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Tristan und Isolde. In der bretonischen Urgestalt erneuert von Arthur Schurig. Ein deutschsprachiges eBook im ePub-Format Autor: Arthur Schurig. Die Geschichte jenes berühmten Liebespaares, dessen Schicksal bis in den Tod durch einen Zaubertrank bestimmt wird. Tristan ist der Sohn von Riwalon, dem König von Lohnois, der aber in einem Krieg ums Leben gekommen ist, und Blanscheflur, der Schwester des König Marke von Cornwall, die in Sehnsucht zu ihrem Mann Riwalon auch starb. Tristan wuchs bei Rual le très loyal, einem Freund Riwalons auf. Mit sieben Jahren wird Tristan ins Ausland geschickt, um Sprachen zu lernen. Später wird er wieder zurückgeholt, damit er die wichtigen Herren in seinem Lande kennen lernt. Tristan wird mit seinem Knappen Kurvenal entführt und auf Cornwall wieder freigelassen. Bei König Marke erfährt er von seiner adligen Herkunft und will den Tod seines Vaters rächen. So trifft er auf Morgan, der seinen Vater umgebracht hat, und tötet ihn. Morold, der Sohn des Königs von Irland, fordert seinen jährlichen Tribut von Cornwall. Tristan stellt sich Morold zum Zweikampf, den er zwar gewinnt, dabei aber von Morolds Schwert vergiftet wird. Tristan fährt nach Irland, da er weiß, dass nur Isolde, die Schwester von Morold, ihn heilen kann. Tristan wird zur Königin Isolde gebracht, der er vorgibt, Tantris zu heißen. Sie bietet ihm an, ihn zu heilen, wenn er sie mit seinem bezaubernden Harfenspiel beglücke, und ihre gleichnamige wunderschöne Tochter Isolde unterrichte. Als Tristan wieder in seine Heimat zurückkehrt, wird der König zur Heirat gezwungen, da er noch keine Erben hat. So wird dem König die Schöne Isolde vorgeschlagen, bei der er zustimmen würde, unter der Bedingung, dass er keine andere heiraten werde. Denn er nimmt an, dass ... Die Geschichte von Isoldes Treue bis in den Tod wurde seit dem hohen Mittelalter in zahlreichen Bearbeitungen überliefert, unter anderem in der Oper Tristan und Isolde von Richard Wagner.
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Seitenzahl: 215
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Der Roman von Tristan und Isolde
In der bretonischen Urgestalt erneuert von
Arthur Schurig
Alfred und Gertrud Vogel
Lieben Freunden
Vernehmt, Damen und ritterliche Herren, die älteste Liebesmar des Abendlandes, gesponnen um die Namen Tristan und Isolde. Wer kennte sie nicht von Jugend auf? Ein Bretone hat ihr Schicksal zuerst besungen, vor nun tausend Jahren. Sie haben leibhaft gelebt, die beiden herrlichen Gestalten, Kelte er, Germanin sie, drei Jahrhunderte ehe der Sänger sie erhob zur Unsterblichkeit. Ihnen wie allen großen Liebenden ward die Lust verklärt vom Leid, das Leid durchsonnt von Lust. Trennung war das Los ihres Erdenganges, Geheimnis der Dämon ihrer Schuld. Früher Tod am gleichen Tage einte sie ewiglich. In immer sich wandelnder Form schreitet das göttliche Paar durch die Nachwelt, Wagenden zum Vorbild, Siegenden zur Labung, Geschlagenen zum Trost.
In grauen Zeiten herrschte im Herzogtum Leonnois, im Nordwesten von Aremorika – so hieß die Bretagne unter dem trotz aller Großartigkeit untergegangenen Römischen Imperium – ein streitbarer junger Fürst, König Riwal. Seiner keltischen Vorväter einer war aus Britannia über das Meer gekommen, verdrängt von den dort immer stärker eindringenden Sachsen, wohl aus dem Lande der Pikten, die im nordöstlichen Zipfel des späteren Schottlands wohnten. Über den Granitklippen des Festlandes hatte er das Kastell Kanohel erbaut, die älteste Burg auf der bretonischen Halbinsel, fortan der Sitz der Herren von Leonnois. Das war nun mehrere Jahrhunderte her, in welchem Zeitlaufe ganz Europa schweres Schicksal erduldete. Die Völker waren in Bewegung. Sie schwärmten heran aus unbekannten Fernen, vergewaltigten
die Ureinwohner, raubten, mordeten, brannten Höfe und Häuser nieder, um im eroberten Gebiete zu verbleiben oder zumeist ruhelos weiter zu wandern.
