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Als Oberwassermann Gischt und seine Frau ein rotes Wassermannkind bekommen, ist die Aufregung im Krottmoor groß! Doch der kleine Grünhard weiß nicht mal, dass er nicht grün ist: Seine Eltern haben ihm eine Brille verpasst, die Rotes grün aussehen lässt. Eines Tages zerbricht die Brille und Grünhard entdeckt im Teich sein wahres - grünes - Spiegelbild ... Eine Geschichte vom Anderssein zum Nachdenken und Lachen.
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Irgendwo gibt es ein Dorf, das nennt sich Krottdorf. Hinter Krottdorf liegt der Krottwald. Der Bach, der durch den Wald und das Dorf kommt, ist die Krott. Die entsteht irgendwo im Moor und fließt durch die sieben Krottmoorer Teiche, bevor sie in den Wald strömt.
Im Krottwald stehen hohe Laubbäume. Im Frühling sind die Blätter hellgrün. Im Sommer sind sie dunkelgrün. Im Herbst färben sie sich rot und gelb und braun und fallen ab. Im Winter sind die Bäume kahl und stehen da, als ob sie frieren.
Wenn Krottdorfer Kinder zum Spielen in den Wald laufen, rufen ihnen ihre Mütter nach: „Geht nur so weit hinein, wie ihr noch die Geräusche aus unserem Dorf hört! Sonst könnt ihr euch verirren. Dann findet ihr nie wieder zurück!“
Alle Wege hören dort auf, wo das Moor beginnt. Was dahinter liegt, kennen die Krottdorfer nicht.
Es gibt Vögel im Krottwald und viele andere Tiere. Die Krottdorfer Kinder begegnen manchmal scheuen Rehen, die vor ihnen flüchten. Sie beobachten Hirsche, die Mühe haben, ihre schweren Geweihe zu tragen. Füchse und Dachse schleichen durchs Gehölz und lauern den Vögeln auf. Hasen huschen am Waldrand herum und lauschen mit ihren langen Ohren. Eichhörnchen putzen ihr Fell. Blitzschnell klettern sie an Baumstämmen hinauf und herunter. Manchmal hüpfen sie von Baum zu Baum.
Wenn die Krottdorfer Kinder das sehen, wünschen sie sich, auch so springen zu können. Aber dafür sind Menschen zu schwer.
Im Krottwald reifen viele Beeren: Himbeeren, Brombeeren, Heidelbeeren, Preiselbeeren, Wacholderbeeren und Beeren von Ebereschen. Und so viele Pilze wachsen da! Pilze mit komischen Namen: Steinpilze, Butterpilze, Braunkoppen, Ziegenlippen, Hallimasch, Rötel-Ritterlinge, Stockschwämmchen, Blutreizker, Spitzmorcheln, Maronen-Röhrlinge, Krause Glucke und viele andere.
Der Förster Fuchsschwenzel, der auf den Krottwald aufpasst, sagt oft: „Im Sommer kann man hier nicht verhungern …“
Die Krottdorfer Leute hüten sich, ins Moor zu geraten. Denn es ist gefährlich!
Warum? Weil es wie eine schöne Wiese aussieht, voller Binsen, Wasserlinsen, Wollgras, Schwertlilien und allerlei anderer Blumen. Aber der Boden ist schwammig. Will man sich Binsen holen, um kleine Körbchen zu flechten, kann man einsinken in tiefen Schlamm. Je mehr man strampelt und sich festzuhalten versucht, desto tiefer sinkt man. Wenn man nicht rasch herausgezogen wird, ist man bald nicht mehr zu sehen.
Vom Moor erzählt man sich in Krottdorf schlimme Geschichten. Von Moorhexen, Moorgeistern, Irrlichtern und tanzenden Gerippen, die nichts wiegen, weil sie Gespenster sind.
Ob es stimmt, was diese Sagen erzählen?
Hört zu, was ich euch verrate!
Mitten im Moor liegen sieben Teiche. Der erste ist so lang und breit, dass man das gegenüberliegende Ufer kaum sieht. Der zweite ist nicht viel kleiner. Der dritte ist immer noch sehr groß. Der vierte ist nur noch groß. Den fünften müsste man schon eher klein als groß nennen. Der sechste ist ziemlich klein, der siebte sehr klein.
Und nur der siebte hat eine Insel. Die besteht aus einem flachen Schieferfelsen, auf dem ein zweiter Felsen aufragt.
Nur der Förster Fuchsschwenzel kennt einen festen Pfad, der durch das Moor bis zum Ufer des kleinsten Teiches führt. Diesen Pfad hat er selber angelegt. Er zeigt ihn niemandem. Es soll nämlich ein Geheimnis bleiben, dass es auf diesem Teich viele Wildenten gibt. Manchmal liegt der Förster hier auf der Lauer und schießt mit seiner Flinte auf die Wildenten. Denn er isst so gern Entenbraten.
Aber er trifft immer seltener. Das liegt wahrscheinlich an seinem Alter und seinen schlechten Augen. Wahrscheinlich stünde er überhaupt nicht mehr am Ufer des kleinsten Teiches, wenn er dort dann und wann nicht etwas ganz anderes als Enten sähe!
