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Eine deutsche Amitié amoureuse. Der Briefroman gibt Einblicke in die romantische und manchmal schwüle Beziehung zwischen Georg, Freiherr von Rockau,und Frau Agathe von Uechtritz.
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Seitenzahl: 344
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Seltsame Liebesleute
Eine deutsche Amitié amoureuse
Arthur Schurig
Inhalt:
Seltsame Liebesleute
Erstes Buch
Georg, Freiherr von Rockau, an Frau Agathe von Uechtritz
Agathe von Uechtritz an Georg von Rockau
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Gastgeschenk
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Georg an Agathe
Zweites Buch
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Drittes Buch
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Lago di Garda
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Viertes Buch
Agathe an Georg
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Agathe an Georg
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Agathe an Georg
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Agathe an Georg
Georg an Agathe
Seltsame Liebesleute, A. Schurig
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
86450 Altenmünster, Loschberg 9
Deutschland
ISBN: 9783849635923
www.jazzybee-verlag.de
www.facebook.com/jazzybeeverlag
Dresden, 12. November 1909.
Gnädige Frau,
ich bitte, Ihnen übermorgen zur Teestunde meinen Besuch machen zu dürfen. Ich möchte Ihnen das Buch persönlich bringen, von dem ich Ihnen gestern vorgeschwärmt habe. Sie waren willig, es mir zuliebe auch zu lesen. Tun Sie es! Ich bringe es Ihnen, wenn Sie es mir erlauben. Eben, ehe mir Niklas, mein treuer Diener, den ich aus dem Vaterhause übernommen, die Lampe auf dem Schreibtisch anschaltete und anknipste und zurechtrückte, mit behutsamer, ganz leiser, umständlicher Sorglichkeit, die mich an dem alten Mann immer von neuem rührt, (ahnt er, wie köstlich mir meine Träumereien sind?)–eben hatte mir die heure tendre der Dämmerung den ganzen gestrigen Abend zurückgezaubert. Einen lieben unvergeßlichen Abend! Ach, wie viele Abende bin ich gezwungen, mich an die große Gesellschaft zu verlieren, und am Tage darauf erinnert mich nichts daran! Ich habe eben gesagt: gezwungen. Nein, das wäre unaufrichtig. Denn ich bin ein freier Mann, vielleicht ein viel-zu-freier. Ich verachte jedwede Knechtschaft, auch die der Gesellschaft, und lege wenig Wert drauf, den mir zukommenden Platz in ihr einzunehmen. Gleichviel brauche ich Menschen, soignierte Menschen, innerlich wie äußerlich verwöhnte Leute um mich herum – wie der Fisch sein Wasser. Manchmal vermag ich bis zum Enthusiasmus lebhaft zu reden. Aber schon ein paar Minuten später begnüge ich mich wieder damit, still und bescheiden zu beobachten. Und es ergreift mich etwas wie tiefe Sehnsucht nach Weltflucht. Das ist keine Komödie vor mir selber. Wie soll ich es Ihnen erklären? Ich gehe immer von neuem in die Welt, aber nie verschenke ich mich mehr denn halb. Diese Hälfte jedoch muß ich dieser Sirene als Tribut zollen. Sonst ginge ich an Melancholie zugrunde. Die lachende Lebenslust der Andern, ihre heimlichen oder offenbaren Leidenschaften, ihre Schönheit oder Scheinschönheit, ihre Schwächen und Heucheleien bringen mein einsames Herz in feine Schwingungen, in eine Art Musik. Ich muß es greifbar vor mir haben, dieses tolle volle Leben der Andern. Selber aber zugreifen, derb zugreifen? Nein. Es ist doch tausendmal süßer, sich die Augen, das Gehör, die schlummernden Nerven vom Leben nur leise streicheln zu lassen, leise wie die gespannte Saite vom Violinbogen, – aber immer ohne dem wirklichen Leben allzunahe zu kommen.
Verzeihen Sie mir, verehrte gnädige Frau, daß ich Ihnen so unbefangen mein Herz ausschütte. Ich war ins Plaudern geraten. Und nun mag ich den Brief nicht durch einen andern – konventionellen ersetzen. Was geschrieben ist, sei geschrieben! Ich wage zu hoffen, daß Sie alles das nicht als aufdringlich empfinden. Nichts liegt mir ferner. Ich stehe im Banne unserer Seelenverwandtschaft. Bereits gestern, während unserer Unterhaltung bei dem Diner, habe ich mich der entzückenden Einbildung nicht erwehren können, daß wir schon seit langer, langer Zeit gute Freunde seien. Ich weiß es wohl: es ist ein seltenes Glück, von solch feiner, vager, sehnsüchtiger, in gewöhnliche Worte kaum faßbarer Melodie in der Seele eines Andern den vollen Widerhall zu finden. Vielleicht treibt meine Phantasie ein loses Spiel mit mir, während Sie den gestrigen Abend, das Buch – und mich bereits vergessen haben. Wenn dem so wäre, gnädige Frau, dann lassen Sie es mich nicht allzu hart erfahren. Ich würde unsagbar darunter leiden.
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Loschwitz, Rosenhof, Sonnabend den 13.
Sehr geehrter Herr von Rockau!
Es wird mir eine Freude sein. Sie morgen nachmittag bei mir zu sehen. Den gestrigen Abend beim Oberhofmarschall, der etwas langweilig begonnen hatte und dank Ihrer liebenswürdigen Art zu plaudern so angenehm verronnen ist, habe ich in viel zu lebhafter Erinnerung, als daß ich zaudern könnte. Sie sind willkommen! Auch auf das Buch freue ich mich. Ich habe den Titel keineswegs vergessen: Das Leben des Grafen Frederico Gonfalonieri. Von der Ricarda Huch. Das war es doch? Eine Apotheose der Resignation haben Sie es genannt. Gerade darum wird es mir vielleicht viel zu sagen haben.
