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Das Papsttum beansprucht für sich in ungebrochener Kontinuität über die Jahrhunderte die höchste Autorität in der Christenheit. Unvergleichlich in seiner Verbindung aus transzendentalem Heilsversprechen, irdischem Glanz und Verstrickung in die weltliche Politik errang es seit dem 11. Jahrhundert auch politisch eine ungeheure Macht, die erst durch verschiedene Umbrüche seit dem späten Mittelalter erschüttert wurde. Klaus Herbers gelingt eine souveräne, umfassende Darstellung der Entwicklung des Papsttums von den Anfängen bis zur Renaissance. Unter Einbeziehung von Quellen und ausgesprochen anschaulich, problemorientiert und mit hervorragender Sachkenntnis schreibt er eine Geschichte der Päpste als Oberhäupter der Kirche. Dabei bezieht er auch die Sozial-, Kultur- und Geistesgeschichte mit ein. Herbers Darstellung macht nicht nur die politische Dimension des Papsttums deutlich, die die "Uniformierung" des christlichen Abendlandes erst ermöglicht hat, sondern charakterisiert auch die vielfachen kulturellen Transferprozesse, die diese Institution geprägt haben, die ihrerseits prägend wirksam wurde - ein großes, neues Werk zum Papsttum.
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Innozenz III. (1160/61) in seiner ganzen päpstlichen Würde mit der Schenkungsurkunde des Klosters San Benedetto. Fresko, 13. Jh., im Kloster San Benedetto in Subiaco.
Klaus Herbers
Dem Andenken meines VatersTheodor Herbers
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überhttp://dnb.d-nb.de abrufbar.
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© 2012 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), DarmstadtDie Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitgliederder WBG ermöglicht.Satz: Janß GmbH, PfungstadtRedaktion: Daphne Schadewaldt, WiesbadenUmschlaggestaltung: Peter Lohse, HeppenheimUmschlagmotiv: Der heilige Franziskus predigt vor Papst Honorius III.Fresko von Giotto di Bondone in der Oberkirche von S. Francesco in Assisi.Foto: picture-alliance
Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de
ISBN 978-3-534-23170-6
Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich:eBook (PDF): 978-3-534-74412-1eBook (epub): 978-3-534-74413-8
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Innentitel
Inhaltsverzeichnis
Informationen zum Buch
Informationen zum Autor
Impressum
I. Einführung: Papstgeschichte des Mittelalters – Chancen, Probleme, Aufgaben
Papstgeschichtsschreibung
Die Quellen und ihre Bereitstellung
Forschungstendenzen, Fragen und Schwerpunkte
II. Das frühe Christentum und die Hauptstadt des Römischen Reiches – von Petrus bis zu Leo dem Großen († 461)
Bischofsamt und Personen
Biblische Grundlagen und frühe Zeugnisse
Archäologische Befunde
Apokryphen und weitere Traditionen
Die frühchristliche Zeit bis zur Konstantinischen Wende (311–313)
Die Konstantinische Wende und die neuen Rahmenbedingungen
Die römische Kirche nach der Konstantinischen Wende: Zur Entwicklung der Roma christiana in Kirchenbau und Liturgie
Römische Führungsposition – Petrinologie und Synoden
Die Durchsetzung römischer Ansprüche
Römische Prägungen und aufb ewahrte Ansprüche als Ausgangsposition
III. Vom Ende des weströmischen Reiches (476) bis zum „Bund mit den Karolingern“ (Mitte des 8. Jahrhunderts)
Übergang ins Mittelalter: Personen und Strukturen
Veränderte Rahmenbedingungen in Italien
Weltliche und geistliche Herrschaft und die Unantastbarkeit des ersten Sitzes – Standortbestimmungen an der Wende zum 6. Jahrhundert
Die Silvesterakten als „Gründungsdokumente“
Päpstliche Konzeptionen und politischer Druck im 6. Jahrhundert?
Das Zeitalter Papst Gregors I. (590–604) – Wende von der Spätantike zum Mittelalter?
Register und Registerführung
Liber diurnus, Liber pontificalis, päpstliche Ämter und Verwaltung
Die Werke Gregors I. Eine neue Art von Schrifttum?
Rom als politischer und sakraler Raum
Landgüter (Patrimonien) – Bewirtschaftung und Einkünfte
Über die Grenzen des Imperium Romanum hinaus? Mission und Außenwirkungen
Gregor und „gregorianisch“ – Nachwirkung und Mythos
Nach dem Pontifikat Gregors I.: gegen Byzanz?
Orientierung zum Reich der Franken
Neuanfänge
IV. Die „Anlehnung“ an die Franken (731–882)
Kontakt und Distanz: Personen und Strukturen
Von byzantinischer Herrschaft zum Bund mit den Karolingern (731–799)
Grundstrukturen und Voraussetzungen
Kontakte mit den Franken bis 754
Exkurs: Pippinische Schenkung und Constitutum Constantini
Zwischen Rom, Byzanz und Franken: Die Päpste in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts
Frankenreich
Römische Verhältnisse
Leo III. – Verfolgter und Coronator Karls des Großen
Papsttum und Frankenreich bis zum Vertrag von Verdun
Die Ordnung der italischen Verhältnisse (Hludowicianum und Constitutio Romana)
Gregor IV., das Frankenreich und die pseudo-isidorischen Fälschungen
Macht und Ohnmacht der Päpste im zerfallenden Karolingerreich
Kaisertum
Überlieferung und Primatsvorstellungen
Mittel der Herrschaft – Rom und Italien
Der Osten: Byzanz, Bulgarien und Mähren
Beziehungen zum westlichen orbis christianus
Exkurs: Die Päpstin Johanna
Vorzeitige Blüte? – Kommunikation und Überlieferung
V. Vom „dunklen Jahrhundert“ zur Kirchenreform (882–1046)
Zwischen stadtrömischen Intrigen und kaiserlichem Einfluss: Strukturen und Personen
Wirren und Adelsherrschaft 882–904/911
Adelsherrschaft und Isolation
Der „Schulterschluss“ von Kaiser- und Papsttum nach der Kaiserkrönung Ottos I.?
Rom, Verwaltung und Kulturtransfer im langen 10. Jahrhundert
Die Päpste und der orbis christianus
Von der urbs zum orbis: Strukturelle Weichenstellung
VI. Kirchenreform und Institutionalisierung (1046–1130)
Wendepunkte und Neuausrichtung: Personen und Strukturen
Römische und allgemeine Kirchenreform
Beginn mit Heinrich III.
Reformklöster und eremitische Bewegungen
Kanonikerbewegung und Reformanliegen
Die frühen Reformpäpste von Leo IX. bis Alexander II.
Gregor VII.: Ansprüche und Konflikt – Durchsetzung oder Scheitern?
Herkunft, Person und Erhebung
Der Dictatus papae von 1075, ein Regierungsprogramm?
Der „Zusammenstoß“ von Gregor VII. und Heinrich IV. (1075–1077)
Gegenkönige, Gegenpäpste und die Formierung von Parteiungen
Von Urban II. bis zum Schisma 1130: Neuausrichtung und Institutionalisierung
Die Protagonisten
Streitschriften, Rechtstexte und Institutionen
Die päpstlich initiierte Kreuzzugsbewegung
Lösungsversuche des Investiturproblems, das Erste Laterankonzil und die Folgen
Das Papsttum und weitere Reiche des orbis christianus
Von der Reaktion zur Aktion
VII. Schismen, Orientierung und Konsolidierung: Das 12. Jahrhundert (1130–1198)
Familien, Personen und Strukturen
Schismen und Obödienzen
Rom und die päpstlichen Besitzungen – Historiographie
Kirchenrecht, römisches Recht, Rechtsverfahren
Institutionalisierung – Personal, Kurie und Verfahrensweisen
Die Päpste in Auseinandersetzung mit den Staufern
Die Päpste und der übrige orbis christianus
Institutionalisierung und Verdichtung
VIII. Ordnungsmacht in Italien und universale Ansprüche – von Innozenz III. (1198–1216) bis Gregor X. (1271–1276)
Vom staufischen zum angiovinischen Einfluss in Italien: Personen, Familien, Strukturen
Rom und der Kirchenstaat
Innozenz III. (1198–1216) und der deutsche Thronstreit
Die Auseinandersetzungen mit Friedrich II. (1215–1250)
Vom Kaisertum zum wiederholten Bann
Innozenz IV. – der Vollstrecker? Absetzung und Propagandafeldzüge
Sizilien und die Wendung zu den Anjou
Religiöse Bewegungen, neue Orden und Verfahrensweisen
Häretische Strömungen und der Albigenserkreuzzug
Die Bettelorden
Rechtsentwicklung und Inquisitionsverfahren
Mittel und Facetten päpstlicher Herrschaft: Konzilien, Register und „Behörden“, Wissenschaft
Das Vierte Laterankonzil (1215)
Das Erste Konzil von Lyon (1245)
Das Zweite Konzil von Lyon (1274)
Register und „Behörden“
Universitäten, Wissenschaft, Historiographie
Der ferne Osten und die muslimischen Nachbarn: Byzanz, Kreuzzüge und Mongolen
Ein neuer orbis christianus – das Papsttum auf dem Weg zur alleinigen Universalmacht?
IX. Höhepunkt oder Übersteigerung? Spiritualität, Recht und Macht am Ende des 13. Jahrhunderts (1276–1303)
Wendezeiten? Strukturen und Personen
Süditalien und der Osten zwischen den Häusern Anjou und Aragón
Der „Engelpapst“ und Reformströmungen am Ende des 13. Jahrhunderts
Bonifaz VIII. (1294–1303)
Das Heilige Jahr
Rom, der orbis christianus und der Streit mit Frankreich
Höhepunkte, Scheitern oder Neuausrichtung? – Zwischenbilanz
X. „Exil“ oder Chance? Das Papsttum in Avignon (1303–1378)
Die Stunde Südfrankreichs? Personen und Strukturen
Clemens V. und der Templerprozess
Das Verhältnis der Kurie zu Frankreich
Neue Herrschafts- und Verwaltungsstrukturen
Das Avignoneser Papsttum und Deutschland
Außenbeziehungen, die Neuorganisation des Kirchenstaates und die Rückkehr nach Rom
Erholung in der Fremde?
