Der neue Bürgerkrieg - Ulrike Guérot - E-Book

Der neue Bürgerkrieg E-Book

Ulrike Guérot

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Beschreibung

Europa steckt tief in der Krise. Die von den Rechtspopulisten angestrebte Rückkehr zu nationalstaatlicher Konkurrenz kann nicht die Lösung sein. Ulrike Guérot plädiert für einen radikalen Neuanfang: Dem gemeinsamen Markt und der gemeinsamen Währung muss endlich eine gemeinsame europäische Demokratie folgen. Nur so können wir das weltoffene Europa bewahren, das die Mehrheit der Europäer nach wie vor will.

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Das Buch

Der europäische Rechtspopulismus spaltet die Nationen. Großbritannien, Österreich, die Niederlande, Polen, Ungarn oder Frankreich sind zutiefst zerrissene Gesellschaften. Anhänger und Gegner der populistischen Parteien stehen einander unversöhnlich gegenüber: Auf der einen Seite die europäischen Identitären, die Europa abschotten und seine überholte nationalstaatliche Ordnung beibehalten wollen, auf der anderen Seite eine liberale, progressive Zivilgesellschaft, die Europa dezentral, sozial und parlamentarisch organisieren möchte. Dieser historische Prozess ist notwendig und gut, so die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot. Denn der »neue Bürgerkrieg« macht den Weg frei für ein Europa, in dem die politische Positionierung wichtiger ist als die nationale Zugehörigkeit. Die Anhänger einer weltoffenen Zivilgesellschaft sind europaweit in der Mehrheit. Sie haben sich nur noch nicht zu einer politischen Bewegung verbunden. Sobald das geschieht, ist der Spuk von Renationalisierung und Populismus vorbei und der Weg frei für ein modernes, freiheitliches Europa jenseits der Nationalstaaten.

Die Autorin

Ulrike Guérot, Jahrgang 1964, ist Politikwissenschaftlerin, Gründerin und Direktorin des European Democracy Labs an der European School of Governance in Berlin und seit 2016 Professorin und Leiterin des Departments für Europapolitik und Demokratieforschung an der Donau-Universität Krems/Österreich. Sie hat zwanzig Jahre in Think-Tanks in Paris, Brüssel, London, Washington und Berlin zu Fragen der europäischen Integration und der Rolle Europas in der Welt gearbeitet. Ihr Buch Warum Europa eine Republik werden muss hat europaweit für Aufmerksamkeit gesorgt.

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ISBN 978-3-8437-1630-7

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2017

Lektorat: Christian Seeger

Umschlaggestaltung: Sabine Wimmer, Berlin

Umschlagfoto: Ullsteinbild – Müller-Stauffenberg

E-Book: LVD GmbH, Berlin

Alle Rechte vorbehalten.

Für Elmar Koenen

»Der Sinn von Politik ist Freiheit.«

Hannah Arendt

Vorab

Die einen sprechen von Kulturkampf, die anderen von Bürgerkrieg. Auf jeden Fall ist Europa in Aufruhr, sind die europäischen Gesellschaften tief gespalten. Gegenüber stehen sich einerseits die sogenannten Identitären – Marine Le Pen, Geert Wilders, Norbert Hofer oder Frauke Petry –, die durch ihr Frauenbild, ihre Islamophobie oder die Ablehnung von Homosexualität ein reaktionäres Weltbild vertreten und die Abschaffung der bestehenden europäischen Ordnung anstreben; auf der anderen Seite eine europäisch gesinnte Zivilgesellschaft, alarmierte Jugendliche oder besorgte Bürger als Verteidiger der europäischen Aufklärung im Sinne des Erbes der Französischen Revolution. Es ist keine Auseinandersetzung zwischen Nationen, sondern eine politisch-ideologische Frontstellung, die längst paneuropäisch verläuft.

In diesem Essay bezeichne ich diesen Prozess als den neuen europäischen Bürgerkrieg. Um jedem Missverständnis vorzubeugen: Nein, es geht nicht um Bürgerkriegssituationen wie in Syrien oder in der Ukraine. Noch ist alles – weitgehend – ruhig in Europa. Und doch erleben wir eine nicht gekannte verbale Aufrüstung. Marine le Pen, FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache oder die Oberrandalierer der AfD, Björn Höcke und André Poggenburg, führen das Wort »Bürgerkrieg« längst im Munde. Wir sollten das ernst nehmen, denn mit dem Credo der Berufsoptimisten, dass sich alles schon wieder einrenken wird, ist es nicht mehr getan – auch wenn der rechtspopulistische Auftrieb zunächst einmal gestoppt scheint und die Verteidigung Europas in diesem Frühjahr 2017 aufgrund vielfältiger politischer Verschiebungen und Initiativen eine neue Blüte erlebt.