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Verehrteste gnädige Frau,
namenlos froh bin ich darüber, daß der geheimnisvolle Drang, der mich unwiderstehlich zu Ihnen geleitet, keine unselige Täuschung war. Glauben Sie mir, wir sind dazu geschaffen, einander gute Freunde zu sein. Ich bin glücklich, daß wir uns gefunden haben. Offen gestanden, als ich gestern die Diele Ihres lieben Landhauses betrat, war ich im Zauber dieser mir neuen Umgebung ein wenig, ich muß sogar bekennen, stark unruhig und unsicher. Der heitere Gleichmut, auf den ich mich unter geselligen Menschen ziemlich selbstbewußt zu verlassen gewohnt bin, der war gänzlich weg. In alle vier Winde verflogen. Ich hatte Herzklopfen. Lachen Sie mich ruhig aus, mich, der ich ein Dutzend Jahre Soldat war, sogar ein sogenannter kecker Reitersmann! Ich verdiene das wirklich.
In jenem Augenblicke hatte ich das Gefühl, vor dem jähen unabwendbaren Verlust eines schon lange im Herzen getragenen und längst liebgewonnenen Glückes zu stehen. Kennen Sie dieses seltsame schwere Gefühl? Es ist mit der Feigheit verwandt. Am liebsten möchte man wieder umkehren, aus Herzensnot und banger Angst, das Geliebte verlieren zu können. Wäre es so gekommen und hätte ich Sie, kaum gefunden, schon wieder verloren, – ich gestehe Ihnen: ich hätte den bitterlichsten Schmerz meines Lebens erfahren. Gewiß hätten Sie Ihrem Gaste sein Herzeleid angemerkt, und er, der sich mit weltmännischer Leichtlebigkeit bei Ihnen angesagt, wäre in lächerlicher Weise, seiner schönen Selbstbeherrschung bar, von Ihnen gegangen.
Nach dieser ehrlichen Beichte können Sie sich vorstellen, wie glückselig ich darüber bin, daß Sie mich so gütig aufgenommen haben. Sie waren entzückend, froh gelaunt und doch ernst; zwanglos und dabei in gewissen Ihrer Bewegungen wundervoll feierlich, zum Beispiel, als Sie den Tee bereiteten. Dolcessa feminile! Und alles das im Rahmen der reizendsten Häuslichkeit, die ich je kennen gelernt. Ich begreife, daß Sie sich ungern, sei es auch nur für kurze Stunden, davon trennen.
Ich brauche bloß die Augen ein paar Augenblicke zu schließen, und es steht wieder vor mir: Ihr Landhaus, so wie man es von weitem schaut, unten vom Strom oder vom andern Elbufer aus, ein Abbild eines der alten träumenden Bozener Herrensitze, in die ich seit Jahren verliebt bin. Wenn ich Ruhloser einmal wer weiß wo weilen sollte, fern in Afrika oder in einem der Hochgebirge Asiens, und schon jahrelang: Ihr Haus stünde bei jedem Gedanken an die Heimat im Geiste vor mir, frisch und lebendig, mit seinen hellen Farben, seinen traulichen Umrissen, den sanften Linien der Berge und Bäume darüber und darum. Alles das leuchtet und lebt vor mir: die ockergelben Mauern, das stumpfwinkelige breite Dach mit den lachenden roten Ziegeln, der burgartige Turm – dann (näher gekommen) das Gartentor aus weißem Holz, die lange schmale Treppe hinauf unter dem halbentlaubten Rosengange, (in den Tagen der Blüte muß er köstlich sein!) – und schließlich oben der kleine gelbe Salon, in dem wir zwei unvergeßliche Stunden verlebt!
Nehmen Sie meinen innigsten Dank für alles!
Ganz der Ihre,
Georg Rockau
Eben bekomme ich von Frau Eveline, Ihrer liebenswürdigen Freundin, die Mitteilung, daß sie den Winter hindurch alle Montage ihre Freunde bei sich sieht. Sie hatte mich bereits neulich, als ich mich von ihr und ihrem Manne verabschiedete, dazu aufgefordert und zwar – darf ich so plauderhaft sein? – mit der geheimnisvollen Bemerkung: Verpassen Sie den nächsten Montag nicht! Frau von Uechtritz wird Gedichte vorlesen. Rainer Maria Rilke, ihren Liebling. Das wird wundervoll! – Sollte die schöne Frau Eveline mit echt weiblichen Scharfsinn bereits ahnen, wie unsagbar gern ich Sie habe? Ich freue mich auf diese Montage. Fortan werde ich also das Glück genießen, Sie an den Freitagen bei Ihrer Frau Schwägerin, an den Montagen im Hause Schöning und einen Abend in der Woche vielleicht in der Oper zu sehen. Und wenn Sie mir noch dazu allergnädigst erlauben, daß ich mich in den Tagen dazwischen hin und wieder im Rosenhof einstelle, dann werde ich das sonnigste Leben der Welt führen und mich als den Verwöhntesten aller Menschen preisen. Wie herrlich haben es doch die Frauen, daß so viel Huld in ihren Händen des Verschenktwerdens harrt!
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Rosenhof, am 15.
Lieber Herr von Rockau!
Auch ich freue mich von Herzen über unsere wachsende Freundschaft. Zwei Seelen eilen einander zu. Das ist immer etwas Wunderbares. Indessen, indessen! Meine Ängstlichkeit wird Ihnen spießbürgerlich vorkommen. Drei Worte in Ihrem letzten Brief haben mich ein wenig erschreckt.
Sie wissen, welche.
Lassen Sie mich offen reden, wie das in einer höheren Freundschaft Gesetz sein muß. Denn eine alltägliche, oberflächliche, nichts weiter bedeutende, die wollen wir doch alle beide nicht zwischen uns.
