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Der Leiter der Mühldorfer Spurensicherung, Friedrich Fuchs, wird wegen Mordes an seinem Nachbarn verhaftet. Man wirft ihm vor, ihn mit seiner Axt erschlagen zu haben. Fuchs bestreitet die Tat vehement. Die Kollegen sind von seiner Unschuld überzeugt, auch wenn alle Indizien gegen ihn sprechen. Je tiefer Leo Schwartz und seine Kollegen graben, desto mehr steht fest: Fuchs soll als Sündenbock herhalten. Aber hinter allem steckt sehr viel mehr. Mehr, als sich die Kriminalbeamten vorstellen können…
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Seitenzahl: 331
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Irene Dorfner
Der perfekte Sündenbock
Leo Schwartz ... und die Toten in der Brechtstraße
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
Impressum
Ein persönliches Anliegen:
ANMERKUNG:
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Liebe Leser!
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Von der Autorin sind bisher folgende Bücher erschienen:
Über die Autorin Irene Dorfner:
Impressum neobooks
Copyright © 2018 – Irene Dorfner
2.überarbeitete Auflage 2021 Copyright –
© Irene Dorfner, Postfach 1128, 84495 Altötting
www.irene-dorfner.com
All rights reserved
Lektorat: Felicitas Bernhart, D-84549 Engelsberg
EarL und Marlies Heidmann, Spalt
Den 25. Fall von Leo Schwartz & seinen Freunden/Kollegen möchte ich zum Anlass nehmen, mich bei allen zu bedanken, die mich auf meinen Reisen durch die Kriminalfälle begleitet haben:
Allen voran möchte ich mich bei meinen treuen Lesern bedanken, die immer mitgefiebert und mitgelitten haben. Mit einigen habe ich in den ganzen Jahren einen persönlichen Kontakt aufgebaut und darf mich auch bei themenbezogenen Fragen immer an sie wenden – das hilft mir sehr!!
Ich bin immer froh über jedes Feedback und freue mich über einen persönlichen Austausch mit meinen Lesern ([email protected], Facebook: www.facebook.com/IreneDorfnerAutorin). Meldet euch doch einfach…
Professionelle Hilfe bekam ich von der „echten“ Kriminalpolizei Mühldorf und von der JVA Mühldorf (sowie auch aus der Schweiz). Vielen Dank!!
Auch Freunde und Familie haben mich immer unterstützt und ermutigt. Eine ehrliche Meinung gab es obendrauf. Auch euch allen: Vielen Dank!!
Die Reisen mit Leo Schwartz & Co. gehen weiter. Ich freue mich darauf!!
Viel Spaß beim Lesen des 25. Falles und liebe Grüße aus Altötting,
Die Personen und Namen in diesem Buch sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Der Inhalt des Buches ist reine Fantasie der Autorin.
Auch hier sind Ähnlichkeiten rein zufällig.
Die Örtlichkeiten wurden den Handlungen angepasst.
…und jetzt geht es auch schon los:
Rudolf Krohmer stürmte wütend ins Besprechungszimmer der Mordkommission im bayerischen Mühldorf am Inn. An seiner Seite war Staatsanwalt Eberwein, der sehr angespannt wirkte. Krohmer warf eine dünne Mappe mit lautem Knall auf den Tisch und setzte sich.
„Was ist denn mit Ihnen los?“, wollte Werner Grössert wissen, der den Chef selten so erlebte.
„Fuchs wurde verhaftet“, brach es aus Krohmer heraus.
„Was hat er angestellt?“
„Ihm wird Mord und schwere Körperverletzung vorgeworfen, er sitzt in U-Haft. Fuchs ist vermutlich auf seine Nachbarn losgegangen. Er hat einen Mann mit der Axt erschlagen und dessen Sohn damit schwer verletzt.“
„Fuchs? Niemals! Wir alle kennen ihn. Er mag mürrisch und unfreundlich sein, aber er hält sich immer strikt an die Gesetze. Er würde niemals auf jemanden mit einer Axt einschlagen. Nein, das glaube ich nicht.“ Der dreiundfünfzigjährige Leo Schwartz war bester Laune und hatte nicht vor, sich diese verderben zu lassen. Er lachte sogar, denn es stand für ihn außer Frage, dass der Leiter der Spurensicherung in irgendeiner Form straffällig geworden war. Alle, nur nicht Fuchs.
„Lassen Sie das dämliche Grinsen, Schwartz, die Sache ist ernst. Mord und schwere Körperverletzung sind kein Spaß.“
„Nur die Ruhe, Chef. Wir gehen der Sache nach und dann wird sich alles aufklären“, sagte Leo gelassen. Für ihn war es selbstverständlich, dass sich die Sache rasch klären würde.
„Verstehen Sie denn nicht? Wer, denken Sie, hat Fuchs verhaftet? Wir nicht!“
„Wenn ich da einhaken darf“, mischte sich Eberwein ein. „Ich habe kurz nach Auffinden der beiden Opfer Wind von der Sache bekommen und habe umgehend reagiert. Wir wollen doch nicht, dass ein schlechtes Licht auf die Mühldorfer Kriminalpolizei fällt, indem man Vetternwirtschaft unterstellt. Ich hielt es daher für das Beste, den Fall anderweitig zu vergeben. Die Kollegen aus Landshut haben den Fall übernommen. Um die Ermittlungen zu vereinfachen, habe ich mich dafür eingesetzt, dass der Kollege Fuchs in die JVA nach Landshut gebracht wird.“ Eberwein lehnte sich zurück. Er war stolz darauf, dass er gerade noch rechtzeitig reagieren konnte. Dass es ihm nicht um die Mühldorfer Polizei, sondern um sein eigenes Ansehen ging, behielt er selbstverständlich für sich.
Alle sahen den Staatsanwalt an.
„Wir sind nicht zuständig und dürfen nicht ermitteln?“
„Ja, so ist es“, sagte Krohmer sichtlich um Fassung bemüht. „In Anbetracht des vorliegenden Falles war die Entscheidung des Staatsanwaltes richtig und wurde wohlwollend vom Innenministerium aufgenommen. Es ist bekannt, dass wir in unserer Polizeiinspektion ein gutes Verhältnis unter den Mitarbeitern pflegen. Auch ich möchte nicht, dass meiner Polizei unterstellt wird, nicht ordentlich zu ermitteln. Ich möchte mit Nachdruck betonen, dass der Fall nicht uns gehört und dass es keine Ermittlungen von unserer Seite aus gibt.“ Krohmer sah den Staatsanwalt an, der zufrieden nickte und sich einige Notizen machte. Seinen Kugelschreiber führte er schwungvoll über den dicken Block.
