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Eigentlich sollte das Gemeindefest ein schöner, feierlicher Tag werden. Aber da haben die Leute aus der Gemeinde nicht mit dem Schlunz gerechnet. Er übernimmt immer mehr die Leitung des Tages und verwandelt das gemütliche Gemeindefest in ein Gemisch aus Feuerwehrfest und chaotischem Kindergeburtstag. Kein Wunder, dass Adelheid da mehrfach fast in Ohnmacht fällt. Gleichzeitig versuchen Schlunz und Lukas herauszufinden, wer sich hinter den geheimen Anschlägen verbirgt, die ein Unbekannter an Hauswänden und Fenstern hinterlässt und die immer gefährlicher werden, besonders als sie den mitgelieferten Geheimcode entschlüsseln können, der von Rache spricht. Und dann taucht da plötzlich noch dieser Jugendliche auf, den Schlunz sofort von früher erkennt: "Marius!" Aber der sagt, er ist es nicht. Ob er doch etwas über Schlunz' Vergangenheit weiß?
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Seitenzahl: 268
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Harry Voß
Der SchlunzBand 4
Der Schlunzundder Rächer in der Nacht
Zum Autor vom „Schlunz“
Harry Voß wurde 1969 in Dillenburg geboren (auf der Landkarte zwischen Gießen und Siegen) und ist in dem schönen hessischen Dorf Eibelshausen aufgewachsen. Als Kind ist er dort zum Kindergottesdienst und zur Jungschar gegangen und hat durch die Bibellese-Zeitschrift „Guter Start“ das Bibellesen kennengelernt. Das hat ihm so gut gefallen, dass er als Jugendlicher selbst in Jungschar und Kindergottesdienst mitgearbeitet hat. Weil er die Arbeit mit den Kindern so klasse fand, besonders Kinderbibelwochen und Jungscharfreizeiten, wollte er das auch beruflich machen. Sein Traumberuf: Kindermissionar. Darum hat er in Darmstadt Religionspädagogik studiert. Und jetzt ist sein Traum wahr geworden: Harry ist Kindermissionar beim Bibellesebund. Er führt in Gemeinden Kinderbibelwochen durch, fährt mit Kindern auf Freizeiten und hat zehn Jahre lang sogar die Kinder-Bibellese-Zeitschrift „Guter Start“ als verantwortlicher Redakteur geleitet.
2007 hatte er das Vergnügen, sein erstes Buch schreiben zu dürfen: „Der Schlunz“. Das war eine klasse Sache, aber jetzt spuken ihm schon wieder neue Ideen im Kopf herum. Harry spielt für sein Leben gern Theater, mag Peter Pan und Mary Poppins und möchte am liebsten für immer ein kleiner Junge bleiben.
Mit seiner Frau Iris und seinen Kindern Elisa und Josia lebt er in Gummersbach, geht dort zur evangelischen Kirchengemeinde und arbeitet ehrenamtlich in der CVJM-Jungschar mit.
Impressum
© 2008 by Verlag Bibellesebund MarienheideR. Brockhaus Verlag im SCM-Verlag GmbH & Co. KG, Witten
© 2019 der E-Book-Ausgabe
Bibellesebund Verlag, Marienheide
https://shop.bibellesebund.de/
Autor: Harry Voß
Coverillustration: Daniel Fernández Adasme
Covergestaltung: Julia Plentz
ISBN 978-3-95568-305-4
Hinweise des Verlags
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf - auch teilweise - nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
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Inhalt
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1
Am liebsten hätte sich Lukas für den Rest der Sommerferien mit dem Schlunz in der Wohnung versteckt. Die Vorstellung, dass es irgendwo auf dieser Welt jemanden gab, der den Schlunz töten wollte, machte ihm Angst. Aber im Schlunz schien diese Vorstellung erst so richtig die Abenteuerlust zu wecken.
»Wir suchen den Audi«, sagte er jeden Morgen, wenn sie aufwachten.