Sie sind impulsiv und dabei Grübler und Träumer. Also eine Widerspruchsnatur. Das ist kein Vorwurf. Ich weiß sehr wohl, gerade die wertvollsten Menschen sind zunächst komplizierte Geschöpfe; sie machen eine langwierige, oft stürmische und wechselvolle Entwicklung durch. Je glühender dieses Chaos ist, um so reiner und geläuterter geht der fertige Mensch schließlich daraus hervor.
Seien Sie ehrlich! Es ist eine leise Leidenschaft, nicht eigentliche Freundschaft, die Ihr Herz stürmisch macht. Ich habe diese Empfindung. Und darum muß ich Ihnen sagen: ich fühle, daß ich mich vor Ihrem siegreichen Elan zu hüten habe. Nehmen Sie das nicht für banale Eitelkeit! Gerade weil ich keinen Flirt mit Ihnen will, sage ich es Ihnen freimütig. Es ist mir ernst ums Herz. Ich hege für Sie echte Freundschaft, seelische Freundschaft. Meine Ungezwungenheit dürfen Sie aber niemals als Emanzipation deuten. Ich bin im Kern meines Wesens recht altmodisch, was mir aber kein Grund ist, die leider so seltene wahre Freundschaft zwischen Mann und Frau für etwas Unmögliches zu halten. Im Gegenteil, ich möchte dieser begehrten Wunderblume die allerzärtlichste Pflege widmen. Helfen Sie mir dabei – ich bitte Sie herzlich darum – indem Sie das gemeinsame Heiligtum unserer Freundschaft, an dessen stille Pforte Sie klopfen, immer wieder nur mit dem festen Willen betreten, Ihrer zweiten, philosophischen Natur mehr Rechte einzuräumen denn der wohl nur halbüberwundenen ersten, recht weltlichen.
Ich werde am Montag nicht zu Schönings gehen. Wähnen Sie aber nicht, daß mich zu diesem Entschlüsse das übliche mondäne Spiel veranlasse. Nein, ich will keinen Flirt mit Ihnen.
Warum gehe ich nun nicht zu Eveline? Das fragen Sie sicher! Warum? Ja, wie soll ich das in Worte fassen, ohne Ihnen zu viel oder zu wenig zu sagen? Warum? Ich muß es Ihnen gestehen, es geschieht ganz einfach aus Vorsicht, aus Scham, oder wie Sie das nennen mögen. Sie verscheuchen mich mit Ihrer schrecklichen Bemerkung über den echt weiblichen Scharfsinn.
Ihre Agathe Uechtritz
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Freitag, 3. Dezember.
Liebe gnädige Frau,
ich sei so sorglos und saumselig!
Diesen Vorwurf muß ich oft von Ihnen hören. Gestern zum Beispiel – etwas arglistig von Ihnen – in einem Augenblick, da ich mich unmöglich verteidigen konnte. Und doch hatte ich eine Entgegnung. Ich will sie wenigstens nachträglich vorbringen. Sie dürfen sich meiner Weltanschauung nicht verschließen.
Hat es wirklich viel Zweck, meine ich, daß sich der Mensch mit seiner (im Vergleich zu den gigantischen Mächten über uns) so armselig geringen Tatkraft den Ereignissen von außen oder den dunklen geheimnisvollen Trieben in sich immer und immer wieder vermessen entgegenstellt? Haben Sie nicht auch schon tausendmal in Ihrem Leben wahrgenommen, daß sich im menschlichen Dasein die Dinge auf das Erstaunlichste von selber fügen? Oft entwirrt sich das Verworrenste am leichtesten, gerade wenn sich niemand ins Spiel mengt. Mit fatalistischer Sicherheit vollzieht sich das, was man zuerst für ganz unmöglich hielt. Und dann: sind die Saumseligen nicht immer der Götter Lieblinge? Das sind die wahren Weisen. Alles, was wir Menschen können, ist bestenfalls, fein stillzuhalten. Mir wenigstens kommt es immer stilwidrig und unsinnig vor, wenn irgendein Tölpel in das wunderbare Schauspiel einzugreifen wagt, dessen Dichter der Namenlose ist, der erhabene Dirigent des Sternenhimmels, vor dem wir in Einfalt und Ergriffenheit stumm dastehen. Ich habe mich in meinem Leben immer treulich an den Wortlaut der mir zugeteilten Rolle gehalten und mich sorglich bewahrt vor der Achtlosigkeit eitler Schauspieler, selbst erfundene Witze und Mätzchen einzuflechten. Und mich dünkt, damit wohlgetan zu haben. Wir sind Marionetten des Schicksals, das in uns – im Blute, im Charakter, in Herz und Hirn, aus Urzeiten ererbt – waltet und die ganze Tragikomödie aufführt, die wir das Leben nennen.
Es wäre möglich, daß einmal Dinge gebieterisch in mein Leben eindringen, die meine heutige Weltanschauung mehr oder weniger verändern. Ich bin allmählich zu ihr gekommen. Vielleicht bezeichnet sie nur eine Stufe meiner Entwicklung. Ich weiß es nicht. Vielleicht bin ich die letzte schwache Blüte eines verfallenden Stammes. Meine Vorfahren waren von reckenhafterem Schrot und Korn.
Ich will Ihnen eine ehrliche Beichte ablegen. Ich bin nicht einmal – wie Sie sichtlich vermuten? – in dem einen ein Draufgänger, in der Galanterie. Ich bin es kaum als ganz junger Mann wirklich gewesen. Im Innersten meines Ichs war ich allzeit auch den Frauen gegenüber ein schüchterner Fatalist, und ich habe mein scheues Herz keiner ganz geschenkt bis auf den heutigen Tag. Mein Herz harrt noch immer seines Schicksals. Es möchte aber immer noch nicht verzichten.
Darf ich Ihnen ein Beispiel erzählen, wie kläglich unheldenhaft es um die Sieghaftigkeit Ihres Freundes steht?
