Der Schatzmeister des Königs - Jean-Christophe Rufin - E-Book

Der Schatzmeister des Königs E-Book

Jean-Christophe Rufin

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Beschreibung

Der Visionär des Welthandels und sein Traum vom Wohlstand für die ganze Menschheit

Als Sohn eines bescheidenen Kürschners im 15. Jahrhundert in Bourges geboren, wird Jacques Cœur zum reichsten Mann Frankreichs. Seinem finanziellen und kaufmännischen Geschick ist es zu verdanken, dass Karl VII. den Hundertjährigen Krieg beenden kann. Er verändert die Sicht der alten Welt auf den Orient. Er geht bei Königen und dem Papst ein und aus, und bereist alle Länder der im Spätmittelalter bekannten Welt. Er erlebt Niederlagen und Demütigungen, bevor er Freiheit und Wohlstand erreicht. Und von allen Frauen, denen er begegnet, ist es Agnès Sorel, die erste offizielle königliche Maitresse in der Geschichte Frankreichs, mit der ihn eine tiefe Liebe verbindet. Elegant und sprachmächtig erzählt Rufin von Jacques Cœur, dem Visionär weltumspannenden Handels, der den Traum von einer noch unverdorbenen Globalisierung als Chance für die ganze Menschheit träumte und verwirklichte.

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Zum Buch

Als Sohn eines bescheidenen Kürschners im 15. Jahrhundert in Bourges geboren, wird Jacques Cœur zum reichsten Mann Frankreichs. Seinem finanziellen und kaufmännischen Geschick ist es zu verdanken, dass Karl VII. den Hundertjährigen Krieg beenden kann. Er verändert die Sicht der Alten Welt auf den Orient. Er geht bei Königen und dem Papst ein und aus und bereist alle Länder der im Spätmittelalter bekannten Welt. Er erlebt Niederlagen und Demütigungen, bevor er Freiheit und Wohlstand erreicht. Und von allen Frauen, denen er begegnet, ist es Agnès Sorel, die erste offizielle königliche Mätresse in der Geschichte Frankreichs, mit der ihn eine tiefe Liebe verbindet.

Elegant und sprachmächtig erzählt Rufin von Jacques Cœur, dem Visionär weltumspannenden Handels, der den Traum von einer noch unverdorbenen Globalisierung als Chance für die ganze Menschheit träumte und verwirklichte.

Zum Autor

Jean-Christophe Rufin, geboren 1952, ist Arzt, Reisender, Diplomat, Schriftsteller und humanitärer Aktivist. Er zählt damit zu den charismatischsten und vielseitigsten Persönlichkeiten des französischen Kulturlebens. Er schrieb zahlreiche sehr erfolgreiche Romane, in denen er sich mit weltpolitischen und gesellschaftlichen Fragen befasst, eingebettet in eine historische Handlung. Viele seiner Werke erhielten Auszeichnungen, darunter den Prix Goncourt. Seit 2008 ist er Mitglied der Académie française. Nach Das rote Halsband ist Der Schatzmeister des Königs sein zweiter Roman bei C. Bertelsmann.

Jean-Christophe Rufin

DERSCHATZMEISTER

DES KÖNIGS

Roman

Aus dem Französischen von Nathalie Lemmens

C. Bertelsmann

Die Originalausgabe erschien 2012 unter dem Titel »Le grand Cœur« bei Éditions Gallimard, Paris.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Die Arbeit der Übersetzerin am vorliegenden Text wurde vom Deutschen Übersetzerfonds gefördert.

Dieses Buch wurde während des Kulturjahres »Frankfurt auf Französisch« veröffentlicht.

© 2017 by C. Bertelsmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: www.buerosued.de, München

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN: 978-3-641-19833-6V002

www.cbertelsmann.de

Zwei waren wir und hatten nur ein einzig Herz.

François Villon

I. Im Reich des wahnsinnigen Königs

Ich weiß, dass er hier ist, um mich zu töten. Ein kleiner, gedrungener Mann, der nicht die phönizischen Züge der Bewohner von Chios aufweist. Er versteckt sich, so gut er kann, aber ich habe ihn mehrmals in den Gassen der Oberstadt und am Hafen gesehen.

Die Natur auf dieser Insel ist so schön, und ich kann einfach nicht glauben, dass ich in einer solchen Umgebung den Tod finden soll. Ich habe in meinem Leben so viel Angst gehabt, schon so oft Gift, einen Unfall oder den Dolch gefürchtet, dass ich mit der Zeit zu einer recht genauen Vorstellung von meinem Ende gelangt bin. Ich habe es mir immer im Halbdunkel ausgemalt, im abendlichen Dämmerlicht eines trüben, feuchten Regentages, eines Tages wie dem meiner Geburt und aller weiteren Tage meiner Kindheit. Wie könnten diese gewaltigen, von Saft strotzenden Feigenkakteen, diese violetten, an den Mauern herabhängenden Blütentrauben, wie könnten diese reglose, vor Hitze wie die Hand eines Liebhabers bebende Luft, diese nach aromatischen Pflanzen duftenden Wege, diese wie Frauenhüften gerundeten Ziegeldächer, wie könnte all diese friedliche, schlichte Pracht ein Werkzeug sein der undurchdringlichen, ewigen Nacht, des gewaltsamen Winters meines Todes?

Ich bin sechsundfünfzig Jahre alt. Mein Körper ist vollkommen gesund. Die Folterungen, die ich während meines Prozesses erdulden musste, haben keinerlei Spuren hinterlassen. Sie haben mir nicht einmal die Menschen verleidet. Zum ersten Mal seit Langem, vielleicht sogar in meinem ganzen Leben, habe ich keine Angst mehr. Ruhm, unermesslicher Reichtum und die Freundschaft der Mächtigen haben allen Ehrgeiz, alle begierige Hast, alle nichtigen Träume, die ich gehegt haben mag, versiegen lassen. Falls der Tod mich heute ereilen sollte, wäre er ungerechter denn je.

Elvira neben mir weiß nichts davon. Sie ist auf dieser griechischen Insel geboren und hat sie nie verlassen. Sie ahnt nicht, wer ich bin, und genau das liebe ich an ihr. Wir sind uns erst nach dem Auslaufen der Kreuzfahrerschiffe begegnet. Sie hat nicht gesehen, wie die Kapitäne, die zum Kampf gerüsteten Ritter und der Legat des Papstes mir ihren übertriebenen Respekt bezeugten und ihre geheuchelten Huldigungen darbrachten. Sie hatten mir meine vermeintlichen Schmerzen und Bauchflüsse geglaubt und eingewilligt, mich auf dieser Insel zurückzulassen, um hier zu genesen oder, was wahrscheinlicher wäre, hier zu sterben. Ich hatte sie angefleht, mich in einer Herberge beim Hafen unterzubringen und nicht in der Zitadelle des alten Podestà. Ich hatte behauptet, ich würde vor Scham sterben, sollte dieser edle Genuese bei der Rückkehr von seiner Reise erfahren, dass ich dem Kampf untreu geworden war … In Wahrheit fürchtete ich jedoch vor allem, er könne herausfinden, dass ich mich bester Gesundheit erfreute. Ich wollte ihm weder zu Dank verpflichtet sein noch Gefahr laufen, dass er mich zu gegebener Zeit daran hindern würde, die Insel zu verlassen, um endlich frei zu sein.

So kam es also zu jener lächerlichen Szene, bei der ich, die Arme über den Laken ausgestreckt, im Bett lag, nicht vor Fieber schwitzend, sondern wegen der drückenden Hitze, die vom Hafen herauf in das Zimmer stieg. In einem Gewühl, das über die hölzerne Stiege bis in den niedrigen Raum darunter reichte, drängten sich am Fußende meines Bettes Ritter im Waffenrock, Prälaten in ihrem prächtigsten, noch von den Schiffstruhen zerknitterten Messgewand und Hauptleute mit ihrem Helm unter dem Arm, die sich mit dicken Fingern die Tränen wegwischten. Sie alle heischten durch ihr betretenes Schweigen Vergebung für die Feigheit, derer sie sich schuldig zu machen glaubten, indem sie mich meinem Schicksal überließen. Mein eigenes Schweigen hingegen gab sich als das der Absolution, der widerspruchslos hingenommenen Bestimmung. Sowie der letzte Besucher das Haus verlassen hatte und ich sicher war, unten in der Gasse nicht länger das Klirren der Waffen und den Klang von Sohlen und Hufeisen auf den Pflastersteinen zu hören, brach das Lachen aus mir heraus, das ich so mühsam unterdrückt hatte. Ich lachte eine gute Viertelstunde lang.

Als der griechische Wirt mich hörte, glaubte er zunächst, der Todeskampf habe bei mir die grässliche Maske der Komödie aufgesetzt. Doch als ich die Laken zurückschlug und aufstand, begriff er schließlich, dass ich einfach nur glücklich war. Er brachte gelben Wein herauf, und wir stießen miteinander an. Am nächsten Tag entlohnte ich ihn großzügig. Er besorgte mir Bauernkleidung, und ich unternahm einen Spaziergang durch die Stadt, um meine Flucht von der Insel vorzubereiten. Da erst bemerkte ich den Mann, der mich töten will. Ich hatte nicht mit dieser Begegnung gerechnet. Und sie erfüllte mich eher mit Bestürzung denn mit Angst. Bedauerlicherweise bin ich solche Zeichen der Gefahr seit Langem gewohnt, doch während der vergangenen Monate waren sie nahezu verschwunden, und ich glaubte mich von ihnen erlöst. Einmal mehr durchkreuzte die Jagd auf mich meine Pläne. Diese Insel zu verlassen, wurde schwieriger und gefährlicher.

