Der Raum - Peter Clines - E-Book

Der Raum E-Book

Peter Clines

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Nate hasst seinen Job, ist ständig pleite und Dauersingle. Der einzige ichtblick in seinem Leben ist seine neue Wohnung: Die Lage ist zentral, die Miete erstaunlich niedrig und die Nachbarn sind nett. Wen kümmert es da schon groß, dass Nate ein oder zwei Dinge in seiner Wohnung merkwürdig vorkommen, wie zum Beispiel die Türen, die sich nicht öffnen lassen, oder die riesigen Kakerlaken in seiner Küche, die im Dunkeln zu leuchten scheinen. Bald muss Nate jedoch feststellen, dass sich hinter den verschlossenen Türen dunkle Geheimnisse verbergen – und der Albtraum beginnt ...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 676

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Das Buch

Nathan Tucker, den alle nur Nate nennen, findet in Los Angeles zu seiner großen Überraschung eine traumhafte Wohnung mit unglaublichem Panorama-Ausblick, und das für eine unverschämt niedrige Miete. Die Wohnungsbesichtigung in dem uralten, ziegelverkleideten Gebäude verläuft ebenfalls reibungslos, bis auf die schillernd grüne Kakerlake, die Nate kurz über den Boden krabbeln sieht. Das stört ihn jedoch nicht weiter, und so zieht er eine Woche später ein. Als er dann von mehreren Leuten hört, dass irgendetwas mit dem Haus nicht stimmt, kommen erste Zweifel bei Nate auf, die sich schon bald nach dem Einzug verstärken: Es tauchen seltsam mutierte Küchenschaben auf, im Keller gibt es einen riesigen Fahrstuhl-Maschinenraum, obwohl der Fahrstuhl angeblich noch nie funktioniert hat, und die Elektrizität des Hauses hat keinerlei Verbindung zum Stromnetz von Los Angeles. Schließlich erfährt Nate von seinen neuen Nachbarn, dass es in dem nach einer Inschrift über dem Eingang so benannten Kavach-Haus bereits etliche Selbstmorde gab. Außerdem hat keiner der Mieter seit ihrem Einzug jemals wieder geträumt. Als sie beschließen, das Geheimnis des Kavach zu lüften, müssen sie feststellen, dass das Haus bereits eigene Pläne mit ihnen hat …

Der Autor

Peter Clines wuchs in Maine, USA, auf und studierte Literaturwissenschaft, Archäologie und Quantenphysik. Er hat bereits zahlreiche Kurzgeschichten veröffentlicht, bevor er sich dem Schreiben von Romanen widmete. Peter Clines lebt und arbeitet in Südkalifornien. Im Heyne-Verlag ist zuletzt sein Roman Der Spalt erschienen.

Peter Clines

Der Raum

Roman

Aus dem Amerikanischen von Marcel Häußler

Deutsche Erstausgabe

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Titel der englischen Originalausgabe:

14

Deutsche Erstausgabe 05/2017

Redaktion: Sven-Eric Wehmeyer

Copyright © 2012 by Peter Clines

Copyright © 2017 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München,in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Das Illustrat, München,unter Verwendung eines Motivs von SvedOliver / Shutterstock

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-641-16493-5V003

www.diezukunft.de

FUNDAMENT

Er rannte.

Er rannte, so schnell er konnte. Als wäre der Teufel persönlich hinter ihm her. Als hinge sein Leben davon ab.

Und wahrscheinlich war es auch so.

In Wirklichkeit war er schon tot. Er hatte genug Menschen im Operationssaal verbluten sehen, um zu wissen, was die pulsierende Wunde zwischen seinen Rippen bedeutete. Das Messer hatte seine Aufgabe mit nahezu chirurgischer Präzision erfüllt.

Aber er durfte nicht an sich selbst denken. Nicht jetzt. Es stand zu viel auf dem Spiel. Er musste weiterrennen.

Wenn die Familie ihn ergriff, würden alle sterben.

1

Nate Tucker erfuhr von der Wohnung, wie man oft von Dingen erfährt, die das eigene Leben für immer verändern – durch puren Zufall.

Es geschah bei einer Donnerstagsparty, auf der er gar nicht sein wollte. »Party« war eigentlich ein zu großes Wort dafür, aber »ein paar Bier nach der Arbeit« wäre untertrieben gewesen. Dort waren ein halbes Dutzend Leute, die er kannte, und ein weiteres Dutzend, die er hätte kennen sollen. Er hatte nicht aufgepasst, als sie ihm vorgestellt wurden, und keiner von ihnen schien interessant genug, um ihn später nach seinem Namen zu fragen. Sie saßen an Tischen, die für sie zusammengeschoben worden waren, teilten sich Vorspeisen, von denen später manche behaupten würden, sie hätten sie nicht angerührt, und nippten an überteuerten Drinks, die sie aus exklusiveren Restaurants zu kennen vorgaben.

Nate war vor einer Weile klargeworden, dass sich bei solchen Zusammenkünften niemand richtig unterhielt. Die Leute redeten nur abwechselnd aufeinander ein. Niemand hörte zu. Er wünschte, seine Arbeitskollegen würden ihn nicht mehr einladen.

Auf Nate redete ein Mann ein, den er sich als den Journalisten mit der Scharfen Rothaarigen Freundin gemerkt hatte. Er war ihm vor einem oder zwei Monaten auf einem dieser Treffen vorgestellt worden. Wie alle am Tisch fühlte der Journalist sich der Filmbranche zugehörig, obwohl seine Arbeit, soweit Nate wusste, nicht das Geringste mit der Produktion von Filmen zu tun hatte. Im Moment beklagte er sich über ein abgesagtes Interview. Sein geplanter Gesprächspartner, ein Drehbuchautor, habe irgendwelche Änderungen einarbeiten müssen, die der Produzent in letzter Minute verlangt hatte. Nate fragte sich, ob der Mann solche Sachen in seinen Artikeln unterbringen konnte – idiotische Umarbeitung der Schlüsselszene, um den egozentrischen Produzenten zu beschwichtigen.

Der Journalist unterbrach seinen Monolog, und Nate begriff, dass er auf eine Reaktion wartete. Nate überbrückte die Pause mit einem Husten und einem Schluck von seinem Bier. »Das ist übel«, sagte er. »Fällt es ganz aus, oder kann er an einem anderen Termin?«

Der Journalist zuckte die Achseln. »Weiß nicht. Meine Woche ist ziemlich voll, und er ist bestimmt damit beschäftigt, sich die Haare zu raufen.« Er trank einen Schluck von seinem Drink. »Egal, genug von mir geredet. Was läuft bei dir? Ich habe dich schon seit Ewigkeiten nicht mehr bei diesen Veranstaltungen gesehen.«

Nate, der sich erinnerte, dem Journalisten auf der Beinahe-Party letzte Woche zugewinkt und ein Nicken zurückbekommen zu haben, zuckte ebenfalls mit den Schultern. »Nicht viel«, sagte er.

»Hast du nicht an einem Drehbuch gearbeitet oder so?«

Nate schüttelte den Kopf. »Nein, das war ich nicht. Ist nicht so mein Ding.«

»Was hast du dann getrieben?«

Er trank noch einen Schluck Bier. »Arbeit. Und nach einer neuen Bleibe gesucht.«

Der Journalist zog die Brauen hoch. »Was ist passiert?«

»Meine Mitbewohner haben beschlossen, eigene Wege zu gehen«, sagte Nate. »Einer zieht zurück nach San Francisco, der andere heiratet. Wir hatten ein Haus, aber alleine kann ich es mir nicht leisten.«

»Wo wohnst du gerade?«

»In Silverlake.«

»Suchst du was Bestimmtes?«

Nate dachte einen Augenblick nach. Niemand außer seinen Mitbewohnern hatte ihn bisher danach gefragt. »Ich würde gern in der Nähe von Hollywood bleiben«, sagte er. »Ich brauche nicht viel Platz. Ich suche nach einer Einzimmerwohnung für um die achthundert.«

Der Journalist trank einen weiteren Schluck. »Ich wüsste was.«

»Echt?«

Der Mann nickte. »Ein Freund hat es mir empfohlen, als ich von San Diego hergezogen bin. Ein älteres Haus in der Gegend um die 101, zwischen Koreatown und Los Feliz.«

»Ja, ich weiß, wo das ist. Das ist näher zur Arbeit als von da, wo ich jetzt wohne.«

»Ich habe nur ein paar Monate da gewohnt, aber die Miete war billig, und ich hatte einen tollen Ausblick.«

»Wie billig?«

Der Journalist sah sich um. »Unter uns«, sagte er, »ich habe fünf-fünfzig bezahlt.«

Nate verschluckte sich an seinem Bier. »Fünf-fünfzig im Monat? Mehr nicht?«

Wieder nickte der Journalist.

»Fünfhundertfünfzig?«

»Genau. Inklusive Nebenkosten.«

»Du willst mich verarschen.«

»Nein.«

»Warum bist du ausgezogen?«

Der Journalist grinste und wies mit dem Glas auf seine Scharfe Rothaarige Freundin. Sie saß schräg gegenüber, und eine Frau mit pechschwarzem Haar und ebensolcher Kleidung redete auf sie ein. »Wir haben beschlossen, zusammenzuziehen, und uns was Größeres gesucht. Und …«

Nate zog eine Braue hoch. »Und was?«

»Irgendwie ist die Atmosphäre da seltsam.«

»In der Gegend oder im Haus?«

»Im Haus. Versteh mich nicht falsch, es ist eine gute Wohnung. Sie war nur nicht das Richtige für mich.« Er zog sein Handy heraus und strich über das Farbdisplay. »Ich glaube, ich habe noch die Nummer von der Hausverwaltung, falls du sie haben möchtest.«

2

Das Gebäude war ein Quader aus roten Backsteinen mit grauen Mörtelfugen, wie man es in New York oder San Francisco erwarten würde. Im zweiten Stock waren in die Fassade zwei Rechtecke aus Beton eingelassen, die erodierte alte Wappen trugen. Über dem Eingang führte eine Feuerleiter im Zickzack nach oben. Nate wusste, dass es in Los Angeles viele alte Gebäude wie dieses gab. Er arbeitete sogar in einem davon.

