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Der Putzteufel E-Book

Katharina Hadinger

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Beschreibung

Schweine sind nicht schwer zu malen. Die größere Schwierigkeit besteht darin, sie zu finden, sie zu enttarnen und ihre wahre Gestalt zu erkennen. Dies alles hat sich Gustav Weihwasser zur Aufgabe gemacht. Und er entwickelt ein untrügliches Gefühl für die Jagd auf sie. Wer aber sind die Schweine, die seine Leinwände füllen? Wer ist der Putzteufel, der eine kleine Stadt und ihren Ermittler seit Jahren in Atem hält?

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Katharina Hadinger

 

 

 

DER PUTZTEUFEL

 

 

Krimi

 

 

 

 

 

 

 

In der Reihe CRIME TIME bereits erschienen:

 

RUF DER GEISTER – Tanja Bern; Mystischer Ruhrgebiet-Krimi

DER DON – Birgit Read; Erotischer Gran Canaria Thriller

DER PUTZTEUFEL – Katharina Hadinger; Krimi

 

 

Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wären rein zufällig.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Copyright © 2022 dieser Ausgabe by Ashera Verlag

[email protected]

www.ashera-verlag.de

Ashera Verlag GbR

Hauptstr. 9

55592 Desloch

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder andere Verwertungen – auch auszugsweise – nur mit Genehmigung des Verlags.

Covergrafik: iStock

Innengrafiken: AdobeStock

Szenentrenner: AdobeStock

Coverlayout: Atelier Bonzai

Redaktion: Alisha Bionda

Lektorat & Satz: TTT

Vermittelt über die Agentur Ashera

(www.agentur-ashera.net)

 

 

Inhalt

Prolog

Gustav - April 2002

Mutter

Vater

Jeanette - Mai 2008

Selina

Emilia - Juli 2014

Viktor

Janna - September 2014

Epilog

Glossar

Die Autorin

Prolog

 

Einen echten Weihwasser zu besitzen, mag in manchen Kreisen bedeutsam sein. Ein Weihwasser an der Wand im Wohnzimmer über der Couch, im Treppenhaus zwischen Kerzenleuchtern oder sogar über dem Bett, ist mancherorts noch immer ein sicheres Zeichen eines über die Gewohnheiten hinausgehenden Sinns für Kunst. Ein Weihwasser an der Wand ist provokant, subtil, speziell und unerhört. In Deutschland gab es eine Zeit, da eine Hysterie herrschte, vergleichbar mit dem manischen Suchen nach Eierschwammerln in der Steiermark. Jedermann schien einen Weihwasser finden zu wollen. Man wühlte sich durch Flohmärkte und Trödelläden, durchsuchte Dachböden und Umzugskisten. Hier jedoch gilt allein der Besitz eines echten Weihwassers als der Gipfel der Geschmacklosigkeit, auch ohne diesen an Wänden zur Schau zu stellen. Jene, die einen besaßen, verstauten ihn zunächst in Umzugskisten, spendeten für Pfarrflohmärkte, versteckten in Dachböden und verkauften später nach Deutschland, manchmal auch nach England, seltener Amerika und waren froh los zu sein, was anderswo immer begehrter wurde. Niemand würde sich hier einen Weihwasser auf-hängen. Aber trotz aller Abneigung der Österreicher, insbesondere der Oberösterreicher, gegen die Kunst des Gustav Weihwasser, lässt sich nicht abstreiten, dass es auch hier eine Zeit der Hysterie gegeben hatte. Zugeben würde es niemand, aber hatte nicht ein jeder irgendwann überlegt, sich ein Schwein in Stöckelschuhen nebst einem geflügelten Apfel ins Wohnzimmer zu hängen? Zuvor.

Bevor man wusste, welch grausige Technik dem Maler zu eigen gewesen war.

 

Gustav

April 2002

 

Der Tag, an dem Gustav Weihwasser seine Mutter tötete, begann mit Amselgesang und Tau auf den Wiesen. Die Sonne drängte sich zwischen den letzten Wolken der Nacht hervor. Pfützen trockneten in einer Frühlingsbrise. Ein guter Tag, um das Auto zu waschen.

Tatsächlich war der Tag noch nicht ausgeschlüpft, als sich Gustav mit einem Kübel und diversen Putzmittel, Lappen und Schwämmen und einem Handstaubsauger bewaffnet, aus der Wohnung seiner Mutter stahl. Sie schlief noch. Ein bisschen neidete er ihr ihren Schlaf. Er selbst glaubte nicht, jemals tief geschlafen zu haben. Das letzte Mal wahrscheinlich im Krankenhaus, in jenen drei Nächten, die er dort hatte verbringen dürfen, nachdem seine Mutter ihn geboren hatte. Gustav seufzte bei dem Gedanken an die Ordnung des Krankenhauses, und er fand es schade, dass ihm die Erinnerung an diese Tage beinah abhandengekommen war. Nur der Geruch war geblieben und ein verblassendes Bild von weiß gekleideten Menschen, wie Engel, die jeden Tag das Bett bezogen hatten. Daran, dass einer dieser Engel ihn als Schreikind bezeichnet hatte, konnte er sich nicht erinnern. Nichtsdestotrotz war Gustav Weihwasser ein Schreikind gewesen. Er hatte geschrien, kaum, dass er das Licht der Welt erblickt hatte, hatte nur aufgehört, wenn der Flaschensauger in seinen Mund gesteckt wurde, hatte nicht aufgehört zu brüllen, obwohl er im Paradies gelandet war, wo Engel ihn umsorgten.