Zunächst durfte ich keinesfalls weiter in der Stadt bleiben, wo ich leicht enttarnt werden konnte. Ich bat den Gastwirt, für mich ein versteckt gelegenes Haus auf dem Land zu mieten. Schon am nächsten Tag hatte er eines gefunden und erklärte mir den Weg dorthin. Vor nunmehr einer Woche brach ich im Morgengrauen auf. Erst im letzten Moment entdeckte ich das Haus, denn es liegt hinter Dornenhecken verborgen, die es vor den Landwinden schützen. Schweißgebadet und mit dem feinen Staub des kreidigen Wegs bedeckt, traf ich in den warmen Morgenstunden dort ein. Eine groß gewachsene, braunhaarige Frau namens Elvira erwartete mich. Der Wirt muss die Summe, die ich ihm gegeben hatte, als sehr beachtlich empfunden haben, und vermutete einen Irrtum. Um zu verhindern, dass ich zurückkam und diesen richtigstellte, hatte er den Gefallen, den er mir erwies, erweitert und die Miete des Hauses um eine Frau ergänzt.

Elvira, mit der ich mich nur durch Blicke verständigen konnte, empfing mich mit einer Schlichtheit, wie ich sie schon sehr lange nicht mehr erlebt hatte. Für sie war ich weder der Argentier, der einflussreiche Hoflieferant des französischen Königs, noch der unter dem Schutz des Papstes stehende Flüchtling, sondern einfach bloß Jacques. Meinen Nachnamen erfuhr sie, indem ich ihre Hand nahm und sie auf mein Herz legte. Doch als einzige Reaktion auf dieses Geständnis ergriff sie ihrerseits meine Hand, und zum ersten Mal spürte ich unter meinen Fingern ihren runden, festen Busen.

Schweigend hieß sie mich meine Kleider ausziehen und wusch mich mit nach Lavendel duftendem Wasser, das sie in einem großen Tonkrug in der prallen Sonne erwärmt hatte. Während sie mich behutsam mit feiner Asche abrieb, betrachtete ich in der Ferne die steilen, grau-grünen, mit Olivenbäumen bedeckten Küstenhänge. Die Kreuzzugsflotte hatte den Meltemi abgewartet, um auszulaufen. Langsam entfernten sich die Schiffe, die Segel vom lauen Wind nur schwach gebläht. Wie konnte man diese letzte Spazierfahrt in sicherer Entfernung zu den Türken überhaupt noch Kreuzzug nennen? Vor drei Jahrhunderten, als Ritter, Prediger und arme Teufel gegen das Heilige Land zu Felde zogen, um dort entweder Ruhm oder den Märtyrertod zu finden, hatte das Wort noch eine Bedeutung. Aber welche Anmaßung, diese Reise in heutigen Zeiten noch mit dem großspurigen Namen Kreuzzug zu belegen, da die Osmanen überall siegreich sind, niemand weder die Absicht hat noch über die Mittel verfügt, sie zu bekämpfen, und das ganze Unternehmen sich darauf beschränkt, die wenigen Inseln, die noch entschlossen sind, ihnen Widerstand zu leisten, zu ermutigen und mit guten Worten zu wappnen! Sie war nichts weiter als die Laune eines alten Papstes. Leider hatte dieser alte Papst mir das Leben gerettet, und so hatte auch ich mich an diesem Mummenschanz beteiligt.

Danach griff Elvira nach einem mit lauwarmem Wasser getränkten Meerschwamm. Sie wusch mich methodisch, ohne die kleinste Stelle meiner Haut auszulassen, und ich erschauerte unter der Berührung, die sich sanft und rau anfühlte wie eine Katzenzunge. Die Schiffe schaukelten verdrießlich auf dem blauen Schild des Meeres. Sie bewegten sich kaum vorwärts, die Masten geneigt wie die Krücken einer Schar Kriegsversehrter. Rings um uns her füllte das schrille Zirpen der Grillen die Stille mit Erregung und Erwartung. Als ich Elvira an mich zog, sträubte sie sich und führte mich ins Haus. Wie bei allen Völkern des Orients liegt für die Bewohner von Chios das Glück im Schatten, in der Kühle, hinter schützenden Mauern. Pralle Sonne, Hitze und offener Raum sind für sie eine unerträgliche Tortur. Wir blieben liegen, bis es dunkel geworden war, und an diesem ersten Abend aßen wir im Schein einer Öllampe auf der Terrasse schwarze Oliven und Brot.

Am nächsten Tag begleitete ich Elvira in meiner Verkleidung, das Gesicht unter einem großen Strohhut verborgen, in die Stadt. Auf dem Markt sah ich hinter einem Stand mit Feigen erneut den Mann, der hier ist, um mich zu töten.

In früheren Zeiten hätte mich diese Entdeckung zum Handeln bewogen: Ich hätte mein Heil im Kampf oder in der Flucht gesucht. Doch diesmal blieb ich, ohne eine Entscheidung zu treffen, wie gelähmt. Seltsam, wie mich die Gefahr, statt mich der Zukunft entgegenzutreiben, nun in die Vergangenheit zurückversetzt. Ich sehe nicht, welches Leben ich morgen führen werde, nur das Heute und vor allem das Gestern. Die Süße des Augenblicks beschwört die Geister der Erinnerung herauf, und zum ersten Mal verspüre ich das drängende Bedürfnis, diese Bilder auf Papier zu bannen.

Vermutlich ist der Mann, der auf mich angesetzt wurde, nicht allein. Im Allgemeinen handeln solche Mörder zu mehreren. Ich bin mir sicher, dass Elvira viel über sie herausfinden könnte. Sie liest mir jeden Wunsch von den Augen ab. Und hieße einer davon zu überleben, würde sie alles tun, um ihn zu erfüllen. Aber ich habe nichts zu ihr gesagt, nichts angedeutet. Nicht, weil ich sterben wollte. Ich bin der vagen Überzeugung, dass mein Tod, wenn er mich denn ereilt, Teil eines größeren Schicksals sein wird und es für mich zunächst entscheidend ist, dieses zu entziffern. Das ist der Grund, warum sich all meine Gedanken rückwärts wenden. Die entschwundene Zeit hat die Erinnerungen in meinem Geist zu einem festen Knäuel verschlungen. Ich muss es langsam abwickeln, um schließlich den Faden meines Lebens zu spannen und zu begreifen, wer ihn dereinst zerschneiden soll. Darum habe ich mit diesen Aufzeichnungen begonnen.

Elvira hat unter der Laube, auf der Seite der Terrasse, die ab dem späten Vormittag im Schatten liegt, ein hölzernes Brett aufgebockt. Dort schreibe ich vom Morgen bis in den späten Nachmittag. Meine Hand ist es nicht gewohnt, die Feder zu halten. Seit vielen Jahren haben andere das für mich getan, und auch eher, um Zahlen aneinanderzureihen als Worte. Wenn ich mich beim Bilden der Sätze zur Zucht mahne, wenn ich mich zwinge, Ordnung in das zu bringen, was das Leben als wildes Durcheinander in mich hineingeworfen hat, spüre ich in meinen Fingern und meinem Geist einen Schmerz, der an Lust heranreicht. Mir scheint, als hätte ich auf eine neue Weise teil an jener mühevollen Geburt, durch die alles, was einst in die Welt gekommen ist, nach der langen Reifephase des Vergessens in Gestalt von Schrift wieder in sie zurückkehrt.

Unter der glühenden Sonne von Chios wird alles, was ich erlebt habe, hell, bunt und schön, sogar die schmerzlichen und dunklen Momente.

Ich bin glücklich.

*

Meine früheste Erinnerung reicht in mein siebtes Lebensjahr zurück. Davor ist alles verschwommen, dunkel und einförmig grau.

Ich wurde in dem Moment geboren, als der König von Frankreich den Verstand verlor. Schon sehr früh hat man mir von diesem Zufall erzählt. Ich habe nie geglaubt, dass es auch nur die geringste – und sei es übernatürliche – Verbindung geben könnte zwischen dem abrupten Wahnsinn, dem Karl VI. verfiel, als er durch den Wald von Orléans ritt, und meiner Geburt im nicht weit von dort entfernten Bourges. Doch ich war stets davon überzeugt, dass das Licht der Welt mit dem Verstand des Monarchen zusammen erloschen sei, so wie bei der Verfinsterung eines Gestirns. Das war der Ursprung all der Schrecken, die uns umgaben.

In meinem Elternhaus und auf der Straße war von nichts anderem die Rede als dem Krieg gegen die Engländer, der bereits seit mehr als einem Jahrhundert andauerte. Jede Woche, manchmal sogar jeden Tag erreichten uns Berichte von einem neuen Massaker, einer weiteren an Unschuldigen begangenen Schandtat. Dabei lebten wir im Schutz der Stadt. Das offene Land, wohin ich nie ging, schien alle Gräuel zu erleiden. Unsere Dienstmägde, die Verwandte in den umliegenden Dörfern hatten, kehrten mit abscheulichen Geschichten von dort zurück. Meinen Bruder, meine Schwester und mich hielt man von diesen Schilderungen vergewaltigter Frauen, gefolterter Männer und niedergebrannter Bauernhöfe fern, und natürlich wollten wir nichts lieber, als sie hören.