Menschenarm waren alle Lande und arm die Menschen. Auch in den drei oder vier Herzogtümern der Bretagne, ehedem friedvollen glücklichen Gauen, machte es längst kaum mehr Freude zu leben. Schwermut lag über den Weiden und Wäldern ebenso wie auf den Mienen der Leute. Rauh war deren Tun und Denken geworden. Wer Herr war, mußte stark und gewaltsam sein, und wer Knecht, stark und duldsam. Keiner griff zaghaft zu, und niemand ward zart behandelt. Aller Herzen waren steinhart, wie der bretonische Boden, und, wenn sie erglühten, heiß und überheiß, und ihr Schlag vernehmlich. Mitleid kannten sie nicht, wohl aber Haß, Leidenschaft und Treue.
Die Bauern blieben ihren Fürsten und Führern ergeben, denn wenn diese auch ursprünglich fremde Gewalthaber gewesen, so waren sie ihnen doch tapfere Verteidiger
wider die räuberischen Seefahrer, die immer wieder vor den felsigen Küsten erschienen, um mehr oder minder weit ins Land einzufallen.
In den letzten hundert Jahren waren es jene verwegenen Nordmänner, die Wikinger, die am Ostgestade der Grünen Insel, Irland genannt, eine Reihe von Reichen gegründet hatten, das mächtigste mit seinem Königssitz in der festen Stadt Dowelin. Jahr um Jahr wagten sie von dort in ihren flinken Langschiffen kühne Fahrten nach dem Festlande, aus zielloser Lust am Abenteuer, aus Drang nach Eroberungen, aus Gier nach fremdländischen jungen Weibern, schließlich aus gemeinem Durst nach Gold und allerlei Dingen, die sie für kostbar schätzten.
Schon das armselige Land Leonnois litt unter diesen schrecklichen Germanen; hundertmal mehr zu fürchten hatte das reichere Herzogtum Cornouaille, das im Osten an König Riwals Gebiet grenzte. Man konnte von einem Herzogtum ins andre sowohl zu Schiff, an der Felsenküste hin, wie zu Fuß oder zu Pferd über die Waldberge gelangen.
In Cornouaille herrschte König Marke. Seine weithin berühmte Burg, ehedem ein Römerkastell, hieß Tintagol. Hoch ragte sie über Hügel und Haide, sechs Wegstunden landeinwärts, an einem kleinen Flusse. Wo dieser in eine lange schmale Bucht des Meeres strömte, ein wenig unterhalb der Stadt und Burg Dinan, da war der Haupthafen des kleinen Reiches. Im Wechsel des Krieges hatten die Cornouailler das Mißgeschick, den Wikingern zinspflichtig zu werden. Seitdem holte sich der
Feind alle Jahre den Tribut: Reichtümer, Sklaven und Jungfrauen. Wohl versuchte man jedesmal, sich der Schmach zu wehren. Vergebens. Die Übermacht war zu groß.
Da verschworen sich die beiden Nachbarn zu einem Bunde, und im kommenden Frühjahr, ehe der böse Feind erschien und eindrang, sandte König Marke hinüber nach Kanohel und rief den Herzog von Leonnois zur gemeinsamen Abwehr.
Riwal brach alsbald auf mit den Rittern seines Landes und einem stattlichen Gefolge von Mannen. In Tintagol auf das Beste empfangen, vergnügte sich Edelmann wie Knecht bei Wettspiel, Sang und Becherklang, bis die Kunde vom Nahen der in aller Welt gefürchteten Wikingerschiffe einlief. Da ergriff man die Waffen und zog unter König Markes wehendem Banner nach Dinan. Gar schwer fiel Herrn Riwal der Abschied von Tintagol, denn die schöne Blankeflor, die älteste von des Königs beiden Schwestern, hatte es ihm angetan.
In der Schlacht gewannen die Bretonen den Sieg, aber im Zweikampf mit dem Führer der Wikinger, dem Herzog Morold, einem weitberühmten Kämpfer und Seefahrer, dem Sohne des Königs von Dowelin, trug Riwal von Leonnois eine schlimme Lanzenwunde davon.
Blankeflor pflegte den Helden, dessen junges Blut für Cornouaille geflossen. Ohne Bedenken hätte sie ihr eigenes Leben gelassen, wäre ihm dafür Genesung geworden.