Schlunz hatte sich in den Kopf gesetzt, den silberfarbenen Audi zu finden. Genau jenen Audi TT-Roadster Cabrio, den sie nun schon seit einiger Zeit immer irgendwo am Straßenrand stehen sahen. Und der, wenn sie sich ihm näherten, startete und mit Vollgas wegfuhr. Eine Frau saß am Steuer, so viel hatten sie schon herausgefunden. Eine Frau mit Kopftuch und Sonnenbrille. Dieser Audi war es auch gewesen, der einmal den Schlunz im Sommerurlaub fast überfahren hätte. Absichtlich natürlich! Wer war nur diese Frau? Und wer war der geheimnisvolle Mann, der sie den ganzen Urlaub über verfolgt und schließlich versucht hatte, den Schlunz zu töten? Dieser Mann saß zum Glück inzwischen im Gefängnis. Aber der Audi mit der Frau fuhr noch frei herum. In der Nacht, in der sie aus dem Urlaub zurückgekehrt waren, hatten sie ihn zum letzten Mal gesehen.
Seitdem fuhren Schlunz und Lukas jeden Tag mit ihren Fahrrädern durch die Stadt. Irgendwo mussten sie diesen Audi doch finden!
An diesem Tag bog Schlunz mit seinem Rad in eine Seitenstraße ein, in der sie bisher noch nie gesucht hatten. »Ich glaube, hier kommen wir der Sache schon näher«, sagte er geheimnisvoll. Schlunz stieg vom Rad ab und schob es langsam den Gehweg entlang. Lukas tat das Gleiche und folgte seinem Freund.
»Da«, flüsterte Schlunz und zeigte auf ein Gebüsch auf der gegenüberliegenden Straßenseite. »Da raschelt etwas. Ich glaube, da ist jemand.«
Schlunz schob sein Rad noch langsamer und schaute angestrengt in das Gebüsch.
In diesem Augenblick passierte es: Mit einem ohrenbetäubenden Krachen peitschte ein Schuss aus dem Gebüsch heraus. Schlunz und Lukas warfen sich mit einem Schrei auf den Bauch und sahen, wie eine Rakete knapp über ihren Köpfen vorbeizischte und eine stinkende Wolke hinter sich herzog. Es roch nach Silvesterkracher. Sofort hoben die Jungen ihre Köpfe und schauten der Feuerrakete hinterher. Sie flog über den Zaun des Wohngrundstücks, vor dem sie gerade standen, genau durch ein weit geöffnetes Fenster in das Haus hinein, das sich hinter dem Zaun befand. Mit einem weiteren Knall explodierte die Rakete. Aus dem Zimmer hinter dem Fenster leuchtete es abwechselnd grün und rot auf. Im selben Augenblick hörten sie Schreie aus der Wohnung. Lukas zog seinen Kopf zwischen die Schultern und ließ sich wieder auf den Boden fallen. Ob es dort Verletzte gab?
Mit einem Satz sprang Schlunz über die Straße und auf der anderen Seite ins Gebüsch. »Lukas, da läuft jemand!« Aber Lukas konnte niemanden sehen. Stattdessen tauchte jetzt ein Mann im Garten des beschossenen Hauses auf und schimpfte laut: »Dreckige Bande! Jetzt hab ich euch! Bleibt sofort stehen, bis ich die Polizei gerufen habe!« Eine Frau war am offenen Fenster erschienen und versuchte mit wilden Armbewegungen, den entstandenen Qualm aus dem Zimmer zu vertreiben. »So ein Elend, so ein Elend!«, jammerte sie. Wenigstens schien sie nicht verletzt zu sein.
»Da läuft er!«, rief Schlunz aus dem Gebüsch und rannte schon in eine Richtung los.
»Halt, stehen bleiben!«, schimpfte der Mann, der inzwischen am Zaun angekommen war, doch Schlunz schien das nicht gehört zu haben. »Flucht ist zwecklos! Die Polizei ist schon unterwegs!«
»Wir waren das nicht!«, rief Lukas aufgeregt. »Wir sind selbst gerade vorbeigekommen und wären fast getroffen worden!«
»Lüge!« Der Mann drohte mit der Faust. »Ich hab doch gesehen, wie dein Kumpel dort vorne durchs Gebüsch gelaufen ist!«
»Ja, er hat jemanden gesehen, der die Rakete gezündet hat und dann weggelaufen ist!«
»Faule Ausrede!« Der Mann keuchte und hielt sich mit beiden Händen an seinem Zaun fest. Er war ziemlich dick und sein Hemd schaute an allen Seiten aus der Hose heraus. Sein roter Kopf saß ohne Hals auf den viel zu breiten Schultern. Den obersten Knopf seines Hemdes schien man gar nicht zuknöpfen zu können. Lukas schätzte den Mann auf ungefähr 60 Jahre, aber dafür hatte er noch erstaunlich viele Haare auf dem Kopf. Sie waren dunkel und ein dicker Seitenscheitel trennte sie in zwei große Haarberge nach rechts und links. Der größere Haarberg hing ihm vorne halb über die Augen. Dadurch wirkten seine buschigen Augenbrauen, die er drohend zusammengezogen hatte, noch gefährlicher.
