Gespenster-Krimi 57 - Katharina Hadinger - E-Book

Gespenster-Krimi 57 E-Book

Katharina Hadinger

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Beschreibung

Mein Atem hat die Fensterscheibe beschlagen. Mechanisch ziehe ich den Ärmel meines Pullovers über meine Faust, aber dann lasse ich die Hand zurück in meinen Schoß sinken. Ich möchte nicht hinaussehen. Allein der Gedanke an die verschneite Landschaft genügt, um eine Gänsehaut über mein Rückgrat bis zum Scheitel kriechen zu spüren. Ich fange an zu zittern. Schon wieder ...


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Inhalt

Cover

Impressum

WEISS

Vorschau

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati / BLITZ-Verlag

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7517-0658-2

www.bastei.de

www.luebbe.de

www.lesejury.de

WEISS

von Katharina Hadinger

Mein Atem hat die Fensterscheibe beschlagen. Mechanisch ziehe ich den Ärmel meines Pullovers über meine Faust, aber dann lasse ich die Hand zurück in meinen Schoß sinken. Ich möchte nicht hinaussehen. Allein der Gedanke an die verschneite Landschaft genügt, um eine Gänsehaut über mein Rückgrat bis zum Scheitel kriechen zu spüren. Ich fange an zu zittern. Schon wieder ...

Die Zeit hat sich meinem Verstand entzogen. Sind es Stunden, die ich hier sitze? Tage? Oder nur Minuten? Sind etwa erst ein paar Sekunden vergangen, seit ich ...

Ein letztes Quantum Vernunft hält mich davon ab, mich umzudrehen. Der Anblick würde mir den Rest geben. Ich kann nicht hinsehen. Noch nicht.

Irgendwann werde ich hinsehen müssen. Vielleicht werde ich dazu gezwungen. Es wäre mir recht. Ich lache in mich hinein. Ein bitteres, humorloses Lachen.

Wer sollte mich schon dazu zwingen, hinzusehen? Gibt es überhaupt noch andere Menschen auf dieser Welt? Und wie lange soll es mich noch geben?

Ich kann nicht zurück. Ich kann nicht nach vorne. Nicht sehen. Und schon gar nicht gehen. Hier werde ich sterben.

Dabei hatte ich deutlich gespürt, an dem Tag, als ich ankam, dass es nicht gut war. Aber ich schob es auf den Sommer und sein freundliches Gesicht, das schließlich alles, was ihm folgt, kalt und abweisend erscheinen lässt ...

Es war ein trüber Tag Ende November, als mein Zug in den Klagenfurter Bahnhof einrollte. Noch im Abteil stehend, klebte ich an der Fensterscheibe und hielt Ausschau nach dem jungen Mann mit dem hüftlangen Haar.

Ich hatte nicht viel bei mir. Einen Rucksack mit dem Nötigsten – Abendlektüre, Wechselkleidung und meiner Zahnbürste – und eine Decke, die ich oben auf den Rucksack gebunden hatte und deretwegen ich mir recht weltenbummelnd vorkam. In Wahrheit war es, seit meinem Trip nach Indien vor zwanzig Jahren, das erste Mal, dass ich Wien verließ.

Das Gedränge durch den schmalen Gang des Zuges verpasste meiner Laune einen kleinen Dämpfer. Eine Gruppe junger Leute schlängelte sich aus dem Abteil vor mir in den Gang.

Frustriert bewunderte ich deren Geschick. Während ich eine Schildkröte mit übergroßem Panzer auf dem Weg zum rettenden Meer war, jonglierten sie ihr Gepäck wie Spielbälle zum Ausstieg.

Erik wartete nicht auf dem Bahnsteig. Ein weiterer Seitenhieb, den ich wegzustecken hatte. Im Geiste schalt ich mich eine verwöhnte Stadtmaus. Wozu sollte er mich am Bahnsteig abholen? Was hatte eine, die nicht einmal allein in die Bahnhofshalle findet, auf einer Selbstversorgerhütte in den Bergen verloren?

