Der Ruf des Todesvogels - T. H. Campbell - E-Book

Der Ruf des Todesvogels E-Book

T. H. Campbell

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Beschreibung

Sara Rattlebag, Chronistin des Dörfchens Sidbury und Hobby-Detektivin, kann nicht schlafen, denn Nacht für Nacht schreit ein Uhu im Baum neben ihrem Schlafzimmerfenster. Obwohl sie nicht abergläubisch ist – ganz sicher nicht –, verfolgt sie seitdem der Gedanke, dass jemand sterben wird. Jemand, den sie liebt. Da werden bei einem Erdrutsch an den Klippen der Jurassic Coast menschliche Knochen freigelegt. Es handelt sich um die Überreste einer Frau, die vor dreißig Jahren ums Leben gekommen ist. Schnell ist klar, dass sie ermordet wurde. Der Fund ruft den jungen Amerikaner Jeremy Jones auf den Plan, der behauptet, der Sohn dieser Frau zu sein. Für ihn stürzt sich Sara in Nachforschungen in ihrer Chronik und kommt einem uralten Familiengeheimnis auf die Spur. Dann wird auch noch Silly Old Joe entführt, der Dorfnarr, der auf dem Friedhof lange Gespräche mit den Toten führt. Im verschlafenen Sidbury fallen Schüsse, ein lange verschollener Schatz taucht auf und Sara bringt sich wieder einmal in Lebensgefahr.

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Ähnliche


Prolog
Kapitel 1 – Regen
Kapitel 2 – Zwiespalt
Kapitel 3 – Jeremy Jones, Midland, Texas
Kapitel 4 – Der Todesvogel
Kapitel 5 – Wer hoch steigt …
Kapitel 6 – … fällt weit hinab
Kapitel 7 – Miserabel
Kapitel 8 – Suche nach Silly Old Joe
Kapitel 9 – Die Familienbibel
Kapitel 10 – Yee-haw!
Kapitel 11 – Futsch
Kapitel 12 – Eine Suchaktion
Kapitel 13 – Entdeckungen in alten Quellen
Kapitel 14 – Helen taucht auf
Kapitel 15 – Verdienter Ruhestand
Kapitel 16 – Miss Spinster und Bobby auf dem Baum
Kapitel 17 – Tröstende Schwärze
Kapitel 18 – Krankenhaus
Kapitel 19 – Aufräumaktion
Kapitel 20 – Wieder Ruhe
Epilog
Weitere Veröffentlichungen

T. H. Campbell

Der Ruf des Todesvogels

Über die Autorin:

 

 

 

Als T.H. Campbell verschlägt es die Autorin Heidi Troi auf die britischen Inseln, die schon von Kindesbeinen an zu ihren Sehnsuchtsorten gehören. Ob Schottland, Irland, Wales oder England – T.H. Campbell hat die Regionen abseits der Hotspots für Touristen erlebt und es zieht sie immer wieder dorthin. Lesend, wandernd oder manchmal auch beruflich.

Mit der Chronistin Sara Rattlebag reist sie zum ersten Mal schreibend nach Devon an die Jurassic Coast, die ihr von ihrer Wanderung über den South-West-Coast-Path in bleibender Erinnerung ist.

 

 

Buchbeschreibung:

 

Der Todesvogel rief. Und er rief nach ihr. In ihren wirren Träumen konnte sie dem Schatten nicht entkommen. Immer wieder warf er sich auf sie und rief dabei in einem fort: »Du! Du! Du!«

 

Sara Rattlebag, Chronistin des Dörfchens Sidbury und Hobby-Detektivin, kann nicht schlafen, denn Nacht für Nacht schreit ein Uhu im Baum neben ihrem Schlafzimmerfenster. Obwohl sie nicht abergläubisch ist – ganz sicher nicht –, verfolgt sie seitdem der Gedanke, dass jemand sterben wird. Jemand, den sie liebt.

Da werden bei einem Erdrutsch an den Klippen der Jurassic Coast menschliche Knochen freigelegt. Es handelt sich um die Überreste einer Frau, die vor dreißig Jahren ums Leben gekommen ist. Schnell ist klar, dass sie ermordet wurde. Der Fund ruft den jungen Amerikaner Jeremy Jones auf den Plan, der behauptet, der Sohn dieser Frau zu sein. Für ihn stürzt sich Sara in Nachforschungen in ihrer Chronik und kommt einem uralten Familiengeheimnis auf die Spur.

Dann wird auch noch Silly Old Joe entführt, der Dorfnarr, der auf dem Friedhof lange Gespräche mit den Toten führt.

Im verschlafenen Sidbury fallen Schüsse, ein lange verschollener Schatz taucht auf und Sara bringt sich wieder einmal in Lebensgefahr.

 

T. H. Campbell

Der Ruf des Todesvogels

 

Ein Fall für Sara Rattlebag 3

 

 

 

Kriminalroman

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind

im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

© Februar 2024 Empire-Verlag

Empire-Verlag OG, Lofer 416, 5090 Lofer

 

Lektorat: Antje Backwinkel – https://buchwinkelei.de/lektorat/

Korrektorat: Tino Falke – https://www.tinofalke.de/lektorat/

 

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise –

nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

 

Cover: Chris Gilcher

https://buchcoverdesign.de/

Illustrationen: Adobe Stock ID 264841842, Adobe Stock ID 471568468

 

Prolog

 

Sie rannte durch die Nacht. Die hohen Hecken warfen dunkle Schatten auf den Weg. Unheimliche Augen leuchteten in der Finsternis, verfolgten sie mit ihren Blicken. Doch sie waren es nicht, die Sara fürchtete. Es war der Schatten, der ihre Flucht von der riesigen Traubeneiche aus verfolgte. Sie bog um die Kurve, beugte sich keuchend nach vorn und rang nach Atem. Ihr Herz hämmerte in ihrer Brust.