„Es ist mir völlig gleichgültig, ob wir zuständig sind, oder nicht“, rief der fünfundfünfzigjährige Hans Hiebler aufgebracht. Er schnaubte vor Wut. Trotz der draußen vorherrschenden Kälte hatte er das Hemd weit offen. Außerdem umgab ihn auch heute wieder ein betörender Herrenduft, der neu sein dürfte, denn niemand kannte diese äußerst herbe, aber angenehme Note. „Ich kenne Fuchs seit vielen Jahren und schätze ihn als Kollegen, auch wenn er mir oft mit seiner schlechten Laune auf die Nerven geht“, fuhr Hans fort. „Wenn Fuchs Schwierigkeiten hat, steht es für mich außer Frage, dass ich ihm helfe. Wofür sind Kollegen denn da? Ich würde dasselbe erwarten, wenn ich mich in einer ähnlichen Lage befände.“
Leo und Werner stimmten sofort zu. Tatjana Struck hielt sich zurück. Die achtunddreißigjährige Leiterin der Mordkommission hatte den Kollegen Fuchs als mürrisch und unsympathisch kennengelernt. Ob der kleine, schmächtige Mann gewalttätig werden konnte oder sogar ein Mörder war? Warum nicht? Sie hatte schon Pferde kotzen sehen. Außerdem würden sich kompetente Kollegen darum kümmern und die würden den Fall sicher aufklären.
Rudolf Krohmer musste für einen kurzen Moment schmunzeln, was den anderen nicht entging. Er hatte damit gerechnet, dass die männlichen Kollegen, die Fuchs seit vielen Jahren kannten, so reagieren würden. Frau Struck war noch nicht lange in Mühldorf und würde sich an seine Anweisung halten. Krohmer vertraute darauf, dass die Männer sie überzeugen würden, sobald sie die Unterlagen durchgelesen hatten, die er in aller Eile besorgt hatte und die jetzt vor ihm auf dem Tisch lagen.
„Ich verbiete Ihnen, in dem Fall zu ermitteln“, wiederholte Krohmer mit fester Stimme. „Die Landshuter Kollegen sind zuständig. Sie haben die klare Anweisung, nichts zu unternehmen. Ich hoffe, wir haben uns verstanden. Sollte mir etwas Gegenteiliges zu Ohren kommen, werde ich sehr ungemütlich. Das war es für heute.“ Krohmer stand auf und ging, dicht gefolgt vom Staatsanwalt. Der hatte die Blicke und das Schmunzeln des Mühldorfer Polizeichefs als einziger nicht bemerkt.
„Haben Sie Ihre Leute nicht zu hart angefasst?“
„Nein, das denke ich nicht. Frau Struck ist kein Problem, sie wird nichts unternehmen. Bei Grössert, Hiebler und Schwartz bin ich mir da nicht so sicher. Ihnen muss man deutlich machen, dass ich es nicht dulden werde, wenn im Fall Fuchs ermittelt wird. Ich hoffe, Sie sind zufrieden, Herr Eberwein.“
„Ja, das bin ich durchaus. Gut gemacht, Herr Krohmer.“
Leo, Werner, Tatjana und Hans stürzten sich auf die Mappe, die Krohmer zurückgelassen hatte. Den vieren war klar, was Krohmer im Schilde führte. Offiziell durften sie nichts unternehmen, die Anweisung war deutlich und konnte vom Staatsanwalt bestätigt werden. Trotzdem erwartete der Chef, dass sie sich sehr wohl um den Fall kümmerten.
Die spärlichen Informationen gingen reihum. Dann war es still.
„Für die Fuchs zur Last gelegten Taten gibt es keine Zeugen. Die Fotos des Toten und des Verletzten sehen schlimm aus.“
„Die Tatwaffe wurde kurz nach Fuchs‘ Verhaftung auf dessen Grundstück von einem Bauarbeiter in der Erde gefunden. Der Mann arbeitete an einem geplanten Gewächshaus. Das ist doch lächerlich. Jeder könnte die Tatwaffe dort vergraben haben.“
„Fuchs‘ Aussage spricht nicht gerade für seine Unschuld. Die beiden Opfer und unser Kollege waren direkte Nachbarn und hatten mehrere Auseinandersetzungen, was Fuchs bestätigt hat und wofür es vermutlich jede Menge Zeugen gibt. Allerdings bestreitet er, den Nachbarn getötet und dessen Sohn niedergeschlagen zu haben. Schon gar nicht mit einer Axt, die zugegebenermaßen ihm gehört.“
„Passen die Verletzungen überhaupt zu der Tatwaffe?“
„Keine Ahnung, darüber steht nichts in den Unterlagen.“
„Ich finde keinen Hinweis darauf, weshalb man Fuchs als Täter verdächtigt. Gut, der Tatort ist vermutlich sein Grundstück, außerdem hat man die Tatwaffe, die Fuchs gehört, auch da gefunden. Aber er bestreitet die Tat und es gibt keine Zeugen.“
„Die Sache stinkt“, sagte Leo. „Wenn es sich um einen Fremden handeln würde, wäre die Sache klar. Aber Fuchs? Niemals! Dem will man was anhängen.“
„So sehe ich das auch.“
„Und wenn ihr euch irrt? Wenn Fuchs tatsächlich die Taten begangen hat?“, warf Tatjana ein.
„Und dann ist er so blöd und vergräbt die Tatwaffe genau an der Stelle, an der gerade gegraben wird? So dumm ist Fuchs bestimmt nicht. Nein, ich stimme Leo zu: Die Sache stinkt!“ Hans war sich sicher, dass dem so war. Tatjana war nicht überzeugt. Alle versuchten die Kollegin mit Beispielen auf ihre Seite zu ziehen, was ihr mehr und mehr auf die Nerven ging. Ja, gegen vieles hatte sie nichts einzuwenden, trotzdem war ihr der Leiter der Spurensicherung mit seiner ruppigen, unfreundlichen Art ein Dorn im Auge. Hans und Werner gaben auf, aber Leo redete sich in Rage.