Es war auf einem hohen Fundament errichtet, das ohnehin schon auf einem Hügel stand. Zwei Treppen führten zur Tür hinauf. Nate stellte sich sofort vor, wie mühsam es wäre, Möbel dort hinaufzuschleppen. Neben den Stufen standen zwei Bäume und boten den Wohnungen im Erdgeschoss etwas Sichtschutz. Sie waren erst kürzlich gepflanzt worden und nicht so dicht und stämmig wie der Baum neben dem schmiedeeisernen Tor.

Eine kleine Asiatin stand mit einem iPad unter dem Arm neben dem Tor. Sie winkte ihm zu. »Nate?«

Er nickte. »Toni?«

»Ja. Sehr erfreut.« Sie öffnete das Tor und reichte ihm die Hand.

Toni gehörte zu den Frauen, deren Alter man unmöglich schätzen konnte. Sie hätte irgendwas zwischen achtzehn und fünfunddreißig sein können. Der kurze Rock ließ sie jünger wirken. Ihr Auftreten und der Klang ihrer Stimme wiesen auf ein höheres Alter hin.

Sie lächelte, als sie ihn die Treppe hinaufführte. Es war ein fantastisches Lächeln. Falls es unecht war, musste sie es jeden Tag üben. »Es ist ein tolles Haus.« Sie tätschelte liebevoll eine der Säulen neben der Tür. »Über hundert Jahre alt. Eines der ältesten in diesem Teil der Stadt.«

In den Betonsturz über der breiten Tür war in fetter Schrift KAVACH eingraviert. Nate war sich nicht sicher, ob es ein Name war. »Es sieht toll aus.«

»Damals hat man für die Ewigkeit gebaut. Das sagt man doch so, oder?« Sie öffnete die stählerne Sicherheitstür. Die Holztür dahinter stand weit offen. »Kommen Sie rein, dann zeige ich Ihnen das Haus.«

Die kleine Eingangshalle hätte aus einem Film noir sein können. Die Wohnungen 1 und 2 lagen zu beiden Seiten der Haustür. Eine Treppe mit abgewetztem Geländer wand sich in den ersten Stock hinauf. Unter dem Aufgang hingen zwei Reihen von Briefkästen, und darunter lagen hohe Stapel Telefonbücher. Es sah aus, als wären sie schon lange dort.

»Machen Sie sich deswegen keine Gedanken«, sagte Toni. »Normalerweise sorgt Oskar, der Hausmeister, dafür, dass alles sauber ist.«

»Das schreckt mich nicht ab«, entgegnete er.

Als sie ihn erneut anlächelte, hatte er Schmetterlinge im Bauch. Es musste eingeübt sein. Niemand konnte allein mit einem Hochziehen der Mundwinkel und dem Aufblitzen der Zähne so viel ausdrücken.

»Gehen wir nach oben.« Sie warf einen Blick auf ihr iPad. »Wir drehen eine Runde.«

Sie führte ihn die Treppe in den ersten Stock hinauf und den Flur entlang. Alles war dunkelbraun und elfenbeinfarben gestrichen. Sie kamen an einer schmalen Glastür vorbei, die ihn an eine alte Telefonzelle erinnerte. Toni sah über die Schulter zurück und folgte seinem Blick. »Der Aufzug«, erklärte sie. »Er ist gerade außer Betrieb, aber bis Sie einziehen, ist er wahrscheinlich repariert. Allerdings ist er ziemlich klein. Sie müssen Ihre Möbel hochtragen.«

»Zum Glück habe ich nicht so viele.« Er blickte zur anderen Seite des Flurs und sah mehrere Vorhängeschlösser an der Tür mit der Nummer 14, aber Toni war schon weitergegangen. Als er einen Blick zurückwarf, verdeckte der massive Rahmen die Tür.

»Zweiundzwanzig Einheiten«, sagte sie, während sie weiter nach hinten ging. »Acht, sechs und acht.« Sie traten durch eine Brandschutztür in einen Raum, der sich von einer Seite des Hauses bis zur anderen erstreckte. Dort standen drei Sofas und zwei dazu passende Sessel. An der Südwand hing ein Flachbildfernseher mit einer Diagonale von mindestens einem Meter. »Das ist der Gemeinschaftsraum für alle Mieter«, sagte sie. »Es gibt Anschlüsse für Spielkonsolen und Blu-ray und so weiter. Wenn Sie für einen bestimmten Zeitraum reservieren wollen, können Sie einfach einen Zettel hinlegen.«

Am Ende des Gemeinschaftsraums befand sich die Hintertreppe. Sie mutete im Gegensatz zur Vordertreppe industriell an und führte im Zickzack in kurzen Fluchten nach oben. Toni ging weiter hinauf. Der Flur im zweiten Stock sah genauso aus wie der darunterliegende. Links und rechts des Absatzes befanden sich die Türen mit den Nummern 27 und 28. Toni holte einen Schlüssel hervor und öffnete die 28.

Die Wohnung war nicht riesig, aber groß genug. Nate stellte sich vor, wie Abbilder von ihm Kopf an Fuß auf dem Holzboden lagen, und schätzte den Raum auf sechs mal sechs Meter. Vielleicht etwas tiefer als breit. Zwei Schnüre hingen vom Deckenventilator in der Mitte herab. In der Backsteinmauer gegenüber der Tür befanden sich zwei Fenster, die so groß waren, dass er darin hätte stehen können. Es waren altmodische, in der Mitte unterteilte Fenster mit Seilzügen und in den Rahmen verborgenen Gegengewichten.

Durch die Scheiben konnte er auf Los Angeles sehen. Wegen des kleinen Hügels und des hohen Fundaments war er fast auf Höhe des vierten Stocks. Er konnte über das Nachbargebäude hinweg auf den Freeway 101 ein paar Straßen weiter nördlich blicken. In der Ferne konnte er das Griffith Observatory erkennen.

Tonis Absätze klapperten über den Boden. »Nicht schlecht, die Aussicht, oder?«

»Das ist großartig.« Er ging mit dem Kopf dicht an die Scheibe. Zur Linken standen die großen weißen Buchstaben des Hollywood-Schriftzugs.

Toni ging durch die offene Tür in die Küche. Die Arbeitsfläche war mit weißen und blauen Fliesen in einem Schachbrettmuster dekoriert, das der Linoleumboden aufgriff. »Zur Wohnung gehören ein Kühlschrank und eine Standbadewanne«, sagte sie. »Im Keller ist eine Waschküche. Und es gibt eine Dachterrasse. Wir beginnen mit einem Sechs-Monats-Vertrag, der sich danach immer um einen Monat verlängert. Sobald Sie die Bonitätsprüfung bestanden haben, brauchen wir die erste Miete plus eine Monatsmiete Kaution.«

Nate versuchte, seine Begeisterung zu verbergen, als er in die Küche ging. Er öffnete ein paar Schränke und sah dann auf die Arbeitsfläche, um sich nicht von ihrem Lächeln blenden zu lassen. »Und wie hoch ist die Miete?«, fragte er. »Der Typ, der mir von der Wohnung erzählt hat, meinte, sie wäre eher günstig.«

»Tja, leider hatten wir gerade eine Erhöhung«, sagte Toni. »Es ist also nicht mehr ganz so billig.«

Nate sah zurück in das Zimmer und stellte sich vor, wie seine Möbel an den Wänden standen. »Das ist verständlich«, sagte er. »Und was kostet es jetzt?«

»Fünfhundertfünfundsechzig«, sagte sie. »Inklusive Nebenkosten.«

»Welche?«

»Alle.«

Er wagte, in ihr Lächeln zu blicken. »Fünfhundertfünfundsechzig Dollar insgesamt?«

»Ja«, sagte sie. »Sind Sie interessiert?«

»Scheiße, ja«, sagte er. »Entschuldigung.«

Tonis Lächeln flackerte einen Moment, und er bemerkte, dass ein echtes das eingeübte überlagert hatte. »Kein Problem«, sagte sie. »Ich bin dafür bekannt, dass ich fluche wie ein Seemann, wenn es nicht so läuft, wie ich will.«

Sie holte eine Visitenkarte sowie einen Stift aus ihrer Tasche und benutzte das iPad als Unterlage, als sie etwas auf die Karte schrieb. »Gehen Sie auf die Website von Locke Management, und loggen Sie sich mit diesem Code ein. Das ganze Bewerbungsverfahren läuft online. Wenn Sie sich heute anmelden, können wir Montag die Bonitätsprüfung durchführen. Und in einer Woche können Sie einziehen.«

»Großartig«, sagte er. »Die Bonitätsprüfung sollte kein Problem sein.«

»Prima«, sagte sie. »Ich rufe Sie nächste Woche an und …« Ihr Lächeln begann zu zerbröseln. Sie trat einen Schritt zurück und hatte sich sofort wieder unter Kontrolle.

Eine Kakerlake war auf der Arbeitsfläche aufgetaucht. Es war keine der riesigen, die Nate manchmal nachts auf den Bürgersteigen sah, aber sie war groß genug – halb so lang wie sein Daumen. Ihre Antennen wippten, als sie sich im Zickzack über die Theke bewegte.

