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Täglich in den Medien verbreitete Begriffe wie "Fundamentalisten", "Extremisten" oder "Terroristen" assoziieren den Islam mit irrationalen Formen von Gewalt- und Herrschaftsausübung. Das vorliegende Buch lässt die Protagonisten der islamischen Welt selbst zu Wort kommen, deren Stimmen nach dem "Arabischen Frühling" lauter und vernehmbarer geworden sind. Imad Mustafa stellt die bekanntesten politischen islamischen Bewegungen und Denker in einen historischen und gesellschaftlichen Kontext, indem er ihre programmatischen Schriften und Reden übersetzt und kritisch analysiert. Er tritt damit zugleich den Nachweis an, dass es sich bei den vorgestellten Gruppen aus dem Nahen Osten und Nordafrika um genuin politische Organisationen handelt.
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Seitenzahl: 410
Imad Mustafa Der Politische Islam
© 2013 Promedia Druck- und Verlagsgesellschaft m.b.H., Wien Lektorat: Hannes Hofbauer
ISBN: 978-3-85371-814-8 (ISBN der gedruckten Ausgabe: 978-3-85371-360-0)
Fordern Sie unsere Kataloge an: Promedia Verlag Wickenburggasse 5/12
Imad Mustafa wurde 1980 in Esslingen/Baden-Württemberg als Sohn palästinensischer Gastarbeiter geboren. Er studierte Politologie, Orientalistik und Soziologie an den Universitäten Heidelberg, Damaskus und Frankfurt/Main und arbeitet als freischaffender Publizist zum Nahost-Konflikt und zur Palästinafrage.
Die arabische Welt befindet sich seit Beginn der Aufstände im Frühjahr 2011 im Aufruhr. In Tunesien, Ägypten, Libyen, Syrien, Bahrain und Jemen erhoben sich desillusionierte junge Menschen ohne Arbeit und Perspektive gegen die verkrusteten Regime in ihren Ländern. Ihre Forderungen unterschieden sich dabei kaum von denjenigen sozialer Bewegungen in Europa und Nordamerika im gleichen Zeitraum: Mitbestimmung und eine Verbesserung der Lebensverhältnisse der breiten Bevölkerung.
Der aufgrund seiner Ressourcen und Nähe zu Europa geostrategisch so wichtige Nahe Osten befindet sich seither in einem Umbruch, von dem kaum vorauszusagen ist, welche Entwicklungen er mit sich bringen wird. Zu vielfältig sind die internen und externen Akteure mit ihren zum Teil gegensätzlichen Interessenlagen; zu unterschiedlich die politischen, historischen und sozialen Strukturen in den verschiedenen Ländern.
Eines scheint aber gewiss zu sein: Im Kontext der Transformation und neu gewonnener Freiheiten spielen Parteien und Bewegungen, deren ideologische Basis im Islam zu finden ist, eine zunehmend wichtige Rolle, auch in Ländern, die keinen Regimewechsel erlebt haben. Kaum hatten die Muslimbrüder in Ägypten oder die Ennahda-Bewegung in Tunesien die ersten freien Parlamentswahlen in ihren Ländern für sich entschieden, kontrastierten hiesige Medien in einer Mischung aus Unwissen und Feindbilddenken den in der ersten Euphorie geprägten Begriff vom Arabischen Frühling mit dem des »Arabischen Herbsts«, um die Sorgen vor einer »Islamisierung« des demokratischen Aufbruchs zum Ausdruck zu bringen.
Dahinter verbirgt sich die stillschweigende Annahme, dass islamische Parteien und Bewegungen nur autoritäre Herrschaftsformen errichten können, in denen die Implementierung der Scharia die betreffenden Gesellschaften ins Mittelalter zurückkatapultieren wird. Dass es sich bei den meisten islamischen Bewegungen um genuin politische Organisationen handelt, die bereit sind, sich an einem pluralistischen Willensbildungsprozess zu beteiligen, wird kaum wahrgenommen.
