Esprit und Leidenschaft - Volker Reinhardt - E-Book

Esprit und Leidenschaft E-Book

Volker Reinhardt

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Beschreibung

Die Leichtigkeit des genussvollen Lebens – «wie Gott in Frankreich» – und klare Vernunft: Diese besondere Mischung wurde im Mittelalter als «süßes Frankreich» gerühmt und von den östlichen Nachbarn später als Frivolität abgetan. Volker Reinhardt beschreibt anhand von herausragenden Werken der Literatur, Malerei, Architektur und Musik, der Mode, Film- und Kochkunst, wie sich diese Kultur seit dem 11. Jahrhundert herausgebildet hat, in immer wieder neuen Erfindungen und doch so, dass sich faszinierende Verbindungen über die Jahrhunderte zeigen. Frankreich, das sind wohlgeordnete Gärten und Boulevards, klares cartesianisches Denken, die Staatsräson eines Kardinal Richelieu und die Prinzipientreue des Code Napoléon. Frankreich, das sind andererseits die kriegerischen und amourösen Leidenschaften der Troubadoure, Lustschlösser an der Loire, tragische Liebschaften, große Gefühle und elegante Verführung in Literatur und Theater, Film und Haute Couture. Frankreich, das ist schließlich subversiver Geist von Christine de Pizans Stadt der Frauen über den Spott Voltaires und Baudelaires Poesie des Morbiden bis zu Asterix dem Gallier. Volker Reinhardt zeigt, wie das Streben nach Klarheit und Ordnung, religiöse, intellektuelle, erotische Leidenschaft und der Geist der Unterwanderung und des Umsturzes eine Einheit bilden, die das unverwechselbare Flair der französischen Kultur ausmacht. Sein mit wunderbarer Leichtigkeit geschriebenes Buch lädt dazu ein, sich von Esprit und Leidenschaft des «süßen Frankreich» anstecken zu lassen.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Titel

Volker Reinhardt

ESPRIT UND LEIDENSCHAFT

KULTURGESCHICHTE FRANKREICHS

C.H.Beck

Übersicht

Cover

INHALT

Textbeginn

INHALT

Titel

INHALT

Bildteil

EINLEITUNG – Auf der Suche nach der französischen Kultur

Süße und Klarheit

Gibt es eine nationale Kultur?

Die Wellen der Geschichte

ERSTER TEIL: VON DER KULTUR DER HÖFE ZUR KULTUR DES HOFES – 1100–1330

1: DIE ZEIT DER TROUBADOURE –

«La Chanson de Roland» und Bertran de Born

Heldenmut für das süße Frankreich

Hauptsache Krieg, auch in der Liebe

2: DIE STADT DER SCHULEN –

Paris und die neue Theologie

Der Aufstieg zur Hauptstadt

Pierre Abélard und das gelehrte Unwissen

Eine Stadt in der Stadt: Die Universität von Paris

Lutetia docet: Die aufmüpfige Universität

3: SAINT-DENIS UND DIE SAINTE-CHAPELLE –

Heilige Orte der Monarchie

Abt Suger und die Macht der Sinne

Die Allianz von Kirche und Monarchie

Heilige Spiele: Die Sainte-Chapelle

4: RITTER-SPIEGEL –

Chrétien de Troyes und der höfische Roman

Sinnstiftung für die höfische Elite

Aufbruch ins Abenteuer: Erec et Enide

Von der hohen Minne zur ehelichen Liebe

5: DIE KATHEDRALE VON CHARTRES –

Steinwunder in der Provinz

Kurze Bauzeit, vollendete Ausgewogenheit

Die Botschaft der Glasfenster

Portale und Statuen

6: TRISTAN UND ISOLDE –

Liebeszauber und Gottesurteil

Glühende Liebe und höfische Konventionen

Das beunruhigende Recht der Leidenschaft

Marie de France: Ein poetischer Tristan

7: REIMS UND DIE KÖNIGSWEIHE –

Die Kathedrale der Monarchie

Ein Weiheort für den König

Kühn, majestätisch und barmherzig

Das Ritual der Weihe

Die symbolische Macht von

sacre

und Kathedrale

8: DER «ROSENROMAN» –

Die Demaskierung der Liebe und des Hofes

Hohe Minne, abgrundtiefer Spott

Krieg der Geschlechter

ZWEITER TEIL: AUFLÖSUNG IM ZEICHEN DES KRIEGES UND NEUANFANG – 1330–1560

1: DIE KATHARER UND DIE INQUISITION –

Die alternative Kirche im Languedoc

Montaillou und der Trost der «Vollendeten»

Das Erbe der Katharer im Südwesten

2: BERTRAND DU GUESCLIN UND JEANNE D’ARC –

Der Retter und die Retterin

«Die Bulldogge von Frankreich»

Stellvertreter des Königs, Repräsentant des Volkes

Aufstieg und Fall der Jungfrau

Heldin, Heilige und Amazone

3: ISABEAU DE BAVIÈRE UND CHRISTINE DE PIZAN –

Frauen an der Macht, Frauen an die Macht

Der wahnsinnige König

Die Überlegenheit des weiblichen Geschlechts

Die Stadt der Frauen

4: GUILLAUME DUFAY –

Die Geburt der Polyphonie

Franko-flämisch-burgundische Komponisten

Dufay und seine Auftraggeber

Vielstimmige Erinnerungsorte

5: FRANÇOIS VILLON –

Der erste der verfluchten Dichter

Student und Ganove

Lebensrettende Balladen

Testament eines Diebes

6: PHILIPPE DE COMMYNES UND DIE GESCHICHTE –

Gott bestechen

Diplomat und Schriftsteller

Von Burgund nach Frankreich

Gott und der Lauf der Geschichte

7: FRANÇOIS RABELAIS UND DIE WOHLFÜHL-ABTEI –

Spott über die Unordnung der Welt

Lob des Lachens

Pantagruel und der Sinn des Lebens

«Tu, was du willst»

8: FRANZ I. UND SEIN HOF –

Trophäen und Schlösser

Hofverweigerung und Hofbildung

Guillaume Budés Fürstenlehre

Leonardo da Vincis Inszenierungen

Chambord und Chenonceau

9: DAS «HEPTAMÉRON» DER MARGUERITE DE NAVARRE –

Der weibliche Blick auf die Macht

Schwester des Königs und königliche Schriftstellerin

Kein harmloser Zeitvertreib

Eine Geschichte gegen den König

DRITTER TEIL: VON DEN «RELIGIONSKRIEGEN» ZUM HOF VON VERSAILLES – 1560–1700

1: MICHEL DE MONTAIGNE –

Das Ich, die anderen und die Gewalt

«Versuche» in Zeiten des Krieges

Gegen den religiösen Fanatismus

Kannibalen und wahre Wilde

Etienne de la Boétie und die Kunst des Gesprächs

2: PIERRE DE BRANTÔME UND DIE GALANTEN DAMEN –

Der Blick durchs Schlüsselloch

Mann oder Schlappschwanz

Abbé, Möchtegern-Ritter und Schriftsteller

Das Leben großer Kapitäne

Damen, die Liebe machen

3: HEINRICH 

IV

. UND FONTAINEBLEAU –

Bilder für den neuen Herrscher

Zwei Schwestern im Bade

Der König als Mars und Herkules

Der Medici-Zyklus im Palais du Luxembourg

4: KARDINAL RICHELIEU –

Genie der Macht

Ein politisches Testament

Vom Provinzbischof zur roten Eminenz

Dem Leviathan dienen

5: RENÉ DESCARTES –

Die Kunst des methodischen Denkens

Von der Skepsis zur Gewissheit

Ein ferner Uhrmachergott

Die Entschlüsselbarkeit der Welt

6: PIERRE CORNEILLE –

Dramen für Adel und König

Gefühl, Tugend und Ehre:

Le Cid

Eine Tragödie für die Staatsräson:

Oedipe

7: LA ROCHEFOUCAULD –

Die Demaskierung des Menschen

Der Mann ohne Leidenschaften

Spiel der Masken

Verhaltenslehren der Kälte

8: PASCALS WETTE –

Das Elend des Menschen und der Glaube

Von der Mathematik zur Religion

Satire und heiliger Ernst: Briefe in die Provinz

Vernunft und Glaube: Pascals «Gedanken»

Seiner Zeit voraus

9: MOLIÈRE UND DER SONNENKÖNIG –

Politische Lustspiele

Tartuffe und die Frommen

Im Dienst des Königs

Der Bürger als Edelmann

10: MADAME DE SÉVIGNÉ –

Die Erfindung des Briefes

Ein sensationelles Ereignis

Die Tarnung der Literatin

Das schönste Mädchen Frankreichs

Triumph über alle Dogmen

11: MADAME DE LAFAYETTE –

Die Prinzessin von Clèves und die Aussichtslosigkeit der Liebe

Höfische Träume

Eine Geschichte von Liebe und Leidenschaft

Tragische Liebe

12: RACINES TRAGÖDIEN –

Aussichtslose Leidenschaften

Bérénice

und die Einfachheit der Handlung

Britannicus

und das passive Heldentum

Phèdre

und die schicksalhafte Leidenschaft

13: DER SPIEGELSAAL VON VERSAILLES –

In den Staub mit allen Feinden Frankreichs

Le Bruns Deckengemälde

Die Demütigung Roms

Verherrlichung und Schwäche

VIERTER TEIL: DER TANZ AUF DEM VULKAN – 1700–1789

1: WATTEAU UND DIE «GALANTEN FESTE» –

Mythologie und Markt

Vergängliche Liebe

Standhafte Melancholie

Das kurze Tauwetter der Régence

2: JEAN-PHILIPPE RAMEAU –

Die Wissenschaft der Musik

Aufgeklärte Töne

Verzauberung auf der Opernbühne

3: VOLTAIRE UND DER ZUSTAND DER WELT –

Spott, Skepsis, Hoffnung

Subversiv denken, in Freiheit leben

Das Erdbeben von Lissabon und das Licht der Vernunft

4: DIDEROT, DIE «ENCYCLOPÉDIE» UND TAHITI –

Empfindsamer Atheismus

Im Namen der Natur

«Weint, ihr unglückseligen Tahitianer»

Umfassende Freiheit, nur für Männer

5: TURGOT UND DER MEHLKRIEG –

Das Scheitern der großen Reform

Recht auf Brot

Das Edikt vom September 1774

Brot, Brot und nochmals Brot!