Erst als seine Mutter ihn über die Schwelle dieses Paradieses in eine andere Welt getragen hatte, war er leiser geworden. Wimmernd hatte er eine Autofahrt durch die Stadt ertragen, greinend den Gang durch das Stiegenhaus hinauf bis zur Wohnungstür Nummer achtundzwanzig, und stumm hatte er sein neues Zuhause betrachtet. Die Erinnerung daran war ihm geblieben. Sie hatte sich in sein Herz gebrannt. Die Fliegen, die an den Wänden gekrochen waren, der Staub auf den Regalen, jeder Fleck auf dem Teppichboden, auf dem Glastisch im Wohnzimmer, die Fensterscheiben, durch die niemand sehen konnte. Und der Geruch. Auch der Geruch. Aber Gustav war kein Schreikind mehr gewesen. Er hatte den Mund nur noch aufgemacht, wenn es nötig gewesen war. Und auch dann nur ein bisschen …

Im Hof stand ein Kastanienbaum. In seiner Krone zwitscherte die Amsel. Gustav genoss es, morgens als Erster über die Waschbetonplatten zu laufen, welche an diesem Tag noch feucht vom Regen waren. Den Hof umgab eine Mauer. Durch ein Tor gelangte man auf den Parkplatz, der den Mietern des Hauses vorbehalten war. Dort stand das Auto seiner Mutter. Ein Fiat mit rostigem Tankdeckel. Beides gehörte seit gestern ihm. Gestern hatte Gustav Geburtstag gehabt. Heute war er achtzehn Jahre alt und besaß einen Führerschein. Er hatte nicht vor, in einem Schweinestall durch die Gegend zu fahren, nachdem er achtzehn Jahre lang in einem solchen hatte leben müssen.

Seine Mutter hatte ihn in ein Zuhause voll Schmutz und Unordnung gepflanzt und vielleicht erwartet, dass er sich anpasste, dass er selbst schmutzig und unordentlich und sich wie eine Stabheuschrecke eines Tages nicht mehr von seiner Umgebung abheben würde. Da hatte sie sich getäuscht. Gustav Weihwasser war kein Mensch, der sich seiner Umgebung anpasste. Viel mehr passte er seine Umgebung an sich an, ordnete und sortierte, putzte und polierte sie und wurde so auf anderem Wege zur Stabheuschrecke. Gestern war seine Mutter vor ihm aufgestanden und hatte ihm Frühstück ans Bett gebracht. Ein Lächeln hatte über ihrem Mund geklebt wie Leukoplast. Stets schminkte sie sich zur Arbeit. Sie achtete auf ihr Äußeres, wenn sie putzen ging, steckte das rötliche Haar hoch und trug eine Bluse ohne Falten. Sie war Putzfrau. „Reinigungsdame“, hatte sie ihn stets verbessert. Putzfrau, hatte er dennoch bei sich gedacht, denn Reinigungsdamen leben nicht im Schweinestall.

Seine Mutter hatte ihm gratuliert und dabei das Tablett auf den Nachttisch gestellt. Wie erwartet, hatte sie ihm beim Frühstück keine Gesellschaft geleistet. „Ich muss zur Arbeit.“

Sie putzte vormittags am städtischen Bahnhof und Montag und Mittwoch nachmittags bei einer alten Dame. Die restlichen Wochentage war sie am Nachmittag zuhause, wo sie hätte putzen sollen, es aber nicht tat, weil sie telefonierte, backte, in Zeitschriften blätterte, Musik hörte, Frisuren ausprobierte, mit Freundinnen Kaffee trank und Mittagsschlaf hielt.

 

Als er ein Kleinkind gewesen war, hatte sie versucht Gustav in diese Aktivitäten einzubeziehen. Aber er hatte sich selbst zu beschäftigen gewusst, und mit Geschirrtüchern und Bartwisch sein Bestes gegeben, um die Pflichten seiner Mutter zu erfüllen.