Dann hörte sie es. Das dumpfe »Huh! Huh!« mit dem der Schatten nach ihr schrie und sie wusste: Gleich würde er sich in die Luft erheben und auf sie zugleiten. Lautlos … Sie wäre diejenige, die schreien würde, wenn er seine Krallen in ihre Haut schlüge.

»Huh!«

 

Sara Rattlebag fuhr mit einem Schrei aus dem Bett auf. Das Herz in ihrer Brust trommelte einen wilden Rhythmus, ihr Körper war mit Schweiß bedeckt. Der Traum, der sie in den letzten Tagen immer wieder heimgesucht hatte, hielt sie noch immer gefangen. Eine Flucht vor einem namenlosen Verfolger. Eine Flucht mit tödlichem Ende. Und sie wusste, wer für diesen Albtraum verantwortlich war.

»Huh!«

»Verdammter Kauz!« Sie schwang die Beine aus dem Bett und ging zum Fenster. Die Herbstnächte waren jetzt Mitte Oktober bereits empfindlich kühl, und sie war dankbar für den Teppichboden in ihrem Schlafzimmer.

»Huh!«

»Hau ab und schrei woanders herum!«, brüllte Sara in die Nacht hinaus. Dieser verdammte Uhu – oder Kauz oder was für ein Tier auch immer dieses gruselige Geräusch von sich gab – hatte seit etwa einer Woche ausgerechnet die Traubeneiche vor ihrem Schlafzimmerfenster als nächtlichen Aufenthaltsort auserkoren. Immer dann, wenn Sara bereits schlief, weckten die dumpfen Rufe sie aus dem Schlaf, natürlich erst, nachdem sie Sara in Albträume gestürzt hatten.

»Verschwinde!«, brüllte Sara noch einmal. Sie konnte keinen Uhu vor ihrem Fenster gebrauchen. Waren diese Vögel nicht Vorboten schlimmer Ereignisse? Kündigten sie nicht sogar den Tod an?

Ein Frösteln überlief ihre Haut. Zu lange schon war in dem idyllischen Sidbury an der Jurassic Coast nichts mehr passiert. Zu viel Zeit war zwischen der letzten Mordserie und dem heutigen Tag vergangen. Eine dunkle Vorahnung überkam sie. Es würde wieder etwas passieren. Etwas Schlimmes.

»Was?«, schrie sie in die Stille der Nacht. »Was wird passieren?«

Doch aus den Ästen der Traubeneiche kam keine Antwort. Der Unglücksbote war entweder davongeflogen oder er wartete, bis er sich mit seinem Todesruf wieder in ihre Träume stehlen konnte.

 

Kapitel 1 – Regen

 

Sara Rattlebag saß in ihrem Kaminzimmer und starrte in die Flammen. Es war das erste Feuer, das sie diesen Herbst entzündet hatte. Neben ihr lag schnurrend ihr Kater Sir Arthur Doyle. Von Zeit zu Zeit zuckte seine Schwanzspitze. Eine dampfende Tasse Five o’Clock Tea stand vor ihr. Der Haufen von goldenen Bonbonpapieren daneben verriet, dass sie schon einige Stunden lang nichts anderes tat, als Tee zu trinken und Fudge zu naschen.

Es blieb ihr auch nicht viel anderes übrig. Draußen rauschte der Regen, wie schon seit Tagen. Es war eine Sturzflut, die vom Himmel auf Sidbury und das umliegende Devon niederging. Der Himmel war eine bleierne Decke, die Erde ein Meer aus Matsch, die Straßen überschwemmt, denn die Kanalisation konnte die Wassermengen nicht aufnehmen.

»Hätte ich gewusst, dass der Herbst in Sidbury derart grausig ist, hätte ich mir dreimal überlegt, mein Erbe anzutreten«, erklärte Sara ihrem Kater, der unbeeindruckt weiterschlief. »Ich wäre schön in London geblieben und hätte mein Leben weitergelebt.«

Doch das stimmte nicht. Nie hätte sie das wunderhübsche Cottage mit Rosengarten und Reetdach ausschlagen können, das sie von ihrer »Tante« Maud geerbt hatte. Und auch in dem Dörfchen im Hinterland der Jurassic Coast fühlte sie sich wohl. Sie hatte hier sogar eine Aufgabe, nämlich die Chronik über die beiden Dörfer Sidbury und Sidmouth weiterzuführen, die Teil des Erbes war. Über dreißig Jahre Geschichte sammelten sich in den Regalen im Kaminzimmer und auf dem Dachboden. Zeitungsartikel, Fotos, Familiennachlässe, Tagebücher … jede Menge geschichtlicher Quellen, die viel darüber erzählten, was in früheren Zeiten hier passiert war. Genau die richtige Aufgabe für eine Geschichtsstudentin ohne Abschluss.

