Wer schweigt, stimmt zu - Ulrike Guérot - E-Book

Wer schweigt, stimmt zu E-Book

Ulrike Guérot

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Beschreibung

Zwischen Wahn und Hoffnung Ein kämpferischer Text über den Zustand der Zeit. Und darüber, wie wir leben wollen. Wie wollen wir eigentlich leben? Nach zwei Jahren Pandemie, in zermürbten Gesellschaften, verformten Demokratien, polarisierten Debatten, erschöpfen Volkswirtschaften und eingeschränkten Freiheitsrechten, liegt diese Frage mitten auf dem europäischen Tisch! Ulrike Guérot hat ein wütendes Essay für all diejenigen geschrieben, die nicht so leben wollen wie in den letzten zwei Jahren; die einem Virus nicht noch ein demokratischen System hinterher schmeißen, und die ihre Freiheit nicht für eine vermeintliche Sicherheit verspielen wollen. Ein Buch gegen den transhumanistischen Zeitgeist, der mit einer als Lebensrettung maskierten Kontrollpolitik genau das verspielt, was das Mysterium des Lebens ausmacht.

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Seitenzahl: 159

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Ebook Edition

Ulrike Guérot

Wer schweigt,stimmt zu

Über den Zustand unserer Zeit. Und darüber, wie wir leben wollen

Mehr über unsere Autoren und Bücher:

www.westendverlag.de

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

1. Auflage 2022

ISBN: 978-3-86489-855-6

© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2022

Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin

Satz: Publikations Atelier, Dreieich

Druck und Bindung: CPI – Clausen & Bosse, Leck

Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort zur vierten Auflage

Vorbemerkung

Teil I Wo wir stehen

Teil II Was passiert ist

Teil III Was wir jetzt machen

Schlussbemerkung

Danksagung

Orientierungspunkte

Cover

Inhaltsverzeichnis

»Und doch kann nichts auf der Welt dem Menschen das ­Gefühl nehmen, dass er zur Freiheit geboren ist.«

Simone Weil

Für alle, die nicht so leben können, wie wir jetzt leben

Vorwort zur vierten Auflage

Direkt in der ersten Woche ist dieses Buch auf Platz 8 der Spiegel-Bestsellerliste eingestiegen, das freut mich natürlich sehr! Ziel des Essays ist es, eine breite gesellschaftliche Debatte über die Verformungen von Demokratie und Gesellschaft in Gang zu bringen, die sich während der Corona-Pandemie entwickelt haben und die es jetzt zu diskutieren gilt.

Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung* haben nur noch 42 Prozent der Deutschen Vertrauen in die Demokratie. 59 Prozent denken, dass es weniger gesellschaftlichen Zusammenhalt gibt als vor der Krise – wo doch Solidarität das große Thema während der Corona-Pandemie war –, und nur noch 16 Prozent haben Vertrauen in die Regierung. Laut WaMS vom 6. Februar sehen 23 Prozent Deutschland gar auf dem Weg in eine Diktatur. Es gibt also viel zu besprechen – und vor allem zu heilen – nach Monaten der gruppenspezifischen Ausgrenzung (um nicht zu sagen: Entrechtung) von Ungeimpften, gegen die aufgrund einer zementierten Deutungshoheit mit Blick auf das Pandemiegeschehen Kritik kaum erlaubt war: Es gab Kündigungen kritischer Menschen im Gesundheitswesen, im Journalismus oder der Wissenschaft. Eine ganz und gar ungewöhnliche, wenn nicht ungehörige Tatsache für eine Demokratie!

In vielerlei Hinsicht haben sich die Grundfesten der Demokratie in unserer Gesellschaft verschoben. Aufzuarbeiten, wie und warum dies passieren konnte, auch um daraus Lehren für die Zukunft zu ziehen, ist jetzt die Aufgabe. Auch deswegen freue ich mich über die breite Rezeption meines Buches und hoffe, dass es dazu einen konstruktiven Beitrag leistet!

