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Die Erziehungswissenschaft misst dem Raum als Ort und Medium der Bildungs- und Entwicklungsförderung von Kindern einen sehr hohen Stellenwert bei. Eine nutzer- und bedarfsgerechte Raumgestaltung, beispielsweise einer Kindertagesstätte, kann insofern eine nachhaltig positive Wirkung auf den frühkindlichen Entwicklungsprozess entfalten. Matthias Wilk, selbst Architekt und seit langem im Themenfeld Raum, frühkindliche Erziehung und Kita unterwegs, untersucht die Bedeutung, die den Gebäuden innerhalb der Architektur-, sowie der Erziehungs- und Sozialwissenschaften zugeschrieben wird und welches Bewusstsein dafür bei den planerisch beteiligten Architekten/ -innen und den pädagogischen Fachkräften und Entscheidungsträgern vorherrscht. Dabei arbeitet er den frühpädagogischen Kompetenzverlust bei der Planung und Ausstattung von Kitas im Besonderen heraus. Im Ergebnis konzipiert der Autor funktionale Module für die transdisziplinäre Kompetenzerweiterung beteiligter Berufsgruppen und leistet so einen wertvollen Beitrag zur systematischen Qualitätsverbesserung von Bildungsbauten für kleine Kinder.
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Seitenzahl: 430
WISSENSCHAFTLICHE BEITRÄGEAUSDEM TECTUM VERLAG
Reihe Pädagogik
WISSENSCHAFTLICHE BEITRÄGEAUSDEM TECTUM VERLAG
Reihe Pädagogik
Band 41
MatthiasWilk
Der Raum als Erzieher
Die Bedeutung des Raumes für die kindliche Bildung und Entwicklung
Tectum Verlag
Matthias Wilk ist Architekt und ist seit 2006 in dem Bereich Architektur und Pädagogik im Bereich von Kindertagesstätten tätig.
Weitere Informationen unter: http://www.bildungsraeume.eu
MatthiasWilk
Der Raum als Erzieher. Die Bedeutung des Raumes für die kindliche Bildung und Entwicklung
Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum Verlag: Reihe: Pädagogik; Bd. 41
© Tectum Verlag Marburg, 2016
Zugl. Diss. Univ. Bauhaus-Universität Weimar2016
ISBN: 978-3-8288-6601-0
(Dieser Titel ist zugleich als gedrucktes Buch unter der ISBN 978-3-8288-3860-4 im Tectum Verlag erschienen.)
Alle Rechte vorbehalten
Besuchen Sie uns im Internet www.tectum-verlag.de
Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Inhaltsverzeichnis
1Abkürzungsverzeichnis
2Einleitung
3Tageseinrichtungen für Kinder – Grundlagen
3.1Historische und aktuelle Bedeutung und Funktion der Institution Kindergarten
3.1.1Das Bild vom Kind
3.1.2Die ersten Bewahranstalten vom 19. Jhd. bis zum Ersten Weltkrieg
3.1.3Nationalsozialismus (NS)
3.1.4Entwicklung nach 1945
3.2Frühpädagogische Grundlagen
3.2.1Reformpädagogische Ansätze
3.2.2Positionen reformpädagogischer Ansätze
3.2.3Moderne frühpädagogische Ansätze in Deutschland
3.2.4Allgemeines Fazit: Raum in der Frühpädagogik
4Kindliche Entwicklung
4.1Begriffsannäherung an Entwicklung
4.2Theorien menschlicher Entwicklung
4.2.1Psychoanalytische Theorie
4.2.2Soziologisch orientierte Theorie
4.2.3Sozialökologische Entwicklungstheorie
4.2.4Handlungstheoretische Position (Behaviorismus)
4.2.5Kognitive Entwicklungstheorie (Piaget)
4.2.6Gesellschaftstheoretische Position
4.2.7Konstruktivistische Theorie
4.2.8Bindungstheorie
4.3Einflussfaktoren auf Entwicklung
4.3.1Endogene Einflussfaktoren
4.3.2Autogene Einflussfaktoren
4.3.3Die exogenen Einflussfaktoren Sozialisation und Umwelt
4.4Raum als Lernumgebung und Lerngegenstand frühkindlicher Entwicklung
5Annäherung an den Raumbegriff
5.1Der gelebte Raum
5.2Raum als Behälter
5.3Raum als Körperlager
5.4Individueller Wahrnehmungs- und Bewegungsraum
5.5Physiologische Raumwahrnehmung
5.6Zwischenfazit
6Institution Kindergarten
6.1Trägerrahmenkonzept und pädagogische Konzeption einer Kita
6.2Qualität einer Kita
6.2.1Nubbek-Studie
6.3Räume und ihre Gestaltung als Einflussgröße der Qualität einer Kita
6.3.1Gesamtheit der Bedürfnisse im Umfeld als exogene Einflüsse
6.4Raum als Element von Qualitätskategorien
7Hypothese 1: Die Bedeutung einer Kita als familienergänzende Bildungseinrichtung und die dazugehörenden Rahmenbedingungen sind Architektinnen nur ansatzweise bekannt.
7.1Exkurs: HOAI (2013) Anlage 10 (§ 34 Abs. 4, § 35 Abs. 7)
8Hypothese 2: In der Frühpädagogik gibt es eine Diskrepanz zwischen der Bedeutungszuschreibung an den Raum und aktueller fachlicher Kompetenz zur Raumgestaltung und Nutzung.
9Hypothese 3: Es bestehen Unstimmigkeiten in der Struktur für eine Kita-Planung in Deutschland.
10Gewählte Forschungswege
10.1Recherche Fachliteratur (Architektur und Pädagogik)
10.1.1Rahmenkriterien
10.1.2Zusammenfassung und Auswertung der Recherche
10.2Recherche Bildungspläne (Frühpädagogik)
10.3Die Behandlung des Themenfeldes Raum in der Ausbildung pädagogischer Fachkräfte
10.3.1Der DQR als Matrix der Kompetenzprofile von Ausbildungen
10.3.2Thema Raumin spezifischen Qualifikationsrahmen für frühpädagogische Fachkräfte
10.4Kita und Pädagogik in der Ausbildung der Architektinnen
10.5Quantitative Befragung
10.5.1Onlineverfahren
10.5.2Operationalisierung
10.5.3Verlauf der Onlinebefragung
10.6Interview
11Hypothesenprüfung
11.1Hypothese 1: Die Bedeutung einer Kita als familien-ergänzende Bildungseinrichtung und die dazugehörenden Rahmenbedingung sind Architektinnen nur ansatzweise bekannt.
11.2Hypothese 2: In der Frühpädagogik gibt es eine Diskrepanz zwischen der Bedeutungszuschreibung an den Raum und aktueller fachlicher Kompetenz zur Raumgestaltung und Nutzung.
11.3Hypothese 3: Es bestehen Unstimmigkeiten in der Planungsstruktur einer Kita in Deutschland.
12Fazit
13Umsetzungsempfehlungen
13.1Entwicklung eines Qualifikationsprofils Der Raum als Erzieher in der Kindheitspädagogik
13.1.1Modulübersicht eines Bachelorstudiums Kindheitspädagogik
13.1.2Modulbeschreibung: Konzeptarbeit in Einrichtungen der Kindheitspädagogik
13.2Entwicklung des Qualifikationsprofils Der Raum als Erzieher für Architektinnen
13.2.1Exkurs: Architektur und Partizipation
13.2.2Kompetenzen für den Kitabau im Qualifikationsrahmen für Architektinnen
13.2.3Kompetenzerwerb analog der Leistungsphasen der HOAI
13.2.4Curriculum Masterstudiengang für Architektinnen
13.2.5Aufbau des Masterstudiengangs
14Schlusswort/Resümee
15Abbildungsverzeichnis
16Literatur
17Anhang
17.1Leitfaden für die Gestaltung einer inklusiven Tageseinrichtung für Kinder
17.2Grundriss: Muster-Kita
17.3Seminar: Der Raum als Ressource der sozialen Arbeit
17.3.1Modul 14.2: Pädagogische Konzeptionen in Kitas und daraus resultierende Anforderung an den Raum
17.4Seminar: Raum als Ressource in der sozialen Arbeit
17.5Buchrecherche textlicher Teil7
17.6Qualifikationen gem. Definition der Europäischen Berufsanerkennungsrichtlinie (Liste der 11 Punkte)
17.7Qualifikationen, die durch das Curriculum erworben werden sollen gem. Definition der UNESCO/UIA Charta nach ASAP e.V.
17.8Masterstudiengänge BRD / 2014 im FB Architektur
17.9Interview (Leitfaden)
17.9.1Transkription: A. F.
17.9.2Transkription: U. S.-M
17.9.3Transkription: M.P.
17.9.4Transkription: S. St.
17.10Fragebogen Anschreiben
17.11Fragebogen
17.12Synopse: Raumgestaltung in den Bildungsplänen (Sept. 2014)
17.13Beispiel für ein vorgegebenes Raumprogramm
Der Autor hat sich aufgrund der besseren Lesbarkeit auf eine rein feminine Wortwahl festgelegt. Selbstredend ist ebenfalls auch der maskuline Teil der Leser angesprochen und zum Diskurs aufgefordert.
Zugleich Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades Doktor-Ingenieur (Dr.-Ing.) am 11. Januar 2016 im Fachbereich Architektur an der Bauhaus-Universität Weimar.
