Augen nur ein Ausgangspunkt für sein eigenes, viel weiteres und kühneres Ausgreifen.

Dieses Selbstverständnis spiegelt sich in Brunos Werken wider. Sie sind Widerhall eines an Konflikten und dramatischen Wendungen reichen Lebenswegs durch ein zutiefst zerrissenes Europa, dessen Selbstzerfleischung im Namen theologischer Hirngespinste er durch die von ihm vorgetragenen Einsichten zu beenden hoffte. Brunos Wanderung durch Europa und sein intellektueller Parcours müssen daher als Einheit verstanden werden. Nur so lassen sich weiterführende Zugänge zu seinen Ideen bahnen. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang: sein stolzes Bekenntnis zu seiner Herkunft aus bescheidensten Verhältnissen der neapolitanischen Provinz, sein Mutterwitz, seine Volksnähe und Bodenhaftung, sein Stolz auf eine gegen alle äußeren Widrigkeiten erworbene humanistische Gelehrsamkeit, die zugleich zelebriert und verspottet wird, seine Lust an sinnlichen Genüssen einschließlich frei ausgelebter Sexualität (und deren Schilderung), seine satirische Ader, sein Spott über alle Dogmatik, seine ausgeprägte Vorliebe für Ironie, die die Grenze zwischen Scherz und tieferer Bedeutung immer fließend lässt, sein Spiel mit dem Leser, der in kunstvoll gestellte Fallen und argumentative Sackgassen gelockt wird und selbst sehen muss, wie er aus solchen Labyrinthen wieder herausgelangt, und nicht zuletzt seine rebellische Grundhaltung gegenüber allen Autoritäten in Kirche und Staat. Giordano Bruno wird in dieser Biographie erstmals aus dieser ganzheitlichen Perspektive betrachtet.

Die wichtigsten von Brunos Entdeckungen sind bis heute von unverminderter Aktualität, ja bedeutsamer denn je. Hinter aller Fremdheit, ja Befremdlichkeit seiner naturkundlichen und kosmischen Theorien, die noch nicht auf die exakte mathematische Methode eines Galileo Galilei gegründet sind, sondern auf Intuition, Hypothesen, Spekulation und Vision basieren, tritt mit überwältigender Intensität ein alles beherrschender Antrieb hervor: der unwiderstehliche Drang, alle von kirchlichen und weltlichen Machthabern verkündeten Tabus zu brechen, alle künstlich gesetzten Begrenzungen des Räsonierens, Spekulierens und Phantasierens aufzuheben und so eine absolute Freiheit des Wollens, Denkens, Meinens, Glaubens und vor allem Nicht-Glaubens herbeizuführen, die im 21. Jahrhundert durch Inquisitionen eines neuen Typs mindestens so stark gefährdet ist wie zu Brunos Lebzeiten.

Für Bruno ist der Weg – die Infragestellung aller vorgefundenen Gewissheiten, das Durchstoßen aller jemals gezogenen Horizonte, die Aufsprengung aller Einengungen – genauso wichtig wie das Ziel – die Summe der Erkenntnisse, die auf diese Weise gewonnen werden. Seine kühnen Parcours durch unbekannte Gedanken-Galaxien sind immer mit sehr konkreten Schlussfolgerungen und Nutzanwendungen verbunden: dass jede Art der Herrschaft gleichbedeutend ist mit der Ausbeutung des Volkes und dass die Kirche diesen Machtmissbrauch durch ihre pervertierte Lehre tatkräftig unterstützt. So tritt hinter dem kosmischen Visionär der politische Denker Giordano Bruno hervor, der sich mit den Missständen seiner Zeit kritisch auseinandersetzt und zu revolutionären Schlussfolgerungen für eine humanere Gesellschaft und einen gerechteren Staat gelangt.

Um diese Dimensionen im Leben und Werk Giordano Brunos hervortreten zu lassen, muss sein Leben in das Italien und Europa seiner Zeit eingebettet werden. Zu den verschiedenen Stationen seiner Biographie sind in den letzten Jahrzehnten in verschiedenen europäischen Archiven neue Quellen erschlossen worden, die für sich genommen nur einen begrenzten Radius ausleuchten, aber beträchtlich an Aussagekraft gewinnen, wenn man sie in die übergeordneten historischen Zusammenhänge einfügt. Zudem hat sich das Wissen über die Menschen, Orte und Staaten, mit denen Bruno zu tun hatte, in den letzten Jahrzehnten stark vermehrt. Für die letzte Lebensstation im römischen Inquisitionsgefängnis und zum Inquisitionsprozess werden hier erstmals neu aufgefundene Dokumente ausgewertet, die ganz neues Licht auf die Hintergründe dieses Verfahrens und die hinter dessen Kulissen ausgetragenen Debatten und Konflikte werfen. So ist es an der Zeit zusammenzufügen, was zusammengehört, neue Erkenntnisse fruchtbar zu machen, alte Quellen neu zu befragen und auf diese Weise das Panorama einer faszinierenden Persönlichkeit in einer wild bewegten Zeit zu zeichnen, die unserer Gegenwart in manchem ähnelt, in vielem fremd ist und durch ihre grenzenlose Intoleranz abschreckend wirkt.

