Der Sandner und die Ringgeister - Roland Krause - E-Book

Der Sandner und die Ringgeister E-Book

Roland Krause

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Beschreibung

Ein Hahn ohne Kopf und eine Leiche zu viel auf dem Friedhof – kein Wunder, dass der Münchner Hauptkommissar Josef Sandner den Sonntagmorgen mit einem Fluch einläutet. Warum wird dem versoffenen Hauswart mit einem gekragelten Federvieh auf dem Fußabstreifer gedroht? Und wer hat den jungen Schlagzeuger einer aufstrebenden Gothic-Band brutal erschlagen und ihm ein Pentagramm in die Brust geschnitten? Der eigensinnige Ermittler sucht einen Täter, aber schnell wird er zum Problemfall einflussreicher Kreise. Und auch der »Boandlkramer« hat noch einen Trumpf im Ärmel …

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PIPER DIGITAL

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ISBN 978-3-492-98114-8

© für diese Ausgabe: Fahrenheitbooks, ein Imprint der Piper Verlag GmbH, München 2014

© Piper Verlag GmbH, München 2011

Covergestaltung: FAVORITBUERO, München

Covermotiv: © Sanit Fuangnakhon/Shutterstock.com

Datenkonvertierung E-Book: Kösel Media GmbH, Krugzell

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Piper Verlag erschienenen Buchausgabe 1. Auflage 2011

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»Herrgottsakrament!«

Mit diesem Fluch fährt der Josef Sandner aus dem Schlaf hoch. Das wirft gleich ein schlechtes Licht auf ihn. Dabei ist er sonst keiner, der jeden Morgen die Augen aufmacht und sofort losschimpft wie eine paranoide Amsel im Hinterhof. Da er seit vierundvierzig Jahren mit sich auskommen muss, ist ihm sonnenklar – einmal aufgewacht, hat er bei Morpheus ausgespielt. Kein Weg zurück in erholsamen Schlummer.

Die morgendliche Verwünschung hat demnach der frühen Uhrzeit gegolten. Sonntag, und es ist gerade mal halb acht. Quasi mitten in der Nacht für den Sandner. Die Zeit ist schon oft verflucht worden, die kratzt das nicht eine Sekunde.

Ein zeitiger Weckruf am Wochenende kommt immer ungelegen. Irgendwo lässt jemand den Rasenstutzer aufheulen oder haut die Tür ins Schloss, und du bist wach – mittels einer akustischen Banalität.

Überhaupt, das Banale. An sich ist so ein gewöhnlicher Tag ja keine Telenovela mit aneinandergereihten Höhepunkten bis zur totalen Ermattung. Von wegen, lebe deinen Traum und Pipapo. Wenn du nicht gerade Alexander der Große bist, warten in der Schlange vor der Tageskasse allenfalls biedere Momente – von den bitteren ganz zu schweigen. Und falls sich ein denkwürdiges Ereignis vordrängelt, musst du Schwein haben, dass es keine Tarnkappe aufhat.

Aber es gibt im Leben vom Sandner Tage, da weiß er, heute kommt etwas Besonderes. Ein erhobener Zeigefinger vom Schicksal. Pass auf, den Tag unterstreich dir fett, und stell kein Weinglas auf den Boden! In der Retrospektive ist ihm dann allerdings öfter aufgegangen, das hat wieder nur der Mittelfinger gewesen sein können.

Heute allerdings hätte das Schicksal am liebsten beide Finger genommen und damit einen Pfiff herausgelassen, der dem Sandner mindestens einen Tinnitus beschert, aber da brauchst du Übung. So einen Tag mit einem Fluch einzuläuten, das hat schon prophetischen Charakter.

Von Vorfreude beim Sandner naturgemäß keine Spur. Der Mann ist Hauptkommissar bei der Münchner Mordkommission, genauer K11, vorsätzliche Tötungsdelikte. Qua beruflicher Definition geht ein besonderer Tag für ihn einher mit dem letzten Seufzer eines Unglückseligen. Und privat? Tendenz Mittelfinger. Er fragt sich, wie viel Zeit ihm noch bleibt, bevor es losgehen wird. Man sagt ja gern, jemand hat einen Riecher dafür, oder der hätte das im Urin.

Als der Sandner vor Jahren in Kalifornien war, damals noch mit der Corina, hat er sich mit den Mordraten vor Ort beschäftigt. Statistik, schon wissenswert. Da hat er nicht aus seiner Haut gekonnt. Wenn so ein Police Officer in Oakland in der Früh aufgewacht war, brauchte der nicht erst in seinem Morgenstrahl zu lesen – da gab es nur ein Fragezeichen: Wo würde man heute die rote Nadel in den perforierten Stadtplan picken? Damit hast du in München nicht täglich zu rechnen, statistisch.

Doch für unseren Hauptkommissar passt heute alles zusammen. Der Meininger ist krankgeschrieben, wegen eines Unfalls in eigener Werkstatt. Der Meininger, beseelt von der Idee, sich ein Boot zu bauen. Dazu ist nicht jeder berufen. Wobei das in puncto Sinnsuche natürlich schon als Versuch gilt.

Der Hauptkommissar Meininger und der Sandner sind im gleichen Alter. Mit Mitte vierzig brauchst du manchmal einen neuen Anstoß. Körperlich und für den Geist sowieso. Körperlich ist der Sandner, anders als der Meininger, der schon Wert auf massive Planken legen muss beim Schiffsbau, noch ganz gut beieinander. Er ist so ein Hagerer, Drahtiger, nur aus den Falten in den Augenwinkeln und dem leichten Bauchansatz kann man das Alter herauslesen.

Die Corina war partout der Meinung gewesen, er hätte sich aufpeppen sollen, »altersgemäß« – weg mit den Jeans und den schwarzen T-Shirts, da hatte sie sich an ihm abgearbeitet.

Das Projekt war furios gescheitert. Die gestreiften Hemden und ihre Karopullis könnte sie getrost dem Neuen anhexen.

In ihrer gemeinsamen Zeit hatte er wöchentlich ein Corpus Delicti im Kleiderschrank aufgefunden, als hätten sich über Nacht bei ihm die Heinzelmännchen über Kaschmirschafe hergemacht. Und immer wieder Blau – weil das so gut zu seinen blaugrauen Augen passen täte.

Die Leute von der Caritas-Kleiderkammer hatten immer ihre helle Freude daran gehabt. Lieber harmonisch betrinken. Asche zu Asche, Blau zu Blau. Musikalisch betrachtet ist der Sandner eben weniger Streichquartett, mehr Independent.

Seine strubbeligen Haare haben zwar in rapidem Tempo vom Dunkelbraun zum Grau wechselt. Den Alterungsprozess hat er jedoch weitgehend an der optischen Differenz zwischen Morgen und Abend wahrgenommen, beim Tête-à-tête mit dem Badspiegel. Dass er beim Rasieren höllisch aufpassen musste, so zerknautscht, mit all den Schluchten und Tälern in der Früh. Als ob über Nacht die Luft rausgezischt wäre, und unter Tag würde er sich wieder aufpumpen. Und die geistige Herausforderung? Er war noch lange nicht bereit, sich wie der Meininger, den »Noah von Haching« nennen zu lassen. Und weil der Hachinger Noah, möglicherweise wegen schlechten Wetters, fahrig hantiert hat mit der Flachdechsel, ahnt der Sandner, dass er diesen Sonntag keinen Freizeitstress haben wird.

Morde passieren gern an Wochenenden. Der Mensch hat einfach unter der Woche keine Zeit dafür, wegen der Arbeit, den S-Bahn-Verspätungen und Pipapo. Am Wochenende spannt man aus, geht ins Kino, ins Stadion, oder denkt sich, mei, wieder ein fader Sonntag, ich hab Muße, bring ich halt wen um. Mag sein, wegen dem Fußball, aber angenommen, du wohnst in Giesing und fieberst mit den Löwen, wie der Sandner, bist du eh jedes Wochenende suizidgefährdet.

