Der Spalt - Peter Clines - E-Book

Der Spalt E-Book

Peter Clines

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Beschreibung

Die Geister, die ich rief ...

Highschool-Lehrer Mike Erikson ist ein Genie und könnte dank seines fotografischen Gedächtnisses und seines überragenden IQs eigentlich eine glänzende Karriere machen. Doch er zieht ein bescheidenes und zurückgezogenes Leben vor – bis er sich von einem alten Freund dazu überreden lässt, an einem einzigartigen Experiment teilzunehmen: Mitten in der kalifornischen Wüste arbeitet ein Team von Wissenschaftlern daran, Teleportation zu ermöglichen. Doch das Experiment hat ungeahnte Folgen – nicht nur für die Forscher selbst, sondern für die ganze Menschheit ...

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Seitenzahl: 583

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Das Buch

Der Highschool-Lehrer Mike Erikson führt ein ruhiges und unauffälliges Leben in einer Kleinstadt in New England. Niemand seiner Schüler, Kollegen und Bekannten würde vermuten, dass hinter der Fassade des amerikanischen Durchschnittstypen ein Genie steckt: Mike hat einen extrem hohen IQ und ein fotografisches Gedächtnis – mit seinen Fähigkeiten hätten ihm alle Türen zur Wissenschaft und Forschung offengestanden, doch Mike zieht ein ruhiges Leben vor. Bis eines Tages Reggie Magnus vor seiner Tür steht, ein alter Freund aus Uni-Zeiten, der es inzwischen in der Politik weit gebracht hat. Reggie braucht dringend Mikes Hilfe, denn ein Team von Wissenschaftlern in San Diego hat angeblich eine Möglichkeit gefunden, Menschen zu teleportieren. Doch in letzter Zeit ereigneten sich im Labor seltsame Dinge: Ein Politiker, der das Labor besucht hatte und sich dort teleportieren ließ, kehrte anschließend nach Hause zurück und griff seine Frau an, weil er sie nicht mehr erkannte und stattdessen für einen Einbrecher hielt. Mike erklärt sich bereit, die Vorfälle zu untersuchen – doch was ihn dann in dem Labor erwartet, hätte er sich in seinem schlimmsten Alptraum nicht ausmalen können …

Der Autor

Peter Clines wuchs in Maine, USA, auf und studierte Literaturwissenschaft, Archäologie und Quantenphysik. Er hat bereits zahlreiche Kurzgeschichten veröffentlicht, bevor er sich dem Schreiben von Romanen widmete. Peter Clines lebt und arbeitet in Südkalifornien.

Peter Clines

Der Spalt

Roman

Aus dem Amerikanischen von Marcel Häußler

Deutsche Erstausgabe

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

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Titel der englischen Originalausgabe

THE FOLD

Deutsche Erstausgabe 02/2016

Redaktion: Sven-Eric Wehmeyer

Copyright © 2015 by Peter Clines

Copyright © 2016 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, Neumarkter Straße 28, 81673 München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: Das Illustrat, München

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-641-17507-8V001

www.diezukunft.de

Für meine Mutter Sally,die das ganze schlechte Zeug lesen musste, bis schließlich etwas Gutes entstand

»Die heutigen Wissenschaftler haben Experimente durch Mathematik ersetzt, und sie verlieren sich in Formel um Formel, bis sie schließlich ein Konstrukt erschaffen, das keinen Bezug zur Realität hat.«

Nikola Tesla

DAS ALBUQUERQUE-PORTAL

1

»Mir gefällt es einfach nicht besonders«, sagte Denise. »Ich kann nichts damit anfangen.«

Becky unterdrückte ein Grinsen, obwohl Denise es am anderen Ende der Leitung sowieso nicht sehen konnte. Sie unterhielten sich jetzt seit zwei Monaten ständig über dieses Thema. Immerhin war es eine gute Ablenkung, um die Zeit zu überbrücken, bis Ben nach Hause kam.

Wenn er unterwegs war, machte sie sich immer ein wenig Sorgen. Ben betreute geheime Regierungsprojekte. Meistens ging es dabei um Waffen. Oft in gefährlichen Gegenden.

Diese Dienstreise war allerdings die harmloseste, die er jemals unternommen hatte. Nur vier Tage in San Diego. Und es war kein Waffenprojekt.

»Ich meine, Marty ist ganz verrückt danach«, fuhr Denise fort, »aber es geht nur um Titten und Schnee und Blut. Und die gefrorenen Zombie-Dinger. Ich kapier es einfach nicht. Es passiert kaum was. Fünf Jahre, und sie reden immer noch über den Winter.«

Becky sammelte Socken, Unterwäsche, zwei T-Shirts, einen Rock und einen BH vom Schlafzimmerboden auf. Sie war furchtbar schlampig, wenn sie das Haus für sich allein hatte. Aus unerfindlichen Gründen benahm sie sich noch schlimmer als in ihrer Studienzeit. »Warum guckst du es dir dann weiter an?«

»Tja. Marty steht drauf. Er würde es nie zugeben, aber ich glaub, ihm gefallen vor allem die ganzen nackten Titten. Seht ihr es euch denn noch an?«

Sie ging ins Badezimmer und warf den Haufen Wäsche in den Korb. Im Bad herrschte ebenfalls Chaos. Ihre Yoga-Klamotten und noch mehr Unterwäsche. Wie konnte man in nur vier Tagen so viel Unterwäsche verbrauchen? »Wir sind ein paar Folgen hintendran, aber ja«, sagte sie. »Ich nehme an, ihm gefallen die Titten auch. Und die Drachen.«

Becky trat mit einem Fuß in den Mülleimer und drückte den Inhalt so weit zusammen, dass er nicht mehr über den Rand quoll. »Wir haben überlegt, ob wir dieses Wochenende einen Videomarathon machen. Um uns nach seiner Reise ein bisschen zu entspannen.«

»Wann kommt er zurück?«

»Sein Flugzeug ist vorhin gelandet«, sagte sie. »Er hat mir eine SMS geschickt, dass er noch kurz im Büro vorbei muss, um seinem Chef Bericht zu erstatten. Wahrscheinlich kommt er jeden Moment.«

»Räumst du gerade auf?«

Sie lachte. »Du kennst mich zu gut.«

»Dann will ich dich nicht länger stören.«

»Ja, okay.«

»Ruf mich nächste Woche an«, sagte Denise. »Vielleicht können wir mal alle zusammen bei dem neuen Japaner essen gehen.«

»Gut.«

Becky legte auf und warf das Telefon aufs Bett. Sie sah sich um, ob noch etwas herumlag, weswegen er sie aufziehen könnte. Auf dem Nachttisch standen ein Weinglas und ein Teller mit Käsekuchenkrümeln. Ein weiteres Weinglas thronte auf der Kommode. Mein Gott, sie war so eine Schlampe. Und eine Säuferin.