All das spielte sich ab in einem regnerischen Grau in Grau. Unsere gute Stadt schien in ewiges Nieseln getaucht. Im Winter wurde der Regen ein wenig schwärzer, aber bis zum Ende des Frühjahrs und von Beginn des Herbstes an durchlief er sämtliche Schattierungen von Grau. Nur im Sommer stand die Sonne dauerhaft am Himmel. Dann senkte sich die Hitze mit einer Wucht auf die Stadt herab, auf welche diese nicht vorbereitet war, und die Straßen überzogen sich mit Staub. Unsere Mütter fürchteten Epidemien: Sie sperrten uns in den Häusern ein, wo uns hinter den geschlossenen Läden erneut Düsternis und Grau erwarteten, sodass wir nie die Gewohnheit verloren.

Ich war zu der diffusen Überzeugung gelangt, dass die Welt nur so war, wie sie war, weil wir im verfluchten Reich eines wahnsinnigen Königs lebten. Bis zu meinem siebten Lebensjahr war es mir nicht in den Sinn gekommen, dass dieses Elend irgendwo ein Ende haben könnte: Ich hatte keine Vorstellung von einem Anderswo, ob schlimmer oder besser, jedenfalls anders. Natürlich gab es die Jakobspilger, die in ferne, beinahe märchenhafte Lande aufbrachen. Ich sah sie unsere Straße heraufkommen. Den Bettelsack umgehängt, trugen sie ihre Sandalen in der Hand, nachdem sie ihre Füße stundenlang im Auron gekühlt hatten, der unterhalb unserer Vorstadt vorbeifließt. Es hieß, sie seien auf dem Weg zum Meer. »Zum Meer?« Mein Vater hatte mir diese riesige Wasserfläche beschrieben, die sich genauso weit erstreckte wie das offene Land. Aber seine Worte klangen konfus: Ich begriff rasch, dass er nur wiederholte, was andere ihm erzählt hatten. Er selbst hatte es nie gesehen.

All das änderte sich in meinem siebten Lebensjahr, an dem Abend, als ich die roten Augen und das fahlgelbe Fell des Raubtiers erblickte.

Mein Vater war Kürschner. Er hatte sein Handwerk in einem kleinen Marktflecken erlernt. Als er sich auf den Umgang mit einfachen Fuchs- und Kaninchenfellen verstand, kam er in die Stadt. Zweimal pro Jahr verkauften Rauchwarenhändler auf den großen Messen die selteneren Pelze, Grauwerk oder Feh. Doch leider machten die Gefahren des Kriegs die Reise dorthin meist unmöglich. So war mein Vater auf fliegende Händler angewiesen, die ihm Felle anboten, welche sie bei den Großhändlern erstanden hatten. Manche dieser Verkäufer waren auch Jäger, welche die Tiere selbst in den Tiefen der Wälder erlegt hatten. Unterwegs hatten ihnen die Häute als Währung gedient: Sie tauschten sie gegen Essen oder ein Dach über dem Kopf. Zudem kleideten sich die Männer der Wälder meist in ihre Pelze. Aber sie trugen das Fell nach außen gekehrt, während die Arbeit von Kürschnern wie meinem Vater darin bestand, die Häute mit der Fellseite nach innen zusammenzusetzen, sodass sie den Träger wärmte und lediglich an den Ärmelaufschlägen und am Kragen ein wenig hervorschaute. Lange bestand für mich der Unterschied zwischen zivilisierter Welt und Barbarei in ebendiesem Kriterium. Ich gehörte der Gemeinschaft entwickelter Menschen an und zog jeden Morgen ein mit unsichtbarem Schaffell gefüttertes Wams über. Wohingegen die wilden Männer, den Tieren gleich, noch von Haaren bedeckt zu sein schienen, selbst wenn es nicht ihre eigenen waren.

In der Werkstatt, die sich zu dem kleinen Hof hinter dem Haus hin öffnete, stapelten sich in Ballen zu ein oder zwei Zimmern Feh-, Marder- und Zobelpelze. Ihre grauen, schwarzen und weißen Schattierungen entsprachen unseren steinernen Kirchen und den Schieferdächern, die der Regen mit einem ins Schwarz spielenden Violett überzog. Das rötliche Schimmern mancher Felle erinnerte an Herbstlaub. Und so spiegelten, von unserer Heimat bis in die tiefsten Wälder ferner Länder, die gleichen monotonen Farben die ewige Schwermut der Tage wider. Alle sagten, ich sei ein trauriges Kind. In Wahrheit jedoch war ich vielmehr enttäuscht darüber, zu spät in eine Welt hineingeboren zu sein, aus der alles Licht gewichen war. Ich hegte die unbestimmte Hoffnung, dass es eines Tages wieder aufleuchten könnte, denn ich spürte in mir keinerlei Neigung zur Melancholie. Es bedurfte nur eines Zeichens, damit sich meine wahre Natur offenbarte …

Und dieses ersehnte Zeichen kam eines Novemberabends. Die Glocken der Kathedrale hatten zur Vesper geläutet. In unserem neuen, ganz aus Holz erbauten Haus teilte ich mir mit meinem Bruder ein Zimmer im zweiten Stock unter der Dachschräge. Ich spielte gerade mit dem Hund meiner Mutter, dem ich ein Wergknäuel zuwarf. Nichts machte mir mehr Spaß, als zu sehen, wie er sich mit erhobenem Schwanz die steile Treppe hinabstürzte, wenn ich das Knäuel für ihn hinunterfliegen ließ. Wenn er wieder hochkam, hielt er es stolz im Maul und knurrte, während ich es ihm erneut abnahm. Es war ein trüber Abend. Ich hörte den Regen auf das Dach prasseln. Meine Gedanken schweiften ab. Ich warf dem Hund seinen Ball zu, doch sein Treiben belustigte mich nicht länger. Plötzlich herrschte im Zimmer unerwartete Stille: Der Hund war die Treppe hinuntergestürmt, aber nicht mehr heraufgekommen. Ich bemerkte es nicht sofort. Erst als ich ihn ein Stockwerk unter mir kläffen hörte, wurde mir bewusst, dass etwas Ungewöhnliches geschehen war. Ich ging zu ihm. Der Hund stand an der obersten Stufe der Treppe, die vom Erdgeschoss heraufführte. Er reckte die Schnauze und schien unten etwas gewittert zu haben. Ich schnupperte, aber mein menschlicher Geruchssinn entdeckte nichts Auffälliges. Der Duft des frischen Brots, das unsere Hausmagd einmal in der Woche mit meiner Mutter backte, überdeckte den muffigen Geruch der Pelzwaren, an den wir alle gewöhnt waren. Ich sperrte den Hund in ein kleines Kabuff, in dem meine Mutter Bettwäsche und Kissen aufbewahrte, und schlich nach unten, um nachzusehen, was dort vor sich gehen mochte. Ich achtete darauf, dass die hölzernen Stufen nicht knarzten, denn meine Eltern hatten uns verboten, uns ohne triftigen Grund in den unteren Räumen aufzuhalten.

Ein Blick durch die halb offene Tür verriet mir, dass in der Küche alles wie immer war. Der Hof lag verlassen da. Ich näherte mich der Werkstatt meines Vaters. Die zur Straße hin gelegene Arbeitsstube war wie jeden Abend mit Holzbrettern verschlossen. Das bedeutete, dass nach den letzten Kunden auch die Gesellen gegangen waren. Dennoch war mein Vater nicht allein. Eng an die Tür zum Hof gedrückt, sodass man mich von innen nicht sehen konnte, bemerkte ich einen unbekannten Mann, der mir den Rücken zuwandte. Er hielt einen Jutesack in der Hand, in dem sich etwas bewegte. Die Umrisse meines Vaters und seines Besuchers zeichneten sich vor dem weißen Hintergrund eines Wandbehangs aus Fehwammen ab, der gerade zusammengenäht wurde. Eine Fackel tauchte den Raum in helles Licht. Ich hätte gleich wieder hochgehen sollen. Es war mir strengstens verboten, mich hier aufzuhalten, noch dazu wenn ein Besucher da war. Aber ich verspürte nicht den geringsten Wunsch, mich zurückzuziehen, und ohnehin war es dafür schon zu spät. Alles geschah sehr schnell.

»Zeigt her«, sagte mein Vater, und der Mann gab die Öffnung des Sacks frei. Das Tier, das daraus hervorsprang, war etwa so groß wie eine kleine Dogge. Ein Halsband verband es mit einer Kette. Diese spannte sich abrupt, als das Raubtier mit einem Satz auf meinen Vater losging. Es gab einen erstickten Laut von sich und bäumte sich auf. Dann blickte es in meine Richtung und stieß mit weit aufgerissenem Maul ein raues Brüllen aus, wie ich es noch nie gehört hatte. Ich ließ alle Vorsicht fahren, richtete mich auf und zeigte mich in der Türöffnung. Das Tier sah mich aus seinen porzellanweißen, von einem klaren Strich aus schwarzem Haar gesäumten Augen unverwandt an. Es stand im Dreiviertelprofil vor mir, sodass ich seine Flanke betrachten konnte. Nie zuvor hatte ich eine solche Farbe gesehen, und niemals hätte ich mir vorstellen können, dass ein solches Fell existierte. Im Licht schimmerte sein Haarkleid golden, und auf dem Hintergrund dieser reglosen Sonne funkelten runde Flecken wie schwarze Sterne.