Damit diese Debatte unbeschadet von den schweren Vorwürfen geführt werden kann, die einige Kritiker:innen auf Twitter am Sound des Buches geäußert haben – von einigen wenigen, aber einflussreichen Personen wurde er tatsächlich als »faschistoid« bezeichnet –, habe ich auf Seite 120 die beanstandeten Stellen umformuliert. Dies habe ich in der Hoffnung getan, dass damit eine offene Diskussion über die Inhalte, Thesen, Sorgen und Befürchtungen, die der Essay thematisieren will, mit eben jenen Kritiker:innen geführt werden kann. Ich möchte vermeiden, dass ein ganzer Essay wegen zwei oder drei von manchen als problematisch empfundener Begriffe in Gänze zurückgewiesen wird. Die Korrekturen sind mithin ein Angebot, um miteinander ins Gespräch zu kommen und um nicht zuzulassen, dass eine vordergründige Empörung einer grundlegenden Debatte im Wege steht.

Mir ist wichtig, zu betonen, dass ich für die gleiche Passage in Teil III von anderen Leser:innen überschwängliche Komplimente bekommen habe. Wörter wirken also unterschiedlich auf verschiedene Menschen.

Der Vorwurf, ich sei »faschistoid« oder bediene mich einer »Mafia-Sprache«, ist absurd. Die möglichen Konnotationen des Begriffs »Aufräumen« waren mir, ehrlich gesagt, fremd. Wahrscheinlich sagt das alles mehr über die Projektionen der Kritiker:innen aus als über die der Autorin.

Es gilt der Satz von Hannah Arendt: Wer sein Wort der Öffentlichkeit gibt, kann nicht kontrollieren, was mit ihm geschieht. Es gehörte leider zu den auffälligen diskursiven Mustern der Corona-Diskussion, dass dort, wo Argumente ausgegangen sind, nur noch die persönliche Anfeindung bleibt – das reichte bis zum Wunsch der massiven persönlichen Schädigung. If you can’t beat the argument, you need to get the person …

Die Notwenigkeit der »Distanzierung von rechts« aufgrund einer »Kontaktschuld« ist ebenso absurd, und es verwundert, dass nicht umgekehrt als Geste des Anstands die Beendigung der persönlichen Anwürfe gefordert wird. Von den meisten Leser:innen wird das Spiel der üblen Nachrede und eines bewussten framings dankenswerterweise durchschaut. Überhaupt sollte der Begriff der Kontaktschuld aus der Debatte eliminiert werden.

Die Twitter-Vorwürfe, die ich hier schildere, verweisen indes auf ein sehr grundsätzliches Problem unserer Medienlandschaft, und genau deswegen widme ich ihnen in diesem Vorwort einige Zeilen. Der im Grunde völlig unbedeutende Vorfall zeigt allzu gut, wie über die kleine Blase Twitter (nur 2 Prozent der Deutschen sind auf Twitter, darunter viele Journalist:innen) ein Eindruck erzeugt werden kann, der eben nur genau das ist: der Eindruck einer winzigen Blase, von der behauptet wird, dass sie eine Realität abbilde, in der aber vor allem persönliche Ressentiment öffentlich ausgetragen werden. Zum Zeitpunkt des kompromittierenden Tweets war ich zum Beispiel in Saarbrücken für einen Vortrag (in der FDP-nahen Villa Lessing) und habe vor einem vollen Saal einen riesigen Zuspruch für das Buch bekommen: So unterschiedlich können also Perzeptionen und Wirklichkeiten sein.

Ich kann nur hoffen, dass sich die interessierten Bürger:innen – und ich wende mich hier ausdrücklich auch an die Studierenden der Politikwissenschaften an der Universität Bonn – sich von dem medialen Rummel nicht beeindrucken lassen, vielleicht das Buch lesen oder einige der vielen Video-Clips dazu anschauen und sich ihre eigene Meinung bilden. Dann diskutieren wir darüber.

In der Hoffnung also, dass durch die kleinen Korrekturen die Steine – oder für einige: die Brocken – aus dem Weg geräumt sind, die ihnen den Zugang zu diesem Essay verstellt haben, freue ich mich auf eine breite, ehrliche, freudige, respektvolle, offene Diskussion! Die irritierenden Unterstellungen zeigen indes, wie wichtig diese Diskussion ist, wenn sich die unheilvollen Prognosen über den Zustand unserer Demokratie nicht bewahrheiten sollen. Wir müssen wieder lernen, einander zuzuhören, ohne Anfeindungen miteinander zu reden und respektvoll zu streiten. Es gibt überall, auch im Diskurs, viel zu heilen nach zwei Jahren Corona.