XI. Papst gegen Konzil – vom Großen Abendländischen Schisma zu den Reformkonzilien (1378–1449)
Rom an zwei Orten? Personen und Strukturen
Das Schisma von 1378 und die Spaltung der Christenheit
Reflexion, Schriften und Lösungsvorschläge – der Konziliarismus
Nutzlose Konzilien, unverbindliches Vorgeplänkel? Perpignan, Cividale, Pisa (1409)
Das Konstanzer Konzil (1414–1418)
Papst Martin V. und die Wiedergewinnung des Kirchenstaates
Schisma, osmanische Expansion und fortwährende Sitzungen: Die Konzilien von Basel, Ferrara und Florenz (1431–1449)
Nach dem Ende von Spaltungen und Konzilien
XII. Restauration, Humanismus und Renaissance – von Nikolaus V. (1447–1455) bis zu Leo X. (1513–1521)
Früh- und Hochrenaissance: Personen und Strukturen
Humanismus und Renaissance – Baupolitik und Mäzenatentum
Kreuzzugspläne und „Europa-Gedanke“
Die Päpste und die europäische Expansion
Ämter und Nepotismus – Reformversuche
Mittel zur Durchdringung des orbis christianus: Legaten, Heilige Jahre und Pilgerverkehr
Ruhe vor dem Sturm?
XIII. Der Tiefpunkt des Papsttums? Rückblick und Bilanz
Anmerkungen
Literatur
Papstliste
Zeittafel
Karten
Register
Abbildungsnachweis
Dass die römische Kirche vom Herrn allein gegründet worden sei, dass allein der römische Bischof zu Recht als universal bezeichnet werde, dass er allein kaiserliche Insignien benutzen könne, dass es jenem erlaubt sei, Kaiser abzusetzen1 – so lauten einige Sätze über die päpstlichen Rechte (1, 2, 8 und 12), die 1075 in das Register Gregors VII. eingefügt worden sind. Sie markieren einen Höhepunkt päpstlicher Macht, etwa 1000 Jahre nachdem sich das Christentum als Religionsgemeinschaft zu formieren begonnen hatte. Das insgesamt wichtigste Zentrum dieser Gemeinschaft lag nun eindeutig in Rom, dort, wo man die Apostel Petrus und Paulus verehrte. Hatte Gregor VII. als Petri Nachfolger damit nicht konsequent das biblische Vermächtnis erfüllt?
Die Geschichte des Christentums beginnt zwar im Römischen Reich, aber nicht in Rom. Am See Genezareth – nicht weit von Kapharnaum und vom sogenannten Berg der Seligpreisungen entfernt – findet sich die „Primatskapelle“, die um einen Felsen gebaut ist. Hier soll der Apostel Petrus auf die dreifache Frage hin Jesus seiner besonderen Liebe versichert und dann jeweils die Antwort „Weide meine Lämmer“ beziehungsweise „Weide meine Schafe“ erhalten haben. Aufgeschrieben ist dies im Anhang des Johannesevangeliums (vielleicht von einem Schüler des Johannes, Joh. 21, 15–17). Ob dies eine besondere Auszeichnung des Petrus bedeutete oder ob die Bibelstelle eher mit der dreifachen Verleugnung des Petrus korreliert, wird diskutiert. Jedenfalls dient sie zusammen mit einer weiteren Passage oft dazu, die Vorrangstellung des Petrus zu begründen: Neben dem auch bei Markus (9, 27–30) und Lukas (9, 18–21) verzeichneten Messiasbekenntnis des Petrus handelt es sich dabei um die in Rom später häufig zitierten Worte, die Matthäus jenseits des Jordans, in Cäsarea Philippi, ansiedelt:
Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen und die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen. Ich will dir die Schlüssel des Himmelreiches geben, und was du auf Erden binden wirst, das wird im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird im Himmel gelöst sein.
Vor allem mit diesen Worten aus dem Matthäusevangelium (16, 18–19) wird das Papsttum begründet. Wenige biblische Sätze sind so oft zitiert, wenige aber auch so oft kritisiert worden. Bedeuteten diese Worte einen göttlichen Auftrag an Petrus? Oder wird Petrus hier nur als einer von vielen angesprochen, schreiben doch andere Stellen der Bibel allen Aposteln die Binde- und Lösegewalt zu.
Die bis heute unter Theologen anhaltenden Streitigkeiten um die richtige Interpretation der einschlägigen Bibelstellen müssen eine historische Darstellung nicht belasten, denn zweifellos haben die Passagen eine enorme historische Kraft entfaltet; die eingangs zitierten Positionen Gregors VII. entwickelten sich nicht zuletzt auf der Grundlage dieser biblischen Zeugnisse. Allerdings, im Matthäuszitat 16, 18 wird eine Person angesprochen, keine Institution. Seit wann verbindet sich also mit Petrus und seinen Nachfolgern auch die Vorstellung einer fest gefügten Einrichtung? Blicken wir heute nach Rom, so treten uns Person und Institution gleichermaßen gegenüber, wie 2005 eindrücklich in den letzten Tagen der Krankheit und nach dem Tod Johannes Pauls II. deutlich wurde: Auch wenn der damalige Papst nur noch bedingt handlungsfähig schien, so funktionierte doch die Institution mit diplomatischem Apparat, Beratungsinstanzen und anderen Behörden. Längst ist heute im Vatikan die Kontinuität des Papsttums über den Tod des einzelnen Amtsinhabers hinaus gewährleistet. Jedoch bleibt die Frage, seit wann und vor allem wie sich aus der Abfolge einzelner Päpste eine über die Einzelperson hinausweisende Institution bildete.
Das Innere von Alt Sankt Peter auf einem Fresko des 16. Jhs. in der Basilika von San Martino, Rom.
Das Papsttum ist eine der wenigen geschichtlichen Institutionen, die von der Antike über das Mittelalter bis in die Gegenwart Bestand hatten. Nicht nur die europäische Geschichte ist maßgeblich von ihm bestimmt worden. Schon lange übt es sowohl auf Anhänger wie auch auf Kritiker eine besondere Faszination aus. Weil das Thema aber von unterschiedlichen Grundüberzeugungen her angegangen werden kann, ist die Papstgeschichtsschreibung von Kontroversen gekennzeichnet: Schon seit dem 6. Jahrhundert gab es Schriften und Notizen, die sich nur mit der Geschichte der Päpste befassten. Für die Entstehung einer eigenständigen Geschichtsschreibung zum Papsttum und zu den Päpsten wurde aber die Reformation zentral, denn der Protestantismus sprach dem Papsttum den Rang einer von Gott gestifteten Einrichtung ab. Einigen protestantischen Autoren ging es darum aufzuzeigen, wie „niederträchtig“ jener Weg gewesen sei, den die Päpste hin zu ihren jurisdiktionellen Ansprüchen und zu ihrem weltlichen Reichtum beschritten hatten. Dies wollten zum Beispiel die sogenannten Magdeburger Zenturiatoren mit ihrem Hauptvertreter Flacius Illyricus (1520–1575) dokumentieren. Sie versuchten in ihrem umfangreichen, nach Jahrhunderten (Zenturien) gegliederten Werk zu beweisen, dass sich das Papsttum als Produkt von Betrug und Lüge entwickelt habe. Ihre Historia ecclesiastica (Kirchengeschichte) geriet so über weite Teile entgegen dem eigentlichen Titel zur „Papstgeschichte“.2 Und so wurde nicht ohne eine gewisse Berechtigung bemerkt, dass die Papstgeschichte ursprünglich eine Erfindung des Protestantismus gewesen sei. Aber die katholische Antwort ließ nicht lange auf sich warten: Caesar Baronius (1538–1607) trat mit seinen Annales ecclesiastici zum Gegenbeweis an.
Kontroversen und Polemik blieben für die konfessionell bestimmten Werke in der Folgezeit kennzeichnend. Hieraus ergab sich die Notwendigkeit, immer wieder Beweise und Gegenbeweise zusammenzustellen. Deshalb waren die Auseinandersetzungen von der Sichtung umfänglichen Quellenmaterials begleitet, das zunehmend in Editionen verfügbar gemacht wurde. Die entsprechenden Werke sind noch heute zuweilen wichtige Fundgruben, zumal manches Material nicht oder inzwischen nicht mehr in Archiven oder Bibliotheken vorhanden ist. Hinzu traten quellenkritische Fragen: Waren wirklich alle frühen Papstbriefe echt? Wurde manches vielleicht erst später „zurechtgebogen“ oder zugespitzt? Während die katholische Seite sich stärker mit der Aufarbeitung des Materials beschäftigte, begannen protestantische Forscher seit dem 19. Jahrhundert, zusammenhängende und wertende Überblicke zu verfassen.