Nur den Regen mochte Sara nicht. Vor allem nicht ein tagelanges Endzeitszenario wie dieses, bei dem man weder durch die wunderschöne Weidelandschaft streifen noch Wanderungen über die Klippen der Jurassic Coast unternehmen konnte. Es blieb nur eines übrig: sich im Hausinneren irgendwelchen Aufgaben zu widmen.

Die ersten Tage hatte sie die Chronik auf Vordermann gebracht, hatte die Bilder der alten Schule eingeklebt, die bald renoviert werden und dann wohl ganz anders aussehen würde, und hatte alle Zeitungsartikel ausgeschnitten, die sie in den letzten Wochen gesammelt hatte. Doch die Arbeit war schnell erledigt gewesen und seitdem langweilte sie sich.

»Langeweile ist etwas, das ich auf den Tod nicht ausstehen kann«, erklärte sie Sir Arthur. Doch der zuckte bloß mit dem Ohr.

Sie ließ den Blick ziellos durch das Kaminzimmer ihres Cottages schweifen, bis er schließlich an Tante Mauds Handarbeitskorb hängenblieb. Der stand immer noch an seiner angestammten Stelle zwischen dem Sofa und einem der beiden tweedbezogenen Polstersessel, sie hatte ihm allerdings bisher keine Beachtung geschenkt.

Jetzt aber war sie neugierig, an welcher Handarbeit Maud zuletzt gesessen hatte. Sie holte sich den Korb, klappte den Deckel hoch – und schmunzelte. Da lagen etwa fünfzehn Granny Squares ordentlich übereinandergeschichtet, obenauf ein begonnenes Häkelquadrat und daneben eine ganze Menge an bunten Wollresten. Maud hatte Granny Squares geliebt. Die Tagesdecke in ihrem Schlafzimmer war aus den bunten Häkelquadraten gemacht, ebenso Tante Mauds Überwurfweste, die Sara in diesem Augenblick trug, und auch die Bezüge der beiden Kissen auf dem Sofa waren daraus gefertigt. Sara konnte sich an keinen Abend im Cottage erinnern, an dem Maud nicht an so einem Granny-Square-Projekt gearbeitet hatte.

Wehmütig lächelnd erinnerte sie sich daran, wie ihre Tante ihr das Häkeln beigebracht hatte. Ihre erste Häkelarbeit war – nach dem obligatorischen Topflappen – genau so ein Granny Square gewesen. Sie sah es noch vor sich. Innen gelb, dann ein brauner Streifen und zum Abschluss ein grüner Streifen.

»Das ist der erste Schritt zu einer großen Arbeit«, hatte Maud gesagt und Sara war vor Stolz fast geplatzt. »Du musst noch nicht einmal wissen, was du am Ende genau haben willst. Häkle einfach noch so ein Quadrat und dann noch eins. Irgendwann wirst du wissen, wo es dich hinführt. Und genauso ist es im Leben. Mach einfach etwas. Und dann noch etwas. Irgendwann weißt du, was du willst.«

Eine Welle von Zuneigung zu Maud überschwemmte Sara. Gleichzeitig fühlte sie Wehmut in sich aufsteigen. Maud würde nie wieder ein Häkelquadrat anfertigen.

Plötzlich fühlte sich die angefangene Handarbeit wie ein Auftrag an. Wusste sie überhaupt noch, wie diese Quadrate zu häkeln waren? Sie hatte unzählige davon gemacht, aber das war lange her. Sie nahm die Häkelnadel hoch und stach in eines der Löcher. Und damit setzte sich etwas in Gang, das sie nicht mehr aufhalten konnte. Ihre Finger erinnerten sich an jeden Schritt. Sie häkelte Stäbchen und Luftmaschen, wechselte die Farben und häkelte wieder Stäbchen und Luftmaschen und es dauerte nicht lang und das Häkelquadrat war fertig. Voller Eifer griff sie nach einem neuen Wollknäuel und schlug ein paar Luftmaschen zu einem magischen Ring.

Gerade wollte sie mit der ersten Runde beginnen, da flog mit einem lauten Knall die Tür auf, ein kalter, feuchter Windstoß ließ das Kaminfeuer aufflackern und …

»Was für ein Wetter!«, japste ihr Gast und schob die Tür hinter sich zu. »Bobby kommt auch gleich. Aber ich denke, es wäre die falsche Entscheidung, die Tür für ihn offen stehen zu lassen.«

»Miss Spinster!«, rief Sara erfreut.

»Du wirkst überrascht.« Miss Spinster, eine Dame in den Siebzigern, schälte sich aus ihrem gelben Wachstuch-Regenmantel. Darunter kam ein pinker Strickpulli zum Vorschein, der denselben Farbton wie ihr Lippenstift und ihre Ohrringe hatte. Sie entledigte sich der Gummistiefel mit Sonnenblumenmuster und strich sorgfältig die Stoffhosen mit Bügelfalten glatt, die in den Stiefeln ein paar Knitterfalten abgekriegt hatten. Dann zog sie aus ihrer Tasche ein Paar Pantoffeln und schlüpfte hinein. »Kindchen?«

Mit einem nachsichtigen Lächeln wartete sie, bis Sara aus ihren Beobachtungen in die Wirklichkeit zurückkam. »Du hast doch nicht vergessen, dass heute Sonntag ist?«

Die Frage wirkte wie ein Guss kaltes Wasser. Sara schlug sich an den Kopf. »Es ist Sonntag!«

Sonntags um vier Uhr tagte der Krimiclub, eine Tradition, die sie ebenfalls von ihrer Tante übernommen hatte und bei der Werke der englischen Kriminalliteratur gelesen und analysiert wurden – vornehmlich welche von bereits verstorbenen Schriftstellerinnen und Schriftstellern. Außer Miss Spinster und Bobby Bobby, Mauds beiden alten Freunden, gehörten der Dorfvorsteher Cedric Brewer und Zac Walker zum Club. Letzterer jedoch allerhöchstens sporadisch, da er in London lebte und mit seiner Firma permanent eingespannt war. Bei diesem Wetter würde er die weite Fahrt nach Sidbury vermutlich nicht auf sich nehmen.