Ulrike Guérot

Berlin, im März 2022

Vorbemerkung

»Wir sind nicht auf der Welt. Das wahre Leben ist abwesend.«

Rimbaud, Une saison d‘enfer, Délires, I

Als am 16. März der erste Lockdown in Österreich verhängt wurde, wurde ich sehr stutzig. Noch war – obgleich die Bilder von Bergamo schrecklich waren und die Partys in den Clubs von Ischgl sich als Superspreading-Events erwiesen hatten – für die gesamte Bevölkerung keine reale, konkrete Gefahr in Sicht. Sicher war es richtig, vorsichtig zu sein angesichts einer Gefahr, die noch niemand wirklich einschätzen konnte. Aber ein Lockdown ist keine Vorsicht, sondern eine drakonische Maßnahme, die vor allem Angst schürt. Auch jenes »Nous sommes en guerre contre un virus« – »Wir sind im Krieg gegen ein Virus« – schien mir ähnlich unangemessen und übertrieben und eine wenig hilfreiche Stimmung hervorzurufen.

In diesen ersten Märztagen 2020, als man in Österreich eine Stunde legal joggen durfte, fand ich mich einmal am Donaukanal in Wien, weit und breit allein auf weiter Flur, auf einer Parkbank, den Kopf wie Diogenes gen Frühlingssonne gerichtet, als vier bewaffnete Polizisten mich baten, den öffentlichen Raum zu räumen. Der Vorfall war so bizarr, dass ich ab da der Überzeugung war, dass ein Großteil der Gesellschaft kollektiv in eine Übersprungshandlung getreten ist. Viele trugen etwa noch im eigenen Auto Masken. Alle drängten unter Panik in einen Zug, der immer schneller an Fahrt aufnahm. Es war der Zug der Coronamaßnahmen. Wer, wie ich, nicht in diesen Zug eingestiegen ist, hat das Zeitgeschehen von einer anderen Warte aus beobachtet und ist heute von der Gesellschaft entfremdet. Zwei Jahre schon fährt dieser Zug unaufhaltsam einem Ziel entgegen, das niemand mehr kennt. Diejenigen, die nicht eingestiegen sind, sind nur noch Zuschauer:innen eines Zeitgeschehens, das politisch und sozial höchst merkwürdig geworden ist und in dem die Fundamente von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Gesellschaft inzwischen ernsthaft gefährdet sind.

Corona bin ich vielfach begegnet. Mein Sohn und seine Freundin hatten es, ebenso viele Freunde und Bekannte. Insgesamt kenne ich rund 50 Personen, die Corona hatten. Eine an Adipositas erkrankte Person musste auf der Intensivstation behandelt werden; zwei weitere Freund:innen hatten zehn Tage eine sehr schlimme Zeit mit Atemnot und beträchtlichem Gewichtsverlust. Alle anderen eine sehr unangenehme, bettlägerige Woche; oder auch gar nicht viel außer dem bekannten Geschmacksverlust. Nichts davon schien mir einen gesellschaftlichen Ausnahmezustand in nie dagewesener Weise über zwei lange Jahre zu rechtfertigen.

Gleichzeitig konnte man – fast umgekehrt proportional zur Datenlage – eine fast komplette Retraktion der Diskussion über das Corona-Geschehen erleben: es gab immer mehr einseitige Berichterstattungen, Ausgrenzung von Expert:innen, die eine andere Meinung vorbrachten, und kritische Wissenschaftler:innen, die aus Beratungsgremien entlassen wurden. Es gab auf einmal Nachzensur bei öffentlich-rechtlichen Anstalten, ebenso wie auf den Plattformen der sozialen Medien. Ich persönlich musste im August 2021 eine Rufmordkampagne über mich ergehen lassen, weil ich – wie viele andere – auf Ungereimtheiten in der offiziellen Corona-Berichterstattung, auf das Framing von Zahlen oder die rechtliche Problematik von 2G hingewiesen habe. Viele, die das taten, wurden – schlimm genug – von rechts vereinnahmt. Ich hingegen habe mich gewundert, warum nur die politische Rechte die Maßnahmen als unverhältnismäßig kritisierte, während die politische Mitte sie begrüßte und immer mehr davon forderte. Auf einmal konnte man die eigenen Argumente nur noch in Zeitungen oder auf Webseiten lesen, die man vorher nicht mal mit der Kneifzange angepackt hätte: in der BILD-Zeitung, der Achse des Guten oder in FPÖ-Blättchen. Damit aber war die Frage auf dem Tisch: Ist man rechts, wenn man in einer konkreten Frage Argumente teilt, die man gerne woanders – etwa in der ZEIT oder der FAZ – gelesen hätte? Und teilt man, wenn man ein Argument mit einer politischen Gruppierung teilt, die man ansonsten als ziemlich unmöglich erachtet, konsequenterweise alle anderen Positionen dieser Gruppierung? Natürlich nicht! Vielmehr muss man diese Argumente schleunigst dieser Gruppierung abnehmen und wieder in die politische Mitte bringen!