In Deutschland veröffentlichte der bekannte Historiker Leopold von Ranke 1834–1836 eine Geschichte der römischen Päpste des 15. bis 19. Jahrhunderts, die bereits 1874 ihre sechste Auflage erlebte. Vielen gilt dieses Werk als eine wichtige Überwindung der in der Papstgeschichte lange dominierenden konfessionellen Geschichtsschreibung, denn Ranke entwickelte eine durchaus neue Sichtweise: Er löste sich aus altprotestantischer Enge und zeigte sich gegenüber vielen Entwicklungen des Papsttums verständnisvoll, ohne jedoch eine grundsätzlich protestantische Perspektive aufzugeben.3 Vielleicht war für ihn die Beschäftigung mit den Päpsten eher ein ästhetisch zu genießendes Drama, wie es Philipp Funk wenig später im „Hochland“, einer katholischen Zeitschrift, formulierte.4 Dass Papstgeschichte weiterhin vor allem in Deutschland aus einer kritischen Grundhaltung heraus geschrieben wurde, lag vielleicht auch an der Dominanz protestantischer Historiker an deutschen Universitäten, die vielfach sogar die grundsätzliche Ansicht vertraten, dass katholische, „ultramontan“ (also auf Rom bezogen) geprägte Historiker zu großen geistigen Leistungen in der Geschichtsschreibung kaum fähig seien. Der Kulturkampf im Bismarck’schen Kaiserreich verstärkte dieses Vorurteil, rief aber auch katholische Reaktionen hervor. Konflikte innerhalb der katholischen Kirche bewirkten zudem einen weiteren Entwicklungsschub: Nach dem Beschluss zur Unfehlbarkeit des Papstes (wenn dieser ex cathedra in Glaubens- und Sittenfragen urteilt) auf dem Ersten Vatikanischen Konzil (1869–1870) kam es zur Abspaltung der Altkatholiken, zu denen sich auch einige Gelehrte bekannten, die dem Papsttum vorwarfen, dieses neue Dogma leite sich aus geschichtlichen Fälschungen her. So bestimmten der Münchener Gelehrte Ignaz von Döllinger (1799–1890) und andere Verfechter alter katholischer Positionen mit zahlreichen Beiträgen die wissenschaftliche Diskussion in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts.5 Papstgeschichte wurde damit zeitweise eine bevorzugte Domäne der Altkatholiken, blieb es aber auch weiterhin für Protestanten wie Jacob Burckhardt oder Ferdinand Gregorovius, der sich als Außenseiter mit einer monumentalen Geschichte Roms hervortat.6
Ludwig Pastor, der auf Initiative seiner katholischen Mutter mit erst zwölf Jahren katholisch wurde, empfand es als eine Schande, dass die Päpste von katholischer Seite keine entsprechende Darstellung gefunden hätten. Er wollte die Papstgeschichte Rankes in den Schatten stellen und setzte auf ein breiteres Material: Die 16 Bände für die Zeit seit dem Ausgang des Mittelalters, die 1886–1933 erschienen, bedeuteten eine immense Leistung, blieben aber gleichzeitig für fast jeden Leser erschlagend.7
Will man für das 20. Jahrhundert Autoren aus dem deutschen Sprachraum nennen und diese wiederum vor dem Hintergrund ihrer Konfession einordnen, so sind zunächst die Papstgeschichten von Franz Xaver Seppelt, Erich Caspar und Johannes Haller zu nennen.8 Der Katholik Seppelt schrieb bezeichnenderweise eine Geschichte der Päpste, während sich die Protestanten Haller und Caspar dem Papsttum, also eher der Institution, zuwandten. Jedoch wird bis heute die Faszination der Papstgeschichte zuweilen auch konfessionell angesprochen.9
Erst in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts bestimmte die konfessionelle Orientierung die Perspektiven der Forschung weniger, zumal inzwischen auch Beiträge von Personen vorliegen, die sich keiner der Konfessionen verpflichtet fühlen. Die Zeit grundsätzlicher Diskussionen und besonders konfessioneller Polemik scheint weitgehend vorüber zu sein. Weiterhin wird jedoch auch die neuere Papstgeschichtsschreibung von unterschiedlichen Interessen und Zugriffen geprägt: Während etwa die Forschungen Horst Fuhrmanns von den sogenannten pseudo-isidorischen Fälschungen und damit von Texten ausgingen, die den Vorrang der päpstlichen Institution mitbegründeten,10und auch Harald Zimmermann sich mit seinen „Papstabsetzungen“ stärker Fragen der Legitimation und Rechtsgeschichte zugewandt hat,11 hob Bernhard Schimmelpfennig die Bedeutung des Papstes als obersten Liturgen Roms hervor und behandelte die Liturgiegeschichte gleichwertig neben der politischen sowie der Dogmen-, Rechts- und Verfassungsgeschichte.12 Über die Beschäftigung mit den Zeremonienbüchern der römischen Kirche13 schlug er eine Brücke zu Fragen der symbolischen Kommunikation, des Zeremoniells und der Sichtbarmachung von Herrschaft, die inzwischen neuere Studien zur Papstgeschichte prägen. Der jüngste Entwurf einer Papstgeschichte im Mittelalter von Thomas Frenz wiederum stellt weniger die Entwicklung als vielmehr die Funktionsweisen und Institutionen vor.14
Dass Petri Schlüssel auch jetzt noch die Schlüssel des Mittelalters seien, soll treffend kein Geringerer als Heinrich Georg Pertz, der wichtige Quellen-Editor der Monumenta Germaniae Historica, bemerkt haben. Das Papsttum gilt als die einzige Institution, die von der Antike bis heute in Urkundenwesen, in Rechtsvorstellungen und -verfahrensweisen, in Zeremoniell und vielen anderen Aspekten Kontinuitäten erkennen lässt; es ist eine Institution, die auf Spätantikes und Byzantinisches verweist und die seit dem beginnenden Mittelalter zunehmend universal agierte. Für das Mittelalter könnte man fast sagen, dass das Papsttum eine der wenigen europäischen Institutionen war, wenn mit „Europa“ hier vornehmlich ein lateinisch dominierter Einflussbereich gemeint ist. Grundlage für diese Einsichten ist aber unter anderem der Quellenreichtum der päpstlichen Überlieferung, die in der ganzen Welt ihresgleichen sucht. Deshalb war es nicht nur für die Papstgeschichte, sondern für die Geschichtswissenschaft überhaupt ein Ereignis ersten Ranges, als Papst Leo XIII. (1878–1903) ohne jeglichen Zwang 1881 die Vatikanischen Archive der Wissenschaft öffnete. Dies war der Startschuss für viele wissenschaftliche Großunternehmungen. 1888 wurden das Deutsche Historische Institut (damals noch unter anderem Namen) und die Stützpunkte anderer Nationen in Rom eingerichtet und große, zum Teil bis heute betriebene Forschungs- und Editionsprojekte angestoßen.
Die Quelleneditionen und Hilfsmittel zur mittelalterlichen Papstgeschichte sind inzwischen umfangreich.15 Neben den frühen Hilfsmitteln von Philipp Jaffé und August Potthast mit kurzen inhaltlichen Zusammenfassungen (Regesten) der Briefe, Urkunden und Erwähnungen (bis 1198 bzw. 1198–1304) und der Aufnahme päpstlicher Quellen in den jeweils nationalen Quellenreihen (in Deutschland zum Beispiel Monumenta Germaniae Historica und Regesta Imperii) erfasst seit 1896 das Göttinger Papsturkundenwerk/Pius-Stiftung für Papsturkundenforschung die Überlieferungen bis 1198 in den verschiedenen europäischen Empfängerarchiven; für eine Edition der ab 1198 in römischen Registern erhaltenen Papstbriefe zeichnen verschiedene nationale Forschungsprojekte verantwortlich.
Briefe und Urkunden bilden den quantitativ größten Anteil der Überlieferung. Diese liegt für die Zeit vor 1198 in ganz Europa verstreut, erst seit Innozenz III. (1198–1216) ist das aus Rom verschickte Schriftgut wenigstens in größeren Teilen abschriftlich in römischen Registern überliefert. Auch der seit der Öffnung der Archive auszuschöpfende Quellenreichtum hat die Papstgeschichte zu einem zentralen Forschungsfeld gemacht. Dennoch sollte eine Papstgeschichte des Mittelalters nicht allein auf der Basis dieser Quellen geschrieben werden: Andere Überlieferungen – seien dies etwa Texte zur Liturgie, Rechtssammlungen, Bauten oder andere Monumente – lassen oft Perspektiven von außen auf das Papsttum erkennen, welche die von päpstlichen Quellen vermittelte Binnensicht modifizieren. Selbstbild und Außenwahrnehmung treten oft auseinander und ergänzen sich so in ihrem Quellenwert. Bedeutende Zeugnisse aus dem frühen Mittelalter sind die Tatenberichte (Gesta) beziehungsweise Viten, die teilweise von Zeitgenossen verfasst wurden und bei kritischer Lektüre einen Blick in das Umfeld der Päpste gestatten, ja die römischen Erwartungen an einen „guten“ Papst erkennen lassen. Diese unter dem Kunstbegriff Liber pontificalis zusammengefassten Viten wurden vom 6. Jahrhundert an bis ins ausgehende 9. Jahrhundert fortgeführt. Für das vergleichsweise quellenarme Frühmittelalter ist dieses „Papstbuch“ eine unschätzbare Quelle. Im Hochmittelalter wiederum nimmt dann mit der zunehmenden Universalität des Papsttums die Masse der Überlieferungen immens zu, so dass die Quellensuche und -publikation zur Geschichte des Papsttums immer mehr zur europäischen Aufgabe wird.
Angesichts der Materialfülle und der bereits vorliegenden Papstgeschichten muss sich eine übergreifende Darstellung zum Mittelalter an einigen Leitlinien orientieren, die nicht nur das Weglassen und Zuspitzen erleichtern, sondern die auch eine Einbettung in aktuelle Forschungsdiskussionen erlauben. Wichtig erscheint für das vorliegende Buch zunächst eine vornehmlich päpstliche und europäische Perspektive auf das Mittelalter, die eher national bestimmte Blickrichtungen zumindest korrigieren kann. Der oben begonnene Überblick über die Geschichte der Papstgeschichtsschreibung hat sich zunächst vor allem auf deutschsprachige Werke konzentriert und dabei insbesondere konfessionelle Unterschiede zwischen den jeweiligen Zugriffen hervorgehoben. Diese sind aber ein vornehmlich deutsches Phänomen, das in anderen Wissenschaftsnationen nicht in gleicher Form zu beobachten ist. Im europäischen Überblick lassen sich jedoch spezifisch nationale Sichtweisen und Perspektiven der Papstgeschichtsforschung ausmachen: Deutschen Historikern erschien das Papsttum vor allem während der Blütezeit des Kaisertums von Karl dem Großen bis zum Ende der Staufer interessant; Franzosen hingegen betrachteten besonders gern das 14. Jahrhundert, als die Päpste in Avignon residierten, während Italiener ebendiese Zeit eher als „Babylonisches Exil“ der Kirche bezeichneten und zugleich damit haderten, dass die Päpste bis 1870 eine Einigung Italiens behinderten. Diese nationalen Vorlieben und Schwerpunkte sind inzwischen relativiert, denn bei der Einbettung der Papstgeschichte in eine Europäische Geschichte sind notgedrungen viele Nationen beteiligt, die sehr unterschiedliche Perspektiven einbringen.
