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Jedem ist sie bekannt, die älteste Liebesgeschichte des Abendlandes, gesponnen um die Namen Tristan und Isolde. In diesem Werk macht Schurig aus dem Epos einen lesenswerten Roman.
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Seitenzahl: 219
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Der Roman von Tristan und Isolde
Arthur Schurig
Inhalt:
Die Tristan Sage
Der Roman von Tristan und Isolde
Der Roman von Tristan und Isolde, A. Schurig
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
86450 Altenmünster, Loschberg 9
Deutschland
ISBN: 9783849635947
www.jazzybee-verlag.de
www.facebook.com/jazzybeeverlag
Tristan heißt das höfische Kunstepos, das Gottfried von Strassburg hinterlassen hat. Die Sage ist wie diejenige des Artus eine britannische, scheint aber im Gegensatze zu dieser, welche einen historischen Hintergrund hat, mehr mythischer Natur zu sein; wie dieselbe, ohne Zweifel durch normannisch englische Sänger, in die nordfranzösische Literatur geriet, ist nicht ausgemittelt; ebenso wenig sind die französischen Gedichte erhalten, aus denen Gottfried seiner eignen Aussage zufolge seine Geschichte entnahm. Eine Verbindung der Tristansage mit der Artus- und Gralsage ist nur sehr äußerlich hergestellt worden. Auch das unterscheidet die Tristansage von der Artus- und Gralsage, dass jene von vornherein eine Liebessage ist, ähnlich den Sagen von Pyramus und Thisbe, Hero und Leander, Romeo und Julie. Von der Beliebtheit, welcher sich die Tristansage im Mittelalter erfreute, geben namentlich verschiedene bildliche Darstellungen Zeugnis, so Freskodarstellungen auf dem Schlosse Runkelstein bei Bozen, ferner mehrere Teppiche, ein geschnitztes Elfenbeinkästchen u.a.
Das Gedicht Gottfrieds beginnt mit der Geschichte der Eltern des Helden, Riwalin und Blanscheflur, welch letztere die Schwester des Königs Marke von Kurnewal ist; der Vater ist, von einem Feinde besiegt, kurz vor, die Mutter bei der Geburt des Söhnleins gestorben, das nun von dem getreuen Marschall des Vaters, Rual, als dessen eigenes Kind zu sich genommen und aufgezogen wird. Norwegische Kaufleute entführen den 14jährigen Knaben, an dessen Gestalt und Begabung sie Gefallen gefunden, mit sich, setzen ihn indes, durch einen schrecklichen Sturm zur Erkenntnis ihrer Raubtat gekommen, wieder ans Land. Von zwei Pilgern begleitet, trifft er zufällig auf die Jäger seines ihm unbekannten Oheims Marke, deren Lob er sich durch seine meisterlichen Jägerkünste gewinnt; auch der König selbst fühlt sich so zu dem Jüngling hingezogen, dass er ihn zu seinem Jägermeister ernennt, ja ihm, nachdem jener sich auch im höchsten Grade der Sprache und des Saitenspieles kundig erwiesen, geradezu seine Freundschaft anträgt. Vier Jahre schon hält sich Tristan an Markes Hof auf, als sein Pflegevater Rual nach mühseligen Wanderungen, die er um Tristans willen unternommen hat, den Ersehnten findet und vor König Marke das Rätsel seiner Geburt löst, worauf sich dieser bereit erklärt, Erbvater seines Neffen sein zu wollen. Er folgt Tristans Schwertleite, bei welcher Gottfried Veranlassung nimmt, in einer berühmt gewordenen klassischen Stelle sein Urteil über die bedeutendsten deutschen höfischen Dichter auszusprechen. Nachdem Marke seinem Neffen versprochen; dass er seinetwegen unverehelicht bleiben wolle, kehrt dieser in seine Heimat zurück, rächt seinen Vater, übergibt aber sein wiedergewonnenes Land seinem geliebten Rual und kehrt zu seinem Oheim Marke zurück. Hier ist soeben Morolt von Irland erschienen, um für seinen Schwager den seit mehreren Jahren auferlegten Zins und dreißig edle Jünglinge zu heischen; Tristan bewegt seinen Oheim den Zins zu weigern und besteht den in diesem Falle