Die Gefahr des »Beifalls von der falschen Seite« ist nicht nur das falsche Argument, es ist das totalitäre Argument, wusste schon Hans Magnus Enzensberger. Sonst überlässt man anderen die Kontrolle darüber, was man selbst denken darf. Wenn der das sagt, darf ich das nicht denken, weil der andere eben pfui ist. So ungefähr hat das Kontaktschuld-Argument über lange Monate im Corona-Diskurs funktioniert. Das ist aber ungefähr so, als würden alle aufhören, zum Beispiel #MeToo gut zu finden, wenn – sagen wir mal Donald Trump – morgen twittern würde, er fände #MeToo gut. Dieser Text hier wurde Anfang Januar 2022 von dem österreichischen Verlag, für den ich ihn ursprünglich geschrieben hatte, abgelehnt, nicht etwa, weil der Text schlecht sei, sondern weil man befürchtete, man werde den Reaktionen auf sozialen Medien nicht Herr. Ach so? Nach der Selbstzensur kommt die Zensur, kann man da nur sagen. Umso dankbarer bin ich dem Westend Verlag, dass er den kleinen Band jetzt veröffentlicht!

Zurück zu der anderen Warte, von der aus dieser Text geschrieben ist. Von dieser Warte aus besehen stehen die Demokratien in ganz Europa – inklusive der EU selbst – an einem kritischen Kipppunkt. Zwei Jahre haben die politischen Systeme aufgrund der Coronammaßnahmen gleichsam den Atem anhalten müssen und sind jetzt kurz vor dem Kollaps, wie jemand, der zu lange unter Wasser taucht. Eine ganze Gesellschaft befindet sich in einem nie geknannten gesellschaftlichen Erregungszustand, eine Demonstration jagt die andere. Doch wenn (politische) Systeme einmal kippen, dann kippen sie. Eine Lawine fängt am Berghang keiner mehr auf und wir sind schon längst auf abschüssiger Piste. Mir wird mulmig, wenn ich beobachte, wie sehr wir unsere Rechtsordnung schon verdreht und die Freiheit schon verspielt haben, gefangen in einem »Bann der Gegenwart«,1 der uns den Blick dafür verstellt, wie groß die gesellschaftlichen Kollateralschäden und die rechtlichen Verformungen unserer Demokratien schon sind.

Der politische Kairos im Frühjahr 2022 zeichnet sich schon ab: Entweder gelingt es, einen inzwischen unhaltbaren, auf immer mehr Widersprüchen und einem kolossalen Datensalat aufbauenden Corona-Diskurs zu entlarven und dem politischen Schrauben an der Maßnahmen-Spirale, vor allem aber der Verstetigung der Maßnahmen ein Ende zu setzen, also ein demokratisches System wieder in seine Spur zu bringen. Oder das System wird notwendigerweise autoritär, weil ein Systemversagen kaschiert und de facto ein Lügengebäude stabilisiert werden muss. Impfpflicht, Impfregister und grüner Pass könnten dann die letzten Tropfen werden, die die jetzt schon durch Populismus und Nationalismus fragil gewordenen Demokratien in Europa in den undemokratischen Abgrund stürzen.