Wieder schlug die Tür auf und grummelnd fiel Bobby Bobby in ihre Wohnung – sein Regenschirm war nach außen verbogen und der schwarze Trenchcoat durchnässt.

»Als würde dieser bescheuerte Regen nicht reichen, muss auch noch Wind dazukommen! Da kann ich das nächste Mal auch gleich ohne Schirm rausgehen.«

»Komm ins Warme, mein Guter.« Miss Spinster wuselte auf ihn zu und half ihm aus dem Trenchcoat, dann bückte sie sich nach ihrer Tasche und förderte ein zweites Paar Hausschuhe zutage. »Ich habe mir gedacht, ich rüste mich mal für alle Eventualitäten aus. Daher habe ich auch ein Paar für dich mitgebracht.«

Dann bemerkte sie Saras Blick, der an dem liebevoll eingestickten Schriftzug auf den Pantoffeln hängenblieb – »Bobby« auf dem linken und ein weiteres »Bobby« auf dem rechten Pantoffel.

»Ich habe natürlich auch welche für unseren Dorfvorsteher, sollte er nicht selbst so weitsichtig sein.«

Sara verbiss sich mit Mühe ein Schmunzeln und die Bemerkung, dass auf Cedrics Pantoffeln sicher nicht liebevoll sein Name eingestickt war. Zu süß, wie die beiden Alten einander umsorgten, obwohl niemals einer von ihnen dem anderen gestanden hätte, dass er in ihn verliebt war – und noch weniger gaben sie das natürlich vor anderen zu.

»Für Cedric habe ich notfalls ein paar dicke Socken, wenn er überhaupt kommt. Ich setze mal Tee auf und dann schaue ich, ob ich euch irgendwas vorsetzen kann.«

»Papperlapapp«, sagte Miss Spinster energisch. »Für das leibliche Wohl habe natürlich ich gesorgt. Ich warte zwar immer noch auf den traditionellen Apple Crumble, aber ich dachte mir schon, dass daraus wieder nichts wird.«

»Sorry«, sagte Sara schuldbewusst. Das geheime Rezept für Mauds speziellen Apple Crumble hatte zu deren Nachlass gehört, aber bis jetzt hatte sie es nicht gewagt, den Kuchen, für den halb Sidbury gemordet hätte, zu backen. Sie hatte zu große Angst, dass er nicht so schmeckte wie bei Maud, und das hätte sie nicht verkraftet.

»Kein Problem.« Miss Spinster machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich plane gern voraus. So, Bobby, du setzt dich jetzt erst einmal an den Kamin und wärmst deine kalten Glieder, während Sara und ich alles vorbereiten.« Sie schob ihre Hand unter Saras Arm und zog sie Richtung Küche. »Währenddessen kannst du mir erzählen, was in den letzten Tagen in Sachen Liebe passiert ist.«

Sara seufzte. Das war die zweite Funktion des Krimiclubs, den sie insgeheim in »Kuppelclub« umbenannt hatte. Miss Spinster und Bobby Bobby behaupteten, sie hätten Maud für den Fall ihres Dahinscheidens versprochen, Sara unter die Haube zu bringen – unter eine möglichst vorteilhafte Haube natürlich. Und so beobachteten sie mit Argusaugen, wer bei Sara ein und aus ging und mit wem sie sich verabredete. Seit Sara hier in Sidbury lebte, hatten schon einige Kandidaten die Zustimmung des alten Pärchens gefunden. Aber nur einer hatte sich bisher gehalten: Cedric Brewer, der Dorfvorsteher von Sidbury. Aber obwohl Sara ihn wirklich mochte, hatte die Sache einen gewaltigen Haken. Ihr war letztlich die Ähnlichkeit zwischen Cedric und ihrem Ex Nathan aufgefallen. Das hatte ihr zu denken gegeben. Fiel sie immer auf denselben Typ Mann herein? Würde eine Beziehung zu Cedric auf dieselbe Weise enden wie die zu Nathan? Mit ihrem gebrochenen Herzen?

Gerade befüllte sie ihren Samowar mit neuem Wasser, da flog erneut die Tür auf.

»Sorry! Sorry! Sorry! Der Wind hat mir das Ding aus der Hand gerissen.«

Sara zuckte mit den Schultern. »Mach sie einfach wieder zu.«

»Natürlich.« Cedric schob die Tür hinter sich zu, dann betrat er die Küche und sein Blick fiel auf Miss Spinsters Pantoffeln. »Oh, soll ich die Schuhe ausziehen?«

»Natürlich«, erklärte die alte Dame rigide. »Sara läuft auf bloßen Socken herum. Da kann sie es nicht brauchen, dass wir ihr den Dreck von Sidburys Straßen ins Haus schleppen.«

Sara warf ihm einen entschuldigenden Blick zu. Ihr selbst wäre ein bisschen Schlamm vollkommen egal gewesen – der Boden ihres Cottages war ohnehin nicht klinisch sauber. Doch Cedric zog sich augenblicklich die Schuhe aus, nahm ein viel zu kleines – unbesticktes – Paar Hausschuhe von Miss Spinster in Empfang und schlüpfte hinein. Dann umarmte er Sara und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.