Manchmal kam ihr der Gedanke, dass sie versuchen sollte, eine brave Frau zu werden. Eine, die das Haus sauber hielt und das Abendessen auf dem Tisch stehen hatte, wenn ihr Mann nach Hause kam. Als sie sich damals auf einer Halloweenparty kennengelernt hatten, war sie tatsächlich als 50er-Jahre-Hausfrau verkleidet gewesen, mit einem Martiniglas in der Hand, einer Schürze und einer Liste aus einer alten Frauenzeitschrift, auf der ihre Pflichten verzeichnet waren. Er hatte gelacht und gesagt, sie sehe nicht aus wie eine Frau, die zu Hause sitzt und auf ihren Mann wartet. Dann hatte er ihr einen Drink bestellt, und sie hatten die Nacht mit Dingen verbracht, die in dem Artikel aus der Frauenzeitschrift nicht erwähnt wurden. Vierzehn Monate später waren sie verheiratet.

Becky sammelte die Gläser und den Teller ein. Da sie gerade dabei war, konnte sie auch das Geschirr aus ihrem Atelier im hinteren Teil des Hauses mitnehmen. Dort stand auf jeden Fall neben dem Computer ein Teller vom Mittagessen und vielleicht auch noch ein Weinglas von gestern Abend.

Als sie in das Atelier trat, ertönte ein leises metallisches Kratzen von der Vorderseite des Hauses. Ein Schlüssel im Schloss. Es klickte, und dann quietschten die Angeln. Sie hatten die verdammte Haustür schon vor Jahren reparieren wollen.

»Hallo, Schatz«, rief sie und stellte das Geschirr auf den Schreibtisch. »Wie war dein Flug?« Auch gut, hier im Atelier würde er die schmutzigen Sachen nicht sofort bemerken. Außerdem kannte er sie mittlerweile. Sie trat einige Schritte in den Flur, bevor sie beschloss, über die Hintertreppe nach unten zu gehen. Es war kürzer, und sie würde ihm wahrscheinlich in der Küche begegnen.

Etwas irritierte sie, als sie den Fuß auf die erste Stufe setzte. Das Fehlen von etwas. Die übliche Kette von Geräuschen, die Ben beim Nachhausekommen verursachte, war abgerissen. Sie hatte nicht gehört, wie die Angeln erneut quietschten oder die Tür zuschlug. Oder wie der Schlüsselbund auf dem Tisch in der Diele landete.

»Schatz?«

Sie zog den Fuß von der Stufe und ging zurück durch den Flur. Von der vorderen Treppe aus konnte sie die Haustür sehen. Sie stand halb offen. Becky roch den Rasen draußen und hörte den Verkehr, der zum Autobahnring strömte.

Ben war nicht da. Der Schlüsselbund lag nicht auf dem Tisch. Und der Aktenkoffer stand nicht darunter, wo er ihn sonst immer hinwarf.

Becky stieg einige Stufen hinunter. Sie spähte über das Geländer, um zu sehen, ob er sich in der Diele versteckte. Es wäre nicht das erste Mal, dass er heraussprang und sie erschreckte.

Die Diele war leer.

Becky ging zur Haustür. Es sah aus, als hätte sie jemand sorglos offenstehen gelassen, so wie sie es tat, wenn sie die Post hereinholte oder Pat vom anderen Ende der Straße anfuhr, weil sie ihren Hund auf Beckys Rasen kacken ließ.

Hatte sie die Tür selbst offen gelassen, als sie die Post hereinholte? Vielleicht war sie nicht richtig eingerastet, sodass der Wind sie aufstoßen konnte? Hatte sie sich das Geräusch des Schlüssels nur eingebildet? Ben musste jeden Moment kommen. Vielleicht hatte sie nur die Angeln quietschen gehört und den Rest im Geiste ergänzt.

Sie streckte den Kopf nach draußen. Es war kühl. So spät am Nachmittag lag die Vorderseite des Hauses im Schatten.

Bens Auto stand in der Einfahrt. Genau dort, wo er immer parkte, vor dem ersten Garagentor. Sie sah die Luft über der heißen Motorhaube flimmern.

Becky schloss die Tür. Die Angeln quietschten. Das Schloss klickte.

»Bist du hier drin, Schatz?«

Holzdielen wackelten. Die Luft im Haus geriet in Bewegung. Jemand war in der Küche. Sie erkannte das Knirschen der losen Fliesen vor der Spülmaschine.

»Ben?« Sein Name hallte durch das Haus. Sie ging einige Schritte ins Innere. »Wo bist du?«

Die Stille ließ sie langsamer gehen und schließlich stehenbleiben.

»Das ist nicht witzig.«

Keine Reaktion.

Sie überlegte, was sie tun sollte. Es bestand immer noch die Möglichkeit, dass er ihr einen Streich spielte. Ein misslungener Witz. Ben würde aus seinem Versteck springen, und sie würde ihm eine Ohrfeige verpassen, bevor sie ihn begrüßte.

Es fühlte sich aber nicht an wie ein Streich. Irgendwas lief falsch. Bens Auto stand in der Einfahrt, aber es schlich ein Fremder durchs Haus.

