Der Tote im Schafspelz - T. H. Campbell - E-Book
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Der Tote im Schafspelz E-Book

T. H. Campbell

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Beschreibung

»Von mir erfährt niemand etwas.« Der Reverend sah sich um, als befürchte er einen Lauscher hinter dem nächsten Busch, dann beugte er sich vor. »Es wird etwas passieren.«
Sara lief ein kalter Schauer über den Rücken. »Was?«
»Ein Mord.«

Die Hobbydetektivin Sara Rattlebag genießt die Idylle im herbstlichen Sidbury an der englischen Jurassic Coast. Doch mit der Ruhe ist es schnell vorbei, denn plötzlich sucht ihr Ex Nathan wieder ihre Nähe, außerdem ficht ihr Vater das Testament an, mit dem seine Schwester ihr das Cottage vermacht hat. Und auf der Schafweide nebenan wird James Henning, der von allen geschätzte Briefträger und ein ehemaliger Mitschüler von Saras Freund Cedric, tot aufgefunden. Schnell ist klar: Er wurde ermordet. Und er bleibt nicht der einzige Tote.

Ehe sie sich versieht, ermittelt Sara Rattlebag wieder. Unterstützt von den Mitgliedern des Krimiclubs versucht sie, einem Serienmörder auf die Spur zu kommen und gleichzeitig das Chaos in ihrem Leben zu ordnen.

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Prolog
Kapitel 1 – Der Tote im Schafspelz
Kapitel 2 – Aller guten Dinge sind drei
Kapitel 3 – Er ist es
Kapitel 4 – Der Kuppelclub
Kapitel 5 – Ein Toter, ein Rätsel und ein Schafsüberfall
Kapitel 6 – Rosenmord und Mordgedanken
Kapitel 7 – Böse Träume
Kapitel 8 – Dann waren’s nur noch acht?
Kapitel 9 – Ein Muster
Kapitel 10 – Mögliche Täter und unmögliche Opfer
Kapitel 11 – Es klickt
Kapitel 12 – Männer
Kapitel 13 – Date Night
Kapitel 14 – Ins Handwerk gepfuscht
Kapitel 15 – Der Tote im Tuchlager
Kapitel 16 – Die Wahrheit
Kapitel 17 – Ich habe es verdrängt
Kapitel 18 – Coach Critelli
Kapitel 19 – Kindermädchenerinnerungen
Kapitel 20 – Die Lieblingstante
Kapitel 21 – Lügen, Lügen und noch mal Lügen
Kapitel 22 – Ausklang
Kapitel 23 – Nächtliche Störung
Kapitel 24 – Kein Rückzugsort
Kapitel 25 – Jetzt mache ich meine Drohung aber wahr
Kapitel 26 – Bei Wasser und Brot
Kapitel 27 – Ein nächtliches Date
Kapitel 28 – Erzwungene Zweisamkeit
Kapitel 29 – Auf Verrätersuche
Kapitel 30 – Schlachtpläne
Kapitel 31 – Hackerauftritt
Kapitel 32 – Noch mehr Entdeckungen
Epilog
Weitere Veröffentlichungen

T. H. Campbell

Der Tote im Schafspelz

Über die Autorin:

 

 

 

Als T.H. Campbell verschlägt es die Autorin Heidi Troi auf die britischen Inseln, die schon von Kindesbeinen an zu ihren Sehnsuchtsorten gehören. Ob Schottland, Irland, Wales oder England – T.H. Campbell hat die Regionen abseits der Hotspots für Touristen erlebt und es zieht sie immer wieder dorthin. Lesend, wandernd oder manchmal auch beruflich.

Mit der Chronistin Sara Rattlebag reist sie zum ersten Mal schreibend nach Devon an die Jurassic Coast, die ihr von ihrer Wanderung über den South-West-Coast-Path in bleibender Erinnerung ist.

 

 

Buchbeschreibung:

 

»Von mir erfährt niemand etwas.« Der Reverend sah sich um, als befürchte er einen Lauscher hinter dem nächsten Busch, dann beugte er sich vor. »Es wird etwas passieren.«

Sara lief ein kalter Schauer über den Rücken. »Was?«

»Ein Mord.«

 

Die Hobbydetektivin Sara Rattlebag genießt die Idylle im herbstlichen Sidbury an der englischen Jurassic Coast. Doch mit der Ruhe ist es schnell vorbei, denn plötzlich sucht ihr Ex Nathan wieder ihre Nähe, außerdem ficht ihr Vater das Testament an, mit dem seine Schwester ihr das Cottage vermacht hat. Und auf der Schafweide nebenan wird James Henning, der von allen geschätzte Briefträger und ein ehemaliger Mitschüler von Saras Freund Cedric, tot aufgefunden. Schnell ist klar: Er wurde ermordet. Und er bleibt nicht der einzige Tote.

 

Ehe sie sich versieht, ermittelt Sara Rattlebag wieder. Unterstützt von den Mitgliedern des Krimiclubs versucht sie, einem Serienmörder auf die Spur zu kommen und gleichzeitig das Chaos in ihrem Leben zu ordnen.

 

T. H. Campbell

Der Tote im Schafspelz

 

Ein Fall für Sara Rattlebag 2

 

 

 

Kriminalroman

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind

im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

© Juli 2023 Empire-Verlag

Empire-Verlag OG, Lofer 416, 5090 Lofer

 

Lektorat: Antje Backwinkel – https://buchwinkelei.de/lektorat/

Korrektorat: Tino Falke – https://www.tinofalke.de/lektorat/

 

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise –

nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

 

Cover: Chris Gilcher

https://buchcoverdesign.de/

Illustrationen: Adobe Stock ID 548183363, Adobe Stock ID 264841842, Adobe Stock ID 471568468

Prolog

 

»Überraschung!«

Sara Rattlebag, deren Blick sich in den ersten Herbstnebeln verloren hatte, die über der frühherbstlichen Landschaft von Devon lagen, sah auf und lächelte.