Zum Zeitpunkt, in dem diese Zeilen geschrieben werden, Ende Januar 2022, hat man das Gefühl, dass die – wie oben beschrieben – längst rollende Lawine des Corona-Diskurses weiter an Fahrt aufnimmt und eigentlich nur noch die Frage ist, wann sie wo aufprallt. Während die amtliche Corona-Erzählung, auf der die Politik zwei Jahre lang immer absurdere, unverhältnismäßige und tief in die Grundrechte eingreifende Maßnahmen begründet hat, mit jedem Tag mehr in sich zusammensackt, an dem neue Studien über die relative Wirkungslosigkeit der Impfung, über Impfschäden sowie über die kolossalen gesellschaftlichen Kollateralschäden erscheinen, hält die Regierung in Deutschland unbeirrt an der Impfpflicht als einziger Lösung fest, über die Mitte März im Bundestag abgestimmt werden soll, und entfernt sich damit von der empirischen Realität wie das blubbernde Yellow Submarine der Beatles. Ernsthaft wird inzwischen darüber nachgedacht, der Impfpflicht arbeits- und sozialrechtliche Sanktionen folgen zu lassen, sodass perspektivisch die fehlende Impfung etwa ein Grund für die Nicht-Einstellung in Betrieben oder den Nicht-Bezug von Hartz IV ist. Ganz sachlich und ohne mit der Wimper zu zucken wird mithin über den kompletten rechtlichen Ausschluss und de facto die Existenzvernichtung von rund 25 Prozent der deutschen Bevölkerung diskutiert.

Man muss unwillkürlich an jenes Bild der drei Affen denken, die sich Augen, Mund und Ohren zuhalten. Auch der Blick ins europäische Ausland, gar in die Welt, scheint nicht zu helfen, wenn er denn getätigt wird. In Spanien wurde Corona im Januar heruntergestuft zu einer normalen Grippe, alle Bars sind offen, Impfpässe werden im öffentlichen Raum nicht mehr kontrolliert. Dänemark hat alle Maßnahmen aufgehoben, ebenfalls Großbritannien, das seit dem Freedom-Day zwar hohe Infektionszahlen vermeldete, aber keinen statistisch signifikanten Anstieg der Todeszahlen und auch keine Überlastung der Krankenhäuser (obgleich es im Vergleich zu Deutschland etwa viermal weniger Intensivbetten gibt). In weiten Teilen Amerikas ist Corona längst vorbei, in vielen Ländern Afrikas – ganz ohne Impfung – sowieso. Auf dem Balkan ist die Lage entspannt, in Bosnien-Herzegowina hat das Verfassungsgericht 2G verboten. Das öffentliche Leben ist dort zurück, ohne Masken und ohne Kontrolle. In Österreich, wo die Impfpflicht schon eingeführt wurde, hat der Verfassungsgerichtshof Ende Januar ein Konvolut an Fragen an Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein geschickt, das alle kritischen Fragen und Bedenken über die empirische Datenlage und die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen enthält, die bis dato nur von sogenannten Querdenkern vorgetragen wurden und die an den Grundfesten der Pandemie-Erzählung rütteln. Dieser Fragenkatalog hat das Potenzial, in Österreich nicht nur die Impfpflicht, sondern gleich die ganze Regierung zu kippen – was sich dann auch auf die deutsche Politik auswirken dürfte. Auch in Deutschland verwerfen Gerichte schon die 2G-Regeln, die gerade überall umfallen wie Kegel. In Kanada haben sich die Truck-Fahrer Ende Januar zu einem einmonatigen Generalstreik gegen den mandatory vaccination act entschieden, wobei der Streik das Potenzial hat, das ganze Land durch die Unterbrechung von Lieferketten lahmzulegen. Premierminister Justin Trudeau hat sich, so berichtete der britische Guardian, offensichtlich an einen geheimen Ort zurückgezogen, weil er der Lage nicht mehr Herr wird. Kurz: zwei Jahre Pandemie-Erzählung werden in einem anschwellenden Strom aus öffentlichem Protest einerseits und immer neuen wissenschaftlichen Studien andererseits, die zunehmend deutlich machen, that the cure is worse than the disease, weggerissen: Der Dammbruch in der Coronadebatte kündigt sich an.