„Ist er nicht niedlich?“ Für ihre Freundinnen war es eine Freude gewesen, ihm dabei zuzuschauen. Seiner Mutter hatte es das Herz erwärmt, wenn ihre Freundinnen dem Kleinen zuschauten. Und dem Kleinen war selbiges gesunken, als er erkannt hatte, dass er niemals fertig werden würde mit dem Aufräumen. Trotzdem hatte er damit fortgefahren. Auch wenn sich sein Wirkungsbereich mit den Jahren verkleinert hatte. Der nunmehr achtzehnjährige Gustav war kaum noch in der Wohnung. Die meiste Zeit verbrachte er in seinem Zimmer, einem Paradies, das er nicht zur Wohnung zählte, in dem Ordnung und Sauberkeit herrschten. Dort ging er seinem Hobby nach. Er mal-te, seit er Farben benutzen konnte, ohne sich dabei zu beschmutzen. In seinem Zimmer malte er die Welt und ihre Bewohner, wie er sie gerne hätte – blitzblank und ordentlich. In letzter Zeit jedoch malte er sie öfter, wie nur er sie sehen konnte. Die Pubertät war nicht ohne Spuren zu hinterlassen an ihm vorübergegangen. Er hatte erkannt, dass das, was er gerne hätte, sich merklich abhob von dem, wie es wirklich war, und noch mehr von dem, was er sah. So fanden sich in Gustavs Zimmer an der Wand unter dem Fenster eine Reihe von Leinwänden, deren Front Bilder von Menschen mit Tierköpfen und chaotischen Landschaften zeigte. Noch auf der Staffelei und daher nicht fertig klemmte das Bild eines Schweines. Es hatte Sommersprossen um seinen Rüssel, rötliche Locken und bunt lackierte Fingernägel. An diesem Schwein arbeitete Gustav immer wieder, und obwohl er für vorangegangene Gemälde nur wenig Zeit hatte aufwenden müssen, so nahm dieses Schwein schon Wochen, wenn nicht Monate in Anspruch. Manchmal ärgerte es ihn. Manchmal blieb er, die Klinke in der Hand, vor seiner Zimmertür stehen, weil er es nicht sehen wollte. Ansonsten betrat er diesen Raum gerne. Denn dort gab es keine Unordnung, keine Spinnwebe, keine Staubflusen, keine Fingerabdrücke. Auf einem Wandbord standen seine Acrylfarben nach allen Regeln der Farblehre geordnet. Farbe neben Komplementärfarbe. In der Kommode lagen Unterhosen und Socken aufeinander wie Liebende, und im Kleider-schrank hingen in Eintracht Hosen und Hemden und Jacken, nach Farben und Anlass sortiert, nebeneinander, als gäbe es keinen Hass auf der Welt. Tatsächlich überkam Gustav ein Gefühl von Frieden und Glück, jedes Mal, wenn er sein Zimmer betrat. Das Gefühl, alles in Ordnung zu wissen.

Dieses Gefühl strebte er an, auch in seinem Auto zu genießen. Gustav sperrte die Tür auf und zog mit spitzen Fingern die Verriegelungen heraus. Zunächst musste der Geruch hinaus. Er öffnete den Kofferraum und die Türen des Wagens und duckte sich intuitiv, um nicht von einer Woge des Gestanks umgerissen zu werden. Eine Weile kauerte er dergestalt vor dem Auto, ehe er sich mit der Umsicht, die einen Soldaten zur Waffe greifen lässt, den Staubsauger angelte, sich erhob und ins Wageninnere spähte. Angesichts des Belages auf dem Boden der Fahrerseite, zweifelte er an dem Nutzen des kleinen Handstaubsaugers, dann krempelte er die Ärmel hoch und begann mit der Arbeit. Nachdem er den Innenraum des Autos vom Gröbsten befreit hatte, ging Gustav zu dem Schlauchanschluss, der sich im Hof befand, um seinen Kübel mit Wasser zu füllen. Jeder Schritt begleitet vom Zitronenduft des Putzmittels, welches er reichlich in den Kübel gespritzt hatte. Er freute sich auf den Schaum, den es geben würde. So beschwingt kehrte er zu seinem Auto zurück, als er unversehens innehielt. Dort stand ein Mädchen. Neben seinem Auto stand ein Mädchen. In der Hand hielt sie die Flasche mit dem Putzmittel. Während sie mit gerunzelter Stirn davon ablas, bewegten sich ihre Lippen. Gustav erwog seine Möglichkeiten. Er konnte den Kübel abstellen, sodass nichts überschwappte, also sehr langsam, und sich aus dem Staub machen. Er könnte Letzteres tun, ohne den Kübel abzustellen, also ebenso langsam. Beides barg die Gefahr, das Putzwasser zu verschütten und von dem Mädchen bei seiner Flucht ertappt zu werden. Er konnte einfach weitergehen, sie von seinem Auto wegscheuchen und tun, was er zu tun beabsichtigt hatte. Das Mädchen war höchstens zehn Jahre alt. Sie war ein Kind, er erwachsen. Aber es war schließlich nicht die Angst vor einem Kind, die Gustav den Kübel auf den Boden stellen, die ihn einige Schritte rückwärts gehen ließ, ehe er sich umdrehte. Er wollte nicht mit dem Mädchen sprechen. Seine Mutter hatte einmal ihren Freundinnen gegenüber behauptet, Gustav mache sich mehr aus Jungs. Dagegen hatte er nichts einzuwenden gehabt. Obwohl er sich aus Jungs genauso wenig machte wie aus Mädchen. Überhaupt hatte er bis zu diesem Zeitpunkt weder eine Ahnung gehabt, dass er sich aus einem von beiden etwas zu machen hatte, noch was das genau sein sollte. Er hatte Freundschaften versucht. Aber sie waren ihm recht schnell lästig geworden. Einer war Klaus gewesen, ein Junge gewesen, dem ständig der Rotz unter der Nase geklebt war. Benjamin hatte schmutzige Fingernägel gehabt und Irmi einen schwarzen Fleck vorne am Zahn. Es hatte nicht funktioniert mit den Freunden. Außerdem langweilten sie ihn. Gustav mochte sich selbst. Aber Freunde mochte er nicht. Weder Mädchen noch Jungen. Natürlich hatte er später begriffen, was seine Mutter gemeint hatte. Nicht zuletzt, weil sie ihm alles ausführlich erklärt hatte. „Die Jungs in deinem Alter haben alle schon mal.“ Sie hatte gelacht. „Zumindest versucht haben sie es! Gustav, du wirst bald achtzehn. Hast du noch nichts versucht?“