Ich hasste es, wenn mich derlei Überlegungen heimsuchten, hatte sie oft genug vertreiben müssen in letzter Zeit. Aber die kleine gemeine Stimme in mir wollte nicht aufhören zu sagen: Du bist eine Stadtmaus, du hast dort oben wirklich nichts verloren.

Entschlossen zog ich die Gurte meines Rucksacks zurecht und straffte die Schultern.

Auf dem Gehsteig vor der Halle wurde ich unschlüssig. Eriks roter VW-Bus war nirgends zu sehen.

Du hast allein in die Halle gefunden, stichelte die Stimme in mir, jetzt kannst du doch auch allein zur Hütte rauf finden.

Ich zog in Erwägung, mir ein Taxi zu rufen, verwarf diesen Gedanken jedoch sofort wieder, als vor meinem geisteigen Augen Eriks schmales Gesicht auftauchte, eine Braue geringschätzend hochgezogen.

Diese Zerrissenheit nervte mich. Ich war eine selbstständige, starke Frau, kein unsicheres Mädchen. Verdrossen setzte ich mich auf die Fensterbank des Bahnhofgebäudes und wartete.

Ein eiskalter Wind fuhr mir ins Gesicht. Ich wischte mir mit dem Ärmel die Tränen weg, die er mir in die Augen getrieben hatte.

Was, wenn er nicht kommt?, schoss es mir unwillkürlich durch den Kopf.

»Verdammt, nun komm schon!«, zischte ich.

Eine Passantin warf mir einen abschätzigen Blick zu. Da war es zurück, das weltenbummlerische Gefühl! Hier saß ich, auf der Fensterbank des Bahnhofes, an meinen Rucksack gelehnt und redete mit mir selbst.

Ich war weiß Gott keine verwöhnte Stadtmaus. Ich war jemand, dem Stadtmäuse abschätzige Blicke zuwarfen.

Im nächsten Augenblick hörte ich das Knattern eines rostigen Auspuffs. Ich versenkte meine Hände in die Jackentaschen und stand auf.

Eriks VW-Bus hielt an der Gehsteigkante. Er stieg nicht aus, um mir mit dem Rucksack zu helfen, aber das hätte ich ohnehin nicht gewollt. Ich kam mir in seiner Gegenwart auch so wie ein altes Mütterchen vor.

Anstelle einer Begrüßung schenkte er mir ein kratziges Grunzen, das ich mit einem lässigen »Hi« erwiderte.

Erst nachdem wir die Bundestraße verlassen und auf die schmale Schotterstraße abgebogen waren, taute Erik auf. Es war mir schon im Sommer aufgefallen, dass er sich veränderte, je mehr wir an Höhenmeter gewannen.

»Das Ganze Gewirr macht mich wahnsinnig«, hatte er sich damals entschuldigt. »Ich bin es nicht gewohnt, so viel um mich zu haben. Ich werde mit dem Schauen nicht fertig. Das stresst mich.«

»Wie geht's Chipsy?«, fragte ich jetzt, da sich die Straße zum zweiten Mal kehrte und sich rechts ein steiler, mit Fichten bewachsener Berghang erhob.

»Gut.« Erik räusperte sich. »Er war eine Zeit lang an der Leine. Das hat ihm nicht so gefallen. Aber der Sterner hätte ihn sonst erschossen.«

Ich schnappte nach Luft. »Erschossen?«

»Na«, verneinte Erik. »Nicht erschossen. Seine genauen Worte waren: ›Ich drehe dem Vieh den Hals um und verfüttere es an meine Schweindeln.‹«

Schon im Sommer hatte ich von diesem Sterner gehört. Eriks Geschichten über ihn faszinierten mich gleichsam wie sie mich abstießen. Bis vor ein paar Jahren war der Sterner ein verheirateter Mann gewesen, sein Hof ein Schmuckstück, das in den Gurktaler Alpen seinesgleichen suchte. Nachdem seine Frau ihn verlassen hatte, wurde es still um den Sterner. Jetzt sind seine einzige Gesellschaft die übrig gebliebenen Tiere.

Nicht einmal der Briefträger kommt noch zum Hof hinauf. Der Sterner hat seinen Postkasten an der Hauptstraße unten. Von dort holt er auch seine tschechischen Prostituierten ab, die er dann und wann zu sich nimmt.