Sie besaßen eine Pistole. Eine Glock 17 oder 19 oder so. Becky hatte vier Unterrichtsstunden genommen und dreimal auf dem Schießstand geübt. Es war eine knallharte Geheimagenten-Waffe, zumindest hatte Ben das gesagt. Sie würden sie wahrscheinlich niemals brauchen, aber es war besser, sie zu haben und nicht zu brauchen, als sie zu brauchen und nicht zu …

Die Glock lag oben. Im Schlafzimmer. Im Nachttisch. Mit sechs großen Schritten zurück wäre sie an der Vordertreppe.

Oder sie könnte drei Schritte nach vorn gehen und einen Blick in die Küche werfen.

Sie machte zwei Schritte nach vorn.

Bens Aktenkoffer und Reisetasche standen im Flur. Es war eine ausgeleierte Sporttasche, die er schon seit Jahren hatte. Er benutzte sie immer noch, weil Kleidung für drei bis vier Tage hineinpasste und sie trotzdem als Handgepäck durchging. Er sparte eine halbe Stunde Reisezeit, wenn er nicht an der Gepäckausgabe warten musste.

»Schatz, ich schwöre dir, in zwei Minuten rufe ich die Polizei, verdammt.« Ihre Stimme hallte durch das Haus. »Das ist nicht witzig.«

Ein langgezogenes Ächzen ertönte über ihr. Das Geräusch von sich durchbiegendem Holz. Die Stelle vor ihrem Atelier, nah an der Tür. Seit über einem Jahr hatte keiner von ihnen mehr auf diese Diele getreten, weil es so verflucht laut war.

Wer immer dort oben war, hatte nicht darauf geachtet.

Jemand war oben!

Sie sah zur Decke. Drei Sekunden verstrichen, bis eine weitere Diele knarrte. Sie konnte die Bewegung beinahe durch den Putz erkennen. Jemand lief im Haus umher. Geradewegs durch die Küche, die Hintertreppe hinauf, wo sie vor fünf Minuten noch gestanden hatte, und durch den oberen Flur. Er war nicht weit vom Schlafzimmer entfernt.

Wo die Pistole lag.

Verdammt, warum hatte sie sich nicht die Waffe geschnappt, sobald das komische Gefühl sie überkam?

Aber warum war Bens Gepäck im Haus? Warum stand sein Wagen in der Einfahrt? Hatte ihn jemand am Flughafen entführt? Hatte ihm jemand das Auto geraubt?

Es gab eine Notfallnummer, die sie anrufen sollte, falls ihm etwas zustieß oder jemand versuchte, über sie an ihn heranzukommen. Er hatte sie ihr gegeben, aber sie hatte sie noch nicht einmal in ihrem Telefon gespeichert.

Der Zettel lag in ihrem Schreibtisch im Atelier. Natürlich.

Becky ging in die Küche und nahm ihr Handy von der Arbeitsfläche. Dann zog sie ein Messer aus dem großen Block. Ein Hochzeitsgeschenk eines alten Studienfreunds von Ben. Hervorragende Messer. Die Klinge des Fleischermessers war über dreißig Zentimeter lang und höllisch scharf. Und das Heft lag gut in der Hand.

Sie hatten alle darüber gelacht, dass Messer als Hochzeitsgeschenk angeblich Unglück brachten.

Becky fuhr mit den Fingern über das Display des Handys und wählte den Notruf. Sie drückte noch nicht auf ANRUFEN. Es bestand noch die Möglichkeit, dass es doch ein Streich war. Eine blöde Idee, um sie zum Schreien oder zum Lachen zu bringen oder an Ort und Stelle über sie herzufallen, aber daraus würde definitiv nichts werden.

Und es war eigentlich nicht seine Art.

Sie ging durch das Wohnzimmer. Der dicke Teppich dämpfte ihre Schritte. Sie wollte nur einmal durch das Haus kreisen und Ben eine letzte Chance geben, mit seinem idiotischen Spielchen aufzuhören. Dann würde sie hinausgehen und vom Garten aus die Polizei rufen.

Als sie das Wohnzimmer halb durchquert hatte, hörte sie das Geräusch von Metall, das über Metall glitt. Es war ein schnelles Hin und Her mit einem scharfen Klacken zum Schluss. Sie hatte es oft auf dem Schießstand gehört. Aus ihrer eigenen Waffe.

Becky schluckte.

Sie sah auf ihr Handy. Konnte sie laut genug sprechen, damit der Polizist sie hörte? Wusste derjenige im Obergeschoss, wo sie war? Was tat die Notrufzentrale, wenn ein stummer Anruf einging? Wurde er zurückverfolgt und ein Streifenwagen geschickt? Oder legte der Beamte einfach auf?

Sie musste sofort aus dem Haus verschwinden.

Zur Vordertür war es näher, aber von dem Flur oben hatte man sie im Blickfeld – und im Schussfeld. Sie lag genau gegenüber der Schlafzimmertür.

Die Hintertür war weiter entfernt, aber der Weg führte um die Ecke, sodass der Eindringling herunterkommen musste, um sie zu sehen oder ins Visier zu nehmen. So hätte sie Zeit, die Polizei zu rufen. Aber im abgezäunten Hinterhof war nur der Pool, den sie noch nicht für den Sommer eingelassen hatten. Sie müsste um das Haus zum Tor an der Seite rennen. Dort könnte sie niemand sehen. Und wegen des Baulärms von dem neuen Haus an der nächsten Kreuzung würde sie vermutlich auch niemand hören.

Reichlich Zeit und Gelegenheit für den Eindringling, sie zu packen und zurück ins Haus zu schleifen. Sie musste zur Vordertür.

Becky umklammerte das Messer fester, vergewisserte sich, dass ihr Finger noch über der Ruftaste schwebte, und ging mit drei großen Schritten durch das Wohnzimmer. Der Teppich verschluckte ihre Schritte, aber sie hörte ihre Jeans rascheln und spürte die Bewegung der Luft um sich herum.

Als sie in den Flur trat, knarrte die zweite Treppenstufe von oben. Sie erstarrte. Er war auf der Treppe. Er musste gesehen haben, dass sie zur Vordertür wollte.