»Es tut mir so leid«, sagte Toni. Sie warf einen Blick auf ihr iPad. »Wir lassen jeden Monat einen Kammerjäger kommen, aber es ist einfach unmöglich, sie auszurotten.«

Das Insekt blieb in einem Streifen Sonnenlicht stehen, um sie anzusehen, und Nate hatte Gelegenheit, es ebenfalls zu betrachten. Dann quetschte es sich hinter die Abschlussleiste und war verschwunden. »War die Kakerlake hellgrün?«

Toni zuckte die Achseln, und ihr Lächeln behauptete sich wieder. »Vielleicht. Es ist ein altes Gebäude. Da muss man mit Seltsamkeiten rechnen.«

NACHBARN

3

Mandy saß an ihrem Computer, den sie gebraucht gekauft hatte, und gab erneut ihre Daten ein. Weil sie nie gelernt hatte, richtig zu tippen, blieb ihr nur das Adlersuchsystem. Die Tastatur verwirrte sie sowieso. Warum waren die Buchstaben nicht einfach alphabetisch geordnet statt willkürlich verteilt? Sie strich sich eine blonde Locke aus dem Gesicht und klemmte sie hinters Ohr, als sie ihr wieder in die Augen fiel.

Es war zu einem Ritual geworden, an jedem Monatsersten ihre Kreditwürdigkeit im Internet zu überprüfen. Sie hatte in Firefox (ein kostenloser Browser, zum Glück) nur ein paar Seiten mit Lesezeichen versehen, und die Hälfte davon gehörte zu Kreditbüros. Die andere Hälfte betraf Artikel darüber, wie man Schulden loswurde.

Wie erwartet, war ihre Bonität um zwei weitere Punkte gesunken. Sie stand jetzt bei 514. In einem Jahr über zweihundert Punkte verloren. Jetzt würde sie sich niemals ein Haus kaufen können. Oder ein Auto.

In einem Moment der Schwäche hatte sie vor acht Monaten im Pausenraum des Food4Less Bob, einem anderen Kassierer, ihre Kreditprobleme und die ständigen Anrufe der uneinsichtigen Inkassobüros gestanden. Er hatte entgegnet, dass sie sich ohnehin kein Haus oder Auto leisten könne. Wo war also das Problem? Sein Rat lautete, die Anrufe zu ignorieren. »Wenn man ganz unten ist«, hatte er gesagt, »was können sie einem dann noch antun?«

Die Inkassobüros riefen trotzdem weiter an und verdeutlichten ihr, dass es sehr wohl ein Problem gab. Sie glaubte ihnen. Schließlich wären sie nicht so gemein, wenn es um nichts ginge. Sie beleidigten sie und hörten ihr nicht zu. In den Artikeln stand immer, man solle mit den Gläubigern über die Rückzahlung verhandeln, und es klang so einfach, aber die Männer und Frauen am Telefon drohten nur, ihre Eltern und Großeltern anzurufen und ihnen zu erzählen, was für eine Versagerin sie geworden sei. Einmal hatte Mandy aufgelegt, weil sie sie zum Weinen gebracht hatten.

Ihre Mutter hatte keine Versagerin großgezogen. Mandy wollte nicht, dass ihre Mutter sie für eine von diesen Leuten hielt. Diese Leute waren diejenigen, die die Wirtschaft kaputtgemacht und Banken aus dem Geschäft gedrängt hatten, die Liberalen, die glaubten, man könne so viel ausgeben, wie man will, und brauche seine Schulden nicht zu bezahlen. Mandy gehörte nicht zu ihnen. Sie war nur zu sorglos gewesen und hatte eine Pechsträhne gehabt. Das sagte ihre Mutter immer: »Mike unten aus dem Laden, er hat eine Pechsträhne gehabt, nachdem seine Frau gestorben ist.«

Natürlich war das Entscheidende, dass die Leute sich selbst aus ihrer Pechsträhne befreiten. Sie hatte es versucht, aber es gab einfach zu viele Gebühren, und die Zinsen waren plötzlich viel zu hoch. Egal, was sie tat, es wurde immer schlimmer. Ihre Pechsträhne war zu einem schwarzen Loch geworden, in das sie gefallen war.

Eine Woche nach ihrem Geständnis hatte Bob ihr den Computer »geschenkt«. Mandy wusste, was es bedeutete, wenn ein Mann in Los Angeles einer Frau einen »Gefallen« tat. Veek, eine ihrer Nachbarinnen von unten, hatte ein bisschen an dem Gerät gearbeitet und es für internetfähig erklärt. Mandy war ziemlich sicher, dass die Frau zwei kleine grüne Karten eingebaut und irgendwas mit dem Prozessor oder so gemacht hatte. Damals hatte Mandy befürchtet, Veek würde auch eine Gegenleistung für ihren »Gefallen« erwarten. Schließlich kam sie aus Europa oder Asien und war bestimmt viel lockerer, was solche Dinge anging. Mandy wusste nicht genau, ob sie so etwas mit einer Frau machen könnte, aber mittlerweile waren sechs Monate vergangen, und Veek hatte keine Gegenleistung verlangt.

Mandy war sich nicht sicher, was ein Punktestand von 514 bedeutete oder auf welcher Grundlage er berechnet wurde. Aber sie wusste, dass es sehr, sehr schlecht war.

Sie starrte eine Weile auf die dreistellige Zahl und bemerkte dann, dass sie zehn Minuten in Gedanken versunken gewesen war. Eigentlich hatte sie nur einen kurzen Blick auf ihre Bonität werfen wollen. Jetzt würde sie den Bus verpassen.

Sie schnappte sich ihre Bluse und die Jeans vom Bett, stellte fest, dass sie keine Zeit hatte, um sich umzuziehen, und stopfte die Sachen in den Leinenbeutel, den sie als Handtasche benutzte. Wenn sie in ihrem Sommerkleid auftauchte, würde der Geschäftsführer sie angaffen und »versehentlich« ins Bad kommen, während sie sich umzog. Damit musste sie fertigwerden. Es war ihre eigene Schuld, dass sie sich hatte ablenken lassen.

Sie öffnete die Wohnungstür und rannte beinahe gegen ein Bücherregal.

Es hing quer im Flur. Der Mann an einem Ende des Regals war auffällig dünn und hatte braunblondes Haar. Er musste mal wieder zum Friseur. Der andere Mann war stämmig und glatzköpfig und trug einen Spitzbart.

»Entschuldigung«, sagte der Mann mit dem zu langen Haar. »Ich ziehe gerade ein. Ich bin der neue Nachbar.« Er balancierte das Regal mit einer Hand, warf seinen Schlüssel hinein und streckte die andere Hand aus. »Nate Tucker.«

Mandy ignorierte seine Hand und schloss die Tür hinter sich ab. »Hallo«, sagte sie. »Tut mir leid, ich bin spät dran.« Sie schlüpfte an dem Regal vorbei und stürmte den Flur entlang.

»Die Leute hier sind so herzlich und nett«, sagte der Glatzkopf.

»Tut mir leid«, rief sie über die Schulter. »Ich verpasse meinen Bus.«

Mandy rannte die Vordertreppe hinab. Sie wusste, dass sie einen schrecklichen ersten Eindruck hinterließ. Ihre Mutter backte immer Plätzchen für die neuen Nachbarn. Andererseits hatte ihre Mutter auch noch nie in Los Angeles gewohnt. Hoffentlich war Nate Tucker nicht noch einer von diesen Nachbarn.

»Scharfe Nachbarin«, sagte Nate, als ihre Schritte sich auf der Treppe entfernten. »Könnte die Parkplatzprobleme aufwiegen.«

Sean, sein baldiger ehemaliger Mitbewohner, schüttelte den Kopf. »Glaub mir, selbst wenn du mit ihr ins Bett gehst, ist das nicht den Ärger wert, den du mit dem Parken an der Straße hast.«

Nate hatte die Bonitätsprüfung am Montagnachmittag bestanden und am Dienstagmorgen den Scheck eingereicht. Seine Ersparnisse waren dadurch aufgebraucht, und er musste im April doppelt Miete zahlen, aber die Wohnung gehörte ihm. Er drehte den Knauf und öffnete die Tür zu seiner neuen Bleibe.

»Das ist es«, sagte Nate.

»Wahnsinn.« Sean sah aus dem Fenster auf das Observatorium. »Was für ein Ausblick.«

»Das kann man wohl sagen.«

»Du hast echt Schwein gehabt, die Wohnung zu finden.«

»Ich weiß.«

»Das Parken nervt trotzdem.«

Sie gingen wieder hinunter auf die Straße, wo Seans Pick-up mit dem Rest von Nates Möbeln stand. Jetzt, da sie mit dem Treppenhaus vertraut waren, schafften sie das nächste Regal schneller nach oben. Der Fernsehschrank war so klein, dass er trotz seines Gewichts kein Problem darstellte.

