Die Schleife - Peter Clines - E-Book

Die Schleife E-Book

Peter Clines

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Beschreibung

Eli Teague ist acht Jahre alt, als er zum ersten Mal Harriet Pritchard, genannt Harry, in ihrem alten Ford Model A begegnet. Kurz darauf wird Eli Zeuge, wie sich Harry samt Auto in Luft auflösen. Zwanzig Jahre später arbeitet Eli in einem langweiligen Job und lebt noch immer in seiner kleinen Heimatstadt. Die Hoffnung, dass Harry vielleicht eines Tages wiederkommen könnte, hat er nie aufgegeben. Und er soll Recht behalten: Plötzlich steht Harry wieder vor ihm und ist um keinen Tag gealtert. Sie nimmt Eli mit auf eine abenteuerliche Reise durch das ganze Land – und durch die Zeit …

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Seitenzahl: 610

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Das Buch

In Sanders, einer unbedeutenden Kleinstadt im Osten der USA, scheint die Zeit stillzustehen. Eli Teague hat einen langweiligen Bürojob, bei seinen Freunden ist auch nichts los, und eigentlich könnte es immer so bleiben. Doch Eli hat ein Geheimnis – seit seinem achten Lebensjahr ist er mehrmals einer geheimnisvollen Frau namens Harriet Pritchard, genannt Harry, begegnet. Sie ist in einem alten Ford Modell A unterwegs, und jedesmal, wenn Eli sie trifft, scheint sie auf der Flucht zu sein und verschwindet kurz danach. Was noch viel seltsamer ist: Harry scheint auch nicht zu altern. Eli hat die Hoffnung, sie wiederzusehen, schon fast aufgegeben, als sie plötzlich wieder auftaucht – und mit ihr auch ihre Verfolger. Und die nehmen auch Eli aufs Korn. Wohl oder übel muss Harry Eli nun mitnehmen, und eine unglaubliche Reise quer durch die Vereinigten Staaten und durch zwei Jahrhunderte Geschichte beginnt. Eine Reise durch die Zeit …

Der Autor

Peter Clines wuchs in Maine, USA, auf und studierte Literaturwissenschaft, Archäologie und Quantenphysik. Er hat bereits zahlreiche Kurzgeschichten veröffentlicht, bevor er sich dem Schreiben von Romanen widmete. Peter Clines lebt und arbeitet in Südkalifornien.

Mehr über Peter Clines und seine Romane auf:

PETER CLINES

DIE SCHLEIFE

Roman

Aus dem Amerikanischen übersetztvon Marcel Häußler

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Titel der Originalausgabe PARADOX BOUND

Deutsche Erstausgabe 07/2019

Redaktion: Sven-Eric Wehmeyer

Copyright © 2017 by Peter Clines

Copyright © 2019 der deutschsprachigen Ausgabe und der Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: DAS ILLUSTRAT GbR, München, unter Verwendung von Motiven von Shutterstock

Umsetzung E-Book: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-641-23234-4V002

www.heyne.de

Für meinen Vater Dennis, der so viele Dinge getan hat, die in diese Geschichten eingeflossen sind

»Männer mögen Frauen mit Vergangenheit, weil sie hoffen, dass die Geschichte sich wiederholt.«

MAE WEST

Erster TeilDas erste Mal

1

Eli Teague war achteinhalb Jahre alt, als er Harry Pritchard zum ersten Mal begeg­nete.

An diesem Morgen hatte seine Mutter ihn aufgefordert, etwas Interessantes zu unternehmen, und ihn mit einer Lunchtüte aus der Tür geschickt. Sie wollte nicht, dass er im Sommer im Haus saß und Zeichentrickfilme sah oder Comics las. Ihrer Meinung nach brauchte ein Junge frische Luft und Bewegung.

Eli hingegen wollte lieber wissen, wie sich Voltron formen und die RoBeast besiegen sollte, wenn einer der fünf Löwenschlüssel fehlte, aber ihm wurde unmissverständlich klargemacht, dass das nicht infrage käme. Er ärgerte sich eher aus Prinzip als über den konkreten Anlass. Sie hatten ohnehin keinen Kabelanschluss, und mit der Zimmerantenne konnte man den Sender aus dem fernen Boston nur schlecht empfangen.

In seiner Lunchtüte waren ein trockener Müsliriegel, ein Erdnussbuttersandwich mit Kruste, ein grüner Apfel und eine Thermosflasche mit kaltem Wasser. Keine ­Marmelade, weil sie zu viel Zucker enthielt. Keine Ho-Hos, weil sie nur aus Zucker bestanden. Nicht mal ein Saft. Elis Mutter war seit ein paar Monaten auf dem Gesundheitstrip, und er musste einen Teil seines hart erkämpften Taschengelds bei Jackson’s für Pepsi und Schokoriegel ausgeben. Das ging von seinem Comic-Budget ab, aber seine Mutter ließ ihm keine Wahl.

Er drehte ein paar Runden im Hof, dann fuhr er mit seinem Fahrrad über den Randstreifen zu Joshua, um zu sehen, ob sein bester Freund irgendwelche neuen Comics hatte. Aber Joshua lag mit einer Erkältung im Bett, und seine Mutter ließ Eli nicht mal ins Haus. Und da Corey noch im Ferienlager war, würde es bei ihm auch keine neuen Comics geben.

Eli fuhr bis zum alten Baseballfeld raus. Er warf ein paar Steine gegen die Mauer, die das Outfield von dem Wäldchen hinter der katholischen Kirche trennte, dann kletterte er auf die andere Seite und warf weitere auf das verrostete Auto, das er mit seinen Freunden zwischen den Bäumen verkeilt entdeckt hatte. Danach fuhr er zu Jackson’s und durchsuchte die drei Drehständer mit den Comics, obwohl er ­wusste, dass es vor Mittwoch keine neuen geben und die nächste Ausgabe von Spider-Man erst in zwei Wochen erscheinen würde. Der alte Mr. Jackson sagte, er solle etwas kaufen oder verschwinden, also nahm Eli eine Pepsi und ein Chocodile und fuhr zurück zum Baseballfeld, um sich auf die Tribüne zu setzen und sein leicht verbessertes Mittagessen zu verspeisen.

Währenddessen überlegte er, was er unternehmen könnte. Näher an der Küste gab es Touristenattraktionen wie Strände und Videospielhallen und Kinos. Einer der Orte im Süden hatte nach dem Bürgerkrieg die Statue eines falschen Soldaten aufgestellt, während einer im Norden einen Schutzengel in Form einer Vogelscheuche präsentierte. Drüben in New Hampshire gab es die Malls mit all den Läden. Nichts davon lag in Fahrradreichweite.

In Sanders gab es nicht mal eine Bibliothek. Oder eine Schule. Eli wurde mit dem Bus aus der Stadt kutschiert, wenn Unterricht war. Die alte Highschool wurde jetzt als Polizeiwache genutzt.

Nicht zum ersten Mal gelangte Eli zu der ­unausweichlichen Schlussfolgerung, Sanders müsse der langweiligste Ort in ganz Maine sein. Wahrscheinlich sogar in ganz Neuengland. Obwohl er nicht gerade welterfahren und sehr wenig gereist war, hätte er einen ganzen Dollar darauf gewettet, dass Sanders der langweiligste Ort in den gesamten Vereinigten Staaten war.

Eli aß sein Chocodile auf und entsorgte die Beweise in einem rostfleckigen Mülleimer neben den Tribünen. Laut seiner Taschenrechneruhr waren drei Stunden vergangen, seit seine Mutter ihn rausgeworfen hatte. Wahrscheinlich könnte er sich ins Haus schleichen und in seinem Zimmer verstecken, bis die nachmittäglichen Zeichentrickfilme begannen. Er biss ein großes Stück aus dem Apfel, schob es mit der Zunge im Mund herum, um den Schokoladengeruch zu übertünchen, und spuckte es in den Mülleimer. Den Apfel warf er gleich hinterher.

Er stopfte die leere Papiertüte und die volle ­Thermosflasche in den Rucksack, schwang sich aufs Fahrrad und machte sich auf den Heimweg.

Kurz vor dem Haus sah er das Auto am Straßenrand stehen. Obwohl es alt und schmal war, blieb nicht genug Platz auf dem Randstreifen, um sich mit dem Fahrrad vorbeizu­drücken. Er müsste entweder absteigen und sein Rad durch den Wald tragen oder auf der Straße fahren. Das Fahren auf der Straße war verboten und so nah an Zuhause, wo seine Mutter ihn sehen könnte, außerdem riskant.

Trotzdem spielte Eli mit dem Gedanken, auf den grauen Asphalt zu fahren. Es war nur ein kurzes Stück. Seine Mutter sagte, er sei zu jung dafür, aber er wusste, dass er alt genug war. Erst letzten Monat, lange nach seinem achten Geburtstag, hatte er seine Oma überzeugen müssen, ihm keine Duplo-Steine, sondern normales LEGO zu schenken.

Das alte Auto hatte Speichenräder, genau wie Elis Fahrrad, und das Dach sah merkwürdig aus, wie von einer Kutsche. Die hinteren Fenster waren langgezogene Ovale. Das ganze Gefährt war dunkelblau wie eine neue Jeans.

So ein Auto gehörte nicht an den Straßenrand. Es gehörte nicht auf die Straße, Punkt. Nicht in Sanders. Selbst für eine Stadt, in der es kein Kabelfernsehen gab, war es zu alt. Sogar für den alten Mr. Jackson, der schon fast fünfzig war, war es zu alt.