Gustavs Magen hatte rebelliert bei dem Gedanken an die Körperflüssigkeiten, von denen seine Mutter glaubte, es sei ihm ein Anliegen sie mit anderen Mädchen oder Jungen auszutauschen, oder – zu versuchen! Jäh war das Gesicht dieses Mädchens vor ihm aufgetaucht, das gedacht hatte, ihn in der Mittagspause hinter der Schule küssen zu wollen. Just dort wo er bisher unentdeckt von den anderen seine Pausen hatte verbringen können. Sie hatte ihm die Arme um die Schultern gelegt und ihre Lippen geöffnet, während das Gekicher ihrer Freundinnen ihm in den Ohren geklingelt hatte. Als ihr Mund nahe an seinem Gesicht gewesen war, war er einmal mehr froh gewesen, seine Mitschüler um einen Kopf zu überragen, hatte selbigen gehoben, um besser auf sie hinabzublicken und ihr geraten, das mit dem Seitenscheitel aufzugeben, weil er ihre schiefen Zähne betonen würde. Zuerst hatte sie den Mund verzogen, dann hatte sie gelächelt, wie Mädchen in ihrem Alter lächeln, die jeden Morgen gerne in den Spiegel sehen. „Du hast wohl Angst, was?“, hatte sie geflötet. Dabei hatte er keine Angst. Nicht vor Jungen und nicht vor Mädchen. Und nicht vor diesem einen Mädchen, das jetzt dort bei seinem Auto stand und das Etikett auf der Putzmittelflasche las. Er wollte nicht mit ihr reden und hatte Angst, dennoch in ein Gespräch verwickelt zu werden.

„Weißt du, das ist Scheiße das Zeug.“

Gustav fuhr zusammen. Irgendwie hatte es das Mädchen geschafft, hinter ihn zu treten, ohne dass er es bemerkt hatte. Und jetzt schlangen sich ihre kleinen, kräftigen Finger um seinen Ellbogen. Ein Griff, der fest und sanft zugleich war, aber vor allem den Gedanken an ein Entkommen im Keim erstickte. Er drehte sich um. Sie war klein. Aber ihre Augen waren groß und rund und blassblau wie sauberes Wasser.

„Das ist Scheiße. Meine Mama sagt, man soll nur Schmierseife nehmen, weil es biologisch abbaubar ist und alles besser weggeht mit Schmierseife.“ Sie ließ ihn los.

Zögernd nahm Gustav die Flasche entgegen, die ihm das Mädchen reichte. Da sie eine Reaktion zu erwarten schien, sagte er: „Aha“ und „Interessant“, als sie noch immer keine Anstalten machte zu gehen. Sie grinste wohlwollend. Dann drehte sie sich auf dem Absatz um, rannte über die Straße und verschwand im Haus gegenüber.

Es dauerte nicht lange, da glänzte der Wagen innen und duftete nach Zitrone. Gustav saß am Fahrersitz, den Oberkörper zwischen den Beinen, um die Pedale sauber zu machen, als die spitze Stimme des Mädchens ihn erneut hochfahren ließ. Er stieß sich den Kopf am Lenkrad.

„Da! Schmierseife!“ Sie reichte ihm einen kleinen Eimer, als wäre er der Gral und grinste dabei selbstgefällig. „Probier`s mal.“ Sie zog den Deckel ab und hielt Gustav den Becher unter die Nase. „Riecht gut, oder?“

Das tat es.