An welche jüngeren Forschungen knüpft die hier vorgelegte Darstellung an, welche Schwerpunkte und Leitfragen ergeben sich daraus? Dazu sei eine kurze und keinesfalls vollständige Forschungsskizze zu einigen jüngeren Beiträgen vorgelegt. Ein vor kurzem erschienener Überblick16 hat erneut den Blick auf das Verhältnis zwischen Papst- und Kaisertum gelenkt: Beide Universalgewalten waren während des Mittelalters aufeinander bezogen. Sie praktizierten eine Form der Gewaltenteilung, die freilich nicht in die Felder „säkular“ und „religiös“ aufzuspalten ist. Beide Institutionen waren eng miteinander verschränkt, sie übten eine „doppelte“ Verantwortung aus. Es ist damit zunächst durchaus sinnvoll, das Papsttum als komplementär zum Kaisertum zu betrachten. Eine solche Konzentration des Blicks auf die beiden Universalgewalten wird aber der Einbettung des Papsttums in andere politische Konstellationen nur bedingt gerecht: Besonders seit dem 13. Jahrhundert sind die verschiedenen europäischen Monarchien unbedingt mit in den Blick zu nehmen.17 Erkennt man aber diese zunehmende Bedeutung der Monarchien im Westen seit dem 11./12. Jahrhundert, so kommen umgekehrt auch die vielfältigen neueren Studien zur Formierung Europas, insbesondere Lateineuropas,18 kaum ohne einen Blick auf das Papsttum aus. Zwar blieb Europa auch in den päpstlichen Dokumenten grundsätzlich ein eher unspezifischer Abrufbegriff, aber Erwähnungen des Okzidents, der christianitas oder ähnliche Anspielungen tauchen schon im 9. Jahrhundert auf. Fraglich bleibt, inwieweit vor allem Konfliktsituationen – mit der Ostkirche oder mit muslimischen Gegnern an den Grenzen Europas – zu einem solchen neuen Wir-Gefühl beitrugen und damit die schon frühzeitige Vorreiterrolle des Papsttums bei der Entwickung des westlichen Europas unterstreichen.19
Die große Zeit einer päpstlichen Durchdringung Europas begann mit der „papstgeschichtlichen Wende“20 im 11. Jahrhundert. Entsprechend haben neuere Studien diesen Prozess mehrfach mit sehr bedenkenswerten und wichtigen Ergebnissen in den Blick genommen. Strahlten Einflüsse einfach vom römischen Zentrum in die Peripherien aus?21 Welche Desintegrationsprozesse standen den Integrationserfolgen gegenüber?22 In welchem Maße die Ausbreitung päpstlicher Normen, die Akzeptanz päpstlicher Autorität und ihre Institutionalisierung zusammenhängen, bleibt bisher trotz intensiver Forschungen noch weitgehend offen. Untersuchungen zu Institutionen wie dem Kardinalskolleg,23 der Kurie oder der päpstlichen Kammer,24 zur Verbreitung kirchlichen Rechts25 ebenso wie zu den durch die Institutionalisierung geförderten Instrumenten wie dem Legatenwesen,26 verschiedenen Kommunikationsformen27 oder zu der Formierung von Räumen unter päpstlichem Einfluss28 unterstreichen in vielfältiger Weise, wie sehr das hochmittelalterliche Papsttum zur Vereinheitlichung von Recht und Verfahrensweisen, zur Prägung von Räumen und Denkweisen im lateinischen Europa beigetragen hat. Seit 1059 geltende Bestimmungen für den Ablauf der Papstwahl beeinflussten zum Beispiel die Formen der deutschen Königserhebung im späten Mittelalter. Welche Entwicklung der persönlichen Netzwerke ist zu verfolgen? Die Netzwerktheorie, die bisher stärker die Neuzeitforschung beschäftigte, sollte gerade für die Amtsträger in der päpstlichen Umgebung und die daraus ableitbaren Schlüsse genutzt werden.29 Sie kann insbesondere neue Quellencorpora erschließen helfen und durch die Einbeziehung weiterer Personengruppen30 neue Ergebnisse zeitigen. Erweiterten sich die Personenkontakte einfach von stadtrömischen Familien und Fraktionen über Kardinäle, Legaten und Delegationen zu europäischen Netzwerken? Institutionalisierungsprozesse laden zu vergleichenden Untersuchungen ein, bedenkt man, dass auch viele religiöse Gemeinschaften gerade seit dem 12. Jahrhundert ähnliche Prozesse durchliefen.31
Die neue, zuweilen zentralistische Stärke der Päpste konnte aber ebenso zur Schwäche werden, wenn hierarchisch-monarchische Herrschaftsmodelle mit oligarchischkollegialen Modellen in Widerstreit gerieten, wie dies im 14./15. Jahrhundert besonders deutlich wird. Forschungen zu theoretischen Schriften und zu neuen personalen Konstellationen und Kommunikationsformen erhellen diesen Prozess.32 Bei einem Blick auf mehr als zehn Jahrhunderte Papstgeschichte scheint aber mancher Zeitabschnitt für Entwicklungsprozesse besonders aufschlussreich. Gerade für wichtige Wendepunkte oder „Achsenzeiten“ mittelalterlicher Papstgeschichte im 8. und 9. Jahrhundert,33 im 12. und 13. Jahrhundert34 oder in der Zeit des Großen Schismas und des Konziliarismus35 liegen inzwischen wesentliche Beiträge mit neuen Ergebnissen vor, denen auch diese Darstellung bei aller notwendigen Beschränkung eine etwas ausführlichere Behandlung einräumen will.
Eine klassische Frage schließlich betrifft das Verhältnis von Personen und Institution beziehungsweise von Person und Amt. Wird eine Geschichte der Päpste oder des Papsttums angestrebt? Johannes Haller meinte, für die Frühzeit seien Personen nur schemenhaft zu erkennen, und entschied sich für eine Darstellung der Institution des Papsttums, die bereits recht früh etwa in einer lückenlosen apostolischen Nachfolge (Sukzession) erkennbar wird.36 Inzwischen ist jedoch gezeigt worden, dass auch für Päpste des frühen Mittelalters der Blick auf die Person möglich ist, wenngleich sie vornehmlich als Amtsinhaber erscheinen.37 Deshalb sollte die Frage nicht mit einem Entweder- oder beantwortet werden, denn Personen und Institutionen lassen sich nicht wie auf einem Seziertisch trennen. Trotz dieser grundsätzlich zutreffenden Einsicht wird gleichwohl nach Schüben der Institutionalisierung zu fragen sein.
Weiterhin führt die Art der Überlieferung zur Frage nach der Bedeutung von Konzeptionen und Ideen. Finden sich hier nur die Ansichten einer Person? Wann und in welchen Zusammenhängen wurden Theorien als grundlegend akzeptiert und entsprechend gehandelt; wann also entsprachen den Ideen und Ansprüchen faktische Wirklichkeiten? Wie lange dominierte Rom die päpstliche Politik? Neuere Studien haben insbesondere für das frühe Mittelalter das päpstliche Wirken im römischen Umfeld beleuchtet und dabei Liturgie, Ritual und die spezifische Überlieferung des Liber pontificalis, aber auch der Inschriften und verschiedener Brief- und Kanonessammlungen erörtert.38 Diese Forschungen, die Überlieferungsbefunde auch für inhaltliche Interpretationen nutzen, haben besonders die Abschnitte zur frühmittelalterlichen Zeit der hier vorgelegten Papstgeschichte beeinflusst.
Die Erweiterung der Quellenbasis betrifft aber nicht nur das frühe Mittelalter. Fragen danach, welches Interesse die Päpste zum Beispiel an der eigenen Zukunft hatten, an Lebensverlängerung oder an Wissenschaft überhaupt, machten es notwendig, neue Quellen in den Blick zu nehmen oder zu erschließen.39 Ob sich der päpstliche Hof von weltlichen Höfen stark unterschied,40 wird aus dieser Perspektive fraglich und öffnet den Blick auf eine Kulturgeschichte des Papsttums, die ihren Platz nach der vielfach beschworenen „kulturalistischen Wende“ erst noch erobern muss. Aber auch Fortschritte in der Quellenkritik durch Fragen nach Erinnerung und Gedächtnis führten zu neuen Interpretationen der Papstgeschichte: Wie stark verformte die Erinnerung auch bislang akzeptierte „Tatsachen“? Was wissen wir beispielsweise von Gregor I. und Benedikt von Nursia noch zuverlässig? Oder welche Denkvoraussetzungen bestimmten Innozenz IV. und die Bettelordensmönche aufgrund ihrer juristischen und scholastischen Ausbildung, als es 1245 darum ging, Kundschafter zu den Mongolen zu entsenden?41
Was die Europäisierung für das 12. Jahrhundert ist, bedeutet die Globalisierung für das späte Mittelalter. Schon lange haben die Kreuzzugsforschung und die Byzantinistik auf die Überschreitung europäischer Grenzen im 12./13. Jahrhundert verwiesen. An den Auseinandersetzungen und dem Kontakt mit den Mongolen und dem Aufb ruch zu neuen Welten im 15. Jahrhundert waren die Päpste zentral beteiligt. Beide Phänomene sind jüngst als wichtige „Knotenpunkte“ für die europäische Geschichte des Spätmittelalters bezeichnet worden.42 In welchem Maße eröffnen sie Perspektiven für eine Papstgeschichte nach der Zeit universaler Ansprüche einer lateinisch-europäischen Christenheit?
Was bedeuten diese und weitere Anregungen für die hier vorgelegte Papstgeschichte? Noch heute gebühren dem Papst mehrere Titel und Ämter: Er ist Bischof von Rom, Patriarch des Westens (ein von Benedikt XVI. inzwischen abgelegter Titel), oberster Hirte der Universalkirche. Erst der zuletzt genannte Anspruch macht aus dem Bischof von Rom eigentlich einen Papst. Über lange Zeit agierten die Päpste vielfach nur als römische Bischöfe, konnten jedoch zuweilen ihre päpstlichen Ansprüche durch römische Erfolge erwerben oder festigen. Deshalb müssen die römische Entwicklung ebenso wie die Einzelleistungen bedeutender Personen und die Tendenzen einer Institutionalisierung insgesamt im Auge behalten werden. Fragen des Verhältnisses von Person und Institution betreffen aber zugleich Fragen der Universalität. Wie beeinflussten die individuell oder institutionell formulierten universalen Ansprüche die Formierung Europas jenseits verschiedenartiger Reichsbildungen? Welche Mittel und Wechselwirkungen werden erkennbar? Die Einbeziehung von Fragen nach der Formierung Europas und Formen der Vernetzung lässt Papstgeschichte in einem weiteren Sinne als Kulturgeschichte verstehen, denn insbesondere Netzwerke und Transferprozesse lassen sich kaum oder nicht allein auf theologische, liturgische oder kirchliche Strukturen beschränken.