Sie hätte doch den Hinterausgang nehmen sollen. Noch war es nicht zu spät. Aber sie müsste sich beeilen. Und dann würde er sie mit Sicherheit hören.

Becky rannte zur Vordertür. Hinter sich hörte sie Schritte auf der Treppe. Sie griff nach der Türklinke.

»Stopp!«

Sie drehte sich um und hob das Messer. »Du Arschloch!«, keuchte sie.

Ben stand auf der vierten Stufe, einen Fuß noch auf der fünften. Er trug den dunkelgrauen Anzug mit dem weinroten Hemd, in dem er so gut aussah. Die Glock in seiner Hand war auf sie gerichtet. Mit der anderen Hand umklammerte er sein Handy.

»Lass das Messer fallen.«

Becky ließ die Schultern sinken und warf das Messer auf den Tisch. Es rutschte ein Stück und blieb dort liegen, wo normalerweise sein Schlüssel landete. »Du hast mich zu Tode erschreckt, du Spinner. Ich dachte, es wäre jemand im Haus.«

Er kam eine Stufe herunter und hob die Pistole. Becky konnte die Mündung sehen. Sie zielte genau auf sie.

»Ich habe die Polizei gerufen«, zischte er. »Sie ist in der Leitung.«

Sie warf einen Blick auf die Treppe über ihm, dann sah sie wieder auf die Waffe. Hatten sie beide mit einem Eindringling Verstecken gespielt? »Okay«, sagte sie. »Beruhig dich und ziel woanders hin.«

Ohne sie aus den Augen zu lassen, stieg Ben noch zwei Stufen herab. Die Mündung blieb auf sie gerichtet. Sein Blick huschte zu dem Messer, dann an Becky vorbei zur Tür und zum Wohnzimmer. »Wo ist sie?«

»Schatz«, sagte sie, »du machst mir Angst mit der …«

»Wo ist sie?«, brüllte er. Seine Stimme dröhnte durch die Diele. Die Scheiben in der Tür hinter ihr bebten.

Sie stieß ein Kreischen aus und war einen Moment lang verwirrt. »Sie? Wen meinst du?«

Ben trat von der letzten Stufe und starrte sie an. Der Lauf der Pistole war ein schwarzes Rechteck mit einem Loch in der Mitte. Es zielte genau zwischen ihre Augen. »Was hast du mit ihr gemacht? Was willst du von uns?« Er kam einen Schritt auf sie zu, dann noch einen.

Becky hätte nicht sagen können, ob er wütend oder traurig war. Das schwarze Loch zog ihren Blick auf sich. Es war nur einen Meter entfernt. Sie sah es zittern, als er den Griff fester umklammerte. »Schatz«, flehte sie, »wovon redest …«

»Wer bist du?«, schrie er. »Wo zum Teufel ist meine Frau?«

2

»Los, Leute«, sagte Leland »Mike« Erikson. Er ließ den Blick durch das Klassenzimmer schweifen und sah jedem Schüler kurz in die Augen. »Tut einfach noch fünf Minuten so, als hättet ihr eure Hormone unter Kontrolle. Ihr könnt euch den ganzen Sommer über wie Jugendliche aufführen.«

Es gab viele Möglichkeiten, ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen, aber nur wenige, sie aufrechtzuerhalten, wenn die Ferien bevorstanden. Er betrachtete sie mit »dem Blick«. Er wusste aus Erfahrung, dass man, wenn man ein guter Lehrer sein wollte, den Blick nicht überstrapazieren und höchstens jede zweite Woche zum Einsatz bringen durfte.

Er hatte ein gutes Gesicht für den Blick. Dunkles Haar, dunkle Augen, hagere Wangen und ein spitzes Kinn. Seinen Körper konnte man als drahtig bezeichnen, aber viele hielten ihn einfach für dünn. In seinem ersten Jahr als Highschool-Lehrer hatte ihm ein Schüler gesagt, er sehe aus wie Severus Snape.

Der Blick brachte die meisten zur Ruhe. Tyler flüsterte weiter mit Emily, der grünäugigen Klassenbesten, hinter der er auf seine unbeholfene Art seit Ostern her war. Mike ließ sie reden. Der Junge hatte in diesem Schuljahr nur noch dreieinhalb Minuten Zeit, um bei ihr zu landen.

»Eine Sache, die ihr dieses Jahr gelernt habt.« Er blickte in die jungen Gesichter. »Olivia.«

Sie trommelte mit den Fingern auf ihrem Lehrbuch. »In Der Untergang des Hauses Usher geht es um einen Mann, der wahnsinnig wird, weil seine Zwillingsschwester gestorben ist.«

»Gestorben ist?«

»Also, er glaubt, sie wäre gestorben, aber in Wirklichkeit hat er sie lebendig begraben.«

»Gut«, sagte er. »Womit ich nicht sagen will, dass ihr eure Geschwister begraben sollt.«

Die Hälfte der Klasse kicherte. Ein Junge räusperte sich. »Mr. Erikson, können wir jetzt gehen?«

»Am letzten Tag machen wir es mal ganz anders, Zack. Es klingelt, wenn die Stunde zu Ende ist. Was hast du gelernt?«

»Ich hasse Englisch.«

»Prima, dann sage ich Mrs. DeNay, dass du nächstes Jahr bei ihr Französisch machst. Ethan?«

Ethan war hoch aufgeschossen. Sogar größer als Mike, der immerhin über einen Meter achtzig maß. Der Junge war ein Computerfreak gewesen, bis er gleich im ersten Jahr drei Schulrekorde in der Leichtathletik aufgestellt hatte. Jetzt wurde im Lehrerzimmer darüber gesprochen, wie man ihn nächstes Jahr in die Basketball-Mannschaft locken konnte. »Thoreau war nicht allein im Wald.«

»Genauer«, sagte Mike. »Meinst du seinen Hund?«

»Nein, ich meine, er hat nicht mitten in der Wildnis gewohnt. Er war vielleicht einen Kilometer von der Stadt entfernt.«