So, wie Giordano Bruno seinen Zeitgenossen fast immer und überall verdächtig war, so suspekt oder zumindest problematisch sind auch die meisten Zeugnisse zu seinem Leben und Werk. Fast alles, was er selbst dazu beizutragen hatte, ist nicht freiwillig oder gar spontan gesagt, sondern in einer Situation existenzieller Bedrohung zu Protokoll genommen worden: Seine «Autobiographie» erzählt der Häftling Bruno den Inquisitoren in Venedig, die ihn der vielfachen Ketzerei und damit eines todeswürdigen Vergehens verdächtigen. Im legitimen Bemühen, den Anklägern so wenig Munition wie möglich zu liefern, ist diese erzwungene «Lebensbeichte» von zahlreichen Entschärfungen, Beschönigungen und Auslassungen geprägt und bestimmt. Das macht größte Vorsicht bei Rückschlüssen aller Art und die sorgfältige Abgleichung dieser Aussagen mit den Quellen notwendig, in denen der Freigeist und akademische Lehrer Giordano Bruno zu Wort kommt.

Bei aller heutzutage selbstverständlichen Sympathie und Parteinahme für Bruno, den Selbstdenker, dem seine grenzenlose Unangepasstheit zum Verhängnis wurde, besteht der Zugang zu einem vertieften Verständnis von Leben und Werk allein darin, nach den zeitgenössischen Normen und Mentalitäten zu fragen, die den Konflikt zwischen dem freiheitsdurstigen Individuum und einer Gesellschaft verursachten, die jede Form von religiöser und intellektueller Abweichung als Untergrabung von Ordnung und Autorität unter schwerste Strafen stellte. Dass sich ungeachtet aller Unterschiede zwischen dem 16. und dem 21. Jahrhundert mancherlei Übereinstimmungen wie der zunehmende Verlust an Toleranz, die steigende Lust an Gesinnungskontrolle, Bespitzelung und Denunziation zeigen lassen, verleiht der Geschichte Giordano Brunos, der das Undenkbare dachte, eine bedenkliche Aktualität.

Giordano Brunos Biographie unter diesen Gesichtspunkten neu zu schreiben, bedeutet über weite Strecken, Detektivarbeit zu leisten. Die Selbstzeugnisse des Nolaners sind durch die Verhör-Situation nicht nur verfremdet, sondern auch knapp bemessen. Im besten Falle werden ein Wirkungsort, einige Personennamen und ein Zeitpunkt genannt. Dabei setzte Bruno entweder voraus, dass den Inquisitoren die näheren Umstände bekannt waren, oder er verschwieg sie bewusst. In beiden Fällen sind für den heutigen Leser «Kontextualisierungen» nötig, das heißt: ein Milieu, ein ideengeschichtliches Umfeld, ein historischer Abriss müssen nachgeliefert werden, um den Hintergrund für Brunos Auftreten zu rekonstruieren und die Reaktionen darauf verständlich zu machen. Das wichtigste Ergebnis dieser Suche nach Spuren und deren systematischer Auswertung sei hier vorweggenommen: Seine Verurteilung zum Feuertod war ein kühl kalkulierter Justizmord, eine von der römischen Inquisition unter Vorsitz des Papstes bewusst vorgenommene Durchbrechung der eigenen Kriterien und Reglemente.

So bleibt zum Abschluss dieser Einführung nur noch die Einladung auszusprechen, eine Ausnahmepersönlichkeit bei ihrem Parcours durch ein Europa zu begleiten, das im Abstand von mehr als vier Jahrhunderten auf faszinierende Weise anders ist als das der Gegenwart und uns zugleich in vieler Hinsicht bestürzend vertraut vorkommt.

ERSTES KAPITEL

KINDHEIT UND LEHRZEIT AM FUSSE DES VESUVS

1548–1576

Melonengärten und Familienbande

Orte und Eindrücke seiner ersten Lebensjahre scheinen in Brunos literarischen Werken immer wieder auf, oft an unerwarteter Stelle wie in seinem theologischen und philosophischen Dialog «Vertreibung der triumphierenden Bestie» (Spaccio della bestia trionfante). In dieser vor Spottlust und Wortwitz sprühenden Schrift beraten die Götter unter Jupiters Vorsitz über Reformen. Die Zeiten sind schwierig, denn die Menschen glauben und gehorchen den olympischen Autoritäten nicht mehr. Alles muss daher auf den moralischen Prüfstand. Um seine Kompetenz für die große Erneuerung unter Beweis zu stellen, demonstriert Jupiter – so berichtet es der windige Gott Merkur seiner Gesprächspartnerin Sofia, der Verkörperung der Weisheit – noch einmal seine Macht: Nichts geschieht ohne seinen Willen, und dieser Wille manifestiert sich im Walten der Vorsehung. Die Beweise für diese Allmacht, von denen Merkur berichtet, führen schlaglichtartig in eine andere, dem erhabenen Göttersitz entgegengesetzte Welt – in die Lebenswelt von Brunos Jugend:

Authentische Bildnisse Brunos gibt es nicht. Das Phantasieporträt von 1715 zeigt den Kosmos-Seher von seiner Vision ergriffen und melancholisch zugleich – als ob er sein tragisches Ende bereits ahnt.

Er [Jupiter] hat angeordnet, dass heute um zwölf Uhr zwei der Melonen in Fränzchens Melonengarten den vollen Reifegrad erreichen, aber erst drei Tage später geerntet werden sollen, wenn es nicht mehr ratsam ist, sie zu verzehren. Außerdem will er, dass vom Judasbaum, der am Fuß des Cicala-Berges im Garten des Gioan Bruno steht, dreißig Früchte in perfektem Zustand abzupflücken sind, siebzehn unreif abfallen und fünfzehn von Würmern gefressen werden sollen. Außerdem soll sich Vasta, die Gattin des Albenzio, beim Kräuseln ihrer Schläfenhaare mit dem überhitzten Eisen siebenundfünfzig Haare verbrennen, aber sich nicht den gesamten Kopf versengen; und diesmal soll sie über den Brandgestank nicht fluchen, sondern geduldig bleiben.[1]

Gioan Bruno ist der Vater Giordano Brunos, der im Gartenhaus am Fuß des Monte Cicala, etwa einen Kilometer außerhalb des Städtchens Nola, geboren wurde. Fränzchens Melonen hat er als Kind gekostet, die ungeschickte Friseuse ist eine Nachbarin. Der Text, in dem unvermittelt der Geschmack, der Geruch und der Ausblick der frühen Kindheit beschworen werden, ist eine nostalgische Reminiszenz in der Fremde. Er wurde 1585 in England publiziert; die Insel war eine wichtige Station auf Brunos sechzehn Jahre währender Tour durch Europa.