6: DER MARQUIS DE SADE UND DIE BESTIE MENSCH –

Aristokratischer Extremismus

Ein Leben gegen die Scheinheiligkeit

Der philosophische Roman

Die mörderische Natur des Menschen

7: DER HAMEAU DE LA REINE –

Landleben und große Angst

Künstliche Natürlichkeit

Eine fatale Fehleinschätzung

Angst und Revolution

FÜNFTER TEIL: ZEIT DER UMSTÜRZE – 1789–1871

1: JACQUES-LOUIS DAVID UND JEAN-PAUL MARAT –

Die Politisierung der Kunst

Der Schwur der Horatier

Maler des Dritten Standes

Staatskünstler der jakobinischen Republik

2: MADAME ROLAND UND OLYMPE DE GOUGES –

Frauen und Frauenrechte in der Revolution

Die wortmächtige Ministergattin

Freie Geister im freien Austausch

Die Erklärung der Frauenrechte

3: TUGEND UND TERROR –

Rousseau, Robespierre, Babeuf

Diese verdammte Zivilisation

Heilsamer Terror

Die Verschwörung der Gleichen

4: DER CODE NAPOLÉON –

Das Gesetz nach der Revolution

Frankreich, ein Flickenteppich

Eigentum und Ungleichheit

Am Anfang war Napoleon

5: STENDHAL UND DIE «CHRONIQUES ITALIENNES» –

Archäologie der Leidenschaften

Die Bigotterie des Besitzbürgertums

Liebe in einer Welt ohne Gott

Von

ennui

gepeinigt: Die Welt wird flach

6: GÉRICAULTS «FLOSS DER MEDUSA» –

Ästhetik des Grauens

Unheilsjahre

Phantasie und Realismus

Postrevolutionäre Katastrophenfaszination

7: JULES MICHELETS «GESCHICHTE FRANKREICHS» –

Die Erfindung der Nation

Der Blitzschlag der Juli-Revolution

Das Drama der Geschichte und die Mission Frankreichs

Verkünder der heiligen Nation

8: NOTRE-DAME DE PARIS –

Victor Hugo und Eugène Viollet-le-Duc

Eine Kirche im Abseits

Der Geist von Notre-Dame

Die ideale Kathedrale

9: HECTOR BERLIOZ UND ITALIEN –

Tod der Romantik

Phantastische Musik

Hector in Italien

Faust und andere Dramen

10: GIACOMO MEYERBEERS GROSSE OPER –

Der Teufel und die Hugenotten

Kultureller Vernichtungswille

Phantastische Strahlkraft: Robert, der Teufel

Allgemein menschlich: Die Hugenotten

11: EUGÈNE SUE UND «DIE GEHEIMNISSE VON PARIS» –

Romane und Romantik fürs Volk

Wie man volkstümlich schreibt

Barbaren und Helden

Rettung in letzter Sekunde

Trivialität als Kunst

12: BALZAC, FLAUBERT, MAUPASSANT –

Der Schriftsteller als Soziologe

Balzacs komischer Menschenzoo

Flauberts Enzyklopädie der menschlichen Dummheit

Maupassant und die Banalität des Menschen

13: POESIE DES MORBIDEN –

Gott in der Gosse

Nerval und Baudelaire

Lautréamonts Gesänge

Schwarze Avantgarde

14: GROSSE KÜCHE – HOHE KÜCHE – NEUE KÜCHE –

De la Varenne, Escoffier, Bocuse

Vom prunkvollen Gelage zur selektiven Raffinesse

Von Escoffier zu Bocuse

SECHSTER TEIL: DIE MODERNE UND IHRE BRÜCHE – Seit 1871

1: EIFFELTURM UND PARISER MÉTRO –

Triumph der Technik und neue Verspieltheit

Proteushaft wandelbar: La

tour Eiffel

Der Jugendstil der «Métropolitain»

2: DER IMPRESSIONISMUS UND SEINE ÜBERWINDUNG –

Landschaft sehen oder Landschaft denken

Nur Licht und Farben

Die Kunst, den Augenblick festzuhalten

Cézanne und die Schöpfung der Natur

Gauguins Traum

3: IMPRESSIONISMUS IN DER MUSIK –

Debussy, Ravel und die Silberfarben des Klanges

Debussy und der französische Geist

Ravels Unsinn

4: HENRI DE TOULOUSE-LAUTREC –

Maler des Montmartre

Der verkrüppelte Graf

Das verrufene Viertel

Plakate und Personen

5: DIE DREYFUS-AFFÄRE –

Der Schriftsteller als öffentlicher Ankläger

«J’accuse»: Zola und Voltaire

Eine Verschwörung gegen die Wahrheit

«Dreyfusards» und «Anti-Dreyfusards»

Das katholische und das jakobinische Frankreich

6: DIE TOUR DE FRANCE –

Fahrende Ritter, ambulante Apotheke

Sensationslust und Sadismus

Im Zeichen der Nationen

Krieg der Netzwerke

7: MARCEL PROUSTS WIEDERGEFUNDENE ZEIT –

Die Techniken der Erinnerung

Zweifache Zeit

Erlösung durch Erinnerung

8: NEUE BLICKE AUF DIE GESCHICHTE –

Marc Bloch, Fernand Braudel und die Annales

Auf der Suche nach dem kollektiven Bewusstsein

Lange, mittlere und kurze Dauer

9: CHANEL, DIOR, SAINT-LAURENT –

Mode, Mythos und Marke

Persönlichkeit und Glamour

Coco Chanels erlesene Einfachheit

Christian Diors Prunk und Tragik

Yves Saint-Laurents wahnsinnige Kreativität

10: DIE NEUE ETHNOLOGIE –

Michel Leiris und Claude Lévi-Strauss

Geisterhaftes Afrika

Traurige Tropen

11: CHANSON UND PHILOSOPHIE –

Auflehnung und Weltschmerz

Die Anfänge, Yvette Guilbert und Maurice Chevalier

Edith Piaf: Chanson und Leben

Georges Brassens: Für copains und Intellektuelle

12: CAMUS, SARTRE, DE BEAUVOIR –

Existentialismus als politische Lebenskunst

Der revoltierende Mensch

Der engagierte Mensch

Existentialismus und Feminismus

Heroismus und Post-Heroismus

13: FRANTZ FANON UND DER KOLONIALISMUS –

Das schwarze Frankreich

Eine klinische Studie zum Rassismus

N

égritude, Nation und neuer Mensch

14: NOUVELLE VAGUE, NOUVEAU CINÉMA –

Das französische Kino und seine Neuerfindungen

Kumpel der Neuen Welle

Truffaut und Chabrol

Godard und Brigitte Bardot

Neues Kino und Neuer Roman

15: ASTERIX UND SEINE VORGÄNGER –

Bandes dessinées und Zeitgeist

Anfänge der

BD

in Frankreich

Internationalistischer Nationalismus

Asterix bei den Deutschen

Bildung und Parodie

16: DAS CENTRE POMPIDOU UND SEINE KRITIKER –

Sprung in die Moderne

Baudrillards Hass, Pompidous Vision

Flagge zeigen, aber wie?

Spielplatz mit Hochkultur

17: PYRAMIDE UND GROSSER BOGEN –

Mitterands Paris

Große Projekte

Der Neue Louvre

Die historische Achse als Weltachse

ANHANG

Karten

Literatur

Alle Übersetzungen stammen, wenn nicht anders angegeben, vom Verfasser.

ERSTER TEIL: VON DER KULTUR DER HÖFE ZUR KULTUR DES HOFES

1. Die Zeit der Troubadoure

2. Die Stadt der Schulen

3. Saint-Denis und die Sainte-Chapelle

4. Ritter-Spiegel

5. Die Kathedrale von Chartres

6.

Tristan

und Isolde

7. Reims und die Königsweihe

8. Der «Rosenroman

»

ZWEITER TEIL: AUFLÖSUNG IM ZEICHEN DES KRIEGES UND NEUANFANG

1. Die Katharer und die Inquisition

2. Bertrand Du Guesclin und Jeanne d’Arc

3. Isabeau de Bavière und Christine de Pizan

4. Guillaume Dufay

5. François Villon

6. Philippe de Commynes und die Geschichte

7. François Rabelais und die Wohlfühl-Abtei

8. Franz I. und sein Hof

9. Das «Heptaméron» der Marguerite de Navarre

DRITTER TEIL: VON DEN «RELIGIONSKRIEGEN» ZUM HOF VON VERSAILLES

1. Michel de Montaigne

2. Pierre de Brantôme und die galanten Damen

3. Heinrich 

IV

. und Fontainebleau

4. Kardinal Richelieu

5. René Descartes

6. Pierre Corneille

7. La Rochefoucauld

8. Pascals Wette

9. Molière und der Sonnenkönig

10. Madame de Sévigné

11. Madame de Lafayette

12. Racines Tragödien

13. Der Spiegelsaal von Versailles

VIERTEL TEIL: DER TANZ AUF DEM VULKAN

1. Watteau und die

«

galanten Feste

»

2. Jean-Philippe Rameau

3. Voltaire und der Zustand der Welt

4. Diderot, die «Encyclopédie» und Tahiti

5. Turgot und der Mehlkrieg

6. Der Marquis de Sade und die Bestie Mensch

7. Der hameau de la reine

FÜNFTER TEIL: ZEIT DER UMSTÜRZE

1. Jacques-Louis David und Jean-Paul Marat

2. Madame Roland und Olympe de Gouges

3. Tugend und Terror

4. Der Code Napoléon

5. Stendhal und die «Chroniques italiennes

»

6. Géricaults «Flo

ß der Medusa»

7. Jules Michelets «Geschichte Frankreichs»

8. Notre-Dame de Paris

9. Hector Berlioz und Italien

10. Giacomo Meyerbeers Große Oper

11. Eugène Sue und «Die Geheimnisse von Paris»

12. Balzac, Flaubert, Maupassant

13. Poesie des Morbiden

14. Große Küche – Hohe Küche – Neue Küche

SECHSTER TEIL: DIE MODERNE UND IHRE BRÜCHE

1. Eiffelturm und Pariser Métro

2. Der Impressionismus und seine Überwindung

3. Impressionismus in der Musik

4. Henri de Toulouse-Lautrec

5. Die Dreyfus-Affäre

6. Die Tour de France

7. Marcel Prousts wiedergefundene Zeit

8. Neue Blicke auf die Geschichte

9. Chanel, Dior, Saint-Laurent

10. Die neue Ethnologie

11. Chanson und Philosophie

12. Camus, Sartre, de Beauvoir

13. Frantz Fanon und der Kolonialismus

14. Nouvelle Vague, Nouveau Cinéma

15. Asterix und seine Vorgänger

16. Das Centre Pompidou und seine Kritiker

17. Pyramide und Großer Bogen

Bildnachweis

Vorsätze und Zwischentitel

Textabbildungen

Farbtafeln

Personenregister

Zum Buch

Vita

Impressum

Bildteil

1  Schon für die Zeitgenossen ein Traum aus Stein und damit für sacre und Krönung des Königs von Frankreich gerade gut genug: Die Kathedrale von Reims, Blick ins nördliche Seitenschiff.