Bevor das Papsttum prägend werden konnte, musste es zunächst selbst geprägt werden. Schreibt man eine Geschichte des Papsttums also auch aus kulturgeschichtlicher Perspektive, dann sind Transformationen und Prägungen (im angedeuteten doppelten Sinn) besonders aufschlussreich. Lagen zum Beispiel die intensive Netzwerkbildung und der damit zusammenhängende Nepotismus auch darin begründet, dass eine Wahlmonarchie wie das Papsttum viel stärker als Erbmonarchien dieser Mittel strukturell bedurfte, zumal das dynastische Regelprinzip eigener Nachkommenschaft grundsätzlich ausschied und bei Verstößen Kritik auf sich zog? Sieht man auf den Einfluss einer werdenden Institution, dann sind deutliche Phasen des eigenen Autoritätsanspruchs von Aneignung über Zuschreibung, Einforderung und Bewährung zu erkennen: Aneignung spätantiker Traditionen geschah im 4.–6. Jahrhundert, Zuschreibung höchster Entscheidungskompetenz von außen ist im 9. Jahrhundert mehrfach belegt, die Einforderung dieser Positionen ab dem 11. Jahrhundert führte schließlich zur Bewährung gegenüber Kritik und Anfechtungen im späten Mittelalter. Das Phänomen der Gegenpäpste kann möglicherweise Aufschluss geben über den Prozess der Akzeptanz und Zurückweisung päpstlicher Autorität.43
Wenn das Papsttum Antike, Mittelalter und Gegenwart miteinander verbindet, dann erscheint die Begrenzung dieser Darstellung auf eine der drei Epochen zunächst willkürlich. Jedoch sind die Anfänge übergreifender Konzeptionen und einer ersten Institutionalisierung in stärkerem Maße erst seit der Spätantike zu verzeichnen, erst nachdem das Christentum auch im Römischen Reich verbreitet war. Gleichsam als Fundierung und „Vorgeschichte“ wird ein einleitendes Kapitel vorangestellt, das ins beginnende 5. Jahrhundert führt.
Daraus ergeben sich zeitliche Abgrenzungen. Nach Damasus I. (366–384) war es vor allem Papst Leo I., der Große (440–461), der in den letzten Jahren des weströmischen Reiches mit den Denk- und Rechtsfiguren antiker Prägung das gedankliche Fundament für eine neue, tragfähige Institution wesentlich bereicherte. Die Geschichte von Päpsten und Papsttum nahm allerdings anschließend keinesfalls eine zielgerichtete Entwicklung, zumal die Ideen des römischen Bischofs von vielen seiner Mitbischöfe nicht unmittelbar akzeptiert wurden und auch die Versammlungen (Konzilien) im Osten des Reiches andere Modelle kirchlicher Institutionalisierung favorisierten. Will man für die Folgezeit prominente Vertreter nennen, dann sind Gregor I., Nikolaus I., Leo IX., Gregor VII., Alexander III., Innozenz III., Bonifaz VIII. und Benedikt XIII. herauszustellen. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts, mit Leo X. (1513–1521), dürfte schließlich ein sinnvoller Einschnitt für das Ende dieser Darstellung gegeben sein, der vielleicht zu sehr aus deutscher Perspektive begründet sein mag: Der Medici-Papst nahm nicht nur zugunsten des Papsttums in der Frage Stellung, ob ein Konzil oder der Papst höhere Autorität in der Kirche genieße,44 sondern war auch der erste Kontrahent des Augustinermönches und Professors Martin Luther.
Die folgende Darstellung ist in längerer Zeit und in verschiedenen Schüben entstanden; sie fühlt sich den oben skizzierten und weiteren neueren Forschungen verpflichtet. Sie profitiert aber hoffentlich auch von der vielfältigen eigenen Detailarbeit auf dem Gebiet der Papstgeschichte, der Koordination mehrerer Unternehmen zur Papstgeschichte und Papsturkundenforschung ebenso wie von den Diskussionen in verschiedenen Lehrveranstaltungen, von denen eine Übung im Sommer-/Wintersemester 2009 und 2009/10 mit der Besprechung einer früheren Fassung des Textes hervorgehoben sei. Um die jeweiligen Schwerpunkte – sowie das Verhältnis von Amt und Person – auch in der Darstellung anzusprechen, wird jedem Kapitel eine kurze einleitende Passage zu den Grundfragen und den wichtigsten Amtsträgern vorangestellt. Außerdem werden die verschiedenen Leitlinien Institutionalisierung, Europäisierung, Netzwerkbildung, Kommunikationsformen, Verfahrensweisen, geistliche und weltliche Herrschaft auch in den einzelnen Kapiteln verfolgt. Dabei wird die Wechselwirkung von prägen und geprägt werden besonders beachtet. Die unterschiedliche Länge einzelner Kapitel trägt nicht nur der Tatsache Rechnung, dass manche Umbrüche und langfristige Entwicklungen einzelnen Unterkapiteln zugeschlagen werden mussten, sondern auch der Überlegung, dass gewisse Umbruchzeiten prägend waren oder zumindest besonders aufschlussreich sind. Die gegenüber anderen jüngeren Überblicksdarstellungen häufigere Einschaltung von (übersetzten) Quellenzeugnissen dient der Anschaulichkeit und will Eigenheiten und die besondere Faszination des Materials vermitteln, aus dem der Papsthistoriker sein Wissen gewinnt. Beigefügt sind am Ende eine Zeittafel, eine Papstliste sowie eine orientierende Auswahlbibliographie, die Interessierten weiterführende Informationsmöglichkeiten aufzeigt. Ein ausführliches Verzeichnis der Literatur, die dieser Darstellung zugrunde liegt, müsste den Rahmen des Bandes hingegen zwangsläufig sprengen. Entsprechend beschränken sich auch die Anmerkungen auf knappe Nachweise allein in den Fällen, in denen der Wortlaut einer Quelle belegt oder neue Forschungsthesen besonders hervorgehoben werden sollen. Das Register soll unter anderem ermöglichen, auch Begriffserklärungen im Text, die für spätere Kapitel gegebenenfalls wichtig sind, leichter aufzufinden, und bietet ebenfalls zu den genannten Personen die entsprechenden Daten.
Der langen Vorlaufzeit entspricht die Fülle der Danksagungen. Außer mit den verschiedenen Mitgliedern und Mitarbeitern der schon genannten Unternehmungen zur Papstgeschichte und zur Papsturkundenforschung wurde mit weiteren Kolleginnen und Kollegen wiederholt über die Thematik diskutiert. Einige Kapitel – besonders zum frühen Mittelalter – las Herr Dr. Matthias Maser (Erlangen) ebenso kritisch wie Herr Privatdozent Dr. Stefan Weiß (Paris/Augsburg) die Abschnitte zum avignonesischen Papsttum und zum Großen Schisma. Sie verbesserten dadurch den Text in mehrfacher Hinsicht. Herr Dr. Stefan Schröder (Kassel/Erlangen) unterzog alle Kapitel einer kritischen Revision und unterstützte zudem die Bearbeitung des Literaturverzeichnisses, dessen Anfertigung sich Herr stud. phil. Wulf Knickenberg und besonders Frau stud. phil. Miriam Huibens (beide Erlangen) annahmen. Frau stud. phil. Katharina Götz erstellte in kürzester Zeit und sehr zuverlässig das sehr feingliedrige Register. Herr Daniel Zimmermann von der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft lektorierte die einzelnen Kapitel vorzüglich und half mit viel Geduld und bestimmtem Drängen, dass die Papstgeschichte doch noch rechtzeitig erscheinen kann. Unter dem Zeitdruck gelitten hat wieder einmal vor allem meine Frau Gertrud. Allen Genannten, den Studierenden und vielen hier nicht namentlich Aufgeführten sei herzlich gedankt. Während der Abschlussphase des Buches verstarb mein Vater, der in seinen letzten Lebensmonaten noch Anteil an der hier vorgelegten Papstgeschichte genommen hat. Seinem Andenken sei das Buch deshalb gewidmet.
Die Frage nach den Anfängen ist gerade für eine noch heute bestehende Institution zentral, jedoch ausgesprochen schwierig zu beantworten. Sie kann auch in einer Geschichte des Papsttums im Mittelalter nur ansatzweise diskutiert werden, um die Grundfragen zu verdeutlichen. Die ersten vier Jahrhunderte des Christentums in Rom sind durch eine zunehmende hierarchische Strukturierung gekennzeichnet; diese intensivierte sich ab dem Zeitpunkt, als das Christentum nach der Konstantinischen Wende zu Beginn des 4. Jahrhunderts offiziell akzeptiert worden war und in eine enge Verbindung mit der politischen Gewalt trat. In dieser Zeit, die von großen, vornehmlich auf Konzilien geführten Diskussionen um Organisationsformen und Glaubensinhalte der christlichen Gemeinde bestimmt war, wurden die wichtigsten frühen Stellungnahmen zu einem römischen Leitungsamt formuliert. Vielleicht spielte der Unterschied von Ost- und Westreich hierbei eine wichtige Rolle, wie manche Forschungen nahelegen.1
Über die einzelnen Personen, die in den ersten zwei Jahrhunderten als Bischof von Rom fungierten, ist kaum etwas bekannt. Ihre Namen werden in der Bischofsliste des Irenäus überliefert, jedoch bleibt die Chronologie ihrer Pontifikate vielfach unsicher. Erst im dritten Jahrhundert treten einzelne römische Bischöfe deutlicher in Erscheinung, zuvor meist nur, wenn nachträglich wichtige Entscheidungen mit ihrem Namen verknüpft wurden: so Viktor I. (189–198/99) im Zusammenhang mit dem Osterfeststreit oder Calixt I. (217–222) im Zusammenhang mit der Trinitätslehre. Die erste sichere Datierung der Papstgeschichte bietet Pontianus (230–235), der in sardinischen Steinbrüchen zum Märtyrer wurde. Stärkere Konturen besitzt auch Stephan I. (254–258), der im Ketzertaufstreit Position bezog und der zuweilen sogar wegen der erstmaligen Formulierung primatialer Ansprüche in eine Linie mit Gregor VII. und Innozenz III. gestellt wurde. Erst nach der Konstantinischen Wende ragen einzelne Personen deutlich heraus: Silvester I. (314–335) als kirchliches Gegenüber des Kaisers Konstantin des Großen, Liberius (352–366) im Rahmen der arianischen Streitigkeiten oder Damasus I. (366–384), der sich gegen einen Gegenkandidaten durchsetzen musste.
Anastasius I. (399–402) und Innozenz I. (402–417) formulierten Positionen zum Vorrang des römischen Bischofs, vor allem vertrat jedoch Leo I. der Große (440–461) diesen Anspruch besonders vehement. Aber, obgleich er als einer der bedeutendsten Päpste der Spätantike gelten darf, wissen wir über seinen biographischen Hintergrund wenig mehr, als dass er aus einer toskanischen Familie stammte. Auch die Lebenswege der Päpste des 3. und 4. Jahrhunderts können wir vor ihrer Übernahme des römischen Bischofsamtes nur selten erfassen.