»Gut. Noch zwei. Hannah?«

Die brünette Cheerleaderin sah von ihrer SMS auf. »Ähm … in Der Untergang des Hauses Usher geht es um einen Mann, der …«

»Das hast du erst vor einer Minute gehört. Was hast du sonst noch gelernt?«

»Ähm …« Sie sah zu den anderen Schülern und auf ihre Tischplatte. »Ah, Moment, wenn man geteert und gefedert wird, tut das echt weh, und man kann sogar dabei sterben.«

»Woher hast du das?«

»Aus dieser Geschichte von Hawthorne. Major Molly-soundso.«

»Mein Verwandter, der Major Molineux.« Er nickte ihr zu. »Sehr gut, Hannah. Ich hätte nicht gedacht, dass du an dem Tag aufgepasst hast. Bleibt noch einer. Justin?«

Justin warf sein langes Haar zurück. »Mr. Erikson hat wirklich ein fotografisches Gedächtnis.«

»Schön. Hast du auch etwas über die frühe amerikanische Literatur gelernt?«

Aus dem Augenwinkel sah er, wie die Tür aufschwang und eine glatzköpfige Gestalt in grauem Anzug hereinkam. Mike blickte kurz nach links und erkannte Reggie Magnus. Reggie lächelte und lehnte sich neben die Tafel an der Seitenwand. Mike konzentrierte sich wieder auf die Schüler.

»Ich … äh …«

»Kein Stress, Justin«, sagte Mike, »aber niemand verlässt den Raum, bis dir was eingefallen ist.«

Ein Stöhnen ging durch die Klasse, während der Junge sich mit beiden Händen das Haar zerzauste.

Mike zog einen Stift hinter seinem Ohr hervor. Ohne sich umzudrehen, ließ er ihn zweiundzwanzig Zentimeter tief in den überdimensionierten Kaffeebecher fallen, der auf der Ecke seines Pults stand. Der Stift klapperte gegen den Rand. »Na, komm«, sagte Mike. »Dreißig Sekunden, dann können wir alle in die Sommerferien gehen. Eine Sache. Sag mir nur eine Sache, die du dieses Jahr gelernt hast.«

Justin blickte zu ihm auf. »Ichabod Crane ist gar nicht der Held in »Sleepy Hollow«.«

»Das musst du mir erklären.«

»Er ist, also, Engländer. Das haben Sie uns gesagt, als Sie uns erklärt haben, dass wir nicht einfach die Fernsehserie angucken können, um die Handlung der Geschichte zu erfahren. Sie haben gesagt, dass der Böse manchmal direkt vor unserer Nase ist.«

Mike lächelte, als es klingelte und die Schüler mit ihren fast leeren Umhängetaschen und Rucksäcken aufsprangen. »Ich wünsche euch einen schönen Sommer«, sagte er. »Wir sehen uns in drei Monaten, beziehungsweise in zwei Wochen, falls ihr zur Sommerschule müsst.« Er zeigte auf Justin. »Zwei Punkte für dich.«

Der Jugendliche brachte eine Mischung aus Erröten und Grinsen zustande. »Danke, Mr. Erikson.«

»Ich danke dir, Justin. Es war mir ein Vergnügen, dich zu unterrichten. Und jetzt macht, dass ihr rauskommt.«

Die letzten Schüler strömten aus dem Klassenzimmer, und Mike wandte sich seinem Freund zu. Reggie war zur Rückwand geschlendert. Er hatte seit seiner letzten Diät wieder zugelegt und trug einen alten Gürtel und ein weites Hemd, um die zusätzlichen Pfunde zu verbergen. Darüber hatte er einen dunklen Blazer angezogen, was vermuten ließ, dass sein Besuch einen geschäftlichen Hintergrund hatte. Reggie konnte nicht ohne Jackett über Berufliches sprechen.

Mike räusperte sich. »Wie geht’s dir?«

»Nicht übel, gar nicht übel.« Seine schwarze Glatze glänzte im Sonnenlicht, das durch das Fenster fiel. Er hatte sich den Kopf rasiert, sobald sein Haar dünner wurde, schon am College, lange bevor es in Mode kam. »Und dir?«

»Alles klar.«

»Nicht zu viel Stress hier?«

»Nichts, womit ich nicht klarkäme.«

»Gut.«

»Du weißt ja, dass es verboten ist, als Fremder auf das Schulgelände zu kommen, oder?«

»Das erzählst du mir immer wieder.« Reggie strich mit dem Finger über eine Anthologie von amerikanischen Romanen. »Aber nachdem ich zwei Computerlabore gespendet habe, zähle ich zum Personal.«

»Es heißt Kollegium. Und so läuft das nicht.«

»Wirklich nicht?«

»In unserem Distrikt gibt es eine strenge Drei-Computerlabore-Regel.« Mike klappte seinen Laptop zu. »Außerdem wurden die Labore bestimmt von der DARPA gespendet, nicht von dir.«

»Für die meisten Leute hier bin ich die DARPA.«

»Es klingt so cool, wenn du das sagst.«

Reggie schüttelte den Kopf, kam zu Mike und schlang die Arme um ihn. »Idiot.«

Mike erwiderte die Umarmung. »Flasche.«

»Was gibt’s Neues?«

Mike schnappte sich einen Schwamm und wischte über die Tafel. Die Schrift LETZTER TEST DES JAHRES verblasste und verschwand. »Tja«, sagte er. »Ich glaube, ich habe drei Kinder überzeugt, noch ein Jahr auf der Highschool zu bleiben, bevor sie es hinschmeißen. Fünf weitere habe ich überredet, an einem Aufbaukurs teilzunehmen. Und ich soll die Regie für das Herbst-Musical der Theatergruppe übernehmen.«

»Was führt ihr auf?«

»Eigentlich wollte ich The King and I machen, aber wahrscheinlich wird es Little Mary Sunshine.«

»Ist das das Stück, in dem ein Mädchen mit seiner Familie durch die Gegend fährt?«

»Nein, ein ganz anderes.«

Reggie seufzte und schüttelte den Kopf. »Mein Gott, was für eine Verschwendung von Lebenszeit.«

»Hey, es ist das Beste, was wir auf die Beine stellen können.«

»Ich rede nicht von dem Musical.«

Mike warf den Schwamm zurück in den Eimer. »Wovon dann?«

»Das weißt du ganz genau.«

Er schob den Laptop in seine Aktentasche. »Wenn es dir Spaß macht, tun wir so, als hätten wir diese Diskussion nicht schon zigmal geführt, und du kannst es mir noch mal erklären.« Zwei Lehrerausgaben der Schulbücher, die er in acht Jahren nicht benutzt hatte, folgten dem Laptop in die Aktentasche.