Mein Vater wirkte im ersten Moment verärgert, doch kaum wurde mir bewusst, wie töricht meine Geste gewesen war, da beruhigte er mich auch schon.

»Jacques«, sagte er. »Du kommst gerade recht. Komm her und sieh dir das an.«

Schüchtern trat ich einen Schritt vor, und das Tier sprang los, mitten im Satz eingefangen durch die Kette, die der Mann fest umklammert hielt.

»Nicht näher!«, schrie der Fremde.

Es war ein alter Mann mit pergamentartiger Haut, das magere Gesicht von einem kurzen, ungepflegten Bart bedeckt.

»Bleib, wo du bist«, befahl mein Vater. »Aber schau genau hin. Du wirst vielleicht nie wieder einen sehen: Das ist ein Leopard.«

Mit seiner Marderpelzkappe auf dem Kopf betrachtete mein Vater die träge blinzelnde Raubkatze. Der Mann lächelte und entblößte seinen zahnlosen Mund.

»Er kommt aus Arabien«, flüsterte er.

Ich wandte den Blick nicht von dem Tier. Die goldene Farbe seines Fells verschmolz mit dem Wort, das ich gerade zum ersten Mal gehört hatte. Und der Mann besiegelte diese Verbindung noch zusätzlich, als er hinzufügte: »Da unten Wüste, Sand, Sonne. Immer warm. Sehr warm.«

Ich hatte im Katechismusunterricht von der Wüste gehört, aber ich hatte keinerlei Vorstellung von dem Ort, an den Jesus sich vierzig Tage lang zurückgezogen hatte. Und nun kam diese Welt auf einen Schlag zu mir. Heute begreife ich das alles, aber in jenem Moment herrschte in meinem Bewusstsein keine derartige Klarheit. Umso mehr, als das Tier beinahe unmittelbar darauf zu brüllen und an seiner Kette zu zerren begann, sodass mein Vater rücklings in einen Ballen Biberfelle fiel. Der Fremde zog unter seiner Tunika einen Stock hervor und begann so stark auf das Tier einzuschlagen, dass ich mir sicher war, er hätte es getötet. Als die Raubkatze besinnungslos am Boden lag, packte er sie bei den Pfoten und steckte sie zurück in ihren Sack. Mehr sah ich nicht, denn die Hände meiner Mutter legten sich auf meine Schultern und zogen mich nach hinten. Später sagte sie mir, ich sei ohnmächtig geworden. Wie dem auch sei, am frühen Morgen wachte ich in meinem Zimmer auf, davon überzeugt, alles nur geträumt zu haben, bis meine Eltern beim Frühstück mit mir über den Vorfall redeten.

Im Rückblick weiß ich genau, was es mit diesem Besuch auf sich hatte. Der Mann war ein alter Zigeuner, der seinen Lebensunterhalt damit verdiente, seinen Leoparden zur Schau zu stellen. Manchmal wurde er von gelangweilten Adligen auf ihren Burgen empfangen. Öfter jedoch zog er über die Jahrmärkte und Dorfplätze. Er hatte das Tier im Heiligen Land einem Händler abgekauft. Inzwischen war der Zigeuner alt geworden, und sein Leopard war krank. Mit mehr Erfahrung hätte ich gesehen, dass das Tier geschwächt und ausgehungert war und keine Zähne mehr hatte. Der Schausteller hatte versucht, ihn an einen anderen Jahrmarktgaukler abzugeben, aber keiner wollte ihm einen guten Preis dafür zahlen. Da war ihm der Gedanke gekommen, ihn wegen seines Fells zu verkaufen. Er war zufällig an der Werkstatt meines Vaters vorbeigekommen und hatte ihm ein Geschäft vorgeschlagen. Doch dazu kam es nicht, und ich erfuhr nie den Grund dafür. Mein Vater verfügte zweifellos nicht über die passende Kundschaft für ein solches Stück. Vielleicht hatte er aber auch Mitleid mit dem Tier. Denn mochte meine Mutter auch die Tochter eines Metzgers sein, so verarbeitete er selbst doch stets nur abgezogene Häute und fühlte sich nicht zum Schinder berufen.

Das war der einzige Vorfall dieser Art. Doch auch wenn er sich nicht wiederholte, hatte er mich für mein Leben geprägt. Für einen Moment hatte ich eine andere Welt gesehen. Eine lebendige Welt hier auf Erden, nicht das Jenseits nach dem Tod, das uns die Evangelien verhießen. Diese Welt hatte eine Farbe, die Farbe der Sonne, und einen Namen: Arabien. Es war ein dünner Faden, aber ich zog beharrlich daran. Ich befragte den Abt der Chorherren von Saint-Pierre, unserer Pfarrkirche. Er erzählte mir von der Wüste, vom heiligen Antonius und von den wilden Tieren. Er erzählte mir vom Heiligen Land, das sein Onkel besucht hatte, denn er stammte aus einer adligen Familie und kannte Ritter.

Ich war noch zu jung, um zu verstehen, was er mir sagte. Trotzdem bestärkte er mich in der Überzeugung, dass meine Ahnung begründet war: Nicht die ganze Welt bestand aus Regen, Kälte, Dunkelheit und Krieg. Jenseits des Reichs des wahnsinnigen Königs gab es andere Länder, von denen ich zwar nichts wusste, aber die ich mir vorstellen konnte. So war der Traum also nicht nur das Tor zur Melancholie, eine schlichte Abkehr von der Welt, sondern sehr viel mehr als das: die Verheißung einer anderen Wirklichkeit.

Ein paar Tage später vertraute mein Vater uns abends mit gesenkter Stimme eine schreckliche Neuigkeit an: Ludwig von Orléans, der Bruder des Königs, war in Paris ermordet worden. Nun würden sich die Verwandten des wahnsinnigen Königs endgültig gegenseitig umbringen. Johann von Berry, in dessen direktem Umfeld wir lebten und dessen Hof den größten Teil der Kundschaft meines Vaters ausmachte, würde zwischen den verschiedenen Zweigen seiner Familie nicht mehr lange neutral bleiben können. Schon spürten wir den Pesthauch des Krieges. Meine Eltern zitterten vor Angst, und nicht lange zuvor wäre auch ich der Panik erlegen.

Doch nun, da die Welt zu sehr schmerzte, sprang das Raubtier aus seinem Sack und starrte mich fauchend an. Mir schien, wenn alles um mich herum dunkel würde, könnte ich immer noch zur Sonne hin fliehen. Und wieder und wieder sprach ich, ohne es zu verstehen, jenes magische Wort vor mich hin: Arabien.

*

Fünf Jahre dauerte es, bis der Krieg in unsere Nähe kam. Als er unsere Stadt erreichte, war ich nicht länger in dem Alter, ihn zu fürchten, sondern sehnte ihn vielmehr herbei.

Ich war zwölf in dem Sommer, als die mit den Burgundern verbündete Armee des wahnsinnigen Königs auf uns zumarschierte. Der Herzog von Berry, unser guter Herzog Johann, wie mein Vater ihn mit einem schmerzlichen Lächeln nannte, war daran gehindert worden, die Stadt Paris zu betreten, in der er eine Residenz besaß. Gezwungen, seine übliche Vorsicht aufzugeben, hatte er sich auf die Seite der Armagnacs geschlagen. »Armagnacs«, »Burgunder«, ich hörte diese betörenden, geheimnisvollen Namen am Esstisch, wenn meine Eltern miteinander redeten. Draußen übernahmen wir in unseren Spielen abwechselnd die Rolle einer jener hochgestellten Persönlichkeiten. Auch wir stritten mit unseren Brüdern. Wenn wir die Politik schon nicht in ihren Einzelheiten durchschauten, so glaubten wir zumindest, eine ihrer Triebfedern verstanden zu haben.

Durch Gerüchte, die aus dem Umland zu uns drangen, wussten wir, dass die Burgunder näher kamen. Unsere Dienstmagd stieß auf einen Trupp Soldaten, als sie ihre Eltern besuchte. Mehrere Dörfer rings um das ihre waren geplündert und niedergebrannt worden. Unter Tränen schilderte das arme Mädchen das Unglück, das ihrer Familie widerfahren war. Sie brauchte jemanden, dem sie ihr Herz ausschütten konnte, und ich brachte sie zum Reden.

Obwohl sich diese Ereignisse in unmittelbarer Nähe zu uns abspielten, weckten sie in mir keine Angst, sondern vielmehr brennende Neugier. Ich wollte alles über die Kämpfer erfahren und vor allem über die Ritter. In dieser Hinsicht enttäuschten mich die Schilderungen unseres Mädchens sehr. Die Raubzüge im Umland waren das Werk gemeiner Söldner. Zu keiner Zeit hatten ihre Eltern echte Krieger gesehen, so, wie ich sie mir vorstellte.

Denn meine Begeisterung für den Orient hatte dazu geführt, dass ich viele Berichte über die Kreuzzüge gehört hatte. In der Sainte-Chapelle hatte ich einen Greis kennengelernt, der auf seine alten Tage Diakon geworden war, in seiner Jugend jedoch ins Heilige Land gezogen war, um dort zu kämpfen.

