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Der Nürnberger Arzt Hieronymus Münzer floh 1494 nicht nur vor der Pest, sondern er wollte mehr. Mit Verweis auf Aristoteles wollte er sich "der Suche nach der Wahrheit" widmen. Sein Itinerarium zeugt davon, in welchem Maße ihm das gelang. Vorkenntnisse aus Studium und Nürnberger Zusammenhängen sowie die Unterstützung von Kaufleuten, Druckern, Gelehrten und Höflingen halfen ihm, erfolgreich zu suchen. Sein Itinerarium, das hier erstmals in deutscher Übertragung vorgelegt wird, dokumentiert die Ergebnisse. Es ist ein bunter Strauß an kulturgeschichtlich interessanten Aufzeichnungen aus einer bewegten Zeit. Zwei Jahre nach der ersten Seereise des Kolumbus und nach der Eroberung Granadas ist Hieronymus Münzer am Puls der Zeit, wie er nicht zuletzt in einer Rede vor den Katholischen Königen in Madrid darlegt. Die zahlreichen Beschreibungen von Menschen und Orten, Religionen und Gebräuchen, Klöstern und Pilgerzentren, Kunstwerken und Reliquien, Fauna und Flora regen dazu an, auch heute wieder auf Münzers Spuren den Westen Europas neu zu entdecken.
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Seitenzahl: 1141
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Klaus Herbers
Der Reisebericht des Hieronymus Münzer
Ein Nürnberger Arzt auf der „Suche nach der Wahrheit“ in Westeuropa (1494/95)
Narr Francke Attempto Verlag Tübingen
Umschlagabbildung: Clm 431, fol. 173r © Bayerische Staatsbibliothek München
Karte im Umschlag: Münzers Reisen 1483/84 und 1494/95 (R. Hurtienne, V. Trenkle, Chr. Gürtler)
© 2020 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen www.narr.de • [email protected]
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
ISBN 978-3-7720-8739-4 (Print)
ISBN 978-3-7720-0128-4 (ePub)
Für Gertrud
Die Zeichnung zur Kirche von Santiago de Compostela, die Hieronymus Münzer in den Bericht seiner Reise vom 2. August 1494 bis zum 15. April 1495 durch große Teile Westeuropas einfügt, ist schon vielfach verwendet und abgebildet worden. Für dieses Buch ziert sie den Umschlag. Das sogenannte Itinerarium bietet jedoch noch viel mehr, und es ist bei Kennern seit langem als ein kulturgeschichtliches Juwel bekannt. Der Nürnberger Arzt bereiste Frankreich, Spanien, die Schweiz, die Niederlande und Deutschland. Seine Beschreibungen führen den Leser zu vielen unbekannten Orten, die er mit eigenen Augen, aber auch aus der Perspektive anderer wahrnahm, um dann einiges davon aufzuzeichnen. Die ersten Übersetzungen dieses lateinischen Textes stammen von spanischen Kollegen, die sich allerdings nur für den iberischen Teil oder sogar nur für einzelne Regionen interessierten. Schon 1996 habe ich zusammen mit Robert Plötz einen Auszug aus dem Reisebericht in deutscher Sprache zum Besuch Münzers in der Pilgerstadt Santiago de Compostela herausgegeben. Das Pilgerzentrum ist einer der wenigen Orte, bei dem Münzer seine Beschreibungen etwas anders als bei weiteren Örtlichkeiten darbot, wo er oft aus der Höhe eines Kirchturmes die Lage beschrieb. Er verglich den Pilgerort auch nicht mit anderen Orten in Deutschland, was er sonst häufig tat.
Der Bericht des Hieronymus Münzer ist für Pilger nicht nur wegen der Beschreibung Compostelas interessant, sondern auch wegen der zahlreichen Wegstrecken, die in seinem Itinerar mit heutigen Jakobswegen übereinstimmen, in Deutschland, in Frankreich, aber auch in Südspanien oder in Portugal. Münzers Itinerarium ist zwar kein Pilgerbericht, aber Pilgerorte, Reliquien und Frömmigkeit gehören zu seinen Reiseeindrücken dazu. Diese Erfahrungen sind jedoch vielfältiger und werden hier erstmals in einer vollständigen Übersetzung des Textes der Öffentlichkeit vorgelegt. Es ist gleichsam eine Aufforderung, wie Münzer mit offenen Augen und Ohren den Westen Europas zu „erfahren“. Gleichzeitig erscheint bei den Monumenta Germaniae Historica die lateinische Edition dieses Berichtes. Diese ist so umfassend mit Einleitung und Kommentar versehen, dass die hier gebotene Übersetzung sich mit wesentlich kürzeren begleitenden Bemerkungen und Kommentierungen begnügen kann. Der Text soll vor allem für sich selbst sprechen und möglichst viele Leser erreichen.
Ich freue mich, dass dieser spannende Reisebericht rechtzeitig zum Heiligen Jahr in Santiago 2021 erscheint und den Mitgliedern der deutschen St. Jakobus-Gesellschaft als Jahresgabe 2020 zugehen kann. Bei der Vorbereitung der Übersetzung, die ich schon vor über zwanzig Jahren in Teilen begonnen habe, standen mir in der jetzt notwendigen Abschlussphase verschiedene Personen zur Seite. Das Druckangebot des Narr-Verlages sowie die Betreuung des Buches durch Dr. Valeska Lembke und Corina Popp förderten die schnelle und gründliche Abwicklung. Bei der Übertragung der Epitaphien und Gedichte waren Rat und Übersetzungsvorschläge von Eric Schlager unentbehrlich, die Korrekturphase unterstützten Sophie Caesperlein, Clara Hoeß und Lena Sahaikewitsch. Das Register lag in den Händen von Viktoria Trottmann. Meine Frau, die schon früher Münzer immer wieder be- und genutzt hat, las und diskutierte die Texte mit mir. Ihr und allen, auch ungenannten Helfern, sei herzlich gedankt!
„Schon im sechsten Jahr meines Doktorates in Pavia in der medizinischen Fakultät […], als in der schönen Handelsstadt Nürnberg in Oberdeutschland eine Epidemie ausbrach…“ So lautet einer der ersten Sätze Münzers im Itinerarium. Und er fährt – offensichtlich ganz Mediziner – fort:
Ich verdanke es meinem Glück und meinen medizinischen Kenntnissen, die Gesundheit bewahrt zu haben. Es war im Jahr des Heiles 1484. Ich fürchtete die Ansteckung und begriff schnell, dass derjenige weder im Krieg oder durch die Pest stirbt, der nicht in ihrer Nähe ist. Ich beschloss also zu fliehen, um nicht das Leben durch eine Unaufmerksamkeit zu verlieren.
Zehn Jahre später schreibt der Nürnberger Bürger ganz ähnlich: „Später, im Jahre des Heils 1494, als eine neue Pestwelle ausbrach, wollte ich zum alten Heilmittel der Flucht greifen“1.
Trieben also Pestwellen den Nürnberger Arzt Hieronymus Münzer aus der fränkischen Reichsstadt auf den Weg, zunächst nach Italien, dann später nach Frankreich, Spanien und fast ganz Westeuropa? Nur weg aus dem Ort, wo Kontakte auch Ansteckung bedeuten konnten? Der Bericht – schon seit langem als Fundgrube kulturgeschichtlicher Beobachtungen geschätzt – zeigt aber, dass viel mehr als die Pest den Nürnberger Arzt seine Reise beginnen ließ. Deshalb seien zumindest seine Prägungen und sein Lebensweg ganz kurz skizziert.
Hieronymus Münzer – oder „Monetarius“, wie sich der Nürnberger Arzt latinisiert nannte – gehörte zum Kreis der Humanisten, die auch am Hofe Kaiser Maximilians (1493–1519) Ansehen genossen2. Geboren wurde Münzer 1437 (oder 1447) in Feldkirch alsältester Sohn des Heinrich Münzer († um 1463) und seiner Frau Elisabeth.Er studierte in Leipzig (1464–1474), später Medizin in Pavia (1476–1477), wurde dort 1479 promoviert und erwarb ein Jahr später das Bürgerrecht in der großen Handelsstadt Nürnberg, wo er sich schon nach seinem Leipziger Studium niedergelassen hatte. Zum Erwerb der Bürgerschaft war ein Mindestvermögen nötig. Gefestigt wurde Münzers Stellung auch durch eheliche Bande, denn er heiratete am 3. Juli 1480 Dorothea und schuf damit Verbindungen zur wichtigen Nürnberger Familie der Kiefhaber. Aus dieser Ehe ging eine Tochter hervor. Beruflich verfasste Münzer in der Reichsstadt verschiedene Gutachten und praktizierte mit anderen Medizinern zusammen wie Johann Cramer und Hermann Schedel. Später gehörten zu diesem Kreis auch Hartmann Schedel, Heinrich Geratwohl und Dietrich Ulsen. Nicht nur durch diese Gruppe blieb er auch nach seinem Studium vielfältig interessiert, dies lässt zum Beispiel seine Bibliothek mit fast 200 Titeln erkennen, deren Zusammensetzung deutlich macht, wes Geistes Kind Münzer war.