2  Die Sainte-Chapelle in Paris: Schauplatz königlicher Legitimierungs und Verherrlichungszeremonien unter Berufung auf Christus.

3  Zum Teufel mit der Seele des Sünders: Moralische Erziehung und Verbrechensprävention in einem Glasfenster der Kathedrale von Chartres.

4  Eine nationale Heldensage in unvergleichlicher Farbenpracht: In einem Glasfenster der Kathedrale von Chartres aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts fechten die Paladine Karls des Großen in einem ebenso heroischen wie aussichtslosen Kampf gegen die Mauren.

5  So friedlich wie in dieser Miniatur des 14. Jahrhunderts ging es bei theologischen und philosophischen Vorlesungen in Paris nicht immer zu. Streiks der Professoren und Krawalle der Studenten waren an der Tagesordnung.

6  Erec und Enide, der tapfere Ritter und seine kluge Frau: Das ungewöhnliche Paar, das zusammen auszog, um die Welt besser zu machen, hier bei der Bekämpfung eines Ritters, der als Dieb seine Standesehre verletzt. Französische Buchmalerei aus dem späten 13. Jahrhundert.

7  Der Liebende trifft am Eingang des Liebesgartens die Verkörperung des Müßiggangs: Das kann nicht gut ausgehen, wie die Lektüre von Jean de Meungs «Rosenroman» zeigt. Buchmalerei, um 1490.

8  Das Ende einer langen Weihe-Zeremonie: Der Erzbischof von Reims setzt dem König die Krone auf. Miniatur aus dem 15. Jahrhundert.

9  Glaube versetzt Skrofeln: Nach seiner Krönung in Reims beweist sich König Heinrich II. in der Klosterkirche Saint-Marcoul de Corbeny (Aisne) als Wunderheiler. Französische Buchmalerei aus dem 16. Jahrhundert.

10  Der Tod Ludwigs XI., eines Königs, der nicht sterben wollte: Miniatur von 1524 zu den «Mémoires» Philippe de Commynesʼ.

11  Noten, die die Sprache der Musik veränderten: Seite aus der Jakobus-Messe von Guillaume Dufay, Handschrift aus dem 15. Jahrhundert.

12  Am linken Ufer (rive gauche) der Seine (hier rechts) residiert der kritische Geist, das war schon im Paris des 12. Jahrhunderts so: Plan von Paris von Georg Braun und Frans Hogenberg, 16. Jahrhundert.

13  Zwei Schwestern im Bade und die Ankündigung der Geburt eines kleinen Prinzen: Gemälde eines unbekannten Meisters, um 1594.

14  Heinrich IV. als Mars: Der Kriegerkönig als Kriegsgott erklärt das Ende aller inneren Kriege. Gemälde aus der Werkstatt von Toussaint Dubreuil, 1605.

15  Der Sieg in der Schlacht, die schon verloren schien: Heinrich IV. führt seine Truppen bei Ivry ins letzte Gefecht. Unvollendetes Gemälde von Peter Paul Rubens, 1627–1630.

16  Philippe de Champaigne, Dreifachporträt des Kardinals Richelieu oder: Warnung! Widerstand gegen diese Rote Eminenz ist lebensgefährlich. Gemälde, 1642.

17  Wer im Spiegelsaal des Schlosses Versailles noch keine weichen Knie hatte, musste nur die Bilder an der Decke betrachten: Frankreich ist unbesiegbar!

18  Widerstand gegen diesen König ist zwecklos: Ludwig XIV., dem Himmel und den Göttern so nah, denkt und lenkt den Krieg. Deckengemälde von Charles Le Brun im Spiegelsaal von Versailles.

19  Adel und hoher Klerus geben sich und dem König die Ehre: Aufmarsch zur Weihe Ludwigs XV. in Reims am 26. Oktober 1722. Gemälde von Pierre-Denis Martin.

20  Sentimentaler Pseudo-Realismus: Jean-Baptiste Greuze zeigt mit seiner Dorfbraut («L’accordée de village»), wie sich Herz zu Mitgift findet. Gemälde von 1761.

21  Jean-Antoine Watteau, Die Ausschiffung von Kythera oder: Wenn die Liebe erloschen und allen Beteiligten nur noch peinlich ist. Gemälde von 1717.

22  Ein galantes Fest, das nie zu Ende gehen sollte: Gemälde von Jean-Antoine Watteau, um 1716.

23  Jean-Antoine Watteau, Das Ladenschild des Kunsthändlers Gersaint: Hier kauft Bilder, wer sich auf der Höhe des Zeitgeistes weiß. Gemälde, um 1720.

24  Jean-Antoine Watteau, Mezzetino: Ein Ständchen süß und vergänglich wie Rosenduft. Gemälde, um 1717–1719.

25  Manifest eines neuen Stils: Jacques-Louis Davids «Schwur der Horatier». Gemälde von 1784.

26  Jacques-Louis David, Der ermordete Marat: Der Heilige der Revolution wurde soeben von Charlotte Corday erdolcht. Gemälde von 1793.

27  Jacques-Louis David, Die Krönung Napoleons: Der Papst darf zuschauen, wie sich der Erste Konsul der Französischen Republik am 2. Dezember 1804 selbst zum Kaiser krönt. Gemälde von 1807.

28  Das Floß der Medusa: Théodore Géricault erinnerte mit seiner «Szene eines Schiffbruchs», die er 1819 auf dem Pariser Salon zeigte, die Franzosen an den Untergang der Méduse 1816 und den schaurigen Überlebenskampf auf dem Rettungsfloß.

29  Szene aus Meyerbeers «Robert der Teufel»: Eine Oper, die Teufel, Halbteufel und Hexen auf die Bühne zauberte. Gemälde von François Gabriel Guillaume Lépaulle, 1835.

30  Der Tuilerien-Palast, Residenz der meisten französischen Könige und Kaiser von Ludwig XIV. bis Napoleon III. und glanzvolles Gegenüber des Louvre, wurde im Mai 1871 von der Pariser Kommune in Brand gesetzt. Schon Ende Mai wurden die letzten aktiven Kommunarden erschossen: Für die intellektuelle Linke bis heute Symbol einer vertanen Chance. Kolorierte Lithographie von Léon Jean-Baptiste Sabatier, 1872.

31  Ein Trivialroman, der die Trivialität des Alltags für die kleinen Leute erträglich machen sollte: Plakatwerbung für Eugène Sues «Mystères de Paris». Lithographie von 1885.

32  Claude Monet, Mohnfeld bei Argenteuil: Die Schönheit des Augenblicks, unwiederholbar. Gemälde von 1873.

33  Die Montagne de Sainte-Victoire bei Aix-en-Provence wurde von Paul Cézanne siebenundachtzig Mal gemalt und ist wohl der am meisten (und für viele am besten) gemalte Berg der Kunstgeschichte. Gemälde von 1904.

34  Paul Gauguin, Les Alyscamps: Die Suche nach Gott und dem Erhabenen auf dem antiken Gräberfeld von Arles. Gemälde von 1888.

35  Paul Gauguins Selbstporträt als «Gelber Christus»: Das Leiden des Künstlers an der Plattheit des Lebens. Gemälde von 1889.

36,37  Plakate von Henri de Toulouse-Lautrec, die die Ästhetik der Werbung revolutionierten: Studie zu einem Plakat für den Chansonsänger Aristide Bruant (links) und Plakat für das cabaret «Le Divan Japonais» (rechts). Chromolithographien von 1892 und 1896.

38  «Yvette Guilbert salutant le public»: Henri de Toulouse-Lautrec zeigte die Sängerin ungeschminkter Wahrheiten ganz ungeschminkt. Gouache auf Leinwand, 1894.

39  Vincent van Gogh, porträtiert von Henri de Toulouse-Lautrec: Ganz der Kunst gewidmet, dem Leben fast schon abhandengekommen. Gemälde von 1887.

40  Henri de Toulouse-Lautrec, Messaline: Das Leben, ein Totentanz. Gemälde von 1901.

41  Henri de Toulouse-Lautrec: Die Tänzerin Jane Avril verlässt das Moulin Rouge – wenn die Lichter ausgegangen und alle Illusionen verflogen sind. Öl und Gouache auf Leinwand, 1893.