Im europäischen Bürgerkrieg gegenüber stehen sich Globalisierungsverlierer und Globalisierungsgewinner, urbane Zentren und ländliche Regionen, Jung und Alt, Arm und Reich, Identitäre und Kosmopoliten. Es herrscht eine fast prärevolutionäre Situation, die mit dem klassischen politischen Schema von rechts und links nichts mehr zu tun hat; wohl aber mit dem Paradigma des Bürgerkriegs, nämlich Beherrschte gegen Herrschende oder eben »Volk« gegen Elite. Anders formuliert: Die europäischen Nationalstaaten zerfallen als politische Körper.

Dieser Moment der größten europäischen Krise seit Gründung der EU könnte zur Geburtsstunde eines neuen Europas werden, in dem die europäischen Nationalstaaten zu einer wirklichen politischen Einheit verschmelzen, weil die europäischen Bürger diese politische Einheit jenseits der Brüsseler Institutionen neu begründen. Oft gehen Bürgerkriege großen Einigungen voraus: So war es in Amerika 1865 oder in der Schweiz 1847. In Europa kann es friedlich bleiben, wenn wir uns jetzt auf den Weg machen, diesen Prozess zu gestalten, anstatt ihn zu leugnen oder zu erleiden. Europa kann Umbrüche friedlich gestalten, das haben wir 1989 erlebt.

Wenn wir die »granulare Stunde« Europas, in der wir uns befinden, den Moment der Fäulnis der europäischen Nationalstaaten, also richtig deuten, und zwar als Übergang von einem Aggregatzustand in einen anderen, dann können uns die Rechtspopulisten eine Mammutaufgabe abnehmen, indem sie die Nationalstaaten, die zu einen sie vorgeben, de facto spalten und damit kaputtmachen. Das würde es ermöglichen, die inzwischen von tatsächlicher Souveränität weitgehend entkernten Gehäuse der Nationalstaaten von der europäischen Landkarte zu entfernen. Gut so, denn sie müssen weg! Fast augenzwinkernd möchte man anmerken, dass der europäische Rechtspopulismus, der eine Reaktion auf den hyperventilierenden Neoliberalismus und die Fehlkonstruktion des Euro ist, jetzt vielleicht der Engels’schen Prognose zur Wahrheit verhilft, derzufolge der Kapitalismus zum »Absterben des Staates« führt.

Lassen wir also die Populisten diese Abrissarbeit leisten. In einem demokratischen Europa, in dem die Bürger tatsächlich der Souverän des politischen Systems sind, haben Nationalstaaten keinen Platz. Europa ist ohne die entschiedene Ablehnung des Nationalstaats als vermeintlichem Inhaber von Souveränität gar nicht denkbar. Sich daran zu erinnern ist das Gebot der Stunde!

Anstatt also wie das Kaninchen vor der Schlange des Rechtspopulismus zu kauern, sollten die europäischen Bürger das Zepter in die Hand nehmen und sich die Zerschlagung der Nationen durch die Populisten zunutze machen. Sie sollten einen emanzipatorischen Prozess in die Wege leiten, der ein vereintes Europa auf dem Grundsatz der allgemeinen politischen Gleichheit aller Bürger begründet und in dem Freiheit und Gleichheit in eine neue Beziehung zueinander gestellt werden. Ich nenne diesen Prozess den »europäischen Vormärz« – eine Road Map für alle, die über die derzeitigen Entwicklungen zutiefst besorgt sind. Motto für diese politische Neugründung Europas muss sein: ein Markt – eine Währung – eine Demokratie! Nur ein solcher Prozess vermag den europäischen Bürgerkrieg zu überwinden und das Übel des Rechtspopulismus, dessen Nistplatz der Nationalstaat ist, zu beseitigen. Die zentrale These in diesem Buch ist, dass es für diesen Weg europaweit eine große Mehrheit gibt – aber eben nur europaweit: Das politische Feld in Europa muss dafür restrukturiert werden! Diese Streitschrift soll einen Beitrag dazu leisten, dass endlich richtig über Europa diskutiert wird.

Teil IDie europäische Krise und ihre Ursachen

Europa im »Kalten Frieden«

»Ewiger Friede auf unserem Kontinent, Europa ist ohne Alternativen – das ist einfach nicht mehr zu halten.«

Frank-Walter Steinmeier

Es herrscht Unfrieden in Europa. Der Kontinent befindet sich im »Kalten Frieden« – da, wo der heiße Krieg zwischen EU-Staaten unmöglich erscheint und der Kalte Krieg bis auf weiteres vorbei ist. Europa scheint zur leichten Beute zu werden, wahlweise für Putin oder den Terror des IS. Es wird zerrieben durch äußere Einflüsse, denen es – von der Türkei über die Ukraine bis zum Syrienkrieg – kaum etwas entgegenzusetzen hat, vor allem eines nicht: Einigkeit. Allem voran scheitert Europa an sich selbst!