Je weiter er sich von seinen Ursprüngen entfernte, desto sehnsüchtiger und idyllischer färbte sich Brunos Rückblick auf Nola und den Weiler San Paolo vor seinen Mauern ein. Mit liebevoller Ironie wandert die Erinnerung in tagtraumähnlicher Abfolge von Garten zu Garten, Anwesen zu Anwesen. Im Ochsenstall Albenzios, des Gatten der Frau mit dem Lockenbrenner, leben 252 Mistkäfer, über deren Schicksal Jupiter ebenfalls souverän verfügt hat; so sollen achtzig von ihnen auf dem Hof eine Pilgerfahrt antreten. Er gebietet weiter, dass Antonio Savolinos Hündchen fünf Junge werfen und der alten Frau von Fiurulo ein Zahn ausfallen soll, der nach einer Zeit des Wackelns, die exakt siebzehn Mondjahre lang gedauert hat, in der Mundhöhle der Greisin seine Kau-Funktion endgültig erfüllt hat. Jupiter hat des Weiteren angeordnet, dass der Koitus Ambrogios mit seiner Frau nach 112 Stößen zu Ende gehen, doch keine Schwangerschaft zur Folge haben soll. Zudem sollen zwei von vier Maulwürfen ihren Weg vom Mittelpunkt der Erde zu deren Oberfläche im Gemüsegarten Antonio Faivanos vollenden, der eine genau zur Mittagsstunde, der andere fünfzehn Minuten und neunzehn Sekunden später, und zwar drei Schritte, einen Fuß und einen halben Finger weit voneinander entfernt.

Der Rückblick auf die eigenen Anfänge dürfte für Bruno, den Wanderer zwischen den Welten, Trost und Heilmittel gegen Heimweh gewesen sein. Aber er ist auch eine witzige Polemik gegen die calvinistische Lehre, alles sei vorherbestimmt, und ein Akt der Selbstvergewisserung. Die «Vertreibung der triumphierenden Bestie» hat er Philip Sidney, einem der vornehmsten und gebildetsten Höflinge der «jungfräulichen Königin» Elisabeth I. von England, gewidmet, in dessen Kreis er vortrug und disputierte. Der plötzliche Auftritt Nolas während der Beratungen der Götter sollte also einem illustren Publikum zeigen, wie weit es Bruno mit seinen bescheidenen Ursprüngen gebracht hatte, intellektuell und gesellschaftlich. Vor allem aber ist die unvermutete Erinnerung an Melonen, Maulwürfe und Mistkäfer ein Bekenntnis: Von hier komme ich, hier habe ich meine Wurzeln, und ich bin stolz darauf!

Im Gegensatz zu späteren Biographen legte sich Bruno keine vornehme Abstammung zurecht, sondern präsentierte sich als ein Kind des Volkes. Diese Verwurzelung ist ein Schlüssel zum Verständnis von Leben und Werk: Bei allen geistigen Höhenflügen, die Bruno durch die hellen, aber auch zwielichtigen Sphären von Philosophie, Etymologie, Alchemie, Magie und Astrologie führen werden, bleibt diese Bodenhaftung durchgehend erhalten. Wenn es nicht darum geht, ein hochgestelltes Publikum mit vermeintlichem Geheimwissen zu beeindrucken und diesem eine meist kärgliche Förderung abzuringen, sondern wahre Erkenntnis zu bilanzieren, hat in seinem Werk der nüchterne Wirklichkeitssinn der kleinen Leute das letzte Wort.

Unübersehbar an der Vorlage von 1715 orientiert, präsentiert die 1824 publizierte Pariser Lithographie von C. Mayer den Nolaner jünger, individueller und «romantischer».

Wie sehr sich der ambulante Verkünder eines grenzenlosen Kosmos mit seinen einfachen Ursprüngen identifizierte, zeigt sich auch daran, dass er vielen fiktiven Figuren seiner philosophischen Dialoge die Namen von Nachbarn und Bekannten aus den Gemüse- und Weingärten von Nola und Umgebung verliehen hat; in diesen Gesprächsrunden treten sie als kluge, witzige und spottlustige Gesprächsteilnehmer auf. Ihrer Lebenstüchtigkeit und ihrem vom täglichen Lebenskampf geschliffenen Scharfsinn sind die arroganten Wortgelehrten und die irrlichternden Alchemisten nicht gewachsen.