Eines Abends, als Blankeflor sorglich an Riwals Lager saß, dünkte es sie, ihm weiche das Fieber. Überglücklich beugte sie sich über den Erwachenden und küßte ihn auf die Stirn. Da zog Riwal die Geliebte an sich und machte sie zur Seinen. In der Nacht mußte er sterben.
Und auch Blankeflor starb, als sie Riwals Sohne das Leben gab.
Ehe Herr Riwal nach Tintagol in den Krieg zog, da hatte er sein geliebtes Land seinem Seneschall anvertraut, dem Grafen Rual, einem alten Edelmanne, dem sein streitbares Leben neben Würden und Zipperlein den Beinamen
der Treue
verliehen hatte.
Ihm und seiner ebenso trefflichen Frau Floräte brachte die Amme Riwals kleinen Sohn. Dies geschah sonderbar heimlich, und das kluge Ehepaar vermeinte in diesem Umstand einen Wink des Schicksals erblicken zu sollen. Abergläubisch sind die Bretonen wie bekannt seid uraltersher.
Rual und seine Frau beschlossen, des Knaben Herkunft zunächst niemandem zu verraten.
Sie gaben ihn für ein verwaistes Schwesterkind aus, und man glaubte es ihnen, denn in jenen endlosen
Kriegszeiten hatten die Leute wahrlich andre Sorgen als sich um einen Jungen zu kümmern, der nun einmal da war. Er bekam den Namen Tristan, den sein Urgroßvater und vor ihm schon manch andrer seiner Ahnherren mit Ehr und Ruhm getragen hatten.
Wie weise Rual gehandelt, zeigte sich bald. Ein Jahr nach Tristans Ankunft fiel Herzog Morold auf neuer Fahrt beutelustig in den Gau von Leonnois ein. Widerstand wäre vergeblich gewesen, denn es waren am Strand von Cornouaille zu viele der Besten unter dem hohen Heldenhügel verblieben. Darum, wenn auch schweren Herzens, schloß der Seneschall Waffenstillstand mit dem Normannenfürsten und fügte sich seiner Oberherrschaft.
Hätte Morold gewußt, daß unter Ruals drei Knaben, denen er leutselig auf die braunen Locken klopfte, einer der Sohn Riwals war, so hätte
er ihn kalten Herzens als den rechtmäßigen Erben des Landes umbringen lassen. Man verfuhr nicht anders in jener harten Zeit.
Wie Tristan sieben Jahre alt war, schaute sich der Graf Rual, den der Eroberer als Verweser von Leonnois belassen hatte, unter den Baronen des Landes nach einem guten Hofmeister für den wohlgeratenen Knaben um. Er selber dünkte sich so schwerem Amte nicht mehr gewachsen. Helden, so meinte er, müssen von jungen, nicht von alten Männern erzogen werden.
Seine bedachtsame Wahl fiel auf den Herrn Kurwenal als einen Meister aller ritterlichen Künste. Ihn ernannte er zum Guvernator des künftigen Fürsten, wobei er ihm das Geheimnis seiner Geburt anvertraute.
Kurwenal war ein Ritter ohne Furcht und Tadel, ein echter Bretone, von tapferem Sinn und tiefem Gemüt, schwer zugänglich, dafür umso beharrlicher, dreimal älter als sein Zögling.
Er hatte lange Zeit die Welt durchfahren, manches Herrn Land kennengelernt und die Sprache dreier Völker zu der seiner Heimat hinzugelernt. Sieben Jahre hatte er zu Paris am fränkischen Königshofe verweilt. Dort war es vor allem, wo er sich die waschechte Urbanität des guten Europäers erworben hatte.
Aber nicht nur als Hofmann war Kurwenal Muster und Meister. Er war ebenso erfahren im Gebrauch von Schwert und Lanze. Einen Reiter und Waidmann kannte man nicht seines gleichen. Und in den schönen Wissenschaften, in der edlen Musika wie im gelehrten Schachspiel galt er mit Fug und Recht für wohlbeschlagen.
Zur Stunde, da er vom Seneschall die wichtigste Aufgabe des Vaterlandes empfing, gelobte er dem
jungen Fürsten insgeheim Treue bis in den Tod und weihte ihm sein ganzes Leben.
Feierlich bot er dem Knaben die Rechte, und Tristan umarmte ihn in namenloser Freude; er hatte ihn so oft als hochgemuten Mann preisen hören. Vom ersten Augenblick an liebte er die wunderbar klugen klaren Augen seines älteren Freundes.