Zwanzig Minuten später trugen sie den Schreibtisch in die Eingangshalle und blieben stehen, um umzugreifen. Ein kräftig wirkender Mann mit dunklen Locken, der selbst einen Karton trug, kam aus dem Flur. Er warf einen Blick auf den Schreibtisch. »Ziehst du ein?«

»Ja«, sagte Nate. Er stellte seine Seite ab und streckte die Hand aus. »Nate Tucker. Ich ziehe in die Achtundzwanzig.«

»Carl«, sagte der Mann. Er klemmte sich den Karton unter den Arm und schüttelte Nates Hand. »Ich ziehe aus der Fünf aus.«

»Wirklich?«

Carl nickte. »Wenn ich es mir leisten könnte, hätte ich schon vor Monaten gekündigt.« Er ließ den Blick über den Putz und das Holz der Wände schweifen. »Ich war noch keine sechs Wochen hier, da wäre ich am liebsten wieder ausgezogen.«

»Wegen dem Parken?«, fragte Sean. »Ich habe ihm gleich gesagt, das Parken nervt.«

»Das Parken nervt«, stimmte Carl ihm zu, »aber es liegt an dem Haus. Es geht einem an die Nieren. Ich habe mich hier nie einleben können, egal, was ich getan habe. Ich habe keine einzige Nacht gut geschlafen.«

Nate spürte, wie sein Magen sich zusammenzog. »Ist es laut?«

»Nein, es ist … es ist einfach kein gemütlicher Ort. Ich habe mich hier nie wohlgefühlt. Glaubt ihr an Feng Shui?«

Nate und Sean schüttelten den Kopf.

Carl verzog die Lippen zu einem Lächeln. »Ich auch nicht, aber besser kann ich es nicht erklären. Das Haus fühlt sich einfach seltsam an. Hier zu wohnen war, als würde man den Fuß in den falschen Schuh stecken. Es ist einfach … falsch.« Er schüttelte den Kopf. »Entschuldigung. Das ist eine beschissene Begrüßung.«

»Nein«, sagte Nate, »ich höre es lieber gleich, als es auf die harte Tour rauszufinden.«

Carl zuckte die Achseln. »Es gibt tausend gute Gründe hierzubleiben, wenn es einem gefällt. Die Dachterrasse ist großartig. Probier mal den Mexikaner ein Stück weiter die Straße hoch aus. Der Thai an der Ecke ist auch ganz gut, wenn man was Scharfes bestellt.« Er nahm den Karton wieder in beide Hände. »Viel Glück.« Er ging durch die Tür.

Nate und Sean schafften den Schreibtisch in die erste Etage. Während sie ihn zur nächsten Treppenflucht herumdrehten, sagte Sean: »Mann, bin ich froh, dass ich zurück in die Bay Area ziehe.«

Nate hievte sein Ende des Schreibtischs hoch. »Warum?«

»Dann bin ich nicht hier, um dir in sechs Monaten beim Auszug zu helfen.«

»Er hat überreagiert. Manche Leute mögen einfach manche Häuser nicht.«

»Wie deine Nachbarin, die aus dem Gebäude gerannt ist.«

»Sie war spät dran.«

»Kann sein«, sagte Sean.

Für den Futon brauchten sie zwei Touren. Zuerst schleppten sie die schlaffe Matratze alle drei Treppen hoch. Der Rahmen war das Schlimmste von allem. Als sie ihn drehten, klappte er auf, und das Metall klapperte schmerzlich laut im Treppenhaus. Auf dem Absatz zwischen dem ersten und dem zweiten Stock klappte er wieder zusammen, und sie ließen ihn beinahe fallen.

»Zum Glück ist das geschafft«, sagte Sean, als sie den Rahmen in der Mitte des Zimmers abstellten.

»Aber es kommen noch die Kisten«, sagte Nate.

»Hast du nicht gesagt, es würde einen Aufzug geben?«

»Ja, vielleicht wurde er repariert.«

Sie gingen zur Aufzugstür. An der Wand daneben befanden sich zwei kleine Knöpfe, das Modell, bei dem der eine herauskam, wenn man den anderen hineindrückte. Sie waren mehrmals überstrichen worden, sodass sich die Ränder nur noch schwach unter dem Lack abzeichneten. Nate versuchte, den unterdimensionierten Türknauf zu drehen, aber er bewegte sich nicht. Als er es fester probierte, klapperte die Tür im Rahmen.

Sean gähnte. »Kein Aufzug?«

»Anscheinend nicht.« Nate drückte das Gesicht gegen die Scheibe und schirmte die Augen vor den Flurlampen ab. Hinter dem Glas war es stockdunkel. Er konnte nicht feststellen, ob er in die Aufzugskabine oder in den Schacht blickte.

»Waren Sie das, die den ganzen Lärm gemacht haben?«, sagte jemand mit starkem Akzent.

An der Treppe stand ein Mann, der im Licht des Flurfensters hinter ihm nur schemenhaft zu erkennen war. Er war klein, glatzköpfig und rundlich.

»Ja«, sagte Nate. »Entschuldigung.«

Der Mann nickte einmal. »Einer von Ihnen ist Mister Nathan Tucker?«

»Ja, ich.«

Er nickte erneut. »Ich bin Oskar Rommel.« Er sprach das S weich aus und betonte das K. »Ich bin der Hausmeister.«

»Sehr erfreut.«

»Sehr erfreut«, erwiderte Oskar wie ein Papagei. Als er in besseres Licht trat, konnte man sein Gesicht erkennen. Er hatte buschige Augenbrauen und einen Schnauzbart, der wie ein Kamm aussah. An den behaarten Armen, die aus dem weißen Unterhemd ragten, hingen schlaff gewordene Muskelpakete. Nate vermutete, dass er auf die sechzig zuging. »Der Aufzug funktioniert nicht.«

»Ahhh. Toni hat gesagt, er würde vielleicht rechtzeitig repariert werden.«

»Er hat noch nie funktioniert«, sagte Oskar schnaubend. »Ich bin seit dreiundzwanzig Jahren hier, neunzehn davon als Hausmeister. Der Aufzug hat keinen einzigen Tag funktioniert.«

»Rommel«, sagte Sean. »Das ist … ein deutscher Name, oder?«

Oskar verdrehte die Augen. »Ja, ich bin Deutscher und heiße Rommel, dann muss ich wohl ein Enkel des Feldmarschalls sein. Und sein Nachname ist Tucker, dann muss er der Enkel des Mannes sein, der das Auto gebaut hat.«

»Entschuldigung«, sagte Sean. »Ich wollte Sie nicht beleidigen.«

»Kümmern Sie sich nicht um ihn«, sagte Nate. »Mehrfache Tests haben ergeben, dass er ein Idiot ist.«

Oskar schnaubte erneut, aber seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. »Es wird Ihnen hier gefallen. Es ist ein gutes Haus. Ihr Zimmer hat die beste Aussicht. Wenn Sie etwas brauchen, ich bin in Apartment zwölf, unten an der Vorderseite. Bitte klopfen Sie nicht nach sechs, wenn es kein Notfall ist.«

»Gut«, sagte Nate. »Vielen Dank.«

Der Hausmeister nickte noch einmal scharf und stapfte die Treppe wieder hinunter.

»Also kein Aufzug«, sagte Sean. »Wie viele Kartons hast du in deinem Käfer?«

»Vielleicht ein Dutzend. Nichts allzu Schweres.«

Bevor sie mit dem Ausladen begannen, ging Sean in den Laden an der Ecke und kaufte eine Tüte Chips und ein Sechserpack Bier, um den leeren Kühlschrank einzuweihen. Sie mussten fünfmal gehen, bis sie den VW geleert hatten. Jetzt saßen sie auf dem Sofa und tranken ihr zweites Bier.

»Ich glaube, die Wohnung wird hübsch«, sagte Nate.

»Ja.« Sean sah aus dem Fenster. »Es ist ziemlich cool. War’s das für heute?«

»Ich räume hier ein bisschen auf, dann hole ich vielleicht noch eine Ladung Kisten. Wenn ich morgen zwei- oder dreimal fahre, sollte das reichen.«

»Wir können den Pick-up beladen und alles auf einmal holen.«

»Nein, du hast genug getan, Mann. Außerdem hast du deinen eigenen Kram noch nicht gepackt.«

»Ja, apropos«, sagte Sean. »Wenn ich dir bei einer weiteren Ladung helfe, kann ich dann deine Kartons haben?«

Nate kicherte. »Klar. Das Aufräumen kann warten.«

»Bleibst du heute Nacht hier?«

Nate sah sich in der Wohnung um. »Da habe ich noch nicht drüber nachgedacht. Aber ja, sonst müsste ich in dem alten Haus auf dem Boden schlafen.« Er klopfte zweimal auf den Futon. Von der nackten Matratze wirbelten kleine Staubwolken auf. Er sah zu seinem ehemaligen Mitbewohner und zuckte die Achseln.

Sean seufzte. »Dann bist du jetzt also ausgezogen.«

»Sieht so aus.«

»Ich muss zwei Wochen mit den Turteltauben allein bleiben. Das dritte Rad am Wagen in meinem eigenen Haus.« Er stellte die Flasche auf das leere Regal und zog sein Handy hervor. »Komm, ich bestelle uns eine Abschiedspizza. Wenn wir zurückkommen, wartet sie schon hier auf uns.«

Nate schloss ab, und sie gingen über den Flur zur Treppe.

»Verdammt«, sagte Sean.

Nate sah sich um. »Was ist?«

Sean zeigte zur Wohnung mit der Nummer 23. An der Tür war ein Beschlag mit einer kleinen Öffnung, aber kein Knauf.

»Scheiße«, sagte Nate. »Haben wir den abgebrochen?«

»Vielleicht wird darin gearbeitet«, sagte Sean. »Das ist eine einfache Methode, um die Tür zu verschließen. Einfach den Knauf abmachen.«

»Vielleicht.« Nate sah links und rechts den Flur entlang. »Nicht gerade der beste Einstand.«

»Falls wir es waren.«

»Der Fernsehschrank ist ziemlich massiv. Damit könnten wir das Ding abgerissen haben.«

Sean schüttelte den Kopf. »Ich war’s nicht, und ich habe nicht gehört, dass du es warst.«

»Also verziehen wir uns still und heimlich?«

»Würde ich sagen.«

Sie gingen weiter zum Treppenhaus.