ausbedungenen Zweikampf mit Morolt; zwar besiegt, erschlägt er diesen im zweiten Waffengange, nachdem er freilich im ersten Waffengange durch Morolts vergiftetes Schwert eine Wunde erhalten, die nach Morolts eigener Aussage bloß durch dessen Schwester Isolde geheilt werden kann. Da infolge des Ausgangs dieses Kampfes Irland für Tristan verschlossen ist, sieht er sich genötigt, als Spielmann verkleidet jenes Land zu betreten, wo es ihm wirklich durch seine List gelingt, bei der Königin Einlass und von ihr Heilung seiner Wunde zu erlangen; als Entgelt dafür hat er die Tochter der Königin, die junge Isolde, in Saitenspiel und Sprachen zu unterweisen. Nachdem er zu Marke zurückgekehrt, sieht sich dieser auf den Rat von Neidern Tristans und auf dessen eigenen Rat hin veranlasst, an eine Verehelichung zu denken und zwar, wieder auf Tristans Rat hin, mit der jungen Isolde. Natürlich kann kein anderer als Tristan selber der Brautwerber sein, und es gelingt ihm nach vielen Abenteuern, worunter auch ein Drachenkampf erscheint, die Einwilligung zu erhalten. Zur Heimfahrt gibt die alte Königin ihrer Tochter ihre Niftel Brangaene und zugleich einen Minnetrank mit, welchen Brangaene, nachdem sich Isolde und Marke in Liebe vereint hätten, diesen statt Weines schenken möge. Während die Reisenden einmal Ruhe halten, und das Volk sich zur Erlustigung an das Land begeben hat, besucht Tristan die Königin und begehrt während des Zwiegespräches zu trinken; da reicht ihm eine der anwesenden Jungfrauen unwissentlich jenes Gefäß; Tristan bietet es zuerst der Herrin, dann trinkt er selber und sofort erwacht in beider Herzen glühende Liebe, und es nützt nichts mehr, dass die erschrockene Brangaene das Glas ins Meer wirft. Nun folgen verschiedene Abenteuer, welche alle darauf hinauslaufen, den mit Isolde vermählten König Marke wegen der Treue seiner Gattin zu täuschen, wobei außer dem Könige selbst bald dessen Truchsess, bald ein Zwerg der Betrogene ist. Endlich überzeugt sich dennoch der König der Untreue seines Neffen und seiner Gattin, doch sind ihm beide zu lieb, um sie zu töten, er verbannt sie. In der Wildnis halten sie sich in einer herrlichen Minnegrotte auf, wo sie der jagende König neuerdings findet und, durch eine List von neuem getäuscht, beiden vergibt. Wiederum aber überrascht Marke das Paar, worauf Tristan flieht und in der Fremde eine Liebschaft mit einer anderen Isolde, Isolde Weisshand, anknüpft. Die Dichtung bricht mit der Erzählung ab, wie Tristan dieser neuen Geliebten schöne Lieder gedichtet und gesungen habe.
Das unvollendet hinterlassene Gedicht hat zwei Fortsetzer gefunden: Ulrich von Türheim schrieb um 1240 seine etwas schwächere und notdürftige Weiterführung; er wurde wesentlich und mit Glück übertroffen von Heinrich von Freiberg, um 1300. Ausgabe des Tristan mit sämtlichen Fortsetzungen von Fr. H. v.d. Hagen, 2 Bände, Breslau 1823. Neueste Ausgabe von Gottfrieds Tristan, v. Reinhold Bechstein, 2 Bände, Leipzig, 1869. Von ebendemselben der Tristan
Vernehmt, Damen und ritterliche Herren, die älteste Liebesmar des Abendlandes, gesponnen um die Namen Tristan und Isolde. Wer kennte sie nicht von Jugend auf? Ein Bretone hat ihr Schicksal zuerst besungen, vor nun tausend Jahren. Sie haben leibhaft gelebt, die beiden herrlichen Gestalten, Kelte er, Germanin sie, drei Jahrhunderte ehe der Sänger sie erhob zur Unsterblichkeit. Ihnen wie allen großen Liebenden ward die Lust verklärt vom Leid, das Leid durchsonnt von Lust. Trennung war das Los ihres Erdenganges, Geheimnis der Dämon ihrer Schuld. Früher Tod am gleichen Tage einte sie ewiglich. In immer sich wandelnder Form schreitet das göttliche Paar durch die Nachwelt, Wagenden zum Vorbild, Siegenden zur Labung, Geschlagenen zum Trost.