Gutachterinnen: Prof. Dipl.-Ing. Dipl.-Des. Bernd Rudolf; Prof. Dr. phil. habil. Max Welch Guerra; Prof. Dr. phil. Cornelia Wustmann
Für die Chance, dieses Forschungsprojekt zu realisieren, und für die gute Betreuung bedanke ich mich bei meinen Mentoren Prof. Dipl.-Ing. Dipl.-Des. Bernd Rudolf und Prof. Dr. phil. habil. Max Welch Guerra an der Bauhaus-Universität Weimar. Frau Prof. Dr. phil. Cornelia Wustmann von der Technischen Universität Dresden hat im Rahmen ihrer Bereitschaft, für diese Arbeit als externe Gutachterin tätig zu sein, mit ihrem sehr ausführlichen Gutachten wesentlich zum Erfolg dieser Arbeit beigetragen. Auch dafür meinen herzlichsten Dank.
Dir, liebe Christina, danke ich für arbeitsreiche Urlaube auf Hiddensee, Dein stetiges Motivieren und den für diese Arbeit notwendigen Freiraum!
1Abkürzungsverzeichnis
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
BiK
Bewegung in der Kindheit (Kompetenzzentrum an der HS Niederrhein)
CNV
Curricularnormwert
DGUV
Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (Spitzenverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften und der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand)
ECTS
Leistungspunkte (= Credit Points) werden im Europäischen Hochschulraum als ECTS-Punkte vergeben
GG
Grundgesetz
HOAI
Honorarordnung für Architekten- und Ingenieurleistungen.
IGLU
Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung
JFMK
Jugend- und Familienministerkonferenz der Länder
KapVO
Kapazitätsverordnung der Bundesländer
KiföG
Kinderförderungsgesetz
KJHG
Kinder- und Jugendhilfegesetz (Gesetz zur Neuordnung des Kinder- und Jugendhilferechts)
KMK
Kultusministerkonferenz
LK
Lehrkraftkapazität
LPH
Leistungsphasen in der HOAI (definieren die Gesamtleistung eines Architekten oder Ingenieurs)
NUBBEK-Studie
Nationale Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit (Studie 2013)
OGATA
Offenes Ganztagsangebot
OGS
Offene Ganztagschule
PISA-Studie
Programme for International Student Assessment
(Die Studie erfasst weltweit Schülerleistungen und vergleicht diese international.)
RJWG
Reichsjugendwohlfahrtgesetz (1924 eingeführt; Modernisierung des Fürsorgewesens)
SGB VIII
Sozialgesetzbuch Achtes Buch – Kinder- und Jugendhilfe
SWS
Semesterwochensunde
TAG
Tagesbetreuungsausbaugesetz
ZNE
Zonen nächster Entwicklung
2Einleitung
In internationalen Vergleichen liegt die Bundesrepublik Deutschland bei der frühkindlichen Bildung im unteren Mittelmaß. Länder wie Finnland, Schweden, Dänemark und die Niederlande schneiden hier deutlich besser ab (vgl. PISA-Studie 2002ff.1, OECD-Bericht 20122, Nubbek-Studie 20123).
Seit der ersten Veröffentlichung der PISA-Studie wird in Deutschland ein intensiver Dialog zum Thema Bildung geführt, der sich sukzessive von der Schulbildung auf die frühkindliche Bildung gerichtet hat. Der Kindergarten wird von Politik und Eltern zunehmend als Ort der Bildung angesehen. Wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Einflussfaktoren führen dazu, dass die Kinder immer jünger in die Einrichtung kommen und auch die tägliche Aufenthaltszeit sich verändert. Durch diesen Wandel sind nicht nur die Anforderungen an die Pädagoginnen gestiegen – auch der Raum als solches wird vermehrt von den Erziehungs- und Sozialwissenschaften und der Kognitionsforschung als unterstützendes Moment in der Kindheitspädagogik in den Fokus gerückt. Der Raum als Erzieher ist Thema in pädagogischen Fachdiskursen.
Der Autor arbeitet schon lange im Themenfeld Raum frühkindlicher Bildung Kita. Gibt er sich in Gesprächen mit Pädagoginnen als Architekt zu erkennen, werden immer wieder Beschwerden über eine falsche Kita-Planung an ihn herangetragen. Die Benennung der Schwachstellen fällt dagegen oftmals diffus aus. Sehr oft ist die Unzufriedenheit bzw. das Unverständnis in Bereichen von Akustik und Brandschutz angesiedelt. Erzieherinnen leiden u. a. unter einer schlechten Raumakustik oder können oftmals nicht verstehen, warum z. B. der Flur nicht als Spielflur genutzt werden darf, obwohl dies ein wichtiger Bereich für ihre pädagogische Arbeit ist.
Dem gegenüber stehen Aussagen von Architektenkolleginnen, die wiederum behaupten, dass die Bauherrenseite in Bezug auf Raum und Raumgestaltung nicht ausreichend sprachfähig sei, um exakte Vorgaben zu formulieren. Zudem gäbe es ja von Seiten der Landesjugendämter, Unfallkassen und Bauämter genaue Vorgaben zur Flächenmatrix und Ausführung, an die sich die Planerin aus Gründen der Genehmigungsfähigkeit, Haftung und Refinanzierung zu halten hat. »Fast alle Bundesländer delegieren ihre landesrechtlichen Aufgaben an Landesjugendämter […]. Die Landesjugendämter fördern und unterstützen die Tätigkeiten der Träger von Einrichtungen in beratender, koordinierender, planerischer und fortbildender Form.«4 Um die von den Landesjugendämtern zu vergebende und zum Betrieb einer Kita notwendige Betriebsgenehmigung zu erhalten, dürfen die vorgegebenen Raumgrößen nicht unterschritten werden (vgl. Anhang 17.13). Im Gegenzug wird aber nur das vorgegebene Raumprogramm (Summe der m2) refinanziert. Die Unfallkasse als gesetzlicher Versicherer greift auf zweierlei Wege in die Planung ein. Mit den Regelwerken zum sicheren Betrieb einer Kita z. B. Unfallverhütungsvorschriften, allg. DGUV Vorschrift 1 oder Unfallverhütungsvorschriften Kita DGUV Vorschrift 82 bis hin zu den Spielplatzgeräten in den Außenanlagen. Hinzu kommen die Vorschriften im Bereich der Arbeitsstätten, die im Kitabau ebenfalls beachtet werden müssen. Neben den allgemeinen Vorschriften, die sich aus dem Bebauungsplan und der Landesbauordnung (LBO) ergeben, ist der Bereich vorbeugender und betrieblicher Brandschutz von Seiten der Bauämter zu beachten und ein entscheidender Planungsfaktor. Ebenso kommen selbstredend noch die allgemeinen Vorschriften aus den Sparten Heizung, Lüftung, Sanitär und Elektrik hinzu sowie Energieeinsparverordnung u. v. m. Das Konglomerat an Regelwerken verführt zu der Ansicht, dass Architektinnen die Räume (sich an sämtlichen Vorschriften orientierend) problemlos planen können, da die Regelwerke genug Informationen bezüglich des Baus einer Tageseinrichtung für Kinder beinhalten. Die Planerin macht sich diesen Standpunkt zu eigen: Architektinnen planen und gestalten die Räume und die Pädagoginnen füllen sie später mit Leben; zumal Gestaltung die ureigene Aufgabe des Architekten ist.
Die Erziehungswissenschaft misst dem Raum als Ort und Medium der Bildungs- und Entwicklungsförderung von Kindern einen sehr hohen Stellenwert bei, insofern könnte eine nutzer- und bedarfsgerechte Raumgestaltung die Prozesse in einer Tagesstätte für Kinder positiv beeinflussen. Die vorgenannten Beschwerden und die Idee, einen (positiven) Beitrag für die Professionen der frühkindlichen Bildung und der Architektur zu entwickeln, sind Auslöser und Motivation der vorliegenden Arbeit.
Zur Beantwortung der Fragen hat der Autor nachfolgenden Weg bestritten: Um das Konglomerat Tageseinrichtung für Kinder als Gesamtheit zu erfassen und zu verstehen, wurden die historische und die aktuelle Bedeutung und Funktion der Institution Kindergarten in Deutschland analysiert. Das jeweilige Bild vom Kind als historisches Konstrukt beeinflusst die Diskurse zeitgemäßer Einflussnahme auf kindliche Bildung und Entwicklung. Die vorliegende Arbeit gibt einen Überblick über die Vertreterinnen und Grundaussagen der (Reform-) Pädagogik und ihrer Ansätze und fokussiert sich auf die jeweils formulierten Anforderungen an Raum und Material bzw. die Architektur.
Dezidiert bildet der Verfasser anschließend aktuelle theoretische Grundannahmen und Modelle der Bezugstheorien zu der Bedeutung von Raum und Raumgestaltung bzw. dessen Einfluss auf (frühkindliche) Entwicklungsprozesse ab und beschreibt mehrdimensional den intensiven Zusammenhang zwischen pädagogischer Konzeption, Tagesablauf in der Kita und architektonischer Planung.
Als Forschungsweg zur mehrperspektivischen Untersuchung der aktuellen Situation nutzt der Autor einerseits die hermeneutische Analyse der Bildungs- und Orientierungspläne der Bundesländer zur Bildung und Entwicklungsförderung von Kindern sowie die derzeitigen Qualifikationsrahmen kindheitspädagogischer Hoch- und Fachschulausbildungen, um den Soll-Zustand an pädagogischer Handlungskompetenz bezüglich des Themenkomplexes Raum als Erzieher zu dokumentieren. Interviews und eine quantitative Studie zum derzeitigen Ist-Stand ergänzen andererseits die Forschungsmethoden, erlauben eine synoptische Gegenüberstellung und münden in die Formulierung des bestehenden Handlungsbedarfs. Analog wurde für die Profession der Architektinnen verfahren.