Die zahlreichen Papstlisten – auch die heute offizielle des Annuario Pontificio – beginnen alle mit Petrus, obwohl man weder für diesen noch für die Nachfolger in den ersten zwei Jahrhunderten exakte Pontifikatsjahre anzugeben vermag. Deshalb räumen inzwischen sogar katholische Dogmatiker Schwierigkeiten ein, eine päpstliche Kirchenleitung für die Frühzeit zu belegen und den Führungsanspruch Roms auf ein „göttliches Recht“ (ius divinum) zurückzuführen, wie dies noch auf dem Ersten Vatikanischen Konzil 1869–1870 bekräftigt wurde.2 Unabhängig davon, ob man eine göttliche Stiftung des Papstamtes annimmt oder nicht, lässt sich verfolgen, wie sich ausgehend von der erkennbar bevorzugten Stellung des Petrus in verschiedenen Bibelpassagen die Konzeption des Petrusamtes entwickelt hat.
Das Neue Testament hebt Petrus mehrfach hervor, nicht nur mit den schon zitierten Worten, die auch die Kuppel von St. Peter in Rom zieren: „Du bist Petrus der Fels […]“. Dem ließen sich Zitate aus dem Johannesevangelium hinzufügen: „Weide meine Lämmer! […] Weide meine Schafe“ (Joh. 21, 15–17). Unstrittig war Petrus einer der frühesten Jünger Jesu, einer der ersten Zeugen der Auferstehung, wie bei Paulus zu lesen ist. Er stand wohl mit Jakobus dem Älteren an der Spitze des Zwölferkollegiums in Jerusalem. In der dortigen Urgemeinde dürften grundsätzlich alle Gemeindemitglieder anstehende Entscheidungen gemeinsam gefällt haben, jedoch scheint dem Zwölfergremium und darin wiederum Petrus in wichtigen Fragen ein bedeutendes Gewicht zugekommen zu sein. Als die Jerusalemer Gemeinde um 42/44 nach Christus eine erste Verfolgung erlitt, starb Jakobus der Ältere, während Petrus wahrscheinlich die Flucht gelang. Wir wissen allerdings nicht, wo er sein Missionierungswerk fortsetzte. Die Briefe des Apostels Paulus an die Christen in Rom und das vielleicht in Rom verfasste Schreiben an die Gemeinde von Philippi, welche etwa in den Jahren 45/55 nach Christus entstanden, bringen Petrus nicht mit der Hauptstadt des Reiches in Verbindung. Wie diese Schriften allgemein erkennen lassen, dürfte allerdings in Rom schon sehr früh eine Christengemeinschaft innerhalb der recht starken Judengemeinde bestanden haben, obwohl die Jeru salemer Gemeinschaft bis zum Jahre 70 nach Christus, als Titus die Stadt zerstören ließ, eine Spitzenposition behielt. Erst um 96 erwähnt ein Brief der römischen Gemeinde an die Gemeinde von Korinth, der später einem Presbyter oder sogar Papst Clemens zugeschrieben wurde (deshalb oft Pseudo-Clemens), das Wirken von Petrus und Paulus und verbindet es indirekt mit Rom.3 Dieser Brief lässt letztlich nur erkennen, dass Petrus und Paulus in Rom wirkten oder starben, besagt aber nichts über ihre Funktionen in der römischen Gemeinde, die zu dieser Zeit noch gar keine erkennbar festen Strukturen ausgebildet hatte.
Zum Tod und zu den Gräbern von Petrus und Paulus ist nur wenig gesichert. Das Todesjahr Petri ist unklar. Spätere päpstliche Chroniken präzisieren als Tag den 29. Juni und nennen das Jahr 55, jedoch deuten Indizien eher auf das Jahr 67, in die Zeit des Kaisers Nero. Die Verehrung der Gräber von Petrus und Paulus in Rom ist für die frühchristliche Zeit mehrfach belegt. Seit Mitte des 2. Jahrhunderts gab es in Rom Erinnerungsstätten (tropaia), die an der Straße nach Ostia auf Paulus verwiesen und beim Vatikan auf Petrus, dort, wo später die jeweiligen Kirchen zu Ehren dieser beiden Apostel stehen sollten. An diese Stätten knüpft die Verehrung bis heute an. Die archäologischen Ausgrabungen, die in größerem Maße zuletzt in den Jahren 1940–1949 bei der Errichtung des Grabes Pius’ XI. in den vatikanischen Grotten und dann erneut 1953–1957 stattfanden, konnten die Apostelgräber nicht sicher nachweisen. In St. Paul vor den Mauern ergab sich kein direkter Hinweis auf das erste nachchristliche Jahrhundert, in St. Peter fand man zwar unterhalb der Confessio (der Begriff wird in frühchristlicher Zeit auf das Grab eines Märtyrers übertragen, bezeichnet dann auch das Altargrab bzw. wie in St. Peter die Vorkammer dazu), wo man traditionell die Ruhestätte des hl. Petrus vermutete, ein Grab, das offensichtlich für die anderen Grabstätten als Orientierung diente, aber selbst nicht mehr archäologisch gesichert werden konnte. Eine Inschrift aus dem 2. Jahrhundert weist darauf hin, dass eine Ruhestätte iuxta circum Neronis bestand. Die Archäologie kann also nicht sicher beantworten, ob Petrus in Rom als Blutzeuge (Märtyrer) starb und ob er in der Nekropole am Vatikanischen Hügel individuell bestattet wurde.4
Unstrittig ist hingegen, dass man seit der Mitte des 2. Jahrhunderts in der römischen Gemeinde vom Wirken der beiden Apostel in Rom ausging und dass ihnen Erinnerungsstätten zugewiesen wurden. Diese Tradition wurde schon bald auch außerhalb Roms anerkannt: Kein anderer Ort beanspruchte, die Gebeine der Apostel zu besitzen.
Weiter ausgemalt wurde das Wirken von Petrus seit dem 3. Jahrhundert in frühchristliche Erzählungen, die vor allem in Vorderasien entstanden und heute zu den apokryphen Apostelakten zählen. Mit dem Begriff Apokryphen (griech.: geheim, verborgen) bezeichnet man Schriften, die nicht zu den biblischen Büchern gehören, die sich zwar in deren thematischem Rahmen bewegten, aber als verdächtig galten. Papst Innozenz I. bemerkte 405, dass gewisse Schriften nicht zum Kanon der biblischen Schriften zählen, sondern als Apokryphen gelten sollten.5 Die apokryphen Petrusakten berichten unter anderem vom Wirken des Petrus in Rom, auch von seinem Martyrium mit der Kreuzigung kopfunter. Zahlreiche dieser Geschichten wurden in der Folge bildlich dargestellt. Dies verdeutlicht, wie sehr sich der Kult um Petrus festigte und in welchem Maße sich Themen, die auf eine Sonderstellung des Petrus hindeuten könnten, verbreiteten und damit die Vorrangstellung Roms ins Bewusstsein hoben.
Resümiert man die Zeugnisse zu den frühen römischen Traditionen um Petrus, so dürfte es möglich, wenn auch nicht sicher sein, dass Petrus nach Rom kam und dort starb.6 Die genaueren Umstände bleiben unklar; Ausgrabungen bezeugen lediglich eine Verehrungsstätte, die schon früh auf Petrus bezogen wurde. Auch die römische Gemeinde wird relativ früh mit Petrus verknüpft, ohne dass jedoch dem Apostel eine direkte Leitungsfunktion zugeschrieben wurde.
Billigten aber Zeugnisse von außerhalb Roms der römischen Kirche seit dem 2. Jahrhundert einen Vorrang zu? Hier spielen insbesondere die Stellungnahmen des Kirchenvaters und Bischofs Irenäus (Eireneos) von Lyon († um 202), des frühchristlichen Schriftstellers Tertullian († nach 220) oder des Bischofs Cyprian von Karthago († 258) eine Rolle. Irenäus verwies unter anderem angesichts unterschiedlicher Glaubensrichtungen auf die Bedeutung einer apostolischen Nachfolge (Sukzession). Unter den Gemeinden mit apostolischem Ursprung wählte er Rom als prominentes Beispiel. Dabei unterstrich er neben der apostolischen Sukzession auch die zweifache Auszeichnung Roms durch Petrus und Paulus, bezeichnete Rom sogar als Ewige Stadt (Roma aeterna). Insgesamt profitierten die römischen Bischöfe von der Tatsache, dass die ihnen anvertraute Christengemeinde in der Reichshauptstadt angesiedelt war. Außerdem sollte der mit der Apostolizität verbundene Begriff cathedra, den später auch Bischof Cyprian von Karthago oder Tertullian verwendeten, langfristig zu einem wichtigen Argument für den Vorrang Roms werden. In ihrer Zeit verwiesen die verschiedenen Zeugnisse jedoch vor allem auf die Anerkennung eines gewissen Ehrenvorrangs innerhalb des Westens, der in der Regel nur bei aktuellen Anlässen evoziert wurde. Ein Lehr- oder Jurisdiktionsprimat, wie er später formuliert und durchgesetzt wurde, stand noch nicht zur Diskussion.
Wichtiger ist es deshalb zu skizzieren, wie sich die römische Gemeinde weiterentwickelte. Denn die bald gewonnene Anerkennung und die besondere Stellung Roms basierten auch auf der Prägekraft, welche die dortige Gemeindeorganisation und Liturgie entfalteten. Dabei ist gegenüber der christlichen Frühzeit eine Tendenz zu stärker hierarchischen und verfestigten Strukturen zu beobachten. Zu Zeiten des Papstes Cornelius (251–253) zählte die römische Gemeinde 1500 Witwen und Hilfsbedürftige, die zu versorgen waren. Daraus hat man eine Größe von insgesamt etwa 30.000 Mitgliedern errechnen wollen. Auch der Klerus, die kirchlichen Amtsträger, war zu dieser Zeit zahlreich: 46 Presbyter, sieben Diakone, sieben Subdiakone, 42 Akolythen, 52 Exorzisten, Lektoren und Ostiarier waren in hierarchischer Gliederung dem Bischof unterstellt, wie Cornelius nebenbei in einem Brief nach Antiochien (253) erwähnt haben soll.7
Die Größe der römischen Gemeinde und die Zahl der Amtsträger in einem noch weitgehend heidnisch dominierten Rom verweisen auf ausreichend bestehende materielle Grundlagen; entsprechend konnte die Christengemeinde bei Verfolgungen leicht geschädigt werden. Seit Kaiser Trajan (98–117) durften Christen allerdings nur noch verfolgt werden, wenn sie formell angeklagt und für schuldig befunden worden waren. Die allgemeine Zunahme an Christen verbreiterte das soziale Spektrum, besonders Frauen der Oberschicht gehörten bald in großer Zahl zur römischen Christengemeinschaft. Dies trug soziale Spannungen und Konflikte zwischen verschiedenen Gesellschaftsgruppen in die Gemeinde: Calixt I. (217–222) sah sich zum Beispiel dem Widerstand des Presbyters Hippolyt gegenüber, als er alte Grundsätze teilweise neuen Gegebenheiten anpasste. Der Konflikt zwischen Calixt und dem später als Gegenpapst geltenden Hippolyt zeigt zugleich die Konkurrenz der entstehenden Klerikergruppen, denn Calixt stammte aus dem Kolleg der Diakone, Hippolyt war Presbyter.