So will dieses Buch in doppeltem Sinne kritische Aufklärungsarbeit leisten. Einmal sollen ethnozentrische Betrachtungen westlicher Orientwissenschaftler und Experten aufgebrochen werden, die sich oft nur auf Sekundärquellen berufen, wenn sie über das Phänomen »Islamismus«, den »Islam« oder den Orient schreiben. Häufig stiften sie durch unscharfe Definitionen oder willkürliche Verwendung von Begriffen wie Islamismus, Fundamentalismus oder Salafismus mehr Verwirrung, als sie zur Aufklärung beitragen. In einem universalistischen Furor wird Gesellschaften islamisch geprägter Länder Unfähigkeit vorgeworfen, westlich-liberale Konzepte der Staatsorganisation zu übernehmen. Der vom palästinensisch-amerikanischen Autor Edward Said erhobene Vorwurf des »Orientalismus«, also einer spezifischen Form von kulturellem und intellektuellem Imperialismus, behält auf diese Weise bis heute seine Gültigkeit.
Dieses Buch will das Phänomen des Politischen Islam in seinen ideengeschichtlichen sowie historischen Kontext einbetten, um davon ausgehend die Positionen ausgewählter islamischer Parteien und Bewegungen anhand von Texten zu vergleichen. Eine Annäherung an Beweggründe und Ziele vollzieht sich über eine kritische Analyse ideologischer, politischer, religiöser, sozialer und wirtschaftspolitischer Standpunkte. Zugleich wird diese Auseinandersetzung zeigen, dass das islamische Spektrum nicht monolithisch strukturiert, sondern reich an ideologischen Varianten ist.
Die Konzentration auf Texte und Reden islamischer1 Protagonisten soll abseits vom politischen Tagesgeschäft langfristige Perspektiven, Programme und inhärente ideologische Orientierungen aufdecken. Aus diesem Grund sollen auch längere Passagen zitiert werden. Zugleich wird der Versuch unternommen, diese theoretischen Grundlagen mit den gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen, in denen die Bewegungen agieren, zu verknüpfen, um Veränderungen und Entwicklungen im Denken dieser Akteure abbilden zu können. So sollen sie als das dargestellt werden, was sie sind: Dynamische soziale Bewegungen.
Ziel dieses Buches ist es, für ein interessiertes Publikum eine Diskussionsgrundlage über den Politischen Islam zu bieten, die über Begrifflichkeiten wie Terror, Angst und Bedrohung hinausgeht und den Blick für die komplexen Zusammenhänge dieses Themas öffnet. Aber auch als Grundlage für »Einsteiger« ist dieses Buch geeignet. Eine erschöpfende Betrachtung aller relevanten islamischen Akteure hätte naturgemäß den Rahmen dieses Buches gesprengt. Deshalb erhebt es keinesfalls einen Anspruch auf Vollständigkeit. In die Analyse wird folglich nur eine Auswahl von Bewegungen miteinbezogen. Mir ist bewusst, dass eine solche Auswahl immer zugleich eine Einschränkung ist und höchst subjektiv bleibt. Als Kriterien für die Auswahl wurde die geostrategische Bedeutung der Länder herangezogen, in denen die jeweiligen Bewegungen aktiv sind, ihr Bekanntheitsgrad hierzulande sowie ihre Bedeutung im jeweiligen politischen System, in dem sie sich bewegen.
Die Untersuchung umfasst daher die ägyptischen Muslimbrüder samt ihrer Parteineugründung Freiheits- und Gerechtigkeitspartei, die palästinensische Hamas, die im Libanon ansässige Hizbollah sowie die ägyptische al-Nur-Partei (Partei des Lichts). Der Putsch des ägyptischen Militärs und die brutale Zurückdrängung der Muslimbrüder seit Juli 2013 haben auf die hier dargestellten programmatischen Positionen bis Redaktionsschluss dieses Buches keinen Einfluss genommen.
Um ein besseres Verständnis für die Beweggründe, ideologischen Fundamente und Ziele der genannten Bewegungen zu erreichen, ist es notwendig, in einem einleitenden Kapitel einen Überblick über die historischen, sozialen und politischen Ursprünge und Rahmenbedingungen modernen islamischen Denkens zu geben, das sich in mehreren Stufen entwickelte. Denn nur vor dem Hintergrund von einsetzender Säkularisierung, der Auseinandersetzung mit westlichem Kolonialismus und der einbrechenden Moderne ist die um die Wende zum 20. Jahrhundert entstandene islamische Reformbewegung und deren Vordenker zu verstehen, ohne die es die heutigen islamischen Bewegungen in dieser Form nicht gäbe.