Mörderische Energie allein reicht natürlich nicht, Talent ist gefragt. Da fehlt oft die fundierte Ausbildung, der Master of Murder-Arts, es sei denn, du hast in einer abgelegenen Wüstenregion oder dem geheimen chinesischen Kloster für den Feinschliff geschwitzt. Ansonsten ist die Spurensicherung auf Champions-League-Niveau – und so ein unbedarfter, weil ungelernter Mörder spielt meist in der Kreisklasse. Eine Prise Luminol und Genetik, null zu zwei, ausgeschieden.

Trotzdem wäre es unvorsichtig zu behaupten, es gäbe keine phantasiebegabten Leut mit mörderischem Esprit, wo du nur hoffen kannst, deine physische Präsenz stößt denen nicht sauer auf – die Hoffnung stirbt bekanntlich immer zuletzt.

Das verbrecherische Gedankengut wirbelt dem Sandner im Kopf herum, wie Herbstblätter im Sturm, während er quasi auf Autopilot in die Küche schlappt, hin zu seiner Kaffeemaschine. Saecco, ein Geschenk der Tochter Sanne zum Vierzigsten. Auf Knopfdruck strömt der Espresso. Der Duft röstfrischer Bohnen breitet sich im Zimmer aus. Wenn es nur mit dem Kopf ähnlich funktionieren könnte, für den Sandner. Bräuchte er mal einen gescheiten Gedanken – alles per Knopfdruck. Kekse dazu und Ruhe.

Ein Komposthaufen gibt bei ihm zurzeit das Hirn. Das kann kein Zufall sein. Erst gestern Abend hat er im Baumarkt den neuen Lebensbereicherer von der Corina getroffen. Es hat mit ihnen nicht funktioniert, akzeptiert – aber ausgerechnet mit dem Staatsanwalt Doktor Wenzel? Nicht nur, dass sich ihre Wege immer wieder kreuzen müssen – allein die Vorstellung, wie der Wenzel mit seinen weißen Spinnenfingern der Corina den BH aufhakelt – zum Speien. Da würde manch einer in der Eisenwarenabteilung doch ein wenig länger stehen bleiben und sinnieren.

Der Doktor Wenzel hatte ihn auch gesehen, mit dem Kopf genickt und auf seine herablassende Art geschaut – es gibt Menschen, die brauchen nur mit einem Muskel im Gesicht zu spielen und können dir damit ganz rationell aufzeigen, dass sie dich, evolutionär betrachtet, auf einer Stufe mit der Küchenschabe ansiedeln – eine mimische Kunstform, und der Wenzel beherrscht die aus dem Effeff.

Dass er sich gerade mit einem Eimer Farbe abgeschleppt hat, als der Wenzel so spartanisch grimassiert hat in seine Richtung, hat den Sandner am meisten gefuchst. Er hat endlich die Rotweinflecken an der Wand im Schlafzimmer überstreichen wollen, immer ein Ärgernis für die Corina. Souveränität schaut definitiv anders aus. Und die Farbe steht noch immer im Flur, schon aus Trotz und weil diese spontane Energie sich gar nicht konservieren lassen wollte, quasi wie weggewenzelt.

Ein jeder zelebriert sein besonderes Morgenritual. Mit der Kaffeetasse ins Wohnzimmer und auf der Couch fläzen, ist zwar nicht wahnsinnig einfallsreich, aber Sandners Zustand angemessen. Espresso schlürfen und ins Leere schauen. Ein abgenutzter Begriff, weil sein Wohnzimmer natürlich nicht leer ist, höchstens sparsam möbliert – stilvoller Minimalismus. Philosophischer formuliert: Er wendet den Blick nach innen. Da geht es ihm wie all den anderen Existenzen – die Minderheit der Erleuchteten ausgenommen –, wieder nicht aufgeräumt und der Dreck unter dem Teppich wirft bereits Beulen. Zu lange sollte man sich das nicht anschauen.

Für das universelle Bewusstsein ist der Sandner eh nicht zu gewinnen, das vermag ihm den Morgen nicht zu retten. Eher seine alte Jazzmama. Eine Archtop, Hoyer Spezial, natural, handgefertigt von Arnold Hoyer in den 50ern. Massive Hölzer.

Der Sandner hat ein Faible für Dinge, die beständig sind und eine Geschichte zu erzählen haben beim Anschauen oder Beschnuppern. Er bildet sich manchmal ein, er könne etwas erlauschen. Ein Wispern aus der Vergangenheit. Dazu muss er auf der Gitarre nichts klimpern. Allein das Betrachten weckt in ihm ein warmes, kribbelndes Gefühl. Nicht satt sehen kann er sich. Wie wenn du ein Kunstwerk anschaust. Oder eine schöne Frau. Honigblond ist seine Hoyer, und die Perlmutt-Inlays auf dem Griffbrett glitzern verführerisch.

Da kann er die Finger dann doch nicht weglassen. Er stellt die Tasse aufs Parkett und greift nach ihrem Hals. Parat im Ständer muss er sie haben, nicht im muffigen Koffer, wie in einem Sarg unter dem Bett – dort könnte das Instrument ihm unbeachtet wegsterben. Er zupft eine Saite an und streicht mit den Fingerspitzen über die Maserung. E-Moll, ein paar Takte Gershwin, Summertime. Weit weg verschlägt es ihn, in den Süden – tropfender Schweiß, der zwischen ausladenden Brüsten Rinnsale bildet, Brustwarzen, die sich unter nassen Baumwollblusen spitz aufrichten, sengende Sonne, Selbstgebrannter, der die Kehle verätzt, das Summen der satten, schwarzen Schmeißfliegen – und überall gelber Staub. Wie er da so sitzt, die Augen geschlossen, summend, nur in seiner Unterhose, hat er seinen Frieden mit der Uhrzeit geschlossen. Ein schönes Bild, beinahe episch.

Jetzt presst er die Gitarre aus, verschleppt die Akkorde, bis sie jammert, dissonant und dreckig, Lee Hooker, »It serves me right to suffer«.

Dass es jetzt an der Tür läuten muss, ist für den Sandner eine logische Konsequenz des Sonntagmorgen-Blues.

Einen Moment lauscht er, mit angehaltenem Atem, fleht stumm um falschen Alarm. Umsonst. Wieder das Schellen. Gar nicht mehr aufhören will es.

»Ja, reiß mir doch die Glocke ab, Depp.«

Er muss sich arg zusammennehmen, dass er die Gitarre sanft zurück in den Ständer bringt. So wie er ist, hatscht er durch den Gang und reißt die Tür auf.

Jesses! Seine schnellen Reflexe haben sich auszeichnen dürfen, obwohl er die Schinderei in der Boxfabrik längst schleifen lässt, sonst hätte sein Gesicht inmitten von verklebten Federn gesteckt. Förmlich zurück wirft es ihn. Was ihm da auf Augenhöhe entgegengereckt wird, ist ein toter Gockel! Nicht direkt Lebensgefahr, aber ohne Kissenbezug doch ein bisschen viel Natur am Morgen für den Sandner. Da hat er gleich eine Leich in der Früh, auch wenn’s bloß ein Viech ist.

»Ja, spinn i«, bricht es aus ihm heraus. Er bräuchte den Gockel nicht mehr anzuschreien, weil wenn du guillotiniert worden bist, fehlt der eigene Antrieb – ergo keine Schuld.

Den Gepetto gibt der Lehnharter, der das Viech am ausgestreckten Arm animiert, die Füße gepackt, der Hals schlenkert hin und her. Der Lehnharter ist Hauswart in der Lohstraße. Ein Bär von einem Mann, alternativ Troll, dreihundert Pfund, Frührentner mit kaputtem Kreuz, weil er sich als Klempner zu oft verbiegen musste. Den Schlangenmensch hat er gespielt, zwischen den Abflussrohren. Am Nachmittag verstehst du meistens schon kein Wort mehr von ihm wegen seinen alternativen Heilmethoden: Weißbierkrüge stemmen gegen den Schmerz. Das ist schon einer, dem man zutrauen kann, dass er jeden Morgen erst mal einen Fluch oder sonst etwas Lautes lässt, zur Prävention. Überdies hätte er auch die Eignung, schimpfende Amseln ans Garagentürl zu tackern oder Vierjährigen den Fußball zu zerschlitzen.