Ihr Bruder Zac streckte seinen unverkennbaren roten Haarschopf ins Zimmer und schob sich hinterher. Auf seinem sommersprossigen Gesicht lag ebenfalls ein Lächeln. In der Hand hielt er etwas, das eindeutig nach einer Packung Kate Kearney’s Dairy Cream Fudge aussah, ihrer Lieblingssorte, die hier in Sidbury, weitab der Zivilisation, nur schwer zu bekommen war.

»Habe ich dir schon einmal gesagt, dass ich dich liebe, Fuchsgesicht?«

»Ungefähr jedes Mal, wenn ich dir diesen Zahnzement mitbringe, Rotschopf.« Zac, dessen Haar denselben Rotton aufwies wie das von Sara, stellte die Blechbüchse auf das Tischchen und ließ sich auf den freien Stuhl fallen. »Gibt es noch eine Tasse von diesem lecker riechenden Tee?«

»Gibt es. Aber nicht mehr viel. Ich gebe hiermit eine Bestellung auf.« Sara stand auf und füllte Zacs Lieblingstasse Tee aus ihrem innig geliebten Samowar.

»Bestellung eingegangen«, erwiderte er. Zac lebte in London, wo er den Betrieb seines Vaters leitete, und versorgte sie mit den einzigen beiden Dingen, die sie von London vermisste: ihren geliebten Kate Kearney’s Dairy Cream Fudges und der besten Teemischung der Welt, dem von Saras Freundin Rosita hergestellten Five-o’Clock-Tea.

»Was führt dich her?«, fragte sie.

»Geschäfte.«

»In Sidbury?« Ungläubig starrte sie ihn an. Sidbury war ein Kaff im Hinterland der Jurassic Coast in Devon. Keine Londoner Firma wollte hier Geschäfte machen. Schon gar kein Wirtschaftsberater, der auf Großkonzerne spezialisiert war.

Zac grinste. »Ich muss mich einkleiden.«

»In Sidbury?«, fragte sie ein zweites Mal – noch zweifelnder. Das Fünfhundert-Seelen-Dorf hatte einen Lebensmittelladen und ein Pub, aber kein Bekleidungsgeschäft – zumindest, wenn man von dem Secondhandshop zur Unterstützung der Krebsforschung absah. Und der führte ganz sicher nicht die Art von Bekleidung, die Zac bevorzugte: teure Tweedanzüge, Kaschmirpullover und feine Hemden.

»Ich habe einen Termin in der Sidbury Tweedmanufaktur. Wir kleiden uns schon seit Generationen dort ein …« Zac verstummte verlegen. »Ich meine …«

Sara wusste, wieso. Ihr gemeinsamer Vater war immer noch ein Thema, um das sie herumschlichen wie die Katze um den heißen Brei.

Zac nippte an seinem Tee, Sara tat es ihm gleich und eine Weile sagte keiner von ihnen etwas.

Bis sie draußen ein Schaf blöken hörten. Das war nichts Ungewöhnliches, doch das Blöken war viel zu nahe.

»Ist das …?« Sara sprang auf und lief zur Hintertür. Draußen blieb sie stehen. Sie hatte richtig gehört. Ein Schaf. In ihrem Rosengarten. »Ein Schaf!«, stieß sie ungläubig hervor.

»Weiß, lockig und stinkt. Meinen – zugegebenermaßen dürftigen – zoologischen Kenntnissen nach ist es eins.«

»Wie kommt ein Schaf in meinen Garten?«

»Durch das Gartentor?«, schlug Zac vor.

»Und was mache ich jetzt damit?« Sara sah ihn ratlos an.

»Du bringst es zurück, würde ich sagen.« Für Zac schien das die einfachste Sache der Welt zu sein.

»Hm.« Sara betrachtete das Tier. Klar, Schafe waren keine Raubtiere, aber dieses hier reichte ihr weit übers Knie und würde ganz sicher nicht brav bei Fuß hinter ihr her marschieren. »Schaf, komm!« Sie hielt dem Tier eine imaginäre Karotte hin, doch es tat sich stattdessen unbeeindruckt an dem Unkraut gütlich, das unter den Rosen wuchs, und rührte sich keinen Zentimeter.

Verzweifelt sah Sara Zac an.

Er kratzte sich am Hinterkopf. »Tja, behalt es.«

»Was soll ich mit einem Schaf?«

»Zuerst solltest du ihm den Pelz ausziehen und kontrollieren, ob sich darunter nicht ein Wolf verbirgt.«

»Idiot.« Sara boxte ihm spielerisch gegen die Schulter.

»Alternativ könntest du es aus dem Garten schaffen. Wenn das Unkraut alle ist, macht es sich vermutlich über die Rosen her.«

»Und wie?«

»Tja, das ist deine Sache.« Zac grinste frech. »Ich muss zu meinem Termin. Wir sehen uns demnächst.«

Damit war er verschwunden und Sara allein mit ihrem Schafproblem. Doch das war erst das erste einer ganzen Reihe von Problemen, die in den nächsten Tagen und Wochen auf sie zukommen sollten.