Und dann, als er rückwärts in die Pedale trat und das Fahrrad knirschend auf dem Sand und den Steinen zum Stehen kam, sah Eli den älteren Jungen, der, wie er bald erfahren sollte, Harry hieß.

Harry stand neben dem Auto – auf dem schmalen Brett, das entlang des Bodens verlief –, beugte sich über die Motorhaube und zog an einem Hebel. Er trug altmodische Kleider (noch älter als das Auto), wie sie die Leute bei den Paraden am Unabhängigkeitstag in Yorks oder Portsmouth anhatten. Ein blauer Mantel, nicht so dunkel wie das Auto, umhüllte ihn und schwang bei jeder Bewegung hin und her.

Eli stieg von seinem Fahrrad, klappte den Ständer aus und ging ein paar Schritte auf das alte Auto zu. »Hallo«, sagte er. »Was machen Sie da?«

Harry antwortete, indem er eine große Rohrzange über die Schulter warf. Sie landete klirrend auf der Straße, überschlug sich und blieb neben einer alten Werkzeugkiste im Kies liegen. Der Jugendliche sprang mit einem runden silbernen Gegenstand in der Hand herab. Aus einer zu dem Mantel passenden Weste quollen die Ärmel eines zu weiten, cremefarbenen Hemds hervor. Er trug sein Haar lang wie ein Mädchen, aber es war zu einem breiten Pferdeschwanz gebunden, wie man es auf Bildern aus vergangenen Zeiten in Schulbüchern sah.

Eli fand seine Aufmachung seltsam – wenn auch nicht so seltsam wie das Auto –, denn normalerweise trugen nur Erwachsene oder kleine Kinder (noch jüngere als Eli, der sich schon ziemlich alt vorkam) Unabhängigkeitstags-Kostüme. Harry war vermutlich an die achtzehn oder neunzehn. Groß und schlank, aber noch nicht alt genug, um Bartstoppel zu haben. Glatt wie ein Babypopo, wie Elis Mutter sagen würde.

»Ich bin gerade ziemlich beschäftigt«, sagte Harry. »Du solltest nach Hause gehen.«

Eli trat einen weiteren Schritt vor. Die Windschutzscheibe des Autos war gesprungen und von Rissen durchzogen. »Stimmt was nicht mit Ihrem Auto?«

Der Jugendliche nickte. »Keinen Sprit mehr«, sagte er. Er klopfte ungelenk auf das Metall. »Wir sind gleich wieder unterwegs, hoffe ich.«

Eli zeigte zur Straße hinter sich. »Es gibt eine Tankstelle in der Stadt«, sagte er. »Da kann man Ihnen weiterhelfen.«

Harry schüttelte den Kopf. »Nein, danke«, sagte er. »Ich muss in ein paar Minuten wieder auf der Straße sein.«

»Ich könnte Ihnen Benzin holen.« Begeistert von der Vorstellung, dass auf seiner Straße irgendwas auch nur annähernd Interessantes passieren könnte, gestikulierte er zu seinem Fahrrad. »Ich bin echt schnell.«

»Ich brauche kein Benzin«, sagte der ältere Junge. »Mein Partner ist schon unterwegs und regelt das.« Er sah an Eli vorbei die Straße entlang. Seine Miene war starr wie die eines Schülers, der eine schlechte Klassenarbeit zurückbekam. »Du solltest hier verschwinden, Kleiner.«

»Ich wohne da vorne.« Eli zeigte in die andere Richtung. »Ist schon okay.«

»Nein. Du solltest nach Hause fahren. Gleich passiert was Schlimmes.«

Eli blickte über die Schulter, aber so weit er sehen konnte, war die Straße leer. »Wie heißen Sie?«, fragte er in dem verzweifelten Versuch, die Begegnung in die Länge zu ziehen.

»Harry«, sagte der Jugendliche. »Und jetzt geh nach Hause.«

Er wiederholte den Namen dreimal im Kopf, damit er ihn auch nicht vergaß. »Hallo, Harry«, sagte er. »Ich bin Eli.«

Der Jugendliche nickte, ohne den Blick von der Straße zu wenden. Dann weiteten sich seine Augen, und er sah auf Eli herab. Wie ein schrilles Echo quietschte er seinen Namen.

Irgendwas an seinem Blick beunruhigte Eli. »Ja«, bestätigte er verhalten.

Harry sank auf die Knie und packte Eli an den Schultern. Dabei breitete sich sein Mantel aus, und Eli sah zwei lederne Pistolenhalfter an seiner Hüfte, wie bei den Cowboys im Film. »Oh Gott«, sagte Harry. »Sieh dich nur an! Du … du bist so süß.«

Eli wusste, dass er nicht süß war. In Wirklichkeit war er sehr reif und erwachsen. Er las nicht mehr Richie Rich oder Hot Stuff und achtete darauf, dass er nur noch Comics von Marvel oder DC aussuchte.

Harry hielt ihn immer noch an den Schultern fest und ­redete – oder plapperte – über Probleme und darüber, dass Eli nicht da sein sollte und nach Hause gehen müsse. Es klang nicht gerade logisch. Er stieß einen Redeschwall aus wie ein Erwachsener, der es eilig hatte und die Dinge gar nicht richtig erklären wollte.

Zum Schluss stach ein Wort heraus, und Eli stürzte sich darauf. »Ich habe Wasser«, sagte er.

Harry erstarrte. Seine Finger schlossen sich fester um Elis Schultern. »Was hast du?«

»Wasser«, sagte Eli. »Ich habe was, wenn Sie Durst haben.« Er zappelte mit den Armen, bis Harry ihn losließ. Als der Rucksack herunterrutschte, schwang er ihn nach vorn, öffnete den Reißverschluss und zog die hellrote Thermosflasche heraus. Seit letztem Jahr benutzte er die Transformers-Brotdose nicht mehr, aber seine Mutter ließ ihn immer noch die Thermosflasche mitnehmen. Das Bild von Optimus Prime war abgeblättert und vom hundertfachen Spülen ausgebleicht.

Harrys Augen weiteten sich noch mehr. Er riss Eli die Thermosflasche aus der Hand, warf den als Tasse dienenden Deckel auf den Boden und schraubte sie auf. Dann steckte er seine Nase hinein und schnüffelte. Er sah Eli aus seinen grün-braunen Augen an.

Schließlich sprang er auf und rannte zur Motorhaube. »Besser als nichts«, sagte er.

Eli lief ihm mit dem Rucksack vor der Brust hinterher. »Was machen Sie da?«

Harry beugte sich über die Motorhaube. Nahe der Mitte der Windschutzscheibe befand sich eine Öffnung, die Eli an ein Einweckglas erinnerte. Vorsichtig goss Harry den Inhalt der Thermosflasche in den Tank und schüttelte die letzten Tropfen heraus, bevor er mit ein paar schnellen Drehungen des Handgelenks den Deckel wieder aufschraubte.

Er warf Eli die Flasche zu und stürmte zur anderen Seite des Wagens. Mit einer Hand griff er hinein und legte ein paar Schalter am Armaturenbrett um. Es gab eine Menge Schalter und einige Lämpchen, und das Ganze sah eher wie in einem Raumschiff aus.

Tuckernd sprang der Wagen an.

»Hey«, rief Eli. »Sie haben gesagt, Sie hätten kein Benzin mehr.« Er warf Harry einen bösen Blick zu, den eingeübten Ausdruck eines Kinds, das von einem Älteren belogen wurde.

»Ich habe gesagt, ich hätte keinen Sprit mehr«, sagte der Jugendliche. »Und du hast mir einen halben Liter gegeben.«

»Ich habe Ihnen nur Wasser gegeben.«

»Ja«, sagte er. »Du warst eine große Hilfe, falls ich das noch nicht erwähnt habe.« Er rutschte auf den Fahrersitz.

Eli starrte erneut auf das Armaturenbrett.

»Hey!«, rief jemand.

Eli hob den Blick und sah einen zotteligen Mann auf das Auto zulaufen. Er trug einen schurkenhaften Hut und eine karierte Jacke über einem hellblauen Sweatshirt, obwohl es gar nicht kalt war. Sein Haar war dunkel, und der Bart struppig wie bei den faulen Leuten im Fernsehen, die sich tagelang nicht wuschen. Seine Mutter sagte, so sähen Obdachlose aus. In den Armen hielt er einen roten Benzinkanister, groß und rechteckig, wie er hinten an der Tankstelle verkauft wurde.

»Wie hast du den Wagen zum Laufen gebracht?«, fragte der Mann.

»Ruhe!«, rief Harry. Er lief zurück und traf den älteren Mann vor dem Wagen.

»Ich habe nichts gekriegt, der Wasserhahn war eingerostet.« Der Mann sah zu Eli. »Wer ist …«

»Ruhe«, sagte der Junge erneut. Er riss dem Obdachlosen den Benzinkanister aus der Hand und flüsterte ihm etwas zu.

Der Mann sah zu Elis Fahrrad, dann zu Eli. Eli erwiderte seinen Blick. Er fragte sich, ob der Obdachlose Harrys älterer Bruder war. Oder nur ein Tramper, den Harry mitgenommen hatte. Oder ob er versuchen würde, ihm sein Fahrrad wegzunehmen.

Harry verpasste dem Mann einen Schlag auf den Arm. »Sofort!«

Der verwahrloste Mann stieg ins Auto.