Das Gefährliche an dieser Situation beziehungsweise Diskussion ist, dass Argumente eben nicht mehr zählen, dass es eben nicht mehr um Logik, Kausalitäten oder Vernunft geht, sondern die Politik sich ideologisiert. Mit Wissenschaft kommt man gegen Absurditäten gerade nicht mehr an. Das eklatanteste Beispiel hierfür ist Ende Januar 2022 die Herabstufung des Genesenenstatus auf drei Monate, über Nacht, ohne parlamentarische Grundlage und bar jeder wissenschaftlichen Grundlage. Das macht die Wissenschaft schon jetzt zu einem großen Verlierer der Krise. In Deutschland hat sich etwa in der dritten Kalenderwoche 2022 die sogenannte ARE-Rate den vier Millionen akuten Atemwegserkrankungen, die für diese Jahreszeit statistisch normal sind, angenähert, was eigentlich Grund für eine Entwarnung oder Normalisierung sein könnte. Das ändert aber nichts daran, dass immer noch rund 60 Prozent der Deutschen für eine Impfpflicht sind und Karl Lauterbach einigen Umfragen zufolge Deutschlands beliebtester Politiker ist. Man weiß angesichts der offensichtlichen Diskrepanz zwischen politischem Geschehen und Faktenlage gar nicht mehr, was man noch alles vortragen müsste, um in ein Glaubenssystem, das sich völlig verkapselt hat, noch Argumente vordringen zu lassen. Es gibt inzwischen in der Coronadebatte eine Geschlossenheit der politischen Mitte, einen gedanklichen, emotionalen und mentalen Block, der absolut monolithisch ist und keine noch so naheliegenden Irritationen von außen zulässt. Innerhalb dieses monolithischen Blocks klingen die Argumente logisch; jede Regung, sei es durch normalen Menschenverstand, seien es humane oder moralische Einwände gegen eine Politik, die sich verselbstständigt hat, werden komplett ausgeblendet. Da können durchaus historische Reminiszenzen geweckt werden, zumal die Freiheit immer scheibchenweise stirbt.

Die eigentliche Gefahr ist daher, dass sich die deutsche (oder auch die italienische oder französische) Politik inzwischen verkeilt hat. Sie findet offensichtlich keine Exitstrategie mehr, weil eine in weiten Teilen inzwischen paralysierte Bevölkerung der Auffassung ist, dass noch irgendetwas in Sachen Corona geschehen muss. Aufgrund dieser Erwartungshaltung braucht die Krise notwendig einen inszenierten Abschluss und dafür muss die Politik handeln. Ein einfaches Auslaufenlassen der Maßnahmen geht nicht mehr, dazu wurden die Dinge schon viel zu weit getrieben – oder vielleicht auch zu viele Impfdosen gekauft, die jetzt nicht einfach verfallen dürfen:2 Die Impfpflicht wäre eine solche Symbolpolitik, ein Tribut an eine Öffentlichkeit, der nach zwei Jahren überhitzter Diskussion und Fütterung mit Angst nicht mehr klargemacht werden kann, dass das staatliche Handeln die ganze pandemische Situation bestenfalls verschlimmbessert hat. Insofern gilt es jetzt in diesem Moment des politischen Kairos, dafür Sorge zu tragen, dass unsere Demokratien bei diesem Balanceakt durch stürmische Zeiten on the good side of the equation herauskommen, wie ein amerikanischer Freund sagen würde. Sicher ist das nicht, denn – wie die Geschichte weiß – können gerade Demokratien, die auf gutes Wetter gepoolt sind, in Krisenzeiten sehr rasch ins Autoritäre abrutschen, und zwar meistens so, dass die Mehrheit es nicht einmal bemerkt.

Das Gefährliche an der Situation ist, dass die Politik gegenüber ihrer eigenen Bevölkerung immer gut dastehen muss und darum strukturell kein Schuldeingeständnis machen kann. So schreibt Michel de Montaigne in seinen Essays: »Ein Junge aus Sparta, der einen Fuchs gestohlen und unter seinem Rock verborgen hatte, wollte, weil er die Schande der Dummheit mehr fürchtete als die Strafe, lieber erdulden, dass er ihm den Bauch zerfleische.«Die Politik heute ist jener Junge aus Sparta. Um der Schande der Dummheit zu entkommen, wird lieber ein ganzes politisches System zerstört. Denn wer könnte die Verantwortung, die Regressforderungen schultern, wenn sich auch nur ein Bruchteil dessen bewahrheiten sollte, was inzwischen an validierten Informationen in sozialen Medien kursiert? Niemand! Zu viele gesellschaftliche Gruppen sind massiv in ihren Leben geschädigt, Existenzen zerstört, Steuergelder verschwendet, Kinder misshandelt worden, als dass man politisch zugeben könnte, dass das Krisenmanagement unverhältnismäßig, um nicht zu sagen: falsch oder gar fatal gewesen ist. Denn der Staat darf nicht der Schädigung überführt werden!