Aktuell bringt er nix raus vor Aufregung, puterrot ist das pausbäckige Gesicht, er pumpt wie ein Maikäfer. Nur einen großen, stummen Schatten wirft er unter dem Deckenlicht, stocksteif, in seinem roten Rollkragenpulli und der blauen, verschlissenen Arbeitshose.

Und der Sandner? Was willst du da sagen?

»Selber gjagt?«, fragt er.

Da kommt der Lehnharter in Wallung. Er schwenkt den Hahn hin und her, wie ein tollpatschiger Ministrant den Weihrauchkessel.

Der Sandner muss auch gleich an eine Opfergabe denken. Wenn der Lehnharter noch auf die Knie gehen würde, mit dem kaputten Rücken – pure Selbstkasteiung.

»Der ist vor meiner Tür gelegen«, maunzt der Hausmeister stattdessen. Seine Stimme will so gar nicht zur bärigen Statur passen, als tät grad ein Schimpanse zetern oder der Pumuckl hat einen Wutanfall.

»Wie ich die Zeitung holen will – direkt auf dem Fußabtreter, verstehens?«

Der Sandner will es nicht recht begreifen, er wünscht sich eine Pausentaste, um das Geschehen einzufrieren, zumindest solang der Espresso noch heiß ist.

Das wäre schon eine feine Sache. Da fallen einem pro Tag gleich Minimum zehn Möglichkeiten ein, wie sich so eine Taste bewähren könnte. Man hat verschwitzt, die Parkscheibe akkurat zu stellen, oder du bist beispielsweise ein Mafiosi und damit beschäftigt, den nackten Gespielen deiner Maria unter dem Bett herauszukratzen. Bevor es ans Kastrieren geht, erst mal einen schönen Latte. Oder bedenke in dieser Konstellation den Contra-Protagonisten, für den tät es sich auch lohnen, das Geschehen erst einmal psychisch in den Griff zu bekommen. Vielleicht bei einem Diplomatenkaffee mit 3cl Eierlikör.

Aber von der cremigen Phantasie zurück zum Statusbericht vom Sandner: Es ist noch nicht mal acht, und ein schweißelnder Depp schüttelt einen gekragelten Hahn vor seinem Gesicht. Da kommst du ins Grübeln. Als fleißiger Nutzer psychoaktiver Substanzen wärst du hier, bezüglich Erklärungsmodell, eindeutig im Vorteil. Einem Sandner, der höchstens trockenem Rotwein und einem guten Whiskey zuspricht, stellt sich eher die Frage nach persönlichen Defiziten. Bin ich damisch geworden? An sich keine schlechte Frage. In der Psychotherapie schon längst etabliert – such die Fehler nicht bei den anderen Deppen, du hast selber dein Päckchen.

Ein paar rotgesprenkelte Federn schaukeln gemächlich in Richtung des braunen Linoleumbodens. Er schaut zu, wie die Zugluft sie weiterwirbelt, rüber zur Frau Rindsbacher, die sich bestimmt schon die Nase breitgedrückt hat, am Türspion.

»Wo hat er seinen Kopf gelassen?« Der Sandner ist nicht auf der Höhe. Wieso sich Sorgen machen um einen Fremdkopf? Vielleicht zwei bis drei Aspirin, dann ginge es dem eigenen wenigstens akzeptabel.

»Des is kein Gspaß, sonst wär ich nicht da!«

»Warum sind Sie denn überhaupt zu mir? Und hätt das nicht Zeit gehabt?«

Der Lehnharter stiert ihn an, als wäre der Sandner der Depperte von beiden.

»Weil Sie ein Kriminaler sind! Verstehen Sie nicht? Ein Huhn ohne Kopf, das weiß man doch – das ist eine Warnung!«

»Ach so, dann passens halt gut auf, wenns über die Straße gehen.«

»Ja aber auf was? Das ist doch eine verreckte Sauerei!«

»Kann das sein, dass Sie zu viel Mafiafilme schauen, Lehnharter? Schauns mal in Ihrem Bett nach, vielleicht liegt da noch ein Pferdekopf.«

Das Assoziative ist ja oft ein Überraschungspackerl. Dem Sandner fällt spontan die Frau Lehnharter ein. Eine feine Frau, gebürtig in Passau, ganz zierlich und immer höflich. Zimmermädchen im Hotel Adlon ist die früher mal gewesen. Und jetzt? Kaum einmal aus der Wohnung raus, und wenn, dann ganz verhuscht, wie eine Spitzmaus.

»Sie müssen rausfinden, was das für eine Hurendrecksau war, die dreckige!«

Da hat der Hausmeister sich rhetorisch vertandelt – dafür bekommt er einen sandnerschen Wutanfall retour.

»Glaubens, ich hab meine Zeit gestohlen, Lehnharter? Gehen Sie nunter, und werfens das Viech in den Ofen! Machens sich Knödel dazu und eine Soß. Fressens die auf, Ihre depperte Warnung! Wiederschaun!«

Die Tür will er zuhauen, aber da würde er die Vogelmarionette bös einquetschen, vom Hauswart sturköpfig hingehalten. Selbst wenn das Viech mausetot ist, gut anfühlen würde sich das nicht. Als ob der Hahn noch aufgeregt mit den Flügeln schlagen würde, so beutelt ihn sein Gegenüber.

»Nehmens endlich das Scheißviech weg oder ...«

Irgendwo in der Wohnung spielt das Handy »Rawhide« von den Blues Brothers.

»Sie müssen des rausfinden!«, plärrt der Lehnharter ihm hinterher, wie er sich umdreht, um an der Garderobe seine Jackentaschen zu durchwühlen. »Wer die Sau war! Kommens!«

»Was ist?«, meldet sich der Sandner, wie er fündig geworden ist.

»Herr Sandner?«

Es ist der Hartinger Hubert – aufgedreht klingt er, vor Kurzem hatte der seine erste Leiche bei der Mordkommission erlebt. Eine Tötung auf Verlangen.

»Im Grünwalder Friedhof ist eine männliche Leiche gefunden worden.«

Der Sandner schaut zwischen dem Lehnharter und dem Handy hin und her. Ganz Voodoopriester, reckt der Hausmeister beschwörend die Arme, mit Schweißflecken unter den Achseln – ein überdimensionierter Rorschach-Test – und diesem Glotzen, als hätte er plötzlich den fehlenden Schädel vom Viech auf.

Das wäre schon ein Gewinn an Hirnmasse, man bräuchte bloß noch drauf zu warten, bis der Troll zum gackern anfängt.

Einfach wieder ins Bett steigen. Decke drüber, und gut ist es. Morgen reloaded.

Und der Hartinger? Denkt sich auch nix, bevor er was dahersagt.

»Das ist jetzt an sich ned ungewöhnlich, dafür hat man einen Friedhof«, antwortet der Sandner ihm, betont langsam.

Ein heftiges Schnaufen bekommt er zur Antwort. Als wäre es ein obszöner Anruf. Natürlich hat der Hartinger jetzt nicht in seinem BMW hurtig ins Taschentücherl onaniert, obwohl ihm das Adrenalin bestimmt schon aus den Ohren dampft. Schlicht die Sprache hat es ihm verschlagen.

Schließlich erlöst ihn der Sandner. »Na gut, hol mich ab, sagen wir in zwanzig Minuten, aber derrenn dich nicht. Zuerst ist eh die Spusi dran, und du erzählst mir dann im Auto alles.« Er wartet nicht auf eine Reaktion, sondern wirft gleich das Handy auf das Sofa.

Was denn jetzt wär, hat ihn der Lehnharter vom Gang her gemahnt.