Kapitel 1 – Der Tote im Schafspelz

 

Sara saß mit einer dampfenden Tasse ihres Lieblingstees am Mosaiktischchen im Rosengarten ihres Cottages und ließ ihr Gesicht von den frühherbstlichen Sonnenstrahlen wärmen. Der Rosengarten war erfüllt vom Bienensummen und hinter der Mauer, die ihren Garten von der angrenzenden Weide abtrennte, blökten die Schafe um die Wette. Irgendetwas schien sie unheimlich aufzuregen. Wahrscheinlich war Matthew, der Farmer, spät dran mit seiner Runde, es war schon später Vormittag.

Sara störte es nicht. Im Gegenteil. Sie fand, dass die ländliche Geräuschkulisse dazugehörte. Schließlich war Sidbury ein Fünfhundert-Seelen-Dorf im Hinterland der Jurassic Coast. Sie schloss die Augen. Herbstidylle und Frieden, was wollte man mehr?

Als mitten in diesem Frieden ihr Telefon läutete, schaute sie gar nicht erst auf das Display, sondern nahm den Anruf einfach entgegen. Ein Fehler, wie sich schnell herausstellte.

»Darling!«

Sara war versucht, wieder aufzulegen, doch sie riss sich zusammen. »Nathan.«

»Wie schön, deine Stimme zu hören.«

Das Kompliment konnte Sara nicht zurückgeben. Seit Nathan sie im Sommer mit einer schnörkellosen SMS davon in Kenntnis gesetzt hatte, dass zwischen ihnen Schluss war, sah sie rot, wenn sie seine Stimme hörte, und das passierte in letzter Zeit immer häufiger. »Was willst du?«

»Muss ich was wollen, wenn ich dich anrufe?«

»Hättest du die Frage vor einem halben Jahr gestellt, hätte ich Nein gesagt, aber jetzt …«

»Ach, Sara-Schatz …«

»Ich bin nicht dein Schatz.«

»Das warst du aber. Bis du mich sitzen gelassen hast.«

Sara war sprachlos. Wie bitte? Sie hatte ihn sitzen gelassen? Wer hatte noch mal diese SMS geschrieben? Wer hatte gedacht, es sei eine gute Idee, mit einer Kollegin ins Bett zu steigen? Saras Magen verkrampfte sich. Nathan hatte in ihren verliebten Zeiten ihre Sommersprossen gezählt, um sie dann mit einer Arbeitskollegin zu betrügen, deren Haut ebenmäßig wie Porzellan war. Bling-Bling-Catherine hatte sie ihre Widersacherin in Gedanken genannt. Aber die kleine Bosheit machte die Verletzung nicht besser.

»Sara?«

Seine schmelzende Stimme holte sie aus ihren Gedanken und nur mit Mühe unterdrückte sie einen Würgereiz. »Was willst du?«

»Ich will dich zurück.«

»Und wo ist die Pointe?«

»Ich meine es ernst, Sara. Ich will dich zurück. Ich habe einen Fehler gemacht, das ist mir klar. Aber du hast auch einen Fehler gemacht, als du meine Soundanlage und die Plattensammlung zerstört hast. Das musst du zugeben.«

»Das hast du verdient.«

»Ja, natürlich habe ich es verdient, aber … Kannst du mir verzeihen, Darling?«

»Hör auf, mich Darling zu nennen.«

»Bitte, Dar… Sara!«

»Nein. Nathan, du hast mich betrogen. Du hast mir wehgetan. Und du hast mich im schwärzesten Augenblick meines Lebens alleingelassen. Das ist unverzeihlich.«

»Natürlich ist das unverzeihlich, aber du bist doch kein nachtragender Mensch, Sweetheart. Außerdem geht es dir doch gut, hört man.«

Eine seltsame Ahnung kam in Sara hoch. »Sag mal, Nathan: Was ist der wahre Grund für deinen Anruf?«

»Habe ich doch schon gesagt: Ich möchte dich zurück.«

»Und sonst?«

»Nichts sonst. Du bist misstrauisch geworden.«

»Das passiert eben, wenn man betrogen wird.«

»Darling …«

»Du sollst aufhören, mich Darling zu nennen.«

Er seufzte. »Ich bin auch bereit, den Schaden zu vergessen, den du mir zugefügt hast.«

»Schaden?«

»Weißt du, dass die Platten ein Vermögen gekostet haben? Du kannst sie zwar nicht wieder ganz machen, aber für dich wäre es doch ein Leichtes …«

Da klingelte es bei Sara. »Sag mal, Nathan, hast du zufällig Gerüchte gehört, dass ich … zu einigem Besitz gekommen bin?«

»Darling …«

Doch Sara hatte genug von den Lügen ihres Ex. »Hör mir gut zu. Du hast mich sitzen gelassen. Noch dazu warst du zu feige, mir das ins Gesicht zu sagen. Du hast in meinem Leben nichts mehr zu suchen. Also verpiss dich! Und hör auf, mich Darling zu nennen!« Die letzten Worte schrie Sara in den Hörer. Dann unterbrach sie mit einem frustrierten Schnauben das Telefonat, wickelte gleich zwei Fudges aus und stopfte sie sich in den Mund.

Nur langsam tat die Süße, die sich in ihrer Mundhöhle ausbreitete, ihre Wirkung und sie beruhigte sich etwas. Anrufe von Nathan warfen sie regelmäßig aus dem Gleichgewicht und er meldete sich auffallend oft in letzter Zeit. Jetzt endlich wusste sie, wieso.