Unter Kurwenals Vorbild wuchs Tristan von Leonnois zu einem wahren Ritter heran. Wie im Spiel erlernte er alles, was ihm sein Hofmeister als gut, schön und edel lobte, und er kannte kein anderes Streben als dies: seinem Führer zu gleichen.
Wie er sechzehn Jahre alt war, da sprach er eines Tages zu Kurwenal: Herr Kurwenal, mich drängt mein Sinn, erprobt zu werden in der weiten Welt, von der Ihr mir so viel Herrliches und Erhabenes erzählt. Nicht länger möchte ich damit warten.
Das Leben eines Mannes, so sagt Ihr oft, ist kürzer denn er denkt. Ich will das meine nicht unnütz verfliegen lassen. Was vollbringe ich hier? Keiner außer Euch und meinem Pflegevater weiß, wer ich in Wahrheit bin. Ihr meint, es sei gut so. Aber wenn ich einmal als berühmter Ritter zurückkehre, dann sollen es alle wissen.
Kurwenal lachte.
Lieber junger Freund, sagte er, du hast es eilig, ein Mann und ein berühmter Mann zu werden.
Und um was im besten Falle? Weißt du nicht, daß sich in die große Welt begeben, Kämpfer werden heißt? Daß wir da draußen jede Lust mit dreimal so vielem Leid bezahlen müssen?
Daß wir nimmermehr eine so friedsame Heimat wiederfinden?
Bin ich nicht heimatlos geboren? fragte Tristan versonnen.
Wohlan, sprach Kurwenal, wir wollen zuvörderst deinem Oheim, dem König Marke von Cornouaille, in seiner Burg Tintagol den ihm geziemenden Besuch abstatten. So lange es dir gefällt, verweilen wir bei ihm. Du wirst dort manches dir Neue sehen und lernen.
Wie Herr Rual und Frau Floräte von Tristans Weltsehnsucht vernahmen, waren sie gar traurig, denn ihr Pflegekind war ihnen ans Herz gewachsen gleich wie ihre eigenen beiden Söhne; aber sie sahen ein, daß es wohl sein müsse.
Und so sagte der alte Seneschall: Lieber Sohn und Freund, gern und ungern erfülle ich dir deinen Wunsch. Zieh hin und erfülle dein ritterlich Schicksal! Bringe deinem edlen Vater droben in Walhall und unserm teuren Vaterlande Ruhm und Ehre! Erkämpfe uns die alte Freiheit! Räche König Riwals Tod! Dein hoher Sinn wird dich zum Helden machen.
Er befahl seinem Schaffner, die Reise bestens vorzubereiten. Zwei junge Edelleute und fünf Knappen wurden ausgesucht, daß sie mitfahren sollten. Gold und Silber ward auf ein Maultier geladen; auf ein anderes reiche Gewänder, Leinenzeug und Gastgeschenke. Und zwei der schönsten Pferde wurden ausgerüstet.
Als sich Tristan und Kurwenal vom Seneschall und vom Hofe verabschiedeten, da reichte Herr Rual dem jungen Weltfahrer das alte Feldschwert Riwals und sprach: Führe es und hüte es und sei immer ein Ritter!
Herrn Kurwenal aber händigte Rual einen goldenen Fingerreif mit einem Rubin ein.
Blankeflor hatte ihn dereinst getragen.
Sodann fuhr die Schar aus dem Hafen um die sieben Felseninseln nach Cornouaille.
Bei der Einfahrt in die tiefe Bucht von Dinan
bat Tristan seinen Hofmeister: Herr Ritter, ich bitte Euch, haltet an König Markes Hof geheim, welcher Herkunft ich bin, bis die Umstände meine Offenbarung erheischen!
Kurwenal willigte ein.
Bisher entschlossen, vor der Burg Dinan zu landen, ließ er nunmehr das Schiff zwei Wegstunden weit vorher linker Hand in den Sand laufen. Tristan und Kurwenal samt einem Knappen stiegen aus, schlichte Jägertracht angetan. Die Übrigen fuhren gemächlich weiter, mit dem Befehl, regelrecht im Hafen die Reise zu vollenden und daselbst des Weiteren zu warten.
Wie die drei zu Fuß landein wanderten, auf einem einsamen Wege durch hohen tiefen Wald, hörten sie plötzlich Hörnerklang und Jagdgeschrei.
Tristans Jägerherz begann zu klopfen.
Und siehe! Von der einen Seite her, wo eine schmale Blöße den Wald unterbrach, sprang ein
prächtiger Zwölfender auf den Weg und brach erschöpft zusammen. Zwölf braun und weiße Bracken hingen ihm am Halse wie eine schwere Traube. Weiß vom Schweiße glänzte dem zu Tod gehetzten Tiere das nasse Fell.