Harry schob sich an Eli vorbei und rannte um den Wagen, um sich hinter das Steuer zu setzen. Der Obdachlose streckte ihm einen altmodischen dreieckigen Hut entgegen, den Harry sich auf den Kopf drückte. »Hey.« Er schnippte mit den Fingern und zeigte auf den Asphalt unter Elis Schuhen. »Deine Mutter will nicht, dass du auf der Straße gehst, oder?«

Eli sah nach unten. Ohne nachzudenken, war er Harry zur Fahrerseite gefolgt.

»Geh von der Straße runter und bleib da«, sagte er. »Bleib dort sicherheitshalber noch ein paar Minuten, nachdem wir gefahren sind.« Er wies auf den Randstreifen aus Sand und Kies, wo Elis Fahrrad stand.

Eli nickte und sah zu seinem Rad. Am Rand seines Blickfelds bewegte sich etwas. Ein anderes Auto tauchte auf. Es kam schnell näher. Er konnte den Motor hören.

Harry sah in den Spiegel, der an der Tür befestigt war. »Wir müssen los«, sagte er. »Wir sehen uns in ein paar Jahren, Eli.«

»Was?«

Das alte Auto machte einen Satz nach vorn. Lose Erde und Staub spritzten auf Eli, als die Räder den Wagen auf die Straße beförderten. Die Reifen quietschten und hinterließen dünne schwarze Streifen auf dem grauen Asphalt. Eli hustete zweimal, dann war das Auto schon an der Einfahrt seines Hauses vorbei.

Er sah ihm nach, bis es hinter der Kurve verschwand, wo die Mill Road zum Abbot Drive wurde. Während das Motorengeräusch verklang, schwoll ein anderes an. Ein Knurren wie von einem wütenden Dinosaurier oder Werwolf oder einer anderen Kreatur, die es eigentlich nur auf Channel 56 bei Creature Double Feature geben sollte. Es war so laut, dass es fast wehtat.

Im letzten Sommer war Eli mehr oder weniger gegen seinen Willen beim Kinder-Baseball angemeldet worden und irgendwie an der dritten Base gelandet. Es machte beinahe Spaß, bis Zeke der Freak, ein Riesenbaby mit einem Gebiss wie ein Affe, einen Ball die Linie entlang zur dritten schlug. Eli hatte gerade woanders hingesehen und hörte nur das Knallen des Schlägers. Als er sich umdrehte, hing der Baseball dreißig Zentimeter vor seinem Gesicht in der Luft. Jede einzelne rote Naht und die geschwungenen Buchstaben WLINGS und der Schmutzfleck über einer der Nähte brannte sich ihm ins Gedächtnis. Dann traf ihn der Ball an der Wange und schlug ihm die letzten drei Milch­zähne aus. Blut war geflossen, und Eli hatte geschrien und Zeke gekichert, und ein Jahr später konnte er sich immer noch an den Moment erinnern, als der Ball in der Luft hing.

Eli drehte sich am Straßenrand um, und die Zeit blieb stehen.

Das schwarze Auto hing in der Luft, als würde es nicht fahren, sondern über den Asphaltstreifen fliegen. Es schien vorn schwerer zu sein als hinten, und ein dünner Silberstreifen verlief über die Seite. Die Fenster waren kurz und abgerundet.

Der Fahrer sah Eli an. Sein Gesicht wurde von einem schwarzen Hut beschattet, aber es fiel genug Sonnenlicht darauf, um Kinn, Nase und Stirn glänzen zu sehen. Seine Wangen waren rosig – »er hat ein bisschen Farbe«, hätte Elis Mutter gesagt –, und die Augenbrauen und der Schnauzbart waren dunkle Linien. Er lächelte, ohne Zähne zu zeigen.

Seine Augen waren geschlossen. Kein Blinzeln oder Zwinkern. Sie waren einfach zu.

Aber er hatte den Kopf zu Eli gedreht.

Neben seinem Gesicht war eine schwarze Pistole. Sie wirkte klobig in seiner Hand. Er war gerade dabei, sie aus dem Fenster zu strecken. Der Mann steuerte und bereitete sich auf einen Schuss vor und starrte Eli an.

Alles mit geschlossenen Augen.

Der Moment verstrich.

Das schwarze Auto schoss vorbei. Staub und Blätter peitschten Eli. Er wollte die Hände auf die Ohren drücken, um das Tösen zu dämpfen, aber es ließ bereits nach. Er drehte sich um und erhaschte einen letzten Blick auf das Auto, bevor es durch die Kurve schlitterte.

Ein scharfer Knall hallte zu Eli zurück. Wie ein Feuerwerkskörper in der Ferne. Es geschah noch einmal.

Die Straße wurde still. Staub legte sich auf den Werkzeugkasten, die Zange und den roten Benzinkanister. Er glaubte nicht, dass sie zurückkommen würden, um die Sachen zu holen.

Elis linkes Bein war feucht. Seine Jeans war nass. Er konnte sich nicht erinnern, dass Harry oder der Obdachlose etwas von dem Wasser darübergegossen hätten. Dann stieg ihm der Geruch in die Nase. »Oh nein«, flüsterte er. Er schnappte sich seinen Rucksack und hielt ihn vor den Fleck. Es dauerte eine Weile, bis er herausgefunden hatte, wie er sein Fahrrad schieben konnte, ohne den Rucksack von der Stelle zu nehmen.

Während er sich nach Hause quälte, sah er die Straße entlang. Er hatte genug Folgen von Knight Rider gesehen, um zu wissen, was passiert war. Der Mann in dem schwarzen Auto hatte auf Harry geschossen.

Eine Brise wehte ihm erneut den Geruch von Urin in die Nase. Bei der Vorstellung, dass Zeke der Freak ihn sehen könnte, erschauderte er. Selbst Josh und Corey würden ihn auslachen, weil er in die Hose gepinkelt hatte. Alle anderen Gedanken wurden von diesen verdrängt, und Eli stapfte mit seinem Rucksack und seinem Fahrrad die letzten Meter nach Hause.

2

Eli war dreizehn, als er Harry zum zweiten Mal begegnete.

Er war in die unschöne Phase der Pubertät eingetreten, in der sich sein Körper hatte entscheiden müssen, ob er zuerst wachsen oder zunehmen wollte. In Elis Fall war eindeutig Letzteres eingetreten. Er war noch keinen Meter fünfzig groß, hatte aber vergangenen Sommer die fünfundsechzig Kilo überschritten. Seitdem war er nicht mehr auf die Waage gestiegen, obwohl seine Mutter ihm versichert hatte, dass sich letztlich alles einpendeln würde.

Mr. Jackson ließ ihn an diesem Tag eine halbe Stunde früher gehen, weil er alle Regale sortiert hatte und es nichts mehr zu tun gab. So früh in der Saison bestand kaum die Chance, dass es kurz vor Schluss noch zu einem Ansturm kam. Eigentlich gab es zu keiner Jahreszeit einen Ansturm auf irgendein Geschäft in Sanders. Eli war sich ziemlich sicher, dass sich Sanders ohne die Fremden (wie seine Oma die Touristen immer nannte), die kein Motel näher am Strand gefunden hatten, lange vor seiner Geburt aufgelöst hätte wie ein Furz im Wind.

Wenn er Glück hatte, würde er Corey und Josh noch erwischen. Vor einer Stunde waren sie bei Jackson’s vorbeigekommen, um ein paar Zeitschriften und Comics und ein Sixpack Mountain Dew zu kaufen. Sie waren auf dem Weg zu den Tribünen gewesen, wo sie bis zum Einbruch der Dunkelheit rumhängen würden. Josh hatte angedeutet, dass vielleicht auch Mädchen da wären. Keine Mädchen wie Robin, die ziemlich cool und eigentlich eher ein Junge war, sondern solche wie Nicole, die schon im ersten Jahr an der Highschool bei den Cheerleadern war und mindestens einmal pro Woche in Minirock und Kniestrümpfen zur Schule kam.

Eli trug sein Zehn-Gang-Rennrad aus dem Verkaufsraum, trat in die Pedale und fuhr hinter dem Video Emporium vorbei zum Founders House. Es war ein Umweg zum Baseballfeld, aber besser, als am Pizza Pub und an der Feuerwache vorbeizufahren. Die kleine Rasenfläche dazwischen war Zeke Millers Lieblingsplatz, und Eli hatte heute keine Lust, sich mit dem Kleinstadttyrannen auseinanderzusetzen.

Eigentlich hatte er nie Lust, sich mit Zeke auseinanderzu­setzen. Sein Leibesumfang machte ihn zu einem ein­fachen Ziel. In vielerlei Hinsicht.

Das Founders House ragte vor ihm auf. Es erstreckte sich über einen kleinen Hügel. Der weiße Anstrich war im Laufe der Zeit vergilbt und drei der vier Fenster gesprungen, aber keines richtig kaputt. Eli konnte sich nie entscheiden, ob es eher wie ein großes Herrenhaus oder wie ein Nobel­hotel aussah. Er hatte dort noch nie jemanden gesehen, den er hätte fragen können, und selbst wenn, hätte es ihn nicht genug interessiert. Das Founders House stand einfach da, nicht ganz in der Mitte des Orts, und tat nichts, außer von Jahr zu Jahr älter zu werden. Es kursierten nicht mal irgendwelche guten Geschichten darüber. Keine Selbstmorde oder Landstreichermorde oder wütenden Gespenster oder so.

Sanders war zu langweilig, um auch nur ein anständiges Spukhaus zu haben.