4

Bei der zweiten Ladung gab es keine Probleme, obwohl sie, wie Sean vorhergesagt hatte, zunächst keinen Parkplatz fanden. Nate fuhr eine Viertelstunde herum und entdeckte schließlich eine winzige Lücke, in die er den VW parallel einparken konnte, auch wenn er fünfmal vor und zurück ruckeln musste, bis er an der Bordsteinkante stand. Sie luden aus, und Sean verließ ihn bei Sonnenuntergang mit der Hälfte der Kartons und dem Versprechen, am nächsten Wochenende die restlichen abzuholen.

Nate verbrachte eine Stunde damit, seinen alten DVD-Player und den noch älteren Fernseher aufzustellen und anzuschließen. Die Regale waren mit seiner bunten Mischung von Büchern und allem möglichen Schnickschnack vollgestellt. Er schob den Schreibtisch in eine Ecke, sodass er das Fenster im Rücken hatte, und öffnete seinen ramponierten Laptop. Der Bildschirm ging aus den Fugen, und wegen der mangelhaft konstruierten Scharniere hatte er ihn mit Klebeband am Gehäuse befestigt. Jetzt, da Nate seine Ersparnisse aufgebraucht hatte, musste das Klebeband noch eine Weile halten.

Der einzige Wandschrank war etwas zu klein für seine Kleidung. Wenn er alles hineingequetscht hätte, wäre es ein ständiger Kampf geworden. Deshalb faltete er die Anzugshemden und schickeren Hosen und legte sie auf eines der leeren Regalbretter. Seine T-Shirts bewahrte er ohnehin dort auf.

Er hängte einen Stapel Bügel auf die Kleiderstange des Schranks. Einer fiel klappernd zu Boden. Als er sich danach bückte, bemerkte er die Umrisse.

An der Rückwand des Schranks befand sich kaum erkennbar ein Brett von der Größe einer gefalteten Zeitung. Es war mit demselben Lack gestrichen, der fast alle senkrechten Flächen der Wohnung bedeckte, und so oft überpinselt worden, dass die Fuge fast verschwunden war. Er klopfte mit den Knöcheln dagegen, und ein hölzernes Echo ertönte im Schrank. Dahinter musste ein Hohlraum liegen.

Nate stand auf und ging durch seine kleine Wohnung. Es hatte den Anschein, als wäre das Brett auf einer Höhe mit der Badewanne. Vielleicht ein Absperrventil, das seit Jahren nicht mehr benutzt worden war. Die Handwerker wussten wahrscheinlich nicht einmal, dass es existierte. Nur eine Kleinigkeit, die aufgrund mangelnder Abstimmung zwischen den Firmen verlorengegangen war. Möglicherweise musste im ganzen Gebäude das Wasser abgestellt werden, wenn dort im Bad gearbeitet wurde.

Nate war mit dem Schrank fertig und beschloss, in der Küche weiterzumachen. Dort musste er nur drei Kartons auspacken, aber er dachte sich, es wäre schön, beim Aufwachen eine betriebsbereite Kaffeemaschine und eine Tasse vorzufinden.

Es war dunkel geworden, während er in dem Zimmer gearbeitet hatte. Er tastete an der Küchenwand nach dem Lichtschalter, fand ihn jedoch nicht. Nach einer Weile entdeckte er ihn im Lichtschein, der aus dem Nebenraum hereinfiel. Der Doppelschalter war einen Meter von der Tür entfernt, gerade so weit, dass es unpraktisch war.

Nate drückte den ersten Schalter, aber nichts geschah. Der zweite Schalter rief ein lautes Brummen unter der Spüle hervor. Er schreckte zurück, und der Müllzerkleinerer kam zum Stillstand.

Er drückte noch einmal den ersten Schalter und sah zur Deckenlampe auf. Ein schwaches Glimmen drang aus der mattierten Kugel. Er schaltete mehrmals hin und her, ohne dass sich das Ergebnis verbesserte.

»Verdammt«, seufzte er.

Die Decken waren hoch. Nicht kathedralenartig, aber einen knappen Meter über dem Durchschnitt. Er kletterte auf die Arbeitsfläche. Die Fliesen fühlten sich unter seinen nackten Füßen kalt an. Er beugte sich vor, löste die Schrauben an der Lampe und nahm die Kugel herunter.

Der Glühfaden in der Birne glimmte schwach, gab aber kein richtiges Licht ab. Er tippte ein paar Mal mit dem Fingernagel gegen das Glas. Der Glühfaden wackelte, wurde jedoch nicht heller.

Nach Nates begrenzten Elektrikkenntnissen handelte es sich um ein Stromproblem. Wenig schmeichelhafte Gedanken über die Handwerker in seinem neuen Haus schossen ihm durch den Kopf, aber er vertrieb sie sofort wieder. Wahrscheinlich hatte noch nie jemand nachts in der Wohnung gearbeitet. Sie wussten einfach nicht, dass die Lampe kaputt war.

Er legte die Glaskugel auf die Arbeitsfläche und streckte sich, um ein letztes Mal gegen die Glühbirne zu tippen. Dabei fiel ihm etwas an seiner Hand auf. Die Haut unter den Fingernägeln war blau verfärbt. Sie war so hell, dass sie beinahe leuchtete.

Nein,dachte Nate, sie leuchtet wirklich.

Es war eine Party-Leuchte. Der Vormieter hatte eine Schwarzlichtbirne in der Küchenlampe zurückgelassen. Weil es keine der billigen mit violettem Glas war, war sie als normale Glühbirne durchgegangen. Die weißen Fliesen des Schachbretts auf der Arbeitsfläche leuchteten ebenfalls schwach.

Er beugte sich noch einmal vor und legte die Fingerspitzen auf die Glühbirne. Das Glas war heiß, aber nicht so, dass man sich daran verbrannte. Ein paar schnelle Drehungen, und die Lampe fiel ihm in die Hand. Er ließ sie hin und her rollen, damit sie die Haut nirgendwo zu lang berührte, und legte sie auf einem Stapel Küchentücher und Stoffservietten ab.

In einem der Kartons hatte er zwei Reservelampen. Er brauchte ein paar Minuten, bis er sie fand; dann schüttelte er eine davon an seinem Ohr, um sich zu vergewissern, dass der Glühfaden nicht kaputt war. Er schaltete die Deckenlampe aus, legte die neue Birne neben die Schwarzlichtleuchte und kletterte wieder auf die Arbeitsfläche.

Ohne große Mühe schraubte er die Glühlampe in die Fassung. Er stützte sich an einem Schrank ab, beugte sich zum Schalter und legte den ersten um.

Nichts.

Er richtete sich auf der Arbeitsfläche auf. »Verdammter Idiot«, sagte er. Im Dunkeln musste er die Birnen verwechselt und das Schwarzlicht wieder hineingeschraubt haben. Seine Nagelhaut leuchtete.

Nate streckte den Fuß aus und legte mit den Zehen den Schalter um. Er drehte die Lampe wieder heraus und tauschte sie in einem vorsichtigen Balanceakt aus. Sobald er die neue eingeschraubt hatte, griff er nach unten und schaltete das Licht an.

Die Birne gab das schwache Glühen eines Schwarzlichts ab.

Nate runzelte die Stirn. Dieses Mal hatte er sie getauscht. Er war sich sicher.

Er schaltete das Licht wieder aus, schraubte die Lampe heraus und sprang von der Arbeitsfläche. Mit beiden Leuchten ging er in den Nebenraum, wo das Licht funktionierte.

Die Glühbirne in seiner linken Hand war von General Electric. Er erkannte das kursive GE in der Schrift auf der Oberseite. Unterhalb des Logos standen kreisförmig die Worte LONG LIFE WHITE. Es war eine Energiesparlampe mit siebenundfünfzig Watt. Eine von denen, die er mitgebracht hatte.

Die Lampe in seiner rechten Hand, die in der Fassung gewesen war, trug kein kunstvolles Logo. Es stand nur K-LITE darauf. Sie hatte ebenfalls siebenundfünfzig Watt.

Es war auch keine Schwarzlichtbirne.

5

Nate arbeitete bei einer Zeitschrift in Hollywood. Aber nicht in dem strahlenden Stahl-und-Glas-Hollywood, das immer im Fernsehen zu sehen ist. Das Viertel, in dem er arbeitete, hatte klappernde Aufzüge, keine Klimaanlagen und zehn Jahre alte Computer. Mit der Zeitschrift war es dasselbe – nicht erstklassig, aber solide in der zweiten Reihe. Er wusste, dass es darin um Filme und Stars ging oder auch um die Crew hinter den Kulissen, aber wenn er ehrlich war, musste er zugeben, dass es ihn nie genug interessiert hatte, um eine Ausgabe zu lesen.

Er war zufällig dort in der Dateneingabe gelandet und machte den Job jetzt seit fast zwei Jahren. Eigentlich war er nur eine Aushilfe, aber die Chefs drängten ihn immer, vierzig Stunden in der Woche zu arbeiten. Keine Seite hatte jemals vorgeschlagen, den Job in eine Vollzeitstelle umzuwandeln. Das war eine stillschweigende Übereinkunft.

Es war eine stumpfsinnige Art, neun-fünfundzwanzig die Stunde zu verdienen. Die Zeitschrift verschickte jeden Monat Tausende von Wurfsendungen, Broschüren und Probeexemplaren, und ein guter Teil davon kam in Bündeln von hundert oder mehr in weißen Postkisten zurück. Nates Aufgabe bestand darin, die Adressen mit denen in der Datenbank zu vergleichen und festzustellen, ob sie aktuell oder als nicht zustellbar gekennzeichnet waren. Der Haken war, dass die Datenbank jede Woche um hundert oder mehr Adressen wuchs, wobei es sich bei manchen nur um den jeweils selben Kunden unter einem neuen Eintrag handelte. Außerdem wurden ihm jede Woche ein oder zwei Postkisten mit Rücksendungen in seine Bürozelle gebracht.