So teilte ich also die Leidenschaft vieler meiner Spielkameraden, wenngleich diese Gemeinsamkeit auf einem entscheidenden Missverständnis beruhte. Sie erlagen dem Reiz der Waffen, der Pferde, der Turniere, all der Ausprägungen von Gewalt und Heldentaten, die bei Heranwachsenden in hohem Ansehen stehen. Für mich jedoch war der Ritterstand vielmehr ein Weg in die wundersame Welt des Orients. Wenn ich eine andere Aussicht gekannt hätte, Arabien zu erreichen, hätte sie mich genauso fasziniert. Aber zu jener Zeit zweifelte ich nicht daran, dass meine einzige Möglichkeit, dorthin zu gelangen und alle Hindernisse zu überwinden, die sich mir dabei in den Weg stellten, auf dem Rücken eines gepanzerten Streitrosses lag, in einer Rüstung und mit einem Schwert an der Seite.

Wir waren eine Bande von etwa fünfzehn Gleichaltrigen, alle in denselben Vierteln als Kinder bürgerlicher Eltern geboren. Dazu gesellten sich ein paar Sprösslinge von Bediensteten oder Hausierern; die Söhne der Adligen würdigten uns keines Blickes. Ich war ein wenig größer als die anderen, aber von schwacher Konstitution. Ich sprach wenig und war bei unseren Spielen nie mit ganzem Herzen dabei. Ein Teil von mir hielt sich immer abseits. Diese distanzierte Haltung wirkte gewiss hochmütig. Man duldete mich in der Gruppe. Doch sobald die Zeit für vertrauliche Gespräche oder anzügliche Geschichten kam, schlossen meine Freunde mich aus.

Wir hatten einen Anführer. Einen dicken Bäckersohn namens Éloi, dessen dichtes, lockiges schwarzes Haar mich an ein Schaffell erinnerte. Seine körperliche Kraft war bereits beeindruckend. Aber seine Vormachtstellung in der Bande rührte vor allem von der Furcht her, die seine kühnen Reden und seine Prahlerei auslösten. Allein aufgrund seines Rufs war ihm der Sieg schon vor dem Kampf gewiss.

Ende Juni standen die Burgunder kurz vor der Stadt. Wir mussten uns auf eine Belagerung vorbereiten. In aller Eile wurden Viehherden in die Vorstädte zurückgeholt. Überall stapelten sich Fässer mit Pökelfleisch, Wein, Mehl und Öl.

Es war ein früher, verregneter Sommer. Anfang Juli brachen Gewitter los. Der Regen ließ das Wasser in Strömen aus den Abläufen der Dachrinnen schießen, was das Chaos und die Panik noch steigerte. Zur größten Freude von uns Halbwüchsigen tauchten Bewaffnete in der Stadt auf und schickten sich an, sie zu verteidigen. Der Hof von Herzog Johann hatte sich bislang eher der Kunst und den Vergnügungen gewidmet als dem Kampf. Nie erschienen die hohen Herren dort im Kriegsgewand. Doch all das änderte sich durch die Gefahr, in der die Stadt nun schwebte. Die Adligen kehrten zu jenem Erscheinungsbild zurück, dem ihre Vorfahren einst die Erhebung in den Grafen- oder Freiherrenstand verdankt hatten. Und eines Tages begegnete ich zum ersten Mal in meinem Leben einem Ritter.

Er ritt im Schritt die gepflasterte Straße hinauf, die zur Kathedrale führt. Ich lief neben ihm her. Mir war, als würde er mich, wenn ich hinter ihm aufs Pferd spränge, nach Arabien mitnehmen, in das Land der ewigen Sonne, das Reich der lebendigen Farben und des Leoparden. Das Pferd trug eine goldbestickte Decke. In den Steigbügeln steckten die Gelenkfüße der Rüstung. Unerklärlicherweise war mir der Mann, der in diesem Panzer steckte, vollkommen gleichgültig. Was mich mehr anzog als alles andere, waren die verarbeiteten Materialien, die ihn unverwundbar machten, das gehämmerte Metall seiner Rüstung, die leuchtenden Farben des Wappens, der dicke Stoff, der das Pferd bedeckte. Ein schlicht gekleideter Mann auf einem gewöhnlichen Reittier hätte nicht die wundersamen Kräfte besessen, die ich diesem Ritter zuschrieb.

Doch leider blieb ich zum Träumen verdammt, denn es erschien mir unmöglich, mich eines Tages über meinen bürgerlichen Stand hinausheben zu können, dessen ich mir mehr und mehr bewusst wurde.

Mein Vater nahm mich immer häufiger mit in den herzoglichen Palast, wenn er dort Geschäfte zu erledigen hatte. Er hoffte nicht, aus mir einen Handwerker zu machen, denn ich war ausgesprochen ungeschickt. Eher sah er mich als Kaufmann. Ich liebte den Rahmen dieser Besuche, die hohen Säle, die Wachen vor jeder Tür, die kostbaren Wandbehänge, die in farbenfrohe Stoffe gekleideten Damen. Ich liebte die Edelsteine, die ihre Halsketten zierten, den Glanz der Schwertknäufe an den Hüften der Männer, das helle Eichenparkett. Mein Interesse steigerte sich noch, als mein Vater mir während einer langen Wartezeit im Vorzimmer eines der Verwandten des Herzogs erklärte, dass der ungewöhnliche Duft, der die Räume erfüllte, von Essenzen herrührte, die aus dem Orient stammten.

Doch gleichzeitig hatten diese Besuche im Palast mir endgültig jede Hoffnung geraubt, jemals ein Teil dieser Welt zu werden. Mein Vater wurde dort mit einer abscheulichen Geringschätzung behandelt, die zu ertragen er sich mir beizubringen bemühte. Jeder, der seine Waren an Prinzen verkaufte, musste sich ihm zufolge geehrt fühlen. Für diese Kundschaft war nichts zu schön. Alles Talent, alle Mühen, die zahllosen mit Nähen, Schneiden und dem Entwerfen von Modellen zugebrachten Nächte, all das bekam erst in dem Moment einen Sinn und einen Wert, in dem ein reicher Kunde seine Zufriedenheit äußerte. Ich merkte mir die Lektion und fügte mich in unser Los. Ich lernte, Selbstverleugnung als Ausdruck von Mut zu betrachten. Wenn wir von einem Besuch im Palast zurückkehrten, wo mein Vater rüde behandelt worden war, verspürte ich Stolz auf ihn. Ich nahm seine Hand und hielt sie während des Heimwegs. Er zitterte, und heute weiß ich, dass Demütigung und Zorn der Grund dafür waren. In meinen Augen jedoch war die Geduld, die er bewiesen hatte, die einzige Form von Tapferkeit, die uns vorbehalten blieb, da es uns niemals beschieden sein würde, die edlen Waffen zu tragen.

Im Kreise meiner Kameraden wahrte ich nach dem Vorbild meines Vaters eine distanzierte Zurückhaltung. Ich redete wenig, stimmte dem zu, was die anderen sagten, und hatte nur einen bescheidenen Anteil an den Abenteuern, die sie sich ausdachten. Sie verachteten mich ein wenig, bis ein Vorfall alles änderte.

Im August des Jahres, in dem ich zwölf wurde, waren die Vorbereitungen zur Belagerung der Stadt abgeschlossen. Wir waren tatsächlich eingeschlossen. Die Ältesten erinnerten sich noch an die Plünderungen durch die Engländer ein halbes Jahrhundert zuvor. Berichte über diese Gräuel machten die Runde, und auf uns Kinder übten sie einen ganz besonderen Reiz aus. Éloi beeindruckte uns jeden Tag mit neuen entsetzlichen Geschichten, welche die Kunden zusammen mit ihrem Geld in den Laden seines Vaters trugen. Er hatte sich zu unserem offiziellen Befehlshaber erklärt, da wir ihm zufolge unter diesen neuen Bedingungen zu einem kämpfenden Trupp wie alle anderen würden. Er hegte große Ziele für unsere kleine Armee, angefangen damit, uns Waffen zu besorgen. Unter strengster Geheimhaltung organisierte er den Feldzug, durch den wir sie in unseren Besitz bringen sollten. Ein paar Tage lang steckte er mit einzelnen Mitgliedern der Bande die Köpfe zusammen und teilte sein Wissen und seine Befehle unter ihnen auf, um selbst die alleinige Macht in Händen zu behalten. Kurz vor dem großen Tag schien eine dieser getuschelten Unterredungen mich zu betreffen, denn alle nahmen daran teil außer mir. Schließlich kam Éloi zu mir und verkündete das Urteil: Ich war dabei.

Schon unter normalen Umständen bedeutete der Sommer eine Zeit der Freiheit für Schüler, die wie wir den Unterricht in der Sainte-Chapelle besuchten. Der Krieg war ein weiterer Grund, die Zügel zu lockern. Wir verbrachten unsere Tage damit, untätig in Hauseingängen herumzusitzen. Nachts konnten wir nicht vor die Tür, und die Stadtwachen nahmen jeden fest, der durch die Straßen streifte. Daher mussten wir unseren Handstreich am helllichten Tag durchführen. Éloi wählte einen warmen Nachmittag ohne Gewitter, der zu einem Nickerchen verleitete. Er führte uns durch den Vorort der Gerber, und von dort aus gelangten wir über einen grasbewachsenen Abhang in die Sümpfe. Er hatte einen Stechkahn entdeckt, neben dem eine hölzerne Stange versteckt war. Wir saßen zu siebt im Boot. Éloi stieß uns mit der Stange ab, und langsam trieben wir los. In der Ferne kam die Kathedrale in Sicht und ragte über uns auf. Keiner von uns konnte schwimmen, und ich bin mir sicher, die anderen waren starr vor Angst. Ich selbst hatte mich bis zu dem Moment gefürchtet, als sich der Kahn vom Ufer löste. Doch als wir nun langsam durch die Algen und Seerosen dahinglitten, durchströmte mich eine unerwartete Freude. Die Sonne und die Augusthitze, das Mysterium des Wassers, auf dessen Oberfläche alle Wege möglich werden, und das Brummen der Insekten wiegten mich in der Illusion, dies sei ein Aufbruch in jene andere Welt, auch wenn ich natürlich wusste, dass diese in Wahrheit unendlich viel weiter entfernt lag.