In Nürnberg begünstigten die vielfältigen Aktivitäten des Handels auch Forschung und Wissenschaft. Wichtig waren vor allem Mathematik und Astronomie, dann, darauf aufbauend, auch Kosmographie und Geographie. Regiomontanus kam 1471 aus dem fränkischen Königsberg nach Nürnberg, Hartmann Schedel kehrte 1484 nach Nürnberg zurück. Dessen Vetter, Hermann Schedel, starb am 4. Dezember 1485 in der Reichsstadt; aber schon er hatte einzelne humanistisch Interessierte wie Dr. Hieronymus Münzer, Dr. Sebald Mulner, Dr. Heinrich Geratwol, Dr. Lorenz Schaller sowie weitere Personen wie Johannes Löffelholz, Dr. Conrad Schütz, Johann und Georg Pirckheimer, den Prior der Nürnberger Kartause, um sich geschart. Aus dem Ägidienkloster trat Abt Johannes Radenecker hinzu. Obwohl es in Nürnberg keine Universität gab, blühte der gelehrte Austausch, der mit diesen Namen nur unvollständig charakterisiert ist.
Weiterhin dürfte Martin Behaim nach seiner Rückkehr aus Portugal 1491 das geistige Klima in Nürnberg entscheidend mitbestimmt haben. Er vollendete 1492 in Nürnberg seinen „Weltapfel“. Auf diesem Globus ist ein enormes geographisches Wissen erkennbar, an dessen Erarbeitung wohl – wie man schon früh vermutet hat3 – auch Schedel und Münzer beteiligt waren. Münzer schrieb sogar am 14. Juli 1493 an König Johann II. von Portugal einen Brief, in dem er diesen im Namen des Königs Maximilian zur Umsegelung der Welt aufforderte, um China zu erreichen. Für dieses Unternehmen empfahl er dem König Martin Behaim als kundigen Seemann und Begleiter4. Ob die Entdeckung der Neuen Welt – Kolumbus kehrte von seiner ersten Reise am 4. März 1493 zurück – in Nürnberg zu dieser Zeit schon bekannt war, scheint unerheblich, denn an zahlreichen geographischen Erkenntnissen waren wohl schon vorher Nürnberger Gelehrte beteiligt. Seine geographischen Kenntnisse stellte Münzer ebenso bei seinen Korrekturen am Blatt „Europa“ in der Schedelschen Weltchronik unter Beweis; auch an der Schedelschen Karte von Deutschland war Hieronymus Münzer wohl beteiligt5.
Da Münzer also schon früh zu jenem humanistischen Kreis gehörte, der am Ende des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts das intellektuelle Leben in Nürnberg bestimmte, dürften diese Kontakte, seine Verwurzelung in einer Handelsfamilie, seine Frömmigkeit und seine medizinisch-anatomischen aber auch allgemein kulturgeschichtlichen Interessen seine Reisen mitbestimmt haben. War die Pest also – gemäß einer klassischen Unterscheidung – eher der Anlass, während die Gründe tiefer lagen? Münzer traf beispielsweise im Januar 1495 den spanischen König Ferdinand, worüber das Itinerarium ausführlich berichtet. Sollte er, wie man vermutet hat, den spanischen Herrscher zu einer Entdeckungsreise in ozeanische Gefilde überreden?
Nach 1495 scheint Münzer nicht mehr gereist zu sein; wichtig für ihn wurde die Hochzeit seiner Tochter Dorothea am 3. Juli 1499 mit dem Patrizier Hieronymus Holzschuher, die der sehr hohen Ausgaben wegen (600 Gulden) im Rechnungsbuch Münzers verzeichnet wird. Damit war der Anschluss an die großen Nürnberger Familien endgültig erreicht. Aus der Ehe seiner Tochter gingen Kinder hervor, drei überlebten. Der Tod seiner Frau Dorothea am 30. September 1505 traf Münzer sehr. Vielleicht errichtete er deshalb Anfang 1506 zwei Stiftungen: eine Studienstiftung sowie eine zweite in der Pfarrkirche St. Nikolai. Zwei Jahre später, am 27. August 1508 starb Hieronymus Münzer. Sein Epitaph, das von Schedel oder Holzschuher stammen könnte, hebt hervor, dass er fast ganz Europa bereist habe (totam ferme Europam peragrauit)6.
Wenn man sich verdeutlicht, in welcher Welt der Autor des Reiseberichtes lebte, erschließen sich auch die Interessensfelder in seinem Reisebericht. Seine Mitarbeit in Nürnberger humanistisch-kosmographischen Zirkeln, die Sorge um den Nürnberger und den Handel insgesamt, aber auch die Interessen eines Gelehrten, der die Artes und die Medizin studiert hatte, boten spezifische Voraussetzungen, um sich fremde Welten zu erobern. Recht wenig ist aus Nürnberger Quellen zu Münzers religiösem Hintergrund zu erfahren. Hier scheint es fast so, dass der Reisebericht selbst mit seinen zahlreichen Reliquienbeschreibungen, seinen Bemerkungen zu Pilger- und Devotionsstätten, aber auch zu anderen Religionen wie dem Islam oder dem Judentum die entsprechenden Facetten des Autors erschließt.
Hieronymus Münzer war mobil, aus Vorarlberg stammend, mit Studien in Leipzig und Pavia hatte er schon vor und zu Beginn seiner Nürnberger Zeit viele Eindrücke aus der Fremde sammeln können. Soweit wir wissen, unternahm er von Nürnberg aus drei Reisen: 1483/84 nach Italien – angeblich auch, um der Pest zu entfliehen – und 1484 nach Lüttich. Von beiden Reisen wissen wir sehr wenig, dafür umso mehr von der hier wichtigen Westeuropareise 1494/95. Seine Fahrt und der spätere Bericht sind miteinander verknüpft, aber es ist wichtig, Erlebnis- und Berichtsebene zu scheiden, denn es wurde ja nur ein Bruchteil des Gesehenen in einen möglichen Bericht integriert, ganz zu schweigen von Auslassungen, literarischer Gestaltung und weiteren Aspekten1. Deshalb sei der Blick zunächst auf das Reisen und die Reise selbst gerichtet.
Dass Reisen ein gefährliches Unterfangen war ist bekannt, wird aber oft nicht ausreichend berücksichtigt. Angesichts der Unsicherheit der Straßen, der Mühen und Strapazen, der Wegelagerer, Diebe und Betrüger und vieler anderer Dinge mehr war die Rückkehr von einer Reise oft mehr als ungewiss. Nicht zuletzt der Pilgerführer nach Santiago de Compostela aus dem 12. Jahrhundert2 führt diese Gefahren plastisch vor Augen, auch andere Quellen sind dazu einschlägig. Gleichwohl nahm das Reisen im Laufe des Mittelalters zu, dies betraf aber verschiedene Personengruppen und letztlich auch unterschiedliche Arten des Unterwegsseins3.
Verschiedene Kategorien mögen helfen, wenn man fragt: Warum reisen die jeweiligen Protagonisten, was nehmen sie wahr und schließlich wohin reisen sie? Die ersten beiden Fragen – die für Münzers Reise noch offen sind – zielen im Grunde zugleich auf Typisierungen von Reiseformen: Was unterschied die Reise eines Adeligen oder eine Brautreise von einer Pilgerfahrt, was die diplomatische Reise von einer Handels- oder Handwerkerreise, vielleicht gar von einer militärischen Expedition? Etiketten wie Adelsreisen, Missionsreisen und Entdeckungsreisen, Pilgerreisen – sei es nach Rom, Jerusalem oder Santiago – Heidenfahrten und Kavalierstouren, Bäder- oder Bildungsreisen bieten nur einige gängige Klassifizierungen. Da aber häufig – auch im Falle Münzers – weniger eine einzelne Motivation, sondern ein Knäuel von Motiven das Reisen bestimmte, mag ein einzelnes Etikett sogar in die Irre führen: Bei Münzer kamen zum Beispiel kosmographische, wirtschaftliche und religiöse Interessen, vielleicht auch politische Aufträge zusammen.