Wie auf ein Zeichen zersprang klirrend eines der Fenster. Eli zog die Bremse und kam schlitternd zum Stehen. Er hörte das Kichern, kurz bevor der nächste Stein von seinem Lenker abprallte. Er riss die Hände weg, und das Gelächter wurde lauter.

»Was suchst du, Flea-lie?« Zeke ließ einen weiteren Stein auf der Handfläche hüpfen und schien sich kaum zurückhalten zu können. Für jeden Zentimeter, den Eli in den letzten Jahren nicht gewachsen war, hatte Zeke zwei abbekommen. Er trainierte sogar schon mit dem Footballteam, obwohl er erst nächstes Jahr spielberechtigt war.

Zekes bester – und wahrscheinlich einziger – Freund Dougie leistete ihm Gesellschaft. Die beiden standen am Fuß des Hügels auf der gekiesten Nebenstraße, die zum Baseballfeld führte. Im hohen Gras hinter ihnen lagen ihre Räder.

»Nichts, Zeke.« Eli seufzte. Er warf einen Blick auf die Straße und überlegte, ob er entkommen könnte, ohne einen Stein an den Hinterkopf zu kriegen. Zeke zielte nicht besonders gut, aber es genügte. Und Eli war ein einfaches Ziel.

Rauch kräuselte sich aus Dougies Hand. Elis Blick wurde davon angezogen. Er sah nicht zum ersten Mal einen Klassen­kameraden mit einer Zigarette, trotzdem war er verblüfft. Es war albern, aber in seiner Vorstellung war Rauchen etwas für Studenten und Erwachsene.

Dougie bemerkte die Bewegung seiner Augen. Seine Miene verhärtete sich. »Du verpfeifst uns doch nicht, oder, Fettsack?«

Eli schüttelte den Kopf. Wenn er nicht angehalten hätte, wäre er bereits an ihnen vorbei und auf dem Weg zum Footballfeld. Wahrscheinlich hätte er schon Corey und Josh getroffen. Und vielleicht Nicole.

»Und?«, fuhr Zeke ihn an. Wie immer, wenn er aufgeregt war, ging seine Hand auf und zu, auf und zu. Alle nannten es seine Spastifaust. »Antworte ihm. Verpfeifst du uns, oder hältst du die Klappe?«

»Ja«, stöhnte Eli.

Ein Grinsen verzog Zekes breiten Mund. »Ja, du hältst die Klappe, oder ja, du verpfeifst uns?«

Elis Brust sackte ein. Sein Bauch spannte am Bund der Jeans. Er hatte dieses Spiel mit Zeke schon öfter gespielt. Zu oft. Deshalb war er unvorbereitet, als sich die Regeln änderten.

Der Stein traf ihn knapp über dem rechten Auge an der Braue. Der Aufprall hallte durch seinen Schädel, und einen Moment lang erschlafften die Muskeln in Hals, Rücken und Beinen.

Er klammerte sich an den Lenker, aber das Fahrrad drohte, mit ihm umzukippen.

Zeke und Dougie kicherten. »Ich glaube, er fängt an zu heulen«, sagte der Junge mit dem Affengebiss.

»Heult wie ein kleines dickes Mädchen«, sagte Dougie.

Elis Beine wurden wieder fest. Die Welt schwankte nicht länger. Er streckte die Knie durch und richtete das Rad auf. Ein paar Regentropfen fielen auf seinen Handrücken.

Zekes Augen weiteten sich. »Scheiße«, murmelte er. Er ließ einen weiteren Kiesel auf den Boden fallen.

Eli blickte zu dem grauen, aber wolkenlosen Himmel auf. Dann sah er auf seine Hand. Die Regentropfen waren dunkelrot.

Er wischte sich über die Stirn. Seine Augenbraue schmerzte und war klebrig. Ein roter Fleck blieb auf seiner Hand zurück.

»Hey«, sagte Zeke. Er räusperte sich. »Hey, Eli. Alles in Ordnung?«

Beleidigungen, Schläge, Kindern zwischen den Stunden auf dem Flur ein Bein stellen und sie herumschubsen – das alles war nicht angenehm, wurde aber geduldet. Blutige Wunden nicht. Jeder wusste, dass es Regeln gab, selbst für einen Schläger.

Eli zitterte am ganzen Leib. Kampf-oder-Flucht-Reaktion nannte das sein Biolehrer. Eli kannte das Gefühl nur zu gut.

»Entschuldigung«, sagte Zeke. »Ich glaube nicht … ich glaube nicht, dass es so schlimm ist, wie es aussieht.«

Eli stellte den Fuß aufs Pedal und trat. Das Rad rollte an der Vorderseite des Founders House entlang. Das andere Pedal kam nach oben, und er stieß es mit den Zehen hinab.

Zeke folgte ihm ein paar Schritte. »Eli«, rief er.

Eli stellte sich auf die Pedale und trat mit aller Kraft. Davonzukommen war das einzig Wichtige, und er hasste sich dafür. Als er das Founders House halb hinter sich gelassen hatte, hörte er, wie Zeke ihm nachrief und Dougie lachte.

Ein paar Minuten später ließ er das Fahrrad im Leerlauf rollen, wischte sich über die Augen und sah sich um. Er war den Hügel hinaufgefahren und hatte den Ortskern halb umrundet, sodass er fast wieder die Main Street erreicht hatte. Er war auf der Cross Road, genau zwischen den beiden Kirchen. Auf seiner Straßenseite stand die in hellen Farben gestrichene katholische Kirche und schräg gegenüber die dunkle protestantische. Die Cross Road trug ihren Namen nicht wegen der Kirchen, aber es war ein günstiger Zufall. Sie kreuzte auch keine anderen Straßen, sondern endete an beiden Seiten an einer T-Kreuzung.

Seine Augenbraue war immer noch klebrig, und er wischte sie mit seiner feuchten Hand ein wenig ab. Als er mit den Fingern über die Jeans rieb, blieb ein dunkler Fleck zurück, den nur eine Mutter entdecken konnte. Mit Hilfe von etwas Spucke wischte er noch mehr ab.

Er sah zur katholischen Kirche auf. Die Türen waren groß und aus massivem Holz, aber er wusste, dass es eine Hintertür zum Keller gab, die ein Fenster hatte. Da die Sonne schon tief über den Bäumen stand, würde er sich in der Scheibe spiegeln und die Wunde säubern können. Wenn er Glück hatte, würde es als Fahrradunfall durchgehen. Für ein dickes Kind war das erste Jahr an der Highschool schwer genug, ohne dass seine Mutter herumtelefonierte und Beschuldigungen aussprach.

»Verflixt!«

Der Ausruf ließ ihn zusammenzucken. Zeke hatte beschlossen, man müsse sich wegen ein bisschen Blut keine Sorgen machen, und hatte wahrscheinlich die Tasche ­voller Steine. Aber der Augenblick ging vorbei, und Elis Atem ­beruhigte sich. Es war weder Zekes noch Dougies Stimme gewesen. Ein metallisches Klirren ertönte.

Eli fuhr an den Büschen vorbei, um auf den Parkplatz der Protestanten zu spähen. Weit hinten, halb im Schatten verborgen, stand ein altes Auto. Dahinter entdeckte Eli eine schlanke Gestalt, die in einer universellen Geste des unerwarteten Schmerzes die Hand schüttelte.

Eine Erinnerung regte sich. Eli vergaß die verletzte Augenbraue und Zeke und seine Mutter. Mit einem Tritt ließ er das Rad über die Straße rollen. Eine weitere Umdrehung beförderte ihn auf den Parkplatz.

Er erinnerte sich an einen Film im Geschichtsunterricht über Henry Ford und Fließbänder, in dem solche Autos vorgekommen waren. Dieses war dunkelblau und hatte Schutzbleche über den Speichenrädern. Die Front schien ganz aus Chrom zu bestehen, und die runden Scheinwerfer waren in gebürstetes Metall eingefasst. Am Heck hing ein roter Plastikbenzinkanister, der größer war als die, die man an der Tankstelle kaufen konnte. Dunkelblaue Metallplatten waren auf der Motorhaube gestapelt.

Der Jugendliche war knapp einen Meter achtzig. Er hatte ein glattes Gesicht mit grünen Augen und schmalem Kinn. Das blonde Haar wellte sich an den Seiten, und ein lockerer Pferdeschwanz mit drei Haarbändern rutschte über seine Schultern, als er auf den Motor hinabsah. Er trug eine blaue Weste über einem kragenlosen Hemd. Als der Jugendliche ein paar Schritte vom Wagen zurücktrat und ein Metallteil ins Sonnenlicht hielt, konnte Eli seine bauschige schwarze Hose sehen. Seine Kleidung erinnerte an ein Kostüm aus der Zeit der Revolution, wie es auf den Paraden zur Schau gestellt wurde, nur dass sie … echt schien. Der Stoff war dicker, und sie wirkte eingetragen.

Zwei Pistolengurte kreuzten sich über der Hüfte des Jugendlichen. Oder vielleicht war es auch nur ein raffinierter Gurt. An beiden Seiten hing knapp unter der Taille ein Holster, aus dem glänzender schwarzer Stahl ragte.

Der Jugendliche sah von dem rechteckigen Blech zu Eli. »Alles in Ordnung?«, fragte er. Beim Klang seiner Stimme erwachte die angenehme Erinnerung. »Hattest du eine Schlägerei?«

»Sozusagen«, sagte Eli. Er stellte das Fahrrad auf den Ständer und ging ein paar Schritte auf das Auto zu.