Nach einer Weile drang der Kahn in ein Schilfrohrdickicht ein. Immer noch stehend, beugte Éloi sich vor und bedeutete uns, still zu sein. Wir bewegten uns weiter den von samtigen Stängelspitzen gesäumten schmalen Wasserarm entlang, bis plötzlich Stimmen an unser Ohr drangen. Éloi stakte den Kahn ans Ufer. Wir sprangen an Land. Ich erhielt den Befehl, an Ort und Stelle zu bleiben und das Boot zu bewachen. Hinter einer Hecke sahen wir in einiger Entfernung einen Trupp Männer, die es sich auf dem Boden bequem gemacht hatten. Zweifellos waren es Marodeure der burgundischen Armee. Etwa zehn Söldner lagen ausgestreckt im Schatten einer Ulme am Ufer einer weiteren Flussschleife, die meisten von ihnen schlafend. Die Knurrlaute, die wir gehört hatten, dienten bei denjenigen, die noch wach waren, als Gespräch. Ihr Lagerplatz befand sich in der prallen Sonne, ein gutes Stück von den Männern entfernt. Um den schwarzen Kreis eines erloschenen Feuers herum verteilte sich ein wildes Durcheinander aus Pelzdecken, Beuteln, Trinkschläuchen und Waffen. Niemand bewachte es. Éloi befahl den drei Kleinsten, durch das Gras zu den Waffen zu kriechen, so viele davon zu stehlen, wie sie tragen konnten, und wieder zurückzukommen. Die Jungen gehorchten. Sie schlichen zum Lager und rafften nahezu lautlos mit beiden Armen Schwerter und Dolche zusammen. Als sie sich gerade wieder auf den Rückweg machen wollten, stand einer der Marodeure schwankend auf, um sich ein Stück abseits der anderen zu erleichtern. Er bemerkte die Diebe und schlug Alarm. Als Éloi ihn brüllen hörte, rannte er als Erster davon, gefolgt von zwei weiteren Jungen, die ihm nie von der Seite wichen.

»Sie haben uns erwischt!«, schrie er.

Zusammen mit seinen beiden Stellvertretern sprang er ins Boot.

»Komm«, befahl er mir.

»Und die anderen?«

Ich stand an der Uferböschung und hielt immer noch die Schnur in der Hand, die wir als Halteleine nutzten.

»Die kommen nach. Los, rein mit dir!«

Als ich immer noch wie erstarrt stehen blieb, riss er mir die Leine aus den Händen und bugsierte den Kahn mit einem kräftigen Stoß in das schützende Schilf. Ich hörte die Stängel knacken, während das Boot davonglitt.

Ein paar Sekunden später trafen die drei anderen schweißüberströmt bei mir ein. Es war für sie Ehrensache gewesen, jeder eine oder zwei der Trophäen zu behalten, die sie an der Feuerstelle gestohlen hatten.

»Wo ist das Boot?«, fragten sie mich.

»Weg«, antwortete ich. »Mit Éloi …«

Heute glaube ich mit Fug und Recht sagen zu können, dass sich in diesem Moment mein Schicksal entschied. Eine erstaunliche Ruhe ergriff von mir Besitz. Niemand, der mich kannte, hätte einen Unterschied zu meiner üblichen phlegmatischen, verträumten Natur bemerkt. Für mich jedoch war es völlig anders. Normalerweise versetzten mich meine Träume in andere Welten, während ich in diesem Moment fest in der unseren verankert blieb. Die Situation stand mir klar vor Augen. Ich sah die Gefahren, wusste, wo sich alle Protagonisten des Dramas befanden. Das Privileg, die erhöhte Position eines Raubvogels einnehmen zu können, verschaffte mir einen umfassenden Überblick, nicht nur über das Problem, sondern auch über seine Lösung. Während sich meine zitternden, ratlosen Gefährten nach sämtlichen Seiten umschauten, ohne einen Ausweg zu finden, verkündete ich vollkommen ruhig: »Wir gehen in diese Richtung.«

Wir rannten am schmalen Ufer entlang. Die Kriegsknechte brüllten mit schleppender Stimme hinter uns her. Sie waren noch nicht sehr nah. Sie hatten erst aufwachen, die Situation erfassen, sich miteinander abstimmen müssen, und wahrscheinlich sprachen diese Söldner auch nicht alle dieselbe Sprache. Mir war klar, dass die Rettung in unserer geringen Größe und unserer Wendigkeit lag. Ich führte meine Truppe am Ufer entlang, und wie ich es geahnt hatte, entdeckte ich eine schmale Holzbrücke, über die man ans andere Ufer gelangte. Es war ein einfacher, grob zurechtgehauener Baumstamm, der sich bereits durchbog. Wir vier überquerten ihn mit Leichtigkeit. Für die Marodeure würde es schwieriger werden, ihn als Übergang zu nutzen, und mit ein wenig Glück würde er unter dem Gewicht von einem von ihnen brechen. Weiter ging unsere Flucht, und ich zwang uns beim Laufen zu einem gleichmäßigeren und langsameren Tempo, als es meinen Gefährten lieb war. Aber wir durften auf keinen Fall rennen, bis wir völlig erschöpft wären. Womöglich würden unsere Strapazen noch lange andauern, wir mussten unsere Kräfte einteilen.

Ich will nicht näher auf die weiteren Einzelheiten unseres misslichen Abenteuers eingehen. Zwei Tage und eine Nacht dauerte es, bis wir schließlich die Stadt erreichten, nachdem wir, rittlings auf Baumstämmen treibend, Kanäle überquert, einen weiteren Kahn gestohlen und einen berittenen Trupp getroffen hatten. Wir kamen bei Einbruch der Dunkelheit zu Hause an, von Dornen zerkratzt, halb verhungert, aber stolz. Zu keinem Zeitpunkt war die Ruhe von mir gewichen. Meine Gefährten hatten meine Befehle aufs Wort befolgt. Ich hatte darauf bestanden, dass sie die Waffen behielten, die sie gestohlen hatten. So kehrten wir nicht nur heil und gesund, sondern auch siegreich zurück.

Die Angelegenheit hatte für großen Wirbel in der Stadt gesorgt. Nach einem heroischen Bericht, den Éloi so gewendet hatte, dass er selbst dabei in ein vorteilhaftes Licht gerückt wurde, hatte man uns für tot gehalten. Éloi hatte behauptet, er sei uns nur gefolgt, um zu versuchen, uns von unserem Vorhaben abzubringen. »Ich wäre ihnen so gern zu Hilfe gekommen, aber leider …« Und so weiter. Unsere Rückkehr brachte die Wahrheit ans Licht. Er wurde streng bestraft, doch noch viel schlimmer war, dass mit einem Schlag sein ganzes Ansehen dahin war. Und so wurde er der erste der zahlreichen Feinde, die ich mir im Lauf meines Lebens allein dadurch machte, dass ich ihre Schwäche aufdeckte.

Meine Eltern hatten meinen Tod zu sehr beweint, um mir Vorwürfe zu machen, als ich wieder zurückkam. Darüber hinaus erfuhr der Herzog von unserer Heldentat und gratulierte meinem Vater höchstpersönlich.

Die drei übrigen Geretteten sorgten für meinen Ruhm. Ungeschönt schilderten sie ihre eigene Hilflosigkeit und meinen Weitblick. Und ohne dass sich an meinem Verhalten etwas geändert hätte, begannen die Leute, mich mit anderen Augen zu sehen. Man hielt mich nicht länger für verträumt, sondern für umsichtig, nicht mehr für schüchtern, sondern für zurückhaltend, nicht mehr für unentschlossen, sondern für vorausschauend. Ich hütete mich, dieser neuen Ansicht zu widersprechen, und mit derselben Gleichgültigkeit, mit der ich zuvor Verachtung und Misstrauen ertragen hatte, gewöhnte ich mich nun daran, Bewunderung und Furcht zu erregen. Aber ich zog daraus wertvolle Lehren. Élois Niederlage offenbarte mir die Existenz einer anderen Form von Autorität, die sich nicht auf körperliche Überlegenheit gründete. Während unseres gesamten Abenteuers hatte ich keine besondere Widerstandskraft bewiesen. Mehrmals hatten meine Gefährten mich sogar stützen oder wieder hochheben müssen. Und trotzdem war ich die ganze Zeit über ihr Anführer geblieben. Sie vertrauten meinen Entscheidungen und stellten meine Befehle nicht infrage. Es gab also Macht und Kraft, und beides war nicht immer deckungsgleich.