Verglichen werden kann Münzers Reise aber aufgrund des Zielgebietes, das sich mit zwei weiteren großen Reisen trifft: Westeuropa und insbesondere die Iberische Halbinsel standen auch bei dem böhmischen Adeligen Leo von Rožmital und dem Breslauer Kaufmann Nikolaus Popplau, die 1465 bis 1467 und 1483 bis 1486 in Westeuropa unterwegs waren und darüber berichteten, im Vordergrund.
Münzer reiste nicht wie Adelige mit großem Gefolge, aber sich ganz allein auf den Weg zu machen, war ebenso undenkbar. Drei Begleiter wählte er aus: Anton Herwart, Caspar Fischer und Nikolaus von Wolkenstein. Laut seiner Einleitungsbemerkungen verfiel er nicht zuletzt auf Grund kaufmännischer Erfahrung und ihrer Sprachkenntnisse auf diese Personen4. Diese als socii bezeichneten Männer werden im Bericht nicht mehr so oft erwähnt, dürften ihm aber bei der Reise stets zur Hand gegangen sein, erschlossen auch manchen Kontakt in die Kaufmannswelt.
Deshalb waren die neuen Kontakte – die zuweilen vorbereitet waren – fast wichtiger. Ganz besonders wurde Fremdes auch durch die Landsleute im Ausland angebahnt5. Der Bericht ist voll von entsprechenden Bemerkungen: Es waren Mitglieder der Großen Ravensburger Handelsgesellschaft, Künstler, Mönche und Kanoniker, Drucker, Geschützmeister und viele andere mehr6, welche die Gruppe empfingen, die Örtlichkeiten zeigten und vielleicht auch in sprachlicher Hinsicht die Kommunikation vereinfachten, somit die Fremde erschlossen7.
Weiterhin fanden Personen Aufmerksamkeit, die über die Netzwerke des Kartäuserordens mit Nürnberg verbunden waren, wie Münzer in der Kartause bei Antwerpen feststellte8, oder gelehrte Humanisten wie in Portugal Duarte Galvão, der einen akademischen Lehrer (Dr. Johannes Burckstaller) Münzers kannte9.
Neue Personen traten hinzu, die zugleich als „Türöffner“ durch ihre Empfehlungsschreiben fungierten. So ebnete der neue Erzbischof von Granada, Hernando de Talavera, durch seine Schreiben den Weg zu den Katholischen Königen, die Münzer dann später in Madrid treffen durfte. Die Briefe heißen im lateinischen Text meist Litterae promotionales, es waren Empfehlungsschreiben. Manche dieser Briefe werden auch als Litterae passus bezeichnet, sie sollten offensichtlich den Übertritt der Grenzen in ein weiteres Herrschaftsgebiet erleichtern. Sie werden im Reich Granada, in Portugal, in Madrid und in der Picardie genannt. Diese Schriftstücke dokumentieren vielleicht eine Vorform des Ausweises, des Visums und könnten somit gut mit dem Terminus „Passierschein“ vorläufig bezeichnet werden.
Münzer reiste mit seinen drei Begleitern in kleiner Gruppe, zu Pferd, und notierte die Reisedistanzen in der Regel tageweise genau. Allerdings sind die Meilenangaben, die meist mit dem lateinischen Wort leuca (zuweilen auch milia) angegeben werden, nicht völlig verlässlich und nehmen wohl auch auf lokale Gepflogenheiten Rücksicht, wie die Bemerkungen zu den langen Meilen in Katalonien nahelegen1. Die auf der Karte2 eingezeichneten Orte verraten aber noch nicht, was Münzer interessierte oder besser: was ihm des Aufzeichnens wert erschien.
Jedoch erschließt die Reiseroute verschiedene Interessensfelder. Erscheint die Italienreise von 1484 noch ganz einem klassischen Ablauf entsprechend, bei dem die wichtigen Städte Ober- und Mittelitaliens besucht wurden, so dringt die Westeuropareise 1494/95 in Neuland vor. Münzers Streckenführung über die Schweiz und das Rhônetal nach Katalonien und der Rückweg über Roncesvalles, Tours, Paris und Belgien folgte bekannten Wegen und entspricht teilweise der „Ober“- und die „Niederstraße“, die Hermann Künig von Vach 1496 in seinem Führer für Jakobspilger unterschied3. Handels-, Reise- und Pilgerwege waren häufig identisch.
Den ersten Teil seiner Fahrt charakterisiert Münzer selbst in seiner Rede vor den Katholischen Königen in Madrid, die er dort gehalten haben soll. Der Bericht integriert diese rhetorische Leistung, die alle Erlebnisse der Reisegruppe auf die prägende Kraft der Katholischen Könige zuspitzt4:
Heiligste und mächtigste Könige! Die Größe der Taten, die Eure Majestäten vollbracht haben, ist auf dem ganzen Erdkreis bekannt, und die Fürsten und Adligen Deutschlands sind voller Bewunderung, dass die Reiche Spaniens, die in der vergangenen Zeit wegen der zahlreichen inneren Kriege, des heimlichen Hasses und der privaten Interessen fast vollkommen erschüttert schienen, am Boden zerstört, dass diese Reiche nun ein Stern in so kurzer Zeit von der höchsten Zerstrittenheit zu einem so großen Frieden, zu einer so großen Ruhe und zu einem so großen fruchtbaren Zustand hat führen können.
Weil viele dies nicht hätten glauben können, habe er sich mit seinen Begleitern selbst auf den Weg gemacht, um die Ergebnisse des königlichen Waltens in Augenschein zu nehmen. Und dann lässt er die Reise ab Katalonien Revue passieren, zunächst den Wiedererwerb der Grafschaft Roussillon: „Diese Grafschaft, die an den König Ludwig verpfändet worden war, gab dessen Sohn Karl freiwillig an Euch zurück und wollte, dass sie wieder Eurem Szepter unterstehe.“ Barcelona sei nach Rebellionen befriedet worden: „jetzt sahen wir sie [die Stadt Barcelona] aber unter Euren Auspizien wiederinstandgesetzt und in einem besseren Zustand.“
Es folgen Bemerkungen zum bekannten Kloster Montserrat, zu Poblet, der Grablege einiger Könige, und schließlich zu Valencia und dem alten, erst vor kurzem durch die Katholischen Könige eroberten Granada. Dort herrschten schon neue Adelige, die Münzer – wie er sagt – Auskünfte gegeben hätten: „Wir wurden über die wichtigsten Dinge durch den Grafen von Tendilla und durch den ehrwürdigsten Herrn Erzbischof informiert“. Alhama, Malaga und Sevilla boten neue „Wunder“, denn „wir sahen einige neue Menschen, zu unseren Zeiten bisher unbekannt, die man aus den Ländern Indiens herbeigebracht hatte, den Ländern, die unter Euren Auspizien entdeckt wurden.“
Auch am Hof des Königs von Portugal wurde die Gruppe „über die Dinge in Äthiopien und die südlichen Länder informiert“. Über Santiago, Salamanca und Toledo seien sie nun auf die „Urheber solch großer Taten“ gestoßen: „Wir kommen, ich sage es, zu den Königen, durch welche die Rechte des Herrn die Völker aufrichtete, Reiche unterwarf und neue Menschen entdecken ließ.“
Die Rede spitzt alles – auch im Stil humanistischer Rhetorik – auf den Besuch bei den Katholischen Könige zu, und in der Tat könnte Münzer Aufträge König Maximilians und anderer zum Kontakt an den Höfen von Évora/Lissabon und Madrid mitgeführt haben. Weitere Motive für Münzers Reise lassen sich auch an der Verweildauer ablesen, denn auf der Iberischen Halbinsel hielt Münzer sich deutlich länger als in anderen Gegenden auf. Die Karte erschließt gut die etwas längeren Aufenthalte (in Spanien 14 Orte, in den anderen Gegenden, vor allem Westfrankreich und Flandern neun Orte).