Der Jugendliche ließ die Metallplatte sinken und strich mit einem langen weißen Gegenstand über die Kante. Winzige Bürsten scheuerten über die raue Oberfläche. »Wie kann man sozusagen eine Schlägerei haben?« Er hob die Zahnbürste vom Blech und blies den Staub weg.

»Kennen wir uns?«

Der Jugendliche begutachtete das Metallstück und spitzte die Lippen wie jemand, der sich auf einen unerwünschten Kuss vorbereitet. »Mein Vater hat immer gesagt, es sei unhöflich, auf eine Frage mit einer Gegenfrage zu antworten.«

»Ich bin Eli Teague.« Die Erinnerung gähnte und schlug die Decke zurück. Der Geruch von Phantomurin kitzelte Eli in der Nase. Er hustete ihn weg. »Sind Sie Harry?«

Der ältere Junge zog eine Braue hoch. »Anscheinend kennst du mich wirklich.« Er steckte sich die ­Zahnbürste in den Gürtel und hievte einen sperrigen Gegenstand vom Beifahrer­sitz. Er sah aus wie zwei aneinandergeklebte Dosen. »Also, wie kann man sozusagen eine Schlägerei haben?«

»Er hat mich mit einem Stein beworfen«, sagte Eli.

Harry wiegte den fußballgroßen Gegenstand in seinen Armen. »Konntest du nicht ausweichen?«

»Ich war nicht darauf vorbereitet. Normalerweise schlägt er mir auf den Arm. Oder kneift mir in den Bauch.«

Der Jugendliche schnaubte.

Eli beobachtete ihn für einen Moment, dann räusperte er sich. »Was ist das für ein Ding?«

»Das, junger Master Teague, ist eines der Wunder des zwanzigsten Jahrhunderts.« Er richtete das Metallteil aus und schob es in das größere Gerät. »Ein modifizierter Garrett-Vergaser. Ich habe einige Platten durch supraleitendes Material ersetzt, um die Elektrolyse-Rate zu verbessern, aber es haben sich Verunreinigungen abgesetzt, und sie müssen alle paar tausend Kilometer poliert werden.« Klickend rastete die Platte ein, und Harry verschloss das Metall­gehäuse.

Eli nickte langsam und bedächtig.

»Du hast keine Ahnung, wovon ich rede, oder?«

»Doch«, sagte Eli.

»Nein.« Harry ging auf seiner Seite des Autos in die Hocke. »Aber das macht nichts. Vor ein paar Jahren wusste ich auch nicht, was das alles bedeutet.«

Eli trat näher und sah in den Motorraum. Die Haube wurde nicht zur Windschutzscheibe hin aufgestellt, sondern von den Seiten zur Mitte geklappt, wodurch der Metallstapel entstand, den er von der anderen Seite aus erblickt hatte. Als Harry sich über den Motor beugte, konnte Eli unter sein Hemd sehen.

Eli war zwar in solchen Dingen alles andere als erfahren, aber er hatte schon seit einiger Zeit die anschwellenden Körper seiner Mitschülerinnen beobachtet. Beim Anblick des Brustansatzes unter Harrys Hemd verschlug es ihm den Atem, und er bekam Hitzewallungen. Sie waren nicht so groß wie die, die er auf Fotos und Videos gesehen hatte, aber es waren eindeutig Titten. Von keinem BH eingezwängt. Als Harry den Vergaser einsetzte, konnte er sogar einen dunklen Nippel aufblitzen sehen.

»Sie sind ein Mädchen«, quietschte er beschämt und erregt zugleich.

Harry sah auf und folgte seinem Blick. Sie schüttelte den Kopf und zog mit der freien Hand ihr Hemd zu. »Nicht unverschämt werden, Master Teague. Wir haben uns gerade erst kennengelernt.«

Sie löste einen Finger von dem Stoff und wedelte damit in der Luft. Verblüfft starrte Eli sie einen Moment lang an, dann wandte er sich ab.

Er hörte Kleiderrascheln und ein Murmeln. »Okay«, sagte Harry, »du kannst wieder gucken.«

Harry hatte ihre Weste umgedreht, sodass sie von ihr wie von einer hochgeschlossenen Schürze vor weiteren Blicken geschützt wurde.

»Wenn du schon dort rumstehst«, sagte sie, während sie sich wieder über den Motor beugte, »kannst du wenigstens etwas für die kleine Show tun, die du gerade genossen hast. Hol den Rollgabelschlüssel.« Sie zeigte zum Beifahrersitz.

Eli blickte durch das Auto und sah einen verbeulten Werkzeugkasten. Er lief auf die andere Seite und kramte einen rostigen Schraubenschlüssel heraus, der aussah, als wäre er zuletzt im Zweiten Weltkrieg benutzt worden. Als er mit dem Daumen über das Rädchen fuhr, öffnete sich der Schlüssel einen halben Zentimeter.

»Heute noch«, sagte Harry.

»Entschuldigung.« Er ging zur ihr und reichte ihr den Schlüssel.

»Gut.« Sie schob eine Schraube durch ein Loch an der Ecke des Vergasers und steckte eine Unterlegscheibe und eine Mutter auf die andere Seite. »Halt die Mutter damit fest, während ich hier anziehe.«

Eli drückte sich an den Wagen und griff über das Schutzblech. Er schob den Schlüssel über die kleine Mutter und zog ihn fest. Der Motorraum roch sehr sauber. »Okay«, sagte er.

Harry bewegte die Hand vor und zurück. Ihr Schlüssel packte die Schraube, drehte sie, ließ sie los und packte sie erneut. Eli spürte, wie die Mutter gegen die Unterlegscheibe gezogen wurde. »Die nächste ist ein bisschen schwieriger«, sagte Harry. Die Schraubenspitze tauchte auf der anderen Seite des Auspuffs dicht am Motor auf. Er musste sich an Harry drücken, um herumgreifen zu können. Durch die Kleider spürte er ihren Körper.

Eli schaffte es, den Schlüssel auf die Mutter zu stecken, und versuchte, sich ganz auf die Spider-Man-Ausgaben zu konzentrieren, die in seiner Sammlung noch fehlten. Als Harry sich vorbeugte und dabei ihr Bein an seinem rieb, begann er, die Mitglieder der Teen Titans und der X-Men aufzulisten. Ihr Handgelenk bewegte sich, die Mutter kuschelte sich an die Schraube, und der Vergaser saß fest.

Harry streckte die Hand nach dem Schlüssel aus. »Die letzten kriege ich allein hin.«

»Ich kann helfen.«

»Das mache ich besser selbst«, sagte sie.

Eli reichte ihr den Schraubenschlüssel.

»Außerdem«, fügte sie hinzu, »könntest du ohnmächtig werden, wenn wir noch mal mit den Hüften zusammenstoßen.«

Seine Wangen brannten. Er trat zurück.

Metallisches Klirren drang aus dem Motorraum, und kurz darauf richtete sich Harry auf. Sie warf die Schraubenschlüssel in den Kasten. Jetzt, da er wusste, worauf er achten musste, sah Eli, wie ihre Hüfte sich unter den Kleidern bewegte. Nicht bloß ein Mädchen, sondern eine erwachsene Frau.

»Warum nennen Sie sich Harry?«, fragte er. »Verstecken Sie sich vor jemandem?«

»Ich heiße so.« Sie klappte die Motorhaube zu und ließ sie einrasten. »Das ist die Kurzform von Harriet.«

»Ach so«, sagte Eli.

»Harriet hat mir nie gefallen. Es klingt so rau. Irgendwie barsch.« Sie ließ die Motorhaube auf der anderen Seite herab und deutete auf den Schlauch, der zusammengerollt neben der Kirche lag. »Funktioniert der?«

Eli zuckte die Achseln.

Harry rollte ihn aus und zog ihn zum Auto. Sie stieg auf das Trittbrett und griff über die Haube, um den Tankdeckel abzuschrauben. Nachdem sie den Schlauch hineingeschoben hatte, ging sie zurück und drehte den Hahn auf. Wasser spritzte neben dem Schlauchende heraus. Aus dem Tank rauschte es.

»Wofür ist das?«, fragte Eli.

»Nur zum Auffüllen«, sagte sie. »Der Tank ist noch mehr als halbvoll, aber die Reserve ist fast leer. Ich nehme mir lieber jetzt die Zeit, als dass ich es bereue, wenn ich eine Spur gefunden habe.«

Er blinzelte. »Aber wofür ist das Wasser?«

»Das ist der Treibstoff.«

Eli runzelte die Stirn. »Autos fahren aber nicht mit Wasser«, sagte er. »Das ist blöd.«

»Mit dem Wort wäre ich an deiner Stelle vorsichtig«, sagte Harry. »Du bist schließlich derjenige, der gerade den Kampf gegen einen Stein verloren hat.«

»Autos fahren mit Benzin«, beharrte er, »nicht mit Wasser.«

»Der Vergaser spaltet das Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff auf. Der Motor verbrennt den Wasserstoff, und der Sauerstoff kommt aus dem Auspuff.« Sie zog den Schlauch heraus und hinterließ eine lange Pfütze, als sie damit zum Heck ging. »Leitungswasser ist nicht besonders gut. Die Verunreinigungen lagern sich, wie gesagt, an den Platten ab.« Mit ein paar Drehungen schraubte sie den Deckel von dem roten Kanister, dann schob sie den Schlauch tief hinein.

»Aber wenn Sie wirklich ein Auto hätten, das mit Wasser fährt«, sagte Eli, »wären Sie reich. Millionärin. Alle würden eins kaufen.«

Harry zuckte die Achseln und klopfte mit den Knöcheln gegen den Reservetank. Es klang hohl.