Die Parole »Nie wieder Krieg«, immer wieder beschworen von den europäischen Gründungsvätern bis zu heutigen Politikern, klingt hohl angesichts des »Kalten Friedens« innerhalb Europas und des Unfriedens mit der Außenwelt. Die europäische Friedenserzählung ist doppelt brüchig geworden. Es waren das kolossale Missmanagement der Eurokrise und dann die Flüchtlingskrise, die die politische Spaltung und die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Zerwürfnisse in Europa befördert haben, an denen die EU jetzt zu scheitern droht und die das Potential haben, sich zu einem Bürgerkrieg auszuweiten. Europa ist tief gespalten in Nord und Süd, Ost und West. Aber nicht nur das. Auch die nationalen Gesellschaften sind gespalten – und diese Spaltung macht die Nationalstaaten vollends unfähig, europäisch zu handeln.

Es sind nicht die Einzelphänomene, die Angst machen, sondern es ist die Zusammenschau aller Krisenerscheinungen, die einen Vorgeschmack auf den europäischen Bürgerkrieg bietet: Arbeitslosigkeit, Individualismus, Niedergang traditioneller Konfessionen, demographischer Wandel, Fundamentalismus, Terror, Migration und Flüchtlinge, Verarmung, drastischer Bildungsverfall, Kriminalität, Polarisierung zwischen Arm und Reich. Hinzu kommt überall in Europa die Konfrontation zwischen der »Elite«, der oligarchischen Politikerkaste, und unzufriedenen Populisten, die beanspruchen, »das Volk« zu sein. Der sich ankündigende europäische Bürgerkrieg ist de facto ein transnationaler Verteilungskampf und ein Kulturkampf, die beide national nicht mehr zu lösen sind und die zu lösen die EU kein Instrumentarium hat, weswegen sie an ihnen zugrunde geht – und die europäischen Demokratien dabei in den Abgrund zieht.

Das Wort von der »Weimarisierung Europas« geistert durch die Gazetten. Bei französischen Diners wird vom guerre civile gewispert, und das Aufgebot von Panzerfahrzeugen während der Nuit Debout an der Place de la République in Paris im Frühjahr 2016 war ein deutliches Zeichen. In Brüssel patrouilliert Militär, in Deutschland wird über den Einsatz der Bundeswehr im Innern diskutiert. Frankreich befindet sich im Dauer-Ausnahmezustand, an der Gare du Nord ist mehr Polizeiaufgebot als am Flughafen von Bogotá. Die aktuelle Beschwörung der Zivilgesellschaft kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass längst eine schleichende Militarisierung der europäischen Gesellschaften stattfindet. Auf dem Nährboden von Angst- und Sicherheitsdiskursen gedeiht der Überwachungsstaat.

»Der molekulare Bürgerkrieg beginnt ganz unmerklich, ganz ohne Mobilmachung«, schrieb Hans Magnus Enzensberger schon in den neunziger Jahren, als die derzeitige Krise Europas auch in schlimmsten Alpträumen nicht vorstellbar war. Nun ist sie da, und mit ihr ein neuer Aggregatzustand des Politischen, in dem alles zu zerfließen scheint – Recht, Sicherheit, Ordnung, Deutungshoheiten, Wahrheiten und morgen vielleicht Frieden, Freiheit, Demokratie, kurz: alles, was uns in Europa lieb ist. Stefan Zweigs DieWelt von gestern ist wieder ein Bestseller.

Jede Epoche ist unmittelbar zu Gott, schrieb Leopold von Ranke. Insofern wiederholt sich die europäische Geschichte von 1914 bis 1945 nicht. Nichts von damals lässt sich ernsthaft mit der heutigen Situation in der EU vergleichen, weder die gesellschaftliche noch die wirtschaftliche oder politische Struktur, auch nicht der historische oder globale Kontext. Und doch gibt es Parallelen zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts: eine rasante technologische Beschleunigung – was heute Internet und Roboter sind, waren damals Telegraphenmast und Flugzeug – und eine wachsende Zahl von Modernisierungsverlierern – damals die Masse der Landarbeiter und von der Industrie verdrängten Handwerker, heute die unqualifizierten und prekären Arbeitnehmer. Und nicht zuletzt eine »Krise der Männlichkeit«: Was damals die erste Demontage des Patriarchats durch das Frauenwahlrecht war, ist heute die Forderung nach 40 Prozent Frauen in den Vorständen. »Männlich« ist nach »Bildung« der zweitwichtigste Faktor bei rechtspopulistischen Voten. In seinem Buch Männerphantasien beschrieb Klaus Theweleit schon in den siebziger Jahren anschaulich, dass Nationalismus, Militarismus und Faschismus nicht zuletzt eine Reaktion auf die erste Frauenbewegung waren. Auch heute geht es, vor allem bei jungen Männern, wieder um Sicherheit und nationalen Rückzug, gepaart mit dem Wunsch nach starker Führung. In Europa inklusive Deutschland steigt einigen Studien zufolge die Zahl derer, die die Demokratie nicht mehr für die beste Staatsform halten. Wenn Zukunft ist, was ein wachsender Teil der Jugend will, dann ist es nicht gut um die Demokratie in Europa bestellt.

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