Sara wickelte ein weiteres der klebrigen Fudges aus und schob es sich zwischen die Lippen. Wo war dieser Zustand des Friedens und des Einklangs mit ihr selbst hin? Der Nachmittag hatte so gemütlich angefangen.

Ihr Kater Sir Arthur Doyle kam mit hoch aufgerichtetem Schwanz um die Ecke gebogen, sprang auf ihren Schoß und rollte sich nach einem umständlichen Zeremoniell schnurrend ein. Sara ließ ihre Hand gedankenverloren über sein schwarz-weißes Fell gleiten und schaute in den Garten.

Woher wusste Nathan, dass sie zu Geld gekommen war? Dass es so war, hatte sie eindeutig aus seinen Worten herausgehört. »Außerdem geht es dir doch gut, hört man … Für dich wäre es doch ein Leichtes …«

Er lebte in London. Die einzigen Londoner, die vom Ausmaß ihrer Erbschaft Kenntnis hatten, waren ihr Bruder Zac und ihr Dad – und bei beiden konnte sie sich nicht vorstellen, dass sie sich auf einen Plausch mit Nathan trafen. Oder doch?

Sie war misstrauisch geworden. Damit hatte Nathan recht. Aber aus anderen Gründen, als er ihr unterstellt hatte.

Seit durchgesickert war, dass sie von ihrer »Tante« Maud neben dem Cottage auch eine riesige Geldsumme geerbt hatte, waren immer wieder »alte Freunde« aufgetaucht. Die Erste war ihre beste Freundin aus Grundschultagen gewesen. Als sie vor ihr gestanden hatte – mit dem alten Poesiealbum in der Hand, in das sie sich gegenseitig kitschige Sprüche und noch kitschigere Bilder gemalt hatten –, hatte sich Sara ehrlich gefreut.

Dann hatte Susan begonnen zu jammern. Von ihrem Mann, der seit einem Arbeitsunfall ein Krüppel sei, von der kleinen Tochter, die eine seltene Krankheit hätte und eine teure Therapie bräuchte, von Schulden, davon, dass sie immer nur vorübergehend angestellt wurde. Als sie schlussendlich erwähnte, dass ihr ein Betrag von fünftausend Pfund schon ausreichen würde, um wieder ins Lot zu kommen, war Sara mehr als bereit gewesen, ihrer ehemals besten Freundin Geld zu leihen.

Doch dann hatte sie auf Susans Social-Media-Account Bilder von einer Nilkreuzfahrt gesehen. Susan, mit zwei gesunden Kindern und einem Ehemann, der die Statur eines Sportlers hatte. Und da war in Sara etwas zerbrochen. Etwas, das man am ehesten als das Vertrauen in die Menschen bezeichnen konnte. Und seit jenem Tag hatte sie feine Antennen entwickelt, wenn jemand auf ihr Vermögen zu sprechen kam.

Es stimmte. Sie führte ein Leben in Luxus und Müßiggang und sie verstand jeden, der ihr dieses Leben neidete. Aber der Reichtum, den ihre Tante ihr hinterlassen hatte, war Blutgeld für Mauds Leben. Und momentan war Sara nicht bereit, dieses Geld zu teilen. Zumindest nicht mit Blutsaugern wie Susan.

Außerdem musste sie selbst zusehen, dass sie damit haushielt, denn zurzeit hatte sie ebenfalls kein Einkommen. Die Chronik von Sidbury führte sie ehrenamtlich und in einem England nach dem Brexit gab es erschreckend wenige Arbeitsplätze für junge Frauen, die ein Geschichtsstudium nicht abgeschlossen hatten. In Sidbury ging die Auswahl an Arbeitsplätzen gegen null. Und so plätscherten Saras Tage vor sich hin, zwischen seligem Nichtstun und geschäftigem Müßiggang.

Ein unfreundliches »Ist jemand zu Hause? Polizei. Bitte öffnen Sie die Tür«, das vom Eingang des Cottages kam, riss sie aus ihren Gedanken.

Polizei? Sofort hatte sie ein schlechtes Gewissen, obwohl sie eigentlich selten etwas tat, was gegen das Gesetz verstieß – ihr übermäßiger Fudge-Konsum konnte ja kaum strafbar sein. Hatte sie falsch geparkt? War sie mit ihrem klapprigen Fiesta – auch er ein Erbstück – in eine Radarkontrolle getappt? Hatte sie eine Strafe nicht bezahlt? Und war es wirklich üblich, dass die Polizei Verkehrssündern einen Hausbesuch abstattete, um das Bußgeld zu kassieren?

Mit klopfendem Herzen umrundete sie das Cottage.

Ein großer hagerer Mann mit hoher Stirn und Geheimratsecken, die durch sein zurückfrisiertes Haar noch betont wurden, stand an der Eingangstür, die Hand zum Klopfen erhoben. Als sie um die Ecke bog, wandte er ihr das Gesicht zu und musterte sie tadelnd.

»Inspector Webster. Ich habe ein paar Fragen an Sie.«

Sara nickte. »Treten Sie ein. Die Tür ist offen.«

Mit einem mulmigen Gefühl betrat sie hinter Webster ihr Cottage. Drinnen führte sie ihn ins Kaminzimmer, wo sie ihm einen Platz auf einem der karierten Sessel anbot. »Darf ich Ihnen eine Tasse Tee anbieten?«

Der Gesichtsausdruck des Beamten verfinsterte sich schlagartig. »Ich bin nicht zum Teetrinken hier. Auf der Weide neben ihrem Haus wurde ein Toter gefunden. Ich muss Ihnen ein paar Fragen stellen.«

Saras Herzschlag beschleunigte sich.