Mit Hallo und Halli kam das Feld der Jäger angaloppiert.
Alle Reiter schwangen sich behend aus den Sätteln. Die Hörner der nachkommenden Knechte ertönten.
Alsbald durchschnitt der Jägermeister dem Hirsch die Kehle.
Verwundert sah Tristan, daß er wie ein Barbar verfuhr. Er hatte von Kurwenal den fränkischen Waidmannsbrauch erlernt.
Indem er unter die Jäger trat, die im Kreise um die Jagdbeute standen, rief er dem Jägermeister, der sich anschickte, den toten Hirsch mit seinem Dolche zu zerstückeln, laut zu: Was tut Ihr, Herr Jägermeister? Ist es hierzulande Brauch, ein edel Stück Wild wie ein Schwein zu schlachten?
Macht Ihr es anders? fragte der Andere und hielt ein in seinem Handwerk. Ich will den Kopf dieses Hirsches abschneiden. Sodann zieh ich ihm die Haut ab und teile ihn der Länge nach in zwei Teile, und jeden Teil der Breite nach abermals in zwei Teile. Jedes Viertel muß das gleiche Gewicht haben. Mehr erfordert mein Amt nicht.
Es mag sein, hub Tristan von neuem an, daß Ihr damit Eures Landes Brauch erfüllt. Wir sind andre Art gewöhnt.
Ich lerne gern, meinte der Jägermeister in behaglicher Jagdlaune. Zeigt uns Eure Art!
Tristan streifte die Ärmel seines Rockes auf, zog seinen Hirschfänger, kniete nieder und enthäutete den Hirsch. Alsdann zerlegte er das Tier fein und säuberlich.
Bald lagen die Kleinteile, der Ziemer, die Keulen, die Vorderblätter, die Rippenstücke und so weiter auf dem Rasen.
Zuletzt bereitete er das Curée, indem er Lunge, Milz und Gescheide in kleine Stücke schnitt, und warf es der schwanzwedelnden Meute mit fröhlichem Rufe zu.
Die Jagdgesellschaft fand kaum Worte genug des Lobes, und der vornehmste der Jäger, ein rüstiger Sechziger, der Seneschall Tynas von Dinan, fragte den jungen Fremdling, der sein Wohlgefallen gewonnen hatte: Gestattet mir zu fragen! Wer seid Ihr, junger Herr? Aus welchem Lande kommt Ihr? Wo habt Ihr Eure höfische Kunst erlernt? Nennt mir Euren Namen und Eure Heimat!
Und freundschaftlich bot er ihm die Rechte.
Tristan heiße ich, erwiderte Tristan. Eine Heimat ward mir nicht zuteil. Will ein Spielmann werden, der seine Fahrt unterbricht, wo er liebe Leute findet. Und was ich Euch gezeigt, das lernte ich von meinem Meister, Herrn Kurwenal.
Beide wurden ritterlich bewillkommt.
Reitet mit uns zum Herrn dieses Landes, zu König Marke! Ich bin sein Seneschall. Kommt und seid seine Gäste! Folgt uns nach Schloß Tintagol! Zwei gute Pferde stehn Euch bereit.
Eure Einladung nehmen wir frohen Herzens an, erwiderte Tristan. Aber zuvor gestattet uns, daß wir den Jagdzug ordnen, damit er Eures Königs würdig sei.
Er ließ sich Gabeln aus Baumästen schneiden, und jeder Jäger hatte ein Stück der Beute zu tragen, der eine den Kopf, der andere den Ziemer, ein dritter die Lenden und so fort.
In Rotten zu zweit stellte sich der Zug auf. Zuletzt brach Tristan einen Zweig von einer alten Eiche und reichte jedem Jäger grünes
Laub. Alle saßen auf und ritten an, die hornblasenden Hundsmänner unter dem Geläut der lustigen Meute vorweg.
Nach zwei Stunden munteren Trabes erblickte man in der Ferne einen trotzigen Turm, und alsbald leuchtete den beiden Fremdlingen vom Hang eines waldigen Hügels, hoch über lachenden Wiesen und Weiden, die berühmte Burg Tintagol entgegen, der Königssitz des Reiches Cornouaille.