Dabei soll ebenso auf das Denken zentraler Figuren wie etwa Dschamal al-Din al-Afghani, Muhammad Abduh und Hassan al-Banna sowie Sayyid Qutb eingegangen werden, wie auf die sozio-politischen Bedingungen der Entstehung des Politischen Islams.
In den folgenden Kapiteln werden die Positionen der genannten Bewegungen anhand übersetzter Primärquellen vorgestellt, kritisch analysiert und miteinander verglichen.
So wie es den einen Islam nicht gibt, sondern verschiedene raum-zeitliche Konfigurationen des »Islam«, so gibt es auch nicht den einen Politischen Islam. Je nach regionaler und konfessioneller Ausprägung, unterscheiden sich die Bewegungen zum Teil erheblich in ihrer religiös-ideologischen Positionierung. Dies soll Gegenstand der Anfangsbetrachtung werden. Großen Einfluss auf die ideologische Positionierung hat zudem die Tatsache, ob eine Bewegung in einem nationalstaatlich-reformerischen Kontext entsteht und agiert, oder ob sie unter kriegerischen Bedingungen sich als Widerstands- und Befreiungsbewegung konstituiert und erst in einem zweiten Schritt als zivilgesellschaftlicher Akteur. Deshalb werden auch die Entstehungsbedingungen der verschiedenen Bewegungen beleuchtet und in den historischen sowie politischen Kontext eingebettet.
Im Anschluss stehen die politischen Standpunkte und staatlichen Verfasstheiten im Mittelpunkt. Dieses Kapitel wird verdeutlichen, dass aktuelle islamische Staatskonzepte Ansprüchen moderner Gesellschaftsstrukturen durchaus gerecht werden und über den Kalifatsgedanken weit hinausweisen. Zudem sind die jeweiligen Anschauungen immer auch Spiegelbild der politischen Rahmenbedingungen. Zu denken ist etwa an die unterschiedlichen Situationen in den besetzen Gebieten in Palästina und an das postrevolutionäre Ägypten, in denen die jeweilige Bewegung agiert. Es wird sich zeigen, dass genuin islamische Prinzipien wie die Schura an die westlich-liberale Idee der parlamentarischen Repräsentation anschlussfähig sind und islamische Parteien versucht sind, das Rad nicht neu zu erfinden, sondern einen Ausgleich zwischen islamischen und westlichen Konzepten herzustellen. Um die Übernahme vermeintlich westlicher Vorstellungen zu legitimieren, wird häufig ein Identitäts- und Authentizitätsdiskurs geführt, der diese als ursprünglich islamisch, das eigene Vorgehen als Wiederaneignung gestohlener Kulturgüter darstellt.
Während religiöse und politische Standpunkte islamischer Bewegungen oft im Mittelpunkt von Debatten stehen, ist das seltener der Fall, wenn es um deren wirtschafts- und sozialpolitische Positionen geht. Diesem Mangel soll im letzten Kapitel begegnet werden. Die Überlegungen zur brennenden sozialen Frage in den jeweiligen Gesellschaften und wie diese gelöst werden kann, sind insbesondere vor dem Selbstverständnis der verschiedenen Bewegungen auch als Wohlfahrtsparteien interessant. Denn von den Anhängern wird ihr Erfolg nicht zuletzt an ihrem Vermögen gemessen, die Armut und Not der Massen zu lindern.
Umso überraschender erscheint es da, dass sie in wirtschaftspolitischen Fragen oftmals einem kapitalistischen Modell folgen, das man getrost als neoliberal bezeichnen kann. Moderner Islam und freie Marktwirtschaft stellen für islamische Parteien und Bewegungen keinen Widerspruch dar, sondern ergänzen und vervollständigen sich gegenseitig. Soziale Probleme werden zwar benannt, Lösungsvorschläge erarbeitet, aber immer im Rahmen bekannter und bestehender Konzepte.
Der Band wird von einem Glossar zu häufig vorkommenden, arabischen Begriffen und ausgewählten Dokumenten der zu Wort kommenden Parteien und Bewegungen abgerundet.
