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Examensarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Sport - Sportsoziologie, Note: 1,6, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald (Institut für Sportwissenschaft), Sprache: Deutsch, Abstract: „Gottlieb Daimler sagte voraus, dass die weltweite Nachfrage an Kraftfahrzeugen eine Million nicht überschreiten werde, weil es einen Mangel an verfügbaren Chauffeuren geben würde. Albert Einstein schrieb 1932, dass es nicht das geringste Anzeichen dafür gebe, dass jemals Atomenergie entwickelt werden könnte. Und Wilbur Wright bezweifelte 1901, dass es die Menschen in den nächsten 50 Jahren schaffen könnten, sich mit einem Metallflugzeug in die Luft zu erheben. Nur zwei Jahre später gelang ihm selbst der erste Motorflug“ (Wopp, 2006, S.9). Die Frage nach dem „Was werden wir morgen tun?“ beschäftigt viele Köpfe und breitet sich auf alle Bereiche des Lebens, der Wissenschaft etc. und auch auf den Sport aus. Die Antwort auf diese Frage fällt relativ leicht, weil es um Planungen für den nächsten Tag geht. Je größer jedoch der Zeithorizont wird, umso ungenauer werden die Prognosen. Bezogen auf den Sport bedeutet dies, dass das Individuum zwar weiß, was es in absehbarer Zeit tun und lassen wird, doch niemand kann Prognosen über weit vorausliegende Handlungsmuster im Sport geben. Fakt ist jedoch, dass sich der Sport seit seiner Ausübung im ständigen Wandel befindet. Der Stellenwert des Sports im Leben der Menschen ist – im Vergleich zur stetig gestiegenen Freizeit – bereits bis heute überproportional angewachsen. Stand Mitte des 20. Jahrhunderts noch die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit im Zentrum der Freizeitgestaltung, haben sich heute die Akzeptanzwerte des Freizeitsports deutlich erhöht. Der oft propagierte Wertewandel, der in der Gesellschaft seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges spürbar war, hatte auch Auswirkungen auf den Sport, der in seinem Verständnis und seiner Bedeutung ebenfalls einem Wandel unterlag. Sport im heutigen Sinne existierte zur damaligen Zeit (Ende der 40er und Mitte der 50er Jahre) nicht. Die Dominanz der Arbeit rückte den Sport ins Abseits und machte ihn bedeutungslos. Im Zuge des „Wirtschaftswunders“ der 50er Jahre waren erste Veränderungen im Hinblick auf das Konsum- und Freizeitverhalten zu erkennen. Jedoch diente der aufkommende „Bewegungsdrang“ eher der Wiederherstellung der Arbeitskraft und -moral.
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Danksagung
An dieser Stelle möchte ich mich bei meinen Gutachtern Frau Dorit Bödefeld und Herrn Dr. Dr. Peter Rummelt für ihre Anregungen und Mithilfe bei der Erstellung der vorliegenden Arbeit bedanken.