Das Bekenntnis zu den Wurzeln schloss nicht aus, erhabenere und düsterere Versionen der eigenen Kindheit zu liefern. Wie in vielen Texten Brunos ist die Grenze zwischen nüchternem Faktenbericht, symbolischem Fabulieren und ironischer Verfremdung schwer zu ziehen. So berichtet er in seinem verschlüsselten Lehrgedicht «Siegel der Siegel» (Sigillus Sigillorum) von einer Schlangenattacke in frühester Jugend.[2] Die giftigen Reptilien hätten ihn in der Wiege bedrängt, doch habe er durch sein Geschrei die Eltern herbeigerufen, die das eklige Natterngezücht mit Stockschlägen vertrieben hätten. Das kann eine pietätvoll kolportierte Familienanekdote gewesen sein. Andererseits ist die motivische Nähe zu mythologischen Vorbildern wie dem jungen Herkules unübersehbar, der die zu seiner Ermordung ausgesandten Schlangen eigenhändig erwürgt. Dass bei Bruno die Familie zu Hilfe eilt, zeigt das unterschiedliche soziale Beziehungssystem zwischen Olymp und Nola: Am Fuß des Monte Cicala neben dem Vesuv helfen keine übernatürlichen Kräfte, sondern allein die unauflöslichen Bande der Solidarität unter Verwandten. Auch geheimnisvolle Lichterscheinungen am Nachthimmel von Nola werden im selben Text erwähnt und als Vorboten eines hohen und tragischen Geschicks gedeutet. Ebenso ist von Einsamkeit und Traurigkeit als prägenden Jugenderfahrungen die Rede. Trost und Ergötzung habe er als Knabe nur in der Schönheit und Fruchtbarkeit der Landschaft gefunden.

Isolation und Melancholie als biographische Leitmotive wollen zur idyllischen Schilderung des Kleinbürgerlebens in Nola nicht passen und stehen auch im Widerspruch zur Wahrnehmung Brunos durch die anderen. In diesen Berichten werden ihm ausnahmslos eine überschäumende Eloquenz, ein vulkanisches Temperament und ein ausgeprägter Genuss an der intellektuellen Auseinandersetzung zugeschrieben. Diese Charaktereigenschaften entsprechen fraglos dem Klischee des feurigen Süditalieners, finden sich aber auch in Brunos literarischen Texten und selbst in den nüchternen Protokollen der Inquisition wieder. Brunos Ideenwelt entfaltete sich aus der Lust am Widerspruch, am Aufeinanderprallen unvereinbarer Standpunkte. So sind auch seine literarischen Texte aufgebaut: dialogisch, dialektisch, vielschichtig, reich an Wortspielen, Doppeldeutigkeiten und deftigen Anspielungen. So spricht alles dafür, dass die aufgehellten Versionen der eigenen Kindheit dem tatsächlichen Erleben näherkommen als die dunkel eingefärbten.

Nach den unterschiedlichen Formen der Selbstdarstellung zu den nüchternen Fakten! Die minutiösen Recherchen des unermüdlichen Bruno-Forschers Vincenzo Spampanato in zahlreichen lokalen Archiven Kampaniens haben über das familiäre Umfeld des späteren Erzketzers wenig mehr zu Tage gefördert, als dieser selbst in literarischen Texten und Verhörprotokollen erwähnt. Demnach wurde Filippo Bruno Anfang 1548 als Sohn des Gioan Bruno, seines Zeichens «Soldat», und der Flaulisa Savolino geboren. Der Taufname Filippo, der später vom Ordensnamen Giordano verdrängt wurde, war eine Huldigung an den spanischen Kronprinzen und späteren König Philipp II. von Spanien, den obersten Dienstherrn des Vaters. Beide Elternteile stammten aus Familienverbänden, die in und um Nola weit verzweigt waren, wobei die mütterliche Sippe den etwas höheren Status für sich beanspruchen konnte; für sie ist sogar die Bekleidung bescheidener lokaler Ämter bezeugt.

Die militärische Tätigkeit Gioan Brunos ist unterschiedlich gedeutet worden; sogar den Rang eines Offiziers und lokalen Aristokraten haben ihm wohlmeinende Lokalhistoriker zugeschrieben. Davon kann nach Aussage der spärlichen Quellen keine Rede sein. Sicher belegt ist, dass Brunos Vater einer Truppe angehörte, die im Dienst des spanischen Vizekönigs in den Provinzen Süditaliens für Ruhe und Ordnung zu sorgen hatte, was in der Regel auf gewaltsamen Einzug von Steuern und die Verfolgung von antifeudalem Widerstand hinauslief. Für die einfachen Landleute waren diese Regimenter uniformierte Räuberbanden im Auftrag eines erpresserischen Fremdherrschers. Belegt ist ebenfalls, dass Gioan Bruno in Ausübung dieses «Berufs» oft längere Zeit von Nola abwesend war; umso wichtiger war für seine Familie das enge Beziehungsnetz aus Verwandtschaft und Verschwägerung, dem sein Sohn in seinen Schriften später seine liebevoll ironische Reverenz erwies.

Als halb städtische, halb ländliche Kleinbürger verfügten Brunos Eltern über etwas Grundbesitz innerhalb und außerhalb der Stadtmauern von Nola. Dazu kamen ein paar Ölbäume und Gemüsebeete sowie der niedrige und zudem unregelmäßig ausbezahlte Sold des Vaters. Das lief auf ein einfaches Leben hinaus, doch ohne bedrängende Not und die Angst vor Hungersnot, wie sie in der brodelnden Metropole Neapel das Leben von mehr als zwei Dritteln der Bevölkerung in immer kürzeren Abständen überschattete. Brunos Wirtschaftsethik ist lebenslang vom Milieu seiner Kindheit geprägt. Reichtum verdirbt im Gegensatz zu Armut den Charakter, denn Überfluss verführt zu Müßiggang, Faulheit und Ausschweifung. Zu diesem Fazit gelangen die Götter bei ihren olympischen Reformdebatten in der «Vertreibung der triumphierenden Bestie». Dieser Ansicht hätten auch Fränzchen, Vasta und Albenzio aus den Nachbargärten von Nola zugestimmt: Die Reichen und Mächtigen sind durch die Ausbeutung der kleinen Leute fett geworden und prassen auf deren Kosten.