„Hör endlich auf!“, rief sie irgendwann genervt. „Ich mag Fuchs nicht und aufgrund dessen, was ich gelesen habe, ist der Mann für mich vorerst der Täter, auch wenn mir ebenfalls die vorliegenden Beweise dürftig erscheinen. Aber ich werde euch helfen. Schon allein deshalb, damit du mich endlich in Ruhe lässt, Leo. Eins sage ich euch gleich: Ich habe keine Lust, mich in der Saukälte draußen herumzutreiben. Ich bleibe im Warmen und sammle Informationen über die Zimmermanns. Vor allem die Verletzungen des Sohnes interessieren mich, denn davon steht hier nichts.“
„Ich helfe dir“, sagte Werner schnell, der seit Tagen eine leichte Erkältung mit sich herumschleppte und auch nicht scharf auf einen Außeneinsatz war.
„Dann fahren wir beide zu Fuchs‘ Haus. Wir sehen uns dort um und sprechen mit den Nachbarn.“
„Aber vorsichtig, ihr habt den Chef gehört“, mahnte Tatjana.
Friedrich Fuchs saß in einer kargen Zelle und verstand die Welt nicht mehr. Er wurde in aller Herrgottsfrühe von der Polizei aus dem Bett geklingelt und dann hatte man ihn mit Vorwürfen konfrontiert, die völlig an den Haaren herbeigezogen waren. Er hätte den alten Zimmermann getötet und dessen Sohn schwer verletzt. Schwachsinn! Wie einen Schwerverbrecher hatte man ihn abgeführt. Von Landshuter Kollegen, die in Mühldorf in seinen Augen überhaupt nicht zuständig waren. Wo waren seine hiesigen Kollegen? Und warum hatte man ihn bis nach Landshut verfrachtet, wo Mühldorf doch eine sehr angesehene JVA hatte?
Für Fuchs stand fest, dass sich das Ganze als Irrtum herausstellte und dass man ihn zeitnah freilassen würde. Fuchs war wütend und verschränkte die Arme. Wer sich bei ihm entschuldigen musste, stand noch nicht fest. Aber das würden viele, sehr viele sein.
Fuchs behielt die Tür im Auge. Jeden Moment musste jemand kommen und ihn freilassen. Aber nichts geschah. Wie lange musste er noch warten? War es klug, auf einen Anwalt zu verzichten? Ja, denn er hatte sich nichts vorzuwerfen.
Er mochte die beiden Zimmermanns nicht, die ihn ständig mit irgendwelchen Vorwürfen überhäuften. Ja, er selbst stand darin in nichts nach und reagierte seit zwei Jahren auf die vielen unberechtigten und geradezu lächerlichen Anzeigen, die beinahe jeden Monat ins Haus flatterten, mit Gegenanzeigen. Das war zwar nicht die feine Art, aber er fühlte sich bei seinen Anzeigen im Recht.
Wie kamen die Landshuter Kollegen nur auf die völlig absurde Idee, ihn des Mordes und der Körperverletzung zu bezichtigen?
Die Zeit verging und seine Wut stieg. Wie lange musste er denn noch auf seine Freilassung warten? Wo waren seine Kollegen, wenn man sie brauchte? Konnte es sein, dass sie ihn im Stich ließen? Nein, daran wollte er nicht glauben. Es dauerte sicher nicht mehr lange, und er konnte endlich in ein bekanntes Gesicht blicken.
Tatjana stöhnte, als sie auf die Berge von gegenseitigen Anzeigen sah, die sich vor ihr auf dem Tisch türmten. Seit Jahren tobte ein Nachbarschaftskrieg zwischen Fuchs und den Zimmermanns, der weit zurückging und der sich in den letzten Monaten verschärft hatte.
„Wahrscheinlich wissen die nicht mehr, wie der Streit überhaupt angefangen hat“, schüttelte Werner fassungslos den Kopf. „Ich verstehe nicht, wie es so weit kommen kann, dass man nur noch so miteinander kommuniziert. Unfassbar!“
„Das geht schneller als du denkst“, sagte Tatjana, der die Ursache hübsch egal war. Hier prallten Charaktere aufeinander, die sich offensichtlich nicht ausstehen konnten. Sie ärgerte sich nur darüber, dass sich Gerichte damit beschäftigen mussten. Aber das war nicht ihr Problem, das ging sie nichts an.
Leo und Hans waren überrascht, als sie vor Fuchs‘ Haus in der Brechtstraße standen.
„Hast du diesen Pomp erwartet?“, fragte Leo fassungslos. „Ich habe mir Fuchs immer in einem kleinen, dunklen Hexenhaus vorgestellt. Aber das hier ist ja eine Luxusimmobilie in sehr privilegierter Lage.“
„Die Lage hier ist echt top, keine Frage. Eine Zufahrtsstraße und nur sechs Häuser, die man eher als Anwesen bezeichnen könnte. Und ringsherum nichts außer Natur - echt klasse. Ich habe gehört, dass Fuchs nicht zu den ärmeren Mitbürgern gehört. Er stammt aus reichem Hause, er hat von mehreren Seiten geerbt. Diese Wohnlage ist echt der Wahnsinn und entspricht nicht unserer Gehaltsklasse.“
„Hör doch auf, der von Fuchs aber auch nicht. Wenn er wirklich geerbt hat, dann muss das jede Menge gewesen sein. Von einem Beamtengehalt schaffst du das zu Lebzeiten nie und nimmer. Lebt Fuchs allein hier?“
„Keine Ahnung. Sehen wir uns auf dem Grundstück um, danach befragen wir die Nachbarn.“
„Machen wir. Obwohl es mich reizen würde, mich auch innen umzusehen.“
„Mich auch, aber das vergessen wir lieber. Nicht am helllichten Tag.“ Leo lächelte. Es war klar, dass sie damit warten mussten, bis es dunkel war und die Nachbarn schliefen.
„Schönes Grundstück, toll angelegt“, bemerkte Hans. Dann sah er die Absperrbänder der Polizei. Ein großes Loch klaffte vor einem Minibagger. Weit und breit war kein Arbeiter zu sehen.
„Hier wurde die Tatwaffe gefunden, das ist klar. Und wo soll der Mord passiert sein?“
„Auf der Terrasse.“
„Auf welcher? Von hier aus sehe ich zwei.“ Leo sah sich um, während Hans vor dem Baggerloch kauerte. Irgendetwas gefiel ihm nicht. Die Erde war aufgelockert, das kam sicher nicht von dem Bagger.