Münzers Reisen 1483/84 und 1494/95 (R. Hurtienne, V. Trenkle, Chr. Gürtler)
Die Hauptaktivitäten lassen sich bündeln:
Münzer traf nicht nur auf der Iberischen Halbinsel zahlreiche Händler und notierte Handelsgüter sowie Handelsströme. Dies scheint vor allen Dingen im katalanisch-valencianischen Raum, in Portugal und in Flandern der Fall gewesen zu sein. Bei diesen Kontakten traten oft die am Ort ansässigen Deutschen in den Vordergrund. Ob Münzer Aufträge zu Sondierungen besaß, ist allerdings nicht sicher. In diesen Zusammenhang gehören auch seine Notizen zu den zahlreichen Schätzen aus den Afrikareisen, die er nicht nur im Itinerarium, sondern auch in einem gesonderten Traktat niederlegte5. Wenn man die Bemerkungen zu Barcelona und Valencia mit denen in Portugal vergleicht, so scheint der Nürnberger Arzt die Zeichen der Zeit erkannt zu haben: Der künftige Handel würde mehr auf den Atlantik als auf das Mittelmeer ausgerichtet sein.
Besonders die Besuche am Hofe Johanns II. in Portugal und am Hof der Katholischen Könige in Madrid könnten nicht nur auf politische Aufträge schließen lassen. Hier traf Münzer auch Vertreter des Humanismus wie Cataldus und Petrus Martir, deren Werke er erwähnt. Zum zweiten lobte er die Politik dieser Herrscher und die Erziehung der jungen Prinzen am Hof. Vielleicht „sichtete“ er sogar die Ehepartner zur Vorbereitung der 1496 stattgefundenen habsburgischen Doppelhochzeit6.
Zahlreiche Bemerkungen zur Landschaft, zu den Distanzen, zu Vegetation, Flora und Fauna bieten dem Leser ein breites Spektrum zu den verschiedenen Pflanzen, aber auch zu Bewässerungsverfahren, Herstellung von Rosinen, Glas und Zucker oder zur Funktionsweise von Ölmühlen. Münzer interessierte sich für Gärten, Bewässerung, Pflanzen und Früchte, Bodenschätze, Heilquellen, Märkte, Preise, Handelsaustausch und Städtebilder. Nicht nur die Betrachtung einer „Kosmographie“, womit wohl die Karte des Fra Mauro gemeint ist, lässt die verschiedenen kosmographischen Interessen Münzers deutlich erkennen. Aufträge für den Nürnberger Gelehrtenkreis sind deshalb wahrscheinlich, ohne dass völlig klar wird, wie gezielt diese Aufgaben waren.
Daneben waren die Interessen Münzers breit, Lehren und Praktiken des Islam, auch die Frage der Judenpolitik blieben auf der gesamten Reise eine wiederkehrende Thematik. Es ging ihm aber nicht nur um fremde Religionen, vor allem außerhalb Spaniens werden Heiligenzentren der Schweiz und Südfrankreichs ausführlich – auch mit Gedichten und Epigrammen – gewürdigt. Vielfach paarte sich dieses Interesse mit der Beschreibung von Reliquien und Kirchenschätzen. Der wirtschaftliche Sinn kam dem Nürnberger dabei nicht abhanden, denn mehr als einmal notierte er den Wert der einzelnen kostbaren Stücke. Die Abschrift aus dem Liber Sancti Jacobi in Compostela bietet ein Dossier, das sich nicht nur aus dem Interesse für Jakobus, sondern auch aus einem Faible für die Karlsepik speiste7.
Handel, Politik, Religion und Wissenschaft dürften somit die vielfältigen Reisemotive Münzers charakterisieren. Münzers Wissensdrang war groß, er ging aber noch zuweilen über diese hier kurz skizzierten Interessen hinaus, denn der Nürnberger Arzt beschreibt – was in dieser Zeit noch die Ausnahme war – häufig und detailliert die Landschaft. Dazu traten religiöse Gebräuche – Reliquienkult und Mönchsgemeinschaften –, fremde Religionen, künstlerische Werke, Exotica, Universitäten, Apotheken, Spitäler und praktische Dinge, die seine Aufmerksamkeit erheischen. Dies reichte bis zur Organisation des Abwassersystems in Barcelona. Gewiss spielen auch Empfänge bei Hof eine Rolle, aber weniger als in den anderen Reiseberichten von Adligen und Patriziern.
Dass Münzer das viele Neue häufig mit Bekanntem aus seiner Heimat verglich entspricht dem Bedürfnis, Unbekanntes zu begreifen, also auf den Begriff zu bringen8. Vergleiche finden sich zuhauf in Münzers Bericht. Münzer hat sich aber nicht nur deshalb auf den Weg gemacht, um sein bisheriges Wissen durch Anschauung zu bestätigen oder zu erweitern, wenn auch die curiositas, die manche für ein Merkmal der beginnenden Neuzeit halten, in seinem Itinerarium zuweilen erkennbar ist.
Dies erschließt vielleicht auch sein Interesse an fremden Religionen. Im alten Reich Granada lebten nach der Eroberung durch die Katholischen Könige 1492 noch zahlreiche Muslime: Gebetsriten, Bestattungen und anderes interessieren den Nürnberger Arzt. Dieses Interesse wurde in Zaragoza fortgesetzt, denn dort erläuterte ihm angeblich ein „Priester“ der Muslime, wie es mit der Vielehe stehe. Trotz mancher Kritik lobte der Nürnberger Arzt aber die Arbeitskraft der Muslime, die ihm sogar in manchen Gegenden unentbehrlich erschien. Ganz anders war seine Haltung zu den Juden oder den als „Marranen“ bezeichneten neu getauften sogenannten Conversi, die Münzer am Mittelmeer, aber auch in Lissabon und immer wieder erwähnte und deren Ausweisung er kommentierte: Hier teilte er ganz die rigorose Politik der Katholischen Könige und war in seiner Meinung vielleicht auch von ähnlichen Tendenzen im Reich zu Ende des 15. Jahrhunderts mitbestimmt.
Aber wie hielt er es mit der eigenen Religion? Was bedeutete ihm der kritische Vergleich von Reliquien? Wie können, so fragte sich nicht nur Münzer, sondern später auch Arnold von Harff, Jakobusreliquien in Toulouse vorhanden sein, wo doch der gesamte Leichnam in Compostela ruht? Die Kritik am Reliquienwesen ist alt, gewann aber neue Aktualität und hat später auch Martin Luther zu seiner Kritik an der Compostelafahrt geführt9. In Compostela bemängelte Münzer, dass er den Leichnam des Apostels nicht sehen konnte und fügte seufzend – oder ironisch? – hinzu, dass wir dies alles nur glauben könnten10. Der praktische Pilgerbetrieb in Compostela schien Münzer aber vor allem zu stören, und ähnlich kritisch vermerkt er zur Aachenfahrt, dass die Pilger dort mit viel Geld kämen und mit leerer Börse heimkehrten11.
Es wäre einseitig, nur die kritischen Bemerkungen Münzers aufzugreifen: Pilgerorte wie St-Maximin, Les Saintes-Maries-de-la-Mer, Montserrat, Santiago de Compostela, Guadalupe, Toulouse, Tours oder Saint-Josse-sur-Mer fanden ebenso wie Aachen, Köln oder weitere bedeutende, auch künstlerisch interessante Klöster sein Interesse. Er wollte eben alles besuchen und sehen, was es zu sehen gibt. Und wo man den Reisenden Reliquien am Altar, in der Sakristei oder Schatzkammer zeigte, vermerkte Münzer dies gerne, manche Bemerkungen deuten darauf hin, dass er als Gedächtnisstütze vielleicht wie in Toulouse oder Tours einen Reliquienzettel erhielt oder abschrieb. Oft scheint er sich sogar mehr für den materiellen als für den spirituellen Wert zu interessieren, Reliquien und besonders Reliquiare waren schließlich zu teuren Kunstwerken geworden. In vielen Dingen sah Münzer aber auch auf den größeren politischen und kulturellen Kontext religiöser Phänomene. Deutlich wird dies zum Beispiel an den Gebräuchen in Saint-Josse-sur-Mer12, aber nicht nur dort. Wenn er in Santiago de Compostela Passagen des Liber Sancti Jacobi abschrieb, interessierten ihn vor allem die aus der Epik bekannten angeblichen Heldentaten Karls des Großen in Spanien. Aber er wollte auch mehr über einen so wichtigen Kult wie den Jakobuskult wissen – wenn er zum Beispiel das Kapitel über die Pilgermuscheln in seinen Bericht integrierte.