In grauen Zeiten herrschte im Herzogtum Leonnois, im Nordwesten von Aremorika – so hieß die Bretagne unter dem trotz aller Großartigkeit untergegangenen Römischen Imperium – ein streitbarer junger Fürst, König Riwal. Seiner keltischen Vorväter einer war aus Britannia über das Meer gekommen, verdrängt von den dort immer stärker eindringenden Sachsen, wohl aus dem Lande der Pikten, die im nordöstlichen Zipfel des späteren Schottlands wohnten. Über den Granitklippen des Festlandes hatte er das Kastell Kanohel erbaut, die älteste Burg auf der bretonischen Halbinsel, fortan der Sitz der Herren von Leonnois. Das war nun mehrere Jahrhunderte her, in welchem Zeitlaufe ganz Europa schweres Schicksal erduldete. Die Völker waren in Bewegung. Sie schwärmten heran aus unbekannten Fernen, vergewaltigten die Ureinwohner, raubten, mordeten, brannten Höfe und Häuser nieder, um im eroberten Gebiete zu verbleiben oder zumeist ruhelos weiter zu wandern.
Menschenarm waren alle Lande und arm die Menschen. Auch in den drei oder vier Herzogtümern der Bretagne, ehedem friedvollen glücklichen Gauen, machte es längst kaum mehr Freude zu leben. Schwermut lag über den Weiden und Wäldern ebenso wie auf den Mienen der Leute. Rauh war deren Tun und Denken geworden. Wer Herr war, mußte stark und gewaltsam sein, und wer Knecht, stark und duldsam. Keiner griff zaghaft zu, und niemand ward zart behandelt. Aller Herzen waren steinhart, wie der bretonische Boden, und, wenn sie erglühten, heiß und überheiß, und ihr Schlag vernehmlich. Mitleid kannten sie nicht, wohl aber Haß, Leidenschaft und Treue. Die Bauern blieben ihren Fürsten und Führern ergeben, denn wenn diese auch ursprünglich fremde Gewalthaber gewesen, so waren sie ihnen doch tapfere Verteidiger wider die räuberischen Seefahrer, die immer wieder vor den felsigen Küsten erschienen, um mehr oder minder weit ins Land einzufallen.
In den letzten hundert Jahren waren es jene verwegenen Nordmänner, die Wikinger, die am Ostgestade der Grünen Insel, Irland genannt, eine Reihe von Reichen gegründet hatten, das mächtigste mit seinem Königssitz in der festen Stadt Dowelin. Jahr um Jahr wagten sie von dort in ihren flinken Langschiffen kühne Fahrten nach dem Festlande, aus zielloser Lust am Abenteuer, aus Drang nach Eroberungen, aus Gier nach fremdländischen jungen Weibern, schließlich aus gemeinem Durst nach Gold und allerlei Dingen, die sie für kostbar schätzten. Schon das armselige Land Leonnois litt unter diesen schrecklichen Germanen; hundertmal mehr zu fürchten hatte das reichere Herzogtum Cornouaille, das im Osten an König Riwals Gebiet grenzte. Man konnte von einem Herzogtum ins andre sowohl zu Schiff, an der Felsenküste hin, wie zu Fuß oder zu Pferd über die Waldberge gelangen.
In Cornouaille herrschte König Marke. Seine weithin berühmte Burg, ehedem ein Römerkastell, hieß Tintagol. Hoch ragte sie über Hügel und Haide, sechs Wegstunden landeinwärts, an einem kleinen Flusse. Wo dieser in eine lange schmale Bucht des Meeres strömte, ein wenig unterhalb der Stadt und Burg Dinan, da war der Haupthafen des kleinen Reiches. Im Wechsel des Krieges hatten die Cornouailler das Mißgeschick, den Wikingern zinspflichtig zu werden. Seitdem holte sich der Feind alle Jahre den Tribut: Reichtümer, Sklaven und Jungfrauen. Wohl versuchte man jedesmal, sich der Schmach zu wehren. Vergebens. Die Übermacht war zu groß.