»Ein Toter?«

Webster ignorierte ihre Frage. »Haben Sie in den letzten Stunden etwas Ungewöhnliches bemerkt, Miss Rattlebag?«

Sara dachte nach. »Ungewöhnlich in welchem Sinn?« Dass die Schafe ungewöhnlich redselig gewesen waren, würde den Polizisten vermutlich wenig interessieren.

»Beispielsweise im Sinne eines Schusses?«

Sie sog scharf die Luft ein. »Es wurde jemand erschossen?«

Inspector Websters Antwort beschränkte sich auf ein kühles Nicken.

»Wer?«

»Haben Sie nun etwas gehört? Oder gesehen?« Der Beamte sah wenig amüsiert aus.

»Tatsächlich höre ich ständig Schüsse.« Sara schnitt eine entschuldigende Grimasse. »Die Jagdsaison ist eröffnet, soviel ich weiß.«

Wie um ihre Worte zu bestätigen, krachte ein Schuss in den Hügeln. Sie fuhr leicht zusammen.

Der Beamte nickte. »Verstehe. Dann muss ich konkreter fragen. Haben Sie einen Schuss in direkter Nähe gehört? Vor etwa vier bis fünf Stunden?«

Sara verneinte. »Nein. Und wäre das passiert, hätte es mich auch gewundert und ich hätte nachgeschaut. Es würde doch niemand auf einer Weide herumschießen, auf der Schafe sind, oder?«

Wieder ging Webster nicht auf ihre Frage ein. »Sie haben auch keine fremden Wagen gesehen? Menschen, die nicht hierhergehören?«

Sara schüttelte den Kopf. »Aber ich war fast den ganzen Vormittag im Garten hinter dem Haus. Da sehe ich nicht, was auf der Straße passiert.«

Auf dem Weg vor dem Cottage wurden Schritte laut, dann betrat ein weiterer Beamter das Zimmer.

»Wir haben die Identität des Mannes feststellen können, Inspector. Es handelt sich um einen James Henning.«

»Den Postboten?«, fragte Sara.

»Genau.«

Inspector Webster wandte sich ihr zu. »Kannten Sie Henning?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Wer kennt ihn nicht?«

Natürlich kannte sie den Postboten, der täglich seine Runde durch Sidbury und Sidmouth machte. James Henning war ein lustiger, strohblonder Mann gewesen, etwa in ihrem Alter, verheiratet, Vater von zwei Töchtern im Grundschulalter. Sein Kater war möglicherweise Sir Arthur Doyles Bruder, wie er ihr einmal freudestrahlend anvertraut hatte. Sara konnte sich nicht vorstellen, dass jemand einen Grund hatte, ihn zu töten.

»Wie würden Sie Ihre Beziehung zu ihm beschreiben?«

Halt, halt, halt! Verdächtigte der Inspector jetzt etwa sie, den Briefträger getötet zu haben? Das Blut sang in ihren Ohren und ein leichter Schwindel ergriff von Sara Besitz. Das konnte doch nicht wahr sein. Sie hatte nichts getan, hatte nicht einmal den Schuss gehört und jetzt versuchte dieser ölige Polizeibeamte, ihr den Mord in die Schuhe zu schieben? Sie zwang sich zu einer ruhigen Antwort. »Er hat mir Post gebracht, ich habe sie entgegengenommen.«

»Hatten Sie Streit mit ihm?«

»Nein.«

Inspector Webster sah sie noch einmal durchdringend an, dann nickte er kühl, als habe er in ihrem Blick die Antwort gefunden, die er suchte. »Halten Sie sich zu unserer Verfügung.«

Sara nickte fassungslos. Dann sah sie zu, wie der Polizeibeamte in Richtung der Schafweide verschwand.

»Was. War. Das?«, fragte sie Sir Arthur Doyle. Der Kater antwortete nicht, sondern maunzte fordernd. Ihn interessierte nur, dass sein Futternapf gefüllt war.

»Erst Nathan, jetzt das. Aller guten Dinge sind drei. Ich hoffe, das gilt nicht auch für die schlechten Dinge.«

»Miau«, machte Sir Arthur Doyle. Er schien nicht überzeugt.

Sara füllte seinen Napf mit Katzenfutter. »Weißt du was? Mir reicht es mit Horrornachrichten. Ich verkrieche mich ins Bett.« Und das tat sie. Obwohl es erst Nachmittag war, schlüpfte sie ins Bett und zog sich die Bettdecke über die Ohren. Ihr letzter Gedanke, bevor sie wegdämmerte, war: Bitte, Maud, mach, dass das alles nur ein Traum ist. Dann fiel sie in einen tiefen Schlaf.

Kapitel 2 – Aller guten Dinge sind drei

 

»Sara, Kindchen? Bist du krank?« Miss Spinsters Stimme riss Sara unsanft aus ihren Träumen. Als sie nicht sofort reagierte, rüttelte die Seniorin sie an der Schulter.