Zusätzlich wurde eine Buchrecherche zu relevanten Büchern durchgeführt, auf die aktuell im Fall der Planung bzw. des Umbaus einer Kita zurückgegriffen werden kann. Parallel wurde seit 2010 an der Hochschule Niederrhein im Bachelorstudiengang Bildung und Erziehung in der Kindheit ein interdisziplinäres Seminar (Architektur und Pädagogik) installiert. Hier konnte der Verfasser direkt Fragen für die vorliegende Arbeit generieren bzw. die Umsetzung gewonnener Erkenntnisse in die Lehre und Praxis direkt evaluieren. Die im gleichen Zeitraum erschienene Nubbek-Studie unterfüttert die Aussage des Autors, dass der Raum als Erzieher in der Kindheitspädagogik ein wichtiges Kriterium der Strukturqualität pädagogischer Tageseinrichtungen für Kinder darstellt und damit die Bildungs- und Entwicklungsförderung von Kindern entscheidend beeinflusst. Dies kommt auch in den abschließenden Handlungsempfehlungen zum Ausdruck.
Dieser Arbeit liegt ein synthetisches Raumverständnis zugrunde, in dem Raumbegriffe unterschiedlicher Perspektiven und Professionen integriert sind. Der altgermanische Ursprung des Wortes rüm findet sich auch im englischen room und im schwedischen rum und umschreibt die Eigenschaften weit, geräumig, freigebig. Rümen als Verb umschreibt dessen aktive Gestaltung als umräumen, Platz schaffen, leer machen, fortschaffen etc. Menschliche Einflussnahme auf die räumliche Umwelt wird sprachlich abgebildet.
Der euklidische Raum der Mathematik basierend auf der euklidischen Geometrie ist ein durch Vektoren beschreibbarer Körper, der auch algebraisch durch Zahlenmengen dargestellt werden kann, gepaart mit physiologischen und bauphysikalischen Eigenschaften. Dieser homogene Raum kennzeichnet das dichotome Gegenüber eines Subjektes.
In Abgrenzung dazu fokussiert der gelebte inhomogene Raum die Subjektorientierung. Durch eigene Handlungen und begleitende leibhaftige Erfahrungen, die emotional bewertet und damit zu Erlebnissen werden, konstruiert ein Individuum kognitive Schemata seiner räumlichen Umgebung als multimodales Reizgefüge5. So wird der Griff an das heiße Heizungsrohr als schmerzhaft empfunden und zu einem negativen Erlebnis. Das Individuum erschafft sich ein subjektiv verzerrtes Abbild seines objektiven Wahrnehmungsraumes. Dieser wird durch körperliche Eigenaktivität (Bewegung) erschlossen und als hodologischer6 Raum gekennzeichnet7. Die Konstruktion kognitiver Raumvorstellungen (mental maps) basiert auf diesem Verständnis. Die Entdeckung der neurophysiologischen Grundlage in Form von Zellstrukturen bei Säugetieren, die der räumlichen Orientierung (innere Karte) dienen, wurde 2014 mit dem Nobelpreis für Medizin gewürdigt. Jean Piaget8 entwickelte ein theoretisches Modell der kognitiven Entwicklung, welches auch die qualitativen Stufen frühkindlicher Raumvorstellungen integriert (siehe dazu Kapitel 4.2.5).
Der Begriff des Sozialraums integriert das Subjekt in sein sozio-kulturelles Umfeld und beschreibt die sozialwissenschaftliche Perspektive9 der kontextuellen Lebens(um)welt eines Individuums im chronologischen Verlauf seiner Ontogenese. Die Ressourcen und Begrenzungen des individuellen Sozialraums gelten als bedeutsame Einflussfaktoren menschlicher Entwicklung und sind Gegenstand aller humanwissenschaftlichen Disziplinen10.
Der in dieser Arbeit verwendete Raumbegriff beinhaltet damit nicht den in der Raumplanung so genannten geografischen Raum, welcher nach seinen wirtschaftlichen und sozialen Möglichkeiten zu ordnen bzw. zu bespielen ist.
1Programme for International Student Assessment (Programm zur internationalen Schülerbewertung)
2Education at a glance / Bildung auf einen Blick
3Nationale Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit, vgl. Kapitel 5.2.1
4Jasmund 2015, S. 92
5Wilk und Jasmund 2015, S. 13
6Der Begriff hodologischer Raum ist vom griechischen Wort hodos (‚Pfad‘, ‚Weg‘) abgeleitet. Der hodologische Raum ist der erlebte Raum Er wird durch den Weg von Punkt A nach Punkt B erlebt und baut auf physischen, sozialen und psychologischen Bedingungen auf.
7Bering 2009, S. 21
81896–1980, Schweizer Psychologe
9Bronfenbrenner 1981, S. 38ff.
10Bourdieu 1994, S. 38–45
3Tageseinrichtungen für Kinder – Grundlagen
3.1Historische und aktuelle Bedeutung und Funktion der Institution Kindergarten
3.1.1Das Bild vom Kind
Unsere Vorstellung vom Kind ist ein historisches Konstrukt, basierend auf zwei Fundamenten. Einerseits ist unser Bild geprägt durch die Wertevorstellungen der umgebenden Gesellschaft und deren akzeptierte Wertevorstellung, andererseits durch unsere eigene subjektive Erfahrung der erlebten Kindheit. Der Begriff Kindheit ist kulturell definiert und unterliegt dem Wandel11. In jeder historischen Epoche wird Kindheit neu begriffen und gedeutet, die Bildungsreformen der späten 1960er und der frühen 1970er Jahre sind ein Beispiel dafür. Im frühen Mittelalter wurden Kinder als kleine Erwachsene betrachtet, für die die heute üblichen getrennten Lebensbereiche Schule oder Kindergarten nicht existierten. Sie verrichteten nahezu die gleichen Tätigkeiten wie die Erwachsenen und trugen damit zum Lebensunterhalt bei12. Die Einstellung zu Kindern änderte sich im Spätmittelalter ab etwa dem 14. Jahrhundert. Die bürgerliche Familie begann sich um das Kind herum zu konzentrieren. Nach und nach wurde es als Aufgabe der Familie angesehen, das Kind auf das Leben in der Gesellschaft vorzubereiten13. Ein Perspektivwechsel hin zum Kind als Individuum vollzog sich ab dem 16. Jahrhundert. Die Humanisten (Renaissance-Humanismus) traten für eine umfassende Bildungsreform ein, von der sie eine optimale Entfaltung der menschlichen Fähigkeiten durch die Verbindung von Wissen und Tugend erhofften. An die Stelle des Autoritätsglaubens tritt der Geist kritischer Forschung; der Mensch wird zum Maß aller Dinge, die Geschichte, das Wirken, die einzelnen Personen und auch der Körper des Menschen werden in den Mittelpunkt des Interesses gerückt14. Humanistische Bildung sollte den Menschen befähigen, seine wahre Bestimmung zu erkennen, und durch Nachahmung klassischer Vorbilder ein ideales Menschentum verwirklichen. Dem jungen Menschen gegenüber entwickelt sich eine besondere Gefühlswelt. Es geht nicht mehr darum, wie aus ihm möglichst schnell ein Erwachsener werden kann, sondern die Aufmerksamkeit richtet sich auf das Spezifische der Kindheit15. Das Leben des Kindes wurde nun als bedeutsam und schützenswert empfunden und ein früher Tod wurde nicht mehr als unvermeidbar angesehen.
In den industriellen Gesellschaften war Kindheit bis ins 20. Jahrhundert ein klar umschriebener Lebensabschnitt bis zum sechsten oder siebten Geburtstag. Das Kind hatte bestimmte Aufgaben zu bewältigen, war aber von der Verantwortung der Erwachsenen befreit. Mit dem siebten Geburtstag wurde das Kind als vollwertige Arbeitskraft angesehen und in die Arbeitswelt einbezogen16. 906 wurde in Berlin der Kongress für Kindheitsforschung abgehalten. Dieser Kongress war geprägt durch ein starkes neues Engagement für die Sache des Kindes. Eine große, neu aufgekommene Faszination für die körperlichen, geistigen und seelischen Entwicklungsprozesse des Menschen bewirkte eine Neuorientierung in der Pädagogik. Für die Kaiserzeit recht gewagte Forderungen wurden auf dem Kongress laut und es wurde der Grundstein für ein neues Bild vom Kind geschaffen. Dem Kind sollte u. a. das Recht der individuellen Entwicklung seiner geistigen und sittlichen Kräfte zugesprochen werden. Dass dabei Erwachsene für und über Kinder entschieden, wurde auf dem Kongress nicht in Frage gestellt17. Ein ganz anderes Bild vom Kind entwarf Anfang des 20. Jahrhunderts JanuszKorczak18. Ihm ging es um die Achtung vor den Kindern als Wesen mit eigener Würde. Er forderte Respekt vor der Kindheit, diese definierte er als Lebensbezirk mit eigenem Charakter, der den Erwachsenen nur begrenzt zugänglich ist. 1999 wies Jürgen Zinnecker19 darauf hin, dass die neue Kindheitsforschung das wissende Kind akzentuiere und dass die durch Kindheitsforschung geprägte neue politische und pädagogische Korrektheit fordere, den partnerschaftlichen und gleichberechtigten Bürger-Status der Kinder anzuerkennen20.