Da verschworen sich die beiden Nachbarn zu einem Bunde, und im kommenden Frühjahr, ehe der böse Feind erschien und eindrang, sandte König Marke hinüber nach Kanohel und rief den Herzog von Leonnois zur gemeinsamen Abwehr.
Riwal brach alsbald auf mit den Rittern seines Landes und einem stattlichen Gefolge von Mannen. In Tintagol auf das Beste empfangen, vergnügte sich Edelmann wie Knecht bei Wettspiel, Sang und Becherklang, bis die Kunde vom Nahen der in aller Welt gefürchteten Wikingerschiffe einlief. Da ergriff man die Waffen und zog unter König Markes wehendem Banner nach Dinan. Gar schwer fiel Herrn Riwal der Abschied von Tintagol, denn die schöne Blankeflor, die älteste von des Königs beiden Schwestern, hatte es ihm angetan.
In der Schlacht gewannen die Bretonen den Sieg, aber im Zweikampf mit dem Führer der Wikinger, dem Herzog Morold, einem weitberühmten Kämpfer und Seefahrer, dem Sohne des Königs von Dowelin, trug Riwal von Leonnois eine schlimme Lanzenwunde davon.
Blankeflor pflegte den Helden, dessen junges Blut für Cornouaille geflossen. Ohne Bedenken hätte sie ihr eigenes Leben gelassen, wäre ihm dafür Genesung geworden.
Eines Abends, als Blankeflor sorglich an Riwals Lager saß, dünkte es sie, ihm weiche das Fieber. Überglücklich beugte sie sich über den Erwachenden und küßte ihn auf die Stirn. Da zog Riwal die Geliebte an sich und machte sie zur Seinen. In der Nacht mußte er sterben.
Und auch Blankeflor starb, als sie Riwals Sohne das Leben gab.
Ehe Herr Riwal nach Tintagol in den Krieg zog, da hatte er sein geliebtes Land seinem Seneschall anvertraut, dem Grafen Rual, einem alten Edelmanne, dem sein streitbares Leben neben Würden und Zipperlein den Beinamen der Treue verliehen hatte.
Ihm und seiner ebenso trefflichen Frau Floräte brachte die Amme Riwals kleinen Sohn. Dies geschah sonderbar heimlich, und das kluge Ehepaar vermeinte in diesem Umstand einen Wink des Schicksals erblicken zu sollen. Abergläubisch sind die Bretonen wie bekannt seid uraltersher.
Rual und seine Frau beschlossen, des Knaben Herkunft zunächst niemandem zu verraten. Sie gaben ihn für ein verwaistes Schwesterkind aus, und man glaubte es ihnen, denn in jenen endlosen Kriegszeiten hatten die Leute wahrlich andre Sorgen als sich um einen Jungen zu kümmern, der nun einmal da war. Er bekam den Namen Tristan, den sein Urgroßvater und vor ihm schon manch andrer seiner Ahnherren mit Ehr und Ruhm getragen hatten.
Wie weise Rual gehandelt, zeigte sich bald. Ein Jahr nach Tristans Ankunft fiel Herzog Morold auf neuer Fahrt beutelustig in den Gau von Leonnois ein. Widerstand wäre vergeblich gewesen, denn es waren am Strand von Cornouaille zu viele der Besten unter dem hohen Heldenhügel verblieben. Darum, wenn auch schweren Herzens, schloß der Seneschall Waffenstillstand mit dem Normannenfürsten und fügte sich seiner Oberherrschaft.
Hätte Morold gewußt, daß unter Ruals drei Knaben, denen er leutselig auf die braunen Locken klopfte, einer der Sohn Riwals war, so hätte er ihn kalten Herzens als den rechtmäßigen Erben des Landes umbringen lassen. Man verfuhr nicht anders in jener harten Zeit.
Wie Tristan sieben Jahre alt war, schaute sich der Graf Rual, den der Eroberer als Verweser von Leonnois belassen hatte, unter den Baronen des Landes nach einem guten Hofmeister für den wohlgeratenen Knaben um. Er selber dünkte sich so schwerem Amte nicht mehr gewachsen. Helden, so meinte er, müssen von jungen, nicht von alten Männern erzogen werden.