Inhaltsverzeichnis
1. EINLEITUNG
1.1 Aufbau der Arbeit
2. DER BEGRIFF DER POSTMODERNE
2.1. Entstehung und Entwicklungsgeschichte der Postmoderne
2.1.1 Der Begriff der Ambivalenz
2.2 Welschs Postmodernenauffassung
3. DER POSTMODERNE SPORT
3.1. Allgemeine Merkmale von Trendsport nach Schwier
3.1.1 Modell der Genese von Trendsportarten
3.1.2 Moderner Sport – postmodern oder nur Tendenzen?
3.1.3 Trendsportarten
3.1.4 Trendsport – eine Annäherung aus etymologischer Sicht
3.1.5 Trendsport und Trendsportforschung in der Sportwissenschaft
3.1.6 Trendsportarten – Annäherung über Rahmenbedingungen und Einflussfaktoren
3.2. Der traditionelle Sport
3.2.1 Begriffsbestimmung
3.2.2 Die Entwicklung des Sports
3.2.3 (Traditioneller) Sport in Deutschland – Von der Aufklärung bis zur Gegenwart
3.2.4 Der DOSB und seine Vereine
3.2.5 Der Sportverein - Strukturbesonderheiten
3.2.6 Der Sportverein – Bedeutung und Funktion
4. DAS WECHSELSPIEL ZWISCHEN TRADITIONELLEM UND TRENDSPORT
4.1 Sportökonomie und Organisationsstruktur
4.2 Großveranstaltungen/Events
4.3 Handlungen, Sportformen und Sportarten
4.4 Leistungsprinzip
5. TRADITIONELLER UND TRENDSPORT - SZENARIO
6. ZUSAMMENFASSUNG
LITERATURVERZEICHNIS
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
TABELLENVERZEICHNIS
„Gottlieb Daimler sagte voraus, dass die weltweite Nachfrage an Kraftfahrzeugen eine Million nicht überschreiten werde, weil es einen Mangel an verfügbaren Chauffeuren geben würde. Albert Einstein schrieb 1932, dass es nicht das geringste Anzeichen dafür gebe, dass jemals Atomenergie entwickelt werden könnte. Und Wilbur Wright bezweifelte 1901, dass es die Menschen in den nächsten 50 Jahren schaffen könnten, sich mit einem Metallflugzeug in die Luft zu erheben. Nur zwei Jahre später gelang ihm selbst der erste Motorflug“ (Wopp, 2006, S.9).
Die Frage nach dem „Was werden wir morgen tun?“ beschäftigt viele Köpfe und breitet sich auf alle Bereiche des Lebens, der Wissenschaft etc. und auch auf den Sport aus. Die Antwort auf diese Frage fällt relativ leicht, weil es um Planungen für den nächsten Tag geht. Je größer jedoch der Zeithorizont wird, umso ungenauer werden die Prognosen. Bezogen auf den Sport bedeutet dies, dass das Individuum zwar weiß, was es in absehbarer Zeit tun und lassen wird, doch niemand kann Prognosen über weit vorausliegende Handlungsmuster im Sport geben. Fakt ist jedoch, dass sich der Sport seit seiner Ausübung im ständigen Wandel befindet. Der Stellenwert des Sports im Leben der Menschen ist – im Vergleich zur stetig gestiegenen Freizeit – bereits bis heute überproportional angewachsen. Stand Mitte des 20. Jahrhunderts noch die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit im Zentrum der Freizeitgestaltung, haben sich heute die Akzeptanzwerte des Freizeitsports deutlich erhöht. Der oft propagierte Wertewandel, der in der Gesellschaft seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges spürbar war, hatte auch Auswirkungen auf den Sport, der in seinem Verständnis und seiner Bedeutung ebenfalls einem Wandel unterlag. Sport im heutigen Sinne existierte zur damaligen Zeit (Ende der 40er und Mitte der 50er Jahre) nicht. Die Dominanz der Arbeit rückte den Sport ins Abseits und machte ihn bedeutungslos. Im Zuge des „Wirtschaftswunders“ der 50er Jahre waren erste Veränderungen im Hinblick auf das Konsum- und Freizeitverhalten zu erkennen. Jedoch diente der aufkommende „Bewegungsdrang“ eher der Wiederherstellung der Arbeitskraft und -moral. Dies änderte sich zunehmend in der postindustriellen Gesellschaft (Ende der 60er, Anfang der 80er Jahre). Aufgrund verkürzter Arbeitszeiten wurde die Freizeit zur Lebenszeit und ihre individuelle Gestaltung zum Grundbedürfnis. Zwar hatte der Sport noch immer einen relativ geringen Stellenwert, doch bestanden bereits starke Tendenzen zu Leistungsstreben und Konkurrenzdruck – die fortwährend sinkende Arbeitszeit in den 80er Jahren rückte den Sport mehr und mehr in den Lebensmittelpunkt: Leistung und Individualisierung in Bezug auf die