War in diesem Fall ein interner Konflikt bereits deutlich greifb ar, so kam es in der Mitte des 3. Jahrhunderts zur Spaltung der Gemeinde (Schisma). Unter Kaiser Decius (249–251), der den Kaiserkult wieder stärken wollte, begann eine große Christenverfolgung (249–251). Manche Christen opferten unter Druck dem Kaiserbild, sie galten als lapsi (Gefallene). Wie diese trotz ihres Abfalls wieder in die Gemeinschaft zu integrieren waren, wurde auch in der römischen Gemeinde diskutiert. Der Pragmatismus des römischen Bischofs Cornelius stand den Positionen des Presbyters Novatian gegenüber, der bei der Bischofswahl unterlag, Gegenbischof wurde und die exklusive Gemeinschaft der Reinen (katharoi) anführte, die selbst über Rom hinaus Anhänger fand. Das situationsgebundene Handeln des Cornelius wurde für die römische Kirche zukunftsweisend; selbst nach einer wirklich bedrohlichen Verfolgungswelle unter Kaiser Valerian (253–260) wuchs die römische Gemeinde weiter, so dass die letzten großen Nachstellungen unter Diokletian und Galerius, die 302 einsetzten, sie nicht mehr ernsthaft gefährden konnten. Mithin führten die Ausbildung eines hierarchischen Systems von Amtsträgern, die Fixierung eines Kanons von heiligen Schriften und die zunehmend verfestigten kultischen Formen gemeinsamer Gemeindefeiern zu einer Verfestigung, die durch Anpassungsfähigkeit weiter gefördert wurde.
Der wachsende Grad an Organisation und Konsolidierung seit dem 3. Jahrhundert ist auch räumlich und liturgisch fassbar. Rom wurde entsprechend den Amtsbezirken der Diakone und Subdiakone in (sieben) Regionen eingeteilt. Außerdem erwarb die römische Gemeinde Zoemeterien (Friedhöfe und Grabanlagen) zur Bestattung und benutzte zunehmend feste Gebäude für ihre Gottesdienste. Neben den schon genannten Gedenkstätten für Petrus und Paulus ist die von Calixt I. erworbene Katakombe zu nennen, wo eine noch heute zu besichtigende Gruft für die römischen Bischöfe angelegt wurde. Weitere Festlegungen erfolgten in der Liturgie: Im feststehenden Teil der Messe (Kanon) wurde an die Vorgängerbischöfe aus schweren Zeiten, an Cornelius und Sixtus, erinnert. Es ist aufschlussreich, dass erst im 6. und 7. Jahrhundert weitere Namen hinzugefügt wurden. Allerdings dürfte das Doppelfest des Petrus und des Paulus mit dem Datum des 29. Juni schon im 3. Jahrhundert festgelegt worden sein. Aus dieser Zeit stammen auch die ersten sicheren Aufzeichnungen zur römischen Gemeinde, weil von nun an Listen mit Antritts- und Todesdatum der römischen Bischöfe geführt wurden (erstmals 235).
Vor dem Hintergrund der Entwicklung der römischen Christengemeinde kann die offizielle Erlaubnis des christlichen Kultes in den Toleranzedikten zwischen 311 und 313 auch als Bestätigung der inzwischen errungenen Machtposition der christlichen Kirche gewertet werden. Es war abgesehen von vielen weiteren Gründen politisch klug und an der Zeit, auf die neuen, offenkundigen Entwicklungen einzugehen. Als Kaiser Konstantin (306–337) im Herbst 312 trotz geringer Truppenstärke gegen den Usurpator Maxentius erfolgreich blieb, soll dies späteren Berichten zufolge aufgrund eines Traumgesichtes geschehen sein: An Konstantin sei, so berichtet Lactanz, die Aufforderung ergangen, das himmlische Zeichen Gottes auf den Schilden seiner Soldaten anbringen zu lassen. Und laut Euseb habe Konstantin im Traum sogar erfahren, dass er unter diesem Zeichen siegen werde.8 In der Konsequenz bedeutete die anschließende Hinwendung Kaiser Konstantins I. zur christlichen Religion, die wahrscheinlich nach der siegreichen Schlacht an der Milvischen Brücke (28. Oktober 312) erfolgte, allein schon aufgrund rechtlicher Begünstigungen eine neue Chance für die Kirche. Die später geprägte Bezeichnung „Konstantinische Wende“ deutet die Tragweite an, obwohl erst die Anerkennung als Staatsreligion (Dekret des Kaisers Theodosius I. vom 27. Februar 380) den entscheidenden Schritt bezeichnet. Die darauf folgenden grundlegenden Änderungen der kirchlichen Strukturen mit dem Aufschwung der Missionierung, dem Mönchtum und weiteren Entwicklungen sind später aber nicht von allen als Fortschritt gewertet worden. Wer in der Urkirche, der ecclesia primitiva, das Ideal kirchlich-gemeinsamen Handelns sah, für den bedeutete die Konstantinische Wende den ersten Sündenfall, wie schon Reformer des hohen Mittelalters, später Martin Luther und weitere Reformatoren unterstrichen. Auch allgemeine Vorbehalte sind formuliert worden, weil erst nach der Konstantinischen Wende Eingriffe des Kaisers verstärkt möglich wurden und damit die Gefahren der Verweltlichung zunahmen. Ohne sich auf Polemik oder extreme Wertungen einzulassen, bleibt unbestritten, dass die Rolle der römischen Bischöfe seit dem 4. Jahrhundert in stärkerem Maße mit den Schicksalen und den Interessen der weltlichen Machthaber verbunden erscheint.
Um die Bedeutung der römischen Bischöfe im 4. und in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts angemessen würdigen zu können, sind deshalb die allgemeinen Rahmenbedingungen im Auge zu behalten, vor allem die Stellung Roms im Gesamtreich und die Entwicklungen der sogenannten Völkerwanderung. Seit Konstantin und seinen Nachfolgern verlor Rom zunehmend sein Gewicht als Reichshauptstadt, denn der Kaiser baute seit 324 das „Neue Rom“ am Bosporus aus, das bald seinen Namen, Konstantinopel, tragen sollte. In der Folge wurde der in Rom zurückgebliebene Senat weitgehend bedeutungslos, profilierte sich zuweilen durch Opposition und ließ noch bis ins 5. Jahrhundert vor allem in Rom Kultstätten des alten Glaubens errichten. Die römischen Bischöfe versuchten hingegen angesichts der entfernt residierenden Kaiser vielfach, ihr eigenes Regiment zu stärken. Einheitstendenzen in Rom kam zustatten, dass die griechischsprachige Bevölkerung Rom zunehmend verließ. Zugleich schrumpfte die Bevölkerung Roms drastisch, man schätzt zuweilen schon für das 4. und 5. Jahrhundert einen Rückgang von 500.000 auf 100.000 Einwohner. Die unterschiedliche Entwicklung in Ost und West sollte große Folgen zeitigen.
Die Mobilität neuer gentes während der „Völkerwanderung“ betraf Rom vor allem 410, als die Westgoten, und 455, als die Vandalen vor der Stadt lagerten. Damals bestanden die römischen Bischöfe Innozenz I. und Leo I. ihre Bewährungsproben und erschienen vielen Zeitgenossen als die eigentlichen Herren der Stadt, denn teilweise führten sie die Verhandlungen mit den „Barbaren“. Allerdings ergab sich verstärkt das Problem, dass die meisten neuen gentes wie die Ostgoten oder später die Langobarden, nicht der katholischen Lehre, sondern einer damals weit verbreiteten, aber als häretisch verurteilten Variante, dem sogenannten Arianismus, anhingen. Arius (Areios), ein Presbyter aus Alexandria († 336), hatte eine auf dem Konzil von Nizäa (325) verworfene Position zur Trinitätslehre vertreten, die davon ausging, dass es nur einen höchsten und wahren Gott als Vater gebe. Christus, dem die Gottessohnschaft abgesprochen wurde, galt als höchstes aller Geschöpfe. Der Sohn sei demnach nicht ewig wie der Vater. Im Westen des Römischen Reiches hatte der Arianismus außer bei den (germanischen) gentes wenig Anhänger. Auf lange Sicht brachte hier wohl der Schritt der Frankenkönige zur römischkatholischen Lehre, der mit der Taufe Chlodwigs erfolgte,9 die entscheidende, wenn auch in mancher Hinsicht nicht unproblematische Konsolidierung des Katholizismus.
Die Konsequenzen der „Wende“ wurden in der Stadt Rom selbst deutlich. Als Konstantin sein Bekehrungserlebnis hatte, bekleideten in Rom Miltiades (310/11–314) und danach Silvester I. (314–335) das Bischofsamt. Beide treten in den zeitgenössischen Quellen nicht besonders hervor, erst gegen Ende des 4. Jahrhunderts sind Anzeichen erkennbar, die eine besondere Wertschätzung Silvesters und seiner Rolle im Zusammenspiel mit Konstantin unterstreichen. Wie in vielen anderen Fällen wurde auch hier erst aus der Rückschau eine einheitlich wirkende Vergangenheit entworfen. Miltiades hatte von Konstantin – gleichsam als Dank für den durch Hilfe des Christengottes gewährten Sieg – das Gelände des Kaiserpalastes auf dem Lateran geschenkt bekommen: Der Kaiser selbst noch hatte darauf eine Basilika zu Ehren des Erlösers, ein Baptisterium (Taufkirche) und wahrscheinlich einen (sicher erst seit dem 6. Jahrhundert nachgewiesenen) Amtssitz (episcopium) für den römischen Bischof errichten lassen. Auch deshalb wurde die dem Erlöser geweihte Lateranbasilika bis weit ins Mittelalter hinein als Basilica Constantiniana bezeichnet. Sie ist bis heute die Bischofskirche des römischen Sprengels und gilt als Zentrum des christlichen Rom; schon kurz nach ihrer Errichtung hieß sie caput et mater omnium ecclesiarum (Haupt und Mutter aller Kirchen). In diesem Gotteshaus fanden bis zu 10.000 Menschen Platz, das Innere wurde reich ausgestattet: Rechnet man die Edelmetalle zusammen und auf heutige Gewichte um, so kommt man auf ein Gesamtgewicht von 82 Kilogramm Gold und 775 Kilogramm Silber.10 An den sieben Altären neben dem Hauptaltar, wo der Bischof zelebrierte, nahmen wohl sieben Diakone die Gaben der Gläubigen (Brot und Wein) entgegen. Der Lateran lag am Rand des damals (noch dichter) besiedelten Rom; diese Randlage sollte sich später bei Konflikten mit der Einwohnerschaft als günstig erweisen.