Erinnern Sie sich eines gewissen Briefes, in dem Sie schrieben. Sie kämen am folgenden Montag nicht zu Frau Eveline. Ich glaubte es und glaubte es wieder nicht. Der Montag kam. Ich nahm mir eine Droschke und fuhr nach der Emser Allee hinaus. Beim Aussteigen wandelte sich meine Meinung. Mit einem Male war ich mir klar, daß Sie nicht kämen. Ich betrat die Villa Ihrer Freundin nicht, sondern ging zu Fuß weiter, versonnen und in Träumerei verloren. Als ich mich umsah, fand ich mich vor Ihrem Gartentor. Es war halb sechs Uhr geworden. Einen Augenblick später stand ich in Ihrem gelben Salon. Wer von uns beiden war mehr verwundert, Sie oder ich? Wir haben alle beide herzlich gelacht, und anstatt, daß ich Sie inmitten einer langweiligen Gesellschaft flüchtig sah und vor zehn andern oberflächlich mit Ihnen sprach, ward mir ein friedsamer traulicher unvergeßlicher Abend im köstlichsten Ganzallein geschenkt. Und da wollen Sie, ich soll kein Fatalist sein?
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Rosenhof, den 4. Dezember.
Recht nett! Sie freuen sich über das Allerunpassendste, was wir – in den Augen der Andern – nur tun konnten! Wissen Sie es nicht? Es gibt eine Menge Leute, die mir das arg verübelten, wenn sie es erführen. Man ist hier engherziger als sonstwo. Und Kultur und Freiheit gehen ja überhaupt von altersher im Schneckengang. Was ist im Grunde Kultur? Der in Fleisch und Blut gedrungene Wille, jedwedem Andern wortlos zu gestatten, auf seine Fasson selig zu werden; ihm das Alltägliche still und stumm zu erleichtern. Wie weit sind wir in Deutschland davon entfernt! Ich wahre meine Freiheit nach Möglichkeit – nach dem Grundsatz, vor allem natürlich zu denken und zu handeln. Freuen Sie sich dessen!
Übrigens kam mir Ihr Besuch neulich so unerwartet, daß ich tatsächlich gar keine Zeit hatte, über Knigge und seine Ausleger nachzudenken. Ich nahm Sie einfach an. Das Gegenteil wäre mir unnatürlich erschienen. Im Augenblick vergaß ich sogar, welche Bedenken mir gewisse Briefstellen und gewisse Blicke meines lieben Freundes öfters verursachen. Auch daß er bei meinen Bekannten für einen Galantuomo gilt. Daß er nicht gefährlich ist, wie Sie mir versichern, das ahnt man wohl nicht?
Sie sehen, wie groß mein Vertrauen in Ihre Freundschaft ist. Sie nennen sich einen Fatalisten. Ich glaube Ihnen das. Gut! Sie wollen also sozusagen einer von den Beschaulichen sein, die sich nur die Tauben zu Gemüte führen, die ihnen gebraten zufliegen. Mithin braucht es mir vor Ihnen wirklich nicht bange zu sein. Ich bin zwar eine Taube, aber eine, die sich brav davor hüten wird, sich am vesuvischen Feuer Ihres Herzens auch nur die Flügelspitzen zu versengen. Sagen Sie übrigens, durch welche Zeichen und Wunder ist Ihre Gleichgültigkeit auf einmal so aufgerüttelt worden?
Scherz beiseite! Weil Sie zunächst keinen Willen zur Macht in sich spüren, leugnen Sie einfach überhaupt die Macht des Willens. Das freut mich in diesem einen Falle, denn im Sonstigen sehe ich Sie gar nicht gern passiv. Also ausnahmsweise habe ich meine Freude an Ihrer Passivität. Wohin könnte es führen, wenn Sie mir Tag für Tag mit dem starken Willen des Eroberers gegenüberträten? Zumal da ich Halbheit verabscheue. Etwas Ganzes oder nichts! Was wäre, wenn ich eines Tages Ihr ganzes Herz begehrte? Erschrecken Sie da nicht schon im voraus? Vermögen Sie wohl jemals ihr Ich ganz zu verschenken? Vielleicht ist das Ihrer einsamen Natur unmöglich? Wer weiß das? Ich grüble viel über Sie nach. Sie sind ein sprühender Enthusiast. Champagner, den man trinken muß, ehe seine Perlen dahin sind!
Vielleicht wäre es am besten für uns, wir sähen uns nicht mehr so häufig wie in der letzten Zeit. Sprechen Sie mir daraufhin aber nicht gleich Herz und Gemüt ab! Das wäre Unrecht. Der Kluge baut vor. Ich habe die alten Sprichwörter gern, lieber Freund.
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Gestern haben Sie mich im Wandelgange der Oper recht ungnädig behandelt. Warum? Hatte ich Ihnen nicht edelmütig gehorcht, indem ich meine Besuche im Rosenhof eingestellt? Gebieten Sie, daß ich auch auf die Oper verzichte? Denn wenn ich dahin gehe, sehe ich Sie. Und daß ich Ihnen dort Guten Tag sage, das erfordert die einfachste Artigkeit.