Fünfunddreißig Kilometer nordöstlich von Neapel gelegen, zählte Nola um die Mitte des 16. Jahrhunderts gut viertausend Einwohner innerhalb und sechstausend außerhalb der antiken Mauern, die eine zu zwei Dritteln leere Siedlungsfläche umschlossen. Für die Römer war der Ort am Nordhang des Vesuvs ein wichtiger Stützpunkt zur Eroberung und Behauptung Süditaliens gewesen. Später hatten reiche Patrizier hier ihre luxuriösen Villen. Im Jahr 14 starb Kaiser Augustus auf einem dieser Landsitze. Das traumatische Ereignis der Stadtgeschichte war die Plünderung durch den Gotenkönig Geiserich im Jahr 455. Tausend Jahre später gehörte Nola zum ausgedehnten Feudalbesitz der mächtigen römischen Baronalfamilie Orsini, die unter der nominellen Oberhoheit der in Neapel regierenden aragonesischen Monarchie ihr Territorium wie Kleinkönige regierten. In dieser Zeit gelangte die Stadt wieder zu Glanz und Wohlstand, wie prunkvoll ausgestattete Kirchen und repräsentative Adelspaläste bis heute bezeugen.

Die Illustration des Zürcher Zeichners Jobst Amman zur Belagerung Nolas durch Hannibal zeigt die Silhouette der campanischen Stadt, wie sie sich zur Lebenszeit Brunos den Besuchern darbot.

Der Abstieg des Königreichs Neapel zur spanischen Kolonie ab 1504 bekam Nola schlecht, obwohl der Rechtsstatus der Stadt formell aufgewertet wurde. In den langwierigen Kämpfen zwischen Spanien und Frankreich um die Herrschaft in Süditalien hatte Enrico Orsini, Graf von Nola, auf die französische Karte gesetzt und wurde wegen dieses Treuebruchs 1533 von seinem Lehensherrn Karl V. aller seiner Würden und Herrschaftsrechte enthoben. Nola fiel daraufhin als Eigengut an die spanische Krone und erhielt unter königlichen Oberbeamten eine bescheidene lokale Selbstverwaltung. Doch dieser Hauch von Autonomie kam die Stadt durch die stetig steigenden Abgaben an den spanischen Vizekönig in Neapel teuer zu stehen; zudem musste die Kommune feudale Rechte weiterer Baronalfamilien aus eigenen Mitteln zurückkaufen. 1537 war Nolas Finanzlage so desolat, dass sich die Einwohner nur durch die Veräußerung kostbarer Leuchter aus dem Kirchenschatz zu helfen wussten.

Aus der Sicht der kleinen Leute herrschten in Nola fortan Rechtsunsicherheit und Willkür. Zusammen mit der lebendigen Erinnerung an bessere Zeiten brachte die Erfahrung von Abhängigkeit und Hilflosigkeit eine explosive Stimmungslage von Enttäuschung, Wut und Frustration hervor. Wie überall im Süden der Halbinsel verschärften sich unter der spanischen Herrschaft auch im Mikrokosmos Nola die sozialen Gegensätze, denn auch hier prallten auf engstem Raum protzig zur Schau gestellter Reichtum und bittere Armut hart aufeinander.

Für mehr als ein Jahrhundert wurde das spanische Vizekönigreich Neapel zu einer der unruhigsten Gegenden Europas mit häufig wechselnden Frontlinien, Übergängen und Parteiwechseln: abtrünnige Adelige gegen Spanien; wütende Bauern und Tagelöhner gegen verhasste Barone; Barone gegen Barone; städtische Unterschichten gegen die lokale Elite und gegen den Vizekönig und gegen neue Steuern, teils mit einheimischen Aristokraten, teils gegen diese. Mitten in diesen Auseinandersetzungen standen auch die Vertreter der Geistlichkeit. Einfache Mönche und Priester aus dem Volk stellten sich meist an dessen Seite, die höheren Amtsträger wie Äbte und Bischöfe hielten überwiegend treu zur spanischen Obrigkeit. Angeheizt wurden die immer häufiger ausbrechenden Konflikte von den Streitigkeiten um steigende Lehensabgaben und die als immer repressiver empfundene feudale Gerichtsbarkeit auf dem Lande sowie von der prekären Überlebenslage breiter Schichten in der Großstadt Neapel. Revolutionäre Ideengeber gossen weiteres Öl ins Feuer, zum Beispiel der Dominikaner Tommaso Campanella, der wie der zwanzig Jahre ältere Bruno aus dem Kleinbürgertum Süditaliens stammte und wie dieser von neuen Welten im Kosmos, aber auch von einer gerechteren Ordnung auf Erden träumte und diesen Traum mit jahrzehntelanger Kerkerhaft bezahlte.

Die Kultur der Widerständigkeit, die von der Tradition der Aufsässigkeit genährt wurde, ist das wichtigste Erbe, das Giordano Bruno durch Herkunft und Geburt zufiel. Dieses Erbe nahm er durch seine Selbstbezeichnung als «Nolaner» an und entwickelte es auf seine unverwechselbar eigene, für die Mächtigen und Wohlgesinnten seiner Zeit unannehmbare Weise weiter. Für einen Nolaner des Jahrgangs 1548 war jeder Diskurs über legitime oder gar gottgewollte Herrschaft pure Heuchelei, denn eine vernünftige Ordnung des Lebens in Gesellschaft, Staat und Kirche war nicht einmal in Ansätzen erkennbar. Stattdessen dominierten Chaos und Gewalt.