»Sind Sie reich?«, fragte er.

Sie schüttelte den Kopf. »Ich glaube, ich besitze vierzig Dollar.« Sie zog die Weste aus. »Und fünfzehn davon sind Konföderierten-Dollar. Warum glaubst du, dass ich reich bin?«

»Weil Sie sich so anziehen«, sagte er. »Reiche können tragen, was sie wollen, weil sie Geld haben. Sie sind nicht seltsam, sie sind exzentrisch.«

Sie schob die Arme in die Weste und zog sie sich über die Schultern. »Ein großes Wort für einen jungen Mann.«

»Ich lese viel.«

Harry klopfte wieder gegen den Kanister, und dieses Mal klang es dumpf. Sie zog den Schlauch heraus und schraubte den Deckel zu. Mit dem sprudelnden Schlauch in der Hand ging sie zur Kirche, um das Wasser abzudrehen. »Also«, sagte sie, während sie den Schlauch an der Wand aufrollte, »es war mir ein Vergnügen, Eli Teague, aber die Straße ruft. Ich muss mich auf den Weg machen.«

»Wohin?«

»Draußen in Arizona gibt es eine kleine Geisterstadt namens Jerome«, sagte sie. »Ich muss hinkommen, bevor die Kupfermine schließt, um mit einem Mann über einen Traum zu reden.«

Eli dachte darüber nach. »Aber müsste die Mine nicht schon geschlossen sein, wenn es eine Geisterstadt ist?«

»Deshalb«, sagte Harry, während sie zurück zum Auto ging, »muss ich da sein, bevor sie schließt.« Sie legte ein paar Schalter am Armaturenbrett um. Der Motor sprang an und schnurrte wie eine zufriedene Katze. Harry nahm ihren Mantel vom Fahrersitz und legte ihn sich um die Schultern. Er reichte ihr fast bis zu den Knien.

Eli spürte sein Herz klopfen. Er ging einen Schritt auf das Auto zu, als sie einstieg. »Warum müssen Sie mit einem Mann über seinen Traum reden?«

Sie sah ihn an. Wie hatte er sie jemals für einen Jungen halten können? »Es ist nicht sein Traum, nach dem ich suche.«

»Was soll das bedeuten?«

»Es bedeutet auf Wiedersehen, Master Teague.«

Er überlegte, wie er sie aufhalten könnte, aber das Einzige, was ihm einfiel, war: »Sehen wir uns irgendwann wieder?«

Harry nahm die Hände vom Lenkrad. »Wie bezaubernd.« Sie zog ihn zu sich und kniff ihn auf der unverletzten Gesichtsseite in die Wange. »Es war schön, mit dir zu reden.«

Sie ließ ihn los, und er trat einen Schritt zurück. Als sie aufs Pedal trat, entfernte sich der Wagen rückwärts von der Kirche. Er beschrieb eine Kurve, bis die Front zur Straße zeigte, dann fuhr er vorwärts. Die Abgase rochen frisch und sauber.

»Sehen wir uns wieder?«, rief er ihr nach.

»Es ist ein großes Land«, sagte Harry. »Möglich ist alles.« Sie winkte ihm zu, während sie auf die Cross Road bog. Das Schnurren des Motors wurde zu einem tiefen Brummen, und das Auto raste davon.

Bis Eli über den Parkplatz zur Straße gerannt war, war das alte Auto verschwunden.

3

Eli war neunundzwanzig, als er Harry zum dritten Mal begegnete.

Er hatte irgendwann einen Wachstums­schub bekommen und war über einen Meter achtzig geworden, sodass sich das Gewicht verteilte und er fast dünn wirkte. Trotz der Bedenken seiner Mutter hatte er Informatik und im Nebenfach Geschichte studiert – zwei Gebiete, auf denen man ihrer Meinung nach kein Geld verdienen konnte. Es stellte sich heraus, dass sie recht gehabt hatte, und er landete schließlich in einer Wohnung über einer Garage zwei Straßen von dem Haus, in dem er aufgewachsen war. Im Sommer war es dort zu warm und im Winter viel zu kalt. Jeden Tag fuhr er zwei Städte weiter, um in der IT-Abteilung der örtlichen Stahlbank-Niederlassung zu arbeiten und das Netzwerk zu verwalten, was an neun von zehn Tagen auf eine monotone und anspruchslose Beschäftigung hinauslief.

Der Dienstagabend, an dem sie sich begegneten, begann mit einem längst überfälligen Treffen mit seinen Freunden. Keine der Bars in Sanders hatte einen Großbildfernseher, was für Corey die Voraussetzung für einen netten Abend war. Außerdem wohnte Josh seit drei Monaten in der Innenstadt von Dover, das verglichen mit Sanders eine ausufernde Technologie-Metropole war. Also fuhr Eli mit Corey und Robin nach Dover. Er saß auf der Rückbank ihres Hondas, und sie sangen auf dem Weg zu Joshs neuer Wohnung Lieder aus dem Radio mit.

Als sie den Bürgersteig entlanggingen, riss Robin sich von Corey los und zeigte auf die andere Straßenseite. »Was ist das?«, fragte sie Eli.

Er warf einen Blick hinüber. »Das ist ein Chrysler Newport von 1978. Ein echter Spritschlucker.«

»Den erwischst du nie auf dem falschen Fuß«, sagte Corey.

»Doch«, sagte sie. »Irgendwann.«

»Nicht beim Thema Autos.«

Sie fanden eine Bar, mit der Corey einverstanden war, und begannen zu trinken. Josh erzählte ihnen weitere Geschichten aus seinem wundersamen Leben nach Sanders und drängte sie alle, zu ihm zu ziehen. Robin und Corey sagten wie immer nein. Sie hatten das Emporium gekauft – das ganze Haus – und lebten in einer geräumigen Wohnung über der Videothek.

»Warum ziehst du nicht hierher?«, fragte Josh Eli. »Du fährst doch sowieso jeden Tag zur Arbeit in die Richtung, oder?«

Eli nickte und zuckte die Achseln. Sein Informatikab­schluss war in Sanders wertlos. Sämtliche Geschäfte arbeiteten noch mit Registrierkassen und Taschenrechnern. Er brauchte fast eine halbe Stunde pro Strecke. Aber es war sein Zuhause.

»Gib doch zu, warum du nicht umziehst«, sagte Robin. »Es wird endlich ernst mit dir und Nicole.«

Eli hustete. »Das ist garantiert nicht der Grund.«

»Versucht sie immer noch, dieses Festival auf die Beine zu stellen?«, fragte Josh.

»Ja, aber es klappt nicht«, sagte Eli. »Sie findet niemanden, der die Idee eines Filmfestivals in einem Billig-Kino mit nur einer Leinwand unterstützt.«

»Es ist eine kleine Stadt«, sagte Corey.

»Also läuft immer noch nichts zwischen euch?«, fragte Robin.

Eli schüttelte den Kopf. »Nicht der Rede wert.«

»Verdammt«, sagte sie. »Wir brauchen bessere Freunde. Ich will unbedingt mal einen Pärchenabend veranstalten.« Sie warf Josh einen gespielt bösen Blick zu.

»Guck mich nicht an«, sagte er. »Die einzigen Männer hier, die was taugen, sind alle hetero.« Er hob einen Finger vom Glas und zeigte auf Eli. »Apropos, in meinem Haus ist eine Wohnung frei. Zwei Etagen weiter oben. Die Aussicht ist noch besser als bei mir.«

Eli antwortete, indem er Zwiebelringe bestellte. Dover mochte Kabelfernsehen, Handymasten und richtige Computer haben, aber Sanders war sein Zuhause. Er sagte es, und alle verspotteten ihn.

Sie halfen Eli bei den Zwiebelringen und aßen dann einen Teller gefüllte Jalapeños, die Robin als fade bezeichnete, obwohl Josh nach Luft schnappte. Eine weitere Runde wurde bestellt, aber Corey nahm ein Ginger Ale, da er fahren musste. Nachdem sie ihr Glas geleert hatte, zählte Robin Frauen für Eli und Männer für Josh auf, aber beide lachten nur über ihre Bemühungen. Josh und Robin wagten sich an ein paar gefährlich aussehende Shots, die der Barkeeper ihnen anbot, aber Eli kniff.

Und dann wurde auf die Uhr gesehen, die Arbeit erwähnt, und der Abend war vorbei. Sie brachten Josh zurück zu seinem Backstein-Loft und umarmten sich. Eli und Corey führten Robin zum Auto, und sie fuhren nach Hause. Zwanzig Minuten später schoss das Auto an der Holztafel vorbei, die sie in Sanders willkommen hieß und sie bat, ihren Aufenthalt zu genießen. »Home again, home again«, sang Corey.

»Lass dich nicht von Zeke erwischen«, sagte Eli.

Corey nahm den Fuß vom Gas. Kurz hinter dem Ortsschild sahen sie den Streifenwagen am Straßenrand stehen. Die Radarpistole glitzerte im Mondlicht. Hinter dem Steuer wandte Zeke Miller den Kopf, als sie vorbeifuhren.

»Das wäre die Krönung des Abends gewesen«, sagte Eli.

»Ich habe nur ein Glas getrunken«, sagte Corey. »Kein Problem.«

»Er hätte dich mindestens fünfmal ins Röhrchen pusten lassen. Nur um auf Nummer sicher zu gehen.«

»Ja, wahrscheinlich.«

»Er ist ein Arsch«, murmelte Robin, ohne die Augen aufzumachen. »Wisst ihr, dass er mir bei der Abschlussfeier an die Titten gefasst hat?«

»Das wissen wir alle, Schatz«, sagte Corey.