Das Mädchen fuhr mit den Fingern in die ölige Substanz im Becher und klatschte, das was daran hängen geblieben war, auf die Fußpedale. „Da siehst du. Überhaupt ist es extrem sparsam.“

Dem konnte Gustav, angesichts der Menge, die sie dem Becher entnommen hatte, nicht zustimmen, aber mit Putzmittel sollte man sowieso nicht sparsam sein. Sie verschloss den Becher. „Interessant“, murmelte Gustav. Weil sie diesmal keine Anstalten machte zu gehen, fing er an, mit einem Tuch die Pedale zu schrubben. Und wirklich! Es funktionierte wunderbar. Der Duft erinnerte Gustav an etwas Altes, Sauberes, etwas Heimeliges. Er erwischte sich dabei, wie er sich ausmalte, umgeben von diesem Geruch die entferntesten Winkel der Erde zu bereisen. Als Erstes würde er nach Losenstein fahren. Dort gab es eine Burgruine, die er sehen wollte. Umgeben vom anheimelnden Duft der Schmierseife. Er verteilte noch eine Portion davon auf den Pedalen. Ein Film bildete sich darüber. Glanz, als wären sie fabrikneu die Pedale. So, ja, so wollte er reisen!

„Interessant“, sagte Gustav nochmal feierlich und richtete sich auf. Das Mädchen war weg. Er konnte noch sehen, dass sie ihm zuwinkte, bevor sich das dunkle Rechteck im Haus gegenüber hinter ihr schloss.

 

 

„Teufel nochmal! Die meisten Jungs in deinem Alter machen das anders, wenn sie ihr erstes Auto aufmotzen.“ Die Mutter lachte.

Gustav presste die Lippen aufeinander und schaute demonstrativ gen Himmel, während sie um den Wagen ging, nickend und kichernd. „Steckt der Schlüssel?“

Er zuckte die Schultern.

Indem sie ihn sanft bei den Schultern fasste, ihm das dunkle Lockenhaar zauste, schob sie ihn zur Seite und stieg in den Wagen.

„Steckt!“, rief sie. „Gustavchen, du bist mir nicht böse, wenn ich ihn mir nochmal ausleihe.“ Es war eine Feststellung. „Ich bin spät dran. Fang!“ Sie drückte sich einen Kuss auf die Fingerspitzen und blies ihn ihm über ihre bunt lackierten Fingernägel hinweg entgegen. „Hab dich lieb!“

Beinah meinte Gustav, anstatt des Kusses ihre Handfläche auf seiner Wange zu spüren, gleichsam war das Geräusch der zufallenden Autotür wie das Schallen einer Ohrfeige, die ihn einen Schritt zurücktaumeln und mitan-sehen ließ, dass sie in seinem Wagen davonfuhr. Sie kam nicht wieder.

 

 

Der Tag an dem Gustav Weihwasser seine Mutter getötet hatte, endete mit einem Bericht in den Achtuhrnachrichten.

„Angaben der Polizei zufolge, ist die Lenkerin in einer Rechtskurve vom Bremspedal abgerutscht und gegen einen entgegenkommenden LKW gerast. Die Frau erlag im Krankenhaus ihren Verletzungen.“

Seither hat ein Becher Schmierseife einen fixen Platz in Gustavs Küchenschrank.

 

 

Mutter

 

Obschon keine Absicht gewesen, kam Gustav der Unfall seiner Mutter gelegen. So gelegen, dass es ihn erschreckte. Während ein Grüppchen Schwarzgekleideter die Mutter zu ihrer letzten Ruhestätte verfolgte, konnte er an nichts anderes denken als an die Gelegenheiten, die ihm ihr Tod verschaffte: Die Gelegenheit, sein Zimmer zu verlassen, sich auszubreiten, auszuweiten, zu wachsen, zu gedeihen, sich zu entfalten und die Wohnung von Grund auf zu putzen. Es erschreckte ihn, dass ihm zum Tod seiner Mutter nicht mehr einfiel. Manche der Trauergäste hielten das Fehlen von Tränen für ein Zeichen von Trauer, die nur ein Sohn empfinden kann. Andere flüsterten ihm zu, er müsse nicht versuchen stark zu sein, er dürfe nun loslassen. Was auch immer. Loslassen. „Verabschiede dich von ihr.“ Nur die nähere Verwandtschaft tuschelte hinter vorgehaltener Hand, dass ihnen das Nichtvorhandensein von Gefühlen schon im Kindesalter aufgefallen wäre.

„Wisst ihr’s noch, als seine Cousine beinah ertrunken wäre? Da hat er nur am Beckenrand gestanden und zugeschaut. Fast so als hätte er sie reing’schubst, nur damit er was zum Gaffen hat.“

„Er hat sie nicht g’schubst.“

„Aber gafft hat er.“

Später beim Kondukt legte ihm ein Onkel in schwarzem Leinenhemd seine Hand auf die Schulter und riet ihm zwischen mehreren Seufzern, sich eine Arbeit zu suchen. Da wurde Gustav klar, dass er sein Zimmer wirklich verlassen, aber sein Ausweiten außerhalb der Wohnung stattfinden würde. Und er dachte daran, dass er vielleicht Arbeit finden würde, wenn er nach solcher suchte, und dass er es deshalb lieber nicht tun würde. Es gab keine Arbeit, die er finden wollte. Er hatte das Gymnasium als Einserschüler abgeschlossen, zwischenzeitig verschiedene Kurse belegt, Fachbücher jedes Faches verschlungen – auch derer, die ihn nicht interessierten – und vor kurzer Zeit maturiert. Aber Arbeit suchen? Das war ihm bisher nicht in den Sinn gekommen. Obwohl die Mutter manchmal davon gesprochen hatte.