In vielen Abschnitten beschritt die vierköpfige Gruppe Wege, die heutige Pilger wieder für sich entdeckt haben: Neben dem klassischen „Camino francés“, den er nach seiner Abreise aus Compostela bis zu den Bergen von León nutzte, folgte er von Almería nach Granada dem heutigen „mozarabischen Weg“, in Portugal auch dem sogenannten „Camino portugués“. In Frankreich reiste er nicht nur auf dem Hinweg von Arles bis Narbonne, sondern auch bei seinem Weg von Poitiers bis Paris und folgte damit der sogenannten Ober- und Niederstraße. Erst danach entfernte sich Münzers Route – wahrscheinlich des Seehandels wegen, von derjenigen des fast zeitgleich gedruckten Pilgerführers des Hermann Künig von Vach (1496)13.
Unser Kosmograph notierte aber nicht nur die Distanzen zwischen den Städten, sondern auch die Lage (meist von einem Kirchturm in Augenschein genommen) oder auch die Bauwerke einer Stadt. Für viele (Sakral-)Bauten ist Münzer sogar die einzige Quelle, um den Zustand am Ende des 15. Jahrhunderts kennenzulernen. Größe, Breite und Höhe der Kirchen werden vermessen, mit Schritten, mit Handspannen, Ellen oder anderen Hilfsmitteln. Kleriker und Pfründen werden ebenso wie Ausstattungsgegenstände oder Gebräuche (Prozessionen in Santiago, Ritterschlag in Saint-Josse usw.) wahrgenommen. Er sah und hörte offensichtlich mit höchster Aufmerksamkeit.
Für Kunst und Kunsthandwerk sind seine (freilich nicht immer ganz klaren) Beschreibungen oft einzigartig und werden von Kunsthistorikern sehr geschätzt, denn sie bieten nicht nur eingehende Beschreibungen der Objekte wie zum Genter Altar14, sondern auch Hinweise zum Entstehungsprozess, zu den (zuweilen aus Deutschland stammenden) Bauhandwerkern und vieles andere mehr. Förderer waren auch Kaufleute: Kunst und Kommerz hingen zusammen.
Auch seine ständige Sorge, ob Klöster der Reformbewegung der Observanz folgten, zeigt, wie sehr der Nürnberger Humanist in den Diskussionen der Zeit zuhause war und wie er die Reformpolitik Ferdinands und Isabellas in dieser Frage zunehmend an den Orten kennenlernte und würdigte. Ob er die spezifisch iberischen Gemeinschaften der Hieronymiten und das Vorbild des Hieronymus so sehr schätzte, weil dies an seinen Namenspatron erinnerte? Ähnliches galt auch für andere Themen der Zeit, wie den Krieg von Granada, die Thronfolge in Frankreich oder Portugal und besonders für die Neuigkeiten zur sogenannten Europäischen Expansion.
Die politischen Interessen, die sich in Besuchen niederschlugen und teilweise erst durch Empfehlungen und Vermittlung möglich wurden, sind vielfältig und wirkten wie ein Schneeballsystem. Herausgehoben sind die Besuche am portugiesischen und kastilisch-aragonesischen Königshof. Aber auch bei Statthaltern und Bischöfen war Münzer zu Gast. In Navarra oder in Orléans wollte Münzer die Herrscher sehen und erreichte dies auch, bis hin zu der etwas merkwürdigen Szene, als ihm der kränkelnde französische Thronfolger gezeigt wurde, den er von einer Brücke aus betrachten durfte15.
Orte, Bauwerke, Institutionen und Personen waren wichtig, dazu traten aber die der Kosmographie geschuldeten Interessen, die Landschaft aufzunehmen. Zwar scheint hier später manches stereotyp und nicht immer stimmig niedergelegt, aber in der Regel beobachtete Münzer genau. Interesse an Flora und Fauna schloss wirtschaftliche Hintergründe ein, denkt man nur an den Safranhandel des 15. Jahrhunderts. Jedoch wird fast alles erfasst: Die genannten agrarischen Produkte und Pflanzen stellen für jede Übersetzung auch eine Herausforderung dar. Tiere in den herrschaftlichen Gehegen registrierte der Nürnberger Arzt ebenso, besonders exotische Tiere, von denen zum Beispiel eine Schlangenhaut oder ähnliches in Kirchen aufgehängt war. Und welche Mühe machte es Münzer, eine Gazelle zu beschreiben! Die genannten Früchte und agrarischen Produkte, deren Gedeih auch von den häufig gerühmten Bewässerungssystemen abhing, wurden oft exportiert, wie Malvasierwein, Safran, Wolle oder auch Rosinen. Deren Herstellung interessierte Münzer ebenso wie die Verarbeitung von Oliven zu Öl und anderes. Denkt man daran, dass er in jeder Landschaft immer auch Produkte, an den Kirchen Pfründen und beim Betrachten der Reliquien Geldwerte angab, dann scheint Münzer zwar Kosmograph, aber in vielem auch ein Homo oeconomicus gewesen zu sein. Er machte seinem Namen Münzer oder Monetarius also alle Ehre, obwohl ihn noch viel mehr interessierte, dies lässt der aufgezeichnete Bericht an vielen Stellen erkennen.
Eine Skizze der Kathedrale in Santiago de Compostela steht fast genau in der Mitte des Itinerariums, wie der Bericht sich nennt. Was fand von Münzers Eindrücken Eingang in den Bericht? Konnte Münzer alles angemessen in Worte fassen? Zuweilen greift er – wie in Compostela – zur Zeichnung, obwohl dies nicht sehr oft geschieht. Die Entstehung des Itinerariums ist eine eigene Geschichte, die hier nur kurz resümiert werden kann1.
Ohne Hartmann Schedel wüssten wir von Münzers Reise so gut wie nichts, denn fast alle Informationen entstammen dem Itinerarium, das uns nur in einer Abschrift Hartmann Schedels in der Münchener Handschrift (Clm 431) überliefert ist. Die Entstehung des Berichtes wird dort aber nicht explizit thematisiert, grundsätzlich folgt der Text dem Reiseverlauf. Trotzdem ist die gesamte Handschrift aufschlussreich, denn sie enthält neben dem Itinerarium weiteres Material, das zusätzliche Überlegungen zur Reise und zur Abfassung des Berichtes bereithält. So zeigen die weiteren Teile der Handschrift, dass Hartmann Schedel Materialien Münzers als Beilagen aufgenommen hat, die teilweise eine Grundlage zur Abfassung des Berichtes geboten haben dürften2. Einzelne Schriften wurden aber nicht wie der Liber Sancti Jacobi in den Text integriert, sondern ausgelagert, zum heiligen Mamertus in Vienne, zur Lobesrede des Alfons de Ortiz auf die Katholischen Könige oder zu den Entdeckungsfahrten nach Afrika. Weitere Ergänzungen betreffen die Epigramme des in Portugal von Münzer aufgesuchten Humanisten Cataldus und einige andere kleine Notizen, wie auf Folio 303. Dort wird die Situation in Freiburg im Üchtland beschrieben; dies zeigt, wie ein Notizzettel Münzers ausgesehen haben könnte3. Wer die Verschränkungen und die internen Verweise vornahm, Münzer oder Schedel, bleibt jedoch offen. Da Münzers Itinerarium aber nur über Schedels Abschrift greifbar ist, können Rückschlüsse auf die Eigenheiten im Einzelfall Hartmann Schedel und nicht Hieronymus Münzer selbst betreffen.
Trotzdem suggeriert das Itinerarium, dass Münzers persönliche Reiseeindrücke in die schriftliche Fassung eingingen. Die Struktur variiert: Schon beim schlichten Durchlesen werden unterschiedliche Schwerpunkte erkennbar. Dominieren noch in Frankreich vielfältige Notizen zur Hagiographie, zu den Heiligen, zu Gräbern und ihren Epitaphien, so erscheint der insgesamt sehr lange Teil zur Iberischen Halbinsel deutlich ethnographischer. Die Fremdheit führt auch zu „politischen“ Kommentaren: Judenpolitik, Krieg von Granada, dynastische Entwicklungen oder die sogenannten Entdeckungsfahrten treten in den Vordergrund. Beim Rückweg fällt auf, wie sehr die Universität und die Reliquienschätze das Bild von Paris bestimmten.