Den ganzen Sommer gaukeln Schwärme roter Schmetterlinge über dem kleinsten Teich. Manchmal lassen sie sich auf dem Sandstrand nieder, manchmal auf dem Felsen. Doch das ist es nicht, was den Förster immer wieder anzieht.
Es gibt auch viele Fische in den Krottmoorer Teichen: große rundliche und kleinere längliche. Solche mit bräunlichen Schuppen und andere mit bläulichen Schuppen. Fische mit rötlichen Punkten auf den Seiten und solche, die kreisrund und ganz platt sind. Andere, die mit prächtigen Schwänzen protzen. Scharen flinker Fischchen sausen von einer Teichseite zur anderen. Größere Fische verstecken sich in ihren Höhlen und verlassen sie nur, um sich etwas zu fressen zu suchen.
Wenn der Förster auf seinem Geheimpfad am Ufer steht, sieht er ab und zu einen Fisch springen. Doch auch das ist es nicht, was ihn immer wieder hierherlockt.
Es gibt da noch ein Geheimnis, von dem in Krottdorf niemand etwas weiß: In den Teichen wohnen Wasserleute. Wassermänner, Wasserfrauen und Wasserkinder!
Dieses Geheimnis hütet der Förster gut.
Ja, in den Krottmoorer Teichen wohnt eine ganze Wasservolksippe: siebenundzwanzig Wassermänner mit ihren Familien, die das Wasser zum Schäumen bringen!
Der Ober-Wassermann heißt Gischt. Er hat breite grüne Schultern und grüne Riesenfäuste. Er ist so stark, dass er aus allem Saft pressen kann. Wenn er ganz fest drückt, wird der Saft grün. Sogar der aus Möhren oder Tomaten. Mit seinem mächtigen, grünen Schwanz kann er schneller schwimmen als jeder andere. Auf der Brust trägt er wunderschöne große Schuppen, die er sich an den Wochenenden blank bürstet. Und auf seinen prächtigen Schnurrbart ist jeder Wassermann neidisch. Aber unter uns gesagt: Sehr schlau ist Gischt nicht. Wahrscheinlich genießt er es genau deswegen, Ober-Wassermann zu sein!
Mit seiner Frau Schwalla wohnt er im ersten Teich. Im größten. Kein Wunder: Er ist ja schließlich der mächtigste der Krottmoorer Wasserleute, so etwas wie ein König oder Präsident oder Chef. Alle kennen ihn. Wer etwas von ihm will, naht sich ihm mit einer tiefen Verbeugung.
Wasserleute kann man auch Nöcken nennen.
Gischt mag das Wort „Nöck“ aber nicht. Er meint, es klinge nicht respektvoll genug. Man darf ihn nur mit „Ober-Wassermann“ ansprechen. Zwischen Ober und Wassermann muss eine Pause gemacht werden. In der Pause soll man sich tief vor ihm verbeugen. Aber wenn er nicht dabei ist, nennen ihn die, die es mit dem Respekt nicht so genau nehmen, Obernöck.
Der Ober-Wassermann führt ein strenges Regiment. Alle müssen ihm gehorchen. Die Wasserkinder nehmen Reißaus, wenn Gischt grunzend und prustend geschwommen kommt. Wenn es zu spät für’s Ausreißen ist, verbeugen sie sich tief vor ihm.
Die meisten Wassermänner in den Krottmoorer Teichen halten sich für groß und stark. Manche Wassermänner protzen mit gewaltigen Schnurrbärten, an denen sogar Algen hängen. Andere boxen jeden Tag gegen flache, weich bemooste Steine, um dickere Armmuskeln zu bekommen. Wieder andere schlagen Saltos. Wer sehr schnell Saltos schlagen kann, genießt den Respekt der Wasserfrauen und Wassermädchen.
Alle träumen davon, Ober-Wassermänner zu sein. Manche benehmen sich so, als wären sie es. Das heißt, sie finden sich selber toll, geben mit ihren Körperkräften an und tun so, als wären sie superschlau. Und sie erwarten von ihren Frauen, dass die sie bewundern. Aber die lachen nur. Und wenn die Wassermänner mal gerade nicht hinschauen, tippen sich ihre Frauen an die Stirn.
Wenn ein Ober-Wassermann stirbt, wird sein ältester Sohn der neue Ober-Wassermann – auch wenn er noch so dumm ist! Deswegen ist es den Wasserleuten wichtig, dass ihr Ober-Wassermann mindestens einen Sohn hat!
Schwalla war mal eine sehr schöne Wasserfrau. Aber jetzt sind manche ihrer Schuppen bereits ausgefallen. Ihre Schwimmhäute sind schon etwas faltig, denn sie ist nicht mehr die Jüngste.
Sie ist sehr beliebt. Sie hat viele Patenkinder. Zum Geburtstag schenkt sie jedem ein selbst gemaltes Bild: Auf einem flachen Schieferstein ist das Patenkind zu sehen, das gerade Geburtstag hat: schön grün, mit rosafarbenen Nasenlöchern. Gemalt mit dem Grün von Wasserlinsen und dem Rosa von Flügeln toter Schmetterlinge. Die muss man nur richtig auspressen. Das überlässt Schwalla ihrem Gischt.