Arbeit, Gruppendynamik und Selbstverwirklichung in der Freizeit dominierten das Leben der Menschen. Als neue Werte der Gesellschaft galten die idealistische Gesellschaftskritik, Hedonismus und Individualismus, wobei der Hedonismus in starkem Maße durch die Erlebnisorientierung geprägt war. Die Freizeitgestaltung wurde als selbstverständlich angesehen und war als zentrales Element fest in das Leben der Menschen integriert. Bezogen auf den Sport, kam es in den 80er Jahren zu einer radikalen Veränderung hinsichtlich der Kommerzialisierung. Die in den USA entstandene Fitness- und Gesundheitswelle veränderte auch hierzulande das Körper-Bewusstsein und löste einen regelrechten „Sport-Boom“ aus. Sportarten wie Aerobic, Triathlon, Mountainbiking oder Inlineskating integrierten sich so selbstverständlich wie rasant in die Sportlandschaft Deutschlands. Das Aufkommen der sportlichen Massenbewegung der 80er Jahre kann ohne Zweifel als das Jahrzehnt des Sports angesehen werden. Derzeit bietet der Sport ein fast unüberschaubares Feld an Bewegungsmöglichkeiten, das sich weit über das des Vereinswesens hinaus erstreckt. Abenteuer-, Risiko-, Fun-, Wellness- oder Extremsport, um nur einige Bereiche zu nennen, erfreuen sich im Bereich des Sports zunehmender Beliebtheit, deren Höhepunkt heute noch niemand abzuschätzen vermag. Neben dem Streben nach Gesundheit und Fitness, stellen Geselligkeit und Gemeinschaft sowie der Spaß am Sport für alle Altersgruppen zentrale Motive für sportliche Aktivitäten in der Freizeit dar. Hinsichtlich dieser Motive gliedert sich der Sport in unterschiedlichste Formen auf und enthält spezifische Charakteristika und Images. Zum einen bietet der in den Vereinen ausgeübte traditionelle Sport ein Angebot, das vorzugsweise durch die „alten“ Werte bestimmt ist (Leistungsprinzip, Disziplin, pädagogisches Prinzip, sozialintegratives Prinzip, siehe auch Kap. 3.2). Zum anderen stellen die sogenannten Trendsportarten einen Sektor dar, deren Merkmale durch „neue“ Werte geprägt sind (Spaß, Individualisierung, Ausdifferenzierung, Pluralisierung, Spannung etc., siehe auch Kap. 3).
Ob und inwieweit diese beiden Formen des postmodernen Sports miteinander verbunden sind, wird in dieser Arbeit herausgestellt. Anhand selbst gewählter Faktoren wird versucht, das Wechselspiel zwischen traditionellem und Trendsport darzustellen und die gegenwärtige sowie zukünftige Entwicklung zu analysieren.
Zu Beginn der Arbeit wird der Versuch unternommen, den Begriff der „Postmoderne“ zu skizzieren und verständlich zu machen sowie in das Themenfeld des Sports einzuarbeiten. Dabei werden zunächst die Entstehung und Entwicklungsgeschichte der Postmoderne aufgezeigt, um verschiedene Definitions-Ansätze darzulegen. Hierbei bieten vor allem Welschs Werke für die weitere Behandlung des Sports in der Postmoderne eine solide Grundlage.
In Kapitel 3 erfolgen die Bearbeitung des Terminus „Trendsport“ – Definition, Merkmale, Modelle des Trendsports etc. – sowie der Versuch, einen Konnex zwischen der Postmoderne und dem Trendsport herauszustellen. Anschließend, und im direkten Vergleich zum Trendsport, dient die Ausarbeitung der Strukturen des traditionellen Sports dazu, die Unterschiede zwischen beiden Arten hinsichtlich der Geschichte, der Verankerung, Motive sowie der Merkmale etc. aufzuzeigen.
Kapitel 4 greift die zuvor gemachten Angaben zum traditionellen und Trendsport in weiterentwickelter Form wieder auf und vereint diese in der Untersuchung ausgewählter Faktoren, wie Struktur, Merkmale, Vorkommen etc. Die Analyse der gegenwärtigen und zukünftigen Entwicklung von traditionellem und Trendsport wird in diesem Punkt der Arbeit zentraler Bestandteil sein. Es wird der Frage nachgegangen, inwieweit sich der Sport verändern kann und welche Merkmale er aufweist.
Kapitel 5 charakterisiert die Darstellung eines positiven und negativen Szenarios des traditionellen Sports und des Trendsports. Anschließend werden die in der Arbeit untersuchten Faktoren abermals aufgegriffen und zusammengefasst.