Seine bedachtsame Wahl fiel auf den Herrn Kurwenal als einen Meister aller ritterlichen Künste. Ihn ernannte er zum Guvernator des künftigen Fürsten, wobei er ihm das Geheimnis seiner Geburt anvertraute.
Kurwenal war ein Ritter ohne Furcht und Tadel, ein echter Bretone, von tapferem Sinn und tiefem Gemüt, schwer zugänglich, dafür umso beharrlicher, dreimal älter als sein Zögling. Er hatte lange Zeit die Welt durchfahren, manches Herrn Land kennengelernt und die Sprache dreier Völker zu der seiner Heimat hinzugelernt. Sieben Jahre hatte er zu Paris am fränkischen Königshofe verweilt. Dort war es vor allem, wo er sich die waschechte Urbanität des guten Europäers erworben hatte.
Aber nicht nur als Hofmann war Kurwenal Muster und Meister. Er war ebenso erfahren im Gebrauch von Schwert und Lanze. Einen Reiter und Waidmann kannte man nicht seines gleichen. Und in den schönen Wissenschaften, in der edlen Musika wie im gelehrten Schachspiel galt er mit Fug und Recht für wohlbeschlagen.
Zur Stunde, da er vom Seneschall die wichtigste Aufgabe des Vaterlandes empfing, gelobte er dem jungen Fürsten insgeheim Treue bis in den Tod und weihte ihm sein ganzes Leben. Feierlich bot er dem Knaben die Rechte, und Tristan umarmte ihn in namenloser Freude; er hatte ihn so oft als hochgemuten Mann preisen hören. Vom ersten Augenblick an liebte er die wunderbar klugen klaren Augen seines älteren Freundes.
Unter Kurwenals Vorbild wuchs Tristan von Leonnois zu einem wahren Ritter heran. Wie im Spiel erlernte er alles, was ihm sein Hofmeister als gut, schön und edel lobte, und er kannte kein anderes Streben als dies: seinem Führer zu gleichen.
Wie er sechzehn Jahre alt war, da sprach er eines Tages zu Kurwenal:
Herr Kurwenal, mich drängt mein Sinn, erprobt zu werden in der weiten Welt, von der Ihr mir so viel Herrliches und Erhabenes erzählt. Nicht länger möchte ich damit warten. Das Leben eines Mannes, so sagt Ihr oft, ist kürzer denn er denkt. Ich will das meine nicht unnütz verfliegen lassen. Was vollbringe ich hier? Keiner außer Euch und meinem Pflegevater weiß, wer ich in Wahrheit bin. Ihr meint, es sei gut so. Aber wenn ich einmal als berühmter Ritter zurückkehre, dann sollen es alle wissen.
Kurwenal lachte.
Lieber junger Freund, sagte er, du hast es eilig, ein Mann und ein berühmter Mann zu werden. Und um was im besten Falle? Weißt du nicht, daß sich in die große Welt begeben, Kämpfer werden heißt? Daß wir da draußen jede Lust mit dreimal so vielem Leid bezahlen müssen? Daß wir nimmermehr eine so friedsame Heimat wiederfinden?
Bin ich nicht heimatlos geboren? fragte Tristan versonnen.
Wohlan, sprach Kurwenal, wir wollen zuvörderst deinem Oheim, dem König Marke von Cornouaille, in seiner Burg Tintagol den ihm geziemenden Besuch abstatten. So lange es dir gefällt, verweilen wir bei ihm. Du wirst dort manches dir Neue sehen und lernen.
Wie Herr Rual und Frau Floräte von Tristans Weltsehnsucht vernahmen, waren sie gar traurig, denn ihr Pflegekind war ihnen ans Herz gewachsen gleich wie ihre eigenen beiden Söhne; aber sie sahen ein, daß es wohl sein müsse.
Und so sagte der alte Seneschall: Lieber Sohn und Freund, gern und ungern erfülle ich dir deinen Wunsch. Zieh hin und erfülle dein ritterlich Schicksal! Bringe deinem edlen Vater droben in Walhall und unserm teuren Vaterlande Ruhm und Ehre! Erkämpfe uns die alte Freiheit! Räche König Riwals Tod! Dein hoher Sinn wird dich zum Helden machen. Er befahl seinem Schaffner, die Reise bestens vorzubereiten. Zwei junge Edelleute und fünf Knappen wurden ausgesucht, daß sie mitfahren sollten. Gold und Silber ward auf ein Maultier geladen; auf ein anderes reiche Gewänder, Leinenzeug und Gastgeschenke. Und zwei der schönsten Pferde wurden ausgerüstet.