„Ich hab gehört, du bist Maler?“ Ein anderer Onkel, der sich scheinbar verpflichtet fühlte, dem hinterbliebenen Sohn beizustehen. Gustav stand auf, achtete nicht auf die Hand des Onkels, die ihm wie ein feuchter Lappen von der Schulter glitt, nicht auf das Fragezeichen in dessen Gesicht und verließ das Gasthaus. Heftige Böen jagten Wolken über einen Himmel aus Blei. Gustav zündete sich eine Zigarette an. „Hast du Feuer?“ Dieser fragende Onkel war ihm tatsächlich gefolgt.

„Nein.“ Gustav nahm einen tiefen Zug von der Zigarette und blickte auf seine Schuhe, die hinter einer Schwade blauem Dunst verschwanden. Die Tür des Gasthofes fiel ins Schloss. Er kickte einen Stein weg, wissend, dass der Onkel nicht gegangen war, sondern hinter ihm stand, ihn mit einem Blick zwischen die Schulterblätter jede Locke in seinem Nacken spüren ließ. Gustav drehte sich um.

„Gehen wir ein Stück“, forderte ihn der Onkel auf.

Vielleicht folgte Gustav ihm, weil des Onkels Augen so schwarz wie seine eigenen waren. Vielleicht auch deswegen, weil die Alternative dazu hinter der Tür des Gasthofes lag. Sie schlenderten scheinbar ohne Ziel, ließen den Gasthof hinter sich, näherten sich dem Stadtplatz, der um diese Zeit wie ausgestorben lag, und schließlich der Altstadt, die um jede Zeit ausgestorben war. Weil sie kein Wort miteinander sprachen, waren nur ihre Schritte auf dem feuchten Kopfsteinpflaster zu hören und das Quietschen eines Fensters, das irgendwo über ihnen zugezogen wurde. Endlich mündete die Altstadtgasse in eine asphaltierte breitere Straße, die steil berganstieg, um sich oben mit der stark befahrenen Bundesstraße zu kreuzen. Noch bevor sie diese Kreuzung erreichten, blieb der Onkel stehen. „Gefällt es dir?“, fragte er und deutete auf das Gartentor, das Linkerhand an den Gehsteig angrenzte. Gustav verstand, dass er das dahinterliegende Haus meinte, und dieses gefiel ihm, so wie es sich dort im Garten duckte, winzig und trotzdem irgendwo zwischen Schloss und Ruine. Aber er legte eine Hand auf die patinierten Gitterstäbe und zuckte die Schultern. „Rostig.“

Der Onkel hob die Brauen. Seine dunklen Augen funkelten. Dann lachte er auf. „Wir gehen zurück, oder?“

Auf dem Rückweg zum Gasthof wollte der Onkel nicht länger schweigen. Anfangs musste sich Gustav bemühen, seinen Unmut darüber nicht offen zu zeigen, aber bald wurde die Stimme des Onkels zu Regen, der zwar stetig rauschte und tropfte, jedoch nicht weiter störte, solange man unter einem Schirm ging. Gustavs Schirm war sein Desinteresse. Unter dessen Schutz lief es sich herrlich unbehelligt.

Zurück im Gasthaus kehrte er schleunigst an seinen Platz zurück, zwischen irgendwelchen Verwandten, deren Namen ihm entfallen waren. Bald verlief sich die Trauergesellschaft. Verwandte verabschiedeten sich, Bekannte und Nachbarn gingen nachhause, und Gustav kehrte zurück in die Wohnung seiner Mutter, um Maler zu sein.

 

 