Sara gab einen unartikulierten Laut der Missbilligung von sich, doch Miss Spinster ließ nicht locker. »Hast du gehört, dass es einen Mord gegeben hat, Sara?«

»Mhm.«

»Bei dir nebenan auf der Weide, stell dir das mal vor, Kindchen. Direkt hinter der Mauer zu deinem Rosengarten. Hörst du mir zu?«

»Mhm.« Sara blinzelte frustriert gegen das helle Tageslicht an. »James Henning.«

Miss Spinster sah beinahe enttäuscht aus. »Woher weißt du …«

»Polizei war hier«, nuschelte Sara. »Kann ich jetzt weiterschlafen?«

»Aber wir haben doch heute unseren Krimiclub!« Entrüstung lag in Miss Spinsters Stimme. »Außerdem ist helllichter Nachmittag.«

Sara stöhnte. Der Krimiclub! Wie hatte sie den vergessen können? Der Krimiclub war eine Tradition, die sie von ihrer »Tante« Maud übernommen hatte. Ursprünglich hatten Maud, deren alte Freundin Miss Spinster und der ehemalige Dorfpolizist von Sidbury, Robert »Bobby Bobby« Miller, zum Club gehört. Mittlerweile hatte Sara Mauds Platz eingenommen und der Dorfvorsteher Cedric Brewer gesellte sich des Öfteren ebenfalls dazu – vorgeblich, weil er sich für die Werke englischer Kriminalschriftstellerinnen und -schriftsteller interessierte, eigentlich galt sein Interesse jedoch Sara.

Tatsächlich hatte es eine Zeit gegeben, in der sie gedacht hatte, zwischen ihr und Cedric könnte sich eine ernsthafte Beziehung entwickeln, aber dann war die Sache mit Susan passiert und plötzlich hatte sie Cedrics Bemühungen in einem anderen Licht gesehen und war auf Abstand gegangen. Nicht, dass das den Dorfvorsteher entmutigt hätte. Er warb weiterhin mit einer Hartnäckigkeit um sie, die ihr beinahe Bauchschmerzen verursachte, aber da sie ihm viel zu verdanken hatte, ließ sie es über sich ergehen. Ebenso wie die zahlreichen Verkuppelungsversuche der beiden Senioren.

»Wie spät ist es?«

»Bald vier.«

»Shit.« Sie riss die Augen endgültig auf, setzte sich aufrecht hin und schwang die Beine aus dem Bett. Nicht nur der Krimiclub stand heute auf ihrer Agenda! Für fünf Uhr hatte sich außerdem ein Herr angekündigt, der in der Chronik nach einem Foto suchen wollte. Schlagartig war sie wach. Wenn sie Miss Spinster und Bobby Bobby bis dahin aus dem Haus haben wollte, musste sie in die Gänge kommen. »Darf ich Sie bitten, Tee aufzusetzen, Miss Spinster? Ich zieh mir nur schnell was über.«

Die Seniorin stand auf. »Hab ich doch schon längst. Und Scones hab ich auch gebacken. Und Sahne geschlagen. Nur du fehlst noch, Kindchen.« An der Tür sah sie noch einmal zu Sara zurück und lächelte verschmitzt. »Cedric ist auch da.«

Sara verdrehte die Augen.

 

Kurz darauf saß Sara mit ihren Freunden um das kleine Tischchen im Kaminzimmer. Miss Spinster und Bobby Bobby hatten auf den beiden Sesseln Platz genommen und Cedric saß neben ihr auf dem Sofa, den Arm wie zufällig hinter ihrem Rücken auf die Lehne gelegt.

»Ich weiß, wir haben Die verschwundene Dame gelesen und wollten darüber sprechen …«, eröffnete Sara die Diskussion, »aber …«

Miss Spinster sah sie streng an. »Du willst doch nicht allen Ernstes über das Buch diskutieren, Sara?«

»Nein, eigentlich wollte ich vorschlagen, dass …«, begann Sara, doch sie wurde wieder unterbrochen.

»Es gibt einen Toten. Wir können unmöglich einen fiktiven Krimi analysieren, wenn es in nächster Nachbarschaft einen wirklichen Mord gibt.« Miss Spinster blickte auffordernd in die Runde. »James Henning ist erschossen worden, heißt es! Er war eine Seele von Mensch. Wir sind es ihm schuldig, seinen Tod aufzuklären.«

Bobby Bobby lehnte sich vor. »Die Polizei …«

Miss Spinster wischte den Einwand mit einer ungeduldigen Handbewegung weg. »Die Polizei macht Dienst nach Vorschrift. Entschuldige, Bobby. Nichts gegen dich. Aber wir alle wissen, dass die Polizei von heute völlig fantasielos ist.«

Bobby hob die Hände mit den Handflächen nach außen, was wohl bedeutete, dass er Miss Spinsters Kritik nicht persönlich nahm.

»Denkt an Miss Marple. Ohne sie wäre die Polizei aufgeschmissen.«

Sara verbiss sich den Kommentar, dass es sich bei Miss Marple um Fiktion handelte und dass die Polizei weder damals noch heute auf die Unterstützung privater Schnüffler angewiesen war. Sie wechselte einen raschen Blick mit Cedric, der amüsiert mit den Schultern zuckte, dann ließ sie Miss Spinsters Vortrag weiter über sich ergehen.

»Wir haben James Henning gekannt. Wir kennen seine Frau, seine Nachbarn, seine Freunde. Uns gegenüber werden sie sich öffnen. Wir haben einen riesigen Vorteil gegenüber der Polizei und den werden wir nutzen. Mit Ava habe ich übrigens schon gesprochen.«

Ava arbeitete bei der kleinen Post von Sidbury und war die einzige Arbeitskollegin von James gewesen. So viel wusste Sara.