Als sich Tristan und Kurwenal vom Seneschall und vom Hofe verabschiedeten, da reichte Herr Rual dem jungen Weltfahrer das alte Feldschwert Riwals und sprach:
Führe es und hüte es und sei immer ein Ritter!
Herrn Kurwenal aber händigte Rual einen goldenen Fingerreif mit einem Rubin ein. Blankeflor hatte ihn dereinst getragen.
Sodann fuhr die Schar aus dem Hafen um die sieben Felseninseln nach Cornouaille.
Bei der Einfahrt in die tiefe Bucht von Dinan bat Tristan seinen Hofmeister: Herr Ritter, ich bitte Euch, haltet an König Markes Hof geheim, welcher Herkunft ich bin, bis die Umstände meine Offenbarung erheischen!
Kurwenal willigte ein.
Bisher entschlossen, vor der Burg Dinan zu landen, ließ er nunmehr das Schiff zwei Wegstunden weit vorher linker Hand in den Sand laufen. Tristan und Kurwenal samt einem Knappen stiegen aus, schlichte Jägertracht angetan. Die Übrigen fuhren gemächlich weiter, mit dem Befehl, regelrecht im Hafen die Reise zu vollenden und daselbst des Weiteren zu warten.
Wie die drei zu Fuß landein wanderten, auf einem einsamen Wege durch hohen tiefen Wald, hörten sie plötzlich Hörnerklang und Jagdgeschrei.
Tristans Jägerherz begann zu klopfen.
Und siehe! Von der einen Seite her, wo eine schmale Blöße den Wald unterbrach, sprang ein prächtiger Zwölfender auf den Weg und brach erschöpft zusammen. Zwölf braun und weiße Bracken hingen ihm am Halse wie eine schwere Traube. Weiß vom Schweiße glänzte dem zu Tod gehetzten Tiere das nasse Fell.
Mit Hallo und Halli kam das Feld der Jäger angaloppiert.
Alle Reiter schwangen sich behend aus den Sätteln. Die Hörner der nachkommenden Knechte ertönten.
Alsbald durchschnitt der Jägermeister dem Hirsch die Kehle.
Verwundert sah Tristan, daß er wie ein Barbar verfuhr. Er hatte von Kurwenal den fränkischen Waidmannsbrauch erlernt.
Indem er unter die Jäger trat, die im Kreise um die Jagdbeute standen, rief er dem Jägermeister, der sich anschickte, den toten Hirsch mit seinem Dolche zu zerstückeln, laut zu:
Was tut Ihr, Herr Jägermeister? Ist es hierzulande Brauch, ein edel Stück Wild wie ein Schwein zu schlachten?
Macht Ihr es anders? fragte der Andere und hielt ein in seinem Handwerk. Ich will den Kopf dieses Hirsches abschneiden. Sodann zieh ich ihm die Haut ab und teile ihn der Länge nach in zwei Teile, und jeden Teil der Breite nach abermals in zwei Teile. Jedes Viertel muß das gleiche Gewicht haben. Mehr erfordert mein Amt nicht.
Es mag sein, hub Tristan von neuem an, daß Ihr damit Eures Landes Brauch erfüllt. Wir sind andre Art gewöhnt.
Ich lerne gern, meinte der Jägermeister in behaglicher Jagdlaune. Zeigt uns Eure Art!
Tristan streifte die Ärmel seines Rockes auf, zog seinen Hirschfänger, kniete nieder und enthäutete den Hirsch. Alsdann zerlegte er das Tier fein und säuberlich.
Bald lagen die Kleinteile, der Ziemer, die Keulen, die Vorderblätter, die Rippenstücke und so weiter auf dem Rasen.
Zuletzt bereitete er das Curée, indem er Lunge, Milz und Gescheide in kleine Stücke schnitt, und warf es der schwanzwedelnden Meute mit fröhlichem Rufe zu.