»Weißt du, was drei der schlausten Menschen Amerikas im Moment machen?«

»Jetzt gerade?«

»Einer von ihnen hat mit sechzehn bei der NASA angefangen«, sagte Reggie. »Einer ist ein Autodidakt, der in seiner Freizeit an dem P-NP-Problem arbeitet. Und der dritte verschenkt sein Potential, indem er in einem Kaff in Maine an der Highschool Englisch unterrichtet.« Er nahm den hellroten Tacker vom Pult und warf ihn von einer Hand in die andere. »Wir wissen beide, dass das kein Leben für dich ist. Du bist zu gut dafür. Du könntest so viel bewegen.«

»Deine Aussage«, entgegnete Mike, »leidet an drei grundsätzlichen Problemen.«

»Klär mich auf.«

Mike streckte einen Finger hoch. »Es könnte eine Menge schlauerer Menschen geben, die keinen IQ-Test gemacht oder das Ergebnis nicht bekanntgegeben haben. Außerdem übertreiben viele ihr Ergebnis oder spielen es herunter. Du triffst also eine Aussage, die auf sehr begrenzter und verzerrter Datenbasis beruht.«

»Na gut. Nächster Punkt.«

Ein zweiter Finger. »Die Ergebnisse hängen stark von dem Test und dem Thema ab. Du gehst davon aus, dass ich einen hohen IQ habe, weil ich bei einem einzigen Test vor neunzehn Jahren gut abgeschnitten habe. Ich könnte der größte Idiot sein, der nur zufällig eine hohe Punktzahl erreicht hat.«

»Ich kenne dich zu lange.«

Ein dritter Finger. Mike zeigte auf das Klassenzimmer. »Ich glaube nicht, dass es eine Verschwendung von Zeit oder Potential ist, Lehrer zu sein.«

Reggie schüttelte den Kopf. »Machen wir uns nichts vor. Du versteckst dich hier.«

Die beiden äußeren Finger senkten sich. »Leck mich.«

»Du bist nicht mein Typ.«

»Auf dem College hat sich gezeigt, dass du keinen Typ außer ›weiblich‹ hast, und selbst das wurde gelegentlich bezweifelt.«

»Leck mich.«

»Siehst du?«

»Arschloch. Sollen wir Abendessen gehen?«

»Es ist noch nicht mal vier.«

»Ich habe seit dem Frühstück nichts gegessen.«

»Der letzte Schultag ist gerade vorbei. Das ist eine Art Feiertag. Im Lehrerzimmer gibt es was zu trinken. Und danach wird in Ogunquit weiter gebechert.«

»Du hast Besuch von einem alten Freund. Das werden sie verstehen. Besonders, wenn dieser alte Freund dem Schulwesen zwei Computerlabore gespendet hat. Wahrscheinlich bestehen sie sogar darauf, dass du mit mir ausgehst.«

»Du bist ein Arsch.«

»Ja. Das gehört zu meiner Stellenbeschreibung. Absatz sechs, Abschnitt zwei.«

Mike seufzte und fegte ein paar Sachen von seinem Pult in die Schublade. Es war aufgeräumt genug. »Wer bezahlt?«

»Ich«, sagte Reggie. »Es ist eine Geschäftsreise.«

»Ah, also der Steuerzahler«, sagte Mike. »Mit anderen Worten, ich bezahle.«

»Halt’s Maul.«

Mike nahm seine Aktentasche. »Ich verabschiede mich von ein paar Leuten und trinke vielleicht ein Bier, dann kann ich hier verschwinden.«

»Hoffentlich gibt es hier in der Nähe irgendwo ein gutes Steak.«

»Gut ist relativ. Du bist wahrscheinlich durch das ganze Geld vom Verteidigungsministerium verwöhnt.«

»Habe ich schon erwähnt, dass du ein Trottel bist?«

Mike schüttelte den Kopf. »Nö.«

»Trottel.«

»Es ist zu spät, um sich einzuschleimen.«

3

Die Wände von Captain Turner’s Steak and Lobster Hut waren mit Plastikhummern, verstaubten Bojen, alten Reusen und morschen Tauen dekoriert. Auf den Tischen lagen rot-weiß karierte Tischdecken, die mit einem Gewürzsortiment und einer großen Kerze in einem roten Glas beschwert waren. Die Platzdeckchen waren mit einer Anleitung zum Hummeressen bebildert.

Die Empfangsdame begrüßte Mike namentlich und warf ihm ein aufrichtiges Lächeln zu. Obwohl nur wenige andere Gäste im Restaurant waren, bestand Reggie darauf, dass sie weit entfernt von der Bar an der Wand saßen. Sie bestellten ihre Getränke bei einer Kellnerin, die »Hallo, Mr. Erikson« sagte, während sie Reggie die Speisekarte reichte. Die junge Frau brachte ihre Getränke und beantwortete Reggies Fragen zu dem Surf and Turf, das auf der Tageskarte angeboten wurde. Sie lächelte Mike an, bevor sie wegging. »Eine ehemalige Schülerin?«, fragte Reggie.