„Hans! Komm her!“, rief Leo, der auf der kleinsten der insgesamt drei Terrassen Blutflecken und Kreidezeichnungen entdeckt hatte.
„Das ist alles? Hier soll ein Mord passiert sein? Mit einer Axt? Müsste da nicht die Terrasse mit Blut vollgetränkt sein? Und wo wurde der Sohn niedergeschlagen? Auch hier? Das ist viel zu wenig Blut.“
„Das denke ich auch. Wenn hier der Tatort ist und dort hinten die Axt gefunden wurde, müsste sie von hier bis dahin gelangt sein.“ Leo ging den Weg langsam ab. „Ich sehe nichts. Es könnte sein, dass Spuren bereits gesichert wurden, wovon aber nichts in den Unterlagen zu lesen war. Die Informationen sind nicht vollständig. Du weißt, was das heißt?“
„Ich nehme an, dass Krohmer und der Staatsanwalt nicht umfassend informiert wurden.“
„Wir müssen irgendwie an die Tatortfotos kommen, mit Mutmaßungen kommen wir hier nicht weit.“
„Befragen wir die Nachbarn, vielleicht können die uns weiterhelfen. Siehst du die Gardine, die sich dort bewegt? Mit dem Haus fangen wir an.“
Der Staatsanwalt war endlich weg und Krohmer atmete erleichtert auf. Warum hatte Eberwein gerade heute so viel Zeit und textete ihn zu?
Krohmer griff zum Telefon und rief Dr. Wilhelm Grössert an, den Vater von Werner Grössert und seines Zeichens Anwalt in Mühldorf. Er erklärte dem Mann ausführlich, was vorgefallen war. Auch Krohmer hatte die Vermutung, dass die Unterlagen, die ihm vorlagen, nicht vollständigen waren, was er Dr. Grössert auch mitteilte.
„Ich spreche mit Herrn Fuchs. Wenn er nicht möchte, dass ich ihn vertrete, kann ich leider nicht mehr tun.“
„Ich habe erfahren, dass Fuchs jeglichen juristischen Beistand ablehnt. Der Sturschädel ist sich offensichtlich nicht bewusst, in welcher Lage er sich befindet. Machen Sie ihm klar, dass es sehr schlecht um ihn steht.“
„Ich werde mein Möglichstes tun, versprochen. Wer sagten Sie, leitet die Ermittlungen?“
„Sebastian Wild.“
„Mit ihm spreche ich zuerst und lasse mir die aktuellen und hoffentlich vollständigen Unterlagen aushändigen, wovon Sie selbstverständlich Kopien bekommen, Herr Krohmer. Erst, wenn ich auf dem aktuellen Stand der Ermittlungen bin, gehe ich zu Herrn Fuchs und versuche, ihn als Mandanten zu gewinnen.“
„Vielen Dank, Dr. Grössert. Sie tun mir damit einen persönlichen Gefallen.“
„Merken Sie sich das für die Zukunft, Herr Krohmer, ich komme gelegentlich darauf zurück.“
Dann rief Krohmer Tatjana Struck an, die immer noch die diversen Anzeigen sortierte, um sich einen Überblick zu verschaffen.
„Haben Sie Neuigkeiten für mich?“
„Noch nicht, Chef. Wir sind dabei, Informationen über die Opfer und das Verhältnis zu Fuchs zu sammeln.“
„Und?“
„Das sieht nicht gut aus. Die drei haben sich nicht gemocht, das beweisen diverse Anzeigen von beiden Seiten. Wegen jedem kleinen Mist haben die sich gestritten. Könnte es nicht sein, dass die Sache doch eskaliert ist?“
„Nein, auf keinen Fall. Fuchs ist unschuldig und damit basta!“ Krohmer knallte den Hörer auf. Er wollte nicht hören, dass man an der Unschuld seines langjährigen Mitarbeiters zweifelte. Er schätzte Fuchs sehr und wollte einfach nicht glauben, dass er zum Verbrecher wurde.
Der Tag war für Krohmer gelaufen, als ihn der Anruf Eberweins erreichte. Er hatte sich nach einem ausgiebigen Frühstück gerade von seiner Frau verabschiedet und war auf dem Weg ins Büro. Fassungslos hatte Krohmer mit anhören müssen, was Fuchs vorgeworfen wurde und dass es der Mühldorfer Kriminalpolizei untersagt war, in dem Fall zu ermitteln. Verdammter Eberwein! Warum hatte sich der Mann in die Sache eingemischt? Hätte er seine Finger rausgelassen, wären sie für den Fall zuständig gewesen und alles wäre sehr viel leichter. Jetzt mussten seine Leute verdeckt ermitteln, was vermutlich früher oder später Probleme mit sich brachte. Aber darum würde er sich kümmern, wenn es so weit war. Viel mehr ärgerte ihn, dass er sich darum bemühen musste, an die erforderlichen Unterlagen den Fall betreffend zu kommen. Das war nicht leicht. Er traute Eberwein nicht über den Weg. Schon lange hatte er den Eindruck, dass ihn der Staatsanwalt auf dem Kieker hatte. Warum, war ihm noch nicht klar.
Krohmer musste aktiv werden, auch wenn das dem Staatsanwalt nicht schmeckte. Davon musste der ja nichts erfahren. Sebastian Wild leitete die Landshuter Mordkommission. Ein kompetenter und verdienter Kollege, der in Krohmers Augen immer korrekt arbeitete. An ihn musste er sich halten. Dessen Kollegen Habermas, Ackermann und Liebl kannte er nur flüchtig.
Krohmer zögerte nicht, sondern rief Wild an.
„Ja?“, meldete der sich knapp. Als Wild verstand, wer ihn anrief, veränderte sich dessen schlechte Laune schlagartig. „Herr Krohmer? Sie rufen persönlich an? Welche Ehre!“
Krohmer war einen Moment irritiert. War das sarkastisch gemeint oder wie musste er das verstehen?