Als Sie mich am Sonntag mitten im fröhlichen Treiben des Kinderfestes im Hause Ihrer Frau Mutter entdeckten, haben Sie ein entzückend verlegenes Gesicht gemacht. Wären wir noch die alten guten Freunde, so hätte ich bei diesem Ihnen so unerwarteten Wiedersehen hell und laut aufgelacht, so recht als einer der übermütigen kleinen Jungen, unter die ich mich gesellt. Jetzt, in der Erinnerung, ist mir allerdings gar nicht mehr lächerlich zumute. Übrigens war ich wirklich nicht gekommen, um Ihnen eine Verlegenheit zu bereiten, sondern Ihrer allerliebsten kleinen Sophie wegen. Da Sie nun einmal ein so herziges Töchterchen haben, müssen Sie sich auch beizeiten daran gewöhnen, daß sie bewundert, umschwärmt, umlagert wird. Die großen Jungen fangen an, wie Sie sehen. Weiterhin war ich gekommen, um ein bißchen mit Ihrer Nichte Susanne zu plaudern. Haben Sie nicht gemerkt, daß ich mich ihr fast ausschließlich widmete? Fräulein Susanne von Schönberg ist wirklich ein fesches, hübsches junges Mädchen. Sie verfügt über alle Reize, die Balzac an einem weiblichen Wesen als besonders verführerisch hervorhebt, damit man sie – nicht heiratet. Aber Balzacs Physiologie der Ehe ist das Buch eines klugen Spötters. Auch offenbar nicht für Junggesellen geschrieben, sondern als Trostbuch für Ehemänner, die selber nicht genug Geist haben, um sich über ihre Gattinnen lustig zu machen, nachdem sie in der oder jener Hinsicht vom Throne gestürzt sind.
Susanne ist so recht geschaffen zum Flirt. Zur Liebe als Spiel. Ich habe ihr demgemäß ordentlich den Hof gemacht, was sie nicht ungnädig aufnimmt. Ich glaube auch sonst keinen schlechten Eindruck hervorgerufen zu haben. Ihrer – verzeihen Sie meinen losen Mund! – hochmütigen Frau Schwägerin war so etwas wie geheime Freude anzumerken darüber, daß ich alter Hagestolz Feuer zu fangen schien. Unter uns: Ihre Frau Schwägerin ist in unaufzählbar vielen Dingen so ganz anders geartet als Sie.
Der langen Rede kurzer Sinn: Sie sehen, daß Sie in der Tat keinen Anlaß haben, an meiner Harmlosigkeit zu zweifeln! Warum strafen Sie mich also? Was hab ich Ihnen angetan? Seien Sie lieb und gütig und heben Sie das grausame Verbot wieder auf! Rufen Sie mich aus meiner unverdienten Verbannung zurück! Ein einziges Wort genügt. Sonst müßte ich mich wirklich für gefährlich halten. Ersparen Sie mir, bitte, diesen dummen Dünkel!
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Rosenhof, den 15.
Sie sind wirklich ein großes Kind! Kommen Sie nur wieder! Ich vermag ja sowieso keinen Schritt zu tun, ohne Sie auf allen meinen Wegen urplötzlich auftauchen zu sehen.
Ich erwarte morgen eine kleine Gesellschaft bei mir: Gelehrte, Künstler, Künstlerinnen. Professor Schöning, den wir beide als genialen Vortragskünstler lieben, will uns Gedichte aus der Biedermeierzeit vorlesen. Urdrolliges Zeug, wie er mir verraten hat. Das wird der Glanzpunkt des Abends. Dazu stellen sich von den Malern meiner Nachbarschaft ein paar ein. Berühmtheiten darunter! Sie lieben die Maler. Ich erinnere mich, dass Sie mir einmal im Tone schmerzlichsten Bedauerns gestanden haben, am liebsten wären Sie auch einer geworden. Bedeutet das übrigens nicht, dass Sie in dieser Richtung Fähigkeiten haben? Sollten sich keine Wahrzeichen davon erhalten haben? Wollen Sie sie mir nicht einmal gelegentlich zeigen? Bewunderung vertieft die Freundschaft.
Von den weiteren Genüssen des Abends verrate ich Ihnen nichts. Ich möchte Ihnen nicht alle Neugier nehmen. Sie lieben die Überraschungen, das divin imprévu, wie Sie zu sagen pflegen.
Wir essen halb acht. Sie dürfen sich aber ein Stündchen früher einstellen, um Sophie bei ihrem Abendbrot etwas vorzuplaudern. Sie hält Riesenstücke auf ihren »lieben Onkel Georg, der so gar nicht mehr herauskommt«. Ich fürchte, Sie sind ihre erste Liebe.
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Rosenhof, den 20.
Gestern haben Sie zu mir gesagt: »Ich kenne Sie bis tief in Ihr Herz!« Ich muß Ihnen wenigstens hinterher sagen, dass Sie sich mit einer so scharfen Behauptung überschätzen. Und dann: Können Sie denn wissen, ob ich Sie nicht vielleicht zehnmal besser kenne als Sie mich?
Sie sind der Mehrheit der Männer unsrer hastigen und nur auf das Oberflächliche gerichteten Zeit sichtlich hoch überlegen. Sind einer der raren Menschen, die sich nicht mit einer einseitigen Bildung begnügen. Aber so sehr Sie sich selbst zu einer universellen Kultur erzogen haben im Gegensatz zu Ihren Zeitgenossen, die in der beschränkten Arena irgendeines engherzigen Berufs ihre Jugendideale vergessen, – dafür leiden Sie an der großen Schwäche aller Einzelgänger, und bei Ihrer merkwürdigen Gefühlsverfeinerung umso schwerer: an der Lust, ihre eigenen Empfindungen und Gefühle, und auch die gewisser Anderer, zergliedern und ergründen zu wollen. Sie sind keine einfache Natur, sondern ein recht vielgestaltiges, widerspruchsreiches Wesen, das noch lange nicht zu kristallklarer Einheit gelangt ist. Sie leiden an der Krankheit aller Romantiker. Sie möchten ein Lebenskünstler großen Stils sein, aber Ihre Sucht nach erlesenen Gefühlserlebnissen hindert Sie an der wirklich heiteren und schlichten Freude am Leben. Sie berauschen sich an Ihren feinen Empfindungen und wollen sie am liebsten ins Übermenschliche steigern. Darin sind Sie unersättlich. Hierauf richten sich, Ihnen bewußt und unbewußt, alle Ihre Gaben. Sie wollen zu einer Genußfähigkeit von wunderbarer Feinheit gelangen.
