Der vollkommene Spießbürger - Arthur Schurig - E-Book

Der vollkommene Spießbürger E-Book

Arthur Schurig

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Beschreibung

Mit der Widmung: »Dem lieben Freunde Gottlieb Buttervogel zugeeignet« Im Inhalt: - Der Philister von Clemens Brentano - Schilderung eines Musterphilisters - Was ist ein Spießer? Woran erkennt man den Spießer? Wie gewinnt man sich den Spießer? - Zwei alte Geschichten von vollkommenen Spießern - Vom Apotheker, der zu früh sterben wollte - Die Geschichte von der heiligen Hose - Der Spießer wie er leibt und lebt - Der Spießer aus der Kavalier-Perspektive von E. Baron Vaerst - Der Spießer - Die schönen Künste - Die Literatur - Spießbürger im Spiegel der Zeiten - Noch eine Spießbürgergeschichte - Fröhliche Randbemerkung - Die verwandelten Denkmäler

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Der vollkommene Spießbürger Diagnosen / Rezepte / Geschichten

gesammelt von Arthur Schurig

J. L. Schrag Verlag, Nürnberg Erstes bis viertes Tausend

Dem lieben Freunde Gottlieb Buttervogel zugeeignet

Inhalt

Vorwort

Der Philister von Clemens Brentano

Schilderung eines Musterphilisters

Was ist ein Spießer? Woran erkennt man den Spießer? Wie gewinnt man sich den Spießer?

Zwei alte Geschichten von vollkommenen Spießern

Vom Apotheker, der zu früh sterben wollte

Die Geschichte von der heiligen Hose

Der Spießer wie er leibt und lebt

Der Spießer aus der Kavalier-Perspektive von Eugen Baron Vaerst

Der Spießer - Die schönen Künste - Die Literatur

Spießbürger im Spiegel der Zeiten

Noch eine Spießbürgergeschichte

Fröhliche Randbemerkung

Die verwandelten Denkmäler

Vorwort

Eines Tages, als ich über einen Zünftigen wetterte, der - gottlob vergebens - in glänzender Borniertheit in mein Gehege einzubrechen versucht hatte, tadelte mich der kluge Freund, dem dies neue kleine Buch aus Dankbarkeit gewidmet ist, indem er meinte: Schlecht steht es dir an, dir, der du längst aufgenommen bist in die Heilige Gemeinde der Resignierten, über einen Belanglosen empört zu sein. Wer von uns auch nur im Vorübergehen mit einem Philister zu tun hat, der muß in solchem Moment in der Sprache der Spießer reden, ihre Gesten nachahmen, sich herzhaft ihrer Taktik bedienen. Damit ist und bleibt man unfehlbar der Überlegene. Spiele unter Spießern den Spießer!

Damals wehrte ich mich gegen dies Rezept; aber heute, nach mancherlei neuerlichen Erfahrungen und Studien, erkenne ich die Kriegskunst des Freundes als richtig an. Es gibt kein ander Mittel gegen unausrottbare Widersacher; und da jedermann lebenslang Krieg führt mit der namenlosen Macht, die wir das Spießertum nennen, so muß man sich beizeiten wappnen. Hier ist das Exerzier-Reglement des Feindes!

Verleger und Autor schmücken das kleine Buch mit einer Nachbildung des köstlichen Eselreiters von Georg Wrba. Er steht am Ratshause zu Dresden. Die linke große Zehe des Dionysos ist blank geworden; kein Dresdner Kind geht nämlich vorüber, ohne den Bronzefuß zu berühren.

Geschrieben in Klobenstein auf dem Ritten am 18. Oktober 1928

Aus dem verschollenen kleinen Buche

Der Philister von Clemens Brentano

1811

Clemens Brentano 1778 – 1842

Bruder der Bettina von Arnim,

bekannt durch seine Liedersammlung:

Des Knaben Wunderhorn.