»Ich glaub schon, ja.«

Reggie unterdrückte ein Lachen. »Du glaubst?«

Mike nippte an seinem Cuba Libre. »Also«, sagte er. »Worum geht es?«

Reggie stellte sein Glas ab. »Nimm den Akku aus deinem Handy.«

Mike sah sich im Restaurant um. »Im Ernst?«

»Vorschrift. Erwartest du einen wichtigen Anruf?«

»Nein.«

»Dann geh mir nicht auf den Sack. Mach den Akku raus, damit wir uns unterhalten können.«

Mike schüttelte das Smartphone aus der Hülle und öffnete das Akkufach. »Was ist mit deinem?«

»Meins ist besser. Es hat sechs verschiedene Verschlüsselungssysteme.«

»Ich könnte es bestimmt knacken«, sagte Mike. Er schob sein zerlegtes Handy in die Mitte des Tischs.

»Bestimmt«, sagte Reggie. »Deshalb bin ich ja hier. Ich habe ein Jobangebot für dich.«

»Schon wieder?«

»Ja. Das wievielte Mal ist es?«

Mike nahm sein Glas. »Das dreizehnte Mal, seit du bei der DARPA bist, und das neunzehnte Mal, seit wir uns kennen.«

»Vielleicht bringt die Dreizehn Glück.«

»Ich finde es prima, dass du immer wieder hierher fliegst, damit ich dir persönlich absagen kann. Geht es wieder um Kryptographie?«

»Nein.« Sie stießen an.

»Roboter? Ihr habt vier oder fünf Roboterprojekte am Laufen, oder?«

»Dafür, dass du sowieso ablehnst, bist du ziemlich neugierig.« Er sah sich um. »Meinst du, wir können vor dem Essen ein paar Brötchen oder so bekommen?«

»Normalerweise gibt es einen Brotkorb. Und, geht es um Roboter?«

Reggie schüttelte den Kopf, als die Kellnerin mit dem versprochenen Brotkorb und einer kleinen Schüssel mit Butterkugeln auftauchte. Lächelnd wartetet er, bis sie wieder gegangen war, nahm ein Endstück aus dem Korb und biss in die Kruste.

»Dieses Mal treibst du die Geheimniskrämerei auf die Spitze.«

»Weil es dieses Mal wichtig ist.« Er strich Butter auf seine zweite Scheibe Brot. »Ich kann dir folgendes Angebot unterbreiten: Du arbeitest diesen Sommer als freier Mitarbeiter für die Behörde. Drei Monate lang. Du fängst als Sonderberater an, aber ich kann dich hochstufen, je nachdem, was passiert. Nach Abzug der Steuern nimmst du mindestens vierzigtausend mit nach Hause.«

»Du willst mir wohl keine Wahl lassen?«

»Könnte man so sagen, ja, wenn du es dir zutraust.«

Mike lachte und riss ein Stück Brot ab.

»Ich meine es ernst«, sagte Reggie. »Das ist eine große Sache. Ich brauche dich dabei.«

»Das sagst du jedes Mal.«

»Dieses Mal ist es anders.«

»Warum?«

»Weil du zusagst.«

Mike stach sein Messer in die Butter. Die Kugel drehte sich unter der stumpfen Klinge. »Vor zwei Stunden war ich noch einer der schlausten Menschen in Amerika. Jetzt weiß ich angeblich nicht mal mehr, was in meinem eigenen Kopf vorgeht.«

Reggie trank einen Schluck. Er ließ erneut den Blick durch das Restaurant und über das zerlegte Handy schweifen, dann beugte er sich vor und senkte die Stimme.

»Wir finanzieren ein Projekt in San Diego. Weißt du, wer Arthur Cross ist?«

»Der Physiker?« Mike nickte. »Du hast mir letztes Jahr zu Weihnachten sein Buch Die Geschichte unseres Wissens geschenkt, erinnerst du dich? Ist er mit im Boot?«

»Ja. Was glaubst du denn, wie ich an eine signierte Ausgabe gekommen bin?«

»Ist das Buch signiert? Ich habe es nie aufgeschlagen.«

»Natürlich nicht.«

Mike zuckte die Achseln. »Warum schenkst du jemandem, der kaum liest, ein Buch?«

»Weil es ein New-York-Times-Bestseller war und ich eine signierte Ausgabe besorgen konnte.«

»Ach so.«

»Cross leitet das Albuquerque-Portal-Projekt«, sagte Reggie. »Es besteht aus mehreren Gründen die Gefahr, dass es gestrichen wird. Ich brauche dich, um es zu evaluieren und zu zeigen, dass es sicher und machbar ist, damit ich die Finanzierung für ein weiteres Jahr durchsetzen kann.«

»Das Albuquerque-Portal?«

»Ja.«

»Okay, du hast meine Neugierde geweckt.«

»Gut.«

»Was ist das für ein Projekt?«

»Das kann ich dir hier nicht sagen.«

»Ach, komm«, sagte Mike. »Ich habe mein Handy zerlegt und alles.«

»Tut mir leid. Komm nächste Woche nach Washington.«

»Geht nicht.«

»Komm und setz dich mit mir in den Ausschuss. Kein Stress, kein Druck. Du kannst Arthur und sein Team kennenlernen und es direkt von ihnen hören.«

»Warum kann ich es nicht direkt von dir hören?«

»Weil sie es besser erklären können.«

»Ich kann nicht einfach wegfahren. Ich habe einen Job.«

»Heute war der letzte Schultag.«

»Einen Ferienjob. Weißt du, was Lehrer machen?«

»Ja«, sagte Reggie. »Und ich weiß auch, dass du im Sommer Karussells im Freizeitpark reparierst. Aber bei mir verdienst du in einem Drittel der Zeit fünfmal so viel.«

»Wenn ich den Auftrag annehme.«

»Du nimmst ihn an.«

»Ich fahre nicht extra nach Washington, nur um festzustellen, dass es wieder um einen Kampfanzug oder eine Tarnkappe geht?«

»Es heißt optische Tarnung. Und nein, darum geht es nicht. Kommst du nach Washington oder nicht?«

Mike tippte mit den Fingern gegen das Glas. »Vielleicht. Warum ich?«

Reggie öffnete den Mund und klappte ihn gleich wieder zu, als die Kellnerin vorbeikam, um zu sehen, ob sie neue Getränke brauchten. Sie versicherte ihnen, dass ihr Essen in wenigen Minuten kommen werde, und flitzte zurück zur Theke.