Miss Spinster sah wohlwollend zu.

»Kann ich helfen?«

Es hätte nicht viel gefehlt, und Miss Spinster hätte angefangen zu schnurren, wenn man von ihrem Gesichtsausdruck ausgehen konnte. Sara unterdrückte ein Stöhnen und rollte die Augen himmelwärts.

»Hier, trag die Tassen und den Zucker raus. Milch ist im Kühlschrank«, sagte sie barscher als notwendig und drückte Cedric das Porzellan in die Hand. »Der Tee ist gleich so weit.«

Das Teewasser war tatsächlich schon heiß, und so füllte Sara ein paar Löffelchen des Five o’Clock Teas, der besten Teemischung der Welt, ins Sieb der Teekanne, roch genießerisch daran und dankte dem Schicksal im Stillen, dass Rosita, die diese Teemischung herstellte, ihre Freundin war. Dann öffnete sie den Hahn und ließ heißes Wasser in die Kanne laufen.

Als endlich alle um das Tischchen vor dem Kamin versammelt waren – natürlich hatten Miss Spinster und Bobby Bobby die beiden Polstersessel gewählt, sodass Sara sich notgedrungen neben Cedric setzte –, räusperte sich Sara.

»Im Zeichen der Vier, also.«

Sie hatten für diese Sitzung eine der frühen Geschichten von Sir Arthur Conan Doyle ausgewählt und Sara hatte sie mit großer Begeisterung gelesen.

Miss Spinster wollte gerade ihren Senf dazugeben, als Cedrics Mobiltelefon läutete.

Er blickte aufs Display und stöhnte. »Da muss ich rangehen. Dauert aber sicher nicht lang.« Er nahm den Anruf an. »Ja?«

Sara und die anderen warteten. Wer auch immer am anderen Ende der Leitung war, schien in höchstem Maße aufgeregt zu sein. Cedrics Gesichtsausdruck wurde immer frustrierter. Neugierig hörten sie zu und versuchten, aus seinen Sprechanteilen schlau zu werden.

»Mist … Nein, solange es so regnet, ist das nicht nötig, denke ich … Du hast recht. Besser Vorsicht als Nachsicht. Dann … Okay, meine Leute stellen die nächste … Genau.« Nach einer Serie von Verwünschungen, zustimmenden und ablehnenden Reaktionen drückte er den Anruf weg und stand auf.

»Ich fürchte, ich muss mich für heute entschuldigen.«

»Was ist passiert?« Sara erhob sich ebenfalls und auch die beiden Senioren wirkten, als wären sie bereit, sich sofort in den Regen zu stürzen, falls die Situation es erforderte.

»Ein Landslip am Peak Hill.«

»Oh!« Sara fühlte Adrenalin durch ihren Körper jagen. Ein Landslip! Das bedeutete …

»Lasst uns hinfahren und sehen, ob wir Fossilien finden.« Miss Spinster sprach aus, was auch Sara durch den Kopf geschossen war.

Die Jurassic Coast hieß nicht ohne Grund so. Im Erdmittelalter war dieses Gebiet dicht bevölkert gewesen und seit die legendäre Paläontologin Mary Anning hier im frühen neunzehnten Jahrhundert das vollständige, fossilisierte Skelett eines Ichthyosauriers entdeckt hatte, waren die Bewohner der Gegend dem Fossilienwahn verfallen. Wenn ein Teil einer Klippe abrutschte, kamen regelmäßig Fossilien zum Vorschein, und obwohl die besten Fundorte rund um Charmouth und Lime Regis lagen, konnte man auch in der Nähe von Sidmouth versteinerte Überreste längst vergangener Zeiten finden. Die Suche nach Fossilien war erlaubt und so träumte jeder davon, selbst einen perfekt erhaltenen Dinosaurier zu finden und damit vielleicht das große Geld zu machen.

Sara überlegte gerade, wo Maud die Werkzeuge für die Fossilienjagd untergebracht hatte, als Cedric sie in ihren Gedanken unterbrach.

»Das werdet ihr nicht! Schaut euch mal den Sturm draußen an. Wir müssen verhindern, dass verrückte Fossilienjäger sich in Gefahr bringen. Die Abbruchstelle muss gesichert werden und der Strand wird gesperrt, bis abgeklärt ist, ob noch ein Risiko besteht.«

»Aber bis das alles geregelt ist, sind doch die schönsten Stücke ins Meer geschwemmt worden«, jammerte Miss Spinster.

»Besser, als dass ein Mensch ins Meer geschwemmt wird, oder?« Cedric sah sie durchdringend an und sie knickte ein.

»Natürlich.«

Er nickte zufrieden. Dann setzte er eine bedauernde Miene auf. »Ich muss die Feuerwache zusammentrommeln und ein paar organisatorische Dinge klären. Ihr entschuldigt mich?«

Alle nickten.

Sara sah ihm hinterher. Als er die Tür nach draußen öffnete, sah sie den immer noch stetig vom Himmel strömenden Regen. Cedric hatte recht.

»Wie lange soll es eigentlich noch regnen?«, fragte sie.