Das ist Tintagol! ließ sich Tristan vom Seneschall berichten. Die ältesten Gebäude des Schlosses haben zu Cäsars Zeit schon gestanden, und das Herrenhaus birgt Dinge, wie man sie in keinem Schlosse findet: Wasserläufe, Marmorbäder und Heizröhren, steinerne Teppiche und Riesenkrüge, und in der Halle werdet Ihr ein prächtiges Bildnis des Kaisers Mark Aurel finden, aus zweierlei edlem Gestein! Die Stürme der Zeit sind an diesem glücklichen Winkel vorübergejagt. Hinter der Burg, dort, wo die alten hohen Wipfel sich wiegen, da ist des Königs Baumgarten, ein köstlicher Ort. Da wird es Euch gar wohl gefallen.
Tintagol! jubelte der junge Weltfahrer bei sich. Tintagol, Haus meiner Mutter, sei mir gegrüßt!
Tintagol, birg mir mein Glück!
Tristan schwenkte seine Jagdmütze. Keiner außer Kurwenal ahnte den Grund seiner großen Freude.
Wie der Zug näher kam, gliederte sich die stattliche Burg. Tristan bestaunte die gewaltigen Umrisse der Wälle, Basteien, Türme und Häuser. Bald erkannte er auch das starke Tor, die langen weißen Zinnen, das breite hohe Königshaus, merkwürdig bemalt, schachbrettartig, die Felder blau und grün. Tristan hatte derlei noch nie gesehen. Ebenso farbenfroh hob sich
hoch darüber das Ziegeldach. Man ward heiter, sah man alle die bunten Dinge.
Kurz vor der Brücke ließ Tynas die Hörner blasen. Das Burgtor öffnete sich. Die Reiterschar zog feierlich und wohlgeordnet im Schritt ein. So hatte Herr Kurwenal es angeordnet.
Im Schloßhof unter dem Kreise von fünf alten Linden stand König Marke, der Herrscher von Cornouaille, ein stattlicher Herr von dreiundfünfzig Jahren. Der Turmwart hatte ihm die Rückkehr der Jagdgesellschaft vermeldet.
Er stand da und staunte.
Wie die Hunnen waren seine Ritter sonst durch die Tore in den Hof gestürmt. Woher die artige Wandlung?
Aha, meinte er beim Anblick von Tristan und Kurwenal, zwei fremde Herren haben das Wunder vollbracht. Betrachten wir sie uns näher!
Schon begann der alte Seneschall dem Könige von der Begegnung mit den Fremdlingen zu erzählen und den Aufzug der Jäger zu erläutern. Marke lobte das geschickt zerlegte Wildbret. Mehr noch gefiel ihm der fremde junge Waidmann.
Er hatte ein halbes Dutzend Edelleute um sich, junge und alte; auch ein Neffe, Herzog Audret, lebte am Hofe. Marke war der reichste Fürst der Bretagne; er knauserte niemals, und oft ging es hoch her im Schlosse Tintagol. Trotzdem fühlte sich der König einsam, und je älter er wurde, umsomehr ward er den Anderen fremd. Er war Junggeselle geblieben; warum, das wußte er eigentlich selber nicht.
Audret war der einzige Sohn von Markes verstorbenen jüngeren Schwester, deren Gatte ebenfalls nicht mehr lebte. Da der Sohn der älteren Schwester Blankeflor verschollen war, so fiel Krone und Land dereinst an Audret, der
sich daraufhin gewaltig viel einbildete, ohne daß seinen Dünkel sonstige Vorzüge wettmachten. Der Oheim schätzte den Neffen wenig, und wenn er der Zukunft seines Reiches gedachte, bekam er Herzdrücken. Audret eignete sich nie und nimmer zum Thronerben. Fürstliches Tun und königliches Denken waren nicht von ihm zu erwarten.
Der Zufall fügte es, daß Audret und Tristan nebeneinander standen. Wer keinen von beiden kannte, hätte glauben müssen, Tristan sei ein Königssohn und Audret von unbedeutender Herkunft. Unwillkürlich verglich Marke die jungen Männer.
Er seufzte auf. Seltsame Zuneigung erwuchs in ihm. Wahlverwandtschaft zog ihn zu dem jungen Fremdling hin, von dem er doch nichts weiter wußte als daß er einen Braten nach allen Regeln der Kunst zu zerlegen verstand.
Er, der einsame Fürst, der seiner Umgebung als Menschenfeind, Zweifler und Sonderling galt, bot einem hergelaufenen Knaben die sonst steife und stolze Rechte mit unverkennbarer Huld.
Willkommen, junger Edelmann! sprach er. Meine Burg sei Euer Heim, solange Ihr Euer Glück darin findet.