Um sagen zu können, was der Philister, ehe er in der Geschichte aufgetreten, in der Idee war, muß ich ihn erst als das betrachten, was er jetzt als die allegorische Figur seines Wesens ist, und ich sage daher: Ein Philister ist ein steifstelliger, steifleinerner oder auch lederner, scheinlebiger Kerl, der nicht weiß, daß er gestorben, und sich ganz unnötigerweise noch auf Erden aufhält. Ein Philister ist ein, mit allerlei lächerlichen äußerlichen Lebenszeichen behängter, umwandelnder Leichenbitterstock seines eigenen inneren ewigen Todes. Ein Philister ist ein Kerl, dem alle Spiegel und so auch die Schöpfung, Gottes Spiegel, blind sind von Ewigkeit. Ein Philister ist der geborene Feind aller Idee, aller Begeisterung, alles Genies und aller freien göttlichen Schöpfung. Er ist die Karikatur des Teufels in ewiger Nüchternheit.

Gott ist die ewige Einheit außerhalb von Natur und Kreatur, in sich selber; und in seinem Aussichwallen ist das Wollen. Die ewige Einheit wohnt im unergründlichen Nichts, und das Ich des Nichts ist Gott; und indem sich die Einheit auftut, ist sie das lautere Wollen, das nur sich selber wollen kann. Dies Bewegen, das Wallen des Wollens und die Empfindung seiner selbst in der Lust des Wollens, ist der Geist des göttlichen Lebens, der Ausgang der wollenden Liebe, das ewige Ja, die ewige Einheit, die sich aber im Willen wollend zurückzog, um sich zu empfinden, und dieses ist das ewige Nein oder die ewige Eigenheit. Ja und Nein sind eins, haben aber zwei Zentra. Als die Eigenheit nur sich wollte und nach der Einheit nicht mehr fragte, entstand der erste Philister, Luzifer, der Leuchter, der als Bild, gebildet, eingebildet und ausgebildet, als geneintes Nein, sich über das Ja erheben wollte und zur Hölle niedergestürzt ward.

Und ist dieser Sturz des Leuchters samt der Kerze die Trennung des Schweren vom Leichten, die Gründung der Erde, die Finsternis, die Materie, das ewige Nein, der Feind der Idee als ewiger Einheit, das bloß sich selber bedeuten Wollende, der Satan, und in seinen weiteren Ausgeburten die Sünde, der Philister.

So hätte ich denn nach vorherigen seltsam klingenden Worten den Philister bei den Ohren. Nun aber, verehrte Tischgenossen, erlaube ich Ihnen, von Herzen zu lachen. Sie werden vielleicht mit einiger Ehrfurcht gemerkt haben, daß mir der erleuchtete Jakob Böhme gütig unter die Arme gegriffen hat. Aber, was ich gesprochen, das glaube ich, und das Lächerliche ist nur, daß das Wort an allen Ecken und Enden zu kurz ist; das Bewundernswerte aber ist die heilige Begierde der Erkenntnis. Der Philister philosophiert umgekehrt, er als das geborene Nein.

Ich komme zu dem vom Himmel gestürzten Philister zurück, mit dem Wunsche, er möchte sich alle Rippen im Leibe gebrochen haben. Aber siehe da! Er befindet sich vortrefflich, oder vielmehr, seine Ärzte, die Moral-Theologen, wenn sie nicht logen, sagen, es bessere sich täglich mit ihm. Jener Sturz des Philisters Luzifer war die Entstehung der Materie, war die Erbsünde der neugeborenen Erde; denn das ist die Sünde, daß sie eine ewige Zurückziehung aus dem Ja ist, ein immer sich verstärkendes Nein im Nein. Der Sündenfall ist unendlich wiederkehrend, denn Luzifer fiel aus der Idee ins Bild, aus dem Bild in die Materie. Da aber nichts aus dem ewigen Gott herausfällt, so empfand Gott Mitleid mit der Erde und berührte sie mit dem Hauche Ja, und er machte sie erblühen in Adam, einem Geschöpfe, in dem er von neuem in niederer Ordnung sein Ebenbild frei ausstellte. Und als Adam sich sehnte, war er wieder das bloß ausfließende Ja, und Gott stellte ihm das Nein abermals gegenüber in der Eva. Er warnte sie vor dem Fall durch den verbotenen Baum, aber das Weib ließ sich durch die Schlange, durch das Nein, verführen, sich abermals über Gott erheben zu wollen, und wir sehen einen neuen Fall aus der Unschuld in die Schuld, aus der Einheit des Lebens in die Eigenheit des Todes.