Schweigend schlappt der Angesprochene in die Küche und kommt mit einer Plastiktüte vom Penny zurück, die er dem Hausmeister hinhält. Die Miene dazu hat er sich vom Clint Eastwood geliehen.

»Einpacken!«

Dankbarkeit pur strahlt ihm aus rot geäderten Augen entgegen. Wie der bärtige Riese das Tier umständlich in die Tüte stopft, um sie dem Polizisten zu überlassen, kann der bloß fasziniert die Augen aufreißen. Das hast du nicht alle Tage. Manche nie. Madre mia!

»Dank Ihnen und ent...«

Dem Troll wird der eingetütete Gockel weggerissen, und die Tür knallt zu.

»In maximal fünf Minuten sind wir da«, hat der Hartinger gerade stolz vermeldet. Angemessene Begeisterung ist dafür vom Hauptkommissar nicht zu ernten.

Der Regen prasselt gegen die Windschutzscheibe, sodass die Scheibenwischer mit der Arbeit kaum nachkommen.

Untergiesing ist »Llareggub« in der Morgenstunde, die Vorhänge zugezogen, die Autos in den Garagen hinter den hölzernen Türflügeln. Träge rappelt er sich hoch, der Tag. Drinnen, in den Stuben der grauen und gelben Wohnblocks, ziehen sich die ersten Kirchgänger die schwarzen Strümpfe an oder köpfen ihr halbfestes Frühstücksei, wie seit vierzig Jahren jeder Sonntagmorgen begrüßt werden will. Wohnküche, Kammer und Speis, so lebt es sich in den geduckten Arbeitersiedlungen. Manchmal ein Balkon oder ein Fetzen Grün.

Die Nachkriegszeit hat die Bewohner angespült, zähes Treibholz, von überall her – hier hat es die Wurzeln eingehakt und ausgetrieben. Nach Braten riecht es, Nusskranz und Zufriedenheit.

Dass Untergiesing im Begriff ist ein kommendes »In-Viertel« zu werden, gerade sonntags spürt man es am wenigsten.

Der Sandner ist dankbar dafür. Dankbar für die Isarauen, den Mühlbach, den nahen Wald und diese Mischung aus Verwurzeltem und Kreativem, die in Giesing daheim ist. Selbstredend wird hier spekuliert, restauriert, phantasiert, pulverisiert und saniert, auf Teufel komm raus, damit sich der Mietpreis auch gescheit aufplustern kann. Die Münchner Ursuppe ist trotzdem zu löffeln rund um den Kolumbusplatz. Gnadenbrot gibt’s dazu für die kleinen Läden und für jeden, der ein Hefterl braucht, ein Packerl Respekt gratis.

»Grias Eana Gott, Frau Obermayer, die ›Bunte‹ hob i Eana scho zruckglegt.«

Die Disposition zu einem »In-Viertel« merkst du gleich, sobald sich diese tragischen Chimären aus Secondhandstores und Designershops vermehren, wie Motten im Küchenschrank. Nutzwert entsprechend. Wenn sich die depperten Namen der »Locations« alle vier Wochen verändern – auch ein Fingerzeig. Hier ein Changeprozess und da ein Changeprozess – besser noch ein Turnaround. Der Wandel ist allerweil ein unglaublich beliebter Begriff. Der wird geherzt und abgebusselt, und manche gehen mit ihm schwanger. Hauptsache, du bleibst nicht als einziger Narr am Platzl hocken, weil du dich mal verschnaufen musst.

Der Hartinger ist offensichtlich von diesem Geist getragen, trotz Einraumwohnung im Dachauer Betonblock – günstige Miete versus papierdünne Wände – er hatte nicht vor, sich länger als gefühlte zwei Minuten mit Untergiesing aufzuhalten.

Der Sandner hatte sich gerade das Shampoo aus den Augen gewaschen, da war dessen BMW schon mit heißen Reifen in den Innenhof geschossen. Dem ausgefallenen Frühstück hat er nicht nachtrauern müssen, ein leerer Magen bringt Vorteile bei einem Tötungsdelikt. So hatte er sich hastig angezogen und den abgewetzten gelben Regenmantel übergeworfen.

Draußen nicht vergessen, der alten Imhofer zu winken, die immer am Fenster lurt, symbiotisch mit ihrer Katze. Beide die Augen zu Schlitzen, auf der Lauer. Die Katz spechtet auf Vögel und die Imhofer aufs Leben vor der Haustür. Sie haben ihn einfach weiter angestarrt oder durch ihn hindurch, was immer sie da gesehen haben in ihrem Privatkino, wie er da mit seiner Plastiktüte ins Auto gestiegen ist.

Was da drin wäre, hat der Hartinger gleich neugierig wissen wollen, weil er sich wahrscheinlich gedacht hat, der alte Fuchs hat gleich ein geheimes Werkzeug im Tascherl, zum Mörder-Fangen. Der Sandner hat nur die Achseln gezuckt und die Tüte auf den Rücksitz geworfen.

»Ned so gach, in zehn Minuten reicht es uns auch noch«, beschwichtigt er jetzt.

Der Angesprochene linst zu ihm hinüber. Einen fiebrigen Blick hat er und knallrote Wangen. Jagdfieber, Hundegebell, Halali!

Die Merkmale eines englischen Aristokratensohns bringt er mit, auch wenn er in Altusried gebürtig ist. Rötliche Haare, bleiche Haut, tapsig und schlaksig ist er obendrein. Neben ihm ist sein Vorgesetzter ein eins achtzig großer Zwerg.

In der Polizeischule wird gelehrt, dass bei so einer Mordermittlung die Geschwindigkeit ein gravierender Faktor ist. Dieses Wissen versucht der Hartinger unmittelbar auf das Gaspedal zu übertragen. Ein Theorie-Praxis-Transfer, der dem Sandner den Espresso hochsteigen lässt.

Sie preschen am baufälligen Grünwalder Stadion vorbei, und dann geht’s nach rechts, neben den Straßenbahngleisen Richtung Grünwald.

Früher hat der Sandner die Sechzger noch im Grünwalder spielen sehen. Gemütlich war es, auch wenn die Toiletten dauernd verstopft waren, die Darbietung unterirdisch, eine Gaudi war es allemal. Heutzutage, da nur noch die Amateure den Rasen pflügen, haftet den Wochenenden immer ein Hauch von Bürgerkrieg an. Mannschaftswagen fahren jedes Mal auf, um martialisch gewappnete Polizisten auszuspucken – Robocops, beauftragt, Obergiesing weder den bösen Mächten noch marodierenden Horden zu überlassen. Wenn sie das Fan-Gerammel gleich auf den Rasen im Stadion verlegen täten, Bierausschank mit dabei, die Dauerkarte wäre unbezahlbar. Das Münchner Kolosseum.

Viel zu schnell wischen die Harlachinger Eigenheime an ihm vorbei. Unwirklich, schemenhaft hinter dem Tropfenvorhang. Sandners Vernunft kapituliert vor dem Zwang. Nicht einen Wimpernschlag kann er den Blick von der Straße lassen. Konzentriert starrt er durch den Regen, besser, er hätte auch das Steuerrad unter seiner Gewalt.

Je näher sie Grünwald kommen, desto mehr haben sich die Häuser diskret von der Straße zurückgezogen. Weitläufige Grundstücke, Alcatraz-Mauern, Mini-Trutzburgen mit Toskana-Flair, unterbrochen vom Grünwalder Forst auf der Linken, der sich an manchen Stellen bis zum Straßenrand geschlichen hat. Die grüne Lunge, eine massive Kiefernwand, zerhackt und portioniert von Wanderwegen und Bahngleisen.

Quizfrage. Warum hat der Sandner in seiner gesamten Schaffenszeit nie hauptverantwortlich in Grünwald ermittelt? Das hat mit seiner mangelnden Begabung zu tun. Es ist ihm nicht gegeben, eine Persönlichkeit oder gar Autorität sofort auszumachen und entsprechend respektvoll zu würdigen. Ein Makel. Du schickst einen solchen Proleten halt nicht so gern in die noble Welt hinaus.