Miss Spinster wusste Bescheid. »Im Laufe des Tages soll es nachlassen. Aber es bleibt auch in den nächsten Tagen unbeständig.«

Sara zuckte mit den Schultern. »Na ja. Zumindest erfahren wir als Erste, wenn der Strand freigegeben wird. Und dann …«

»Dann finden wir unseren Dinosaurier«, sagte Miss Spinster vergnügt und rieb sich die Hände.

Sie setzten das Treffen des Krimiclubs fort, doch Sara war nicht bei der Sache. Und sie war nicht die Einzige. Die Diskussion wollte nicht in Gang kommen und abwechselnd schweiften ihre Blicke zum Fenster, hinter dem der Regen nach wie vor vom düsteren Himmel rauschte. Immer wieder gab einer von ihnen einen abgrundtiefen Seufzer von sich.

Schließlich stand Sara auf. »Ich gehe hin.«

Miss Spinster folgte ihrem Beispiel sofort. »Ich komme mit.«

Nur Bobby war nicht begeistert von der Sache. »Ich weiß nicht … Cedric hat schon recht. Das ist gefährlich.«

Miss Spinster schüttelte ihren Kopf, dass die silbernen Löckchen, durch die Luft flogen. »Nicht gefährlicher als andere Dinge, die wir zusammen erlebt haben.«

Damit hatte sie recht.

Sara betrachtete Bobby, der immer noch nicht glücklich aussah. »Wir können mit meinem Auto bis zum Strand fahren. Niemand kann uns verbieten, am Strand spazieren zu gehen, oder?«

»Genau. Und ein echter Engländer kennt kein schlechtes Wetter.« Miss Spinster eilte voller Feuereifer zur Haustür und schlüpfte in ihre Gummistiefel. »Und vielleicht geben sie den Abschnitt, wo der Landslip passiert ist, genau in dem Augenblick frei, in dem wir dort sind. Dann wären wir schon an Ort und Stelle.« Sie nahm den Trenchcoat vom Haken und hielt ihn Bobby entgegen. »Sei kein Spielverderber, Bobby.«

Bobby verzog das Gesicht und schlüpfte in das völlig durchnässte Kleidungsstück. Sara sah, dass der Mantel immer noch tropfte.

»Kann sein, dass ich noch Mauds alten Regenmantel im Schrank hängen habe. Wenn Sie nichts dagegen haben, in Pink durch die Gegend zu laufen, leihe ich Ihnen den.«

»Oh, Pink steht dir sicherlich ganz ausgezeichnet, mein Lieber«, meinte Miss Spinster und nickte Sara zu, die sofort in Mauds altes Schlafzimmer rannte und dort im Schrank nach dem pinken Regenmantel suchte. Sie fand ihn auf Anhieb. Sogar die dazu passenden Gummistiefel standen im Schrank. Blieb nur zu hoffen, dass sie Bobby passten.

Sara packte beides und eilte zurück in den Flur, wo Bobby es mit säuerlicher Miene entgegennahm.

»Wenn’s wirklich sein muss.«

»Es muss, mein Guter.« Miss Spinster half ihm in den Regenmantel. »Ein Spaziergang am Strand ist das Beste für die Gesundheit. Besonders in unserem Alter.«

»Wenn wir uns nicht eine Lungenentzündung einfangen – in unserem Alter«, brummte Bobby, doch er wehrte sich nicht länger.

Auch Sara schlüpfte in ihren Regenmantel – blau mit weißen Punkten – und stülpte die Kapuze über ihr rotes Haar.

»Ich bin bereit. Auf ›los‹ rennen wir alle zum Auto.« Sie öffnete die Eingangstür, verhinderte gerade noch, dass der Wind sie erneut gegen die Wand schleuderte, und ließ Miss Spinster und Bobby Bobby zu ihrem Auto vorlaufen. Der Ford Fiesta parkte direkt vor dem Cottage und war offen. Sie selbst rannte noch einmal ums Haus herum zum Schuppen, der in der Ecke des Rosengartens stand. Darin hatte Maud neben ihrem alten Militärfahrrad auch jede Menge Werkzeug aufbewahrt.

Sara fand den »Schatzsucherkorb«, wie Maud ihn immer genannt hatte, auf Anhieb. Darin befanden sich der Geologenhammer, ein Fäustel, ein Taschenmesser, Arbeitshandschuhe, eine Lupe, ein Pinsel und sogar ein kleines Erste-Hilfe-Set – eben alles, was ein Fossiliensucher für seine Arbeit brauchte.

Beim Anblick des Korbes überfiel die Trauer um Maud sie. Wie oft waren sie ausgerüstet mit diesem Korb an den Strand gegangen und mit reicher Beute wieder nach Hause gekommen. Im Nachhinein wusste Sara, dass es Maud nicht nur um die Fossilien gegangen war, sondern darum, Sara ein Abenteuer zu bescheren. Und sie hatte sich gefühlt wie eine Forscherin – wichtig, ernst genommen und voller Abenteuerlust.

Tatsächlich hatten sie immer wieder größere und kleinere Schätze gefunden. Ammoniten und Belemniten, die häufigsten Fossilien in der Gegend rund um Charmouth und Lime Regis, manchmal Seelilien oder Fossilien von Schlangensternen. Sara erinnerte sich genau an das Hochgefühl beim Finden, an Mauds Lob und an die Überzeugung, reich zu sein, wenn die Fossilien dann gereinigt auf den Regalen in Mauds Cottage ausgestellt worden waren. Maud hatte kein einziges von Saras Fundstücken verkauft. Auch das war ein Beweis für ihre grenzenlose Liebe gewesen.