»Er ist ein Arsch«, wiederholte sie leiser. Plötzlich wurde sie munter. »Hey, was ist das für eins, Eli? Sieht ganz schön alt aus.«

Er richtete sich auf dem Rücksitz auf. Das dunkle Auto war am Straßenrand so gut wie unsichtbar. Im Licht einer Taschenlampe blitzten an der Beifahrerseite ein Wagen­heber und hinter dem Auto ein roter Benzinkanister auf.

»Ist das ein Modell T?«, fragte Corey.

Robin boxte ihm auf die Schulter. »Er soll es sagen.«

»Modell A, Geschäfts-Coupé«, sagte Eli. »Neunzehnhundertneunundzwanzig. Halt an.«

»Was?«

Er riss den Kopf herum. Der alte Ford war fast in der Dunkelheit hinter ihnen verschwunden. »Halt an!«, brüllte er.

»Beruhige dich, Mann.«

Corey fuhr den Honda an den Straßenrand. Eli griff um Robin herum, um die Tür zu öffnen, und quetschte sich hinaus. »Bis dann.«

»Was ist los, verdammt?«

»Tut mir leid, dass ich versucht habe, dich mit der Frau in der Bar zu verkuppeln«, sagte Robin.

»Schon okay«, sagte Eli. »Ich gehe nur zu dem Auto da hinten und sehe nach, ob jemand Hilfe braucht.«

Corey blickte über die Schulter. »Ich kann zurückfahren. Es ist nicht weit.«

Eli schüttelte den Kopf. »Mach dir keine Gedanken.«

»Wie willst du dann nach Hause kommen?«, fragte Robin.

»Ich gehe zu Fuß. Es ist eine schöne Nacht.«

»Das sind bestimmt sechs Kilometer bis zu dir.« Corey zeigte die Straße entlang. »Bist du sicher?«

»Ich komme schon klar.« Er klopfte auf das Dach des Honda. »Ich rufe euch morgen an.«

Robin umarmte ihn unbeholfen durch das Fenster, und er stieß mit Corey die Fäuste zusammen. Der Honda ­rollte zurück auf die Straße und raste davon. Als Eli die Rücklichter verblassen sah, fragte er sich, ob er gerade eine große Dummheit beging.

Er drehte sich um und ging auf dem Seitenstreifen zurück. Sein Herz hämmerte gegen die Rippen. Trotz der kühlen Luft war ihm warm. Eine Dampfwolke bildete sich vor seinem Gesicht, als er tief ausatmete und Luft holte. Eine Oktobernacht, aber seine Haut prickelte wie am Weihnachtsmorgen, als er acht gewesen war.

Der Umriss des Modell A tauchte aus der Dunkelheit auf. Die runden Scheinwerferaugen sahen ihn an, und die beiden geraden Leisten der Stoßstange formten einen zusammengekniffenen Mund. Noch ein paar Schritte, dann konnte er den Kühler und das Fahrgestell in allen Einzelheiten erkennen. Die Radaufhängung war nachgerüstet worden. Die Beifahrertür stand offen, und er sah, dass sich dahinter jemand bewegte.

Als er zwei Schritte nach links trat, konnte er hinter die Tür blicken. Dort stand eine große Frau, etwa in seinem Alter, die eine dunkle Cordhose und einen blauen Gehrock trug. Ihr blondes Haar war halb unter einem Dreispitz verborgen, aber der lockere Pferdeschwanz hing ihr auf den Rücken.

Neben einem alten Wagenheber unter dem Heck lag ein Speichenrad mit einem platten Reifen. Die Frau hatte eine Taschenlampe unter dem Arm klemmen und rang mit dem Reserverad. Neben dem ovalen Rückfenster lehnte eine lange Stange an dem Modell A.

Eli trat einen weiteren Schritt näher. »Hallo.«

Die Frau ließ das Rad fallen. Sie schnappte sich die Stange und wirbelte herum. Als sie sie hochhob, begriff Eli, dass es sich um ein altes Steinschlossgewehr handelte. Im blendenden Licht der Taschenlampe konnte er die Waffe kaum erkennen. Sie hielt die Lampe unter den Lauf, als wäre sie Mitglied einer militärischen Spezialeinheit.

»Verflucht«, sagte sie. Der Strahl der Lampe glitt über seine Brust, als sie das Gewehr sinken ließ. »Sie haben mich zu Tode erschreckt.«

»Was soll ich denn sagen!«, keuchte er. Er hatte sich diesen Augenblick hunderte Male auf verschiedene Art ausgemalt. Nie hatte es damit begonnen, dass sie ihm in den Kopf schoss wie einem Zombie aus einem B-Movie.

»Moment.« Sie hob die Taschenlampe und musterte ihn. »Sind Sie …?«

Er lächelte.

Sie ließ die Lampe wieder sinken. »Eli Teague«, sagte sie. »Was für ein stattlicher junger Mann aus Ihnen geworden ist.«

»Schön, Sie zu sehen, Harry.«

»Zweimal in genauso vielen Monaten.« Sie lehnte das Gewehr wieder an den Wagen. »Verfolgen Sie mich?«

»Wohl kaum.«

»Ich wäre ziemlich beeindruckt, wenn dem so wäre.«

»Vielleicht ein bisschen«, sagte Eli. »Eine Zeitlang war ich nicht sicher, ob Sie echt sind.«

»Warum nicht?«

»Hm … bei unserer letzten Begegnung hatte ich gerade eine Kopfverletzung erlitten. Da kommt man ins Grübeln.«

Sie schnaubte. »Seien Sie ein Gentleman und helfen Sie mir mit dem Rad, Mr. Teague.«

Eli starrte sie an, als sie nach dem Reserverad griff. Die ­alten Kleider. Das blonde Haar. Die grünbraunen Augen. »Sie sehen fast unverändert aus«, sagte er. »Genau wie ich Sie in Erinnerung habe.«

»Für mich ist es nicht so lange her.«

Er zeigte auf die lockeren Schlaufen um ihren Hals. »Ihr Schal gefällt mir.«

»Ich muss ihn tragen«, sagte Harry. Sie deutete in die Nacht hinaus. »Ob Sie es glauben oder nicht, aber dieser Ort ist von lüsternen kleinen Jungen befallen, die die Tugendhaftigkeit einer jungen Frau auszunutzen versuchen.«

Er biss sich auf die Lippe. »Entschuldigung.«

»Könnten Sie das Rad anheben?«

Eli nahm es ihr ab. Es war schwerer, als er nach seiner Erfahrung mit modernen Autos gedacht hätte. Er hievte es in die richtige Position, während sie einen alten Kreuzschlüssel aufhob.

Sie steckte den Schlüssel auf die erste Radmutter und drehte ihn. »Also, Mr. Teague, was haben Sie getrieben? Wie lang dauerte es für Sie, zwölf Jahre?«

»Fast sechzehn.« Er zuckte die Achseln, soweit das mit dem Rad in der Hand möglich war. »Weiß nicht. Ich bin erwachsen geworden. Zur Schule gegangen. Habe mir Arbeit gesucht.«

»Und was tun Sie?«

»Ich arbeite bei einer Bank in der IT-Abteilung. Meistens warte ich das Computernetzwerk, wenn jemand ein Virus runtergeladen hat oder so.« Er bemerkte, dass sie ihn anstarrte, und räusperte sich. »Ein Computer ist eine Art elektrische Rechenmaschine. Er kann …«

»Ich weiß, was ein Computer ist, Mr. Teague.« Sie schraubte eine weitere Radmutter fest. »Ich bin nicht dämlich.«

»Entschuldigung.«

»Verheiratet?«

»Was? Nein.«

»Warum nicht?«

»Ich bin erst neunundzwanzig«, sagte er.

»Neunundzwanzig«, wiederholte sie, während sie die dritte Mutter anzog. »Nicht verheiratet. Warum nicht?«

»Habe ich doch gerade gesagt. Ich bin erst neunundzwanzig. Und im Moment habe ich nicht mal eine Freundin.«

Er dachte an Nicole. In den letzten drei Monaten hatten sie mindestens einmal pro Woche im Sanders Cinema miteinander geschlafen. Meistens donnerstags, wenn sie länger blieb, um das neue Programm zu planen. Nicole war erst der vierte Mensch, mit dem er Sex gehabt hatte – fünf, wenn man den Begriff Sex weit fasste. Aber Eli hatte genug Erfahrung, um den Unterschied zwischen Sex und Liebe zu kennen. Es war für sie beide praktisch. Mehr steckte nicht dahinter.

Keiner von ihnen wollte mehr vom anderen.

»Meine Eltern haben mit achtzehn geheiratet.« Harry arbeitete an der letzten Radmutter. »Also, mein Vater war achtzehn, meine Mutter war sechzehn.«

»Das ist jung«, sagte Eli.

»In den meisten Gegenden der Welt ist es alt«, sagte sie, »selbst heutzutage. Also, worauf warten Sie?«

»Auf Sie«, sagte Eli. Es rutschte ihm aus dem Mund, ohne dass er darüber nachgedacht hatte. Die Worte hingen einen Moment lang in der Luft.

Sie zog die Brauen hoch, aber ihre Augen wirkten traurig. »Auf mich?«

Eli hob den kaputten Reifen auf und trug ihn zum Heck des Wagens. Er schob ihn auf die Halterung über der Stoßstange, während Harry den Wagenheber herunterkurbelte.