»Wie heißt sie?«, fragte Reggie.

»Wer?«

»Die Kellnerin.«

»Siobhan. Sie hat sich vorgestellt, als sie unsere Bestellung aufgenommen hat.«

»Und?«

»Und was?«

Reggie zeigte auf die Kellnerin. »Was noch?«

»Was spielt das für eine Rolle?«

»Ich beantworte gerade deine Frage und mache aus deinem Vielleicht ein Ja. Was weißt du noch über sie?«

Mike seufzte. Die Ameisen waren bereits in seinem Kopf unterwegs. Zwischen ihren Kiefern trugen sie optische und akustische Erinnerungen umher wie Stücke von bunten Blättern. »Siobhan Emily Richmond«, sagte er. »Geboren am neunundzwanzigsten Dezember, Schulabschluss zweitausendelf. Ich hatte sie von zweitausendneun bis zweitausendzehn in meiner Klasse, und sie bekam nur eine Zwei plus, weil sie einen Test über die Literatur des frühen zwanzigsten Jahrhunderts versiebt hat. Der Fänger im Roggen gefiel ihr überhaupt nicht. Sie hatte an der Highschool drei Freunde und ist im letzten Jahr wieder bei dem ersten gelandet. Sie ist ein Jahr lang zur University of New Hampshire gegangen, musste aber abbrechen, als ihr Vater James bei einem Autounfall ums Leben kam. Sie mag Katy Perry, die Farbe Grün und die Serie Supernatural und fährt einen – grünen – Honda Civic von zweitausendsieben, den sie von einer Frau in Kittery gekauft hat. Ihre kleine Schwester Saorise sollte in zwei Jahren in meine Klasse kommen. Reicht dir das?«

»Von jedem anderen fände ich so viele Informationen irgendwie unheimlich.«

»Es ist eine kleine Stadt.«

Reggie klopfte zweimal auf den Tisch. »Deshalb brauche ich dich.«

»Weil ich in einer Kleinstadt wohne?«

»Weil du solche Sachen so selbstverständlich tust, wie andere Leute atmen.« Er stieß mit dem Finger gegen die Tischplatte. »Im Ernst, das ist, als würde man den größten Supercomputer der Welt bauen und dann Angry Birds darauf spielen. Du vergeudest dein Leben hier.«

»Ich bin glücklich hier.«

»Schön. Wenn du im Sommer für mich arbeitest, kannst du reichlich Erinnerungen anhäufen und anschließend hier noch glücklicher sein.«

Mike blickte auf die Einzelteile seines Handys. »Nur eine Reise nach Washington?«

»Ja. Auf meine Kosten. Ich zahle dir einen Tausender Vorschuss, nur dafür, dass du kommst. Und ich bringe dich in einem richtigen Hotel unter, obwohl wir beide wissen, wie gern du bei mir auf dem Sofa schläfst. Es ist bezahlter Urlaub.«

»Und wenn es mich nicht interessiert, ist die Sache erledigt?«

»Es wird dich interessieren.«

»Aber wenn nicht, dann war’s das.« Mike formulierte es nicht als Frage, sondern als Bedingung. »Wenn ich nach Hause fahre, muss ich kein schlechtes Gewissen haben und nicht mit einer Steuerprüfung oder anderen Nachteilen rechnen.«

Reggie bewegte das Kinn auf und ab. »Wenn du mir nach der Ausschusssitzung in die Augen sehen und sagen kannst, dass du keine Interesse hast, lasse ich dich in der ersten Klasse nach Hause fliegen. Ich lege sogar hundert Dollar für Drinks am Flughafen drauf.«

Siobhan Emily Richmond erschien mit einem Tablett, das sie auf einer Hand balancierte. Mike schob die Einzelteile seines Handys zur Seite, damit sie die Teller abstellen konnte. Sie sah noch einmal nach ihren Getränken, fragte, ob sie mehr Brot wollten, und entfernte sich.

Reggie legte sich ein Stück Fleisch auf die Zunge. Mit geschlossenen Augen kaute er viermal, und ein glückseliger Ausdruck überzog sein Gesicht. Er schluckte und sah Mike an. »Also«, sagte er, »habe ich dich endlich am Haken?«

Mike durchtrennte mit der Gabel eine Jakobsmuschel. Er spießte sie auf und seufzte. »Vielleicht.«

Reggie lächelte. »Wann kannst du los?«

»Ich weiß nicht. Ich brauche ein paar Tage, um das Schuljahr nachzubereiten. Was hältst du vom Siebzehnten?«

»Perfekt. Wir treffen uns in Washington, damit du an der Sitzung teilnehmen kannst, und dann schicke ich dich nach San Diego.«

»Falls ich den Job annehme.«

»Garantiert.«

»Warten wir’s ab.«

4

Acht Tage, drei Sicherheitskontrollen und eine Flugreise später war Mike in Washington D. C. Obwohl er seinen besten Anzug trug, war es der billigste im Raum. Reggie hatte ihm eine Seidenkrawatte geliehen, als er gesehen hatte, dass er nur welche aus Polyester mitgebracht hatte. Mike richtete den Knoten an seinem Hals aus und war froh, dass er sich für den doppelten Windsorknoten entschieden hatte, statt ihn wie sonst nur einfach zu binden.

Der Raum war ungefähr doppelt so groß wie Mikes Klassenzimmer in South Berwick. Es gab keine Fenster. Fünf Leute schoben sich murmelnd zwischen den Flaggen und der Tischreihe an der Stirnseite durch und suchten ihre Plätze. Drei Meter davor standen spiegelbildlich Tische, hinter denen in vier Sechserreihen Stühle aufgereiht waren. Zwei weitere Tische säumten die Wand gegenüber der Tür. Der Raum war in warmen Farben gestrichen, vermittelte jedoch einen nüchternen Eindruck.

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