Sara packte den Korb und rannte durch den Regen zu ihrem Wagen. Sie wuchtete den Korb in den Kofferraum, hastete weiter zur Fahrerseite und öffnete die Tür, um sich hinter das Lenkrad zu werfen. Ein schneller Blick über ihre linke Schulter bestätigte, dass die beiden Senioren es sich auf der Rückbank gemütlich gemacht hatten.

Kaum blickte Sara zurück, zog Miss Spinster hastig ihre Hand weg. Nein, die beiden Alten würden der Welt auch weiterhin weiszumachen versuchen, dass sie nur Freunde waren.

Sara schmunzelte. »Dann los.« Sie drehte den Schlüssel im Zündschloss und legte den ersten Gang ein. »Lasst uns einen Dinosaurier finden!«

 

Nicht einmal eine Viertelstunde später erreichten sie den Parkplatz der Gartenanlage von Connaught Gardens, wo sie das Auto stehen lassen mussten. Von hier aus führte ein Fußweg an den Strand, über den sie zur Abbruchstelle gelangen würden.

Der Regen war schwächer geworden, nur der Wind fegte hier an der Küste noch stärker und das Meer war so aufgewühlt, dass es einem Angst machen konnte. Sara musste die Kapuze ihres Regenmantels festhalten, damit sie ihr nicht ständig vom Kopf geweht wurde.

Vornübergebeugt liefen sie zur Abzweigung zum Strand.

»Schaut mal! Sogar die Polizei hilft mit«, sagte Miss Spinster und zeigte auf einen Polizeiwagen, der mit blinkendem Blaulicht am Straßenrand parkte.

»Na ja, wahrscheinlich brauchen sie jeden, den sie kriegen können, um die Fossiliensucher davon abzuhalten, doch zum Abbruch zu gehen.« In Erwartung einer Menschenmenge kniff Sara die Augen zusammen, um zu erkennen, was am Strand los war. Doch die Fossilienjäger warteten wohl noch in ihren warmen Häusern darauf, dass der Regen aufhörte – wenn überhaupt jemand mitbekommen hatte, dass es einen Landslip gegeben hatte.

Trotzdem trieb sich Polizei am Strand herum. Polizei und … Was war das Ding, das da unten im Kies lag?

»Sagt mal, ist das da unten eine Trage?«

Miss Spinster spähte in die Richtung, in die Sara zeigte. »Ja. Sieht so aus.«

»Da wird doch wohl hoffentlich nichts passiert sein?« Plötzlich war Sara nicht ganz wohl zumute. Die Kombination von Polizei und einer Trage konnte nichts Gutes verheißen.

Miss Spinster zuckte mit den Schultern. »Vielleicht hat sich einer der Helfer im Kies den Knöchel verknackst. Komm, lass uns Bobby nachgehen. Nicht, dass er am Ende den ganzen Spaß alleine hat.«

Sie steuerte den Strand an und Sara bemühte sich, den beiden Alten zu folgen. Es dauerte nicht lang, da trat ihnen eine wohlbekannte Gestalt in den Weg.

»Wen haben wir denn da?«

»Inspector Webster …« Sara unterdrückte einen Fluch.

»Wieso wundert mich das nicht?«

Sara sah ihn mit Unschuldsmiene an. »Ich gehe am Strand spazieren. Was gibt es daran zu wundern?«

»Bei strömendem Regen?«

»Es regnet doch gar nicht mehr«, warf Miss Spinster ein. »Außer man bezeichnet das hier als Regen und dann dürfte man sich in unserem schönen Land überhaupt nie aus dem Haus trauen – was eine Schande wäre.«

Tatsächlich war der Regen in einen feinen Nieselregen übergegangen und dieses Wetter war in ganz England, aber besonders hier an der Küste, an der Tagesordnung.

Webster musterte sie misstrauisch. »Als ob es nichts mit dem Toten zu tun hätte, dass Sie bei diesem Wetter Ihren Strandspaziergang machen.«

Sara spitzte die Ohren.

»Ein Toter?« Miss Spinster war weniger subtil. »Wo?«

Webster seufzte. »Sie haben nichts davon gewusst?«

Die alte Dame stemmte entrüstet die Hände in ihre Seiten. »Woher denn?«

»Zum Beispiel von diesem Dorfvorsteher, der ständig um Sie herumscharwenzelt.« Webster sah Sara an, als er das sagte.

Sie hatte das Gefühl, Cedric verteidigen zu müssen. »Mr Brewer hat uns überhaupt nichts gesagt. Wo ist er überhaupt? Müsste er nicht hier sein?« Sie reckte den Hals, um auf die Erdmassen zu spähen, die hinter Inspector Webster den Strand verlegten.

Er seufzte. »Er holt den Gerichtsmediziner.«

»Es handelt sich also um Mord«, stellte Miss Spinster fest und versuchte unauffällig, um den Beamten herumzuschielen.

»Das wird der Gerichtsmediziner feststellen. Aber Sie, meine Damen, werden das Ergebnis dieser Untersuchung den Medien entnehmen, denn hier sind Sie unerwünscht. Und das gilt natürlich auch für Sie, meine Dame!«, rief Webster Bobby nach, der still und heimlich einen weiten Bogen um die Gruppe geschlagen hatte. Er marschierte auf die Menschen zu, die sich auf dem Berg aus Sandstein und Erde über etwas beugten, das sie von ihrer Position aus nicht erkennen konnten.