Die kriminelle Energie dagegen kennt keine Hemmungen, kraxelt locker über Grundstücksmauern. Wo das Geld daheim ist, findest du allerweil ein Motiv. Entweder das, oder der Mangel lässt die Leute das Messer wetzen.

Im Lauf der Jahre hat es immer mal wieder Sonderermittlungsgruppen gegeben, mit spaßigen Namen, denen er zugewiesen wurde. Meist hatte er dabei einer nichtigen Spur nachschnüffeln dürfen, die endlich versickert war, wie Scheiße im Abort, nur um die Staatsanwaltschaft restlos zu befriedigen. Der Fuchs ist längst woanders gewesen. Ruhm und Ehr dito.

Und wieder einmal Statistik. Es brummt das bloody Business, wenn die Leute aufeinander hocken wie die Hühner, mit amtlich genehmigten fünfzehn Quadratmetern pro Stück und Nase. Teilst du dreihundert Quadratmeter durch zwei angesehene Persönlichkeiten und einen Dobermann, trifft es dich seltener. Höchstens den Gärtner.

Weiter jagen sie dahin, der BMW schüttelt seine Insassen ordentlich durch.

»Ich sag dir doch, das pressiert nicht! Die Spurensicherung und der KDD sind ja am Werkeln, da stehen wir eh deppert im Regen rum. Hast du wenigstens einen Schirm oder eine Regenjacke?«

Das Mütterliche ist sonst nichts, was den Sandner auszeichnet. Er muss beruhigen. Nicht, dass der junge Kommissar ihm durchgeht, wie der Brauereigaul nach einem Hornissenstich.

Die Reifen schlittern gefährlich über den Asphalt.

Der Hartinger wackelt nur leicht indisch mit dem Schädel. Regenschirm? Was für eine Banalität angesichts einer Mordermittlung. Eine schwarze, glänzende Lederjacke trägt er. Das ärgert den Sandner. Der Hauptkommissar im Friesennerz und der Bursch im Kriminaleroutfit. Wenn der Regen nicht so niederprasseln täte, würde er bestimmt gleich die Ray Ban aus dem Halfter reißen. Dafür sollte er tüchtig nass werden, zur Strafe.

Überhaupt der Regen, seit Tagen, vielleicht wäre es vorausschauend, in Meiningers Boot eine Platzreservierung vorzunehmen.

»Wann hat man denn die Leich gemeldet, und wer?«

»Sieben Uhr achtundfünfzig«, kommt es vom jungen Ermittler, wie aus der Pistole geschossen, »eine ältere Dame, Erdlinger heißt sie, hat die Eins-eins-null gewählt. Die Bereitschaft vor Ort hat dann bestätigt.«

»Brav.«

Sie fliegen am Grünwalder Ortsschild vorbei.

»Habt ihr den Kare auch erreicht?«

»Mailbox.«

»Na sauber, der Hundling.«

Auf dem Friedhof herrscht reger Betrieb. Die Grünwalder Polizeiinspektion ist nur einen Katzensprung entfernt und hat gleich einen Betriebsausflug organisiert. Dreist ist das, ihnen die Leiche praktisch in den Vorgarten zu werfen. Überall wuseln Uniformierte umher. Ein grüner Ameisenhaufen, in Szene gesetzt vom blinkenden Polizeifuhrpark, der American Christmas gibt. Handygedudel und Thermoskannen.

Der Hartinger will gleich bis zur Mauer hinpreschen.

»Bist narrisch?!«, wird er vom Beifahrer angebrüllt, sodass er vor Schreck auf die Bremse steigt und das Lenkrad verreißt. Der BMW bricht aus und stellt sich quietschend quer.

Großes Kino, alle Augen sind auf sie gerichtet.

»So hab ich mir das gewünscht«, knurrt der Sandner und bleckt die Zähne. »Soll ich dir ins Auto reihern oder was? Und die Spusi schaufelt dir gleich ein Loch aus, wenn du zur Mauer hinfährst.«

Der Rennfahrer schaut ein bisschen kleinspuriger aus der Wäsche. Leben ist Lernen.

»Schaug«, setzt ihm der Hauptkommissar auseinander, wie er sich wieder halbwegs beruhigt hat, »da drinnen liegt eine Leich, die da nicht hingehört. Wenn die nicht selber reinstrawanzt ist oder sich heut Nacht ausgegraben hat, weil es gar so fad war im Eichensarg, dann hat sich ein mutmaßlicher Täter wahrscheinlich nicht mit städtischen Öffnungszeiten aufgehalten. Und was tust du, wenn das Tor verrammelt ist? Du stemmst es auf – oder ab über die Mauer.«

Nur ein Ächzen kommt vom Hartinger, der sich wohl innerlich gerade ans Kreuz nagelt.

»Da hätte ich auch selber draufkommen müssen«, traut er sich schließlich zu nuscheln.

»Ah geh! Du hast es nur zu brisant gehabt, das passiert jedem einmal. Das nächste Mal weißt du es.«

Aufmunterndes Schulterklopfen, Zuckerbrot und Peitsche, dann steigt der Sandner aus dem Wagen.

Einen ordentlichen Friedhof haben wir hier, naturbelassen, geschmackvoll, eigentlich ein passender Ort für den Tod.

Ein Mann im weißen Overall nähert sich. Schon am schlürfenden Gang zu erkennen. Wenn auf jemanden die Bezeichnung »Schnüffler« zutrifft, dann auf Poschner. Der Leiter der Spurensicherung ist ein kleines, o-beiniges Männchen, das Gesicht immer gen Boden geneigt, auf Fährtensuche, als würde ihn das Gewicht seiner langen, spitzen Nase nach unten ziehen. Als Pestdoktor erste Wahl. Frankfurter Wurzeln, enormes Wissen, der Sandner arbeitet gern mit ihm.

»En gude, Sandner, sin mer auf dem Nürburgring? Kannscht du es nicht erwarte, oder wolltest dich dazulege? Mir sind glei ferdisch, geschissener Reesche, da brauchst du ned viel von uns erwarte. Kannscht ruhisch herumsauen, alles gesischert und fotografiert.«

»Und das am heiligen Sonntag, Respekt, Raimund. Wisst ihr schon Genaueres?«

»So wie es aussieht, könne se iwwer das Tor sein. Die Zweische danebe sehen frisch geknickt aus. Müsst man den Friedhofsgärtner noch dazu befrage. Mir schneide sie grad ab und sacke sie ein, vielleischt is was auf den Blättern zu finde. Sonst fällt mer aa nix mehr ein.«

Sandner sieht kurz zu, wie zwei Männer vorsichtig Plastiksäcke um die Äste stülpen, um sie dann mit einer Gartenschere abzuknipsen.

»De dürftige Spure nach, hat den jemand in einer Plane hingeschleift und auf das frische Grab vom Erdlinger geschmisse. Einfach so! Schöne Sauerei so was und eine Blasphemie sondergleichen! Sind grad amal fuffzeh Meter von da. Mir häwwe en Furz von am Gummistiefelprofil, aber der Reesche ... Kommst du gleisch mit?«

Einfach so. Maximal fünfzehn Meter. Der junge Wilde ist schon vorausgeeilt, verschwindet um eine Biegung.

Eine große Tanne versperrt die Sicht. Der Sandner lässt sich Zeit. Wenn du auf einen Friedhof kommst, ist der Tod so gegenwärtig wie die Maß auf der Wiesn. Eins ohne das andere – undenkbar. Da hat der Polizist erst ein Gespür bekommen wollen, für das Absonderliche, das Brutale inmitten dieser stillen Atmosphäre, die alles zudeckt mit ihrem schwarzen Leichentuch. Das muss er erst freischaufeln, die Erde weg, im Kopf.

Das letzte Mal war er am Freitag vor drei Wochen auf einer Beerdigung gewesen. Oberkommissar Jochen Haube vom Raub, Autounfall. Er hat seine Mutter in Chemnitz besuchen wollen und jemand hat beim Überholen gepatzt und mit seinem Audi SUV den Polo vom Haube weggewischt, als wäre es ein Fliegenschiss. Ende – fünfunddreißig Jahre, Ostfriedhof mit Polizeikapelle.