3.1.2Die ersten Bewahranstalten vom 19. Jhd. bis zum Ersten Weltkrieg
19. Jhd. - 1. Weltkrieg
Vorschuleinrichtungen lassen sich seit ihren historischen Anfängen im 19. Jahrhundert durch zwei Funktionen bzw. Motive kennzeichnen. Zum einen hatten sie eine sozialfürsorgerische Funktion, zum andern bestand ihre Funktion in der kindlichen Entwicklungsförderung und in einem Erziehungsauftrag. Die ersten Kindertageseinrichtungen waren sogenannte Kinderbewahranstalten. Sie dienten der Verbrechensverhütung, indem sie der Verwahrlosung vorbeugten. Zugleich förderten sie den Schulbesuch älterer Kinder, die so nicht mehr von der Schule ferngehalten wurden, weil sie auf jüngere Geschwister aufpassen mussten, und bildeten den Anfang einer christlichen Erziehung. Neben den Bewahranstalten gab es für die Kinder der höheren Stände die Kinderschulen. Diese hatten unterschiedliche Aufgaben. Kleinkinderschulen sollten Geist und Körper auf eine dem Kind entsprechende Weise fördern. Bewahranstalten gingen davon aus, dass durch die Erwerbstätigkeit der Mutter die Kinder verwahrlosen und dass der Körper und der Geist vor nachteiligen Einflüssen geschützt werden sollten21. Viele kinderreiche Familien waren zum großen Teil verarmt. Anstatt zur Schule zu gehen, mussten viele Kinder durch eigene Arbeit zum Unterhalt der Familien beitragen. Die regelmäßige Arbeit in Fabriken für Kinder unter neun Jahren wurde in Preußen erst 1839 verboten.
1796 hat Friedrich Oberlin22 mit der Einrichtung einer Strickschule eine Möglichkeit für aufsichtslose Jungen und Mädchen geschaffen, während der Betreuung kleinere Handarbeiten zu erlernen. Oberlin verband Lernen und Arbeiten, da in Armenhaushalten die Kinder schon immer mit Spinnen und Stricken etwas zum Lebensunterhalt beitragen mussten. Seine pädagogische Idee ging über die reine Verwahrung, Beaufsichtigung und Beschäftigung von Kindern hinaus. Er wollte die Kinder auf das zukünftige Leben vorbereiten und wurde damit zu einem wichtigen Impulsgeber für die Pädagogisierung des Umgangs mit kleinen Kindern. Dabei waren die Kleinkinderbewahranstalten relativ einfach mit ausrangierten Tischen und Bänken ausgestattet. Die Unterbringung von 50 und mehr Kindern in einem Raum war üblich, erst bei einer höheren Kinderzahl wurde ein zweiter Raum für nötig erachtet23. Hinzu kam, dass die Erzieherinnen schlecht ausgebildet waren. Trotz einer geringen Bezahlung hatten sie z. T. bis zu 130 Kinder mit nur einer Helferin zu betreuen24. Erst durch den Einfluss der Reformpädagogen wie Pestalozzi, Fröbel u. a. hielt eine neue pädagogische Sichtweise Einzug in die Einrichtungen. Das Kindergartenkonzept von Fröbel basierte bereits auf einer altersspezifischen Erziehungs- und Spieltheorie25. Der Ausbreitung von Kindergärten wurde 1851 durch das preußische Kindergartenverbot Einhalt geboten. Das reformpädagogische Gedankenkonstrukt: Das Kind als Selbstbildner mit einem freien Willen war dem Preußischen Staat suspekt. Erst nach Aufhebung des Verbotes 1860 konnten wieder ungehindert Einrichtungen eröffnet werden. Um 1900 existierten nach einer Erhebung des Deutschen Fröbel-Verbands in ganz Deutschland 350 Kindergärten mit steigender Tendenz. Diese positive Entwicklung fand mit dem Ersten Weltkrieg ein jähes Ende. Die Notlage der Kinder nach dem Ersten Weltkrieg war so offensichtlich, dass eine gesetzliche Regelung der Kinder- und Jugendfürsorge unumgänglich war. Im Reichsjugendwohlfahrtgesetz (RJWG) von 1922 hat sich dann die Auffassung vom Kindergarten als Bewahranstalt durchgesetzt und die Kindergärten in den folgenden Jahrzehnten geprägt26. Der Kindergarten wurde als Teil der Jugendhilfe im RJWG verankert und aus finanziellen Gründen das Subsidiaritätsprinzip im Gesetz festgeschrieben. Ansätze einer pädagogischen Aufwertung des Kindergartens wurden hier endgültig zur Seite gedrängt.
3.1.3Nationalsozialismus (NS)
NS-Zeit
Die Machtergreifung der nationalsozialistischen Partei bedeutete einen weiteren Einschnitt in der Geschichte des Kindergartens in Deutschland. Der Erhalt und die Pflege der sogenannten arischen Rasse standen im Vordergrund. Wichtiger als die Bildung des nationalsozialistisch ausgerichteten Charakters war das Heranzüchten gesunder Körper. Erst danach wurde Wert auf Ausbildung gelegt. Dieses Prinzip spiegelte sich auch in der Kindergartenpädagogik wider. Nationalistische Propaganda trat an die Stelle einer wissenschaftlich begründeten Kleinkindererziehung. Die Erziehung erfolgte nun geschlechterspezifisch: Buben sollten tapfere Soldaten werden, Mädchen dagegen auf die Mutterrolle vorbereitet werden. Sämtliche Angebote in der Einrichtung bis hin zu Volksmärchen wurden auf dieses Ideal zugeschnitten. Durch stufenweise dosierten Belastungsdruck sollten die Kinder seelisch abgehärtet werden. Die Erziehung knüpfte an die Tradition der Bewahranstalten an, deren autoritäre Erziehung im nationalsozialistischen Kindergarten noch verstärkt wurde27. Kindergarten und Erzieherinnen stellten für die Nationalsozialisten allerdings eine Dilemma-Situation dar. Einerseits sollte die Erziehung in der Familie durch die Mutter erfolgen – berufstätige Mütter kamen im Ideal des NS nicht vor –, andererseits wurden immer mehr Frauen im Laufe des Krieges in den Fabriken benötigt. Dadurch wurde der Bedarf an Kindergartenplätzen und Erzieherinnen größer. »Für den Beruf der Kindergärtnerin wurde deshalb geworben, weil er als ideale Vorbereitung auf diesen eigentlichen „Beruf“ der Frau, den der Mutter, angesehen wurde.«28 Die Ausbildung der Erzieherinnen war nicht explizit pädagogisch ausgerichtet, sondern unterlag ebenso wie die Lehrerausbildung der nationalsozialistischen Propaganda.
3.1.4Entwicklung nach 1945
DDR nach 1945
DDR Die geringe Arbeitsproduktivität in der DDR erforderte den intensiven Ausbau von Kindergärten und Kinderkrippen. Dem kontinuierlich herrschenden Mangel an Arbeitskräften konnte nur durch die konsequente Integration der Frauen in den Arbeitsprozess entgegengewirkt werden. Am 27. September 1950 wurde das Gesetz über den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau verabschiedet. Dieses Gesetz war der Ausgangspunkt zur Gleichberechtigung der Frau, zahlreicher Maßnahmen für staatliche Hilfe von Mutter und Kind sowie den Auf- und Ausbau von Kindereinrichtungen.
Da Wohnungszuteilung und andere Privilegien von Heirat bzw. Elternschaft abhingen, waren die Mütter bei der Geburt ihres ersten Kindes im Durchschnitt 22 Jahre alt. Um das Studium bzw. die Ausbildung ohne Unterbrechung weiterführen zu können, wurden an Universitäten und in Studentenwohnheimen Möglichkeiten geschaffen, diese Kinder zu versorgen. Die hohe Anzahl an Ganztagsbetreuungsplätzen wurde offiziell als Beitrag zur Gleichberechtigung der Frau gewertet. »Indem die Kinderkrippen die Kinder umsorgen und fürsorglich betreuen, schaffen sie zugleich Voraussetzungen für die Wahrnehmung der Gleichberechtigung der Frauen.«29 Mit der Erhöhung der zur Verfügung stehenden Plätze in Kindertageseinrichtungen stieg auch die Anzahl berufstätiger Mütter in der DDR. Der Kindergarten (Betreuung von Kindern ab 3 Jahren bis zum Schuleintritt) und die Kinderkrippe (Betreuung von Kindern ab 20 Wochen bis 3 Jahre) wurden in der DDR schnell eine Selbstverständlichkeit und politisch beworben. Die Kinderkrippe war dem Ministerium für Gesundheit zugeordnet, der Kindergarten dagegen in das Bildungssystem integriert und dem Ministerium für Volksbildung unterstellt. Die Siegermächte nahmen selbstverständlich ideologischen Einfluss auf das Erziehungs- und Bildungswesen, wie im Programm für Kindergärten nachzulesen ist. »Die Erziehung zur sozialistischen Moral ist darauf zu richten, die Kinder zur Liebe zu ihrem sozialistischen Vaterland, der DDR, zum Frieden, zur Freundschaft mit der Sowjetunion […] zu erziehen.«30
»Es ist die Aufgabe der Erzieherin, die Kinder zu befähigen, in ihren gegenständlichen Handlungen mit Puppen, Tieren, Lastkraftwagen, Kippern, NVA-Fahrzeugen […] die damit verbundenen sozialen Bezüge zum Ausdruck zu bringen.«31Die Erziehung der Kinder war klar darauf ausgerichtet, das bestehende System zu verteidigen. »Die Kinder sollen erfahren, daß es Menschen gibt, die unsere Feinde sind und gegen die wir kämpfen müssen, weil sie den Krieg wollen.«32Weiter heißt es: »Die Kinder sollen Menschen begegnen und kennenlernen, die uns schützen. Der Stolz der Kinder auf solche Menschen, auch auf ihre Väter, die den bewaffneten Organen angehören oder bereits gedient haben, ist zu entwickeln.«33
Jedes Kind sollte nach den gesellschaftspolitischen Zielen geformt werden. Aufgaben der Kinderkrippe waren u. a.:
•die Erhaltung und Förderung der Gesundheit der Kinder,
•die Sicherung der gesunden körperlichen Entwicklung,
•die Ausbildung des gegenständlichen Handelns,
•die Ausbildung der Sinnes-, Wahrnehmungs- und Erkenntnistätigkeit und
•die Förderung des Spracherwerbs.