Tristan neigte sich tief vor dem König. Ein wundersam Gefühl beseligte ihn. Es war ihm, als habe er in Tintagol endlich sein Vaterland gefunden.
Am Abend, als die Tafel aufgehoben war, ließ ein fränkischer Spielmann seine Harfe erklingen, ein Meister seiner Kunst.
Als sein erstes Stück zu Ende war, fragte König Marke den ihm zu Füßen sitzenden Tristan: Junger Freund, was sagt Ihr zu dieser Melodie? Gefällt sie Euch?
Tristan wandte sich an den Harfner: Meister,
Ihr habt der alten Weise ein neues schönes Kleid umgetan, der alten Weise zu dem Liede von der Dame, die, ohne daß sie es ahnte, das Herz ihres Liebsten gegessen, des Ritters Gralant, den ihr eifersüchtiger Gemahl auf der Jagd umgebracht hatte. Ihr habt wohlgetan, der allbekannten alten Melodie ihre Art zu lassen. Ein Bretone hat sie ersonnen vor langen Zeiten.
Was wißt Ihr von meiner Kunst? entgegnete der Spielmann ärgerlich. Ihr seid doch ein Kind, kaum kundig eines Instruments.
Ein wenig spiele ich die Harfe, erwiderte Tristan, ohne seine Worte irgendwie zu betonen, aber auch die Rotta. Gebt mir eine! Die habe ich am liebsten.
Man brachte ihm die Zupfgeige.
Tristan präludierte. Darauf sang er den bretonischen Text des Liedes von der Herzemäre.
Alle, die es hörten, waren ergriffen. Am meisten
König Marke. Wie das Lied zu Ende war, zog er den Sänger an sich und küßte ihm die dunkelumlockte Stirn.
Gesegnet sei der Meister, der dich das gelehrt hat, zur Freude der Menschen! rief er aus. Sag an, wer ist dein Vater? Wo ist deine Heimat? Wer sind deine Lehrer?
Tristan deutete auf Kurwenal.
Der da, mein Freund und Hofmeister, der mag Euch auf Eure Frage Rede und Antwort stehen, König Marke!
Kurwenal hielt den Augenblick für günstig.
Schweigsam überreichte er dem Fürsten den Reif, den ihm der Seneschall auf die große Fahrt durch die Welt mitgegeben hatte.
Marke erkannte das Kleinod. Es war der Ring seiner eigenen Mutter, eine Brautgabe seines Vaters. Blankeflor, Markes Lieblingsschwester, hatte ihn getragen bis zu ihrem letzten Atemzuge.
Tränen zärtlicher Erinnerung traten ihm in die Augen.
König Marke, rief Kurwenal feierlich aus, dies ist Tristan von Leonnois, Euer Neffe, der Sohn Eurer Schwester Blankeflor und des Königs Riwal, der sein Leben geopfert hat für Euer Land!
Ich habe Euern Neffen erzogen, auf daß er Ritter und Hofmann und vor allem Freund aller Edlen werde.
Jene geheimnisvolle Stimme in mir hat mich also nicht betrogen, sprach der König. Vom ersten Augenblick an wußte ich, daß du mein Sohn bist. Der Truchseß bringe uns goldne Becher! Keiner der Tage, die ich bisher erlebt, war schöner denn dieser Tag.
Es ging ein wunderbares Licht von Tristans jungen Augen aus. Alle, die in der Halle saßen, waren voller Freude.
Nur einer begann ihm zu grollen, Audret, denn
er sagte sich in bitterer Enttäuschung: Nimmermehr werde ich nun König von Cornouaille!
Fünf Jahre schon weilten Tristan und Kurwenal im Schlosse Tintagol. An König Markes kurzweiligem Hof flogen die Tage rasch dahin.
Der junge Herr von Leonnois übte sich nach Herzenslust mit Schwert und Lanze, pflog Waidwerk und Fischfang, ritt schwere und leichte Rosse, richtete Hunde und Falken ab, warf Ball, schoß mit Pfeil und Bogen, trieb Musik und Schachspiel. Kurwenal unterrichtete ihn in den Sprachen, die er beherrschte. So lernte Tristan Latein, Normannisch und Fränkisch in der Pariser Mundart. Alles das kam ihm später gar wohl zu statten. Und was an alten Liedern im Lande war, auch derlei blieb ihm nicht unbekannt, dank dem gelehrten alten Kaplan, des Königs Geheimschreiber, dem es Freude machte, die von den andern Geistlichen verdammten und verfolgten Denkmäler aus heidnischer Heldenzeit zu sammeln und Liebhabern vorzulesen. Es war ein Lustrum behaglichen Friedens und stiller Freuden.