An verwitterten Grabsteinen schreitet der Sandner jetzt vorbei.

Als kleines Kind wollte er immer die eingravierten Namen vorgelesen haben und die altehrwürdigen Berufe. Geheimrat oder Magister. Da hat er sich dann eine Geschichte dazuphantasiert. Damals war der Tod so abstrakt wie Leben auf dem Mars oder das Heiraten. Das hätte er sich nicht ausmalen können, dass er ihm später ständig über die Schulter schauen wird beim Ernten. Der Boandlkramer, hier hat er Heimspiel.

Es riecht nach Schnittblumen und nasser Erde.

Da liegt er.

Der Sandner kann ihn noch nicht richtig anschauen, den Toten. Eigentlich sieht er nur nackte Beine auf dem ausgehobenen Erdhügel. Eine Gestalt im dunklen Mantel ist darübergebeugt. Klassisches Filmplakat: Nosferatu beim Brunch.

Josef Erdlinger, steht auf dem Holzkreuz, 1928 – 2011. Verstreute Blumen, keine Kränze – ein Grablicht liegt umgekippt neben dem schwarzen Hügel.

Ja, Sepp, jetzt hast du noch Besuch bekommen.

Sein Gewicht hat den Toten einsinken lassen, der Unterleib verschwindet halb im feuchten Schwarz. Es sieht aus, als hätte er sich aus dem Grab herausarbeiten wollen, von tief unten. Grausig wirkt das. Durch die aufspritzenden Regentropfen ist die Haut mit Friedhofserde schwarz gesprenkelt.

Wie sich der Doktor aufrichtet, gibt er den Blick auf den Leichnam vollständig frei. Ein junger Bursch, achtzehn oder neunzehn, sehr mager, Rippen und Schlüsselbeine stehen deutlich hervor. Die Arme hinter den Oberkörper gebogen, offenbar mit Handschellen fixiert. Auf der Brust Einschnitte und der Kopf mit bräunlichem Blut verkrustet.

Der Sandner tritt näher, verharrt neben dem Körper.

Die Gesichtszüge des Jungen sind im Schmerz verzerrt, die Augen aufgerissen, der Moment des Sterbens, wie auf Polaroid.

Ein Regentropfen, der in die Pupille des Jungen fällt, zwingt Sandner zum Blinzeln. Die Augen will er ihm am liebsten zudrücken. Die Schnitte auf der Brust verkörpern ein blutiges Pentagramm. Zahlreiche Tätowierungen, als sei die Haut von einem Künstler als Skizzenblock benutzt worden. Ein mächtiger chinesischer Drache krallt sich in die Schulter, den schuppigen, grünroten Schweif mehrfach um den linken Oberarm geschlungen. Um den Rechten wickelt sich ein Stacheldrahtband. Durch eine Brustwarze ist ein silbern glänzender Ring gezogen. In der Pinakothek der Moderne würde das als ausgefallene Installation durchgehen. Das tät das Mörderfangen unbedingt erleichtern, das Schild mit dem Künstlernamen.

»Grüß Gott«, sagt der Doktor und reckt den Kopf aus der Kapuze. Adlernase und graue, buschige Augenbrauen kommen zum Vorschein. Es ist nicht der Aschenbrenner, den der Polizist erwartet hat.

»Servus, Hauptkommissar Sandner«, stellt er sich vor, »wo ist denn der Aschenbrenner?«

»In Bad Kohlgrub, Wellnesswochenende – Moorbäder, Klangschalenmassagen, all inclusive. Morgen sieht er wieder aus wie neu«, antwortet sein Gegenüber.

»Tät uns allen nicht schaden, so eine Ganzkörperrenovierung«, sagt der Sandner.

»Früher oder später reicht’s bei uns allen eh bloß noch für die Schrottpresse.«

»Sehr poetisch ausgedrückt.«

»Für die Verklärung bin ich nicht zuständig, andere Baustelle. Tja, also ich vertrete den Aschenbrenner. Doktor Schädlinger – nun Todesursache, Gewalteinwirkungen am Schädel respektive Hinterkopf. Massiver Schlag, Impressionsfraktur höchstwahrscheinlich. Fremdeinwirkung ist anzunehmen. Man fesselt sich nicht und haut sich den Hinterkopf ein danach, wenn man nicht Houdini heißt und Entfesselungskünstler ist. Schlangenmensch schließen wir aus.« Der Schädlinger lacht meckernd, berauscht vom eigenen schalen Witz. Zwischen den Grabsteinen tönt es wider.

Wenn man Sandner heißt und es früh am Morgen ist, möchte man das Zickengeblöke ohne Umstände zurück in den Schlund stopfen. Der Doktor wandelt auf schmalem Grat. Auf Sandners Nerven probiert er das Geigespielen.

»Mordwaffe? Und die Schnitte am Körper?«, fragt der knapp.

»Schwer zu sagen, vor Ort gefunden wurde nix Passendes. Eine Eisenstange, ein Hammer, stumpfe Seite von einem Beil, das wäre die richtige Hausnummer. Große Wucht, auf jeden Fall. Und das Pentagramm? Nicht tödlich, oberflächige Schnitte, filigran in die Subcutis geritzt. Übrigens – sieht so aus, als ob da Schmuck an der rechten Brustwarze fehlt, könnte rausgerissen sein. Und – erster Eindruck für die Verletzungen – postmortal.«

»Ach so? Und wann ist er ungefähr gestorben?«

»Ist noch nicht lang her, zwischen drei und vier, genauer kriegen Sie es ja noch, sehen Sie, weil wenn Sie ...«

Er beugt sich über die Leiche und dreht sie schnaufend zur Seite.

Der Blick vom Sandner geht gen Himmel, Regentropfen zerplatzen auf seiner Haut. Er presst die Augenlider zusammen. Froh ist er, dass er die Nässe spüren kann – dass er überhaupt spüren kann. Seine Tochter Sanne und all die anderen, die er gern hat, sie könnten genau so den Regen fühlen, gerade jetzt. Er malt sich aus, wie sie ihre Köpfe in den Schauer recken und lachen, sich narrisch freuen an der Lebendigkeit. Nie möchte er jemanden so anschauen müssen, für den er etwas empfindet, den er lieb hat – so hingeschmissen, zum Kadaver gehauen, das Hirn bloßgelegt, filigran in die Subcutis geritzt. Verreckter Scheißdreck!

Diesen kurzen Moment hat er aussetzen müssen, bis er wieder als Ermittler mitwürfeln kann. Ihn fröstelt.

Die knarrende Stimme vom Schädlinger dringt schon wieder zu ihm durch, »... und ob der hier die tödlichen Schläge bekommen hat, ist schwer zu sagen, weil bei dem Regen und der frischen Erde – vielleicht könnte man die abtragen und die Blutsättigung der Erde ...«

»Es reicht, wenn die Spusi feststellt, dass der in einer Plane hergeschleppt wurde.«

Die Frau vom Erdlinger Sepp! Wenn sie noch in der Graberde wühlten, könnten sie die gleich reinlegen, wegen dem Gram.

Er hat nie gern Leichen angeschaut, anfassen tut er sie nicht. Da hat er als niegelnagelneuer Polizist ein traumatisches Erlebnis gehabt.

Wie er da nach einer Meldung zu einer mutmaßlichen Leiche hingefahren ist. Sendling, sozialer Wohnungsbau, wo sich dumme Klischees vordrängeln, wie die Wildschweine bei der Sauschütt, wenn’s Eicheln frisch vom Baum gibt.

Da hat unser junger Sandner schon beim ersten Gekritzel im Hauseingang, »Tomas ist ein Hurenson«, die Schublade im Hirn aufgemacht, das war alles säuberlich sortiert. Nur will die Wahrheit oft vom bösen Schein nichts wissen, wie der Sandner hier exemplarisch lernen durfte, fürs Leben.