Die gegensätzlichen Vorstellungen von Individualität und Gesellschaft in beiden deutschen Staaten sind auch in den Bauwerken für Kinder und Jugendliche abzulesen34. Die Einrichtungen für Kinder und Jugendliche wurden in der DDR aus besagten Gründen in großen Serien hergestellt. Dies wiederum führte notwendigerweise zu einem standardisierten, rationellen Ausbau von Kindergärten und Kinderkrippen. Einer der Ersten, die sich engagiert mit der Problematik der Typisierung und der damit einhergehenden Rationalisierung auseinandergesetzt haben, war der Dresdner Architekt Helmut Trauzettel3536. Durch die notgedrungene Standardisierung und Rationalisierung entstand ein Mangel an Individualität, da der einmal entworfene Typus – ohne auf die Umgebung einzugehen – retortenhaft verwendet und gebaut wurde. Um den notwendigen Platzbedarf zu decken, waren die Einrichtungen oftmals sehr groß ausgelegt, ca. 10 Gruppen (davon vier Krippengruppen), eine Werkstatt für Behinderte und ein Jugendclub fanden Raum in einem Gebäude mit drei Etagen. Diese Gebäude waren daher nicht immer unbedingt für Kleinkinderpädagogik geeignet37. »Ein Blick auf die quantitative Versorgung der ehemaligen DDR mit Kindergartenplätzen gibt eine, im Vergleich zu der unzureichenden Ausstattung der Bundesrepublik, völlig andere Situation wieder. So gab es dort 1989 ca. 13000 staatliche Kindergärten. Neben dieser großen Zahl existierten noch 285 evangelische und 140 katholische Kindergärten als einziges Angebot freier Träger. […] Von 888.420 zur Verfügung stehenden Plätzen waren 1989 eine Zahl von 148.551 Kindergartenplätzen nicht belegt.«38
In der DDR war der Kindergarten als unterste Ebene ins System der Volksbildung integriert und die Erzieherinnen waren dem Bildungsministerium angegliedert. Der Kindergarten war eine generell kostenfreie Einrichtung. Nach der Wende und der Wiedervereinigung wurde der Kindergarten deutschlandweit in den Jugendhilfesektor (Sozialgesetzgebung) eingegliedert. Der Kindergarten unterliegt nun der gesetzlichen Grundlage des SGB VIII. Dies stellte nicht nur einen gewaltigen Paradigmenwechsel und einen Bedeutungsverlust für die pädagogischen Fachkräfte der ehemaligen DDR dar, Konnexität und Subsidiarität engen die Gestaltungsmöglichkeiten für den Gesetzgeber auch in diesem Bereich ein. Die bestehenden Kitas in der DDR wurden in freie und kommunale Trägerschaften überführt. Mit struktureller Änderung erfolgte auch eine inhaltliche Umstellung mit starker Orientierung an pädagogischen Konzepten der alten Bundesländer (z. B. Reggio, Situationsansatz, Waldorf oder Montessori).
BRD nach 1945
Kitas in der Bundesrepublik Deutschland Politisch führte der Kindergarten in der Bundesrepublik Deutschland bis 1970 ein Schattendasein. Konservative politische Strömungen verhinderten den Ausbau, um zu unterbinden, dass Frauen in die Berufstätigkeit gelangten. »Der bundesrepublikanische Gegenentwurf zum DDR-Modell der erwerbstätigen Frau, das von einem System der öffentlichen Kleinkinderbetreuung flankiert wurde, lautete: Die bundesrepublikanische Frau bleibt zu Hause und ist dort für ihre Kinder im Vorschulalter verantwortlich, dies gilt insbesondere für die Frauen aus dem bürgerlichen Milieu.«39
In den späten 60er Jahren geriet das Thema Erziehung und damit auch der Kindergarten in der Bundesrepublik Deutschland in den Fokus der deutschen Protestbewegung.
In den 60er Jahren wurde über die nachfolgenden Standpunkte vehement gestritten:
•Die frühe Kindheit (3-6 Jahre) ist eine intensive Entwicklungs- und Lernzeit. Darunter wurden Leistungsorientierung, Schulvorbereitung, Einüben von Kulturtechniken sowie funktionsorientierte Didaktik (Lernmappen etc.) verstanden.
•Parallel dazu wurde der Standpunkt vertreten, dass Kindheit ein eigener Entwicklungszeitraum sei. Den Kindern wurde eine unbeschwerte fröhliche Zeit zugestanden. Der Aufenthalt im Kindergarten wurde auf die Spanne von ca. 9–12 Uhr eingegrenzt. Die Zeit im Kindergarten wurde überbrückt mit Frühstück, Spielen, Basteln und Singen. Der Jahreszeitenlauf mit seinen Feiertagen wie Erntedank und Muttertag bestimmte das Tun im Kindergarten.
•Die Selbstkompetenz der Kinder stand wiederum in einem anderen Fokus und war eine Antwort auf die autoritäre Gesellschaft der Nachkriegszeit. Der Alltag der Kinder sollte repressionsfrei, gewaltlos und antiautoritär verlaufen.
Das Nachdenken über die Gründe für den Nationalsozialismus und die Debatten über Autorität und Antiautorität hingen unmittelbar damit zusammen und führten u. a. zur Gründung sogenannter Kinderläden. Monika Seifert40gründete im Sommer 1967 in Frankfurt den bundesweit ersten repressionsfreien Kindergarten als eine neue Einrichtung für Kinder im vorschulischen Alter. Die Kinderläden wurden in Selbstverwaltung von Eltern aus dem bürgerlichen und akademischen Milieu betrieben, welche mit dem öffentlichen Erziehungsangebot nicht zufrieden waren. Die pädagogische Konzeption der Kinderschule basierte auf der Theorie der Selbstregulierung nach Wilhelm Reich41und Alexander S. Neil42. 1968 gründete eine Frauengruppe des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) ebenfalls alternative Kindergärten. Die gemeinschaftliche Erziehung ermöglichte den politisch engagierten Frauen die Teilnahme am Studium und an politischen Aktionen. Zu diesem Zweck mieteten sie leerstehende Tante-Emma-Läden. Daraus leitet sich der Begriff Kinderladen ab43. Die Eltern wünschten sich für ihre Kinder eine antiautoritäre Erziehung, die diese auf eine freie, sozialistische und demokratische Gesellschaft vorbereitet. Die Erziehung sollte einen Beitrag zur Veränderung der Gesellschaft leisten. »Das „bürgerliche Subjekt“, der Sozialisationstyp, den die bürgerliche Gesellschaft hervorbringt, sollte schließlich grundlegend verändert, revolutioniert und abgeschafft werden, die Protagonisten der Kommune II etwa sprachen von der „Revolutionierung des bürgerlichen Subjektes“. Der Erziehung kam dabei eine wichtige Aufgabe zu.«44Aus dieser Bewegung heraus haben sich die heutigen Elterninitiativen als Träger von Kitas entwickelt. Deren ursprüngliche Konzepte wurden aber im Laufe der Jahrzehnte weiter entwickelt und verändert45. Elterninitiativ-Kitas sind Tageseinrichtungen für Kinder in gemeinnütziger privater Trägerschaft. Die Eltern der Kinder sind dabei Mitglieder im Trägerverein und tragen durch ihren Beitrag die Fehlsumme aus öffentlicher Förderung und dem eigentlichen Mittelbedarf. Elterninitiativen reagieren besonders flexibel auf gesellschaftliche Veränderungen. Insbesondere der Mangel an Betreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahren veranlasst Eltern, sich zu Elterninitiativen zusammenzuschließen und Krabbelgruppen zu gründen bzw. neue Einrichtungen für Kinder unter drei Jahren zu öffnen.
Erst 1970 wurden nach und nach aus der Sozialforschung pädagogische Konsequenzen gezogen und der „Strukturplan für das deutsche Bildungswesen“ erarbeitet und veröffentlicht. Darin wurde für alle Drei- bis Vierjährigen der Kindergartenbesuch auf freiwilliger Basis empfohlen. Bis 1980 sollten Plätze für 75 Prozent der Kinder zur Verfügung gestellt sein. Ziel dieser Maßnahme war der frühzeitige Abbau sozial bedingter Chancenungleichheit. Der Kindergarten sah es (daher) nicht als seine Aufgabe an, Inhalte zu vermitteln, sondern vielmehr die grundlegenden Fähigkeiten und Verhaltensweisen zu fördern, auf denen die Schule dann aufbauen konnte. Die gängigen Lehrmeinungen in den 1980er Jahren lassen sich wie folgt zusammenfassen:
– Der Situationsansatz setzt auf Kompetenzgewinn durch das Durchspielen von Schlüsselsituationen, welche eine Relevanz für das spätere (Erwachsenen-) Leben haben. Dazu werden ausgearbeitete Curricular46-Materialien benutzt, die für ein bestimmtes Thema entwickelt wurden. Der Kindergartenalltag ist in strukturierte Themenblocks und didaktische Einheiten gegliedert.