Glück. Bisher hatte Gustav eine Glückssträhne als bloße Aneinanderreihung mehrerer positiver Erlebnisse gesehen. Von der breiten Masse dem Zufall zugeschrieben, wusste er, dass Glück lediglich das absehbare Ergebnis harter Arbeit und die zeitliche Nähe nur Zufall ist. Diese These geriet ein wenig ins Wanken angesichts jener Ereignisse, die zum Tod seiner Mutter, bis hin zu einem Onkel, der ihn einen Maler nannte und schließlich zu einem rostigen Schlüssel in seiner Jackentasche geführt hatten. Er hatte Glück gehabt. Als zwei Wochen nach dem Begräbnis ein Kuvert im Briefkasten gelegen hatte und ihm beim Öffnen der Schlüssel auf die Zehen gefallen war, hatte er Glück gehabt. Instinktiv hatte er sofort gewusst, in welches Schloss der Schlüssel passte. In welches Schlösschen! Bei dem Gedanken an das Haus in dem Garten hinter dem Tor hatte Gustav lächeln müssen. Glückseligkeit, nicht zu verwechseln mit Glück. Glückseligkeit ist ein Zustand der Erlösung. Gustav war erlöst. Er las den Brief, den der Onkel ihm geschrieben hatte, registrierte mit rasch vorübergehendem Interesse, dass der Onkel ein Vater, seiner, war – das erklärte die schwarzen Augen – und behielt im Großen und Ganzen die Quintessenz des Schreibens: Diesen Vater plagte das Gewissen. Gustav war deshalb Hausbesitzer. Mit Glückseligkeit im Herzen und dem Brief in der Hand ging er zurück zu der Staffelei, wo er gestanden hatte, als der Briefträger geklingelt hatte. Ohne die Augen von dem Gemälde zu nehmen, faltete er den Brief zu einem Quadrat und steckte ihn in die Hosentasche. Er besah sich sein Werk auf der Leinwand, während er im Geiste jene Schritte tat, die ihn aus der Wohnung hinaus in sein Haus führen würden: Den Mietvertrag kündigen, sicher gab es einige Formulare zu unterschreiben, ehe er sich Hausbesitzer nennen durfte, packen, sauber machen, besenrein hinterlassen. Ohne den Blick von dem Porträt zu nehmen, griff er nach dem Pinsel, der neben dem Wasserglas auf einem Stück Baumwolltuch lag. Ihm war, als müsste er bei jedem Tupfen, den er mit dem Pinsel machte, lächeln. Jede einzelne Sommersprosse, die das Schwein um den Rüssel herum dazubekam, bereitete ihm Vergnügen. In der Tat fehlten nur noch diese Sommersprossen. Das Bildnis der Mutter war fertig.

Gustav trat einen Schritt zurück.

Glückseligkeit.

Das Schwein lächelte auch. Seine rötlichen Locken umschwirrten ein lächelndes Schweinegesicht. Die Hand zum Handkuss erhoben. Bunt lackierte Fingernägel. Wie lange hatte sie halb fertig von der Leinwand gestarrt, und gefehlt hatten nur ein paar Pinselstriche, ein paar Tupfen, die zu malen er unfähig gewesen war. Erst als die Mutter ordentlich angezogen, das Haar zu einem Knoten, die Hände vor der Brust gefaltet, zu keiner Schweinerei mehr fähig im offen Sarg gelegen hatte, hatte er sich dazu im Stande gefühlt. Jeder Pinselstrich war ein Hochgenuss gewesen angesichts der Tatsache, dass es sein Werk war. Seines. Der Tod eines Schweines. Sein Werk. Das Ende einer Sauerei, die sein Leben gewesen war. Seines. Und das Jagdfieber hatte ihn schon gepackt, während er sein Opfer nach allen Regeln der Farbenlehre und mit meisterhaftem Pinselstrich ausgeweidet hatte. Glückseligkeit.

 

Vater

 

Einige Wochen später bezog Gustav das Haus. Sein Hab und Gut passte in vier Kartons, weshalb sich der Umzug per Bus erledigen ließ. Das Haus enthielt alles, was Gustavs Kartons fehlte. Da war ein Sofa aus dunkelgrünem Samt, ein niedriger Tisch, eine Küche mit einer Kredenz voller Geschirr und Besteck, Töpfe und Pfannen, ein Herd, Kühlschrank, Spüle. Eine Treppe, die unter seinen Schritten knarrte, führte hinauf in das Schlafzimmer, wo ein altertümliches Doppelbett und Schrank einen eigenartigen Geruch verbreiteten, der sich irgendwo zwischen anheimelnd und widerwärtig in Gustavs Nase schummelte. Er öffnete das Fenster. Er putzte, wischte, kehrte und lüftete.

Am selben Abend noch strahlte das Haus in neuem Glanz, Gustavs Hab und Gut war verstaut, und er selbst saß auf dem Sofa im Salon, wie er das Wohnzimmer nannte, um Tee zu trinken und aus dem Fenster zu schau-en. Über den Garten legte sich die Abenddämmerung, dunkelblau und schwer. Eine Krähe setzte sich auf das Fensterbrett, legte den Kopf schief und flatterte wieder weg.

 

 

Am nächsten Tag bekam er Besuch. Gustav hatte nicht ernsthaft gewagt, sich der Vorstellung hinzugeben, dass dieser Besuch ausbleiben würde. Jetzt, da dieser seine Schuhe im Vorzimmer auszog, war er dennoch enttäuscht. Sein Haus, dieses Haus, hatte ihm das Gefühl gegeben, sicher zu sein. Irgendwie hatte er gedacht, dass niemand es vermochte die Schwelle zu übertreten. Ja, er hatte gar darauf verzichtet die Tür abzusperren, so sicher war er sich seiner Sache gewesen.

Und nun der Besuch.

Der Vater.

Der schnalzte mit der Zunge, als er den Salon betrat. „Wow! Da hat sich ja einer ins Zeug gelegt!“

Gustav blieb hinter ihm, beobachtete jeden Schritt mit Argusaugen. Dabei kaute er konzentriert an einer Haselnuss, von denen er sich zuvor eine Handvoll in die Hosentasche gesteckt hatte. Hirnfutter.