Wasserfrauen tun viel, um sich und ihren Wassermännern zu gefallen. Das tut auch Schwalla. Das tun auch ihre Freundinnen Feuchtara, Undine und Tropfille: Sie kämmen ihr langes, schwarzes Haar mehrmals am Tag, verzieren es mit Tangschleifchen, fädeln kleine Muscheln auf und hängen sich Muschelketten um. Ihre Schuppen bürsten sie mit feinem Sand spiegelblank und achten darauf, dass ihre Leiber beweglich und schlank bleiben.
An Festtagen drücken sich die Wasserfrauen schöne, rund geschliffene Steine aus der Krott in ihren Nabel. Oder schmücken ihren Schwanz mit Algen, Entengrütze und Binsen. Sie klemmen sich Klappmuscheln an die Ohren und färben sich die Lippen mit einer grünen Algenfarbe, die nachts leuchtet.
Wisst ihr eigentlich, wie so ein Nöck aussieht?
Vor allem ist er grün. Junge Wasserkinder sind hellgrün wie die Blattknospen des Krottwaldes im Frühling. Ihre Eltern sind mittelgrün wie die Blätter des Krottwaldes im Sommer. Und die alten Wassermänner und Wasserfrauen sind dunkelgrün.
So ein betagtes Paar lebt zum Beispiel im sechsten Teich. Dem alten Spork wächst sogar schon Moos auf der Brust. Und seine Frau Welle hat keine Zähne mehr.
Ein Nöck hat Schuppen wie ein Fisch, von der Schwanzspitze bis zum Nabel. Zieht man an so einer Schuppe, zuckt der Nöck zusammen. Denn das pikst ihn. Die Schuppen sind seine Kleider. Werktags und sonntags trägt er dieselben Schuppen. Aber für den Sonntag putzt er sie blank.
Seine Beine sind zusammengewachsen zu einem Fischschwanz. Seitenflossen hat er auch. Seine untere Hälfte sieht also einem Fisch ähnlich, seine obere Hälfte einem Menschen.
Menschen können sehr unterschiedlich aussehen. Wasserleute auch. Es gibt dicke und dünne, kleine und große Wassermänner und Wasserfrauen. Ausgewachsene Wassermänner haben etwa die Größe von zwölfjährigen Menschenjungen. Ihre Frauen sind meistens einen Kopf kleiner.
Manche haben spitze Ohren und Schlitzaugen, andere haben so große Ohren wie Schweine und runde Glotzaugen unter weißen Wimpern. Alle Wasserleute haben grüne Augen und grüne Stupsnasen. Wenn sie sich verstecken, kann man sie oft gar nicht erkennen. Hocken sie sich ins Moor, meint man, sie seien ein Stück Moor. Wenn sie sich auf dem Grund eines Teiches zusammenkauern, glaubt man, da liege ein bemooster Stein. Und falls die Umgebung sich nicht zum Verstecken eignet, können sie sich jederzeit unsichtbar machen. Dazu müssen sie nur mit den Fingern schnipsen. Und so gut wie nie erkennt man sie, wenn sie sich in den Schlamm vergraben. Denn alle Krottmoor-Teiche außer dem siebten, also dem letzten und kleinsten, sind in ihrer Tiefe voll Schlamm.
Meistens halten sich die Wasserleute unter Wasser auf. Wie die Fische. Sie müssen nicht nach Luft schnappen. Sie spielen, arbeiten, essen und schlafen im Wasser.
Aber sie können auch außerhalb des Wassers leben. Wie die Menschen. Manchmal, wenn die Teiche in heißen Sommern halb ausgetrocknet sind, hüpfen sie auf ihren Schwänzen über das ausgedörrte Ufer. Aber dort bleiben sie nie lange. Denn das Hüpfen auf Schwänzen macht müde. Erst im Teichwasser fühlen sie sich wieder wohl.
Wasserleute sind also halb Fisch, halb Mensch.
Die Nöcken haben viele Kinder. Zum Beispiel der Plitsch-Platscher im dritten Teich und seine Frau Tropfille. Sie haben vier Wasserjungen und sieben Wassermädchen. Zwei davon sind Schwallas Patenkinder.
Vater Plitsch-Platscher ist ein gelernter Mahlzeiter. Das Wort „Koch“ kennen die Wasserleute nicht. Sie haben kein Feuer und essen alles roh. Vor allem viel Salat. Täglich ist Plitsch-Platscher stundenlang damit beschäftigt, die Mahlzeiten für so viele Kinder zuzubereiten. Er kümmert sich um sie, wenn Tropfille zu arbeiten hat. Er säubert ihre Ohren und passt auf, dass sie sich die Zähne putzen. Mit den Kleineren zählt er, mit den Größeren rechnet er jeden Tag. Er schwimmt, taucht und springt mit ihnen. Er ermahnt sie, wenn sie sich zanken. Danach übt er mit ihnen, sich unsichtbar zu machen.