Im folgenden Kapitel wird der Versuch unternommen, den Terminus „Postmoderne“ näher zu untersuchen, um einen Überblick darüber zu geben, welche Bedeutung der Postmodernismus für die grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen gegenwärtiger Probleme und Perspektiven aufweist.
Die Postmoderne bezeichnet einen Fachausdruck für die Zeitepoche und die geistig-kulturelle Bewegung, die in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts beginnt (vgl. Der Brockhaus, 1996, S.403). In den Bereichen Literatur, Kunst und Architektur dient der Begriff der Postmoderne bereits seit längerer Zeit dazu, das, was in der Moderne, sofern man diese als Epoche interpretieren möchte, zwar noch verwurzelt, aber mit dieser nicht mehr vollständig zu erfassen ist. Der Begriff kursiert bereits Ende des 19. Jahrhunderts in der Öffentlichkeit und wird 1870 zum ersten Mal schriftlich erwähnt. So sprach der englische Salonmaler John Watkins Chapman davon, zu einer „postmodernen Malerei“ vordringen zu wollen – und verwies damit auf eine Modernisierung des französischen Impressionismus (vgl. Welsch, 1993a, S.12). Das Auftreten dieses Terminus blieb zur damaligen Zeit allerdings ohne Echo. Erst 1917, fast ein halbes Jahrhundert später, taucht der Begriff in Pannwitz’ „Die Krisis der europäischen Kultur“ wieder auf. Hierin bezieht er sich auf Nietzsches „Übermensch“, der seinerzeit von der Überwindung der Moderne im Zeichen des Übermenschen spricht und nicht zu Unrecht als eigentlicher Vorreiter der Postmoderne apostrophiert und kritisiert wird (vgl. Welsch, 1993a, S.13; vgl. Der Brockhaus, 1996, S.403). Unabhängig von Pannwitz (vgl. Welsch, 1993a, S.13) und in einem völlig anderen Kontext wird der Begriff der Postmoderne bei Frederico de Oniz (1934), einem spanischen Literaturwissenschaftler, definiert. Er spricht nicht von einem Höhepunkt der Kultur, sondern beschreibt eine kurze Periode in der spanischen und hispano-amerikanischen Dichtung. In diesem Fall stellt die Postmoderne also nur ein „kurz-reaktives Zwischenspiel zwischen einem ersten und gesteigertem zweiten Modernismus dar“ (Welsch, 1993a, S.13). Zu den Vertretern der jüngeren Postmodernismusdiskussion gehört unter anderem der aus Frankreich stammende Philosoph Jean François Lyotard. Er fordert 1979 in „Das Postmoderne Wissen“ die Anerkennung eines radikalen gesellschaftlichen Pluralismus und machte den Begriff der Postmoderne allgemein bekannt. Mit seiner These vom „Ende der großen Meta-Erzählungen“, welche ursprünglich als Studie über die Rolle des Wissens in postindustriellen Gesellschaften für den Universitätsrat der Regierung von Quebec gedacht war, schuf er die Basis allgemeiner Entwicklungen in Kultur, Philosophie und Kunst sowie in den Geisteswissenschaften (vgl. Welsch, 1993a, S.31ff.). Lyotards Frage nach dem Grad der Veränderungen des Wissens in den am höchsten entwickelten Industriegesellschaften unter dem Einfluss der neuen Informations-Technologien wurde von ihm wie folgt dargestellt:
„Die neuen Technologien kommen und beeinflussen das Wissen, versichern wir uns daher der internen Eigenart und Ansprüche aktuellen Wissens, um die Herausforderung dieser Technologien richtig beantworten zu können [...] sie zu nützen, soweit sie mit dieser Eigenart des Wissens vereinbar sind, sich ihnen entgegenzustellen, wo das nicht der Fall ist“ (Welsch, 1993a, S.32).
Dies soll heißen, dass modernes Wissen seit jeher die Form der Einheit hatte, welche durch den Rückgriff auf große Meta-Erzählungen zustande kam. Die Neuzeit bzw. Moderne hatte drei dieser Meta-Erzählungen hervorgebracht, und zwar die:
1. der Aufklärung,
2. des Idealismus sowie
3. der Hermeneutik (ebd., 1993a, S.32).