Erik sorgte sich um diese Mädchen. Noch nie hatte er gesehen, das der Sterner sie wieder zur Hauptstraße hinuntergebracht hatte. Andererseits hatte ich auch nicht gesehen, dass Eriks sorge ihn jemals dazu veranlasst hatte, eine Mitfahrgelegenheit anzubieten ...

Der Sterner war weit und breit der einzige Mensch, der im Umkreis von Eriks Hütte lebte. Ein alleinstehender Bauer und passionierter Jäger. Ihm ging es gehörig gegen den Strich, dass Erik sich hier angesiedelt hatte. Er warf ihm vor, das Land verkommen zu lassen, Haschisch anzubauen und seinen Ziegen viel zu viel Freiraum zu lassen. An jedem Wildverbiss im Wald gab er Eriks Tieren die Schuld, fand er einen toten Hasen war es der Hund gewesen.

»Chipsy ist seitdem nicht mehr im Wald gewesen«, fuhr Erik redselig fort. »Ich glaube, er hat sich das abgewöhnt. Mit dem Typen ist nicht gut Kirschen essen. Das weiß sogar der Hund. Ich halte da jedenfalls Abstand.«

Ich nickte und sah aus dem Fenster. Mir war nicht nach Reden zumute. Berghänge, zogen vorbei und verschwanden wieder hinter Berghängen. Hier und da blitzte eine Almwiese zwischen den Wäldern auf. Die wenigen Laubbäume hatten ihre Blätter bereits abgeworfen und reckten ihre schwarzen Kronen gegen einen stahlblauen Himmel, als wollten sie nach den Wolken greifen. Oder nach den Sternen.

Mir fiel ein, wie erschreckend ähnlich ich den Bäumen war. Zu tief verwurzelt in meinem festgefahrenen Alltag, schmucklos und starr, wie ich meine Hände ausstreckte, um nach den Sternen zu greifen. Und jetzt waren die Sterne so nah.

Tatsächlich liegt Eriks Hütte so hoch, dass man sich dem Himmel näher fühlt. Das Schicksal geht verschlungene Pfade. Es hatte erst diese langweilige Vernissage gebraucht, zu der ich geschleppt worden war. Dort hatte ich Eriks Mutter kennengelernt.

Je länger ich mich Eva unterhalten hatte, desto nichtssagender war mir mein Leben erschienen. Diese Frau war nur fünf Jahre älter als ich und hatte bereits die ganze Welt gesehen. Kein Abenteuer schien ihr unbekannt, kein Land nicht erschlossen, kein Traum ungelebt.

Ich begann mich ernsthaft zu fragen, was so eine Frau mit mir wollte. Aber der Künstlerin war sofort aufgefallen, dass mehr in mir steckt, dass ich einen freien Geist habe und dass dieser Geist nicht nach Wien gehört, sondern hinaus in die Natur.

Damals hatte ich keine Ahnung, in welchem Ausmaß sie damit recht hatte. Es war mir vorgekommen, als hätte mir diese Frau ein Geheimnis verraten. Mein Geheimnis, das ich selbst nicht kannte. Ich hatte an diesem Abend mehr über mich erfahren als in sämtlichen Meditationskreisen, Schwitzhüttenworkshops und Selbstfindungsreisen zuvor. Und trotzdem nicht genug, wie ich jetzt weiß.

Als mir Eva die Adresse ihres Sohnes gegeben hatte, der noch auf der Suche nach Mitbewohnern für seine Aussteigerhütte gewesen war, hatte ich nicht vorgehabt, ihm je zu schreiben. Aussteigen. Das Wort barg eine Ungewissheit. Aber kam man nicht, wann immer man wo ausstieg, irgendwo an?

Ein Schlagloch riss mich so jäh aus diesen Gedanken, dass ich mir auf die Unterlippe biss.

»Nummer eins«, verkündete Erik.

Ich kurbelte das Fenster hinunter und streckte den Kopf raus. Hinter einer Anhöhe tauchte der Sternerhof auf. Neugierig reckte ich mich aus meinem Sitz. Das Tor zum Innenhof stand offen. Ein Fuchsfell war auf der Teppichstange aufgespannt. Ein einzelner Sonnenstrahl ließ es wie poliertes Kupfer aufblitzen, ehe der Himmel wieder zuzog.