Vorsatz

EINLEITUNG

Auf der Suche nach der französischen Kultur

Süße und Klarheit

Oh du süßes Frankreich! Dulce France! So lautet der Ruf, den die Krieger Karls des Großen im Chanson de Roland, der um 1100 entstandenen ersten großen Dichtung in französischer Sprache, ausstoßen, als sie von den Höhen der Pyrenäen sehnsüchtig in Richtung Heimat blicken. Mit dulce France prägte der unbekannte Autor eine bis heute im Lande selbst und weit darüber hinaus verbreitete und tief verinnerlichte Formel. Dulce hatte schon damals ein weites Bedeutungsfeld: milde, was Witterungsverhältnisse und Wesensart der Menschen betrifft, heiter, ausgeglichen, zwischen den Gegensätzen vermittelnd, den sinnlichen Genüssen zugewandt, allen Übersteigerungen und Extremen abhold. Ganz ähnlich wie die Paladine des Königs in der Dichtung reagieren die französischen Prälaten, als sie 1511 zu einem aussichtslosen Gegen-Konzil in Pisa eintreffen und ihre Quartiere unbewohnbar und das Essen ungenießbar finden: Ach, süßes Frankreich, wären wir nur wieder da, gutes Leben gibt es nur in deinen lieblichen Gefilden! Hätte man den Verfasser des Ritterepos oder die von Heimweh geplagten Kleriker gefragt, was sie mit dulce France eigentlich meinen, hätten sie sich entweder an den Kopf gefasst oder den Dolch gezogen, so überflüssig, ja beleidigend wäre ihnen diese Frage vorgekommen: Etwas so selbstverständlich Gegebenes und Vorhandenes wie France bedarf keiner umständlichen Begriffsbestimmungen; wer sie trotzdem verlangt, vergeht sich an der Ehre des Landes und derjenigen, die sich zu ihr bekennen.

Solche Ehrabschneider soll der Teufel holen, so lautet die einhellige Meinung von Literaten und Nicht-Literaten. Um 1460 schreibt der verbummelte Student und mäßig erfolgreiche Gangster François Villon nicht nur kritische Verse gegen die Mächtigen, sondern auch eine «Ballade gegen die Feinde Frankreichs», in der er ihnen schwereres Leid, als Hiob zu erdulden hatte, an den Hals wünscht. Solch trutzige Bekenntnisse ziehen sich durch die Jahrhunderte und finden sich auch an unerwarteten Stellen. Dem großen Spötter François Rabelais (1484/93–1553) ist weder die Monarchie noch die Kirche heilig, doch wenn es gegen sein Heimatland geht, hört der Spaß auf, dann heißt es: Nieder mit den Feinden Frankreichs! Ganz ähnlich reagiert zweihundert Jahre später der Alles-Infragesteller Voltaire (1694–1778): Die schwere Niederlage, die Frankreich im Siebenjährigen Krieg bei Roßbach erleidet, verletzt sein patriotisches Empfinden, obwohl er den Sieger, König Friedrich II. von Preußen, widerwillig bewundert, seinen eigenen Landesherrn Ludwig XV. verachtet und den Krieg zutiefst missbilligt. Einen Widerspruch zwischen Zeitkritik und Patriotismus empfand keiner der drei.

Damit war zugleich die Frage beantwortet, was französische Kultur eigentlich ausmacht. In Literatur, Philosophie, Musik, bildenden Künsten und Lebensart ist «französisch» für die kreative Elite Frankreichs durch die Jahrhunderte hindurch gleichbedeutend mit hell, elegant, sinnlich und vital, aber auch mit ironisch und aufmüpfig, manchmal sogar mit subversiv und demaskierend, insgesamt mit maßvoll, ausgewogen, transparent, vermittelnd und vernünftig. Von all diesen Selbstzuschreibungen hat sich «Klarheit» am stärksten durchgesetzt, und zwar schon lange vor der Aufklärung des 18. Jahrhunderts, als «rational» mit bewundernden oder abträglichen Untertönen zum Inbegriff des Französischen schlechthin wurde.

Gibt es eine nationale Kultur?

Die Unbefangenheit im Umgang mit allem Nationalen hat nach den Schreckenserfahrungen des 20. Jahrhunderts mit übersteigertem Nationalismus einer heilsamen Verunsicherung und Zurückhaltung Platz gemacht. Nationale Zuschreibungen aller Art unterliegen deshalb im dritten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts durchaus zurecht pauschalen Verdächtigungen: Verbergen sich dahinter Rückständigkeit, Rückfall in Chauvinismus, Rassismus, Xenophobie, Aufkündigung europäischer Solidarität, unbelehrbares Eigenbrötlertum? Auf der anderen Seite besteht Europa weiterhin aus Staaten, die sich im Laufe der Jahrhunderte als politischer Rahmen von Nationen, also als «Nationalstaaten», herausgebildet haben; diese haben nach der lange vorherrschenden Auffassung ihrer führenden Intellektuellen einen bestimmten «Charakter» ausgebildet, der sich präzise definieren und beschreiben ließ. «Nationalcharakter» ist heute keine wissenschaftliche Kategorie mehr. Allerdings sind mehr oder weniger unterschwellige Zuschreibungen kollektiver Eigenschaften und Verhaltensweisen an Nationen und ihre Vertreter weiterhin verbreitet, teils ironisch eingekleidet, teils freundlich, teils von Abneigung und Ablehnung diktiert: der temperamentvolle, Goldkettchen tragende Italiener, der geistvolle, aber geschwätzige Franzose – und so weiter. Wie weder Produzenten noch Konsumenten solcher Klischees bewusst sein dürfte, leben in diesen Gemeinplätzen Motive und Vorurteile fort, die die europäischen Humanisten seit dem 14. Jahrhundert formuliert haben, und zwar immer schmeichelhaft für die eigene Nation, verächtlich gegenüber den anderen.

Jeder Versuch, «nationale Kultur» zu definieren, muss sich daher gegen den Verdacht unverbesserlicher Rückwärtsgewandtheit und raunender Mythenbildung verteidigen. Am leichtesten lässt sich jeglicher «Ideologieverdacht» durch eine reine Beschreibung von Artefakten, Ideen und Vorstellungen vermeiden, doch ist mit einer solchen katalogartigen Auflistung ohne die Herausarbeitung von Verbindungslinien und Leitmotiven wenig gewonnen. Das entgegengesetzte, im 19. Jahrhundert vorherrschende Extrem besteht darin, alle diese Fundstücke als Ausdruck eines von Anfang an gemeinsamen Geistes, Strebens und Wollens und damit als Zeugnisse der Nationwerdung und Nationbildung zu betrachten und sie so aus ihrem historischen Zusammenhang herauszulösen.

In der Mitte zwischen diesen Polen liegt der hier verfolgte Ansatz. Er besteht darin, die Kulturgeschichte Frankreichs als einen Prozess der kreativen Erfindung zu beschreiben: Intellektuelle und Künstler beiderlei Geschlechts, die sich als Französinnen und Franzosen verstehen und empfinden, definieren ihre Ideen und Werke als Beitrag zu einer gemeinsamen, übergeordneten «französischen» Kultur und damit als Ausdruck einer Zusammengehörigkeit, die sie selbst auf der Grundlage älterer, den gewandelten Zeitverhältnissen immer wieder angepasster Motive stets aufs Neue konstruieren. Dieser Wille zu Ganzheit und Geschlossenheit beruht auf der seit dem 12. Jahrhundert stetig wachsenden Überzeugung der politischen und kulturellen Eliten, dass nur ein einheitlich regiertes Gebiet größere Sicherheiten und Entwicklungschancen nach innen wie nach außen bietet und dass es daher sinnvoll ist, Menschen mit ähnlicher Lebensform und Sprache unter einer gemeinsamen Herrschaft zusammenzuschließen. Diese Bestrebungen beruhten zunächst auf Erwägungen, die auf Zweckmäßigkeit ausgerichtet waren und Gruppenegoismus widerspiegelten, noch nicht auf dem Mythos der Nation. Frankreich als eine Abstammungs- und Ehrgemeinschaft, die gemeinsame Qualitäten und Werte verbürgt, wurde erst ab der Mitte des 15. Jahrhunderts von französischen Humanisten proklamiert, die damit den italienischen Gelehrten, die außerhalb ihres eigenen Landes nichts als Barbarei sehen wollen, Paroli boten.

Das vor-nationale Wir-Empfinden der Mächtigen, Intellektuellen und Künstler, das sich vom 12. Jahrhundert an auf dem Territorium des heutigen Frankreichs langsam herausgebildet hat, ist als «subjektiver» Faktor in objektiv erschließbare Rahmenbedingungen einzuordnen. Dazu gehören die wirtschaftlichen Produktionsverhältnisse und ihre langsame Entwicklung, die Ausbildung eines politischen Ordnungsgefüges auf dem langen, windungsreichen Weg zum Staat, die hierarchische Gliederung der Gesellschaft mit ihren Vorrechten und Privilegien, ihrer Mobilität und ihren Aufstiegsmöglichkeiten, die Aufteilung und Administration des geographischen Raumes, der ebenfalls in zahlreiche Privilegienstufen zerfällt, die Sprache als Ausdruck von Macht, Hierarchien und Exklusivität, aber auch als Kriterium der Ausschließung und des Widerstandes sowie die Ausgestaltung des Religiösen und der konfessionellen Landschaft. Da das Mischungs- und Spannungsverhältnis dieser prägenden Faktoren in verschiedenen Gegenden Europas unterschiedlich ausfällt, gewinnt «Kultur» in bestimmten Gebieten im Vergleich zu anderen unterscheidbare und schließlich unverwechselbare Konturen. In Frankreich lässt sich diese Entwicklung ab dem 12. Jahrhundert Schritt für Schritt nachverfolgen.

Um einem verbreiteten, scheinbar wissenschaftlich erhärteten Missverständnis von vornherein entgegenzutreten: Kein heutiger Staat Europas hat «Sonderwege» durch die Geschichte eingeschlagen, und einen gemeinsamen «Westen» als Referenzrahmen gibt es genauso wenig wie einen «Osten» als dessen negatives Gegenbild; auch die Denkfigur der «Abweichung» von vermeintlichen Entwicklungsnormen ist ein Phantasieprodukt von Historikern. Obwohl also alle historisch gewachsenen Nationalstaaten Europas Entwicklungen durchlaufen haben, die ähnliche Grundmuster erkennen lassen, weist jeder nationale «Parcours» spezifische Merkmale auf, die es genauer zu bestimmen gilt. So kann von einem vereinheitlichten Nationalstaat Frankreich, der gern im Gegensatz zum föderal zersplitterten Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation als «modern» ausgegeben wird, vor 1800 keine Rede sein, wohl aber von einem Trend in Richtung Zentralisierung, deren Resultate in einer sperrigen politischen Realität allerdings begrenzt ausfallen. Dass die genannten Rahmenbedingungen in ihrer Gesamtheit pro Land jeweils ein Erscheinungsbild mit eigenen Umrissen und Merkmalen hervorbringen, hat also nichts Mystisches, Nationalistisches oder Völkerpsychologisches. Das gilt sowohl für die Kultur der Eliten als auch für die Kultur des Volkes – um eine sehr schematische, aber insgesamt tragfähige Unterscheidung einzuführen. Die Kultur des Volkes ist Spiegel und Resultat von Lebensbedingungen, die durch den Druck von oben – wirtschaftliche Ausbeutung, religiöse Indoktrination, feudale und staatliche Repression – geprägt und vom Kampf um Autonomie und Selbstbestimmung im lokalen Rahmen bestimmt werden. Für die Kultur der Eliten hingegen sind Faktoren wie die Organisation der Herrschaft, die Spielregeln des Hofes, die Strategien des Prestiges und der Kampf um Teilhabe an der Macht die ausschlaggebenden Rahmenbedingungen.