»Willi«, rief die Frau von hinten aus dem offenen Fenster und zeigte auf Lukas. »Schau doch mal, ist das nicht der Junge von den Schmidtsteiners?«
Der Mann legte seinen Kopf schief und betrachtete Lukas näher. »Ja, tatsächlich. Der kleine Schmidtsteiner. Na, da werden sich deine Eltern aber freuen.«
Lukas bekam ein bisschen Panik. Sollten sie jetzt auch noch Ärger für etwas bekommen, das jemand anderes ausgeheckt hatte? Womöglich sogar wieder jemand, der eigentlich den Schlunz abschießen oder zumindest erschrecken oder warnen wollte? Dann war der Schlunz also immer noch in Gefahr! Und dafür sollten sie nun auch noch der Polizei vorgeführt werden? Lukas atmete heftiger.
»Schlunz!«, rief er. »Schlunz, komm schnell!«
Schlunz war schon wieder auf dem Rückweg zu Lukas: »Ich hab ihn nicht mehr erwischt.«
Der Mann empfing Schlunz mit einem wütenden Schnauben: »So, hab ich euch endlich!«
Schlunz schien nicht zu kapieren, dass er selbst gerade verdächtigt wurde. »Nein, leider haben wir ihn nicht«, sagte er noch ganz atemlos vom Rennen. »Er ist die Straße runtergelaufen. Ich hab eigentlich so gut wie gar nichts von ihm gesehen.«
»Schlunz«, begann Lukas vorsichtig, »der Mann hier denkt, wir hätten die Rakete gezündet.«
»Nein, das kann er gar nicht denken«, sagte Schlunz und schien kein bisschen Angst zu haben, »denn wir waren ja hier bei unseren Fahrrädern, als die Rakete losging.«
Die Augen des Mannes funkelten wütend. »Ach ja? Und warum warst du dann gerade dort im Gebüsch und bist weggerannt, als ich rausgekommen bin?«
Inzwischen war die Frau, die eben noch oben im Fenster stand, auch im Garten angekommen. Sie war noch dicker als ihr Mann und es fiel ihr offensichtlich schwer, einen Schritt vor den anderen zu setzen. »Na klar ist das der kleine Schmidtsteiner«, keuchte sie. »Der Junge von Jens und Ute!« Sie kam bis an den Zaun. »Also von dir hätte ich das nicht gedacht, Junge. Von dir nicht.«
»Wir waren es wirklich nicht«, sagte Schlunz. »Wir sind hier nur entlanggegangen, da kam aus dem Gebüsch die Feuerrakete. Ich hab jemanden wegrennen sehen und wollte hinterher, aber ich hab ihn nicht mehr erwischt!«
Die Frau runzelte die Stirn: »Wirklich?«
»Ja«, sagte Schlunz.
»Wir dachten eher, da hat es jemand auf den Schlunz abgesehen«, fügte Lukas noch hinzu.
»Auf den Schlunz?« Der Mann schaute, als hätte jemand eine Beleidigung ausgesprochen. »Was soll das denn sein?«
»Ich bin der Schlunz«, sagte Schlunz und hob dabei seinen Finger, als wollte er sich melden.
Der Mann schob seine buschigen Augenbrauen noch dichter zusammen. »Was? Du willst mich wohl auf den Arm nehmen!«
»Nein, Willi«, sagte die Frau neben ihm und japste immer noch nach Luft. »Das ist doch der Junge, der jetzt bei den Schmidtsteiners wohnt. Du weißt doch, der Junge aus dem Wald.«
»Ach so«, raunzte der Mann und schob seinen Kopf neugierig nach vorne, so als wollte er ein seltenes Tier genauer betrachten. »Du bist der Junge aus dem Wald?«
»Ja«, sagte Schlunz und schob seinen Kopf genauso nach vorne. Jetzt standen sich die beiden gegenüber wie zwei Hunde, die sich gegenseitig beschnuppern.