Neben der Lateranbasilika entstanden weitere Kirchen, die teilweise ebenso auf Stiftungen der kaiserlichen Familie zurückgingen. Als Bauform wurde die in Rom übliche „Mehrzweckhalle“ der Basilika bevorzugt. Die Kaiserinmutter, Helena, die aus Palästina ein Stück vom Kreuzesholz mitgebracht haben soll, errichtete beim Sessorianum eine Andachtsstätte, die später den Beinamen „Jerusalem“ erhielt und heute „Santa Croce in Gerusalemme“ heißt. Andere, später wichtige Kirchen dienten zunächst vor allem der Bestattung von Angehörigen der kaiserlichen Familie und lagen an wichtigen Straßen: S. Marcellino e Pietro (Via Labicana), S. Lorenzo (Via Tiburtina), S. Agnese (Via Nomentana), weiterhin St. Peter auf dem vatikanischen Hügel und S. Sebastiano (Via Appia); vielleicht zählte dazu auch ein kleines Haus über dem Paulusgrab an der Straße nach Ostia vor den Mauern der Stadt. An diesen für Bestattungen vorgesehenen Zoemeterialkirchen fanden anfangs noch keine Eucharistiefeiern statt. Von den genannten Kirchen wurden nur die wichtigsten Grabeskirchen St. Peter und bedingt St. Paul, die vor allem die Erinnerung an die beiden Apostel evozierten, in die stadtrömische Liturgie zunehmend eingebunden.
Neben Basiliken und Zoemeterien sei eine dritte Form sakraler Bauten und deren Funktion im frühchristlichen Rom genannt: Seit der Spätzeit Konstantins errichteten Bischöfe und Presbyter, manchmal auch vermögende Laien, sogenannte Titelkirchen in Privathäusern. Oft mals wurden die Kirchen nach dem Stifter, später zunehmend nach einem Heiligen bezeichnet. Hier versahen Presbyter den liturgischen Dienst, sie feierten mit der Hilfe von Ostiariern, Lektoren und Akolythen die Eucharistie, und manche bereiteten mit den Exorzisten auf die Taufe vor. Da es offensichtlich viele Taufwillige gab und da sich die Kindertaufe zunehmend durchsetzte, delegierte der römische Bischof seine Taufvollmacht. So wurden an einigen Titelkirchen, aber auch an Zoemeterialbasiliken wie St. Peter oder S. Lorenzo, Baptisterien zur Taufe errichtet. Mit den Titelkirchen entstand aber insgesamt ein Netzwerk, das in der Folge die Stellung der Presbyter an diesen Kirchen stärkte. Römische Titelkirchen bestehen bis heute und sind die den Kardinälen zugewiesenen Kirchen. Das halboffiziöse Papstbuch (Liber pontificalis, vgl. Kapitel III, S. 51) berichtet mehrfach von ihrer Übertragung an römische Priester. Die Zahl der Titelkirchen stieg von 18 auf 25 (um 400). Spätere Verzeichnisse stammen von 499 und 595 (römische Synoden), sowie aus karolingischer Zeit. Die Titelkirchen waren in Rom Vorläufer der Pfarreien, weil die Titelpriester zunehmend sakramentale Befugnisse besaßen. Sie beteiligten sich an der Papstliturgie und erhielten vom Papst zum Zeichen der Gemeinschaft das fermentum (Teil des eucharistischen Brotes), das sie bei den eigenen Feiern in den Kelch legten. Seit dem 8. Jahrhundert blieb nur der erste Priester einer Titelkirche im Presbyterium des römischen Bischofs. Die Vorsteher der Titelkirchen wurden seit dem 8. Jahrhundert auch Kardinäle beziehungsweise Kardinalpriester genannt.
Die neue sakrale Topographie der Stadt Rom zeigt, wie sehr die Christen in der alten Reichshauptstadt seit dem 4. Jahrhundert an Bedeutung gewannen, was neben eigenen Bemühungen auch der kaiserlichen Förderung zu verdanken war. Jedoch war Rom noch nicht ausschließlich von Christen bevölkert. Zurückhaltend blieben vor allem die Senatoren und deren Familien, die oft noch den alten Göttern anhingen. Erst zu Beginn des 5. Jahrhunderts wechselten konservative Senatorenfamilien wie die Symmachi oder Nicomachi zum Christentum. Den wohl wichtigen Erfolg der Christianisierung auch bei den Senatorenfamilien lässt das Apsismosaik von S. Pudenziana (von etwa 400) erkennen, denn hier werden Petrus und Paulus in Senatorentracht gezeigt (Abb. S. 31).
Die Einheit des Glaubens förderten nicht nur symbolische Akte. Abweichler, die fast alle Päpste der fraglichen Zeit entdeckten, wurden in ihre Schranken gewiesen. Zur Bekämpfung suchten die römischen Bischöfe die Unterstützung der weltlichen Gewalt, die Konstantin und seine Söhne gewährten. Nach dem Wegzug vieler griechisch sprechender Personen in den Osten wurde die lateinische Liturgiesprache leichter durchsetzbar und stiftete Einheit. Allerdings zog sich dieser Prozess bis in das beginnende 5. Jahrhundert hin und verlief nicht ohne Widerstände, wie einzelne griechische Formeln in der Liturgie (z.B. Kyrie eleison) bis heute belegen. Die vom Bischof ausgehende Liturgie band die zahlreichen Kultorte in Rom in verschiedenster Weise zusammen. So feierte der Bischof die Hochfeste in bestimmten Kirchen: Weihnachten (im Westen anders als im Osten am 25. Dezember) in St. Peter, Ostern im Lateran, Pfingsten wiederum in St. Peter. Unsicher ist, inwieweit die nach dem Konzil von Ephesos (431) erbaute Marienkirche (S. Maria Maggiore) sowie weitere vor den Mauern gelegene Basilikalkirchen schon in dieser Zeit in den bischöflichen Gottesdienstzyklus einbezogen waren.
Das Anwachsen der römischen Gemeinde, die Zunahme von Sakralbauten und von Klerikern mit verschiedensten Aufgaben veranlassten dazu, Bedingungen für den Klerikerstand genauer zu regulieren. Dies betraf beispielsweise das Zutrittsalter. Seit Papst Zosimus (417–418) mussten Diakone und Presbyter mindestens 25 bzw. 30 Jahre alt sein. Die höheren Kleriker, also Diakon und Presbyter und gegebenenfalls außerhalb Roms auch Bischöfe, wurden meist an einem Termin im Jahr – oft im Dezember – geweiht.11 Im Vorfeld konnte der Lebenswandel der Kandidaten geprüft werden, und seit dem späten 4. Jahrhundert gab es Versuche, den höheren Klerus auf den Zölibat zu verpflichten. Manche Kandidaten wurden nicht akzeptiert, zum Beispiel Personen, die vorher bestimmte Berufe ausgeübt hatten oder die bereits ein zweites Mal verheiratet waren. Aufgrund solcher Ausschlussbestimmungen rekrutierte sich der Klerus bald nur noch aus der gehobenen Mittel-, später auch aus der senatorialen Oberschicht. Die damit entstehende Distanz zur übrigen Bevölkerung verstärkte die Steuerfreiheit des Klerus. Da aber nur Presbyter und Diakone zunehmend zölibatär lebten und der Beruf des Klerikers attraktiv war, bildeten sich auf der Ebene der niedrigeren Weihegrade sogar Familientraditionen und Klerikerdynastien aus; trotzdem blieben Presbyter und Diakone die wichtigsten Weihegrade. Sie waren gleichgestellt, aber die Presbyter hatten in liturgischer Hinsicht größere Rechte, während die Diakone aufgrund ihrer Nähe zum Bischof und der geringen Zahl von sieben meist die größere Chance besaßen, in Rom selbst Bischof zu werden.
Thronender Christus mit den Aposteln und den Heiligen Pudenziana und Praxedis (im Hintergrund das Himmlische Jerusalem und die vier Evangelistensymbole). Apsismosaik in S. Pudenziana, Rom, vom Ende des 4. Jh.
Der römische Bischof wurde gewählt. Weltliche Kräfte versuchten wiederholt, Einfluss auf die Wahlen zu gewinnen. Wahlberechtigt waren Klerus und Volk; die Berichte lassen erkennen, dass damit in der Regel Presbyter und Diakone sowie die Vornehmen der Stadt Rom gemeint waren. Bei zwiespältigen Wahlen sollten die Mehrheit der Stimmen aus dem Klerus und die rechtmäßig erteilte Weihe entscheidend sein. Dies konnte auf lange Sicht zum Beispiel den Einfluss des Bischofs von Ostia steigern, der unter Assistenz von zwei weiteren aus dem römischen Umland (Porto und Albano) stammenden Bischöfen das Weiherecht des künftigen Papstes erlangte. Wie strikt die Grundsätze befolgt wurden, ist nur umrisshaft zu erkennen, denn Parteiungen und Interessen führten zu – in Einzelfällen dokumentierten – zwiespältigen Wahlen, die nicht mit den genannten Mitteln geklärt und entschieden werden konnten.
Die Wählerschaft begünstigte Kandidaten aus Rom sowie Personen aus angesehenen, höhergestellten Familien, denn nur diese konnten als römische Bischöfe soziale Pflichten wahrnehmen. Dies wurde immer wichtiger, weil die staatlichen Strukturen für die Versorgung der römischen Bevölkerung zunehmend ausfielen. Armenspeisungen oder Auslösungen von Gefangenen gehörten inzwischen zu den Aufgaben der römischen Bischöfe. Spätestens seit dem Ende des 5. Jahrhunderts war in Rom bei der Aufteilung des kirchlichen Vermögens der vierte Teil für die Armen vorgesehen (daneben je ein Viertel für den Bischof, den Klerus und die kirchlichen Bauten).