Alle diese Kategorien und damit die Charakteristika der Eliten- wie der Volkskultur stehen in engem Zusammenhang mit der «allgemeinen» Geschichte und daher auch mit der nach 1945 viel gescholtenen histoire événementielle, der «Ereignisgeschichte», also der politischen Entwicklung im Inneren und dem Wechselspiel von Krieg und Frieden im Äußeren. Das gilt für alle sozialen Schichten, Korporationen und sonstigen Gruppierungen und zeigt sich vor allem in Zeiten der Krise, denn in Phasen der inneren Auflösung sind gewachsene Lebensformen, überlieferte Werte und eingespielte Traditionen nicht nur auf dem Dorf, sondern auch in der Stadt akut gefährdet. Während der sogenannten Religionskriege, die Frankreich von 1562 bis 1598 verwüsteten, steigerte sich die Gewalt im Namen des wahren Glaubens auf dem Land zu Massakern, in denen es um Einfluss, Prestige, Einkommen, Feldergrenzen, Viehdiebstahl und generationenübergreifende Sippenkonflikte ging. In den größeren Städten machte der Mob aus ähnlichen Gründen Jagd auf «Ketzer», zu denen alle zählten, die in irgendeiner Weise unliebsam aufgefallen waren. In derselben Zeit wurde der friedfertige Gelehrte, Kommunalpolitiker und Menschenforscher Michel de Montaigne bei und in seinem nahe Bordeaux gelegenen Schloss mehrfach überfallen und bedroht; zu seinem Erstaunen kam er jedes Mal weitgehend unversehrt davon, aber das war die Ausnahme und nicht die Regel. Dass der Friedensbringer Heinrich IV., der 1593 vom Calvinismus zum Katholizismus übertrat, um sein mehrheitlich katholisches Königreich Frankreich als allgemein anerkannter Herrscher regieren zu können, nach dem Ende dieser Konflikte keinen Maler mehr fand, der sein Schloss mit halbwegs ansehnlichen Bildern dekorieren konnte, zeigt schlaglichtartig die Folgen der jahrzehntelangen Zerstörung und Verrohung für die Kultur. Eine Kulturgeschichte ohne die Einblendung von «Ereignisgeschichte» mit ihren hochragenden Gipfeln und abgrundtiefen Abstürzen, ihren Neuanfängen und Wiederaufstiegen, bliebe unvollständig und unverständlich.

Dieses Buch stellt repräsentative Stationen einer fast tausendjährigen Entwicklung so dar, dass dadurch vertiefte Einblicke und Einsichten in einzelne Werke, Ideen, Trends, Stilentwicklungen und Moden geboten werden. Zugleich werden diese Brennpunkte so miteinander verknüpft, dass große Linien, gemeinsame Umrisse, Schwerpunkte, Leitmotive und deren Variationen hervortreten. «Kultur» wird dabei als Gesamtheit und Summe von ästhetischen Konzepten, Geschmacksrichtungen und Kunststilen, Phantasievorstellungen, Utopien, Bewusstseinshorizonten, Wertesystemen, Zeitkritik und Zukunftsentwürfen und als Umsetzung dieser «Kopfwelten», Bewusstseinshorizonte und Mentalitäten in kollektives Verhalten verstanden. «Kultur» umfasst daher alle Schichten der Gesellschaft. Wenn dabei ein Schwerpunkt auf die Kultur der Eliten gesetzt wird, ist damit keine Parteinahme verbunden, sondern vielmehr ein Spannungsfeld umrissen, wie es im europäischen Prozess der Zivilisation angelegt ist: Dynamische Veränderungen vollziehen sich zuerst an der Spitze der Gesellschaft, die damit ihre Führungspositionen und Vorrechte legitimiert und zugleich den Druck nach unten erhöht, wo diese Neuerungen kontrovers aufgenommen, in den mittleren Schichten nachgeahmt, von den unteren Schichten, also von mindestens neun Zehnteln der Bevölkerung, aber als neue Formen der Verachtung, Unterdrückung und Ausbeutung abgelehnt werden und wütende Gegenreaktionen hervorrufen. Am eruptivsten manifestierte sich dieses Unbehagen in Frankreich am 14. Juli 1789 mit dem Sturm auf die königliche Zwingburg der Bastille. Ihre Zerstörung und das Massaker an ihrer Besatzung bilden den Höhepunkt einer jahrhundertealten Gegenkultur des Widerstands und Protests, die sich zuvor in zahllosen ländlichen Aufständen und städtischen Revolten ausgedrückt hat. Die «Gelbwesten» des 21. Jahrhunderts haben viele Vorgänger und eine lange Tradition. Gewalt ist jedoch nicht die einzige Kommunikationsform zwischen «oben» und «unten». Autoren wie François Rabelais und Michel de Montaigne haben Motive der Volkskultur vielfältig aufgenommen, reflektiert, verarbeitet und an die Eliten weitergegeben, so, wie umgekehrt Ideen von Theologen und Philosophen wie der «gerechte Preis» und die Vorstellung von einer christlichen Ökonomie bei den einfachen Leuten Aufnahme fanden und zugleich an deren Lebensbedingungen und Interessen angepasst und damit kreativ verwandelt wurden.

Die Wellen der Geschichte

Neben dem Spannungsverhältnis zwischen Eliten- und Volkskultur ist die Dynamik des Austauschs und der Rivalität zwischen Zentrum und Peripherie ein weiteres Hauptmerkmal der französischen Kultur. Ein «Eigenbewusstsein» – das wie gesagt noch lange nicht mit «Nationalbewusstsein» gleichzusetzen ist – entwickelte sich in den verschiedenen Gebieten des heutigen Frankreichs unter Führungsschichten und Intellektuellen im Laufe des 12. Jahrhunderts, so dass es sich anbietet, eine Geschichte der französischen Kultur um diese Zeit einsetzen zu lassen. In diesem polyzentrischen Raum mit mächtigen regionalen Dynastien und einer noch schwachen, im Wesentlichen auf ein Kernland um Paris beschränkten Monarchie bildeten sich in Dichtung und Architektur Formen einer höfischen Kultur heraus, die weit und stark ausstrahlte. Herausragende Hervorbringungen dieser «föderalen» Kulturblüte sind die Romane des Chrétien de Troyes, die zwei Generationen später stofflich und formal Vorbild für die wichtigsten Autoren in ganz Europa werden, sowie der gotische Baustil, der sich ebenfalls überall als Maß und Muster repräsentativer Sakralarchitektur durchsetzte.

Diese Entwicklungen vertieften und verzweigten sich mit dem raschen Aufstieg der Monarchie um 1200, die die zahlreichen «Apanagen» aus Nebenlinien der regierenden Capet-Dynastie zunehmend ausschaltete, den sprachlich und religiös eigenständigen Süden bis zu den Pyrenäen im Bündnis mit den Baronen des Nordens und dem Papsttum eroberte und unterdrückte und nach innen wie außen einen Vorrang gewann, der sich bis zum ersten Viertel des 14. Jahrhunderts weiter ausbauen ließ. Umso tiefer war der Absturz in die Krise durch den Konflikt mit der englischen Krone um die Thronfolge in Frankreich, der sich militärisch zu einem «Hundertjährigen Krieg» verstetigte und, auf dem Boden des heutigen Frankreichs ausgetragen, zur Auflösung von Herrschaft, zum Ruin der Ökonomie und zum Niedergang der Kultur führte. Diese traumatische Erfahrung hatte einschneidende Folgen, besonders für die Politik und die Auffassung von guter Herrschaft: Von nun an brandmarkten die führenden Intellektuellen Frankreichs die «partikularen», zentrifugalen, auf die Stärkung der Peripherie gerichteten Kräfte, die sich in der weitgehend autonomen Macht regionaler Adelssippen manifestierten, als Gefahr für Ordnung und Zusammenhalt der Nation. Diese wurde ab der Mitte des 15. Jahrhunderts von den französischen Humanisten als «natürliche» Einheit definiert und historisch durch die Verschmelzung der bodenständigen Gallier mit den im 5. Jahrhundert als Eroberer einfallenden Franken begründet.

Auf eine mühsame Erholung und den erneuten Aufstieg der Monarchie und der höfischen Kultur ab etwa 1450 folgte nach 1562 die Phase der Selbstzerfleischung durch «Religionskriege», in denen die Spaltung der Konfession zum Brandbeschleuniger von Konflikten wurde, die sich neu an den alten Fragen der Machtverteilung, der ständischen Ordnung und ihrer Privilegien entzündeten und zur Verwüstung und Verrohung zahlreicher Provinzen führten. Umso unerwarteter erfolgte nach dieser Katastrophe die schnelle Erholung Frankreichs, das durch zielgerichtete innere Reformen, die der Macht der Monarchie zugutekamen, ab dem zweiten Viertel des 17. Jahrhunderts wie Phönix aus der Asche zur kulturellen Führungsnation des höfischen Europas aufstieg. Nach einer ersten Morgenröte in Gestalt der gotischen Kathedralen und dem meteorgleichen Auftreten der «nationalen Retterin» Jeanne d’Arc um 1430 war dieses Grand Siècle für die führenden Historiker des 19. Jahrhunderts wie Jules Michelet denn auch die dritte große Offenbarung des französischen Nationalgeistes mit seinen Hauptmerkmalen der Ordnung, der Rationalität, der Beherrschung der Leidenschaften und der wissenschaftlichen Durchdringung der Welt.