Die Schlussfolgerung, die Bruno als Erwachsener daraus zog, lautete: Die Unordnung im Sozialen und Politischen findet ihre Entsprechung in einer Religion, die diese unhaltbaren Verhältnisse schönfärbt und rechtfertigt – so wie die Mächtigen die irdischen Herrschaftsverhältnisse verunstalten, so zeichnen die Priester der christlichen Kirchen ein grotesk verfälschtes Bild von Raum und Zeit und verkehren die wahren Werte einer Moral der Mitmenschlichkeit in ihr krudes Gegenteil. Daraus zog er den Schluss, dass sich die wahre Philosophie und Kosmologie nur in einer grundlegend reformierten Weltordnung durchsetzen konnten. Der Philosoph musste die Welt verändern, damit sich die Augen der Menschen für die tatsächliche Beschaffenheit ihrer kleinen Welt und des unendlichen Weltgebäudes öffnen konnten.

In seiner Glanzzeit unter den Orsini und den Aragonesen war Nola Wirkungsstätte renommierter Humanisten gewesen. Ein Menschenalter später, in den 1550er-Jahren, war das nur noch eine ferne Erinnerung und das Angebot an Bildungseinrichtungen kümmerlich. So erhielt Filippo Bruno seinen Elementarunterricht bei einem Priester namens Gian Domenico de Iannello, der – so der Zensus des Jahres 1563 – «in einem Haus zu ebener Erde und mit einigen Büchern und gesegneten Palmenzweigen Schule gab».[3] Weiterführende Lektionen, die die Lektüre der lateinischen Klassiker einschlossen, dürfte ihm ein gewisser Bartolo di Aloia delle Castelle erteilt haben, der in der Auflistung der Haushalte von 1545 bis 1563 als Besitzer und einziger Lehrer eines «Gymnasiums» erwähnt wird. Für den Sohn des Soldaten Gioan Bruno war diese Ausbildung ungewöhnlich, normalerweise traten Söhne in die Fußstapfen ihrer Väter. So ist zu vermuten, dass die besser situierten Verwandten mütterlicherseits auf die Förderung des Knaben drängten, dessen unbändiger und zugleich ungebärdiger Bildungsdrang – schließt man aus den nachfolgenden Stationen – schon in Nola deutlich hervorgetreten sein dürfte.

Nola im 16. Jahrhundert mit seinen wichtigsten Bauten aus der Vogelschau. Zeichnung von Ambrogio Leone

Gefühle der Dankbarkeit für Lehrer und Lehre waren Bruno allerdings fremd. Kein anderer Berufsstand wird in seinen Werken mit so unbarmherzigem Spott überschüttet wie die Zunft der Schulmeister mit ihrer Dünkelhaftigkeit, Ignoranz und Pedanterie. Die übrige Welt zahlt es ihnen denn auch so heim, wie sie es verdienen: Mit ihrem toten Buchstabenwissen werden sie zum Gespött der einfachen Leute, die sie mit ihrer Lebenstüchtigkeit mühelos übertölpeln.

Ausbildung im Kloster und erste Rebellion

Seinen weiteren Bildungsweg hat Bruno in seinem ersten Verhör vor der venezianischen Inquisition am 26. Mai 1592 knapp zusammengefasst:

Ich bin nach Neapel gegangen, um dort die antiken Autoren (littere de umanità), Logik und Dialektik zu lernen, und zwar mit vierzehn Jahren. Und ich pflegte öffentliche Vorlesungen eines gewissen Sarnese zu hören, und Logik hörte ich privat bei einem Augustiner-Pater, der sich Bruder Teofilo da Vairano nannte, der später Metaphysik in Rom las. Und mit vierzehn oder fünfzehn Jahren nahm ich den Habit des heiligen Dominikus im Kloster oder Konvent von San Domenico in Neapel.[4]

Der «Sarnese» hat sich als Giovanni Vincenzo Colle identifizieren lassen, der sich an der vom Stauferkaiser Friedrich II. im 13. Jahrhundert gegründeten Universität (Studio) Neapel als Ausleger und Lobredner des Aristoteles einen lokalen Namen gemacht hatte. Brunos akademische Ausbildung begann also im Zeichen eines Philosophen, dessen Naturlehre er später vehement bekämpfen sollte. Auch Pater Teofilo ist in den Quellen der Zeit verzeichnet, und zwar als ein «Lehrer der Philosophie» außerhalb des neapolitanischen Studio. Teofilo heißt auf Griechisch Gottesfreund, und als Freund der Wahrheit hat Bruno einen Teofilo in einem seiner berühmtesten philosophischen Dialoge, dem «Aschermittwochsmahl», auftreten lassen. In dieser fiktiven Gesprächsrunde, die über das von Kopernikus 1543 publizierte heliozentrische Weltbild diskutiert, fällt dem «Gottesfreund» die Aufgabe zu, die umstürzenden, weit über Kopernikus’ Horizont hinausreichenden Erkenntnisse des Nolaners zu verkünden – ausnahmsweise stattete Bruno hier also einem Lehrer Tribut für intellektuelle Förderung ab.

Dass die Universität im Vergleich mit dem Unterricht des Augustiner-Paters schlecht abschnitt, erklärt sich aus den Zuständen, die zur Zeit von Brunos Studium an dieser einst sehr renommierten Bildungseinrichtung herrschten. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts häuften sich die Edikte des Vizekönigs, in denen der Gebrauch von Angriffs- und Verteidigungswaffen während der Vorlesungen bei hohen Strafen untersagt wurde, doch von abschreckenden Wirkungen dieser Verbote konnte keine Rede sein. Gewalt blieb auf der Tagesordnung, nicht selten in Form regelrechter Schlachten zwischen verfeindeten Studenten- und Dozenten-Parteien. Da auch Räumlichkeiten des angrenzenden Konvents San Domenico Maggiore als Auditorien genutzt wurden, griffen die Tätlichkeiten nahtlos auf das klösterliche Leben über. Zudem hielten sich in den Universitätskorridoren – wie ebenfalls aus zahlreichen Edikten zu schließen ist – Vagabunden, Bettler und Diebe auf, die das Ihre dazu beitrugen, die neapolitanische Alma Mater zu einem Tummel- und Umschlagplatz der Unterwelt zu machen.