Die Zellen waren in vielerlei Hinsicht bezeichnend für die Firma. Sie bestanden aus sperrigen Trennwänden, die aus den Büros eines größeren Unternehmens geborgen worden waren, nachdem dieses Konkurs angemeldet hatte. Die überdimensionierten Wände nahmen mit ihren Sockeln so viel Platz ein, dass der Raum ein Musterbeispiel der Ineffizienz war. Anne und Zack, die anderen beiden Dauer-Aushilfen, mussten sich seitlich in ihre Zellen quetschen. Jimmy, der Praktikant, musste über Stühle klettern, um an seinen Arbeitsplatz zu gelangen. Nate stand nur deshalb die Zelle neben der Tür zur Verfügung, weil niemand die Postkisten in eine der anderen hieven wollte.

Als er nach einem neuen Bündel Rücksendungen griff, hörte er hinter sich jemanden seufzen. Er bemühte sich, nicht zusammenzuzucken.

»Ich habe gestern Abend versucht, Sie anzurufen«, sagte Eddie.

Eddie gehörte zu der übelsten Sorte von Arbeitgebern. Er hielt sich für einen großzügigen, gerechten Mann, der sein Geschäft verstand. In Wirklichkeit war er ein geiziger und einfallsloser Abteilungsleiter, der sich in jede Kleinigkeit einmischte. Nate hatte gerade zwei Wochen in dem Büro gearbeitet, als er sich einen langen Vortrag darüber anhören musste, dass er sich nicht genügend einbringe und das erwartete Pensum nicht erfülle. Er hatte mit einer sehr simplen Rechnung gekontert und aufgezeigt, dass es unmöglich war, Eddies Erwartungen zu erfüllen. Sein Vorgesetzter hatte einfach nur dagestanden, ihn angesehen und war dann davongeschlendert. Drei Tage später war er zurückgekommen, um sich zu beklagen, dass er davon ausgegangen sei, das ganze Projekt wäre schon in der Vorwoche erledigt gewesen.

Stühle rutschten über den Boden, als Zack und Anne sich aus ihren Zellen beugten, um zu sehen, ob Eddie sie heute auf dem Kieker hatte. Sobald sie merkten, dass er Nate ansah, schlüpften sie zurück in ihre Zellen.

»Tut mir leid«, sagte Nate. »Was war denn los?«

»Warum sind Sie nicht ans Handy gegangen?«

»Es hat nicht geklingelt.«

»Ich habe dreimal angerufen«, sagte Eddie.

Nate war zugleich erleichtert und verärgert. Wenn es wichtig genug gewesen wäre, um am Mittwochabend dreimal anzurufen, dann hätte Eddie gleich am Donnerstagmorgen in seiner Zelle gestanden, nicht erst am späten Nachmittag. Er hatte also wegen einer Kleinigkeit angerufen, sich geärgert, dass er ihn nicht erreicht hatte, und sich erst nach dem Mittagessen wieder an seinen Ärger erinnert.

»Vermutlich hatte ich kein Netz«, sagte Nate. Er konzentrierte sich auf die Rücksendungen und zog das Gummiband von dem Stapel.

»Wir sind mitten in Los Angeles, und Sie wollen mir erzählen, Sie hätten keinen Empfang gehabt?«

»Liegt bestimmt an meiner neuen Wohnung«, sagte Nate nach kurzem Nachdenken. »Die Wände sind aus dickem Backstein. Ich glaube, das Haus dient auch als Bunker. Wenn Krieg ausbricht, könnt ihr euch alle bei mir verstecken.«

Er hörte ein amüsiertes Schnauben aus Annes Zelle. Sie war der einzige Lichtblick im Büro. Mit ihren hohen Wangenknochen, den Augen und der Figur hätte sie auch als Model arbeiten können. Anne war seit acht Monaten in dem Büro.

Eddie stieß die Luft aus, um Nate zu verdeutlichen, wie lästig die Angelegenheit für ihn war. »Sorgen Sie dafür, dass die da oben Ihre neue Festnetznummer bekommen.«

»Sobald ich eine habe«, sagte Nate.

Der übergewichtige Mann schlurfte zurück in den Flur, ohne auch nur zu sagen, weswegen er angerufen hatte. Nate sah wieder auf den Monitor. Zumindest endete der Tag nicht so übel.

Nate kam von seiner neuen Wohnung schneller zur Arbeit, aber es stellte sich zügig heraus, dass Sean richtig gelegen hatte. Er sparte eine Viertelstunde Fahrtzeit, verbrachte jedoch jeden Abend auf dem Heimweg zwanzig Minuten damit, einen Parkplatz zu suchen. Anstatt die Arbeit erträglicher zu machen, steigerte das seine Frustration. Meistens musste er eineinhalb Blocks entfernt parken.

Als er den Hügel zu seinem Haus hinabging, sah er eine junge Frau mit hellblauem Haar herauskommen. Einige seiner Nachbarn kannte er schon. Oskar war er zweimal begegnet, beide Male draußen auf dem Gehweg. Der alte Mann erledigte den Großteil seiner Einkäufe in den beiden Supermärkten am Ende der Straße. Außerdem gab es eine kurvige Frau und einen rothaarigen Mann ungefähr in Nates Alter, die im Gleichschritt eines langjährigen Paares gingen. Keiner von beiden schien Notiz von ihm zu nehmen. Die blonde Schönheit vom Land, die ihm gegenüber wohnte, hatte er nicht mehr gesehen.

Er schlüpfte durch das Tor und suchte den Schlüssel für die Sicherheitstür an seinem Bund, während er die Stufen hinaufstieg. Etwas reflektierte das Sonnenlicht in seine Augen, und er sah nach links. Aus diesem Winkel konnte er zwischen die Büsche und die Hauswand blicken. An der hinteren Ecke stand ein alter Grundstein.

Nate trat von der Treppe auf den kleinen Rasen. Er konnte die einzelnen Bahnen der ausgelegten Grasnarbe erkennen. Mit wenigen Schritten gelangte er an die Ecke des Hauses. Dort wuchs ein großer Busch. Er bog ein paar Zweige aus dem Weg, um die Inschrift lesen zu können.

Der Grundstein war ein massiver Marmorblock, durchzogen von dunklen Adern und glitzernden Einschlüssen. Die Zahlen und Buchstaben waren über einen Zentimeter tief in den Stein geritzt.

1894

WNA

PTK

Nate wusste nicht genau, welche Informationen ein Grundstein tragen sollte, aber er war ein wenig enttäuscht, wie wenig auf diesem stand.

Ein paar Minuten später war er oben und warf seine Tasche aufs Sofa. Normalerweise zog er sich nach der Arbeit lässigere Kleidung an, aber er hatte nichts Sauberes. Aus seiner alten Wohnung hatte er einen halbvollen Wäschekorb mit schmutzigen Klamotten mitgebracht.

Er würde wohl den Donnerstagabend damit verbringen müssen, die Waschküche auszuprobieren. Kleidung und Vierteldollars wurden eingesammelt, eine Flasche Waschmittel in den Korb gesteckt, dann schleppte er das Ding über die Hintertreppe in den Keller.

Es gab acht Geräte in der Waschküche. Vier Waschmaschinen waren gegenüber der Tür an der Betonwand aufgereiht. Die Trockner standen jeweils zu zweit übereinander. Gegenüber den Trocknern befand sich ein abgewetztes Sofa, auf dem ein Mann lag.

Der Mann hielt sich die Hände vor die Augen, eher in einer Geste der Enttäuschung als zum Schutz vor irgendwas. Seinen massigen Armen und der breiten Brust sah man an, dass sie von harter Arbeit und nicht aus dem Fitnessstudio stammten. Er war nicht viel größer als Nate. Höchstens drei oder vier Zentimeter. Aber Nate war sich des Unterschieds zwischen einem Meter siebenundsiebzig und einem Meter achtzig bewusst. Das bedeutete viel mehr als ein paar Zentimeter.

Als Nate mit dem Wäschekorb in den Raum schlurfte, ließ der Mann die Hände sinken und entblößte mindestens zwei Tage alte Bartstoppel. »Hallo«, sagte er.

»Hallo«, erwiderte Nate. »Langen Tag gehabt?«

»Die sind alle lang«, seufzte er mit einem Grinsen. »Ich habe vergessen, am Wochenende die Wäsche zu machen. Jetzt brauche ich Hemden und Socken, und morgen muss ich früh raus.«

»Blöde Sache.«

»Ja. Nimm nicht die linke Waschmaschine. Die schleudert nicht schnell genug, und alles kommt nass raus. Richtig nass, nicht nur feucht.«

»Danke«, sagte Nate.

»Kein Problem. Neu hier?«

»Ja. Ich bin am Wochenende in die Achtundzwanzig gezogen.«

»Klar«, sagte der Mann. »Ich habe deinen Pick-up mit dem Schreibtisch und den Regalen und so gesehen.«

»Der Wagen gehört einem Freund, aber ja.«

»Aha.« Er zeigte auf die Kante zwischen Wand und Decke. »Roger. Ich wohne genau da. Nummer sieben.«

»Ich heiße Nate. Wohnst du schon lange hier?«

»Ein gutes Jahr.« Der Trockner piepste und hielt an. Roger hievte sich vom Sofa und schlurfte mit seinem olivgrünen Kissen, das sich, als er es auseinanderfaltete, als großer Rucksack entpuppte, zum Gerät.