Zentrum, Symbol und Nährboden dieser in Frankreich herausgebildeten, durch ihre Verbreitung und ihr Prestige in ganz Europa verbindlichen Hofkultur wurde ab 1678 «Versailles», das Gesamtkunstwerk aus monumentaler Schlossarchitektur, hierarchisch durchgliedertem Wohn- und Gartenraum, kontrolliertem Adel, domestizierten, zu Verherrlichungszwecken gezielt eingebundenen Intellektuellen, prestigeträchtig instrumentalisierten Künsten, glanzvollen Festen und täglich neu ritualisierter Herrschaftspraxis. Als Erfindung Ludwigs XIV. – eines in allen Belangen und Fragen der Macht, ihrer Veranschaulichung und Versinnbildlichung überaus kreativen Herrschers und seines nicht weniger innovativen Beraterumfelds – wurde das neue Machtzentrum zu Modell und Feindbild, Kapital und Hypothek, Spiegel und Maßstab bis in die Gegenwart, nicht nur für die Macht und die Mächtigen, sondern auch für die französische Kultur in ihrer Gesamtheit. Bezeichnenderweise überlebte der mit «Versailles» gestellte Anspruch auf kulturellen, moralischen und politischen Vorrang Frankreichs in Europa und der Welt den Niedergang des politischen Systems, das ihn hervorgebracht hat. Nach dem Tod des «Sonnenkönigs» im September 1715 ließ sich die ihrem Selbstverständnis nach «absolute» monarchische Macht gegenüber den privilegierten Schichten immer weniger durchsetzen und wurde durch die zwei Revolutionen von 1789 und 1792 ganz beseitigt. Von nun an drückte sich die selbstverständliche Gewissheit, kulturelle Führungsnation zu sein, nicht mehr in der Forderung nach höfischer Hegemonie aus, sondern in der selbst zugeschriebenen Mission, unterdrückte Völker vom Joch des Despotismus zu befreien und die Wahrung der Menschenrechte zu garantieren. An diesem Auftrag an Frankreich hat sich – folgt man der offiziellen Selbstdarstellung der Macht und der Mächtigen – auch in der Folgezeit nichts geändert. Zweihundert Jahre nach der Erstürmung der Bastille und der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte im Juli und August 1789 ließ der sozialistische «Sonnenpräsident» François Mitterand eines seiner Grands Projets in Paris durch die weihevolle Verlesung dieser Dokumente geschichtsträchtig und öffentlichkeitswirksam einweihen. Mit diesem Anspruch sind eine dauerhafte Verpflichtung und ein unerbittlicher Druck auf die Kultur verbunden: Monarchische und revolutionäre Traditionen leben fort und diktieren Maßstäbe. Gemeinsam ist ihnen die Vorliebe für den hohen, pathetischen Ton in Wort, Bild und Zeremoniell.

Das Wechselspiel von Krisen und Wiederaufstiegen setzte sich in zahlreichen Variationen vom 18. bis zum 20. Jahrhundert fort – um nur die wichtigsten dieser «Wellenbewegungen» aufzuführen: Den militärischen Erfolgen des revolutionären Frankreichs in den Jahren 1792 bis 1794 standen die Massaker in den «konterrevolutionären» ländlichen Regionen der Vendée entgegen, die französische Hegemonie über weite Teile Europas unter Napoleon I. zerfiel nach dem katastrophalen Winterfeldzug der «Großen Armee» nach Russland im Jahr 1812, die Schiedsrichterrolle unter Napoleon III. endete mit der traumatischen Niederlage gegen Preußen/Deutschland 1870/71, auf den mit schwersten Bevölkerungsverlusten erkauften Sieg im Ersten Weltkrieg folgte die Okkupation durch Nazi-Deutschland, auf die Konsolidierung als Siegernation nach 1945 der Verlust der Kolonien. Im Unterschied zu den vorangehenden Jahrhunderten erwiesen sich auch diese gesamtgeschichtlichen Einbrüche durch die dadurch ausgelösten Reflexionen über Fehlentwicklungen und Neubeginn nicht als retardierend, sondern als inspirierend und beschleunigend für die kulturelle Entwicklung, mit der Folge, dass Paris vom späten Ancien Régime bis zum Ersten Weltkrieg und in vielen Bereichen darüber hinaus als intellektueller und künstlerischer Nabel der Welt wahrgenommen wurde.

Prägend für die so umrissene kulturelle Entwicklung Frankreichs ist die mit diesen «Wellenbewegungen» ursächlich aufs Engste verbundene Sehnsucht nach Rettergestalten, die von König Philipp II. August und Jeanne d’Arc über Heinrich IV. und die beiden Napoleons bis de Gaulle reichen, in der Gegenwart aber nicht mehr aufzutreten scheinen. Einen charakteristischen Niederschlag findet das Wechselspiel von Gipfelpunkten und Abstürzen ebenfalls in einem vergleichsweise frühen und hohen Grad der Politisierung und Ideologisierung, wobei beide Begriffe weitgefasst zu verstehen sind. So entfaltete sich seit etwa 1200 eine reichhaltige Debatten-Kultur, in der kontroverse Standpunkte hart aufeinanderprallten und im europäischen Vergleich ungewöhnlich radikale Positionen vertreten wurden. Dabei ging es zunächst um so unterschiedliche Themen wie die Eigenschaften der Geschlechter und das angeblich natürliche Verhältnis zwischen ihnen, um historisch gewachsene Lebensordnungen und wiederentdecktes römisches Recht, um die vermeintlich gottgewollten Machtverhältnisse im Königreich und in der Kirche und, um Kompetenzen und Grenzen der Monarchie. Im Zeitalter der Aufklärung und der Revolutionen wurden in diesen Kontroversen zunehmend atheistische und sozialistische Standpunkte vertreten, mit denen die französischen Intellektuellen für Jahrzehnte eine Vorreiterrolle einnahmen und zugleich die Spaltung in ein «jakobinisches» und ein katholisch-konservatives Frankreich vertieften – eine Tradition des Avantgardistischen, die sich im 20. Jahrhundert mit der Anprangerung des Kolonialismus und der kulturellen Unterdrückung außereuropäischer Weltgegenden fortsetzte.

Auf diese Weise ist die französische Kultur, wagt man eine zugespitzte Definition, in höherem Maße als andere auf Sprache und damit auf Ideen, Ideologien, politische und ökonomische Theorien gegründet. In Abgrenzung zur bildzentrierten Kultur Italiens und zur musiklastigen Kultur Deutschlands stellt sich die französische Kultur in sehr hohem Maße auf Worte und damit auf esprit fixiert dar, ein Begriff, der genauso unübersetzbar ist wie der des homme de lettres, der diesen Reichtum an Geist, Witz, Schlagfertigkeit und Tiefsinn wie kein anderer für sich in Anspruch nehmen darf. Das zumindest ist die unter europäischen Intellektuellen vorherrschende Außenwahrnehmung, die in Frankreich vom selben kulturellen Milieu weitgehend geteilt werden dürfte. Diese Grundausrichtung spiegelt sich in der mathematisch ausgeklügelten Baukunst der Gotik, im «klassizistischen» Grundzug der barocken Architektur, der kühl konzipierten Staatsräson eines Richelieu, in den politischen Botschaften der Dramatiker des 17. und 18. Jahrhunderts und in der Musik eines Rameau, Berlioz und Debussy wider, in der die Bindung an die Dichtung und die produktive Wechselwirkung mit der Kraft der Sprache und der Ideen immer lebendig bleiben. Nicht zuletzt drückt sich die prägende Rolle von esprit und Sprache in der Sprache selbst aus, die seit dem 17. Jahrhundert von einer königlichen Akademie reglementiert und konsequent als Instrument der Herrschaft genutzt wird, aber genauso wirkungsvoll gegen diese Macht verwendet werden kann.

Mit diesen Akzenten ist ein weiteres Kernmerkmal eng verbunden: das ausgeprägte Spannungsverhältnis zwischen Bestätigung und Bestreitung der bestehenden Verhältnisse, zwischen Verherrlichung der Macht und deren kritischer Durchleuchtung und subversiver Unterminierung, zwischen Glorifizierung des Staates und der Neigung zu seiner radikalen Infragestellung. Die Jakobiner der Jahre 1792 bis 1794 hatten ihre Vorläufer in einem Jean de Meung, der im 13. Jahrhundert die ästhetischen Normen und Wertmaßstäbe des Hofes verspottete und aushöhlte. François Villon verband akademische Bildung mit der Mitgliedschaft in einer Räuberbande und dichtete in der Sprache der hohen Minne, aber auch im Gauner-Argot. Und François Rabelais, der wie kaum ein anderer die alten Sprachen beherrschte, verspottete souverän alles, was den Gralshütern der antiken Kultur, den Humanisten, heilig war. Auf der anderen Seite des Spektrums sticht die aristokratische Prägung der Kultur hervor. Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts fanden die französischen Adeligen in Herrschaft und Verwaltung des Königsreichs kaum noch eine Lebensaufgabe, oft genug nicht einmal mehr eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung. Umso intensiver wandten sie sich Forschungen und Literaturgattungen zu, die mit ihrem hohen sozialen Status vereinbar waren, zum Beispiel der psychologischen und moralischen Erforschung der Menschen jenseits aller Tabus, wie Montaigne, La Rochefoucauld und der Marquis de Sade, ab der Mitte des 18. Jahrhunderts kamen politische Themen und Positionen hinzu, die nahtlos in die Revolutionen ab 1789 übergingen.

Die nachfolgenden Schlaglichter auf die französische Kultur sollen die wichtigsten Etappen und Akzente dieser Entwicklung nachzeichnen und die Leserin, den Leser so auf eine Zeitreise durch die Kultur der Grande Nation mitnehmen.