– Je nach Sichtweise ist das situative Arbeiten eine Antwort auf bzw. eine Weiterentwicklung des Situationsansatzes. Nicht das vorab erarbeitete Programm bestimmt den Tagesablauf, sondern die Pädagoginnen reagieren auf das Tagesgeschehen. Dies bedingt auf Seiten der Pädagoginnen ein komplett verändertes Rollenverständnis von Kindern und Erzieherinnen. Den Kindern werden Rechte und Kompetenzen zugestanden. Partizipation und Projektarbeit gestalten zum großen Teil den Tagesablauf. Aus dem situativen Arbeiten entwickelte sich der situationsorientierte Ansatz.
Kitas ab 1900
Kindergarten in der Bundesrepublik ab 1990 Der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz wurde 1996 in Deutschland gesetzlich im KJHG verankert. Daraufhin erfolgte ein massiver Ausbau von Tageseinrichtungen in den alten Bundesländern. Aufgrund erheblicher Kostenanstrengungen der Kommunen und Träger wurden zahlreiche Kompromisse bei Ausstattung, Raumkonzeption und auch beim pädagogischen Personal eingegangen. Quantität ging vor Qualität.
Verstärkt durch die Einführung von länderspezifischen Bildungsplänen und durch die Beeinflussung durch Kitapädagogik in Europa und im angloamerikanischen Sprachraum werden allmählich die Kindergärten als Bildungseinrichtungen wahrgenommen. Dem Ergebnis der PISA-Studie 2002, das deutschen Schülern unterdurchschnittliche Leistungen bescheinigte, folgte der sogenannte PISA-Schock. Sehr schnell kam die Meinung auf, dass den Kindern in den Kitas Lernzeit verlorengehe. Neue Zielsetzung waren die Förderung der Schlüsselkompetenzen, Basiskompetenzen und Lernkompetenzen sowie die sprachliche Förderung und die technisch-mathematische Bildung. Die Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung IGLU (2003) brachte insofern Entlastung für die Kindergärten als nachgewiesen wurde, dass die Verantwortung für das schlechte Abschneiden bei PISA nicht bei diesen Einrichtungen zu suchen ist. Hierfür sind eher allgemeine Fehler im schulischen Bildungssystem verantwortlich.
Seit dem 16. Dezember 2008 ist das Kinderförderungsgesetz (KiföG) in Kraft. Das Gesetz enthält folgende wichtige Regelungen:
•Für die Ausbauphase bis zum 13. Juli 2013 werden rechtliche Verpflichtungen für die Bereitstellung von Plätzen eingeführt.
•Ab dem 01. August 2013 soll nach Abschluss der Ausbauphase ein Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für alle Kinder vom vollendeten ersten bis zum vollendeten dritten Lebensjahr eingeführt werden.
•Die Kindertagespflege wird deutlich profiliert, 30 Prozent der neuen Plätze sollen in diesem Bereich geschaffen werden47.
Heute steht der Kindergarten mitten in einer Neuausrichtung. Jahrzehnte war er ausschließlich Gegenstand der Sozialpolitik. Nun wird er mit verstärkten Ansprüchen an Bildung konfrontiert. Durch eine frühzeitige Förderung sollen soziale Benachteiligungen ausgeglichen werden und Kinder gezielt auf die Anforderungen der Schule vorbereitet werden48. Im aktuellen Bildungsverständnis in der Bundesrepublik Deutschland finden sich verschiedene zum Teil ergänzende, aber auch zum Teil stark divergierende Standpunkte hinsichtlich der Bewertung der Eigenaktivität des Kindes und der Bedeutung der Rolle der Erwachsenen im kindlichen Entwicklungsprozess. Das aktuelle Bildungsparadigma spiegelt sich in den von Gerd E. Schäfer49und Wassilios Emmanuel Fthenakis50 vertretenen Ansätzen. Fthenakis ist der Ansicht, dass direkte Einflussnahme des Lehrenden notwendig ist und frühkindliche Bildung die Entwicklung maßgeblich vorantreiben kann. Ebenso wie Piaget und Wygotzky unterstützt er die These, dass Kinder an ihr erlerntes Vorwissen anknüpfen können, um mit Kulturwerkzeugen sinnvoll umzugehen und um Lernerfolge zu erzielen, wie z. B. den Umgang mit Zahlen, Schrift und elektronischen Medien. Er sieht aber keine Notwendigkeit abzuwarten, bis Kinder ein bestimmtes Entwicklungsniveau und Alter erreicht haben, um Lernaufgaben zu bewältigen. Fthenakis sieht den Bildungs- und Lernprozess ebenso wie Schäfer als Interaktion zwischen dem Lehrenden und dem Lernenden; die aktive zielorientierte Seite siedelt er aber eindeutig im Bereich der Erwachsenen an. Für ihn ist die Qualität dieses Interaktionsgeschehens entscheidend. Die Ausgestaltung und Moderation dieses Prozesses legt er in deren Verantwortungsbereich. Das Quantum an angeleiteten Angeboten in den Tageseinrichtungen korreliert nach Fthenakis mit dem zu erwartenden Wissenszuwachs.
Das Freispiel erachtet er als wichtig, dies sollte jedoch unterstützt werden und in angemessenem Verhältnis zur Lernaktivität stehen, die wiederum die Erwachsenen planen und initiieren. Um täglich ausreichend geplante Lernsituationen anbieten zu können, muss es möglich sein, über längere Zeit hinweg mit allen Kindern ungestört pädagogisch zu arbeiten. Dazu ist es notwendig, die Kernzeit angemessen zu dimensionieren, was wiederum mit bestimmten pädagogischen Konzeptionen wie z. B. der offenen Arbeit kollidiert51. Dieser Standpunkt wird nicht von allen Pädagogen anerkannt. »Aus der Sicht der modernen Persönlichkeits- und Entwicklungspsychologie wird Sozialisation längst nicht mehr als einseitiger Prozess betrachtet, durch den Individuen überwiegend während ihrer Kindheit und Jugend durch soziale Umweltgegebenheiten geprägt werden.«52Für Schäfer ist Bildung Selbsttätigkeit. Der Mensch kann nicht gebildet werden, bilden muss jedes Individuum sich selbst. Bildung erfolgt aufgrund von individuellen Sinnfindungen oder -verlusten. Sinn kann man nur selbst finden und niemand anderem vermitteln. Die Gegenstände der Bildung tragen den Stempel der Geschichte und damit ein soziales und kulturelles Muster. Außerhalb dieser soziokulturellen Gewordenheit ist keine Bildung möglich. Man wird nur in dem Maße sich selbst, indem man sich in einem Gegenüber findet53. Für Schäfer beginnt Bildung mit der Geburt54. Dieser theoretische Ansatz versteht das Kind als Selbstbildner, dem ein geeignetes Umfeld zur Verfügung gestellt wird. »Selbsttätigkeit ist stets die Basis für alles pädagogische Handeln. Aber Selbsttätigkeit ist pädagogisch gesehen vor allem die Tätigkeit des Anderen, die gefördert werden soll. […] Pädagogische Professionalität muss sich nicht darin bewahrheiten lassen, dass sie alles besser weiß, sondern darin, Andere ihr Wissen selbst finden zu lassen.«55
3.2Frühpädagogische Grundlagen
3.2.1Reformpädagogische Ansätze
Der Begriff Kindheit (frühe Kindheit) unterliegt, ebenso wie das Bild vom Kind, dem politischen und gesellschaftlichen Wandel und Interesse. Interessanterweise vollzieht sich die Änderung der Betrachtungsweise der frühen Kindheit oft parallel zu gesellschaftlichen Umbrüchen56. Kindheit gilt heute als eigene Lebensphase, die aus entwicklungspsychologischer Sicht von der Geburt bis zur Pubertät bzw. sexuellen Reife reicht. Erreicht der Jugendliche die Pubertät, spricht man von Adoleszenz57. Dieser Prozess ist kulturabhängig und variiert in seiner Altersausprägung. Im Gegensatz zu den sogenannten Entwicklungsländern sind in den Industrieländern Jugendliche viele Jahre lang von ihren Eltern abhängig und müssen eine Familiengründung aufschieben. Daher ist in solchen Gesellschaften die Adoleszenz erheblich verlängert. Der Gesetzgeber hat sich in Deutschland auf eine eindeutige Definition des Begriffes Kind festgelegt. Im Sinne des Jugendschutzgesetzes sind Kinder Personen, die noch nicht 14 Jahre alt sind. Im SGB VIII / KJHG § 7 (1) und StGB § 176 (1) findet sich die gleiche Definition wieder.