Seit einer Woche hat sie aus der Wohnung unter ihr niemanden mehr gesehen, hatte die Nachbarin gesagt, der Hausverwaltung wär es wurscht gewesen, aber es würde schon komisch riechen.

Die Feuerwehr hat flockig die Tür aufgestemmt, und er, ganz naseweiser Frischling, SEK gespielt – gleich rein in die Wohnung. Ein Gestank, barbarisch, dass er sofort loskotzen hätte können.

Im Nebenzimmer hat ein Mensch nackt auf einer fleckigen Pritsche gelegen. Ein schwammiger Kerl mit blasser Haut und Halbglatze.

Der Sandner, gleich hin und beugt sich drüber. Er hat geglaubt, der liegt da schon Minimum eine Woche. Hat sich auch nix gemuckst oder geschnauft. Wenn der Sandner mehr Erfahrung gehabt hätte mit dem Sterben oder aufmerksamer hingeschaut – es wäre wahrscheinlich anders gekommen. Dann hätte dem jungen Polizisten vielleicht das Fehlen von Leichenflecken oder sonstigen Insignien, mit denen das Ableben so einhergeht, auffallen können.

An die Decke gestarrt hat die Leiche, mit getrübten Linsen und einer Vorhangkordel um den Hals. Aber urplötzlich fährt sie hoch und packt ihn beim Schlafittchen.

Den Schrei vom Sandner hat man noch vier Straßen weiter hören können.

Asphyxia erotica hat ihn der Aschenbrenner später schmunzelnd aufgeklärt. Die Selbststrangulation zu weit getrieben. Und gestunken hat bloß der ganze Müll, besonders die zerbrochenen, fauligen Eier und die alten Sardinenbüchsen, von der Kochnische her.

Dass der Mann blind gewesen war und das mit dem Müll nur passieren konnte, weil seine Tochter beim Preisausschreiben der »Für Sie« eine einwöchige Menorcareise gewonnen hat, hat der Sandner erst hinterher erfahren. Die Reise war für zwei gewesen, all inclusive, und sie hat einen Vorwerkvertreter mitgenommen, der, obwohl ohne Geschäftsabschluss, öfter bei ihr reingeschaut hat. So ist das mit der Liebe und dem Schein, frag den Shakespeare.

Es hat schon eine Weile gebraucht, bis den Sandner seine Kollegen nicht mehr »unseren Münchner Jesus« genannt haben.

Erst hat er gemeint, er könnte sich desensibilisieren, wie die Leute mit der Angststörung, mit denen der Psychologe im Aufzug so oft den Olympiaturm hochfährt, bis er ihnen nicht mehr die schweißigen Hände vom Nothalt reißen muss. Bei jeder neuen Leiche hat er sich vorgenommen, herzhaft zuzugreifen. Aber jedes Mal, wenn er sich darüberbeugen wollte, hat er sich nicht mehr rühren können. Die Erwartung hat ihn verschnürt, wie ein Packerl. Er hat damit gerechnet, dass ihn der Tote am Kragen packt, selbst wenn faktisch nichts Praktikables am Rumpf gehangen ist, mit dem die Leich hätte grabschen können.

Und eine Autopsie? Da malt er sich Dinge aus, das langt an Albträumen für einen Fünf-Personen-Haushalt. Dagegen Blut, auch so eine Sache – macht ihm gar nichts. Da wiederum könnte er sprichwörtlich drin baden, wenn das einen Nutzwert hätte.

»Was ist das Schwarze in seinem Gesicht?«

Jetzt hat sich der Sandner doch ein wenig gebeugt, Grenzerfahrung. Vielleicht haben ihn die Handschellen beruhigt.

»Schminke«, hört er eine Stimme hinter sich.

Er dreht sich um.

Einer von den Spusileuten. Jungspund mit Dreitagebart und Knopf im Ohr, bläulich-schwarz gefärbte Haare lugen unter der weißen Kapuze hervor.

»Ich glaube, ich kenn den, Herr Sandner.«

»Wer ist das?«

»Das ist der Schlagzeuger von einer Band, die gestern im ›Zenith‹ gespielt hat. Das Gesicht ... ja und das Tattoo da, auf der Schulter, todsicher.«

»Ja, der Tod ist das Sicherste, auf den kann man setzen.« Sandner verzieht den Mund. Schaut zum Toten hin.

»Wie heißt der?«

»Keine Ahnung, aber die Band heißt ›Nachtgoul‹. Gute Mucke, das ist schad um den.«

»›Nachtgoul‹? Klingt nach diesen Viechern vom Tolkien?«

»Nein, wie die Geister aus dem Kinofilm, ›Herr der Ringe‹, die neun Nazgul. – Wer ist denn Tolkien?«

»Ein russischer Wanderprediger, aber wurscht. Was ist das für Musik? Sie haben keine CD da?«

»Gothic – neue deutsche Härte. Ich hätte es auf’m Handy.«

»Tun Sie’s mal her.«

»Jetzt gleich?«

»Freilich.«

Während der Spusimann mit gerunzelter Stirn Symbole auf dem Display seines Handys antippt, läutet Sandner im Büro an. Dabei kommt ihm eine Erkenntnis über die tiefen Stirnfurchen bei den jungen Leuten, die ihm oft auffallen, als ob die ihre Zeit mit Grübeln vertändeln täten. Die neue Handygeneration, mit den klitzekleinen Bildschirmchen, alles kannst du machen, außer duschen – würde ihn nicht wundern, wenn es da eine direkte Verknüpfung zu Botox-Herstellern gäbe. Wie es überhaupt die seltsamsten Verstrickungen gibt. Man könnte vogelwuid spekulieren, zum Beispiel, ob die Pharmaindustrie das Putzpersonal in Hallenbädern beeinflusst oder die Sonnenschirmpreise an der Adria. Das ist weit entfernt von Paranoia, aber eine Disposition dazu kann dir als Mordermittler nicht schaden. Im Fachjargon: Vernetztes Denken. Das mag einem komisch vorkommen, dass Sandners Hirn angesichts des Toten plötzlich so ausschweift, aber vielleicht hat es einfach auf die Pausentaste gedrückt. »Have a break«, so gesehen geistiger Schokoriegel. Du kannst nicht ständig Mord Leiche, Mord Leiche, Leiche Mord denken, sonst wird’s dir schwindlig im Karussell.

Wieder präsent, erzählt er der Wiesner, was er weiß.

»Schau mal, was du draus machen kannst, und meld dich.«

Dass die Kommissarin Sandra Wiesner im Büro geblieben war, ist beileibe kein Akt von weiblicher Diskriminierung durch den Chef gewesen. Eine solche Effizienz beim Einholen von Informationen, so ein technisches Verständnis, da hätte sich der CIA die Finger danach geschleckt.

Der Hauptkommissar hatte den Eindruck, sie wüsste oft schon im Voraus, was sie noch brauchen täten – prophetische Gabe oder Oberpfälzer Hexenwerk.

Grabestief gestimmte Gitarren, Stakkatoriffs, die Drums hämmern, schlagen hart auf seinen Schädel ein.

Eine martialische Bassstimme düstert was von Blut und endloser Qual daher.

Sandner lauscht den Klängen und muss dabei das Grab anstieren, bis es vor seinen Augen verschwimmt.

Dadadawamm dadadawamm dadadawamm.

Wenn er auf einen Toten getroffen ist, hat er sich immer die Frage gestellt, »wer warst denn du im Leben?«. Von jeher ein Paradox für den Sandner, so lang schnüffeln zu müssen, bis das innere, lebendige Bild vom Toten dem Seziertisch Konkurrenz machen kann.

Mit der Musik von »Nachtgoul« will er gleich reinschauen in die Stube, ein Gespür für den Burschen kriegen, der da vor ihm liegt, so gesehen, schneller Vorlauf.