Nate sah kurz zum Gebäude über ihnen auf. »Gefällt es dir?«

»Was soll mir daran nicht gefallen?« Er stopfte seine Wäsche in den Rucksack. »Ich arbeite fünfundsechzig bis siebzig Stunden die Woche. Am Wochenende mache ich Erledigungen oder gehe aus. Hier schlafe ich und bewahre meine Sachen auf. Und es ist billig.«

»Siebzig Stunden pro Woche?«

»Manchmal auch achtzig, Kumpel«, sagte Roger. »Grip.«

»Beim Film?«

»Genau. Seit sieben Jahren.«

Nate grinste. »Was zum Teufel macht ein Grip-Mann eigentlich?«

»Grip-Leute sind der Hammer, Mann. Sie stellen Fahnen auf, bauen Plattformen, sorgen für Sicherheit.«

»Fahnen?«

Roger lächelte. »Stell es dir so vor: Beleuchter sind für das Licht zuständig, wir für die Schatten.« Er warf die letzten T-Shirts in den Rucksack. »Schönen Abend noch, Kumpel.«

»Dir auch.«

Roger stapfte die Treppe hoch, und Nate war allein in der Waschküche. Er stopfte seine Kleider in die Waschmaschine und fischte zwei Vierteldollar aus der Tasche seiner Jeans. Fünfzig Cent für eine Ladung Wäsche war fast genauso absurd wie die Miete. Zischend lief das Wasser in die Maschine.

Er schlenderte zurück in den Flur. Genau gegenüber der Waschküche befand sich eine Tür. Sie war rostrot mit länglichen Kassetten, während die Wohnungstüren eine glatte Oberfläche aufwiesen. Oberhalb des Knaufs waren Haken in das Holz geschraubt worden, die mit einem glänzenden Zahlenschloss gesichert waren.

Nate ging den Flur entlang. Eine nackte Glühbirne tauchte alles in grelles Licht. Der Boden war bis zur Lampe in demselben Blau gestrichen wie die Waschküche, aber dahinter erstreckte sich nackter Beton.

Nach der Waschküche kam ein kleinerer Raum, vielleicht so groß wie seine Wohnung. Er war mit Boilern vollgestellt, gedrungene zylindrische Geräte, die ihm bis zur Hüfte reichten. Die meisten waren knochenfarben, nur an der hinteren Wand standen zwei kreideweiße. Auf manchen sah Nate Energiespar-Aufkleber. Die Luft war warm und feucht.

Er hörte ein Rascheln. Eine Kakerlake von der Größe seines Ringfingers huschte auf einen der Boiler. Es war eine hellgrüne Riesenkakerlake, der Großvater derer, die er am ersten Tag in seiner Wohnung gesehen hatte. Ihre winzigen Beine klopften und kratzten über die Metalloberfläche. Es war immer verstörend, wenn das Ungeziefer so groß wurde, dass man es laufen hören konnte.

Ein Bild tauchte vor seinem inneren Auge auf. Sigourney Weaver als Ripley in einem nebligen Raum voller Alien-Eier.

Nate ging weiter. Der Flur endete an einer Doppeltür. Er sah sich um und schätzte, dass er dicht an der Vorderseite des Hauses war. Der Aufzugsschacht befand sich wahrscheinlich gleich hinter dieser Tür.

Wie die Tür gegenüber der Waschküche passte auch diese nicht zum Rest des Gebäudes. Es war eine elegante Tür. Eine Tür, die in den Ballsaal oder die Suite eines alten Hotels führen könnte.

Die Tür war auf eine Weise verriegelt, wie Bugs Bunny es tun würde. Ein staubiger Holzbalken war drei- oder viermal mit einer Kette umwickelt, die sich außerdem zweimal durch die Türgriffe wand.

Nate trat aus dem Licht und betrachtete das Vorhängeschloss an den Enden der Kette. Es war ein großer solider Block, dessen Bügel fast so dick war wie sein Finger. Sowohl Schloss als auch Kette waren von einem hellorangefarbenen Rost bedeckt, der an manchen Stellen zu einem schmutzigen Braun verblichen war. Nur hier und dort konnte Nate den Stahl durchglitzern sehen. Wenn er hätte schätzen müssen, hätte er gesagt, dass das Schloss in den letzten zwanzig Jahren nicht geöffnet worden war.

Er legte die Finger auf die linke Seite der Doppeltür. Sie war warm. Wärmer als die Luft im Flur. Er stieß leicht dagegen. Die Türen waren mit dem Riegel und der Kette fest verschlossen. Es fühlte sich an, als stieße er gegen eine Wand.

Er hörte, wie die Waschmaschine am anderen Ende des Flurs zu schleudern begann. Damit kommen wir zum Ende unseres Rundgangs, dachte er.

6

Am Samstag war er seit einer vollen Woche in seiner neuen Wohnung. Nate wollte diesen Tag angemessen begehen und erinnerte sich an die Dachterrasse. Mit einem Bier draußen zu sitzen schien ihm eine schöne Art, die erste Woche abzuschließen und ins Wochenende zu starten.

Er ging zum Treppenhaus und stieg die Stufen zum Dach hinauf. Dort war eine Brandschutztür mit Panikstange. An der Wand daneben hing eine Liste mit Regeln für die Benutzung der Dachterrasse, die sich mit Benimm dich nicht wie ein Idiot zusammenfassen ließ. Ein Zettel war mit einem blauen X – einem Magnetbuchstaben, wie Kinder ihn am Kühlschrank benutzten – an die Tür geheftet.

Xela ist hier.

Nate fragte sich, was das bedeuten sollte. Er drückte gegen die Stange, und Sonnenlicht flutete ins Treppenhaus. Als er nach draußen trat, schlug die Tür hinter ihm zu.

Ein riesiger Backsteinblock nahm die vordere Hälfte der Terrasse ein. Nate schätzte, dass er drei Meter hoch und an der Seite, die ans Treppenhaus grenzte, sogar noch länger war. Es sah aus, als hätte der Architekt eine Wohnung einer weiteren Etage gebaut und dann aufgegeben. In der Mauer neben der Treppe befand sich eine Tür. Sie hatte keinen Knauf und war mit drei halb verrosteten Vorhängeschlössern gesichert.

Die hintere Hälfte des Dachs bestand aus einer Terrasse, die zu einem Skihotel oder einem Strandhaus in Malibu gepasst hätte. Sie war acht mal acht Meter groß und stand auf stabilen Füßen einen halben Meter über der Dachpappe. Die Bohlen waren verblichen und ausgedörrt, aber nicht so sehr, dass es gefährlich wirkte.

Drei breite Stufen führten ihn hinauf. Er konnte die Innenstadt sehen, den Hollywood-Schriftzug, das Observatorium und vieles mehr. Die ganze Stadt erstreckte sich unter ihm in einem pulsierenden Panorama. Es war einer dieser Ausblicke, die ihn daran erinnerten, dass Los Angeles mehr als Verkehr, Beton und Graffiti war.

Ein halbes Dutzend Liegestühle stand in alle Himmelsrichtungen ausgerichtet herum. In der hinteren Ecke ragte ein Pavillon auf, wie manche Leute ihn im Garten haben. In der Mitte war eine niedrige Metallkonstruktion, die Nate nach einem Augenblick als Feuerschale ausmachte. Er hatte solche Arrangements bisher nur in Filmen und Werbespots gesehen. Es war kaum zu glauben, dass es jetzt zu seiner Wohnung gehörte. Er trank einen Schluck Bier und ließ das Ganze auf sich wirken.

»Du bist der Neue, oder?«

Auf einem Stuhl, an dem er vorbeigegangen war, lag die Frau mit dem neonblauen Haar, die er schon einmal kurz gesehen hatte. Aus der Nähe vermutete er, dass sie ein paar Jahre jünger war als er. Sie trug eine Wayfarer-Sonnenbrille. Und sonst nichts.

Nates Blick huschte über sie hinweg zur Brandschutztür. »Ja«, sagte er. »Ich bin letztes Wochenende eingezogen.«

Aus dem Augenwinkel sah er sie nicken. »In die Achtundzwanzig, oder? Hintere Ecke?«

»Glaube schon, ja.« Er sah von der Tür zu dem Backsteinbau. Es gab keine Fenster, nur die mit Vorhängeschlössern gesicherte Tür.

Wieder ein am Rande wahrgenommenes Nicken der Frau. »Ich wohne in der Einundzwanzig. Gegenüberliegende Ecke.«

»Ahhh.« Er trank einen Schluck und blickte auf das Observatorium in der Ferne.

»Mein Gott«, sagte sie. »Es sind nur Titten. Du hast doch schon mal Titten gesehen, oder?«

Nate gab sich Mühe, ihr in die Augen zu sehen. Er hoffte, es wirkte entspannter, als er sich fühlte. »Zweimal«, sagte er. »Oder dreimal, wenn man das Internet mitzählt.«

Sie grinste. »Xela.«

»Was soll das bedeuten? Ich habe es auf dem Zettel gelesen.«

»Das ist mein Name. Xela.« Sie sprach es so aus, dass es sich auf Leela reimte. Dann streckte sie die Hand aus.

»Nate.« Er schüttelte ihre Hand. Sie hatte einen festen Griff.

Schließlich bemerkte er, dass Xela gar nicht nackt war, sondern nur barbusig. Aber ihr Bikiniunterteil verbarg nicht viel. Sie war schlank, und über ihre Arme und Schultern zogen sich drei oder vier Tattoos, oder vielleicht war es auch ein einziges besonders aufwändiges. Er wollte seinen Blick nicht so weit nach unten schweifen lassen, um es feststellen zu können. Das himmelblaue Haar bestäubte ihre Schultern. Sie hatte keine halben Sachen gemacht und sich auch die Augenbrauen gefärbt.