Tagesdaten und Distanzen werden in verschiedener Form notiert, Meilenangaben manchmal am Rand wiederholt. Bei längeren Aufenthalten gibt es aber zuweilen Unstimmigkeiten, zuweilen auch Irrtümer (so in Zaragoza). Besonders interessant ist Folio 129, denn an falscher Stelle sind hier Bemerkungen zum nördlichen Navarra in die Handschrift eingebunden. Zuweilen sollte vielleicht noch etwas ergänzt werden, dies zeigen zum Beispiel die halb leeren Folien vor und nach der Rede, die Münzer vor den Katholischen Königen in Madrid hielt. Manche allgemeine Betrachtungen werden bei längeren Aufenthalten eingeschoben, so zum Beispiel zu den „Marranen“, zum Krieg um Granada oder über das Reich Navarra, so als ob man einen passenden Ort im chronologischen Ablauf gesucht hätte. Ob Kirchen oder Institutionen ausführlich oder nur summarisch beschrieben werden, folgt keiner besonderen Systematik und hing vielleicht auch an den Bedingungen und Informationen während der Reise selbst.
Die jeweilige Länge der Schilderungen lässt Unterschiede erkennen: Die Aufenthaltsdauer, die Vermittler und deren Informationsfreude, aber auch das persönliche Interesse und/oder die schon vorher (oder während der Reise) erhaltenen oder im Zuge der Verschriftlichung hinzugekommenen Informationen könnten eine Rolle gespielt haben.
Neue Informationen, besonders hinsichtlich der Größe, der Anordnung und Lage von Städten erschloss Münzer im Vergleich mit Nürnberger oder süddeutschen Verhältnissen. Diente dies nur der Selbstvergewisserung oder betraf das auch Informationen, die zum Beispiel für die Schedelsche Weltchronik relevant waren? Es bleibt auffällig, dass Zeichnungen erst ab seinen Erläuterungen im Reich Granada in nennenswertem Maße erscheinen. Lagepläne, Wappen, Kirchen gehören dazu.
Viel trugen die (deutschen) Personen im Ausland bei, Dolmetscher und Begleiter halfen zudem. Es wird deutlich, wie sich im Laufe der Reise und auch des Berichtes zunehmend ein Netzwerk an Personen etablierte, die mündliche Informationen des Reisenden geradezu legitimierten. Dazu trat klassisches Wissen, das Münzer einstreut, zum Beispiel mit Zitaten aus den Werken des Plinius.
Die Gestaltung des Itinerariums selbst ergibt sich auch aus den vielen Binnenverweisen. Rück- und Vorgriffe, Hinweise auf Früheres und Späteres, also Vor- und Rückverweise kennzeichnen den Bericht und belegen eine grundsätzlich chronologische Anlage der Aufzeichnungen. Die Notizen, die Münzer wahrscheinlich von seiner Reise mitbrachte, mögen dennoch disparat strukturiert gewesen sein.
Natürlich verarbeitete Münzers Itinerarium auch Vorlagen, aber insgesamt eingeschränkt. Neben der resümierenden Abschrift aus dem Liber Sancti Jacobi in Compostela, die darauf hindeutet, dass vielleicht ein anderes und von der heutigen Fassung verschiedenes Exemplar in Compostela vorhanden war, sind es kurze Abschnitte, die übernommen wurden. Inschriften (ein besonderes Interesse Schedels), Epigramme, Reliquienzettel oder Schatzverzeichnisse seien hervorgehoben.
Damit ist die Abfassungsweise des Itinerariums angesprochen. Neben Münzers und Schedels schon vorhandenen Wissensbeständen wurden manche Texte in kondensierter Form aufgenommen, dies gilt zum Beispiel für die hagiographischen Traditionen um Mamertus oder die Auszüge aus dem Liber Sancti Jacobi. In beiden Fällen wurde in humanistischer Manier gekürzt und zugespitzt. Notizen in der Handschrift wie zu den Reliquien und Ablässen in Toulouse entlasteten den Text, es wird im Itinerarium sogar darauf verwiesen. Bücher oder Hefte, die Münzer in Orléans zur Gallia (Anthonius Astensis4) oder in Sevilla (Rede des Alfonso Ortiz an die Katholischen Könige5) gezeigt oder gegeben wurden, boten Material zur Darstellung von Zusammenhängen (wie dem Hundertjährigen Krieg oder dem Krieg gegen Granada), ohne dass diese Materialien zu wörtlichen Vorlagen wurden. Zusätzliche Erläuterungen boten die verschiedenen Schriften des in Portugal getroffenen Humanisten Cataldus oder die eigenständige Schrift zu den portugiesischen Fahrten der Europäischen Expansion.
Diese Hinweise zur Abfassungsweise müssen mit weiteren Informationen verbunden werden, die dem Itinerarium selbst zu entnehmen sind. Ob Inschriften, Epigramme und anderes nur am jeweiligen Ort kopiert wurden, bleibt fraglich, manchmal ist das Itinerarium aber der einzige Überlieferungsträger. Offensichtlich wurden auch die Spuren der Abfassungsweise verwischt, denn dass Münzer den Text des Alfonso Ortiz in Sevilla erhielt, berichtet nicht das Itinerarium, sondern ein späterer Abschnitt der Handschrift6. Neben schriftlichen Vorlagen, Erweiterungen und Hinweisen ist der Beitrag der mündlichen Informanten nicht zu unterschätzen, denn woher kannte Münzer zum Beispiel die Zahlen zu Einwohnern oder zu den Klerikern und Pfründen einer Kirche?
Insgesamt wird deutlich, dass der Reisebericht vielleicht auf Tagebuchnotizen basierte, dann aber in verschiedener Weise „angereichert“ und weiter entwickelt wurde. Wer dies in welchem Maße tat, bleibt wie gesagt offen. Manches deutet darauf hin, dass Münzer vielleicht größere Verantwortung für den spanischen, Schedel für die restlichen Abschnitte besaß. Die Beobachtungen zur Verschriftlichung treffen sich durchaus mit Überlegungen zu den zahlreichen auch neu gefundenen Notizzetteln Hartmann Schedels7 und damit zur Arbeitsweise der Nürnberger Humanisten.
In der Sprache des Itinerariums dominiert ein eher einfaches, umgangssprachliches, zuweilen sogar parataktisches Latein mit grammatischen Eigenheiten. Zahlreiche Floskeln bestimmen den Text, so etwa, dass man etwas – um kurz zu bleiben – nicht weiter ausführen könne. Neologismen (auch aus romanischen Sprachen) finden sich zuweilen, insbesondere ist das Vokabular zu den Südfrüchten bemerkenswert. Dazu treten einzelne deutsche Wörter oder lautmalerische Transkriptionen des muslimischen Gebetsrufes.
Gerade die Ausführlichkeit dieses in einem einfachen Humanistenlatein verfassten Berichts sowie das breite Interesse des Verfassers machen den Bericht Münzers über fremde Länder, fremde Menschen und fremde Sitten zu einer Fundgrube für den heutigen Leser, der neben kulturgeschichtlichen Details auch die Weltsicht, die Neugier und das geistige Klima im Zeitalter des Humanismus und der „Entdeckungsreisen“ aus einer persönlichen und zugleich für einen gewissen Personenkreis repräsentativen Perspektive kennenlernen möchte. Das Itinerarium wurde lange Zeit nur in seinen spanischen Teilabschnitten ediert, danach folgten einzelne Ergänzungen1. Gleichzeitig mit dieser Übersetzung lege ich erstmals eine Gesamtausgabe des lateinischen Textes vor, die mit einer Kommentierung und ausführlichen Literaturangaben den Text in den verschiedenen Facetten erschließt. Deshalb ist für jegliche nähere Auseinandersetzung mit Einzelfragen des Itinerariums auf die Edition des lateinischen Textes zu verweisen; hier finden sich auch einige der erwähnten zusätzlichen Texte der Handschrift ediert2.
Für die vorliegende Übersetzung wurden Kommentare vor allem auf Zusatzinformationen beschränkt und der Text möglichst wortgetreu in Übersetzung geboten. Die teilweise sehr spezifische und simple Ausdrucksweise des Lateinischen (oft fehlen Verben oder werden Dinge mit einem fast stereotypen habet eingeführt) sollte stilistisch nicht grundsätzlich übertroffen werden, jedoch wird durch Klammern und Anmerkungen der Sinn zuweilen verdeutlicht. Allerdings ließ sich der parataktische Rhythmus auch im Deutschen nicht ganz vermeiden und spiegelt damit teilweise Münzers spezifische Ausdrucksweise. Bisherige Übersetzungen haben bis auf eine Ausnahme immer nur Teile vorgelegt, ins Deutsche übertragen wurden nur zwei kurze Auszüge3, vom ganzen Itinerarium liegt nur eine französische Übersetzung vor4. Die römisch bezeichneten Kapiteleinteilungen stammen von mir, um die Reiseabschnitte besser zu gliedern. Die beigegebenen Abbildungen mögen einen Eindruck von der Handschrift und von einigen Zeichnungen verschaffen. Ortsnamen wurden – zuweilen mit den Varianten in Klammern – in moderner Form in die Übersetzung integriert. Das Itinerarium gibt Zahlen recht willkürlich mal in Ziffern, mal ausgeschrieben an, dies wurde übernommen. Zu vielen Begriffen der Fachsprache ist auch das Wortregister in der lateinischen Edition zu vergleichen5.