ERSTER TEIL

VON DER KULTUR DER HÖFE ZUR KULTUR DES HOFES

1100–1330

1

DIE ZEIT DER TROUBADOURE

«La Chanson de Roland» und Bertran de Born

Heldenmut für das süße Frankreich

Für nationalgesinnte Kulturhistoriker war La Chanson de Roland, das um 1100 entstandene «Rolandslied» eines unbekannten Dichters über Heldentaten und Heldentod des edlen Recken Roland, der erste im höheren Sinn französische Text überhaupt: «Unter einer Pinie, neben einem Weißdornbusch, hatten sie einen Stuhl aus reinem Gold aufgestellt. Darauf sitzt der König, der über das süße Frankreich (dulce France) herrscht.» (V 114–116) Die Szene, in der Karl der Große auf dem Thronsessel sein erhabenes Haupt so sinnig wiegt, spielt im andalusischen Cordoba, doch die Bepflanzung des Gartens beschwört eher dulce France als Südspanien herauf. Die dadurch ausgelöste Sehnsucht nach der fernen Heimat prägt den Blick des Königs auf die Fremden und die eigenen Landsleute: «Die Sarazenen betrachtet er voller Zorn, die Franzosen hingegen mit sanften und süßen Empfindungen.» (V 1163) Auch seine treuen Vasallen sind stets darauf bedacht, durch ihre kriegerischen Bravourstücke ihre Ehre in dulce France zu vermehren. Und als ihr Blick in gefahrvoller Lage aus einer hochragenden Pyrenäen-Passhöhe nach Osten schweift, weitet ihnen der Anblick von dulce France das Herz, so dass die Sehnsucht nach den süßen Auen des Vaterlands die Tränen reichlich fließen lässt.

Überhaupt wird in diesem langen Gedicht über die sagenhafte Eroberung Spaniens viel geweint, überwiegend aus Rührung, aber auch aus Ratlosigkeit und dem Gefühl der Überforderung. Die meisten Tränen vergießt Karl der Große selbst, den die Nachwelt zum weisen und tapferen Idealherrscher schlechthin erhoben hat. Jahrhundertelang wurde jedem neugekrönten König von Frankreich der fromme Wunsch «Mögest du ein zweiter Charlemagne werden!» mit auf den meist dornigen Herrschaftsweg gegeben. Im Rolandslied tritt das spätere Idealbild des ritterlichen und frommen Monarchen überwiegend in der Rolle des Schiedsrichters auf, der klugen Rat spendet, sich aber auch beraten lässt, nachdenklich, gedankenschwer und tatenarm. Die Heldentaten verrichten andere.

Die Sentimentalität solcher Szenen kontrastiert mit der Blutrünstigkeit des Geschehens, das mit kruder Ausführlichkeit geschildert wird. So werden in den Kämpfen gegen die «Ungläubigen», die in einer bizarren Kombination von Islam und griechischer Mythologie Mohammed und Apollo zusammen verehren, diverse Scharen feindlicher Krieger niedergemäht und Strafgerichte von archaischer Grausamkeit abgehalten, ohne dass den vielen Opfern auch nur ein einziger Seufzer des Bedauerns nachgesandt wird. Von derselben Machart ist das schwarz-weiß gezeichnete Handlungsgerüst: Karl der Große hat Spanien fast vollständig für die Christen, die immer recht haben, zurückgewonnen und die Sarazenen, die immer lügen und betrügen, in ein letztes Widerstandsnest in der Stadt Saragossa um den König Marsilius zurückgedrängt. Dieser erkennt, dass weiterer militärischer Widerstand aussichtslos ist, und verfällt auf Rat seines heimtückischen Ministers Blancandrin auf eine List: Er bietet Unterwerfung, Gehorsam und Übertritt zum Christentum an, um einen Friedensschluss zu erreichen und den Krieg dann aus einer stärkeren Position fortzuführen.

Über die Frage, ob man diesen Vorschlag annehmen oder ablehnen soll, entzweit sich das Lager der christlichen Ritter. Der ungestüme junge Roland wittert Betrug und plädiert leidenschaftlich für einen sofortigen Vernichtungsfeldzug, wird aber im Kriegsrat durch das gegenteilige Votum, das sein Stiefvater Ganelon vorträgt, überstimmt. Rolands Rache für diese Niederlage besteht darin, dass er Ganelon vom König auf die gefahrvolle Botenmission zu Marsilius schicken lässt. Auf dem Weg dorthin wird der Gesandte, der sich ungerecht behandelt fühlt, zum Verräter. Aus Hass auf seinen Stiefsohn wird er heimlich mit Marsilius handelseinig und erklärt diesem, dass Roland sein Hauptfeind ist und um jeden Preis getötet werden muss. Nach seiner Rückkehr aus Saragossa erteilt Ganelon den perfiden Rat, Roland beim Abzug von Karls Heer aus dem vermeintlich befriedeten und zum Christentum zurückgeführten Spanien die Nachhut auf dem Pass von Roncevals befehligen zu lassen. So geschieht es, und so kommt eine dramatische Ereigniskette in Gang.

Marsilius bläst zum Angriff auf die den Abzug sichernde Schutztruppe, aber Roland ist zu stolz, um in sein Wunderhorn Olifant zu stoßen und dadurch das französische Hauptheer zur Rettung zurückzurufen. Stattdessen vernichtet er mit seinen Recken zwei feindliche Kontingente, allerdings unter immer schwereren Verlusten. Einem dritten Vorstoß des Feindes sind die wenigen Überlebenden nicht mehr gewachsen, Roland bläst mit letzter Kraft Olifant, Karl kehrt zurück, findet den Helden, dessen Seele ein Engel bereits zum Himmel getragen hat, aber nur noch tot vor. Auf sein Flehen hin hält Gott die Sonne an, damit die Ungläubigen vor Einbruch der Dunkelheit besiegt werden können. Dann tritt der Kampf zwischen Gut und Böse in sein letztes Stadium. Inzwischen ist nämlich der Emir von Babylon, Marsilius’ Oberherr, in Nordspanien eingetroffen, um mit einer starken neuen Armee dem Krieg die entscheidende Wende zu verleihen, doch wird er in einer langen blutigen Schlacht von den Christen besiegt. Karl selbst wird in diesem Kampf verwundet, scheint Gefecht und Leben verloren zu haben, erhält aber im letzten Moment Waffenhilfe von einem Engel und tötet mit dessen Hilfe den Emir (siehe Tafel III unten).

Zum Schluss werden die Konsequenzen aus den aufwühlenden Vorkommnissen gezogen. Ganelon wird der félonie, des Verrats an seinem Lehensherrn, angeklagt. Er gibt zu, Roland bewusst ins Verderben gestürzt zu haben, doch den Vorwurf der Abtrünnigkeit weist er mit dem Argument zurück, zu einer Privatfehde gegen seinen Stiefsohn berechtigt gewesen zu sein. Die Richter im Rat der Barone sind sich nicht einig und wagen kein Urteil, das auch König Karl nicht fällen darf. Die Entscheidung führt erst eine höhere Macht herbei: Der Ritter im Dienst der Anklage besiegt im fairen Zweikampf den Vertreter der Verteidigung. Damit hat der Himmel gesprochen, und das Gottesurteil lautet: schuldig! Karl führt den Spruch aus und lässt Ganelon vierteilen, und zwar nicht wegen seiner Rache an Roland, sondern wegen seines Verrats am Christentum und damit an Gott. Obwohl er von jetzt an wie ein Heiliger verehrt wird, steht auch Roland im Rückblick nicht völlig fleckenlos dar. Er war zwar durch seine unwandelbare Treue zu Karl der perfekte Lehensmann, aber sein Ungestüm und seine Gier nach Ruhm haben unnötige Opfer gefordert, wie er selbst kurz vor dem Aushauchen seiner edlen Seele erkennt. Erst durch diese Reue wird er würdig, sofort ins Paradies aufgenommen zu werden.

Hauptsache Krieg, auch in der Liebe

Die martialische Dichtung vermittelt Zuhörern und Lesern eine Reihe elementarer Botschaften. Die wichtigste von ihnen betrifft die Machtverhältnisse im christlichen Reich der Franken. Hier ist der König primus inter pares, der Erste unter Gleichen, das heißt: unter den hohen Adeligen, die an seiner Seite nahezu gleichberechtigt mitregieren. In allen entscheidenden Fragen ist er an das Votum der großen Barone gebunden. Modern ausgedrückt: In diesem «feudal-konstitutionellen» System hat er fast nur die ausführende Gewalt inne. So lautet die Theorie, und so sieht im Rolandslied auch die Praxis aus, weil sich Karl mustergültig an die Vorschriften hält. Mehr als diese beschränkte Rolle ist ihm auch nicht zuzutrauen. Am Ende des Epos sieht er mit Grauen, Weinen, Zittern und Zagen neue, womöglich noch schwerere Aufgaben auf sich zukommen und ist unsicher, ob er ihnen gewachsen sein wird. Dass er im alles entscheidenden Kampf gegen den Emir übernatürliche Überlebenshilfe erhält, bezeugt seine hohe Würde, belegt aber auch seine persönliche Schwäche.

Die wahre Stütze des Reiches sind die hohen Adeligen. Sie tragen die Kämpfe gegen die Feinde Gottes aus, opfern dafür klaglos ihr Leben, werden dafür mit umfassenden feudalen Herrschaftsrechten in dulce France belohnt und sind dadurch als ideale Verkörperung ihres Landes erwiesen. Ihr blutiges Kriegerhandwerk wird gleich doppelt geadelt, ja geheiligt: durch die Aufopferung für die Heimat und durch den Dienst am Christentum. So werden sie zu milites christiani, zu christlichen Streitern, erhoben, denen im Fall des Schlachtentods der triumphale Einzug in die Gefilde der ewigen Seligkeit sicher ist, wie Rolands rasche Entrückung belegt. So hatte auch die Verheißung der Kirche an die christlichen Ritter gelautet, die ab 1099 auszogen, um auf «Kreuzzügen» Jerusalem und das Heilige Land aus den Händen der «Ungläubigen» zu befreien.