Nach Lyotard sind die o.g. Determinanten der gegenwärtigen Situation dadurch gekennzeichnet, dass diese Einheitsbande hinfällig geworden sind und keine vereinheitlichende Legitimation und Zielorientierung mehr bieten (vgl. Welsch, 1993a, S.32f.). Vereinfacht gesagt, bedeutet Postmoderne, „dass man den Meta-Erzählungen keinen Glauben mehr schenkt“ (Welsch, 1993a, S.33). Diese unabänderliche und positiv gesehene Pluralität ist es, die das Wesen der Postmoderne ausmacht (vgl. Lyotard, 1994, S.14f.). Die Auflösung des Ganzen, so Welsch, ist eine Vorbedingung der postmodernen Pluralität (vgl. Welsch, 1993a, S.32). Weiterhin beschreibt er, dass der Zerfall der Einheit nur eine „notwendige Bedingung“ darstellt, aber noch keinen hinreichenden Impuls für die Postmoderne gibt (vgl. Welsch, 1993a, S.32). Dieser ergebe sich erst dann, wenn dem „negativen Minimalbegriff des Postmodernen“ ein positiver gegenübersteht, welcher sich durch radikale Pluralität des Subjektes, der Vernunft, der Lebensformen, der Wissenschaft und der Wahrheit auszeichnet (vgl. Welsch, 1993a, S.33ff.). Laut Lyotard ist die Postmoderne weder eine Epochenbezeichnung noch ein Periodisierungsbegriff, sondern eher eine Geisteshaltung (vgl. Welsch, 1993a, S.35). „Postmodern ist, wer sich jenseits von Einheitsobsessionen der irreduziblen Vielfalt der Sprach-, Denk- und Lebensformen bewusst ist und damit umzugehen weiß. Und dazu muss man keineswegs im zu Ende gehenden 20. Jahrhundert leben [...]“ (Welsch, 1993a, S.35).
Gegenwärtig findet die Pluralität ihren Ausdruck in fast allen Lebensbereichen und oberflächlich betrachtet könnte man den Eindruck gewinnen, dass der Begriff der Postmoderne ein Terminus der Beliebigkeit sei. Münnix (2004, S.7) spricht bei der Verwendung des Begriffs „Postmoderne“ unter anderem von einem „Begriffsfeld“, welches sich in kulturwissenschaftlichen Teildisziplinen sehr facettenreich und partiell widersprüchlich definiert und daher nur schwer präzisieren lässt. So ist es nicht verwunderlich, dass heutzutage alles Neue und Abweichende als postmodern bezeichnet wird. Problemlos integriert sich der Begriff der Postmoderne in die Bereiche Architektur, Mode, Baukunst, Philosophie, Literatur, Politik etc. und wird scheinbar selbstverständlich in unseren Sprachgebrauch aufgenommen (vgl. Jencks, 1994, S.85f.; vgl. Fiedler, 1994, S.57f.; vgl. Habermas, 1994, S.177f.). Die Postmoderne wird vermeintlich aufgrund dessen nicht zu Unrecht als eine neue Epoche verstanden, wobei andere Vertreter in ihr wiederum nur eine Weiterentwicklung der Moderne sehen. So erfasst Welsch in der Postmoderne nur Gehalte, die „keineswegs einfach jenseits der Moderne“ stehen, und beschreibt den Terminus als weitgehend „irreführend und nur in einem sehr engen, noch zu präzisierenden Sinn berechtigt“ (Welsch, 1993a, S.1).
Auch Baumann (2005) beschreibt in seinem Buch „Moderne und Ambivalenz“ eine reale Seite der Moderne, in der Aufklärung als erster Schritt in die moderne Existenz und als signifikantestes Element zur Befreiung des Menschen dient: weg von Traditionen und der Unwissenheit von der Welt, hin zu einer adäquaten Existenz, welche durch humanistische Idealvorstellungen geprägt ist. Mit seiner Interpretation von einer substanzielleren Moderne, versucht Baumann (ebd.), die Folgen für die menschliche Existenz aufzuzeigen.