Das Orts- und Personenregister dieser Ausgabe erschließt die jeweiligen Orte und Personen des Haupttextes. Bibelzitate werden nach der für mittelalterliche Texte üblichen Form der Vulgata nachgewiesen. Die zahlreichen Maße, Münzen und Gewichte, die Münzer verwendet, bleiben ein Problem: Dazu gehören leuca und milia für Meile, aber auch die verschiedenen Gewichte und Münzen, die von Mark, Gulden, Dukaten, Schillingen und Denaren (Pfennigen) über Écus/Escudos bis zum Real, zum Maravedi und zur Dobla reichen. Manchmal gibt das Itinerarium selbst einen Gegenwert an, wenn es z. B. mit rheinischen Gulden vergleicht oder 66.000 Reales mit 600 Dukaten gleichsetzt. Ladungen rechnete Münzer manchmal in Nürnberger Zentner um, bei Schiffen scheint er mit verschiedenen Termini an Tonnen zu denken, aber wie spezifisch er die Gewichte sonst bemaß, offensichtlich auch nach regionalen Traditionen, bleibt offen.
Eine Übersetzung bedeutet immer eine Interpretation des Textes. Zwar hoffe ich, dass meine Sichtweisen Zustimmung finden, aber neue Diskussionen dürften die weitere Beschäftigung mit diesem einzigartigen Reisebericht von 1494/1495 beleben.
Bayerische Staatsbibliothek München, Clm 431, fol. 96r
Beginn des Itinerariums in der Münchener Handschrift.
Itinerarium oder (Pilger-)Reise des hervorragenden Doktors der Artes und der Medizin, Hieronymus MünzerMünzer, Hieronymus (†1508) Nürnberger Humanist aus FeldkirchFeldkirch, Ort, Bürger von NürnbergNürnberg, Ort
Der Herr sei mein Helfer
Jesus ChristusJesus Christus
Bayerische Staatsbibliothek München, Clm 431, fol. 97r
Vorwort des Doktors Hieronymus MünzerMünzer, Hieronymus (†1508) Nürnberger Humanist aus NürnbergNürnberg, Ort zu seinem Itinerarium und seiner Pilgerfahrt, die er zur Zeit der Pest1 im Jahre des Heils 1494 nach SpanienSpanien, L., GallienFrankreich, L. und ganz Westeuropa unternahm.
Ich glaube mit AristotelesAristoteles († 322 v. Chr.), griechischer Philosoph, dass der Mensch die Intelligenz und eine natürliche Fähigkeit besitzt, sich der Suche nach der Wahrheit zu widmen. Ich glaube auch, dass, wenn sein Geist frei von allen häuslichen Sorgen und allen verpflichtenden Aufgaben ist, er alle Dinge hören und lernen kann; durch die Kenntnis der verborgenen Wahrheiten und der Wunder der Natur wird er zu einem würdigen und glücklichen Leben geführt werden. Und mit diesem Verlangen danach, die Wahrheit zu erkennen, ist die Größe des Geistes verbunden: Durch sie (die Größe) konnte er, so weit wie möglich, Unsterblichkeit erlangen. Deshalb wollten so viele Menschen Geschichte schreiben, Reisen zu Land und zu Wasser unternehmen, die Lage der Orte untersuchen und, was das eigene einer edlen und erhobenen Seele ist, die Menschen verschiedener Nationen kennenlernen, ihre Sitten sehen und dies im Gedächtnis behalten. Ähnliche Forschungen haben PlatonPlaton († 348/47 v. Chr.), griechischer Philosoph, PythagorasPythagoras von Samos († 497/96v. Chr.) griechischer Philosoph, die Pompeii, die Fabricii, die Cäsaren, SertoriusQ. Sertorius († 73 v. Chr), röm. Politiker und Feldherr und die Christen HieronymusHieronymus (†419/20) Hl., Kirchenvater, AugustinusAurelius Augustinus Hl., Kirchenvater, Bf. von Hippo (395–430), AntoniusAntonius der Große (†356), Hl., Mönch, AegidiusAegidius von Saint-Gilles/Egidius aus Athen († 720/26), Hl. aus AthenAthen, Ort und andere in unzähliger Zahl vorgenommen2.
So haben mich alle diese hochbekannten Männer eingeladen, meinen Vorsatz auszuführen. Schon im sechsten Jahr meines Doktorates an der medizinischen Fakultät zu PaviaPavia, Ort kam es dazu, als in der schönen Handelsstadt NürnbergNürnberg, Ort in Oberdeutschland eine Epidemie ausbrach. Ich verdanke es meinem Glück und meinen medizinischen Kenntnissen, die Gesundheit bewahrt zu haben. Es war im Jahr des Heiles 14843. Ich fürchtete die Ansteckung und begriff schnell, dass, wer nicht ihre Nähe sucht, weder im Krieg noch durch die Pest stirbt. So beschloss ich zu fliehen, um nicht durch Nachlässigkeit das Leben zu verlieren; im September desselben Jahres verließ ich NürnbergNürnberg, Ort und erreichte das schwäbische GebietSchwaben, L.DeutschlandsDeutschland, L.. Nachdem ich die AlpenAlpen, Gebirge überquert hatte, durch die ItalienItalien, L. von DeutschlandDeutschland, L. getrennt wird, kam ich in die Ebene von MailandMailand, Ort. Von dort ging es nach GenuaGenua, Ort, dem edlen Hafen LiguriensLigurien, L., ich machte einen Umweg über Pavia, PiacenzaPiacenza, Ort, ParmaParma, Ort, CremonaCremona, Ort, ModenaModena, Ort, BolognaBologna, Ort, FlorenzFlorenz, Ort, SienaSiena, Ort, ViterboViterbo, Ort und gelangte nach RomRom, Ort, der Herrin des ganzen Erdkreises. Dort blieb ich einige Tage und sah VelletriVelletri, Ort, TerracinaTerracina, Ort, die Grafschaft FondiFondi, Ort, GaetaGaeta, Ort, CapuaCapua, Ort; schließlich kam ich nach NeapelNeapel, Ort. Wieviel Freude bereitete es mir, im Verlauf dieser Reise hochgelehrte Menschen zu treffen und zu hören, zudem die Orte der Heiligen zu besichtigen! Mich begeisterten die Umgänglichkeit der Leute, die Monumente der Väter, die Fruchtbarkeit des Bodens, der Glanz der Städte, um es mit einem Wort zu sagen, der Anblick des Paradieses, aber es ist jetzt nicht an der Zeit, davon zu erzählen. Auf dem Rückweg schlug ich einen anderen Weg ein, über die Marken, AnconaAncona, Ort, PesaroPesaro, Ort, RiminiRimini, Ort, RavennaRavenna, Ort, FaenzaFaenza, Ort, ImolaImola, Ort, FerraraFerrara, Ort, PaduaPadua, Ort, VenedigVenedig, Ort; dann kehrte ich über VicenzaVincenza, Ort, VeronaVerona, Ort, BrixenBrixen, Ort, BergamoBergamo, Ort und ComoComo, Ort zurück. Nach Überquerung des dort gelegenen Sees ging ich über Alpenpässe und die Quellen des RheinesRhein, Fluß bis nach DeutschlandDeutschland, L. zurück, wo ich am 24. Januar im Jahre des Heils 1485 NürnbergNürnberg, Ort erreichte, gesund und unbeschadet, und meine Frau, meine Familie und mein ganzes Haus wohlbehalten vorfand.
Ende der ersten Fahrt.
Es folgt das zweite Itinerarium.
Später, im Jahre des Heils 1494, als eine neue Pestwelle ausbrach, wollte ich zum alten Heilmittel der Flucht greifen; erneut dachte ich daran, mir ein paar aufrichtige junge Männer auszuwählen, Söhne wohlhabender Kaufleute, welche in der italischen und gallischen Sprache bewandert waren: Antonius HerwartHerwart, Anton (Antonius) (†1504), Augsburger Kaufmann, Ritter des Hl. Grabes aus AugsburgAugsburg, Ort, Kaspar FischerFischer, Kaspar († 1517), Nürnberger Kaufmann und Nikolaus WolkensteinWolkenstein, Nikolaus I. (Niklas) (†1513/15), Nürnberger Kaufmann, sie wählte ich zu meinen Reisebegleitern4.