Während die Kraft ihren Ursprung im Körper fand, entsprang die Macht dem Wirken des Geistes. Obwohl ich diese beiden Begriffe nicht eindeutig voneinander unterscheiden konnte, ging ich noch einen Schritt weiter, und meine Überlegungen führten mich gleichsam an den Rand eines Abgrunds. Dass ich im Verlauf unseres misslichen Abenteuers mithilfe meines Geistes die Macht übernommen hatte, lag nicht an besonderen Kenntnissen. Ich wusste weder, wo wir uns befanden, noch hatte ich je zuvor etwas Vergleichbares erlebt. Meinen Entscheidungen waren auch keine konkreten Abwägungen vorausgegangen, höchstens vielleicht zu Beginn, als ich Wege wählte, welche die dicken Kriegsknechte hinter uns nicht nutzen konnten. Im Wesentlichen war ich meiner Intuition gefolgt, das heißt, ich hatte mich in der gewohnten Welt meiner Tagträume bewegt. So hatte der Umgang mit dem, was nicht existiert, es mir ermöglicht, in der realen Welt zu handeln und zu befehlen. Mit einem Wort, Traum und Wirklichkeit waren nicht streng voneinander getrennt. Von dieser Schlussfolgerung wurde mir ein wenig schwindelig, und vorerst setzte ich meinen Gedanken nicht fort.

Ende des Monats wurde ein Waffenstillstand geschlossen und die Belagerung aufgehoben. Unsere Stadt atmete auf. Das Leben konnte wieder weitergehen wie zuvor.

*

Uns hatte der Krieg zwar verschont, doch anderswo dauerte er an. Ich hatte keinerlei Vorstellung von anderen Städten, am allerwenigsten von der, welche man die Hauptstadt nannte. Paris erschien mir wie ein großer, gequälter Körper. Ihr Name wurde nur in Zusammenhang mit Morden, Massakern und Hungersnöten genannt. Dieser Fluch ließ sich in meinen Augen nur durch die Anwesenheit des Königs erklären, der dort Hof hielt und den Wahnsinn um sich her verbreitete.

Seltsamerweise war es meine Mutter, die mir die Gelegenheit verschaffte, mir ein genaueres Bild von Paris zu machen. Dabei war sie eine schüchterne Frau, die kaum das Haus verließ und noch nie eine Reise unternommen hatte, die sie aus unserer Stadt hinausgeführt hätte. Sie war groß und sehr mager. Da sie Zugluft, Kälte, ja sogar das Licht verabscheute, verbrachte sie ihre Tage in unseren düsteren Räumen, wo sie das ganze Jahr hindurch Feuer im Kamin brennen ließ. Ihr ganzes Leben spielte sich in unserem schmalen, hohen Fachwerkhaus ab, über dessen Stockwerke sie sich im Lauf der Stunden bewegte. Ihr Schlafzimmer lag im ersten Stock. Dort blieb sie recht lange im Bett, bevor sie sich anschließend sorgfältig zurechtmachte. Hof und Küche hielten sie für den Rest des Vormittags beschäftigt, bis es Zeit wurde, sich im Nebenzimmer zu Tisch zu setzen. Nachmittags ging sie oft zu meinem Vater in die Werkstatt und half ihm bei den Rechnungsbüchern. Wenn schließlich der Chorherr eintraf, stieg sie hinauf in die Kapelle, die sie im obersten Stock neben unseren Zimmern eingerichtet hatte, und hörte eine Messe. Unser Haus war nach der Mode der Zeit erbaut, jedes Stockwerk schob sich ein Stück über das darunterliegende vor, sodass das oberste gleichzeitig auch das geräumigste war.

Es war ein zurückgezogenes Leben, das mir unendlich eintönig erschien, doch meine Mutter beklagte sich nicht darüber. Viel später erfuhr ich, dass ihr in ihrer frühen Jugend durch eine Bande Herumtreiber und marodierender Söldner Gewalt angetan worden war. Sie hatten das Dorf geplündert, in dem meine Großeltern lebten, und meine gerade erst halbwüchsige Mutter als Geisel genommen. Seit jener Zeit flößte ihr der Krieg abgrundtiefes Entsetzen ein, welches jedoch gleichzeitig mit einer großen Faszination einherging. Von uns allen wusste sie stets am besten über die Lage Bescheid, was sie zweifellos ihren Besuchern verdankte, die ihr ausführlich von den neuesten Vorfällen in der Stadt, der Region und sogar darüber hinaus berichteten. Sie verfügte über ein weitverzweigtes Netz an Informanten, denn durch ihren Vater gehörte sie der mächtigen Zunft der Metzger an.

An meinen Großvater mütterlicherseits erinnere ich mich als einen zuvorkommenden Mann, dessen Nase vom ständigen Reiben mit dem Batisttaschentuch in seiner Hand gerötet war. Er war stets elegant gekleidet und duftete nach parfümiertem Öl. Niemand hätte ihn sich beim Spalten eines Rinderschädels vorstellen können. Vielleicht hatte er dies ja in seiner Jugend nicht vermeiden können, aber inzwischen verfügte er längst über eine große Schar von Fleischhauern und Abdeckern, die diese Arbeit für ihn erledigten.

Die Metzgerinnung war sehr streng organisiert, und nicht jeder konnte ihr beitreten. Die Vertreter dieser Zunft standen in brieflichem Kontakt mit ihren Genossen in anderen Regionen, wodurch sie über alle Entwicklungen auf dem Laufenden waren. Obwohl die Metzger ihren Sitz in den Städten hatten, kannten sie sich auch auf dem Land aus, wo sie ihre Tiere kauften. So erfuhren sie jede Neuigkeit, noch bevor sie den Männern des Königs zu Ohren kam. Die Welt der Metzger war gemeinhin sehr verschwiegen. Da sie bei den übrigen Bürgern in keinem besonders guten Ruf standen, bemühten sich die Fleischhändler um Achtbarkeit, indem sie Ehen mit Angehörigen besser angesehener Zünfte eingingen. Mein Großvater war froh darüber, dass seine Tochter keinen Metzger geheiratet hatte, trotzdem fand er, der Beruf meines Vaters rieche immer noch ein wenig zu sehr nach Tier. Er liebte mich sehr, zweifellos weil ich von schwächerer Konstitution war als mein Bruder und somit eher zu einer geistigen Tätigkeit berufen. Sein größtes Glück wäre es gewesen, mich im Stande der Juristen zu sehen. Nur seinetwegen besuchte ich so lange die Schule. Und bis zu seinem Tod verheimlichten wir ihm, dass ich nicht die geringste Neigung verspürte, Latein zu lernen.

Gegen Ende des Jahres, welches auf die Belagerung unserer Stadt folgte, hörte ich, wie meine Eltern mit gesenkter Stimme über die schlimmen Ereignisse redeten, die Paris in Blut tränkten. Ich begriff, dass die dortigen Metzger unter der Führung eines gewissen Caboche, den mein Großvater gut kannte, rebelliert hatten. Aufgestachelt durch den Herzog von Burgund, hatten sie sich gegen die Auswüchse am Hof erhoben. Eine Kommission ehrwürdiger Juristen hatte eine Reformordonnanz aufgesetzt, und unter dem Druck der Metzger und der aufständischen Bevölkerung hatte der König die einhundertneunundfünfzig Artikel dieser Verfassung anhören und gutheißen müssen. Er befand sich in diesem Moment in einer Phase geistiger Klarheit, und es hatte ihm ganz offensichtlich großes Missfallen bereitet, dergestalt die Vorhaltungen seines Volkes über sich ergehen lassen zu müssen. Die Reaktion hatte nicht lange auf sich warten lassen. Die Armagnacs hatten sich gegenüber den aufrührerischen Metzgern zu Verfechtern des Friedens aufgeschwungen. Und so war es schon bald ihr Fleisch, das an den Galgen in den Pariser Straßen baumelte. Wer dem Massaker entkommen war, floh. Einer von ihnen hatte es in unsere Stadt geschafft. Da die Metzger unter argwöhnischer Beobachtung standen, hatte mein Großvater den Flüchtling in unsere Obhut gegeben.

Der Mann hieß Eustache. Wir versteckten ihn in einem Schuppen hinten im Hof, wo Ziegenhäute gelagert wurden. Jeden Abend setzte er sich vor die Küche, und wenn wir aus der Schule kamen, scharten wir uns um ihn und forderten ihn auf zu erzählen. Es machte uns großes Vergnügen, ihm zuzuhören, denn er sprach in einer fremden Mundart und verwendete Redewendungen, die wir nicht kannten. Im Grunde war er bloß ein simpler Metzgergehilfe. Seine Aufgabe bestand darin, das Fleisch abzuladen, das jeden Morgen auf einem Karren zu den Küchen der großen Häuser gebracht wurde. Obwohl er vermutlich nur die Wirtschaftsräume zu Gesicht bekommen hatte, schilderte Eustache uns ausführlich die Pariser Wohnsitze der Prinzen. Das Hôtel de Nesle, das dem Herzog von Berry gehörte und dessen Türen und Fenster von der Menge herausgerissen worden waren, um zu verhindern, dass er dort verweilte; das Hôtel d’Artois, im Besitz des Herzogs von Burgund; das Hôtel Barbette, in dem die Königin lebte und bei dessen Verlassen Ludwig von Orléans einst ermordet worden war. Eustaches Augen sprühten vor Hass, während er genüsslich die Pracht dieser Häuser beschrieb, die Schönheit der Wandteppiche, der Möbel und des Geschirrs. Seine Schilderungen sollten unsere Empörung wecken. Immer wieder betonte er, welches Elend rings um diese Horte von Prunk und Ausschweifungen herrschte. Ich weiß nicht, wie mein Bruder darüber dachte, mich jedoch empörten diese Berichte keineswegs, stattdessen gaben sie mir Stoff für meine Tagträume. Was Reichtümer anging, so kannte ich allein den herzoglichen Palast in unserer Stadt, und den bewunderte ich. Wann immer ich mit meinem Vater dorthin ging, war ich fasziniert von seiner kostbaren Ausstattung. Unser bescheidener Bürgerstand zwang mich zu einem Leben in unserem schiefen Haus. Und ich war dort auch nicht unglücklich. Aber meine Träume versetzten mich an glanzvollere Orte, zu freskengeschmückten Wänden, geschnitzten Decken, Servierschüsseln aus feuervergoldetem Silber und golddurchwirkten Tapisserien … Eustaches hasserfüllte Entrüstung über die Wohnsitze der Prinzen war mir völlig fremd.