Gestehen Sie: habe ich Sie nicht gut studiert? Ich bin noch nicht fertig. Die meisten Männer, mit denen Sie durch Ihren einstigen Beruf und Ihren gesellschaftlichen Stand in Berührung gebracht worden sind und werden, Männer, die sich das geistige und leibliche Epikureertum Ihres Ideals nicht leisten können, alle diese erscheinen Ihnen mehr oder weniger inferior. Infolgedessen haben Sie sich immer mehr von ihnen gesondert und entfernt. Das hat Sie zu einem seelischen Hochmut sondergleichen geführt. Da Sie aber trotz eines gewissen Hanges zur Einsamkeit nicht zum ungeselligen Eremiten taugen, so haben Sie Ersatz für die Ihnen unliebsamen Männer in der Freundschaft unter den Frauen gesucht. So sind Sie, wie der Franzose das nennt, ein homme à femmes geworden. Sie sind nach und nach in die Gefühlswelt der Frauen eingedrungen, wobei Sie von gewissen, unzweifelhaft femininen Elementen in Ihrem eigenen Ich geführt werden. Es ist, nebenbei gesagt, wie Sie selber wissen, kein Vorwurf für einen Mann, wenn man ihm beweist, daß er Weibliches an sich hat. Goethe, Byron, Musset, Mozart, alle Genies waren so geartet. Selbst Napoleon der Erste, Ihr Heros. Man behauptet ja, alle Künstler seien feminin. Jedenfalls glaube ich, daß wir die großen Kenner der Frauenseele nur diesem Zwittertum verdanken, also einer Schwäche, wie diejenigen zu schelten pflegen, die den Künstlern verständnislos gegenüberstehen.
Mit Ihrer Einzelgängerei hängt auch Ihr Hang zur tatenlosen Träumerei zusammen, Ihre vornehme Indolenz, Ihr auffällig starker Mangel an sozialem Sinn. Sie haben sich in mancher Hinsicht der Wirklichkeit abgewandt. Einmal haben Sie mir gesagt: es sei kein Unterschied, zehn Jahre nach dem allerglückseligsten Erlebnisse jedweder Art, ob man es wirklich erlebt oder es sich dank einer schöpferischen Phantasie nur erträumt habe. Merkwürdig, daß dies gerade einer sagt, der so viel erlebt! Dann brauchte man überhaupt nur zu träumen! Aber Sie lieben ja mehr als den holden Traum ... Weiterhin, dem großen Haufen der Durchschnittsmenschen feindlich, sind Sie nach den göttlichen Inseln der Künste und Wissenschaften geflüchtet; sind einer der erlesensten Dilettanten im Sinne Arthur Schopenhauers geworden, ein amoralischer Ästhet aus der Schule Ihres Stendhals. Sie sind hinter die Mysterien der Assoziationskünste gekommen, wie Sie mir erzählt haben, hinter geheimnisvolle Genüsse, von denen ich reguläres Menschenkind nichts verstehe.
Und das führt mich von Ihnen zu mir!
Was bin ich Ihnen? Seien Sie gegen sich selber klaräugig! Ein einfaches Geschöpf, um das sich Ihre phantastische Sehnsucht zufällig kristallisiert. Sie beten in mir ein himmlisches Ideal an, das Sie sich aus den tausend Schönheiten der Wunderwelt Ihrer Träume und Sinne erschaffen haben. Sie beten es an des seltsamen Genusses wegen, den Sie vor diesem imaginären Bild mehr denn in der Wirklichkeit finden.
Ist nun aber ein Fischer am Meere des Lebens, der seine Netze so ungeheuerlich weit auswirft, der rechte Partner für eine Frau, die bisher eine moralische Befriedigung darin fand, mit sich selber wie mit jedem andern Menschen einfach und natürlich zu sein? Muß einer Natur wie der meinen nicht vielmehr ein seelisch schlichter Mann, der einen liebt, wie man in Wahrheit ist, der einen nicht mit Unmöglichkeiten umkleidet, der einem nichts darbringt als sein gutes, braves, treues Wesen, zuverlässiger erscheinen als ein hochgespanntes Phantastenherz, dessen Schicksal es ist, nach verlodertem Rausche früher oder später, aber unausbleiblich, desillusioniert zu sein. Ich habe die Biographien so vieler Phantasiemenschen gelesen. Ich möchte aus ihnen schließen, daß dem homme supérieur in der Liebe immer nur die Leidenschaft an sich das Wesentliche ist, nicht aber die Persönlichkeit der Frau, und mag sie selber noch so hoch stehen. Das Weib ist ihm immer nur das Spalier, an dem sich die Blütenträger seiner Passion zum Himmel emporranken möchten. Im höchsten Sinne bleibt er immer frei. Weil ich das zu erkennen vermeine, will ich um alles in der Welt nicht die sein, an der Sie eine jener Enttäuschungen erleben, deren Sie zweifellos schon viele erfahren haben. Ich würde unheilbar darunter leiden und unbedingt daran zugrunde gehen. Verwöhnten Träumern solcher Art kann selbst die innigste Zärtlichkeit einer liebenden Frau, ja das volle sich ihnen Geben sehr bald nicht mehr genügen. Die Verfeinerung hat sie zu gräßlichen Egoisten gemacht.
Auch wir Frauen hegen tausend Illusionen, aber doch ganz andrer Art, keine so dämonischen. Die besten unter uns sind auch Idealisten. Aber wenn wir einmal aus dem Himmel gestürzt sind, dann fehlen uns die starken Fittiche, die euch immer wieder wachsen. Ich freue mich unsagbar Ihrer Zuneigung, aber ich bekenne Ihnen ehrlich: ich empfinde Furcht vor einer Leidenschaft, die mir zu phantastisch erscheint. Es gibt nichts Unheilvolleres für uns Frauen, als wenn ihr uns zu himmlischen Wesen träumt, weil ihr Göttinnen ersehnt, nachdem euch die Erde degoutiert hat und ihr euch selbst wieder heilig fühlen möchtet.