Am zweiten August des genannten Jahres verließ ich NürnbergNürnberg, Ort und durchquerte in SchwabenSchwaben, L. die großartigen Städte NördlingenNördlingen, Ort, UlmUlm, Ort, BiberachBiberach, Ort, RavensburgRavensburg, Ort sowie KonstanzKonstanz, Ort, das wegen des Konzils Martins V.Martin V. / Oddo Colonna, Papst (1417–1431) und Kaiser SigismundsSigismund, Kg. von Ungarn (1387–1437), Kg. von Böhmen (1419–1437), röm.-dt. Kg. (1410/11–1437), Ks. (1433–1437) bekannt ist5. Sodann kam ich durch die Gegend der Schweizer und Orte wie Duregum, heute ZürichZürich, Ort, bei einer Eremitensiedlung an die Schwellen der Jungfrau MariaMaria / Maryam, Hl., bibl. Gestalt, Mutter Jesu Christi6. Dann ging es über die heißen Quellen in BadenBaden, Ort zu den Ufern des LimatflussesLimmat, Fluß, dort wuschen wir uns, danach richteten wir unsere Schritte zur uralten Stadt SoloturnSolothurn, Ort und nach BernBern, Ort, den wichtigsten Städten der Schweizer. Nachdem wir die Schweizer Republik des Volkes in Augenschein genommen hatten, verließen wir deutsches Gebiet und nahmen Kurs auf ein Städtchen namens MurtenMurten, Ort, das durch die Niederlage des Herzogs Karl von BurgundKarl der Kühne, Hzg. von Burgund (1467–1477) bekannt ist7. Welches Morden an Menschen dort vollzogen wurde! Mehr als 24 tausend Menschen aus dem Heer des burgundischen HerzogesKarl der Kühne, Hzg. von Burgund (1467–1477) und seiner Anhänger starben durch die Niederlage gegen die Liga der Schweizer und das aufgebrachte Volk. Es wäre unglaublich, von diesem Ereignis zu erzählen, denn man müsste sich die vielen Knochen getöteter Gegner anschauen, was ich weiter unten ein wenig geschildert habe8.
Nachdem ich nun das Bild des Todes so vieler christlicher Menschen gesehen hatte, bewegten wir unsere Schritte in Richtung FreiburgFreiburg, Ort, der Stadt der Allobroger, dort wurde einstmals die gallische Sprache, nun jedoch größtenteils die deutsche benutzt9. Erneut ritten wir durch waldige Schluchten zur ersten Stadt der Allobroger, LausanneLausanne, Ort, das mit einem Bischofssitz geziert ist; und an den Ufern des Genfer SeesGenfer See kamen wir nach 9 weiteren Meilen zur uralten Stadt GenfGenf, Ort, bekannte Handelsstätte der Allobroger und ausgezeichnet durch die Wundertaten vieler Heiliger, einstmals von GenabusGenabus, einem Exilierten aus NumantiaNumantia, Ort in SpanienSpanien, L., gegründet, wie du im Folgenden genauer erkennen wirst. In diesem Herzogtum SavoyenSavoyen, L. hat nun ChristopherusChristopherus, laut Münzer Hzg. von Savoyen als Herzog SavoyensSavoyen, L. die Herrschaft inne, er ist mit AnnaAnna, Tochter des Königs Maximilian I., einer Tochter des Königs MaximilianMaximilian I., röm.- dt. Kg. (1486–1519), Ks. (1508– 1519), ehelich verbunden, die vorher vom Sohn des Königs von Spanien geheiratet wurde10.
Ich habe aber, soweit es die Gelegenheit erlaubte, über wichtigere Orte geschrieben und Sitten und Gebräuche der Völker: in der Gallia LugdunensisGallia Lugdunensis, röm. Provinz., der NarbonensisGallia Narbonensis, röm. Provinz und in ganz SpanienSpanien, L. wie in der Grafschaft BarcelonaBarcelona, Ort, im Reich ValenciaValencia, Ort, GranadaGranada, Ort, KastilienKastilien, L., AragonAragón, L., NavarraNavarra, L., GallienFrankreich, L., AquitanienAquitanien, L., BelgienBelgien, L., (Gallia Belgica) röm. Provinz, in der NormandieNormandie, L., der PicardiePicardie, L., und in Niederdeutschland bis zur Stadt am RheinRhein, Fluß in Oberdeutschland11, wie Du im Folgenden sehen wirst.
Jesus ChristusJesus Christus 1495 (1494), 21. August, GenfGenf, Ort
Es ist der Ort der Allobroger, früher nannte man ihn „Genf“; Genf, Ort
ihn schmückt ein See mit Wasser klarer als Kristall.
Diesen See durchbrechen in seiner Mitte die reinsten Wasser der Rhône,
Rhône, Flußder Sturzbach der Arve und die Berge von Leman.Genfer SeeBerge von Leman
G. Julius Caesar († 44 v. Chr.), röm. Staatsmann und DiktatorNumantia, OrtAls Cäsar die Helvetier angriff, und diejenigen Völker, die gegen die Römer rebellierten, P. Cornelius Scipio Aemilianus Africanus minor Numantinus († 129 v. Chr.), röm. Politiker und Feldherr da hielt er sich in dieser Stadt auf.
Dort ließ er eine Rhône-Brücke wiederherstellen und den Göttern ehrwürdige Tempel errichten.
Nach dem Sieg Scipios über Numantia gründete diese (Stadt) ein Spanier namens Genabus:
Jener hatte Numantia verlassen und ihr dann seinen eigenen Namen „Genf“ gegeben.
Dies schreibt FrontoniusFrontonius in seinen Epigrammen über die Städte12
Die am weitesten entfernte Stadt der Allobroger ist Genf.
Dort führt eine Brücke hinüber zu den Schweizern, unter der vom Genfer See her die Rhône fließt.
Dies schreibt CäsarG. Julius Caesar († 44 v. Chr.), röm. Staatsmann und Diktator in seinen Commentarii13.
Die Ruinen der Stadt der Helvetier scheinen heute jenseits des Schlosses von BielBiel, Ort zu liegen, wo sich drei sehr bekannte Seen treffen: der von NeuchâtelNeuenburger See / Lac de Neuchâtel, der von BielBieler See / Lac de Bienne und der von MurtenMurtensee / Lac de MoratMurten, Ort. Heute sind SolothurnSolothurn, Ort, BernBern, Ort und FreiburgFreiburg, Ort die Metropolen der Helvetier. Solothurn ist eine Stadt mit einem sehr alten Turm, und dort steht geschrieben, dass dieser 450 Jahre vor Christi Geburt errichtet wurde.
Im Jahre des Herrn 1476, als Herzog Karl von BurgundKarl der Kühne, Hzg. von Burgund (1467–1477) gegen die Helvetier Krieg führte, sind 10.000 Kämpfer (die ortsansässigen Leute erzählten mir, mehr als 24.000) getötet worden. Und dort beim SeeMurtensee / Lac de Morat ist eine Kapelle erbaut worden, auf deren Türsturz folgende Inschrift steht1:
Wohlergehen denen,
die den listenreichen Feind Karl, Ruhm und Stolz von Burgund, vom Schlachtfeld vertrieben haben,
die durch ihren Gesang die Helden im Himmel ehren,
und die Altäre des Mars mit einem süßen Opfer beladen,
all denjenigen, die die zerstörerische Kraft der Waffen erfuhren.
Im Lauf der Jahre hatten sich 1000 und 400 und 70 und 6 (Jahre) vereinigt,
und Atlas (= die Erde) hatte sich einmal um die Achse gedreht:
Da hatte die niedergemetzelten Körper grausam das feindliche Schwert zu Boden gestreckt.
Die Gebeine der Toten sind in zwei Grabkammern niedergelegt. Die Breite der ersten beträgt 20 Schritte, die Länge 6 und die Höhe 6, die Länge der anderen 7 Schritte und die Breite 5. Die Anhäufung so vieler Knochen ist schrecklich anzusehen, und fortwährend bringt der See neue Knochen hervor, die dort beigesetzt werden. Ich habe dies am 17. August 1494 gesehen.
Die alte Stadt GalliensFrankreich, L.