Mit großem Wohlwollen lauschte ich hingegen, wenn er voller Zorn darüber sprach, wie die Mächtigen die Angehörigen der anderen Stände behandelten, die Bürger, die Handwerker, die Dienerschaft, ohne die sie doch gar nicht leben könnten. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich die schmerzlichen Lehren hingenommen, die mir mein Vater jedes Mal erteilte, wenn wir seine reichen Kunden aufsuchten. Und doch erzürnte es mich zutiefst, wie bereitwillig er sich ihrer Geringschätzung, ihren Beleidigungen und den ständigen Erpressungen unterwarf, mit denen sie sich um die Zahlung ihrer Schulden drückten. Es war ein verborgener Zorn, eine unter der Asche von Sohnesliebe und Gehorsam erstickte Glut. Doch Eustache brauchte nur einmal hineinzublasen, und schon flammte sie auf.

Kurz nach der Ankunft des Flüchtlings nahm mein Vater mich mit zu einem Neffen des Herzogs von Berry, dem er eine ganze Decke aus Hermelinpelzen lieferte. Der junge Mann war kaum zwanzig Jahre alt. Er ließ uns zwei Stunden lang in einem Vorzimmer warten. Mein Vater hatte bis spät in die Nacht gearbeitet, um die Bestellung fertig zu machen. Ich sah, wie er vor Müdigkeit schwankte, ohne jede Möglichkeit, sich hinzusetzen, denn es gab keinen Stuhl. Als der junge Herr uns endlich eintreten ließ, sah ich entgeistert, dass er uns im Nachtgewand empfing. Durch die Tür zu seinem Schlafzimmer war eine entkleidete Frau zu sehen. In ironischem Ton wandte er sich an meinen Vater, nannte ihn hochtrabend »den ehrenwerten Pierre Cœur« und griff nach der Decke. Dann nickte er, stand auf und bedeutete meinem Vater mit einem Wink, dass er sich zurückziehen könne. Dieser hätte wie gewöhnlich gehorcht, wenn er nicht dringend Geld gebraucht hätte, um eine große Lieferung von Fellen zu bezahlen, die gerade eingetroffen war. Und so überwand er sich und wagte, um die Bezahlung seiner Arbeit zu bitten.

Der Neffe des Herzogs drehte sich um. »Das regeln wir später. Schickt mir eure Forderung.«

»Hier ist sie, Monseigneur.« Mit zitternder Hand hielt mein Vater ihm die Rechnung hin.

Der junge Herr entzifferte sie missvergnügt. »Das ist zu teuer. Haltet Ihr mich für einen Schwachkopf? Glaubt Ihr etwa, ich wüsste nichts von Euren erbärmlichen Gaunereien? Das sind keine Wammen, sondern zusammengenähte halbe Rücken, die Ihr mich teuer bezahlen lassen wollt.«

Die Lippen meines Vaters zuckten nervös. »Diese Pelze sind alle von bester Herkunft, Monseigneur …«

Ich wusste, dass mein Vater seine Lieferanten mit größter Sorgfalt wählte und nur ihre beste Ware aussuchte. Er vermied strikt all die Betrügereien, zu denen andere, skrupellose Handwerker gelegentlich griffen. Doch leider war er durch den Respekt, den er diesem jungen Laffen zu schulden glaubte, so gelähmt, dass er sich nur schlecht zur Wehr setzte.

»Verzeiht, wenn ich darauf bestehe, Monseigneur. Aber ich vertraue auf die Großzügigkeit Eurer Herrlichkeit, mir gütigst dieses Stück gleich heute zu bezahlen, weil …«

»Gleich heute!«, wiederholte der Neffe des Herzogs und tat, als rufe er ein großes Publikum als Zeugen an.

Er bedachte meinen Vater mit einem strengen Blick. Ich beobachtete ihn und erkannte, dass er am liebsten mit seinen Unverschämtheiten fortgefahren wäre, ein Gedanke ihn jedoch unvermittelt innehalten ließ. Vielleicht fürchtete er eine Zurechtweisung durch seinen Onkel. Der alte Herzog war kein sehr freundlicher Mensch, aber er zahlte gut. Und er förderte in seiner Stadt bewusst ein Umfeld aus Handwerkern und Künstlern, welches seinen Ruf als Mäzen und Mann von Geschmack festigen sollte.

»Nun denn, meinetwegen!«, sagte der junge Mann.

Er ging zu einem Möbel hinüber und öffnete eine Schublade. Er nahm ein paar Münzen heraus und warf sie vor meinen Vater auf einen Tisch. Auf den ersten Blick zählte ich fünf Livres tournois. Die Decke war acht wert.

Mein Vater nahm die Münzen in die Hand.

»Das sind nur fünf«, sagte er mit unsicherer Stimme. »Es fehlen noch …«

»Es fehlen noch …?«

»Eure Herrlichkeit müssen meine Rechnung falsch gelesen haben. Das Stück kostet … acht.«

»Acht Livres wäre es vielleicht wert, wenn es keinen Fehler hätte.«

»Welchen Fehler denn?«, fragte mein Vater, aufrichtig in Sorge, er hätte womöglich eine Unvollkommenheit übersehen.

Der junge Mann packte die Decke und hielt sie in die Höhe. »Wie, Ihr seht da nichts?«

Mein Vater reckte den Hals, und sein Blick glitt über den Pelz. In diesem Augenblick fuhren die beiden Fäuste, welche die Decke hielten, mit einem Ruck auseinander, und mit einem lauten Krachen riss die Naht zwischen zwei Fellen. Mein Vater zuckte zurück. Der Neffe des Herzogs brach in lautes, unverschämtes Gelächter aus.

»Seht Ihr es jetzt?«, rief er gehässig. »Bastien, bring diese Herren hinaus.« Und immer noch lachend, ging er wieder in sein Schlafzimmer.

Während wir schweigend nach Hause zurückkehrten, spürte ich, wie der Zorn in mir anwuchs. Früher hätte ich meinen Vater für seine Selbstbeherrschung bewundert. Aber Eustache hatte mich gelehrt, meine Empörung als recht und billig anzusehen. Ich war nicht mehr als Einziger der Meinung, dass Arbeit Respekt verdiente, dass die Macht der Geburt Grenzen kannte und dass die Willkür der Prinzen inzwischen jeglicher Grundlage entbehrte. Für diese Prinzipien hatten Caboches Anhänger gekämpft. Und obwohl ich die genauen Umstände ihres Aufstands weder kannte noch verstand, sah ich mich in Ansichten bestärkt, für die ich mich bis zu jenem Moment immer schuldig gefühlt hatte.

Auf dem Heimweg erzählte ich meinem Vater von diesen Gedanken. Er blieb stehen und schaute mich an. In seinen Augen sah ich, dass meine Worte ihn tiefer getroffen hatten als die Beleidigung, die er zuvor erfahren hatte. Heute weiß ich, dass er es tatsächlich so empfand. Er glaubte nicht, dass in der Welt, wie sie sich uns darstellte, eine andere Haltung den Mächtigen gegenüber möglich war. Seine Erziehung diente nur einem einzigen Ziel: Sie sollte mir ermöglichen zu überleben.

Er sah sofort die Verbindung zwischen meinem Aufbegehren und den Predigten, die Eustache in unserem Haus hielt. Auf Bitten meines Vaters wurde dem Metzger schon eine Woche später ein anderer Unterschlupf zugewiesen, und bald darauf verließ er die Stadt.

Offen gestanden, von dieser Seite hatte mein Vater nicht mehr viel zu befürchten: Das Unheil war geschehen. Eustache hatte lediglich Gedanken bestärkt, die sich ohnehin in mir regten. Doch seinem Beispiel, oder allgemeiner dem der aufständischen Metzger, zu folgen, kam für mich nicht infrage. Als Sohn eines Kürschners war ich es gewohnt, Menschen, genau wie die Tiere, nach ihrer Behaarung einzuordnen, und mir war aufgefallen, dass Eustache den gleichen störrischen Lockenschopf auf dem Kopf trug wie Éloi. Beide waren sie Anhänger brutaler, ungezügelter Gewalt, dem genauen Gegenteil von Schwäche, aber letztlich doch von gleicher Art, nämlich primitiv. Ich fühlte keinerlei Neigung, mich ihnen anzuschließen. Es musste andere Wege geben, den Prinzen Respekt abzunötigen, dafür zu sorgen, dass Arbeit gerecht entlohnt wurde, und den Menschen, die nicht von Beginn an durch ihre Geburt ausgezeichnet waren, einen Platz in der Gesellschaft zu geben. Mein Ziel würde von nun an darin bestehen, diese Wege zu finden oder sie zu erschaffen.

*