Die Jagdgesellschaft fand kaum Worte genug des Lobes, und der vornehmste der Jäger, ein rüstiger Sechziger, der Seneschall Tynas von Dinan, fragte den jungen Fremdling, der sein Wohlgefallen gewonnen hatte: Gestattet mir zu fragen! Wer seid Ihr, junger Herr? Aus welchem Lande kommt Ihr? Wo habt Ihr Eure höfische Kunst erlernt? Nennt mir Euren Namen und Eure Heimat!
Und freundschaftlich bot er ihm die Rechte.
Tristan heiße ich, erwiderte Tristan. Eine Heimat ward mir nicht zuteil. Will ein Spielmann werden, der seine Fahrt unterbricht, wo er liebe Leute findet. Und was ich Euch gezeigt, das lernte ich von meinem Meister, Herrn Kurwenal.
Beide wurden ritterlich bewillkommt.
Reitet mit uns zum Herrn dieses Landes, zu König Marke! Ich bin sein Seneschall. Kommt und seid seine Gäste! Folgt uns nach Schloß Tintagol! Zwei gute Pferde stehn Euch bereit.
Eure Einladung nehmen wir frohen Herzens an, erwiderte Tristan. Aber zuvor gestattet uns, daß wir den Jagdzug ordnen, damit er Eures Königs würdig sei.
Er ließ sich Gabeln aus Baumästen schneiden, und jeder Jäger hatte ein Stück der Beute zu tragen, der eine den Kopf, der andere den Ziemer, ein dritter die Lenden und so fort.
In Rotten zu zweit stellte sich der Zug auf. Zuletzt brach Tristan einen Zweig von einer alten Eiche und reichte jedem Jäger grünes Laub. Alle saßen auf und ritten an, die hornblasenden Hundsmänner unter dem Geläut der lustigen Meute vorweg.
Nach zwei Stunden munteren Trabes erblickte man in der Ferne einen trotzigen Turm, und alsbald leuchtete den beiden Fremdlingen vom Hang eines waldigen Hügels, hoch über lachenden Wiesen und Weiden, die berühmte Burg Tintagol entgegen, der Königssitz des Reiches Cornouaille.
Das ist Tintagol! ließ sich Tristan vom Seneschall berichten. Die ältesten Gebäude des Schlosses haben zu Cäsars Zeit schon gestanden, und das Herrenhaus birgt Dinge, wie man sie in keinem Schlosse findet: Wasserläufe, Marmorbäder und Heizröhren, steinerne Teppiche und Riesenkrüge, und in der Halle werdet Ihr ein prächtiges Bildnis des Kaisers Mark Aurel finden, aus zweierlei edlem Gestein! Die Stürme der Zeit sind an diesem glücklichen Winkel vorübergejagt. Hinter der Burg, dort, wo die alten hohen Wipfel sich wiegen, da ist des Königs Baumgarten, ein köstlicher Ort. Da wird es Euch gar wohl gefallen.
Tintagol! jubelte der junge Weltfahrer bei sich. Tintagol, Haus meiner Mutter, sei mir gegrüßt! Tintagol, birg mir mein Glück!
Tristan schwenkte seine Jagdmütze. Keiner außer Kurwenal ahnte den Grund seiner großen Freude.
Wie der Zug näher kam, gliederte sich die stattliche Burg. Tristan bestaunte die gewaltigen Umrisse der Wälle, Basteien, Türme und Häuser. Bald erkannte er auch das starke Tor, die langen weißen Zinnen, das breite hohe Königshaus, merkwürdig bemalt, schachbrettartig, die Felder blau und grün. Tristan hatte derlei noch nie gesehen. Ebenso farbenfroh hob sich hoch darüber das Ziegeldach. Man ward heiter, sah man alle die bunten Dinge.
Kurz vor der Brücke ließ Tynas die Hörner blasen. Das Burgtor öffnete sich. Die Reiterschar zog feierlich und wohlgeordnet im Schritt ein. So hatte Herr Kurwenal es angeordnet.
Im Schloßhof unter dem Kreise von fünf alten Linden stand König Marke, der Herrscher von Cornouaille, ein stattlicher Herr von dreiundfünfzig Jahren. Der Turmwart hatte ihm die Rückkehr der Jagdgesellschaft vermeldet.