Miss Spinster fuhr schon fort. »Sie ist völlig überfordert mit der Situation. In der Poststation türmt sich die Post und es gibt so schnell keinen Ersatz für James. Daher habe ich ihr angeboten, in Sidbury ein wenig die Post auszutragen. Nicht ohne einen Hintergedanken natürlich. Als Briefträgerin kommt man mit den Leuten ins Gespräch – ganz unauffällig.« Miss Spinster sah zu Sara. »Für dich habe ich übrigens auch einen Brief mitgenommen. Sah wichtig aus.« Sie deutete auf den Kaminsims, auf dem gegen die Wand gelehnt ein Umschlag stand. Dann sah sie wieder sensationslüstern in die Runde. »Ava jedenfalls hat mir ganz im Vertrauen gesagt, dass James in letzter Zeit etwas durch den Wind war. Und das ist gleichzeitig der Beweis dafür, dass die Polizei uns braucht. Dem Inspector gegenüber wird sie nichts sagen. Nichts Übles über die Toten, hat sie gemeint. Glaubt mir: Am Ende wird die Polizei dankbar dafür sein, dass wir unsere Nasen in den Fall gesteckt haben.«

Bobby Bobby nickte langsam. Auch auf Cedrics Gesicht zeichnete sich Zustimmung ab. Alle Augen richteten sich auf Sara. Die schnaubte amüsiert. »Ich bin überstimmt. Wieso also nicht? Schließlich stehe ich sowieso schon auf der Verdächtigenliste von diesem öligen Inspector. Ermitteln wir also. Nur nicht in der nächsten Stunde. Ich kriege Besuch.«

»Männerbesuch?«, fragte Miss Spinster höchst interessiert.

Sara schnitt eine Grimasse. »Männerbesuch.« Als sie Cedrics missfällige Miene registrierte, erklärte sie: »Jemand, der etwas in der Chronik sucht.«

»Gut, dann beginnen wir mit der Zeugenbefragung, während du dich diesem männlichen ›Jemand‹ widmest«, sagte Miss Spinster. Aus ihrem Mund klang es, als hätte Sara etwas anderes vor, als mit dem Mann die Ordner der Chronik durchzublättern.

Sie besprachen, wer mit wem reden würde, und als alles ausgemacht war, standen sie auf und gingen Richtung Ausgang.

Sara atmete auf.

Doch sie hatte sich zu früh gefreut, denn Miss Spinster kam noch einmal zurück. »Vergiss den Brief nicht.«

Sara folgte ihrem Blick zum Kaminsims. Auf einmal hatte sie das Gefühl, als bilde sich ein fester Klumpen in ihrem Magen. Der Brief kam von einem Londoner Anwaltsbüro. Sie bekam nicht mehr mit, wie Miss Spinster sich verabschiedete, sondern ging mechanisch auf den Umschlag zu und riss ihn auf. Schon bei der Betreffzeile wurde ihr übel.

 

Frank Rattlebag ./. Sara Rattlebag wegen Anfechtung des Testaments Maud Rattlebag vom …

 

Sara schluckte. Tränen schwammen in ihren Augen, als sie weiterlas.

 

Sehr geehrte Miss Rattlebag,

in der bezeichneten Angelegenheit zeige ich an, dass mich Mr. Frank Rattlebag beauftragt hat, das Testament anzufechten.

 

Sie legte den Brief zur Seite. Nun war es also so weit. Ihr eigener Vater – oder zumindest die Person, die sie ihr Leben lang dafür gehalten hatte – neidete ihr ihr Erbe.

»Aller guten Dinge sind drei«, flüsterte sie vor sich hin.

Sie hasste es, wenn sie recht behielt, besonders in solchen Dingen. Was war das nur für ein Tag! Der Anruf von Nathan, der Tote auf dem Nachbargrundstück und nun dieser Brief. Automatisch fuhr ihre Hand zu der kleinen Blechbüchse mit den Fudges, die für genau solche Fälle auf dem Tischchen vor dem Kamin bereitstanden. Wie eine Drogensüchtige steckte sie sich die Süßigkeit in den Mund und wartete darauf, dass die Süße sich in ihrer Mundhöhle ausbreitete und dann wie ein tröstender Mantel über ihre Seele legte. Doch diesmal verfehlten die Fudges ihre Wirkung. Stattdessen füllten sich ihre Augen mit Tränen und Sara konnte nichts dagegen tun, dass sie überliefen. Sie beschloss, sich wieder in ihr Bett zu verkriechen und all das Böse ihrer Welt auszusperren.

Doch da klopfte es an die Tür.

 

Kapitel 3 – Er ist es

 

Der Besucher hatte offenbar ein Gefühl für den richtigen Moment. Energisch wischte sich Sara die Tränen aus den Augenwinkeln, schnaufte einmal durch und zwang sich ein Lächeln auf das Gesicht. Dann öffnete sie die Tür. Sie sah sich einem dunkelhaarigen Mann gegenüber, der auf die vierzig zuging. Er hatte eine sportliche Figur und sein Kleidungsstil war adrett – man konnte es nicht anders nennen. Zu einer gelben Weste trug er ein kariertes Tweedjackett und eine dazu passende Fliege. Bei jedem anderen hätte die Aufmachung affig gewirkt, doch zu ihm passte sie.

»Michael Brickerton«, sagte er und machte dabei einen kleinen Diener. »Sehr erfreut, Sie kennenzulernen. Danke, dass Sie sich Zeit für mich nehmen.« Er lächelte Sara an. Die Augen hinter seiner dunkelrandigen Brille musterten sie aufmerksam.

»Kommen Sie rein.« Sara wich seinem Blick aus und trat einen Schritt zurück.

Er schob sich an ihr vorbei in den Flur des Cottages.