Für die Transkription arabischer Begriffe wurde eine vereinfachte Schreibweise gewählt, um die Lesbarkeit nicht unnötig zu erschweren. Alle Koranzitate im Buch sind der Übersetzung von Rudi Paret: Der Koran, Stuttgart, Kohlhammer 2007 entnommen.
Zum Schluss möchte ich Herrn Hannes Hofbauer vom Promedia Verlag meinen Dank aussprechen; ohne seine Idee würde es diesen Band nicht geben. Außerdem bin ich meiner Familie zu großem Dank verpflichtet, allen voran Asma, ohne deren Unterstützung dieses Projekt kaum zustande gekommen wäre. Natürlich gilt mein weiterer Dank allen Freunden, die mir durch kluge Ratschläge über manche Durststrecke hinweggeholfen haben.
Imad Mustafa Frankfurt am Main, im August 2013
1. Die Bezeichnung »islamisch« wird im Folgenden nur für Akteure gebraucht, die ihr Handeln und Denken maßgeblich auf islamische Prinzipien und Ideen gründen.
Wenn es um die Beschreibung sozialer und politischer Phänomene im Nahen Osten geht, dann ist die begriffliche Verwirrung groß. Eine Vielzahl von Konzepten und Definitionen reiht sich aneinander. Im Fall von islamischen politischen Bewegungen ist dies besonders häufig zu beobachten, wo ein wildes Durcheinander von Begriffen herrscht, deren analytische Kraft mit den negativen Konnotationen und Präjudizierungen, die sie hervorrufen, nicht mithalten kann. Die Spannweite reicht dabei von Islamismus, Fundamentalismus, militantem Islam bis hin zum neueren Begriff des Salafismus. Hinzu kommt oftmals eine Qualifizierung dieser Phänomene, die wenig Raum für Phantasie lässt und diese mit dem Etikett des Extremismus, Radikalismus oder Fanatismus belegt.
Ihre vorhandene analytische Dimension haben sie in der öffentlichen Debatte dagegen weitgehend eingebüßt. Gemeinsam ist diesen Phänomenen nur die Funktion, die sie vor allem im medialen Betrieb einnehmen, nämlich Ängste zu schüren, Feindbilder zu erzeugen und Unterstützung für Kriege und militärische Operationen zu mobilisieren.2 Dies erreichen sie, indem die islamisch geprägten Länder praktisch mit extremistischen, gewaltbereiten Formen von Religiosität gleichgesetzt werden, die keinen Zugang zu Rationalität zulässt und somit unberechenbar, gefährlich und feindselig ist. Dadurch erscheint die islamische Welt als einheitlich und monolithisch. Dabei werden aus »Islamisten« oder »Fundamentalisten«, je nach politischer Interessenlage, mal moderate Islamisten, radikale Fundamentalisten, oder extremistische Salafisten. Der Philosoph und Orientalist Aziz al-Azmeh hat das auf pointierte Weise zum Ausdruck gebracht:
Außer in der wissenschaftlichen Fachliteratur, deren Reichweite zu begrenzt ist, als dass sie korrigierend auf mediale Auswüchse Einfluss nehmen könnte, werden diese Begriffe nur selten hinterfragt oder gar auf ihren propagandistischen Gehalt geprüft. Aus diesem Grund wollen wir uns der Frage zuwenden, warum »Politischer Islam« und nicht »Islamismus« oder »Fundamentalismus« unser Thema ist und was ihn ausmacht?
Nicht erst seit den Umbrüchen in der arabischen Welt stehen islamische Parteien und Bewegungen des Vorderen Orients im Fokus medialer und wissenschaftlicher Beobachtung. Deren Wahlsiege in Tunesien und Ägypten sowie der zunehmend von islamischen Kräften dominierte bewaffnete Aufstand in Syrien haben ein erneutes Schlaglicht auf diese Bewegungen und deren Ziele geworfen. Doch schon seit Jahrzehnten versuchen sie – aufgrund von Verfolgung zumeist aus dem Untergrund heraus – am politischen und sozialen Fortgang ihrer Gesellschaften mitzugestalten. Nun, nach den Umstürzen, hat sich die Situation in einigen Ländern plötzlich verändert. Mit den alten Regimen sind die Parteienverbote gefallen und viel neue islamische Akteure sind in Erscheinung getreten, die zuvor entweder als illegal galten oder gar nicht erst als politische Kraft organisiert waren.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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