Gute Nacht und guten Morgen! Es schlägt ein Uhr. Draußen über dem friedlichen, hellschimmernden Elbtale wölbt sich die leicht verschleierte Mondnacht. Nur ein paar Sterne blinzeln. Frischer Wind weht. Ich habe ein Fenster geöffnet und lange hinüber geschaut, wo ein wundervoll stilles Meer von Lichtpunkten schimmert: die schlafende Stadt. Jedesmal, wenn ich diese märchenhaften Lichterlinien erblicke, fühle ich den ewigen Frieden, der über uns allen waltet und wacht, selbst wenn wir uns ihm fern wähnen.
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Gnädige Frau,
ich bin tief betroffen. Nicht im geringsten vermeinte ich, Sie zu beleidigen oder zu kränken, indem ich mir einbildete, Ihre mir so liebe Art zu kennen, und Ihnen dies in meiner Einfalt gestand. Einfalt bei so viel Bizarrerie! Lachen Sie! Nunmehr bereitet es mir aufrichtigen Kummer, daß ich Ihnen derlei gesagt habe, und in so ungeschickter Weise. Aber wenn Sie wüßten, wie sehr es mir leid tut, so würden Sie mir großmütig und gleich auf der Stelle verzeihen.
Ihr Gute Nacht! und Guten Morgen! hätte mich, wenn es mich im Augenblick erreicht, gerade beim Nachhausekommen begrüßt. Ich war in Carmen, einer mir lieben Oper. Wissen Sie übrigens, daß es Nietzsches Liebling war? – Hinterher habe ich mit Herrn von Wolfframsdorf im Englischen Garten soupiert. Es war recht leer da. Die lieben Dresdner sind sparsame Leute. Man erfreut sich an der wundervollen Musik und legt sich dann mit spartanischer Enthaltsamkeit so schnell wie möglich auf das Ohr. Außer ein paar leichtlebigen Kavallerieleutnants soupiert Dresden nur an besonderen Tagen. Lukull wäre am Elbestrand niemals unsterblich geworden. Aber was für ein reizendes Leben könnte das deutsche Florenz bieten, wenn man dort in der guten Gesellschaft nicht so knickerig wäre und ungesellig! Vor hundert Jahren hat einmal ein Kenner Europas gesagt, Dresden sei eine verführerische Vorstadt Italiens, mit seiner holden Landschaft, seiner südlichen Musik und seiner edlen Leichtlebigkeit. Gewiß, aber das mit der edlen Leichtlebigkeit unterschreibe ich nicht. Die muß nach der Franzosenzeit abhanden gekommen sein.
Ich habe im Theater Ihrer auf das Lebhafteste gedacht. Was hätte ich darum gegeben, wenn ich still neben Ihnen gesessen hätte, wie das eine liebe, unvergeßliche Mal in der – mir ungenießbaren – Straußschen Elektra.
Ihre Frau Mutter hat die große Liebenswürdigkeit gehabt, mich in gütiger Weise für übermorgen einzuladen, zum Weihnachtsabend. Ich werde da Gelegenheit haben, durch einen stummen treuen Blick zu versuchen, in Ihren lieben perlengrauen Augen meine Absolution zu lesen. Auch freue ich mich, Ihren Bruder, den Bezirksamtmann von Togo, kennen zu lernen. Sophie schwärmt dermaßen von ihm, daß ich auf den »Onkel aus Afrika« bereits eifersüchtig bin.
Ich küsse Ihnen die kleinen schlanken Hände.
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Den 27.
Eigentlich verdienen Sie schon wieder eine kleine Strafpredigt. Sophie hat bei unserer Rückkehr am Weihnachtsabend eine Puppe vorgefunden, so groß wie sie selbst kaum ist. Sie war entzückt. Wie sie aber aus den beigelegten fröhlichen Versen erfuhr, der Weihnachtsmann, der sie gebracht, sei Onkel Georg, da hat sie vor leidenschaftlicher Freude gezittert. Oh, Sie hätten zugegen sein sollen! Es liegt etwas unsagbar Rührendes im Glück eines Kindes.
Ich habe dann lange nachgesonnen. Warum hat sich Sophiens Kindergemüt doppelt gefreut, nachdem sie wußte, daß die Puppe Ihr Geschenk war? Zuerst freute sie sich offenbar unpersönlich.
Ich finde hier eine menschliche Schwäche. Sollte man sein Herz nicht dazu erziehen, nur unpersönliche Freuden zu empfinden? Nur dann ist man gegen alle Anfechtungen gefeit. Aber fände man dann oft Freude?
Die Puppe soll Georgine heißen. Natürlich habe ich Sophie eine festliche Taufe versprechen müssen. Sie und Susanne sollen Paten sein. Susanne hat sofort zugesagt. Sie nimmt trotz ihrer zwanzig Jahre noch ungeniert eine Puppe in die Arme, und vielleicht lockte auch der Gedanke, daß Sie der Herr Gevatter sind. Und Sie, Herr Rittmeister und würdevoller Jünger Epikurs? Ich hoffe, Sie schlagen es meinem Töchterchen nicht ab, mit uns dreien Knackmandeln und Schlagsahne zu essen. Schwerere Pflichten bürden Sie sich ja damit auch für die Zukunft nicht auf.
Nun kommt die Reihe an mich. Ich habe Ihnen für den prächtigen Kopenhagener Jungen zu danken. Ich tue es von Herzen. Er hat ein hübsches Plätzchen gefunden. Er ist köstlich in seiner lieben dreisten, nachlässigen Haltung. Meisterlicher Naturalismus! Die beiden Bände, die Sie mir dazu so verschwenderisch auf den Weihnachtstisch gelegt haben, mit dem wunderlichen Titel »Briefe eines Unbekannten«, die werde ich heute abend andächtig zu lesen beginnen.