„Ich nehme an, Sie wissen, warum ich anrufe.“
„Klar. Jeder weiß, dass Ihnen Ihre Leute am Herzen liegen. Wir würden uns über einen solch fürsorglichen Chef auch freuen, sind aber mit unserem auch so zufrieden. Sie wollen Informationen den Fall Fuchs betreffend? Sie wissen, dass ich Ihnen eigentlich nichts sagen darf.“
„Das ist mir bekannt. Trotzdem wollte ich es zumindest versuchen. Ich kenne den Kollegen Fuchs schon sehr viele Jahre und schätze ihn sehr. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass er einen Mann verletzt haben soll, von einem Mord oder Totschlag ganz zu schweigen. Ich habe hier nur wenige Informationen vorliegen…“
„Woher stammen die?“
„Sie können sich vorstellen, dass ich meine Quellen habe.“
Sebastian Wild stöhnte laut. Es stimmte also, was man über Krohmer sagte – und er musste sich jetzt mit ihm herumschlagen. Wild war nicht scharf drauf gewesen, diesen Fall zu übernehmen. Er konnte riechen, dass das nur Ärger mit sich bringen würde und darauf konnte er gerne verzichten. Seit heute früh bearbeitete er den Fall und schon liefen Dinge hinter seinem Rücken ab, was er absolut nicht mochte. Wer hatte dem Mühldorfer Polizeichef die Unterlagen gegeben? Und wie sollte er jetzt auf die Anfrage reagieren?
Krohmer wurde nervös. Wie würde Wild sich entscheiden? Die Tatsache, dass er bereits im Besitz einiger Informationen war, gefiel Wild nicht, das konnte Krohmer verstehen. Aber persönliche Befindlichkeiten waren fehl am Platz. Es war klar, dass Krohmer jeden seiner Kontakte nutzen würde, der ihm irgendwie helfen konnte. Er hatte die wenigen Informationen von einem Freund aus der Abteilung für Drogendelikte in Landshut bekommen, der ihm noch einen Gefallen schuldig war. Als die losen Seiten per Fax eintrafen, war Krohmer enttäuscht gewesen, aber diese spärlichen Informationen waren besser als nichts. Eberwein hatte sich nicht für die Mappe interessiert, die er bei der kurzen Besprechung mit den Kollegen bei sich hatte. Zum Glück.
Wild sagte kein Wort, es entstand eine lange Pause.
„Herr Wild? Sind Sie noch da?“
„Selbstverständlich. Sie haben gewonnen, Herr Krohmer. Da Sie ja sowieso keine Ruhe geben und ich befürchte, dass Sie ohne mein Entgegenkommen jede Menge Unruhe stiften, werde ich Ihnen gegenüber mit offenen Karten spielen.“
„Wie darf ich das verstehen?“
„Das bedeutet, dass ich Sie auf dem Laufenden halten werde, womit ich gegen meine Anweisungen handele. Allerdings habe ich Bedingungen, die Sie dafür erfüllen müssen, sonst erfahren Sie von mir nichts.“
„Wie lauten Ihre Bedingungen?“
„Kein Wort darüber, woher Sie Ihre Informationen haben.“
„Das versteht sich von selbst, ich kann schweigen.“
„Jede Information den Fall betreffend, die auf Ihrem Tisch landet, wird umgehend an mich weitergeleitet. Dabei ist es irrelevant, ob der Kollege Fuchs be- oder entlastet wird.“
„Einverstanden.“
„Außerdem wird sich die Mühldorfer Polizei aus dem ganzen Fall raushalten. Sollte ich mitbekommen, dass da irgendetwas läuft, werde ich ungemütlich.“
„Völlig klar“, log Krohmer, der längst wusste, dass seine Kollegen ermittelten. „Ich habe meine Leute dahingehend heute Morgen instruiert. Hierzu können Sie gerne den Staatsanwalt Eberwein befragen, er war dabei.“
„Das werde ich, Herr Krohmer, darauf können Sie sich verlassen.“
„Noch eine Bedingung?“
„Nein. Wenn Sie sich daran halten, versorge ich Sie mit allem, was den Fall betrifft. Ich frage besser nicht, welche Informationen Sie bereits haben. Gehen wir davon aus, Sie wissen bisher nichts. Geben Sie mir Ihre Mailadresse, dann bekommen Sie, was wir bis jetzt haben.“
„Sie sind sehr kooperativ, Kollege Wild. Wenn ich ehrlich bin, hätte ich nicht damit gerechnet.“
„Das glaube ich Ihnen gerne. Sie halten sich an unsere Vereinbarungen, ich verlasse mich auf Sie.“ Noch während Wild sprach, wusste er, dass sich Krohmer nicht daran halten würde. Er an seiner Stelle würde das vermutlich auch nicht tun.
Sebastian Wild scannte die Unterlagen ein. Er kannte Krohmer nicht persönlich, dafür aber Hans Hiebler, der eine sehr hohe Meinung von seinem Chef hatte. Hans und er hatten sich während einer Fortbildung kennengelernt und sich auf Anhieb verstanden. Eine schöne Erinnerung, die durch dieses schreckliche Verbrechen getrübt wurde. Wild wollte nicht in Krohmers Haut stecken, sobald dieser die Unterlagen auf dem Tisch haben würde.
Rudolf Krohmer hatte kein schlechtes Gewissen. Ja, er hatte gelogen, was die hiesigen Ermittlungen betraf. Allerdings stand für Fuchs sehr viel auf dem Spiel. Er sah es als seine Pflicht an, alles zu versuchen, um ihm zu helfen.
Die Informationen erreichten ihn nur zwanzig Minuten später. Was Krohmer da las, verschlug ihm die Sprache.
Dr. Wilhelm Grösserts Nerven wurden von Fuchs stark strapaziert. Anfangs war Fuchs durchaus freundlich und auch erleichtert gewesen, als er ein ihm bekanntes Gesicht sah. Als er aber verstand, dass Krohmer ihm einen Anwalt besorgt hatte, anstatt ihn unverzüglich hier rauszuholen, wurde er bockig. Er weigerte sich die Vertretungsvollmacht für Dr. Grössert zu unterzeichnen, da das seiner Meinung nach nicht notwendig war. Außerdem beantwortete er nur wenige Fragen, und wenn, dann nur widerwillig.
Dr. Grössert hatte irgendwann keine Lust mehr.