Schilderung eines Musterphilisters

Wenn der Philister morgens aus seinem traumlosen Schlafe, wie ein ertrunkener Leichnam aus dem Wasser, auftaucht, so probiert er sachte mit seinen Gliedmaßen herum, ob sie auch noch alle zugegen. Hierauf bleibt er ruhig liegen.

Wenn er schließlich aufgestanden, kaut er einige Wacholderbeeren, während er an das gelbe Fieber denkt. Er hält seinen Kindern eine Abhandlung vom Gebet, und wenn er sie in die Schule geschickt hat, sagt er zu seiner Frau: Man muß den äußeren Schein wahren. Das erhält einem den Kredit. Sie werden früh genug den Aberglauben einsehen. Sodann raucht er seine Pfeife; denn Tabak ist des Philisters höchste Leidenschaft, wenn er sie nicht übertrieben haßt. Im allgemeinen ist der Rauchtabak dem Philister unsagbar lieb und wert; er sagt, beim Zuge der Rauchwolken stelle er Betrachtungen über die Vergänglichkeit aller Dinge an; also hängt die Pfeife mit seiner Philosophie zusammen.

Zweifelsohne zieht der Philister nun alle Uhren im Hause auf. Beim Kaffee spricht er von Politik. Kränkend wäre es ihm, wenn seine Eheliebste ihm nicht ein Dutzendmal sagte: Trinke doch! Er ist so schöne warm. Trinke, ehe er kalt wird! – Wenn er ihm aber nicht warm gebracht worden wäre, wehe dann der armen Hausfrau! Seine Kaffeekanne ist von Bunzlauer Steingut; und ist er ein langsamer Trinker, so hat sie ein schöngesticktes Kaffeemäntelchen um.

Sodann geht der Philister zu seinen Geschäften. Doch ich will ihn seinen weiteren Tageslauf ad libitum führen lassen.

Bei den unbedeutendsten Gesprächen macht der Philister Gesichter von größter Bedeutung, die aussehen wie Sintemalen, Alldieweilen, Quemadmodum und Quamobrem. Wenn er schlau ist, macht er ein paar Äugelchen wie Sicsic und Etiamsi. Nichtsdestoweniger schaut er nie aus wie Nichtsdestomehr, sondern immer wie Nihilominus.

Hat ein begeisterter Mensch das Unglück, mit dem Philister ins Gespräch zu geraten, so horcht der ihn ruhig aus und meint zuweilen: Ei, ei, was Sie nicht sagen! Und zuletzt sagt er: Es wird wohl so arg nicht gewesen sein.

Er sammelt Zeitungen und Komödienzettel, weiß immer, wer predigt, geht aber nur des öffentlichen Ansehens halber in die Kirche, wo er schläft, woran er recht tut, denn der Prediger ist auch ein Philister. Übrigens ist er einer der Knopfmacher (Cicisbeo) seiner Eheliebsten.

Der Philister hatte nichts dagegen, wie sich eine Weile nach der Hochzeit einige Knopfmacher in seinem Hause einsiedelten, weil sie mit ihm Tabak rauchen und ein Partiechen mit ihm machen, wovon alle Philister große Freunde sind. Wenn diese Gesellschaft beisammen sitzt, wozu noch ein Leutnant der Landmiliz und ein Kandidat der Philosophie gehört, alle dreie Knopfmacher, so kommen die schönsten Philistereien aufs Tapet. Sie sind alle vier einer Meinung; gleichwohl schreien sie gewaltig. Ich will ihre Eigenschaften und Meinungen lieber zusammenfassen, denn sie haben alle dieselben.