Kurz darauf verstaute sie den Wagenheber im Kofferraum. Sie holte den Werkzeugkasten und stellte ihn daneben. Dann schlug sie den Kofferraum zu und räusperte sich. »Ich glaube, Sie wollten gerade ein Geständnis ablegen, Mr. Teague.«

»Ich habe nur …« Seine Wangen brannten. »Ja, okay, ich war irgendwie besessen von Ihnen. Sie sind aus dem Nichts aufgetaucht, als ich ein Kind war, und alles an Ihnen war so … cool.«

»Cool?«

»Toll. Interessant.«

»Verstehe.«

»So in der Art. Sie wissen, was Computer sind, aber nicht, was ›cool‹ bedeutet. Sie kleiden sich wie jemand aus dem späten 17. Jahrhundert, fahren ein Modell A und besitzen fünfzehn Konföderierten-Dollar.«

»Leider nur noch drei«, sagte Harry, »aber der Rest hat einem guten Zweck gedient.«

»Wer sind Sie?«

»Das habe ich Ihnen doch schon gesagt.« Sie wischte sich die Hände an ihrem Gehrock ab. »Ich bin Harriet. Meine Freunde nennen mich Harry.«

»Fahren Sie jetzt einfach wieder davon?«

»So bin ich nun mal.« Sie ging zur Fahrerseite, beugte sich ins Auto und betätigte zwei Schalter am Armaturenbrett.

»Bleiben Sie«, sagte Eli.

»Wie bitte?«

Er nickte zur Seite. »Sie könnten ein oder zwei Tage in der Stadt bleiben, bevor Sie weiterfahren. Wir könnten … ich weiß nicht. Ich könnte Sie rumführen. Ich habe eine Million Fragen an Sie.« Er schüttelte den Kopf. »Ich habe Geschichte studiert, mich mit Autos beschäftigt und alles getan, um rauszufinden, wer Sie sind.«

»Ein verlockendes Angebot, Mr. Teague. Sehr verlockend.« Sie seufzte und wandte den Blick ab. »Leider muss ich es zurzeit ablehnen.«

»Warum?«

»Weil ich auf der Suche nach etwas bin. Und ich bin nicht die Einzige. Ich glaube nicht, dass man die anderen überreden kann, ein paar Tage frei zu nehmen, nur weil ich es gern möchte.«

Er ließ sich die Worte durch den Kopf gehen. »Also ist das eine Art Wettbewerb?«

»Eher eine Schatzsuche.«

Er legte die Hand auf die Fahrertür. »Brauchen Sie Hilfe?«

»Wollen Sie sich selbst einladen?«

»Nein«, sagte er. »Vielleicht. Ich habe bloß jahrelang gehofft, Sie würden erneut auftauchen. Ich will nicht, dass es in weniger als einer halben Stunde vorbei ist.«

Harry sah ihn einen Moment lang an. Sie hob die rechte Hand und ließ sie wieder fallen. »Tut mir leid. Ich habe schon einen Partner verloren. Nicht noch einmal.«

»Ahhh«, sagte Eli. »Das wusste ich nicht.«

»Woher auch?« Sie klopfte auf das Blech. »Ich muss jetzt los. Freitag muss ich in Boston sein.«

»Was ist in Boston?«

»Der Quincy Market. Am Mittag wird jemand dort sein und Informationen verkaufen. Ich muss sie kaufen.«

»Für die Schatzsuche«, sagte er.

»So ungefähr.«

»Bei der Sie keine Hilfe brauchen.«

»Nochmals, es tut mir leid.«

»Und über die Sie mir auf keinen Fall was verraten wollen.«

Sie zog einen Mundwinkel hoch, nur eine Sekunde lang. »Es ist sicherer für Sie, wenn Sie es nicht wissen.«

»Tja, so schwierig sollte es nicht sein«, sagte er. »Im schlimmsten Fall könnten Sie wahrscheinlich in drei Tagen zu Fuß nach Boston gehen.«

»Ich habe keine drei Tage Zeit, nur zwei Stunden.«

»Gerade haben Sie noch bis Freitag gesagt.«

»Ich muss Freitag dort sein, aber ich habe nur zwei Stunden Zeit.«

»Ich … das kapiere ich nicht.«

»Wie ich schon sagte, es ist für Sie sicherer so.« ­Harry griff ins Auto und legte erneut einige Schalter um. Mit einem Grollen sprang der Motor an. Sie trat in die Erde. »Ich wünschte, die Dinge lägen anders, Mr. Teague.«

»Ich auch«, sagte Eli.

»Sie scheinen sehr nett und klug zu sein und gutaussehend dazu. Es wäre sicher schön, Sie näher kennenzulernen.« Sie zeigte auf das schnurrende Modell A. »Aber ich bin auf einer gefährlichen Suche, und ich werde nicht das Leben anderer riskieren.«

»Suche?«

Harry trat näher. Sie hatte eine gute Größe, nur zwei oder drei Zentimeter kleiner als er. Ihre Hände legten sich auf seine Brust. Sie beugte sich zu ihm, und warme Luft strömte über sein Ohr, als sie mit den Lippen seine Wange streifte.

»Auf Wiedersehen, Eli Teague.«

Sie schubste ihn. Er taumelte auf den weichen Seitenstreifen, griff ins Leere und fiel auf den Hintern. Als er aufsah, saß sie bereits im Wagen und hielt das Steuer in den Händen.

Eli stand auf, während das Modell A auf den Asphalt rollte, nach rechts abbog und zum Ortsausgang fuhr. Obwohl sich sein Magen verkrampfte, winkte er ihr zum Abschied. Harry winkte zurück und verschwand in der Nacht.

4

Eli war seit einer Stunde aus der Mittagspause zurück und versuchte, die innova­tive Methode nachzuvollziehen, mit der einer der Schalterangestellten die Hälfte der Computerterminals eingefroren hatte. Er gähnte. Der Heimweg am Abend zuvor war lang gewesen. Und danach hatte er kaum Schlaf gefunden. Den Großteil der Nacht hatte er aus dem Fenster auf die Straße vor der Garage gesehen und gehofft, das 1929er Modell A Geschäfts-Coupé würde vorbeifahren. Oder anhalten.

Eineinhalb Wände des Bankgebäudes waren verglast, und in seiner Kabine saß er mit dem Rücken zum Fenster. Im Laufe der Zeit hatte er sich angewöhnt, nachmittags mit dem Stuhl herumzurutschen, damit die Sonne nicht auf seinen Monitor schien.

Der Absturz war wahrscheinlich kein sehr kompliziertes Problem. Er war nur nicht so interessant wie Harrys warmer Atem an seinem Ohr. Oder die vielen Möglichkeiten, wie sie zwölf Konföderierten-Dollar für einen guten Zweck ausgegeben haben konnte.

Ein Schatten fiel in Elis Kabine und riss ihn aus den Gedanken. »Truss ist in der Stadt«, zischte Bill.

Elis Augen weiteten sich, und sämtliche angenehmen Erinnerungen verschwanden. »Was?«

Archibald Truss – den niemand jemals Archie nannte – war der Besitzer von Stahlbank. Über achtzig Filialen in den Vereinigten Staaten, neunzehn in Kanada, mehr als hundert in Europa und drei in Japan. Außerdem gehörten ihm ein Filmstudio, eine Spielzeugfabrik und große Anteile an mehreren Auto- und Computerherstellern. Er reiste gern durch die Welt und begutachtete seinen Besitz.

Manchmal wussten die Angestellten, dass er kam. Oft nicht. Während der zweieinhalb Jahre, die Eli in der Filiale arbeitete, war er zweimal aufgetaucht. Immer war jemand entlassen worden. Beim ersten Mal hatte es den alten Filialleiter getroffen.

»Sheila hat gesehen, wie er in diesem kleinen Bistro zu Mittag gegessen hat«, sagte Bill. »Er hat gerade sein Essen serviert bekommen.«

»Ist sie sicher, dass er es war?«

Vor dem großen Fenster warf der Kopf des stellvertretenden Filialleiters einen Schatten, als er nickte. »Sein Cadillac stand vor der Tür.«

»Verdammt.«

»Bring es zum Laufen.« Bill zeigte auf den Computer. »Wir können uns nicht erlauben, dass das Netzwerk nicht funktioniert, wenn er kommt.«

»Ich kann es nicht einfach einschalten.« Bills Panik wirkte ansteckend auf Eli. »Ich versuche noch rauszufinden, was passiert ist.«

»Dann sorge dafür, dass es so aussieht, als würde es funktionieren. Gib Gas.«

Eli scrollte fünfzehn Minuten hektisch durch den Programmcode, bevor er die Schleife entdeckte. Simpel, wie er es sich schon gedacht hatte. Ein Fehler, der extrem selten ausgelöst wurde. Er musste nur ein paar Zeilen tippen, um den Absturz zu beheben und die Stelle zu markieren. So würde er den problematischen Code später wiederfinden. Jetzt wollte er das System erst einmal zum Laufen bringen, damit eine kleine Chance auf Weiterbeschäftigung bestand.

Hinter ihm räusperte sich jemand.

Er rechnete mit Bill oder vielleicht einem Kunden, der mit jemandem über seinen Kredit reden wollte, aber als er sich umwandte, verschlug es ihm fast den Atem. Er überlegte, ob von ihm erwartet wurde, dass er aufstand.

»Um Himmels willen«, knurrte Truss.