„Hören Sie mir gut zu, Dr. Fuchs. Sie atmen jetzt tief durch und kommen runter von Ihrem hohen Ross. Offensichtlich haben Sie immer noch nicht verstanden, was Ihnen vorgeworfen wird. Herr Krohmer hat mich geschickt, damit ich Ihnen helfe. Und Sie brauchen definitiv einen Anwalt, das dürfen Sie mir glauben.“
„Das ist doch lächerlich! Die beiden Zimmermanns sind Trottel und Querulanten, wie sie im Buche stehen. Ich wünschte beiden mehrfach die Pest an den Hals. Und das in aller Öffentlichkeit, damit jedem klar war, wie ich zu den beiden stehe. Und ich habe mich gewehrt. Aber nicht körperlich, sondern mit Anzeigen, die alle begründet waren. Niemals hätte ich die beiden auch nur angefasst, das ist nicht mein Stil. Ja, ich habe mich den Zimmermanns entgegengestellt, was mein gutes Recht war. Alle anderen Nachbarn haben vor denen gekuscht, aber ich nicht. Ich möchte, dass Sie wissen, dass ich weder den Alten umgebracht, noch den anderen mit einer Axt verletzt habe. Wie kommt die Polizei nur darauf?“
„Weil alle Indizien dafürsprechen.“
„Welche Indizien sollen das sein? Raus mit der Sprache!“
Dr. Grössert stöhnte. Fuchs war einer der schwierigen Mandanten, das war klar.
„Ich habe mir die Unterlagen angesehen und ehrlich gesagt bin ich immer noch erschrocken darüber, was ich lesen musste.“
„Ach ja? Dann nennen Sie mir doch diese Indizien, von denen Sie gesprochen haben. Los! Ich warte!“
War Fuchs tatsächlich so ahnungslos, wie er tat? Dr. Grössert musste den Mann nun endlich mit der Wahrheit konfrontieren, damit der endlich begriff, worum es ging. Er legte ihm mehrere Fotos vor.
„Ihnen gehört diese Axt?“
„Ja, das habe ich diesem Wild gegenüber bereits zugegeben. Allerdings habe ich sie schon seit Jahren nicht mehr benutzt. Sie lag in meinem Schuppen und staubte dort ein.“
„Die Axt wurde nicht im Schuppen gefunden. Sie wurde vergraben. Und es sind auch Ihre Fingerabdrücke drauf. Nicht viele, aber sie wurden nachgewiesen.“
„Logisch, die Axt gehört mir ja, schon vergessen? Und wer das Ding in meinem Garten vergraben hat, weiß ich nicht. Wenn ich aber denjenigen erwische, dann kann der was erleben! Wo kommen wir denn hin, wenn jeder in meinem Garten graben darf. Das ist schließlich mein Privatgrund und fällt unter den Tatbestand des Hausfriedensbruches!“
Dr. Grössert musste sich zusammenreißen, er durfte sich von dem Mann nicht aus der Ruhe bringen lassen.
„Josef Zimmermann lag tot auf Ihrer Terrasse, er wurde mit Ihrer Axt erschlagen.“
„Ja, auch das habe ich von Wild bereits erfahren. Ich habe keine Ahnung, wie Zimmermann dort hinkommt und wer ihn getötet hat. Die Polizei soll nach demjenigen suchen, der sich erdreistet, Menschen auf meinem Grund und Boden zu töten. Wie sieht meine Terrasse eigentlich aus? Die Blutflecke gehen doch nie wieder raus!“ Fuchs war genervt. All das wusste er bereits. Was sollte das? Hatte er nicht deutlich ausgesagt, dass er nichts damit zu tun hatte?
„Es ist erwiesen, dass Sie sich nicht mit Ihren Nachbarn verstanden haben…“
„Nur mit den Zimmermanns nicht, mit allen anderen verstehe ich mich sehr wohl.“
„Trotzdem gibt es eine Verbindung zwischen den Taten und Ihnen…“
„Kommen Sie mir jetzt nicht schon wieder mit dieser Axt, die kann mir jeder entwendet und im Garten vergraben haben. Sie wissen sehr gut, dass das alleine für eine Anklage nicht ausreicht. Holen Sie mich hier endlich raus!“
„Das würde ich sehr gerne, aber mir sind momentan die Hände gebunden. Es gibt ein Beweisstück, das Sie in Verbindung mit dem Mord und der Körperverletzung bringt und das in Ihrem Haus gefunden wurde.“ Dr. Grössert schob ein Foto über den Tisch. Fuchs besah es sich genau.
„Das ist mein Jackett“, sagte er. „Was sind das für Flecken? Das ist nagelneu. Was…?“
„Blut von Josef und Olaf Zimmermann.“
„Aber wie …?“ Fuchs starrte Dr. Grössert fragend an.
„Das ist die Frage. Wie kommt das Blut beider auf Ihr Jackett?“
Fuchs war kreidebleich geworden. Jetzt verstand er die Beweiskette, die nur ihn als Täter zuließ. Er selbst wäre zu keinem anderen Ergebnis gekommen.
„Ich schwöre Ihnen, dass ich nichts damit zu tun habe.“
„Deshalb bin ich hier.“
„Herr Krohmer hat Recht gehabt, ich brauche einen Anwalt.“ Endlich unterzeichnete Fuchs die Vollmacht, wodurch er nun offiziell einen Verteidiger hatte. „Danke, dass Sie hier sind, Dr. Grössert. Unternehmen Sie alles in Ihrer Macht stehende, um mich hier rauszuholen, ich bin mit allem einverstanden.“
„Das höre ich gerne, denn ich habe eine Idee, die teuer werden könnte.“
„Sofern Sie nur den Funken einer Chance darin sehen, machen Sie es. Geld spielt keine Rolle.“
Dr. Grössert war irritiert. Der sonst so zurückhaltende, kühle und mürrische Mann flehte ihn geradezu an. Er schien endlich begriffen zu haben, dass seine Lage aussichtslos war.
Leo und Hans brauchten nicht klingeln, eine Frau erwartete sie bereits mit einem breiten Grinsen.
„Sie sind von der Polizei, stimmt’s? Ich bin Henriette Albrecht.“
Die beiden zeigten ihre Ausweise vor, die die Frau nicht interessierten.
„Dürfen wir Ihnen ein paar Fragen stellen?“
„Gerne! Ich wurde heute früh zwar schon befragt, aber der nette Polizist wollte nicht viel wissen. Ihm ging es nur darum, ob ich von den Verbrechen an den Zimmermanns etwas mitbekommen habe, was ich verneinte. Aber das wissen Sie ja, Sie kennen sicher meine Aussage. Ich hätte dem jungen Mann gerne mehr erzählt, aber er schien in Eile, was ich verstehen kann. Das ist alles so aufregend! Sie müssen wissen, dass ich ein riesiger Fan von Krimis bin, sowohl von Filmen, als auch von Büchern. Ich liebe es, wenn man nicht weiß, wer der Täter ist.“
„Dürfen wir reinkommen?“, fragte Hans mit einem charmanten Lächeln. Die Frau vor ihm war weit über siebzig, aber noch recht rüstig für ihr Alter. Sie war über und über mit Schmuck behängt, der nicht nur glitzerte und funkelte, sondern bei jeder Bewegung laut klimperte. Und sie bewegte sich viel, denn beim Sprechen redete auch der Körper mit.