Wenn sie vom Genuß einer schönen Gegend sprechen, sagen sie gern, sie hätten ihren Horaz mitgebracht, aber aus der Tasche gezogen haben sie ihn nicht. Sie erzählen gern ihre Jugendstreiche, die in der Art sind wie die des Friedensrichters Schaal in Shakespeares: Heinrich der Vierte. Nie sind sie berauscht gewesen, ohne zu trinken, dann aber immer stockbesoffen. Sie können kein ursprüngliches Dichterwerk begreifen; sie verspotten und parodieren es, und schreiben dann doch wässerige Nachahmungen. Sie haben dem Werther die empfindsamen Romane, dem Götz die Ritterstücke, dem Ardinghello die Künstlerromane, der Lucinde die transzendentalen Lubrica, dem Novalis honigseimleimschleimschlingende Sonette und Kanzonen nachfolgen lassen, und Schillers Trauerspielen die kaltjambischen sentenziösen Schicksalsdramen.

Sie nennen Natur, was in ihren Gesichtsraum fällt; alles andre ist widernatürliche Schwärmerei. Sie begreifen kein Symbol und halten viel auf Brotstudien. Eine schöne Gegend ist ihnen die, durch die eine bequeme Chaussee führt. Voltaire ist ihnen lieber als Shakespeare.

Sie glauben, mit der Welt sei es aus, weil es mit ihnen nie angegangen ist. Sie belächeln alles von oben herab, halten Scherz für Dummheit, bedauern, daß wir keine römischen Klassiker sind, und gratulieren einander, in einer Zeit geboren zu sein, in der so treffliche Leute wie sie leben. Sie behaupten, man müsse die Festungen übergeben, um die Städte zu schonen, und sie lassen gern uralte Eichen umhauen, um irgendeinen Pflaumenbaum zu pflanzen. Sie glauben, die Deutschen seien kein herrlich Volk; sie müßten von Ausländern gebildet werden; doch schwatzen sie immer vom Deutschtum. Sie würden aber gar nichts gegen die Franzosen haben, wenn ihnen nur die Einquartierung nicht so viel kostete. Die Engländer nennen sie Englishmen, und sie lieben sie wegen der Pfund Sterling. Sie bilden sich ein, ein Heer könne etwas wert sein ohne Begeisterung, und sie verstehen nicht, wie ein solider Monarch den tollen Dante zu verdeutschen vermochte. Sie rezensieren Dinge, die sie nicht begreifen, und treiben ihren Spott mit den Notformeln der Philosophie. Enthusiasten schelten sie Verrückte, Märtyrer Narren, und sie können nicht begreifen, warum der Herr für unsere Sünden gestorben ist und nicht lieber zu Apolda eine kleine

Schnapsfabrik angelegt hat. Nie trifft Regen sie ohne Regenschirm.

Mit dem Zustande des Theaters in Deutschland sind sie vollkommen zufrieden. Das sind dieselben Leute, die nicht verstehen, daß unsere Vorfahren so töricht waren, ungeheure Kirchen zu bauen. Nie aber hat ein Philister geschaudert, wenn man ungeheure Schauspielhäuser errichtete, um dann bei unzähligen Kerzen dargestellt zu sehen, was der eben fließende gemeine Strom der Literatur an gemeinstem Flößholz heranschwemmt. Ich glaube, daß kaum irgendwo die Philistern der modernen Zeit mehr zutage getreten ist als im Theater. Ich weiß nicht, wie ich es nennen soll, Dummheit oder Wahnwitz, daß es so weit hat kommen können, daß diese eine und einzige Kunstausübung, in der der Mensch mit seinem ganzen Dasein Künstler ist, daß diese Kunst, die das Leben selber dem Leben hinstellen soll, so unbegreiflich elend getrieben wird. Hieraus sieht man allerdings auch, wie nah die Schauspielkunst dem Herzen der ganzen Welt steht, so nah, daß sie, sogar elendst betrieben, noch mit allen Händen begrüßt wird. Wer hat dies Elend verschuldet? Der Philister, sage ich, der Schlendrian, der Wahn, daß er meint, was ihm gerade genügt, sei genug und damit Holla! ´