Da plötzlich, an einem Frühlingstage, traf schlimme Nachricht ein.
König Hangwin von Dowelin, der schreckliche Wikingerfürst, der vor zweiundzwanzig Jahren die bretonischen Lande bezwungen und verwüstet hatte, forderte durch eine Gesandtschaft den Tribut, der ihm als Sieger noch zukam. Das war: hundert Pfund Gold, zweihundert Pfund Silber, dreihundert Pfund Kupfer und hundert Jungfrauen aus den Bauern und Knechten ebenso wie aus den Familien der Edelleute.
Nimmermehr konnte sich König Marke dazu verstehen, den schmachvollen Vertrag zu erfüllen.
Er empfing die Boten. Ihr Führer war der Herzog Morold, wohlbekannt jedem Bretonen.
Damals, als er den König Riwal erschlug und im Lande Leonnois einbrach, war er ein unlängst mündiger Jüngling. Jetzt ein stattlicher Vierziger in der Blüte seiner Heldenkraft.
Kampf war seine Leidenschaft, Krieg sein Handwerk, Grausamkeit seine Lust. An Gestalt war er ein Hüne. Auch den größten Bretonen überragte er um Haupteslänge.
Als sich Marke, insgeheim ächzend und seufzend, auf seinen Königssessel gesetzt hatte, in der hohen Halle von Tintagol, umgeben von seinen Baronen und Räten, da hob Herzog Morold an:
König Marke, ich bringe Euch und Eurem Volke die letzte Botschaft meines Herrn, des Königs Hangwin. Er fordert den ihm durch Sieg und Vertrag zukommenden Tribut, der seit mehr denn zwanzig Jahren aussteht. Zahlt Ihr ihn, so seid Ihr des Vertrages frei und ledig, und es herrscht Frieden zwischen Euerm und unserm Volke. Gebt das Gold, Silber und Kupfer bei meinen Schiffen ab! Sie ankern gegenüber der Insel des Heiligen Samson, wie Eure Kuttenträger den Ort jetzt nennen.
Ebenso die hundert Jungfrauen, wohlausgesucht, ohne Lahme und Bucklige. Laßt durch das Los im Lande bestimmen, welche es sein sollen, und gebt sie ohne Verzug ab!
Der König von Cornouaille stand erregt auf.
Herr Herzog! rief er. Das Gold und Silber sollt Ihr hinwegführen, nimmermehr aber die Jugend meines Landes! Ändert diese schmachvolle Bedingung; sie ist unwürdig Eures Königs und Eures ruhmreichen Volkes!
Morold sann nach.
Die Kampflust war stärker in ihm als die Raubgier. Er schaute sich überlegen und hochmütig
im Kreise um. Alle die Ritter König Markes, in ihren bunten Röcken, mit ihren höfischen Schwerterchen, dünkten ihn drollig und spaßig. Etliche kamen ihm obendrein unverschämt und anmaßend vor. Unsagbar gern hätte er mit dem oder jenen auf der Stelle einen kleinen Waffentanz angestellt. Es lüstete ihn mächtig, einem dieser Maulhelden ein Maß Blut abzuzapfen.
Wenn Ihr glaubt, König Marke, sagte er in kühlem Tone, daß Euch der rechtliche Tribut schändet, so gäbe es wohl einen Ausweg. Stellt mir einen aus der Schar Eurer Edlen! Er soll mir im ehrlichen Zweikampf entgegentreten. Wir werden um den Tribut kämpfen. Fällt er, so zahlt Ihr den Tribut! Falle ich, dann haben wir unser Recht verloren! Ihr Herren von Cornouaille, wer von Euch will für die Freiheit Eures Volkes mit mir fechten?
Verstohlen schauten die Ritter des Landes einander
an. Keiner trat vor, und alle senkten sie die wohlgelockten Häupter.
Der Eine sagte zu sich: Sieh ihn dir an; er ist stärker als vier Männer!
Betrachte sein Schwert! meinte der Andre. Es ist verhext und verzaubert. Sowie er ausholt, fliegt schon der Kopf seines Feindes.
Der Dritte: Wehe um meine schöne junge Tochter! Habe ich sie erzogen, damit sie Magd und Dirne eines verruchten Wikingers wird?
Aber mein Tod rettet sie doch nicht!
Und keiner trat vor.