Das Vorgehen sollte er sich aber nicht patentieren lassen. Falls es, zum Beispiel, den Tubavirtuosen der Daxlhauser Blaskapelle gewaltsam dahinraffen tät, bräuchtest du schon eine sehr spezielle Persönlichkeit, um Ton und Bild in einer Komposition zu ertragen.

Ummantelt vom Klanggewitter, schaudert den Sandner. Die Nässe kriecht ihm gemein in die Knochen, und dumpfe Bedrücktheit legt sich um den Hals, wie ein Galgenstrick. Ein dunkler Schatten saugt ihn auf. Verflucht noch mal! Dieser Geruch von nasser Erde! Er hat es schon auf der Zunge schmecken können, dieses Bittere, Pappige.

Rausgerissen aus dem Leben mit der Wurzel, wie ein Unkraut, und weggeworfen zum Verrotten. Im Tod mag man gleich sein, im Sterben noch lange nicht.

Dadadawamm dadadawamm dadadawamm.

»Dein Schmerz ist mir die Lust.«

Eine schwere Hand legt sich ihm auf die Schulter.

Er schrickt zusammen und reißt sich hektisch die Stöpsel aus den Ohren. »Bist du komplett narrisch?«

Der Bischoff Kare schaut seinen Vorgesetzten verblüfft an, müde Augen hat er, übernächtigt. Selbstverständlich in schwarzer Lederjacke, allerdings mit Taschenschirm. Das kantige Gesicht unrasiert, die Haare duschnass, muss er erst einmal ein Gähnen unterdrücken, bevor er sich äußern kann.

»Hab ja nicht gewusst, dass du jetzt einen Soundtrack brauchst, wenn du einen Tatort anschaust.«

»Freilich – und die Musi spielt dazu. Lustig ham wir’s am Friedhof. Das hat aber gedauert bei dir.«

Er reicht den MP3-Player zurück.

»Was verpasst?«, fragt der Kare.

Der Sandner schüttelt den Kopf. Eigentlich schüttelt er den Kopf über sich und über den Kare, er kann sich denken, wo der herkommt. Ob er ihn fragen soll, was die Kathrin meint, zum Fremdvögeln in Ebersberg und zu seiner Trulla? Besser auf den Toten konzentrieren.

Sein Handy lärmt. Die Wiesner. Er lauscht, wirft einen Blick in die Runde.

»So, wir wissen inoffiziell, wer es ist, ein Spusimann hat ihn erkannt. Die Sandra hat scho die Daten. Dennis Weiß heißt der Bursch, Schlagzeuger von ›Nachtgoul‹. Gestern haben die noch im ›Zenith‹ aufgespielt.«

»Das schaut aus wie ein Ritual oder was Mystisches. Was ist da eingeritzt, ein Pentagramm? Liegt da wie der Jesus unterm Kreuz«, kommentiert sein Kollege.

»Dann bräuchten wir nur drei Tage zu warten, dann könnte er uns die Geschichte selbst erzählen.«

»Glaubst du, das könnt so was Besessenes, Religiöses sein?«

»Frag mich was Leichteres. Schau, das Pentagramm zeigt mit der Spitze nach oben. Das heißt ja per se nicht gleich, das Böse geht um.«

»Glaubst du, dass der Mörder vorher gegoogelt hat? Der gute Wille zählt.«

»Guter Wille wär ein Monogramm.«

»Auf jeden Fall will er uns etwas mitteilen.«

»Wenn das bloß der Fundort ist, gibt es zwei Varianten. Der Täter wollte ihn unbedingt so dem Publikum präsentieren, warum auch immer. Oder – der Tatort hat zum Täter eine Verbindung, daheim zum Beispiel, und er musste ihn eh irgendwo hintun. Weil, wenn du jemanden im Wald derschlägst, kannst du ihn auch flacken lassen und arbeitest dich nicht so ab – oder?«

Der Kare scharrt mit dem Fuß im Kies, zeichnet einen Kreis.

»Beide Möglichkeiten zusammen?«

Die Leichenbestatter erscheinen auf der Bildfläche.

»Seid ihr dann fertig mit ihm?«, will einer der beiden wissen. Tropfnass bauen sie sich auf, wischen sich das Wasser aus den Augen. Keine Regenmäntel, nur eigenartige, braune Weichplastikhüte ohne Krempe. Zwei Steinpilze im Regen. Durch ihre unterschiedliche Größe werden Tote von ihnen in Schräglage transportiert. Hoffentlich Kopf oben, denkt sich der Hauptkommissar. Wie aus dem Panoptikum, Zwerg und Riese in schwarzer Gewandung.

Auf Sandners Nicken hin beugt sich sein Kollege über die Leiche und ruckelt sie hin und her.

»Äha, die Handschellen haben Sicherheitsverschluss, damit man sie ohne Schlüssel wieder aufbringt, so hab ich das gern.« Er fummelt etwas, dann klickt es.

»Wozu sind die überhaupt gut – Kinderspielzeug?«, will der Hartinger wissen, der sich hinkniet, damit ihm kein Detail entgeht. Er muss den Schirm halten.

Die Leichenbestatter und der Kare werfen sich einen wissenden Blick zu.

»Normalerweise nimmst du die zum Vögeln«, erläutert er. Er schiebt die Fesseln behutsam in einen kleinen Beutel.

Ein Spusimann nimmt sie ihm ab.

»Sonst hat er nichts, keinen Schmuck, niente.« Er streift sich die Latexhandschuhe ab.

Der Sandner seufzt auf und nickt den Bestattern zu.

Während sie den Toten vom Grab pflücken, marschiert er zurück zum BMW und holt seine Pennytüte. Am Leichenwagen wartet er auf die beiden. Bevor sie einsteigen, drückt er dem Kleinen die Tüte in die Hand.

»In der Rechtsmedizin gebts das für den Doktor Aschenbrenner ab. Sagts, der Hauptkommissar Sandner will den Todeszeitpunkt wissen, und was er sonst noch sagen kann.«

Überaus skeptisch starrt der Mann auf die Tüte, die er nun mit spitzen Fingern weit von sich hält.

»Todeszeitpunkt, ja?«, versichert er sich, die Stirn tief gefaltet. Er ist sich unsicher, ob er fragen soll, was drin ist, ob er es wirklich wissen will – das nützt der Sandner gnadenlos aus.

»So ist es, und das ist nur für den Aschenbrenner, ja keinem anderen – Servus.«

Bevor das ungleiche Duo protestieren kann, dreht sich der Polizist abrupt um und schreitet zurück auf den Friedhof. Er weiß, dass sie reinschauen, Hauptsache sie geben den Gockel ab. Da setzt er auf hauptkommissarische Autorität.

Es gibt bestimmt Legionen von Vorschriften und Paragrafen bezüglich der Hygiene und Pipapo. Der klassische Patient in der Gerichtsmedizin dürfte jedoch immun sein gegen Hühnerpest und Vogelgrippe.

Wenn man etwas über den Tathergang und das Opfer erfährt, kann man den Täterkreis eingrenzen, basta. Mortui vivos docent. Das ist bei Menschen so und auch beim Federviech.

»Hat jemand noch Kaffee?«, fragt er in die Runde.

Der Rückerl vom KDD kommt auf ihn zu. Zigarette im Mundwinkel, Kragen hochgeschlagen, Dackelgesicht. Der Bogart von der Kripo.

»Servus, Sandner. Brauchst du die Alte noch, die ihn gefunden hat?«, fragt er. »Die ist noch drüben im Bus – da gibt’s auch einen Kaffee – und einen Psychologen.«

»Ich nehm beides – schwarz, ohne Zucker. Hat sie was Wichtiges gesagt, außer dass sie den Jungen entdeckt hat?«

Der Rückerl schüttelt den Kopf, nimmt einen tiefen Zug, bläst den Rauch Richtung Himmel. Seine Augen werden zu kleinen Schlitzen.

»Den Friedhofswärter habt ihr bestimmt auch schon befragt«, stellt der Sandner fest. »Ich les mir dann die Protokolle durch, das reicht eh. Ihr könnt alle nach Hause schicken. Dankschön erst mal.«