„Entschuldigen Sie meine Manieren! Bitte, kommen Sie herein, ich mache uns Kaffee. Setzen Sie sich in den Wintergarten, dort brennt ein wärmendes Feuer. Das ist mein liebster Platz im Haus. Als mein Mann noch lebte, war er immer gegen einen Wintergarten. Auch von einem offenen Kamin war er partout nicht zu überzeugen. Nach seinem Tod konnte ich mir meinen Traum erfüllen. Mein Mann war ein ganz lieber und ich vermisse ihn sehr. Er hatte einen tiefschwarzen Humor und teilte die Krimileidenschaft mit mir. Allerdings war er Neuem gegenüber immer sehr skeptisch.“ Die Frau redete ohne Punkt und Komma. Sie ging einfach weiter in die Küche und redete lauter.
Leo und Hans setzten sich in den gemütlichen Wintergarten.
„Der Kaffee kommt gleich. Bitte setzen Sie sich doch“, sagte Frau Albrecht und strahlte die Beamten an. „Legen Sie los. Stellen Sie Ihre Fragen.“
„Ist Ihnen zu dem, was heute Nacht geschah, noch irgendetwas eingefallen?“
„Nein, ich habe wirklich nichts davon mitbekommen. Der Anruf meines Nachbarn hat mich geweckt. Bis ich zum Fenster kam, war schon fast alles vorbei.“ Sie schüttelte den Kopf. „Der alte Zimmermann ist tot und der Olaf ist verletzt. Es musste ja irgendwann so weit kommen, mich wundert das nicht.“
„Wie müssen wir das verstehen?“
„Sie wissen nicht, dass sich die beiden, wenn sie gesoffen haben, ständig an die Gurgel gegangen sind? Ein Geschrei war das immer, das können Sie sich nicht vorstellen. Die haben sich nicht nur in ihrem Haus, sondern auch im Garten und auf der Straße geprügelt. Wenn die so richtig in Fahrt waren, konnte man die nicht trennen. Mein Mann hatte es einmal versucht, so wie Karl, Lutz und sogar der schmächtige Wolfi. Aber dann haben die Zimmermanns auch auf die Streitschlichter eingeprügelt. Wir haben uns in den letzten Jahren alle zurückgehalten, nur der Fritz, also Herr Fuchs, hat den Zimmermanns immer die Stirn geboten. Der hat sich nichts gefallen lassen, den haben die Drohungen nicht eingeschüchtert.“
„Karl, Wolfi und Lutz?“
„Meine Nachbarn. Der Karl wohnt in der Nummer drei, der Wolfi in der vier und der Lutz in der zwei. Sie werden meine Nachbarn ja persönlich kennenlernen. Sie werden sie ja auch noch einmal vernehmen?“
„Befragen, Frau Albrecht, nicht vernehmen.“
„Stimmt, das ist ein Unterschied, den ich immer durcheinanderbringe. Für mich ist das nicht wichtig, rechtlich vermutlich schon. Es ist besser, Sie wenden sich wegen den Zimmermanns direkt an Fritz. Sie waren doch vorhin an seinem Haus. War er nicht zuhause? Ich habe ihn heute noch nicht gesehen. Er arbeitet immer so viel und kann das hübsche Haus und den wunderschönen Garten kaum genießen. Ich weiß bis heute nicht, was er macht, aber das geht mich auch nichts an. Ich habe ein persönliches Anliegen, das ich dringend mit ihm besprechen muss. Ist er nicht da?“ Sie stand auf und trat ans Fenster. „Fritz müsste da sein, sein Wagen steht in der Einfahrt.“
„Nein, Herr Fuchs ist nicht zuhause. Und er kommt vermutlich auch so schnell nicht wieder.“
„Wie muss ich das verstehen?“ Jetzt war die geschwätzige Frau zum ersten Mal sprachlos. Sie starrte Hans an, der die Unterhaltung mit ihr führte, während sich Leo jede Menge Notizen machte.
„Herr Fuchs wurde verhaftet. Er steht in Verdacht, Josef Zimmermann ermordet und dessen Sohn Olaf verletzt zu haben.“ Hans war kurz davor, der Frau zu verraten, dass Fuchs ein Kollege war, unterließ es aber.
„Fritz soll das getan haben? Nie im Leben! Der liebe Mann ist doch nicht gewalttätig. Ich bewunderte ihn immer dafür, wie er den beiden die Stirn bot und sich nicht aus der Ruhe bringen ließ, auch wenn er noch so provoziert wurde. Sie müssen mir glauben, dass der Mann nicht der Täter ist!“ Frau Albrecht schien Hans geradezu anzuflehen, ihr zu glauben.
„Wir stehen erst am Anfang unserer Ermittlungen und suchen nach jedem kleinen Hinweis, der uns weiterhelfen kann.“
Die alte Dame stand kopfschüttelnd auf und ging in die Küche, um den Kaffee zu holen. Als sie das Tablett auf den Tisch stellte, war sie immer noch außer sich.
„Wir sind jetzt hier und werden die ganze Sache aufklären, darauf können Sie sich verlassen“, mischte sich nun Leo ein.
„Danke, das beruhigt mich etwas“, lächelte sie nun auch. Sie tranken von dem viel zu starken Kaffee, den Leo nur mit sehr viel Zucker und noch mehr Milch runterschlucken konnte. Frau Albrecht schien der Kaffee nichts auszumachen.