»Bist du schon richtig eingezogen?«

»Ja. Ich habe nicht viele Sachen. Vor ein paar Tagen bin ich mit dem Auspacken fertig geworden.«

»Gefällt es dir bis jetzt?«

Er sah auf die Stadt. »Tja, der Ausblick ist toll.« Er schreckte innerlich zusammen, als ihm die Worte über die Lippen kamen, und versuchte, sie mit einem Schluck aus der Flasche zu ertränken.

»Armselig.« Sie seufzte, nahm ein Hemd von dem Haufen am Fußende des Liegestuhls und schlüpfte hinein. »Du kannst jetzt gucken«, sagte sie, während sie zwei Knöpfe schloss. »Die schrecklichen Dinger sind vor deinen sensiblen Augen verborgen.«

»Entschuldigung«, sagte er. »Es ist einfach seltsam, seine Nachbarin so kennenzulernen.«

»Deshalb hängt der Zettel an der Tür.«

»Ja, aber als ich ihn gesehen habe, dachte ich, ›Xela ist hier‹ hätte irgendwas mit Scientology zu tun.«

»Aua.«

»Ist nicht persönlich gemeint.«

»Nein, du hast recht. Die meisten Leute im Haus wissen, was es bedeutet, und lassen mich hier draußen in Ruhe.«

Er warf einen Blick zur Tür. »Tut mir leid. Ich wollte dich nicht belästigen.«

»Wenn ich so empfindlich wäre, Nate, würde ich mich dann nackt auf dem Dach meines Hauses sonnen? Es ist nur ein Körper. Warum soll man sich so darüber aufregen?«

»Stimmt schon.«

»Ich meine, wenn du dich dann besser fühlst, stelle ich mir dich auch nackt vor. Keine Angst, ich bin nicht zu kritisch. Nach vorne und nach links.«

»Was?«

»Komm einen Schritt näher. Und vielleicht einen halben Meter nach links.«

Er befolgte die Anweisungen, und sein Schatten fiel auf ihr Gesicht. Lächelnd schob sie sich die Sonnenbrille auf den Kopf. Ihre Augen waren ebenfalls hellblau. Sie tippte mit dem Fuß gegen sein Bein. »Danke. So ist es besser.« Sie musterte ihn in aller Ruhe. »Also, was machst du, Nate?«

»Was ich mache?«

»Beruflich. Zum Vergnügen. Um das Leben erfüllt zu gestalten.«

Er zuckte die Achseln. »Ich arbeite im Büro.«

Xela zog ein langes Gesicht. »Das tut mir echt leid für dich.«

Er trank einen Schluck Bier. »Warum sagst du das? Vielleicht mag ich meinen Job.«

»Magst du ihn?«

»Nein.«

»Niemand, der bei Verstand ist, arbeitet gern im Büro«, sagte sie. »Es ist gegen die menschliche Natur, den ganzen Tag in eine Zelle gesperrt zu sein.«

»Wer hat was von einer Zelle gesagt?«

Sie grinste dünn. »Wenn du ein großes Büro hättest, hättest du gelogen und gesagt, dass du deinen Job magst.«

Er zuckte erneut mit den Schultern und leerte sein Bier. »Wenn ich ein großes Büro hätte, würde ich meine Arbeit vielleicht wirklich mögen.«

Xela schüttelte den Kopf. »So verkorkst bist du nicht.«

»Woher willst du das wissen? Du kennst mich doch gar nicht.«

»Es ist dir unangenehm, deine scharfe Nachbarin mit nacktem Oberkörper zu sehen, obwohl ich dir gesagt habe, dass es mir nichts ausmacht. Wenn du verkorkst wärst, hättest du einfach hingeguckt.«

»Ich wollte ja hingucken«, erklärte er. »Ich dachte nur, es wäre peinlich, wenn man sich dann später in der Waschküche begegnet.«

»Wohl kaum. Ich erledige auch meine Wäsche nackt. So kann ich alles auf einmal waschen.«

»Wirklich?«

»Nein, natürlich nicht. Das wäre ziemlich schräg.«

Er setzte sich auf einen der anderen Stühle. Als er seine Flasche abstellte, schob sie sich die Sonnenbrille wieder über die Augen. »Und was machst du, Xela? Außer neue Nachbarn zu verunsichern?«

»Rate mal.«

»Warum?«

»Weil ich gern höre, was die Leute glauben.«

Er betrachtete ihr Haar und die Tattoos, die am Hals unter dem Hemd herausragten. Der Kragen war kurz und hatte kleine Punkte, und er begriff, dass es ein altes Smokinghemd war. Sie hatte nur zwei Knöpfe geschlossen, weil es nicht mehr gab. Die anderen Löcher waren für separate Frackknöpfe. Und das Hemd war mit Farbspritzern übersät.

»Ich würde auf Künstlerin tippen«, sagte er.

»Sehr gut. Was hat mich verraten?«

»Du hast Farbe auf dem Hemd. Vor allem auf den Ärmeln.«

»Du bist fantastisch, Sherlock«, sagte sie. »Die meisten Typen sehen nur die Haare und die Titten und tippen auf Stripperin. Du wärst wahrscheinlich so vornehm und würdest ›exotische Tänzerin‹ sagen.«

»Freut mich, dass du so eine hohe Meinung von mir hast. Du bist also Malerin?«

»Bilder, Skulpturen, da lasse ich meinem Schaffensdrang freien Lauf.« Sie zog ein Handy aus dem Kleiderhaufen und sah auf die Uhr. »Hat mich jedenfalls gefreut, dich kennenzulernen, Nate aus der Achtundzwanzig, aber wenn du nichts dagegen hast, würde ich mich gern noch ein bisschen sonnen, bevor ich an die Arbeit gehe.«

»Hast du einen Abgabetermin?«

»Nett, aber leider daneben. Meine Schicht als Kellnerin fängt an.«

»Ich dachte, du wärst Künstlerin?«

»Ich mache Kunst«, sagte sie, »aber das ist nicht mein Beruf.« Sie öffnete einen der Knöpfe und verscheuchte ihn mit einer Handbewegung. »Beim nächsten Mal bring Bier für alle mit.«

Er nahm seine Flasche und ging zurück zur Brandschutztür. Das Bauwerk daneben ragte über ihm auf, und er blieb vor der Tür mit den Vorhängeschlössern stehen. »Hey«, rief er nach hinten.

»Sie sind schon draußen.« Sie schwang ihr Hemd wie eine Fahne über dem Kopf. »Ich ziehe mich nicht wieder an.«

»Was ist das eigentlich für ein Ding?«

»Was?« Sie setzte sich auf dem Stuhl auf, sodass ihre nackten Schultern auftauchten.

»Das hier.« Nate zeigte auf den Backsteinblock.

»Es ist das Dingsbums für den Aufzug«, sagte sie. »Das hat Oskar mir jedenfalls gesagt.«

»Für den Aufzug?«

»Ja, die Motoren und Kabel und so.«

Er ging ein paar Schritte um die Ecke des Bauwerks. Es war geräumiger als seine Wohnung. »Ziemlich groß, oder?«

Xela verschwand wieder hinter der Lehne ihres Liegestuhls. »Das ist ein altes Gebäude«, sagte sie. »Früher musste man die Sachen noch größer bauen.«

7

Als Nate am Dienstag nach der Arbeit ins Haus trat, fiel ihm auf, dass er schon seit zehn Tagen dort wohnte (auch wenn er sie nicht zählte) und noch keine Post bekommen hatte. Er hatte allen die neue Adresse mitgeteilt und einen Nachsendeauftrag erteilt, aber nicht daran gedacht, in den Briefkasten zu sehen.

Unter der Treppe fand er das Fach mit der Nummer 28.

Die weißen Zahlen waren mit einem Etikettiergerät auf rotes Klebeband gedruckt. Der Briefkasten war voller Werbesendungen mit seinem Namen und Rechnungen, die an jemand anderen adressiert waren. Wie Eddie im Büro immer sagte: Alles für die Ablage P.

Die Stapel Telefonbücher unter den Briefkästen waren umgekippt. Es gab drei verschiedene Ausgaben, die meisten in verstaubten orangefarbenen oder weißen Tüten. Sie waren vom Frühling 2012, aber er erinnerte sich aus seiner letzten Wohnung an sie. Sie waren vor sechs Monaten ausgegeben worden. Da von jeder Sorte mindestens zwei Dutzend herumlagen, hatte sich offenbar niemand eines genommen. An der Wand dahinter hingen halb verdeckt irgendwelche Messingtafeln.

Nate versuchte die Bücher wieder aufzustapeln, aber Zeit und Schwerkraft hatten die Rücken verbogen. Es war unmöglich. In einem plötzlichen Anfall von Gemeinsinn beschloss er, dass sie alle in Ablage P mussten.

Nein, dachte er. In den Altpapiercontainer. Noch besser.

Er schlang sich die Plastikgriffe um die Handgelenke und verdrehte sie dort. Es dauerte eine Weile, aber er schaffte es, sich sieben Telefonbücher an jeden Arm zu hängen. Mit dem Absatz stieß er die Haustür auf, dann stieg er die Stufen hinab.

Den ersten Fehler in seinem Plan bemerkte Nate, als er zum Zaun kam. Er konnte die Arme nicht weit genug heben, um das Tor aufzumachen. Nachdem er sich einen Moment lang abgemüht hatte, öffnete ein Mann mit Pullunder und Krawatte das Tor von der anderen Seite. »Alles in Ordnung?«, fragte der Fremde.

»Jetzt ja«, sagte Nate. »Sie sind gerade rechtzeitig gekommen.«