Er stand da und staunte.
Wie die Hunnen waren seine Ritter sonst durch die Tore in den Hof gestürmt. Woher die artige Wandlung?
Aha, meinte er beim Anblick von Tristan und Kurwenal, zwei fremde Herren haben das Wunder vollbracht. Betrachten wir sie uns näher!
Schon begann der alte Seneschall dem Könige von der Begegnung mit den Fremdlingen zu erzählen und den Aufzug der Jäger zu erläutern. Marke lobte das geschickt zerlegte Wildbret. Mehr noch gefiel ihm der fremde junge Waidmann.
Er hatte ein halbes Dutzend Edelleute um sich, junge und alte; auch ein Neffe, Herzog Audret, lebte am Hofe. Marke war der reichste Fürst der Bretagne; er knauserte niemals, und oft ging es hoch her im Schlosse Tintagol. Trotzdem fühlte sich der König einsam, und je älter er wurde, umsomehr ward er den Anderen fremd. Er war Junggeselle geblieben; warum, das wußte er eigentlich selber nicht.
Audret war der einzige Sohn von Markes verstorbenen jüngeren Schwester, deren Gatte ebenfalls nicht mehr lebte. Da der Sohn der älteren Schwester Blankeflor verschollen war, so fiel Krone und Land dereinst an Audret, der sich daraufhin gewaltig viel einbildete, ohne daß seinen Dünkel sonstige Vorzüge wettmachten. Der Oheim schätzte den Neffen wenig, und wenn er der Zukunft seines Reiches gedachte, bekam er Herzdrücken. Audret eignete sich nie und nimmer zum Thronerben. Fürstliches Tun und königliches Denken waren nicht von ihm zu erwarten.
Der Zufall fügte es, daß Audret und Tristan nebeneinander standen. Wer keinen von beiden kannte, hätte glauben müssen, Tristan sei ein Königssohn und Audret von unbedeutender Herkunft. Unwillkürlich verglich Marke die jungen Männer.
Er seufzte auf. Seltsame Zuneigung erwuchs in ihm. Wahlverwandtschaft zog ihn zu dem jungen Fremdling hin, von dem er doch nichts weiter wußte als daß er einen Braten nach allen Regeln der Kunst zu zerlegen verstand.
Er, der einsame Fürst, der seiner Umgebung als Menschenfeind, Zweifler und Sonderling galt, bot einem hergelaufenen Knaben die sonst steife und stolze Rechte mit unverkennbarer Huld.
Willkommen, junger Edelmann! sprach er. Meine Burg sei Euer Heim, solange Ihr Euer Glück darin findet.
Tristan neigte sich tief vor dem König. Ein wundersam Gefühl beseligte ihn. Es war ihm, als habe er in Tintagol endlich sein Vaterland gefunden.
Am Abend, als die Tafel aufgehoben war, ließ ein fränkischer Spielmann seine Harfe erklingen, ein Meister seiner Kunst.
Als sein erstes Stück zu Ende war, fragte König Marke den ihm zu Füßen sitzenden Tristan: Junger Freund, was sagt Ihr zu dieser Melodie? Gefällt sie Euch?
Tristan wandte sich an den Harfner: Meister, Ihr habt der alten Weise ein neues schönes Kleid umgetan, der alten Weise zu dem Liede von der Dame, die, ohne daß sie es ahnte, das Herz ihres Liebsten gegessen, des Ritters Gralant, den ihr eifersüchtiger Gemahl auf der Jagd umgebracht hatte. Ihr habt wohlgetan, der allbekannten alten Melodie ihre Art zu lassen. Ein Bretone hat sie ersonnen vor langen Zeiten.
Was wißt Ihr von meiner Kunst? entgegnete der Spielmann ärgerlich. Ihr seid doch ein Kind, kaum kundig eines Instruments.
Ein wenig spiele ich die Harfe, erwiderte Tristan, ohne seine Worte irgendwie zu betonen, aber auch die Rotta. Gebt mir eine! Die habe ich am liebsten.
Man brachte ihm die Zupfgeige.
Tristan präludierte. Darauf sang er den bretonischen Text des Liedes von der Herzemäre.
Alle, die es hörten, waren ergriffen. Am meisten