Die Schuhe hatte der Vater ausgezogen. Aber die Jacke. Musste er sie wirklich anbehalten? Würde er sich damit auf das Sofa setzen? Sich anlehnen? Mit der Jacke, die er draußen getragen hatte?

Gustav schluckte den Nussbrei hinunter. „Darf ich dir deine Jacke abnehmen?“

„Lass mal, Junge. Ich bleib nicht lange.“ Erleichterung.

Aber er setzte sich trotzdem und lehnte sich zurück. „Ich fahre heute nach Wien zurück.“ Der Vater lächelte. „Zeig mir mal, was du so machst.“

Gustav folgte seinem Blick zu den Farbtuben auf dem Fensterbrett, die er dort, mangels eines eigenen Regals, aufgereiht hatte. Wort- und lustlos schlurfte er ins Schlafzimmer hinauf, hob die Kiste mit den Leinwänden auf und trug sie in den Salon, wo er sie vor den Vater auf den Boden stellte.

„Darf ich?“

Gustav zuckte die Schultern. Während der Vater sich die einzelnen Bilder besah, bemerkte er, dass dessen Blick nicht den Blicken seiner Mutter oder deren Freunden ähnelte, die diese Bilder ebenfalls angeschaut hatten. Der Vater inspizierte. Er schaute nicht. Er sah, und er inspizierte und kritisierte, indem er die Bilder sah. Neugierig geworden setzte sich Gustav auf die Tischkante und wartete auf das Urteil, das da sicher kommen würde.

„Mittelmäßig“, sagte der Vater schließlich und wirkte durchaus zufrieden. „Weißt“, fuhr er fort und lehnte sich wieder zurück. „Weißt, ich kenne in Wien ein paar Leute, denen das sicher gefallen würde.“ Er hob eine Augenbraue, so als müsste Gustav wissen, worauf er hinaus wollte mit dem Heben dieser Braue und dem Satz davor. Aber Gustav wartete. „Ich hab da so meine Beziehungen.“ Gustav hob eine Augenbraue. Der Vater wartete. „Du weißt, was ein Mäzen ist?“

„Ein vermögender Privatmann, der einen Künstler mit finanziellen Mittel fördert“, zitierte Gustav den Duden. „Geldgeber, Förderer, Wohltäter, ein Sponsor umgangssprachlich, ein ...“

„Schon gut“, unterbrach ihn der Vater lachend. „Du weißt es also. Ich hab verstanden.“ Er stand auf und strich sich die Hosenbeine glatt. „Nun.“ Er räusperte sich übertrieben. „Ich nehme deine Bilder mit nach Wien, oder?“

„Wenn du meinst.“ Gustavs gesamtes Inneres vibrierte. Seine Bilder. In Wien. „Aber nicht das da.“ Er legte eine Hand auf das Bildnis seiner Mutter, spürte die raue Leinwand und wiederholte leise: „Nicht das da.“

„Das da, mein Junge“, sagte der Vater, indem er Gustavs Hand vom Bild pflückte. „ist großartig. Das nehme ich auf jeden Fall mit.“

Das Schwein in Wien?

Gustav rieb die Fingerspitzen aneinander, dachte darüber nach, wie sich das Schwein in Wien machen würde, und befand schließlich für gut, was er sich ausmalte.

„Ich melde mich dann, sobald es Neuigkeiten gibt. Ich bin zuversichtlich.“ Der Vater klemmte sich zwei Leinwände unter die Arme. „Du hast nicht etwa vor, dir Arbeit zu suchen?“

Anstelle einer Antwort zeigte Gustav dem Vater ein abfälliges Grinsen gepaart mit der Andeutung eines Kopfschüttelns.

„Hab ich mir gedacht.“ Ein Wiehern, das Gustav beinah hätte mitwiehern lassen. „Dann lass mich dein Mäzen sein, Junge! Pack mit an.“

Gustav half ihm, die Bilder in seinen Mercedes zu verfrachten, der vor dem Haus stand wie ein Kakadu vor dem Meisennistkasten. „Ich melde mich also“, sagte der Vater, bevor er einstieg und die Tür zuknallte. „Bis dahin aber ...“ Seine Hand schnellte durch das offene Fenster. „Solltest du dich auf die Kunst konzentrieren.“ Gustav nahm das Kuvert entgegen, mit dem er ihm zuwedelte.

„Na dann!“ Ein flüchtiges Winken. Weg war er. Und das Schwein reiste in die Hauptstadt.

Gustav ging den Kiesweg durch den Garten zurück zum Haus, legte die Hand auf die Türklinke und warf einen Blick zum Himmel. Dort türmten sich die ersten Regenwolken, ein Schwarm Krähen zog zeternd gen Westen, nur ein Außenseiter hockte auf der Stromleitung und ließ den Kopf hängen.

---ENDE DER LESEPROBE---