»Gleich links ist das Kaminzimmer. Nehmen Sie dort Platz«, sagte sie. »Kann ich Ihnen Tee anbieten?«

Sie wartete kaum auf seine Bestätigung, sondern flüchtete in die Küche, wo sie zuerst ihr Gesicht mit kaltem Wasser benetzte. Der Mann sollte nicht sehen, dass sie geweint hatte. Dann füllte sie heißes Teewasser aus dem Samowar in Mauds Teekanne und stellte sie zusammen mit zwei Tassen, Milch und Zucker auf ein Tablett.

Ihr Besucher hatte das Sofa gewählt und war bei Saras Eintritt damit beschäftigt, beinahe liebevoll über den Stoff zu streicheln, mit dem die Sessel bespannt waren. »Tweed«, sagte er, ohne hochzusehen.

Sara zuckte mit den Schultern. »Kann sein.«

»Sie haben das Erbe Ihrer Tante Maud angetreten?«

Sie konnte nichts dagegen machen. Bei dem Wort »Erbe« zuckte sie unwillkürlich zusammen. Daher fiel ihre Antwort auch ruppiger aus, als sie vorgehabt hatte. »So ist es. Wie kann ich Ihnen helfen?«

Er sah sie forschend an. »Ich suche ein Foto. Ein Klassenfoto, um genau zu sein.« Wenn er ihre geröteten Augen sah, ließ er es sich nicht anmerken.

»Ich bin nicht sicher, ob sich in der Chronik auch Klassenfotos finden.«

»Es wurde in der Zeitung abgedruckt.«

»Dann sollte es kein Problem sein«, sagte Sara.

»Bis wann können Sie das Foto finden? Was denken Sie?«

»Wenn Sie mir das Jahr sagen, habe ich das in fünf Minuten.«

Er nickte kurz. »Es ist von 1987, unserem Abschlussjahr in der St. John’s School.«

Die St. John’s School war eine Privatschule mit Internat, die in einem historischen Anwesen in Sidmouth untergebracht war, so viel wusste Sara. Wie so viele Dinge in England, unterlag auch die Bildung dem Zweiklassensystem. Wer Geld hatte, steckte seine Kinder in eines der teuren Internate, die meist in abgelegenen Gegenden auf dem Land lagen. Dort war guter Unterricht garantiert. Wer kein Geld hatte, musste mit der öffentlichen Schule vorliebnehmen, wo das Geld hinten und vorn nicht reichte, der Unterricht schlecht und die Lehrer überfordert waren.

Sara erhob sich. Sie war froh, seinem allzu prüfenden Blick zu entkommen. »Das hab ich gleich. Wenn Sie kurz warten möchten?«

Michael Brickerton nickte. Er lehnte sich zurück und schloss die Augen.

Sara ging zur Wand mit den Ordnern und strich mit der Linken über die Rückseiten der dort aufgereihten Chronik von Sidbury und Sidmouth, bis sie zu den drei Ordnern mit der Aufschrift 1987 gelangte. »Wann wurde das Foto denn gemacht?«

Brickerton überlegte. »Ich denke, das war im Frühjahr.«

»Also werden wir das Foto wohl im ersten Ordner finden.« Sara zog ihn heraus. »Wenn nicht dort, dann sicher im zweiten. Den dritten können wir uns vermutlich sparen.« Sie wuchtete auch den zweiten Ordner aus dem Regal und trug beide zu dem Tischchen, das zwischen dem Sofa und den beiden Sesseln stand. »Dann lassen Sie uns mal suchen, Mr. Brickerton.«

»Michael«, erwiderte er und lächelte sie an. »Nennen Sie mich ruhig Michael … Sara.«

Sara nickte betont gleichgültig, doch sie konnte nichts gegen das Kribbeln in ihrem Bauch machen. Genervt von sich selbst – es lag doch auf der Hand, dass es sich bei diesem Michael Brickerton wieder um einen dieser Goldgräber handelte – setzte sie sich und schlug den ersten Ordner auf. Der Geruch von altem Papier und Staub schlug ihr entgegen. Beim Anblick der vergilbten Seiten beruhigte sich ihr Atem wieder. Das war die Geschichte Sidburys, die ihre »Tante« Maud dokumentiert hatte. Nun lag sie in Saras Verantwortung.

Die erste Seite war der Neujahrsrede der Queen gewidmet – vermutlich hatte der Berichterstatter die Rede Wort für Wort abgetippt. Darunter war das Foto des Neujahrsbabys mit seinen glücklichen Eltern abgebildet. Es handelte sich um Patricia Montrose, die am 1. Januar dieses Jahres um 0:23 Uhr das Licht der Welt erblickt hatte.

»Es muss im Frühjahr gewesen sein, um Ostern herum«, wiederholte Michael. Sara nahm eine leichte Ungeduld in seiner Stimme wahr.

Sie blätterte gleich mehrere Blätter weiter – vorsichtig, um die brüchigen Seiten nicht zu beschädigen. Februar. März. In den Wintermonaten schien in diesem Jahr nicht allzu viel passiert zu sein. Sie ging dazu über, wieder eine Seite nach der anderen umzuschlagen. Ein Unwetter, ein landwirtschaftlicher Unfall, der Bericht über einen Hollywoodfilm, der ausgerechnet in Sidmouth gedreht worden war, der Sieg der Fußballmannschaft gegen die von Exeter …

»Ostern.« Die Ungeduld war nicht mehr zu überhören.

»Gleich.« Wieder klappte Sara eine Seite um und kam zu einem Spendenaufruf für die Renovierung der Kirche von Sidbury.

---ENDE DER LESEPROBE---