Auch zur käuflichen Liebe waren es vom Hörsaal nur wenige Schritte. Selbst der später so sittenstrenge Kardinal Giulio Santori, oberster Inquisitor Roms und damit Chef der Behörde, die Bruno auf den Scheiterhaufen schickte, vermerkt in seinen Lebenserinnerungen nicht ohne Bitternis, dass er mit fünfzehn oder sechzehn Jahren während seiner Studien an diesem verrufenen Ort in schlechte Gesellschaft geraten sei und den Verlockungen des Fleisches nachgegeben habe – um sich nach diesem unverzeihlichen Fehltritt umso nachhaltiger der Abtötung aller sündhaften Triebe zu widmen. Bruno dürfte ähnliche Erfahrungen gemacht haben, zog daraus aber entgegengesetzte Schlüsse, wie die Aussagen von Mitgefangenen in seinem Prozess belegen: Er habe behauptet, mehr Frauen als König Salomo gehabt zu haben. Ob Protzerei oder nicht, seine Werke rechtfertigen diese Promiskuität. Sexualität ist in der Natur des Menschen angelegt und will kräftig ausgelebt werden, alle ihr auferlegten Beschränkungen wie die Treuepflicht in der Ehe oder gar klösterliche Askese sind schädlich und damit hinfällig. Jede Religion, die gegen dieses Gesetz der Natur verstößt, widerlegt sich damit selbst.

So präzise Bruno im Verhör seine ersten Lehrer am Fuß des Vesuvs benannte, so auffällig weicht die nachfolgende autobiographische Angabe von den belegten Fakten ab: Nicht als Vierzehn- oder Fünfzehnjähriger, wie behauptet, sondern erst mit siebzehneinhalb Jahren, am 15. Juni 1565, trat er als Novize in das Kloster San Domenico Maggiore ein. Dieses Datum ist durch das erhaltene Register der Neueintritte sicher belegt. Ein Irrtum seinerseits darf ausgeschlossen werden. Bruno hatte sich in weiten Teilen Europas als Meister der Mnemotechnik einen Namen gemacht, sein phänomenales Gedächtnis ist an allen Lebensstationen bezeugt. Dass er ein für seinen Werdegang so einschneidendes Ereignis so weit vorverlegte, hängt fraglos mit seiner Verteidigung vor der Inquisition zusammen: Die Entscheidung eines Vierzehnjährigen durfte als fremdbestimmt gelten, der spätere Austritt aus dem Orden, der einen Hauptpunkt der Anklage bildete, war demnach die Korrektur eines Irrtums, den andere zu verantworten hatten. Für die Aufnahme von Novizen galten nach dem Konzil von Trient (1545–1563) strengere Normen als zuvor. So waren die Ordensoberen verpflichtet, Informationen über das soziale Umfeld sowie zu Begabung und Bildungsstand der Nachwuchskandidaten einzuholen. Tatsächlich ist für das Frühjahr 1565 unter den Ausgaben des Klosters eine Reise des zuständigen Bruders nach Nola verbucht. Die Nachforschungen müssen ein «Nihil obstat», ein «Nichts steht entgegen», ergeben haben. Gioan Bruno war zu diesem Zeitpunkt auf einer militärischen «Mission» im Hinterland; so dürfte die Aufmerksamkeit des Paters auf die honorigere Verwandtschaft mütterlicherseits gefallen sein.

Der Eintrag, der einen Lebensweg bestimmte: Am 15. Juni 1565 wird Filippo Bruno als Novize im Kloster San Domenico Maggiore zu Neapel aufgenommen.

Warum führte der Weg des Siebzehnjährigen ins Kloster? Die Ausbildung am Studio und die Lektionen bei Fra Teofilo müssen das Budget des gesamten Familienverbandes stark belastet haben. Durch seine Aufnahme bei den Dominikanern waren Eltern und Verwandte dieser Bürde ledig, von nun an war der Orden für die weitere Ausbildung zuständig. Zudem bot er für einen jungen Mann aus bescheidenen Verhältnissen die besten Aufstiegschancen. Für ein Rechtsstudium reichten die häuslichen Ressourcen nicht, so blieb nur die kirchliche Laufbahn.

Im Januar 1566, ein halbes Jahr nach dem Beginn von Brunos Noviziat, wurde mit Kardinal Michele Ghislieri ein Dominikaner zum Papst gewählt. Der Werdegang Pius’ V. (1566–1572) zeigt beispielhaft, wie erfolgreich die Karriere eines Ordensbruders aus demselben kleinbürgerlichen Milieu verlaufen konnte, wenn die richtigen Schritte aufeinander folgten: sich durch fleißige Studien auszeichnen, sich einflussreiche Protektoren suchen und sich diesen unentbehrlich machen, durch wortmächtige Predigten die Aufmerksamkeit der Oberen erregen, in Wort und Schrift theologische Gelehrsamkeit an den Tag legen und sich durch ein geschärftes Gespür für Abweichler profilieren, deren Lehren den auf dem Konzil von Trient festgelegten Dogmen widersprechen.