Bobby wandte sich um.

»Entschuldigung, mein Herr«, rief Webster hinterher. »Der pinke Regenmantel … Jedenfalls haben Sie dort unten nichts zu suchen.«

»Ist es ein Mann oder eine Frau?«, fragte Miss Spinster.

Webster verdrehte die Augen. »Auch das wird der Gerichtsmediziner feststellen.«

»So übel ist der arme Kerl zugerichtet?« Miss Spinster riss erschrocken die Augen auf.

Der Inspector schüttelte seufzend den Kopf. »Es handelt sich um ein paar Knochen. Menschliche Knochen. Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, dass sie zu einem weiblichen Skelett gehören, aber …«

»Woran erkennen Sie das?« Miss Spinster sah ihn neugierig an.

Sara grinste. »Wahrscheinlich hat er die Rippen gezählt und es hat eine Rippe mehr als ein Mann.«

»Unsinn.« Websters Miene nahm den für ihn typischen Ausdruck an, der ihm bei Sara den Titel Inspector Sauertopf eingebracht hatte. »Das Becken … Ich finde, es könnte ein weibliches Becken sein, aber wie gesagt: Der Gerichtsmediziner wird es herausfinden.«

»Dürfen wir es nicht ansehen?« Miss Spinster verlegte sich aufs Betteln, doch der Inspector schüttelte den Kopf. »Wir rühren auch nichts an!«

»Das würde die paar Knochen ohnehin nicht weniger tot machen.«

»Na also.« Miss Spinster nickte zufrieden. »Dann spricht ja nichts dagegen.«

»Sara!«

Sara wandte sich um und sah Cedric, der in Begleitung eines pummeligen, in die Jahre gekommenen Mannes auf sie zukam.

»Was tut ihr hier?«

»Wir wollten Fossilien suchen …«

Miss Spinster unterbrach sie. »Aber wir haben etwas viel Besseres gefunden.«

»Wo ist nun dieses Skelett?«, fragte der Gerichtsmediziner, um den es sich bei Cedrics Begleitung wohl handelte. »Das Wetter ist für einen gemütlichen Plausch am Strand denkbar ungeeignet. Außerdem feiern wir gerade den Geburtstag meiner Enkelin und ich wäre dankbar, wenn ich zumindest noch ein kleines Stückchen der Torte abbekommen würde. Also?«

»Da hinten.« Webster deutete auf die Stelle, um die sich die Einsatzkräfte scharten.

»Na dann?« Der Gerichtsmediziner setzte sich in Bewegung und Cedric und Inspector Webster schlossen sich ihm an.

Als sie ein paar Schritte gegangen waren, wechselten Sara und die beiden Senioren einen Blick. Die alte Dame nickte, legte den Finger auf ihren Mund und folgte den Herren. Sara ging ihr nach. Das Laufen im tiefen Kies des Strandes und das Erklettern des Geröllberges waren anstrengend. Doch als sie oben waren, wurden ihre Mühen belohnt: Mitten in dem Graubraun der Erdmassen lagen Knochen.

Eindeutig menschliche Knochen …

 

Kapitel 2 – Zwiespalt

 

Sara starrte auf die willkürlich zusammengesetzten Knochen, die vor ihr auf der Erde ruhten. Gerade legte ein Beamter den Unterkiefer dazu, der wohl irgendwie vom Schädel getrennt worden war.

»Wie alt die wohl sind?«, fragte sie sich selbst, doch die Antwort kam vom Gerichtsmediziner.

»Mindestens zwölf Jahre alt. Soweit ich sehen kann, gibt es keine Geweberückstände mehr. Kann natürlich auch länger her sein.«

»Oh, wie aufregend, vielleicht sind das die Überreste einer Frau aus der Eisenzeit. Am Klippenrand oben auf dem Hügel stehen doch Überreste von so einem Erdwerk, nicht?«, fragte Miss Spinster und riss die Augen auf. »Vielleicht finden wir noch andere Spuren aus den Dark Ages. Werkzeuge, Schmuck …!«

Sie wandte sich schon auf der Suche nach Schätzen um, da meinte der Gerichtsmediziner: »So alt auch wieder nicht. Ich tippe auf maximal dreißig Jahre. Die Knochen sind noch ziemlich intakt. Es gibt Zersetzungsspuren, aber nicht übermäßig …« Er beugte sich hinab und befreite den Oberschenkelknochen von Erde. »Um es genauer zu wissen, muss ich es im Labor anschauen und dann heißt es wohl Puzzle spielen.« Er seufzte. »Als hätte ich nichts Besseres zu tun.«

»Wie sie wohl gestorben ist?«, überlegte Miss Spinster laut.

»Diese Frage kann ich vielleicht schon beantworten.« Der Gerichtsmediziner drehte den Schädel ein bisschen, sodass eine deutliche Beschädigung der Knochendecke sichtbar wurde. »Die Gute scheint etwas auf den Kopf bekommen zu haben.«

»Danke, Mr Lloyd.« Inspector Websters Ton war scharf. »Den Rest besprechen wir dann im Labor.«

»Kann man sagen, womit sie erschlagen wurde?«, fragte Miss Spinster.

---ENDE DER LESEPROBE---