»Wie heißt du denn in Wirklichkeit?«, fragte der Mann und es klang wie ein Polizeiverhör.
»Das weiß ich nicht«, sagte Schlunz. »Ich hab bei einem Unfall mein Gedächtnis verloren. Ich kann mich nicht einmal mehr an die Namen meiner Eltern erinnern. Und wo ich herkomme, weiß ich auch nicht. Die Polizei sucht schon die ganze Zeit nach meinen Eltern, bisher aber ohne Erfolg.«
»Das scheint dir aber keinen großen Kummer zu bereiten.«
»Doch, manchmal schon. Aber ich bin in der nettesten Familie der Welt gelandet. Lukas ist so lange mein Bruder, bis ich meine echte Familie wiedergefunden habe. Und Nele meine Schwester. Und Lukas’ Eltern sind so lange meine Eltern. Und das sind die besten Eltern der Welt.«
»Besser als deine echten Eltern?«
»Das kann ich Ihnen erst sagen, wenn ich sie wieder vor mir sehe und mich an alles erinnere.«
»So, so.« Der Mann wiegte langsam seinen Kopf, sagte aber nichts mehr.
»Ihr kennt uns doch sicher, nicht wahr«, sagte die Frau und lächelte ein bisschen. »Wir gehen in dieselbe Gemeinde wie ihr.«
»Aha«, sagte Lukas und versuchte sich zu erinnern. Er wusste, dass den beiden der Getränkehandel auf der anderen Seite des Hauses gehörte: »Getränke Schütterling«. Wahrscheinlich hießen die beiden Herr und Frau Schütterling. Die Frau saß oft dort hinter der Kasse und wirkte, als hätte sie jemand dahingequetscht und niemand auf der Welt könnte sie jemals wieder da rausziehen. Und der Mann wühlte oft zwischen den Getränkekisten herum und schimpfte vor sich hin. Aber in der Gemeinde war er den beiden noch nie begegnet.
»Ist jemand verletzt?« Um das Haus herum kam noch ein anderer Mann gerannt und Lukas wusste gleich, dass er ihn auch aus dem Getränkeladen kannte. Der war aber jünger als das Ehepaar am Zaun. Höchstens so alt wie Papa, vielleicht noch ein bisschen jünger. Er trug eine Arbeitshose und war offensichtlich gerade aus dem Getränkeladen gekommen.
»Da bist du ja endlich!«, schimpfte ihn der ältere Mann an und erst jetzt wendete er dabei seinen Blick von Schlunz ab. »Unser Haus hätte in die Luft gehen können und du hättest dabei zugesehen, was?«
»Ich hatte noch Kunden zu bedienen«, sagte der jüngere Mann. Irgendwie klang es, als wollte er eigentlich zurückschimpfen. Aber seine Stimme hörte sich eher an wie das Winseln eines getretenen Hundes. »Und da kam ich so schnell nicht weg. Aber ich hab den Knall gehört und dachte, ich muss sofort nachsehen, ob ich helfen kann.« Er wirkte müde und erschöpft, seine braunen Haare hingen ihm ungewaschen und strähnig um die Ohren herum.
»Unser Haus explodiert und du verkaufst Bier«, schimpfte Herr Schütterling. »Das war ja mal wieder klar!«
»Ist was kaputtgegangen?«, erkundigte sich der Jüngere weiter.
»Es war ein Silvesterkracher«, erklärte die Frau, »er ist im Schlafzimmer gelandet. Das ganze Zimmer stinkt und die Bettwäsche hat einen großen Brandfleck. Sonst nichts.«
»Sonst nichts!«, wiederholte ihr Mann laut. »Wenn man zusammenzählt, was die uns in den letzten Wochen schon alles angetan haben, dann ist das eine ganze Menge!«
»Wieso, was denn?«, fragte Schlunz nach.