Die Vorstellung, dass Kinder unvollkommen und in ihrer Eigenentwicklung begrenzt sind, bedingt Bildung und Erziehung und damit die jeweilige historisch akzeptierte Art von Pädagogik. Die Romantiker betrachteten die Kindheit als Zeit der Unschuld. Kinder wurden als die besseren Menschen angesehen. Hier hatte die Erziehung eine andere Funktion. Herder und Rousseau sehen die Kinder als schützenswerte Wesen, wenngleich von verschiedenen Standpunkten aus. Rousseau möchte die Kinder vor der Gesellschaft schützen, Herder sieht den Schutz aufgrund ihrer Schwäche und Hilfslosigkeit58. Ein weiterer Ansatz war die These, dass Kinder mit der Erbsünde befleckt sind. Die Erziehung hatte hier die Aufgabe, die Natur des Kindes in seiner Phase der Unvollkommenheit zu disziplinieren. Die außerfamiliäre Erziehung wurde mehrheitlich von philanthropischen Frauengruppen übernommen. Verwaltet wurde sie meist von einem männlichen Direktorium, dem hierarchisch untergeordnet wiederum meist männliche Erzieher die Rolle des christlichen Pflegevaters einnahmen. Dabei sollten insbesondere die Proletarierkinder mit Bibelversen und geistlichen Liedern zu Fleiß, Demut und Gottesfurcht und damit zu industriekonformen Arbeitern abgerichtet werden59. Diese zwei konträr zueinander stehenden Ansätze bestimmten die Fachdispute, heraus kristallisierte sich aber das Erkennen der Notwendigkeit von Bildung und Erziehung. Dies führte allerdings noch nicht zur Einführung der allgemeinen Schulpflicht und zum Schutz der Kinder. Schulpflicht und Verbot von Kinderarbeit wurden eingeführt, da dem Militär nicht mehr genügend junge gesunde Menschen zu Verfügung standen. Erst wirtschaftliche und militärische Notwendigkeiten führten im Ansatz zu Schutzgesetzen von Kindern. Die Kinder waren von der schweren Arbeit gesundheitlich geschädigt. Die Lehrer beklagten sich über den Umstand, dass die ausgemergelten Kinder übermüdet vom Stuhl fielen und ihrem Unterricht nicht folgen konnten. Der Unterricht, besonders der Schulsport, wurde als militärische Vorbereitung angesehen. Die sogenannte Körperschulung leistete hervorragende Dienste für die militärische Ausbildung. Der Drill des Soldaten wurde nahezu wissenschaftlich ausgeführt60. Im Jahr 1762 veröffentlichte Jean-Jacques Rousseau61 seinen Erziehungsroman Émile ou de l’Éducation. In diesem Roman kombinierte er zukunftsweisend seine philosophischen und politischen Ansichten mit dem vorhandenen Wissen über Kinder. Er führt die drei Erzieher des Menschen ein, diese sind die Natur, andere Menschen und die Dinge. Außerdem erwähnt er zwei pädagogische Grundprinzipien, nämlich die Erfahrung und die Anschauung. Rousseaus Erziehungskonzept basiert auf der Fragestellung, wie der Mensch dazu zu befähigen sei, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. Auf seinen Schriften basieren viele der theoretischen Ansätze der Reformpädagogik. Bis Anfang des 21. Jahrhunderts galt er als Begründer der modernen Kinder- und Jugendpädagogik (Reformpädagogik). Die heutige Forschung nimmt jedoch inzwischen davon Abstand, da sie davon ausgeht, dass sich zeitgleich mehrere Personen mit diesem Themenkomplex befassten und ihre Gedanken dazu beisteuerten. Die ursprüngliche Reformpädagogik seit Johann Gottfried Herder62 und Rousseau enthält die nachfolgenden Grundannahmen:
•Dem Kind wird eine Tendenz zur Selbstvervollkommnung zugesprochen.
•Erzieherinnen und Kind treten in einen partnerschaftlichen Dialog.
•Die Inhalte des Lehrens werden vom Kinde aus strukturiert. Um lebensunmittelbare Erfahrungen zu ermöglichen, werden sie oft von den Schülerinnen selber ausgewählt und festgelegt; und sie werden in offenen, überfachlichen Zusammenhängen erarbeitet.
•Die Gestaltung der Schule erfolgt als Lebensraum. Um die Schule als Raum für eine kindgemäße Erziehung vorzubereiten, wird sie als familienähnliche Lebensform bzw. als Gemeinschaft organisiert.
•Lernen basiert auf Selbstständigkeit und baut auf dem kindlichen Verstehen und dem aktuellen wissenschaftlichen Wissen auf.
Bei Friedrich Wilhelm August Fröbel63 finden diese Gedanken das erste Mal praktische Anwendung in der Kindergartenerziehung64. 1902 veröffentlichte Ellen Karolina Sophie Key65 acht Essays unter dem Titel Das Jahrhundert des Kindes. In diesen Essays stellte sie die These auf, dass das Kind unter der gewalttätigen Gesellschaft und unter dem Seelenmord in den Schulen sowie unter ehrgeizigen Eltern leide. Sie erwähnt ausdrücklich die Bedeutung und Rolle des Vaters in der Erziehung. Einer der wichtigsten Vertreter der Reformpädagogik war Janusz Korczak66. Er stellte bereits vor über 90 Jahren die Grundlagenanforderungen an die neue Pädagogik auf. Für ihn sind Kinder in ihrem gegenwärtigen Status ernst zu nehmen und sie sind in ihrem gegenwärtigen Sein als Kinder zu achten. Korczaks Pädagogik beruht auf einer Entmystifizierung des Kindes und nicht auf einem naiven reformpädagogischen Erziehungsoptimismus. Er nähert sich mit einer vorurteilsfreien realistischen Sicht dem Kind wie es tatsächlich ist. Die verschiedenen pädagogischen Handlungskonzepte führten zwangsläufig zu Divergenzen. Trotz dieser Antagonismen war man sich über die Bedeutung von Erziehung für die Entwicklung der Kinder einig. Konsens war, dass der Mensch die Fähigkeit zu lernen besitzt. Heute ist das Bild vom Kind in der modernen Pädagogik geprägt durch die Begriffe Kindeswohl und Wertschätzung des Kindes und vom Kind als eigenaktivem Gestalter seiner Entwicklung. Die Vorstellungen von angewandter Pädagogik und das Selbstverständnis der Pädagoginnen haben sich grundlegend geändert. »Der Gegensatz zwischen den maßgeblich aktuellen Vorstellungen innerhalb der deutschen Frühpädagogik, wie Bildungsprozesse von Kindern im Vorschulalter angemessen zu verstehen und entsprechende Angebote zu konzipieren sind, lässt sich auf die Formeln: „Bildung als Selbstbildung“versus „Bildung als Ko-Konstruktionsprozess“67bringen.«68
3.2.2Positionen reformpädagogischer Ansätze
Die jeweilige pädagogische Arbeit in einer Tageseinrichtung für Kinder beruht auf folgenden Positionen von Kindheit und deren späterer Weiterentwicklung. Um nachvollziehen zu können, auf welchen Grundlagen die gewählte pädagogische Konzeption fußt und welche Konsequenzen dies für den Tagesablauf in einer Kita bedeutet bzw. die daraus entstehenden Prinzipien für die Architektur abschätzen zu können, ist es notwendig, sich mit den jeweils biografisch gefärbten Gedankenkonstrukten der Reformpädagogen auseinanderzusetzen. Die im Vorfeld erwähnte historische Fragestellung, ob das Kind als unbeschriebenes Blatt auf die Welt kommt oder mit einer vorgeburtlichen Prägung ausgestattet ist, wurde plakativ ausgedrückt, ein Bild zwischen der schlechten Gesellschaft und dem guten Kind gezeichnet. Aus diesem Bildheraus wurden viele der nachfolgend aufgeführten pädagogischen Ansätze entwickelt.
Pestalozzi 1746–1827
Johann Heinrich Pestalozzi 1746–1827 Am 12. Januar 1746 wurde Johann Heinrich Pestalozzi in Zürich geboren. Er konnte alle Schulen besuchen, die einem jungen Stadtbürger offen standen. Dabei kam er mit berühmten Personen der schweizerischen Aufklärung in Kontakt. Jakob Bodmer69 führte Pestalozzi an die Gedanken und Werke von Rousseau heran. Mit 20 Jahren setzte er sich in einer ersten Schrift mit der selbstherrlichen Regierungsweise der Herrschenden auseinander. Sein Theologie- und Jurastudium brach er ab, um nach einer Lehre als landwirtschaftlicher Unternehmer zu leben, was allerdings mit dem Projekt Neuhof in einem finanziellen Fiasko endete. 1767 heiratete er Anna Schultheiß und bekam mit ihr drei Jahre später einen Sohn. Im Sinne der aufklärerischen Pädagogik versuchte Pestalozzi seinen Sohn nach den Ratschlägen Rousseaus zu erziehen, die er der Schrift Émile ou de l’Éducation entnahm. Dieser Versuch einer idealen Kindheit scheiterte tragisch. Das Tagebuch, das Pestalozzi über die Erziehung verfasste, ist ein erschütterndes Dokument seiner schwerwiegenden Fehlinterpretation von Rousseaus hypothetischer Pädagogik. Im Mai 179870 stellte er sich in den Dienst der neuen Regierung und wurde mit der Leitung einer Anstalt für verwaiste Kinder in Stans betraut. Er war entschlossen, seine pädagogischen Ideen, die er in den letzten 20 Jahren entwickelt hatte, nun in die Praxis umzusetzen. Aufgrund der Kriegswirren musste er schon nach einem halben Jahr die Anstalt zugunsten eines Lazaretts auflösen.