Zugleich macht La Chanson de Roland unfreiwillig deutlich, wo die fatalen Schwächen dieses sozialen und politischen Systems lagen: Wenn die führenden Barone im Streit miteinander lagen, drohte der politische und militärische Kollaps. An diesem neuralgischen Punkt musste die Monarchie des 12. Jahrhunderts auf ihrem langen Marsch zu einer Vormachtstellung zuerst ansetzen. In diesem Kampf um die Macht hatte die englische Königsdynastie lange Zeit die Nase vorn. Ihre vor allem im Südwesten Frankreichs ausgetragenen Kämpfe gegen die auf Autonomie pochenden Barone waren hart, aber letztlich erfolgreich. Aus diesen erbitterten Auseinandersetzungen ging eine Literatur hervor, die schon zu ihrer Entstehungszeit für fromme Gemüter eine Provokation ohnegleichen darstellte, und zwar über Landes- und Sprachgrenzen hinweg. Das zeigt schlaglichtartig eine Episode aus der «Göttlichen Komödie» des florentinischen Dichters Dante Alighieri (1265–1321). Auf seiner fiktiven Fahrt durch die Hölle an der Seite des römischen Dichterfürsten Vergil trifft dieser im neunten, zweittiefsten Kreis der Unterwelt, wo die Zwietrachtstifter und Kirchenspalter ewige Qualen erleiden, den Ritter und Troubadour Bertran de Born (ca. 1140–1215). Da dessen höchste Lust darin bestand, Menschen gegeneinander aufzuhetzen, die durch Verwandtschaft und Aufgaben zusammengehörten, haben ihm die Teufel das Haupt abgeschlagen, das er wie eine Laterne vor sich hertragen muss. Unter Seufzern gesteht er dem Jenseitsreisenden sein Kapitalverbrechen: Er hat den Sohn König Heinrichs II. von England zum Aufstand gegen den Vater aufgestachelt und damit die gottgewollte Ordnung aufs Schwerste gestört.

Der historische Bertran war nicht so bußfertig. Er zog in diesem kunstvoll eingefädelten Krieg der britischen Royals zwar den Kürzeren und musste vor dem Herrscher und seinem Hof feierliche Abbitte leisten, doch Anzeichen von Reue finden sich in seinen Gedichten nicht. Im Gegenteil: Sein Leben und seine Verse sind ein einziges Loblied auf den Krieg. Als Spross einer ländlichen Adelssippe aus dem Limousin erbte Bertran den Familienbesitz um das Schloss Hautefort gemeinsam mit seinem Bruder Constantin. In Anbetracht von Bertrans Charakter war die gemeinsame Erbfolge die sicherste Methode, jegliche Solidarität unter nahen Verwandten zu zerstören. Er sei – so Bertran in einem seiner siebenunddreißig erhaltenen Gedichte – bereit, mit Freunden und Verbündeten das letzte Ei zu teilen. Doch wer ihm, seinen Besitz und seiner Ehre zu nahekam, solle sich vorsehen. Dabei spricht alles dafür, dass die Übergriffe auf den Besitz des anderen nicht von Constantin, sondern von ihm selbst ausgingen.

Krieg bedurfte für Bertran keiner speziellen Rechtfertigung, die sich im Übrigen bei Bedarf leicht finden ließ, sondern war höchster Sinn des Daseins und damit Selbstzweck. Für was oder gegen wen er geführt wurde, war entschieden zweitrangig. In seinem – wie alle seine Poeme in okzitanischer Sprache verfassten – «Lob des Krieges» stimmt er mit subtiler Ironie zuerst eine gefühlvolle Hymne auf den lieblichen Frühling an (133 ff.): Die Seele erfreut sich daran, wie sich Blätter und Blüten öffnen und wie die Vöglein im Wald ihren Gesang erschallen lassen. Darauf folgt ein brüsker Wechsel der Tonlage: «Und ich freue mich, wenn ich auf flauschigem Rasen Zelte und hochragende Wehrbauten errichtet sehe. Und ich fühle tiefe Freude, wenn ich durch das Land Scharen von bewaffneten Rittern zu Pferde ziehen sehe. Und es gefällt mir, wenn Störtrupps die Leute mit all ihrem Tross in die Flucht schlagen, und mein Herz jubelt, wenn ich dahinter eine große Zahl Bewaffneter geschlossen vordringen sehe und wenn ich sehe, wie starke Burgen belagert und feste Bollwerke zerschossen werden und wenn ich das Heer auf Wällen über Gräben mit spitzen und festen Palisaden marschieren sehe.»

Das alles ist nur der Rahmen für die wahrhaft herzerhebenden Auftritte: «Und noch viel mehr ergötzt es mich, wenn ich den Herrn als ersten zu Pferd angreifen sehe, furchtlos und in Waffen, wie er seinen Leuten Kühnheit einflößt, mit seinem hohen und wilden Mut.» Dann heißt es, diesem Vorbild zu folgen, und ehrlos ist, wer nicht andere verwundet und selbst verwundet wird. Wenn Keulen und Schwerter blitzen, Eisen auf Schilde prallt, die Helme glänzen und herrenlose Pferde zwischen Toten und Verletzten herumirren, steigert sich die Kampfeswut zur Raserei: «Jeder Mann von edlem Blut mag nur noch daran denken, Köpfe und Arme abzuschlagen: lieber tot als lebendig und besiegt!» Nichts bereitet so viel Freude wie der Ruf «Zum Angriff!», und herrlich ist es, die Toten mit der Lanze in der Brust im Staub liegen und Große wie Kleine im Graben sterben zu sehen. So mündet die wollüstige Ausmalung des Tötens mit zwingender Logik in den Aufruf: «Barone, verpfändet eure Schlösser an die Städte, und anstatt den Krieg zu beenden, bekriegt euch gegenseitig!» Sein blutrünstiges Poem widmete Bertran dem englischen König Richard Löwenherz, dessen Politik er viel zu friedlich fand, obwohl auch sie ganz auf den Krieg ausgerichtet war.

Wahrlich kein angenehmer Schlossnachbar. Wer so dichtete, brauchte im Gegensatz zu Karl dem Großen und seinen Paladinen keine Engel und keine Ungläubigen, die seinen Kampf rechtfertigten. Die Lust am Töten und die dadurch gewonnene Ehre reichten (in dieser Reihenfolge) als Motivation völlig aus. Die dafür nötigen Feinde schuf sich einer wie Bertran notfalls eben selbst.

Auch die sechs umfangreicheren Liebesgedichte aus der Feder des martialischsten aller Troubadoure entfernen sich nicht weit von der Thematik des Krieges. Sie beginnen ebenfalls konventionell (108 f.): «Ich kann Euch nicht verschweigen, wie sehr ich es fürchte, das Gewisper der bösen Schmeichler in Euren Ohren, dass ich nicht treu sei. Aber wendet, so bitte ich Euch, Euer Herz, das so wahr, so treu, so aufrichtig, so bescheiden und so offen und mir so teuer ist, nicht von mir ab, meine Dame!» Doch die Befürchtung, dass sich die Angebetete von ihrem Verehrer entfremdet, ist begründet, denn sie ist flatterhaft und lebt daher riskant. Wie der Falke, der die Faust des Herren verlässt, läuft sie Gefahr, von einem anderen Raubvogel geschlagen und vor den Augen des Herrn getötet zu werden. Die Qualen der Unsicherheit und Eifersucht, die das poetische Ich zu erleiden behauptet, werden in den folgenden Strophen immer martialischer ausgemalt: Sie sind schmerzhaft wie ein Feldzug mit voller Rüstung in eisigem Regen, und der verschmähte Liebhaber fühlt sich wie ein Gefangener im dunklen Verlies seines bittersten Feindes. Aber selbst wenn man ihn foltert oder Lösegeld erpressen will, wird er seine einzige wahre Liebe niemals verleugnen. Zärtliche Töne klingen anders. Liebe war letztlich ein Krieg mit anderen Mitteln. Ob man eine Burg oder eine Dame eroberte und dabei Feinde oder Rivalen aus dem Feld schlug, machte kaum einen Unterschied – den Sieg trug in jedem Fall der Beherzteste davon.

La Chanson de Roland und die Verse Bertrans markieren Ausgangspunkte einer jahrhundertelangen Entwicklung. Das in diesen Texten zum Ausdruck gebrachte Selbstwertgefühl des Feudaladels, der sich jederzeit zur Fehde gegen Höher- wie Tiefergestellte befugt glaubte und aus der Bewährung im Krieg seine Rechtfertigung zog, stand jeder weiteren staatlichen Entwicklung starr entgegen. Mit so selbstbewussten und gewalttätigen Aristokraten war keine starke Königsherrschaft zu gestalten. Dafür war ein tiefgreifender Umerziehungsprozess nötig, der aus dem allein seiner Ehre verpflichteten Ritter zwischen Tod und Teufel den geschmeidigen Höfling formen sollte, der seine Identität in der Gunst des Herrschers fand. Dieser Prozess schritt seit dem 13. Jahrhundert mit der Stärkung der Monarchie allmählich voran und machte unter dem großen Adelszähmer Ludwig XIV. die größten Fortschritte, doch völlig abgeschlossen war er bis 1789 nicht.

2

DIE STADT DER SCHULEN

Paris und die neue Theologie

Der Aufstieg zur Hauptstadt

Nach 1100 wurde Paris, das antike Lutetia, allmählich zum bevorzugten Aufenthaltsort der französischen Könige aus dem Hause Capet, doch ein Aufstieg zur Hauptstadt war damit noch nicht verbunden. Der Einflussbereich der Monarchen reichte nicht sehr weit über die Provinz Île-de-France hinaus, die sich von Beauvais im Norden bis Nemours im Süden erstreckte. Westlich von diesem monarchischen Kernland, von der Normandie bis Aquitanien, besaßen die englischen Könige weiträumige Herrschaftsgebiete; in dezentralen und südlichen Landesteilen hatten Adelsfamilien das Sagen, die mit der regierenden Dynastie mehr oder weniger eng verwandt waren und weitgehend autonom auftraten. Die schwache Stellung der Monarchie schlug sich im Bild der Stadt Paris nieder, die noch nichts vom Glanz einer Metropole aufwies. Ihren geistlichen und politischen Mittelpunkt bildete die Île de la Cité, die Seine-Insel mit den Palästen des Bischofs und des Königs, beide ebenfalls noch weit von späterer Ausdehnung und Pracht entfernt. Das galt auch für die Kathedrale Notre-Dame, die erst ab den 1160er-Jahren in monumentalen Dimensionen neu errichtet wurde.