Der «Predigerorden», so die offizielle Bezeichnung der Dominikaner, war seit seiner Gründung im 13. Jahrhundert vor allem für die Überwachung und Reinhaltung der Lehre zuständig und hatte daher in weiten Teilen Europas die Aufgaben der Ketzeraufspürung und Ketzerverfolgung übernommen, die mit der Gründung der römischen Zentralinquisition im Juli 1542 gestrafft und neu organisiert worden waren. Als «Hunde des Herrn» (domini canes, ein beliebtes Wortspiel und Bildmotiv), die die Schafherden der Gläubigen vor den Wolfsrudeln der Häretiker schützen sollten, standen die Dominikaner unter starkem Druck, in den eigenen Reihen mit Argusaugen auf Rechtgläubigkeit zu achten. Unter dem Pontifikat des wegen seiner Strenge gefürchteten Dominikaner-Papstes galten Verstöße gegen die Normen von Trient daher in allen Dominikanerklöstern und so auch in Neapel als besonders ehrenrührig.

Wie alle Neuankömmlinge wurde Filippo Bruno in die Obhut eines Novizenmeisters gegeben, der seine Zöglinge zu Demut, Verachtung der weltlichen Güter und Genüsse, Verzicht auf eigenen Willen, Gehorsam gegenüber den Oberen, Friedfertigkeit, Zurückhaltung im Urteil über andere und Widerwillen gegen Gerüchte und Verleumdung erziehen sollte. Zu dieser Ordens-Pädagogik, die einen völlig neuen Menschen hervorbringen sollte, gehörte die Annahme eines neuen Namens. So wurde aus Filippo Bruno jetzt Giordano Bruno; Pate stand ein verdienter Ordensbruder namens Giordano Crispo. Den Ordensnamen behielt Bruno aus Abneigung gegen seinen Taufnamen auch nach seinem Austritt aus dem Orden bei. «Filippo» war eine Hommage an Philipp II. von Spanien. Spanien aber ist in Brunos Texten gleichbedeutend mit brutaler Unterdrückung, Verfolgung und Ausbeutung, so dass ihm «Giordano» als das kleinere Übel erschienen sein muss.

Die Mission eines Novizenmeisters, junge Männer im gefährlichen Alter von achtzehn Jahren zu vorbildlichen Mönchen zu erziehen, war überall schwierig und in einer brodelnden Stadt wie Neapel in unmittelbarer Nähe zu den Räumlichkeiten der übel beleumdeten Universität sogar unmöglich. So war es kein Wunder, dass die meisten Patres diese dornige Aufgabe nach zwei Jahren mit weithin hörbaren Seufzern der Erleichterung an einen Ordensbruder abtraten. In ihrem ersten Jahr sollten die Novizen mit Psalmenvortrag, Gottesdienst und den Praktiken des Ordens vertraut gemacht werden sowie beten und singen lernen. Pflichtlektüre waren neben den Psalmen die Lehrbriefe des Paulus und die Viten heiliger Dominikaner. Danach folgte eine strenge Prüfung. Sie betraf nicht den Lehrstoff, sondern die innere Disposition der Zöglinge: Sprachen ihre sittliche Verfassung und ihr Verhalten für eine Fortsetzung der Ausbildung oder für eine sofortige Ausweisung aus dem Kloster?

Um den später oft vorgebrachten Einwand, zum Eintritt in den Orden genötigt worden zu sein, von vornherein zu entkräften, galt ab 1558 die Vorschrift, dass jeder Novize einige Tage vor Ablegung seines Gelöbnisses (Profess), das ihn zur lebenslangen Einhaltung der Ordensregeln verpflichtete, in Anwesenheit von drei oder mehr Patres befragt werden solle, ob seine Entscheidung frei sei oder nicht. Wenn er nur durch Unterwerfung unter den elterlichen Willen, durch Furcht oder Gewaltanwendung ins Kloster gelangt sei, solle er dies unbedingt sagen und anderenfalls beteuern, dass er die Profess freien und guten Willens ablege.[5] Danach gab es kein legales Zurück mehr. So überrascht es nicht, dass manche Novizen in letzter Minute den Absprung vollzogen; zwischen 1559 und 1566 verzeichnen die Register von San Domenico Maggiore sechs solcher Aussteiger mit Namen. Giordano Bruno gehörte nicht zu ihnen. Er gelobte am 16. Juni 1566, «bis zu seinem Tod Gott, der Jungfrau Maria, dem heiligen Dominikus und seinen Oberen gemäß der Regel des heiligen Augustinus und den Satzungen der Predigerbrüder zu gehorchen».[6]

Am 16. Juni 1566, ein Jahr und einen Tag nach dem Eintritt ins Kloster, sind die Würfel gefallen: Giordano Bruno hat die Profess abgelegt und sich damit zu lebenslangem Mönchs-Dasein verpflichtet.

Für die Mönche, denen Begabung fürs Priesteramt bescheinigt wurde, stand als nächster Ausbildungsschritt die Einübung in kirchlicher Redekunst auf dem Programm. Dominikaner mussten nach dem Vorbild des Ordensgründers und der Ordensheiligen wirkungsvoll predigen können, und das wollte gelernt sein. Zu diesem Zweck wurden die klassischen Reden und Lehren der heidnischen Rhetorikmeister Cicero und Quintilian genauso herangezogen wie die christlichen Modelltexte eines Johann Chrysostomos, Hieronymus, Ambrosius und Bernhard von Clairvaux. Die Kunst, zu überzeugen und zu beeinflussen, hatte für Bruno große Bedeutung, sowohl theoretisch, als Lehrstoff für Schüler, als auch praktisch und in eigener Sache, um in seinen Schriften den Leser und beim mündlichen Vortrag das Publikum für sich zu gewinnen. So ist davon auszugehen, dass ihn dieser Teil der klösterlichen Ausbildung besonders angesprochen hat.