„Sie haben einen herrlichen Blick auf das Grundstück von Herrn Fuchs. Konnten Sie in den letzten Tagen irgendetwas beobachten, was Ihnen merkwürdig vorkam?“
„Fritz hatte vor, ein Gewächshaus zu bauen, so wie meines. Wollen Sie es sehen? Es wurde erst vor wenigen Tagen fertig und ich bin mächtig stolz darauf. Auch ein Vorhaben, das ich erst jetzt umsetzen konnte, mein Mann wollte kein Gewächshaus. Er sagte immer, das wäre für zwei Personen ein viel zu großer Aufwand. Was für ein Blödsinn! Wollen Sie es nun sehen?“
„Später, Frau Albrecht.“
„Das Gewächshaus von Fritz sollte dort hinkommen, wo der Bagger steht. Wir haben bei einem Gespräch über den Zaun über einen geeigneten Platz dafür diskutiert und auch ich befand, dass ein Gewächshaus dort geradezu genial sei. Fritz hatte mich um meine Meinung gebeten, da ich mich lange mit diesem Thema beschäftigt hatte. Sie glauben ja nicht, was man alles beachten muss, wenn man ein Gewächshaus bauen möchte. Ich habe Fritz Rede und Antwort gestanden, was ich sehr gerne gemacht habe. Das muss vor drei Wochen gewesen sein, während bei mir die Arbeiten noch im Gange waren. Die Zimmermanns hatten Wind von Fritz‘ Vorhaben bekommen und hatten natürlich wieder Einwände. Egal, was Fritz auch machte und nicht machte, die beiden hatten immer etwas zu meckern. Die Zimmermanns gingen ganz besonders gegen das geplante Gewächshaus vor. Warum, war uns allen schleierhaft, denn das geplante Objekt lag nicht einmal annährend in deren Blickfeld. Fritz war so anständig, uns alle über sein Vorhaben zu informieren und bat um unser schriftliches Einverständnis, das wir ihm selbstverständlich gaben. Alle, bis auf die Zimmermanns natürlich. Olaf Zimmermann hat sogar Anzeige erstattet und hat herumgebrüllt, dass er sich einen Anwalt nehmen möchte.“
„Gegen Ihr Gewächshaus gab es keine Einwände?“
„Nein. Ich habe einen Bauantrag gestellt und der wurde genehmigt. Außerdem konnten die Zimmermanns nichts dagegen haben, da sich mein Gewächshaus hinter dem Haus befindet. Ich hatte Bedenken wegen der Lieferungen, die doch sehr umfangreich waren, aber das habe ich geschickt gelöst. Ich habe alles ganz früh morgens anliefern lassen. Da schliefen die beiden noch und konnten sich nicht beschweren. Bis die in die Gänge kamen, war alles längst vorbei.“ Frau Albrecht lachte spitzbübisch.
„Haben Sie jemanden auf dem Grundstück Ihres Nachbarn gesehen?“, hakte Leo nach, während Hans genüsslich die leckeren, selbstgebackenen Kekse aß.
„Die Zimmermanns trieben sich immer auf Fritz‘ Grundstück herum, das war nichts Besonderes, auch wenn sich Fritz darüber immer aufregte. Er hätte die beiden schon oft deswegen anzeigen können, hatte aber keine Beweise. Er bat uns alle um eine Zeugenaussage, aber wir haben gepasst. Keiner von uns wollte sich mit den Zimmermanns anlegen, ich auch nicht. Ich mache auf Sie vielleicht einen taffen Eindruck, aber im Grunde genommen bin ich feige. Sie müssen mich verstehen, ich bin eine alte Frau und möchte meinen Lebensabend in Ruhe verbringen. Fritz war enttäuscht, hat uns unser Verhalten aber nicht übelgenommen. Vor einigen Wochen hat er die Zimmermanns auf seinem Grundstück erwischt und Anzeige erstattet, das hat er mir bei unserem letzten Gespräch mitgeteilt.“
„Was können Sie uns über die Zimmermanns berichten?“
„Die beiden sind uns allen ein Dorn im Auge, vor allem der Zustand deren Hauses. Jeder achtet darauf, dass das Eigentum gepflegt wird, aber nicht die Zimmermanns. Seit die Frau weg ist, verkommt alles. Nicht nur Haus und Garten, sondern auch Josef und Olaf verwahrlosen immer mehr. Was wird denn jetzt aus dem Haus, wenn der Alte tot ist?“
„Keine Ahnung, das wird an anderer Stelle geklärt.“
„Wie geht es Olaf? Wann kommt er wieder? Wie lange haben wir Ruhe vor ihm?“
„Das wissen wir noch nicht, wir haben mit Olaf und dem behandelnden Arzt noch nicht sprechen können.“
Henriette Albrecht beschrieb sehr lebhaft jeden einzelnen ihrer Nachbarn. Dann folgten viele Geschichten über die ungeliebten Nachbarn, die allesamt schrecklich und auch amüsant waren. Dabei schenkte sie ständig Kaffee nach. Als der alle war, holte sie eine Flasche Likör und Gläser aus dem hübschen, alten Wohnzimmerschrank – jetzt war es höchste Zeit zu gehen.
Henriette Albrecht sah den beiden Polizisten hinterher. Sie hatte ein pikantes Anliegen, wofür sie Hilfe brauchte. Ob sie die Polizisten damit hätte belästigen können? Nein, sie kannte die beiden nicht. Sie wartete lieber, bis ihr Nachbar Fritz wieder zurück war, ihm vertraute sie.
Leo und Hans gingen zum angrenzenden Haus der Nummer vier. Wolfgang Auer war sehr reserviert. Er gab der Polizei eine Mitschuld an dem, was in der Nacht passiert war.
„Wie oft ich die Polizei gerufen habe, geht auf keine Kuhhaut. Die beiden hätten längst weggesperrt gehört, die waren eine Gefahr für die Allgemeinheit. Aber das interessiert die Polizei ja erst, wenn jemand zu Schaden kommt.“
„Hör auf, Wolfi, reg dich nicht auf“, hielt ihn seine Frau Thea zurück. Die beiden waren Mitte sechzig und seit zwei Jahren in Rente. Sie wohnten die längste Zeit in der Brechtstraße. Das Haus hatten sie im Jahre 1964 selbst gebaut und über die vielen Jahre mühsam abbezahlt. Leo und Hans fühlten sich beide in dem Haus sehr unwohl. Warum das so war, konnten sie sich nicht erklären. Es war sauber und ordentlich, aber es gab keinerlei Dekorationen. Kein einziges Bild, keine Pflanze, kein Nippes. Nichts, was ein Heim hätte gemütlich machen können. Ob es daran lag, dass sie sich nicht wohlfühlten?
„Haben Sie Ihrer heutigen Aussage noch irgendetwas zuzufügen?“, fragte Hans.
„