»Grausliger Kerl«, sagte ich halb an mich selbst gewandt.

Erik zuckte mit den Schultern. »Er ist ein Psycho«.

Ab dem Sternerhof veränderte sich die Straße massiv. War es zuvor eine halbwegs gut befahrbare Forststraße gewesen, so rumpelte der VW-Bus nun über felsigen Grund. Kaum als Straße erkennbar wand sich der Weg durch Gestrüpp und dichten Fichtenwald.

Vier Schlaglöcher gab es auf diesem letzten Abschnitt. Das letzte war so tief, dass Erik ein Brett darübergelegt hatte, um darüber fahren zu können.

Ich hatte ihn gefragt, weshalb er das Loch nicht zuschaufelte. Daraufhin hatte er mir einem nachsichtigen Lächeln erklärt, dass seine Lebensweise völlige Akzeptanz an die Natur unbedingt verlange. Dazu gehöre es auch, Schlaglöcher zu akzeptieren. Wer wusste schon, welche Lebewesen sie bewohnten?

Ich hatte diesen neuen Aspekt als weiteren Grund verbucht, mich ihm anzuschließen. Schon als Kind war ich darauf bedacht gewesen, selbst dem kleinen Leben Respekt zukommen zu lassen.

Einmal war ich mit dem Fahrrad in einen Graben gestürzt, weil ich einem Rüsselkäfer ausgewichen war. Es erschien mir schicksalhaft, als erwachsene Frau nach dieser Devise, die meine Mutter stets als Kinderei abgetan hatte, zu leben.

Alles an diesem Ort erschien mir schicksalhaft. Erik, die Hütte, Chipsy. Bei dem Gedanken an den Hund, fing es in mir an zu kribbeln.

Nach dem Balanceakt über das letzte Schlagloch lenkte Erik den Bus in eine scharfe Rechtskurve ein letztes Mal steil bergan, ehe sich der Ausblick auf die Hütte eröffnete. Inmitten von steilen Wiesen und Waldhängen hockte sie auf ihrem Thron aus Stein und Heidekraut.

Aber was im Sommer noch an ein Schmuckstück aus einem Grimmmärchen erinnert hatte, war nun ein Bild tiefster Tristesse. Regen und Nebel hatte die Holzvertäfelung schwarz gefärbt, aus dem Rauchfang stieg dichter Qualm und verhüllte die Anhöhe, an der das Haus lehnte, wie ein Leichentuch.

Vom Wipfel einer Kiefer flog ein Schwarm Rabenkrähen auf. Ihr Krächzen übertönte das Knattern des Motors. Der Schuppen war ein Stück weiter in sich zusammengesunken und kauerte wie ein Bettler im Schatten der Hütte.

Waldreben hatten im Sommer ihren Halt daran gefunden, ihren Duft verströmt und zahlreiche Schmetterlinge angelockt. Nun erinnerten ihre schwarzen Ranken an Adern, in denen kein Leben mehr floss.

Erik stellte den Motor ab. »Da wären wir«, sagte er. Seine Stimme klang, als wäre er sich bewusst, welchen Eindruck seine Hütte auf mich machte. Aber dann riss er die Tür auf und schwang seine langen Beine aus dem Bus. »Jetzt zeigt sich dir die Natur mal von einer anderen Seite«, hörte ich ihn sagen, während er den Bus umrundete und kurz darauf an meiner Tür rüttelte, bis sie sich quietschend öffnete.

»Klemmt die denn noch immer?«, fragte ich.

»Für solche Dinge hab ich keine Zeit«, gab Erik unwirsch zurück. »Es gibt Wichtigeres als Autotüren, oder?«

»Auf jeden Fall! Ist ja nur ein Viereck aus Blech.«

Ich bemühte mich um einen lässigen Tonfall, doch es klang wie auswendig gelernter Text. Die Umgebung schien alles in sich aufzusaugen, was nicht trostlos und entmutigend war. Ich schluckte hart und schulterte meinen Rucksack.