Ich bedaure, daß Sie nach Rockau reisen. Ich hätte Sie gern zu Silvester bei mir gesehen.
Nicht wahr, ich irre nicht, wenn ich annehme, daß Rockau in Thüringen liegt? Sie haben es mir bisher nur flüchtig erwähnt. Demnächst berichten Sie mir aber endlich einmal etwas recht Anschauliches von Ihrem Familiengute! Sie verstehen das so wundervoll, wenn Sie Ihre Erzählerlaune haben.
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Meine geliebte Freundin,
das Neueste: ich verzichte auf den geplanten Aufenthalt in Rockau. Mein Bruder Eberhard war heute hier in Dresden. Ganz unerwartet. Wegen einer für ihn dringlichen Angelegenheit. Wir sind – was leider nicht zu vermeiden war – arg aneinander geraten. Etwas verträgt er nämlich unbedingt nicht: wenn man ihm buchmäßig nachweist, daß er das uns gemeinschaftlich gehörige Gut ohne Sinn und Verstand bewirtschaftet. Wenn das so weiter geht, muß er es zugrunde richten. An seinen einzigen Sohn und Erben Michael – jetzt ein lieber kluger Bengel von sechzehn Jahren – denkt er dabei nicht, nur immer auf eins bedacht: soviel Geld aus dem Besitztume zu schlagen, wie nur menschenmöglich ist, um sein luxuriöses Leben und seine maßlosen Abenteuer damit bezahlen zu können. Zum Glück haben wir einen ausgezeichneten Inspektor, der wenigstens die tollsten wirtschaftlichen Torheiten hintertreibt, indem er mich jedesmal noch rechtzeitig in Kenntnis setzt. Trotzdem habe ich meinem Bruder nunmehr die Generalvollmacht entziehen müssen. Eberhard ist ein Hitzkopf, dabei an schrankenlose Unabhängigkeit gewöhnt. Sie können sich somit denken, daß ich eine heiße Fehde zu bestehen hatte. Er hat mich vor unserem Notar einen »gemeinen Geizkragen« genannt.
Ich wäre der alten Gewohnheit, Neujahr auf dem Gute zu verleben, besonders deshalb gern gefolgt, weil ich meinen Neffen sehr lange nicht gesehen habe. Er ist mir, dem Einsamen, ans Herz gewachsen. Ich liebe ihn väterlich und habe Ihnen auch schon einmal von ihm erzählt. Wir verstehen uns beide prächtig. Michael ist zurzeit Primaner der Schule zu Pforta. Seine viel zu früh dahingegangene Mutter war als junge Frau eine der schönsten Erscheinungen der Dresdner Gesellschaft. In unserem Gute hängt ein wundervolles Porträt von ihr als etwa Dreißigjährigen. Es ist von Ferdinand von Rayski, dem liebenswürdigsten Vorläufer der heutigen Bildniskunst.
Sie begreifen, daß ich unter den angedeuteten Umständen meinen Bruder und damit das Gut doch lieber meiden möchte. Acht Tage mit jemandem zusammenzuleben, der sich nur aus Höflichkeit mit mir verträgt, das ist mir ganz unmöglich. Somit wäre ich mit Freuden bereit, den letzten Abend dieses Jahres, dem ich so viel neuen inneren Besitz zu danken habe, im Rosenhofe zu verbringen. Darf ich mich einstellen?
Ich bin glücklich, daß Ihnen der Kopenhagener Frechdachs gefällt. Als ich das allererstemal zu Ihnen kam, war ich da nicht auch ein tüchtiger Frechdachs, obgleich ich Herzklopfen hatte, wie Sie ja wissen.
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Den 29. Dezember, 2 Uhr.
Mein lieber Freund!
Es bereitet mir großen Kummer, Sie in Sorgen und Mißstimmung zu wissen. Warum sind Sie noch nicht nach dem Rosenhof herausgekommen? Das ist nicht recht von Ihnen. Sie nennen mich Ihre Freundin. Soll das nichts als eine Redensart sein? Bei mir ist es das gewiß nicht. Für mich bedeutet die Freundschaft etwas Heiliges. Und ich halte es für mein gutes Recht, den Freund aufheitern und trösten zu dürfen. Ich erwarte Sie heute gegen Abend. Vielleicht gelingt es mir, Sie vergnügter gehen als kommen zu sehen.
Selbstverständlich rechne ich auf Sie nunmehr bestimmt am Silvesterabend. Da ist unser Tisch für alle Familienlosen gedeckt: für die Einsamen und Verlassenen. Es ist dies ein alter Brauch. Zuweilen stellt sich eine stattliche Gästeschar ein. Mitunter sind es nur wenige. Wir, Mutter und ich, rechnen diesmal nur auf eine kleine Tafelrunde. Ich hoffe aber, es soll so fröhlich werden wie bisher noch immer. Nichts macht mir innigere Freude, als meinen Freunden in meinem Hause die Illusion zu schenken, sie seien in ihrem eigensten Heim.
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Meine liebe Freundin,
Ihre gütigen Worte habe ich gestern abend vorgefunden, als ich aus dem Theater nach Hause kam. Wie mich Ihre edle Anteilnahme rührt! Ich bin Ihnen von Herzen dankbar, daß Sie mir einen Platz in der Tafelrunde der Einsamen gewähren wollen.
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Sonnabend, den 16. Januar.
Ich wüßte nicht, welchem meiner Freunde ich soviel Anteil schenkte wie Ihnen. Sie brauchen eine gute Fee, eine sorgliche Schwester. Beides will ich Ihnen mit allen meinen Kräften sein, solange es Ihnen nicht lästig ist.