»Nicht nur der Krieg hatte ihn vertrieben. Pestalozzi hatte sich auch übernommen und war dem physischen Zusammenbruch nahe.«71Physisch und psychisch angeschlagen schreibt er seine Erfahrungen und Überlegungen in seinem Brief an einen Freund über meinen Aufenthalt in Stans nieder, der weithin als der bedeutendste pädagogische Text Pestalozzis gilt. Durch den Aufenthalt in Stans bekam Pestalozzis Leben allerdings eine eindeutige Richtung. »Stans war der Wendepunkt in Pestalozzis Leben. Trotz dem mißlichen Ausgangs des Stanser Unternehmens war Pestalozzi jetzt auf die Bahn des „Schulmeisters“ geworfen.«72Er wollte Lehrer werden. In Burgdorf erhielt er die Möglichkeit dazu und konnte seine Idee von einem Lehrerseminar mit Erziehungsanstalt verwirklichen. Mit neuen Mitarbeitern wollte er seine Unterrichtsmethode entwickeln. Sein Ziel war es, die innere Kraft der Kinder zur Aufnahme von Wissen zu stärken und er vertraute auf deren Selbstbildungsprozess73. Er war also einer der ersten Pädagogen, die davon ausgingen, dass Kinder sich in einer vorbereiteten Umgebung selbst bilden. Pestalozzi war allerdings weit davon entfernt, in der Art und Weise wie heutzutage der Begriff verstanden wird, das Kind als Selbstbildner zu sehen. Bildung fand immer noch von außen gesteuert statt. »Aller Unterricht des Menschen ist also nichts anderes als die Kunst, diesem Haschen der Natur nach ihrer eigenen Entwicklung Handbietung zu leisten; und diese Kunst ruht wesentlich auf der Verhältnismäßigkeit und Harmonie der dem Kinde einzuprägenden Eindrücke mit dem bestimmten Grade seiner entwickelnden Kraft.«74Die dazu grundlegende Schrift Wie Gertrud ihre Kinder lehrt machte ihn als großen Erzieher und Erneuerer der Volksschule bekannt und Besucher aus ganz Europa fanden den Weg nach Burgdorf. Die Wiederherstellung der föderativen Strukturen in der Schweiz zwang ihn erneut dazu, seinen Standort zu verlassen. Nach einem vorübergehenden Aufenthalt in einem Klostergebäude in Münchenbuchsee machte er sich 1804 an den Aufbau eines neuen Instituts in Yverdon. Sein Institut wurde rasch über die Grenzen der Schweiz hinaus berühmt. Pädagogische Impulse daraus gelangten nach ganz Europa, insbesondere nach Preußen. Es kamen zahlreiche Besucher, um das Institut zu besichtigen. Die eigentliche Blütezeit waren die Jahre von 1807–1809. Jahrelange erbitterte Auseinandersetzungen unter den Mitarbeitern ruinierten schließlich das Institut. Ökonomische Schwierigkeiten zwangen Pestalozzi, es 1825 aufzulösen. Nach dem Zusammenbruch zog sich er sich wieder auf seinen Neuhof zurück und wollte erneut eine Armenanstalt aufbauen, aber vor deren Vollendung starb er am 17. Februar 1827.
Pädagogische Prinzipien Der sittliche Mensch, welcher in religiösem Glauben verwurzelt ist, nach Liebe trachtet, nach dem Guten strebt und seinen Egoismus zurückstellt, ist das Erziehungsziel Pestalozzis. Er geht davon aus, dass die Voraussetzungen zu einer sittlichen Lebensgestaltung in der Natur des Menschen verankert sind. Diese Voraussetzungen sind in jedem Kind vorhanden und müssen entfaltet werden. Pestalozzi folgerte daraus, dass die Erziehung dem Entwicklungsstand des Kindes angepasst werden muss. »Ich sah ebensobald, daß es in der Verfertigung dieser Bücher wesentlich darauf ankommen müsse, die Bestandteile alles Unterrichtes nach dem Grade der steigenden Kräfte der Kinder zu sondern […].«75Seine Mitarbeiter bauten auf diese Erkenntnis auf und entwickelten den Grundsatz weiter, dass der Lernerfolg und die Motivation des Kindes größer ist, wenn stufenweise auf das Erlernte aufgebaut wird, das zuvor Erlernte vertieft und verfestigt wurde. Pestalozzi wusste um den Erfolg kindgerechter Förderung und sah den Pädagogen als Erziehungspartner an, welcher den Entwicklungsprozess begleitet, aber nicht vorantreibt76. Er entwickelte eine Methode, Dinge über mehrere Sinne für sich erfahrbar zu machen, und vertrat die Ansicht, dass multimediales Lernen einen größeren Erkenntnisgewinn vermittelt. Grundlegend für die gesunde Entwicklung des Kindes ist nach Pestalozzi die Mutter-Kind-Beziehung. »Von dem Augenblick an, da die Mutter das Kind auf den Schoß nimmt, unterrichtet sie es, indem sie das, was die Natur ihm zerstreut, in großen Entfernungen verwirrt darlegt, seinen Sinnen näher bringt und ihm die Handlungen des Anschauens und folglich die von ihr abhangende Erkenntnis selber leicht, angenehm und reizend macht.«77Einerseits sah er die Erziehung ganz klar der Familie zugeordnet und prägte das Wort der sogenannten Wohnstubenpädagogik, andererseits sah er aber auch, dass nicht alle Eltern sich um ihre Kinder in geeigneter Weise sorgen können. Sein (Ausgleichs-) Ideal war ein Kinderhaus, wohin Mütter ihre Kinder bringen können, wenn sie durch die schlechte wirtschaftliche Lage gezwungen wurden zu arbeiten und sich nicht der Erziehung widmen konnten. Grundsätzlich jedoch geht er davon aus, dass die Basis jeglicher Erziehung die Wohnstube ist. Hier erschafft die Mutter eine Atmosphäre der Geborgenheit und Liebe. Er war davon überzeugt, dass sich dann im Kind parallel zu den sittlichen Grundgefühlen (Liebe, Vertrauen und Dankbarkeit) der Gehorsam entwickelt. Für Pestalozzi ist der kindliche Gehorsam die Grundlage der Freiheit und hat nichts mit Unterdrückung zu tun, sondern befreit von den Zwängen der eigenen Selbstsucht und Triebhaftigkeit, dem eigenen Gewissen gehorchen zu können. Seiner Überzeugung nach kann ein Kind dies nur leisten, wenn es zuvor den Gehorsam gegenüber den Erziehern kennengelernt und eingeübt hat. Pestalozzi benennt den Gehorsam als die sittliche Grundfertigkeit. Für ihn ist Erziehung die Entfaltung der sogenannten Herzenskräfte. Er verortet intellektuelle und handwerkliche Kräfte (Kopf und Hand) im Dienste der gebildeten Herzenskräfte. Dagegen spricht er bei der Entwicklung und Stärkung von geistigen und physischen Kräften von „Bildung“. Bildung und Erziehung sollen nicht getrennt, sondern miteinander verbunden werden, so dass Bildung als Mittel der Erziehung dient. Daraus entwickelt er das Konzept des erziehenden Unterrichts. Pestalozzi wollte aber diesen nicht der Schule allein übertragen, sondern trat ein für die Mutterschule. Prinzipiell sollten sich die Eltern (in der Regel die Mutter) um eine moralische Erziehung ihrer Kinder im Rahmen des natürlichen Tagesablaufs in der Wohnstube kümmern.
Anforderungen an die Raumgestaltung Direkt zum Raum trifft Pestalozzi keine Aussagen. Indirekt sind allerdings viele Konsequenzen abzuleiten. Er versteht (wenn auch in seinem historischen Kontext) das Kind als Selbstbildner. Daraus folgt: Die Einrichtung muss so gestaltet sein, dass das Kind sich selbstständig bewegen und handeln kann. Dies bedeutet zumindest altersgerechtes Mobiliar, freie Blickachsen (sowohl innen wie nach außen), eine gute Akustik zum Spracherwerb und genügend Licht und Luft78. Er geht davon aus, dass die Eltern (primär die Mutter) die Anstöße zum Spiel und Wissenserwerb liefern und vorbereiten. Kindgerechte Regale (freier Zugriff auf Spielmaterial) sind unter diesem Aspekt betrachtet daher nur bedingt erforderlich. Notwendig sind Behälter für Spielzeug etc., damit das Kind nach Beendigung des Spiels die Materialien selbstständig aufräumen kann. Pestalozzi sieht die Eltern bedingt als Vorbilder. Kleine Podeste o. Ä. ermöglichen dem Kind, an den täglichen Haushaltsverrichtungen wie Backen, Kochen und Spülen teilzunehmen. Da Pestalozzi selbst von einer Wohnstubenpädagogik spricht, sollten die Räume ein häusliches Ambiente widerspiegeln.
Grundsätzliche Anmerkung: Eine Tageseinrichtung für Kinder ist selbstredend auch eine Arbeits- und Begegnungsstätte (Elternarbeit / Erziehungspartnerschaft) für Erwachsene. Auf diese Bedürfnisse ist selbstverständlich ebenso Rücksicht zu nehmen wie auf die Bedürfnisse der Kinder. Der Autor fokussiert sich in den folgenden Anhängen bezüglich der reformpädagogischen Ansätze nur auf die Bedürfnisse die Kinder.
Fröbel 1782–1852
Friedrich Wilhelm August Fröbel 1782–1852 Friedrich Wilhelm August Fröbel wurde in Oberweißbach (Thüringen) am 21. April 1782 geboren. Seine Pädagogik ist untrennbar mit seinem Lebensweg als Naturwissenschaftler, Philosoph und Erzieher verknüpft79. Während seiner Ausbildung zum Feldmesser bot sich ihm nebenbei reichlich die Gelegenheit, sich intensiv mit Pflanzen, Steinen und Erden philosophisch und naturwissenschaftlich auseinanderzusetzen. Nach der Ausbildung begann er ein Studium der Naturwissenschaften an der Universität in Jena, musste dies allerdings aus finanziellen Gründen vorzeitig abbrechen. Rückblickend auf seine eigene Schulausbildung bemerkte er später, dass es dem Unterricht an Anschaulichkeit, Lebensnähe und Selbstständigkeit gefehlt hatte. Die Bekanntschaft mit Gottlob Anton Gruner80veranlasste ihn, den Lehrerberuf zu ergreifen. Gruner war Leiter einer Schule in Frankfurt, welche sich nach den pädagogischen Grundsätzen Pestalozzis ausrichtete. Vor seiner Anstellung als Hauslehrer in Frankfurt hatte Fröbel persönlichen Kontakt zu Pestalozzi aufgenommen. In dieser Zeit entwickelte er das Konzept der sogenannten Spielgaben. Seine Spielgaben