Baumann (ebd.) erklärt die fatalen Konsequenzen der Stringenz moderner Ideen am Beispiel des Holocausts, den er als Urtyp des modernen Vorgehens gegen Unklarheit und Chaos sieht. Anbei befasst sich der Autor mit dem Leben und der Sprache des Dritten Reiches. Hierin sieht Baumann (ebd.) Parallelen zu Reflexionen über die Postmoderne.
Baumann (ebd.) betrachtet die Postmoderne nicht als logische Konsequenz der Moderne. Dies ergebe sich aus der Erkenntnis der postmodernen Existenz, welche versucht und gelernt hat, mit der Verschiedenheit umzugehen bzw. mit Ambivalenz zu leben. Ungeachtet der Gefahr, sich in ihren eigenen Grundsätzen[1] zu wiedersprechen, sich selbst zu zerstören, soll die Postmoderne laut Baumann (ebd.), als Chance begriffen werden.
Kernstück in Baumanns Ausführungen (ebd.) ist der Begriff der Ambivalenz (lat. Doppelwertigkeit), der im Allgemeinen das gleichzeitige Auftreten von einander widersprechenden Vorstellungen beschreibt (vgl. Der Brockhaus, 2006, Stichwort: Ambivalenz, allg.). Die Doppel- oder Mehrdeutigkeit wird von Baumann (vgl. ebd., 2005, S.11) auch als ein Versagen der „Nenn- (Trenn-) Funktion“ der Sprache gedeutet.
Ordnung versteht sich im engeren Sinne als Antagonist zur Ambivalenz, wobei die Ambivalenz die Ordnung der Dinge zu bedrohen scheint. Die Moderne verstand sich von Beginn an als Verfechter dieses Paradoxons. Ordnung bzw. Chaos und Ambivalenz bedingen einander und stellen für Baumann (ebd., S.16) „moderne Zwillinge“ dar. So ist Chaos nicht durch Ordnen zu eliminieren, sondern breitet sich genauso schnell aus wie Ordnungsversuche.
In den weiteren Ausführungen zur Postmoderne erfasst Baumann (ebd.) die Ambivalenz als unbesiegbar. Jedoch hat die Gesellschaft die Möglichkeit, mit ihr umzugehen, von ihr zu lernen und ebendies betrachtet er als das Charakteristikum der Postmoderne (vgl. ebd., S.364ff.). Toleranz und Akzeptanz, so Baumann (ebd.) weiter, sind Eigenschaften, die in der Moderne nicht vonnöten waren (vgl. ebd., S.369f.). Und so gilt es, seine eigenen Einstellungen und Ansichten einerseits als nicht richtig, andererseits als nicht falsch anzuerkennen. Dennoch kann autonome Toleranz nicht das alleinige Ziel sein, da dies Gleichgültigkeit und Desinteresse begünstigen würde und Resignation bedeutete (vgl. ebd., S.370). Interpretiert man diese Aussagen Baumanns (ebd.), gelangt man zu der Einsicht, dass Ambivalenz erduldet werden muss, solange keine Mittel zur Verfügung stehen, diese zu bekämpfen. Seiner Ansicht nach können nur die Entwicklung von Respekt und Solidarität einen positive Genese der Postmoderne bewirken (ebd.). So schreibt Baumann:
„Man muss sie [Ambivalenz] auch respektieren – und sie genau in ihrer Andersheit respektieren, in den Wahlen, die sie getroffen haben, in ihrem Recht, sich für etwas zu entscheiden. Man muss die Andersheit im anderen ehren, die Fremdheit im Fremden, indem man sich erinnert [...] dass das Einzigartige universal ist, dass das Verschiedensein bewirkt, dass wir uns ähneln, und dass ich meine Differenz nur dadurch respektieren kann, dass ich die Differenz des anderen respektiere“ (ebd., 2005, S.370f.).
Weiter heißt es: „Das Recht des anderen auf seine Fremdheit ist die einzige Art, wie sich mein eigenes Recht ausdrücken, etablieren und verteidigen kann. Mein Recht setzt sich aus dem Recht des anderen zusammen“ (Baumann, 2005, S.371).