»Andauernd finden wir Schmierereien an unserem Haus oder vorne an der Ladentür«, schimpfte Herr Schütterling. »Einmal sogar an unserem Garagentor. Eine Unverschämtheit ist das!«
»Ich seh gar nichts«, sagte Schlunz und versuchte, irgendwo an der Hauswand etwas zu entdecken.
»Ich hab’s schon wieder weggewischt oder überstrichen«, sagte der jüngere Mann.
»Dann geh jetzt hoch ins Schlafzimmer und mach die neue Sauerei weg«, befahl ihm der Alte.
»Ja, ist gut«, sagte der Jüngere und ging mit gesenktem Kopf zurück.
»Und ihr wart es wirklich nicht?«, brummte der Alte noch mal.
»Nein, wirklich nicht«, erklärte Schlunz eindringlich.
»Du weißt doch, wer’s war«, raunzte die Frau ihrem Mann zu. »Der Karl-Heinz! Der beschimpft dich doch andauernd mit Halsabschneider und hat auch schon mal gedroht, du würdest dich noch mal sehr wundern.«
»Nein, Alma«, knurrte Herr Schütterling und sah sich geheimnisvoll nach rechts und links um. »Das war der Große von den Schwarzes. Dem würde ich so was zutrauen. Aber der Kerl lässt sich ja nicht erwischen.«
Das Haus der Schütterlings war groß, aber ungepflegt. Es hatte mindestens drei Stockwerke, obwohl sie nur zu dritt darin wohnten. Der jüngere Mann, der sich gerade zum Putzen nach oben begeben hatte, musste wohl der Sohn sein, vermutete Lukas. Im Garten lagen jede Menge alte Holzbalken, Pflastersteine und anderer Bauschutt. Das Gras war viel zu hoch und die Bäume und Büsche breiteten sich zwischen meterhohem Unkraut aus. Ein Holzschuppen seitlich an der Hauswand sah ziemlich schäbig aus. Lukas betrachtete die hohe Hauswand, von der an etlichen Stellen schon der Putz abbröckelte, und erschrak, als er im oberen Stockwerk ein finsteres Gesicht hinter einer Fensterscheibe sah. Da stand eine alte Frau mit blassem, faltigem Gesicht und großem Haarknoten auf dem Kopf, die stumm auf die kleine Versammlung unten am Gartenzaun starrte. Ihr Alter konnte Lukas schlecht einschätzen. Sie konnte 80, aber auch 100 Jahre alt sein. Zumindest sah es unheimlich aus, wie sie da so von oben herabschaute. »Wer ist das?«, fragte Lukas.
Herr Schütterling schaute nach oben. »Meine Mutter.« An der Art, wie er das sagte, merkte Lukas, dass er seine Mutter nicht mochte.
Herr Schütterling drehte sich ohne ein weiteres Wort um und wankte auf das Haus zu. »Hannes!«, brüllte er in Richtung des offenen Fensters. Der jüngere Mann erschien am Fenster: »Ja?«
»Bist du bald fertig da oben?«
»Muss die Betten noch neu beziehen.«
»Dann beeil dich, ich brauch dich im Laden!« Und damit humpelte er davon. Sein schwerer Oberkörper schwankte bei jedem Schritt hin und her und es sah wirklich anstrengend aus, wie er sich davonschleppte. Auch seine Frau kehrte zum Haus zurück, ohne sich bei Schlunz oder Lukas zu verabschieden. Sie machte noch kleinere Schritte, schwankte dabei noch mehr hin und her und schnaufte wie eine Lokomotive.
Schlunz hielt seine Hand vor den Mund und grinste darunter, aber Lukas war nicht zum Grinsen zumute. Er hatte das Gefühl, da war schon wieder jemand, der dem Schlunz eins auswischen wollte. Schon möglich, dass die Schütterlings immer mal Schmierereien an den Wänden vorfanden. Das kam ja überall vor. Aber gefährliche Silvesterkracher, die ganz knapp am Kopf vorbeizischen? Lukas hatte Angst, dass der Schlunz immer noch in Lebensgefahr schwebte, obwohl der Mörder, der ihnen im Urlaub hinterhergefahren war, inzwischen im Gefängnis saß. Zumindest hatte die Polizei ihnen gesagt, er säße im Gefängnis. Hoffentlich stimmte das auch.
2
»Da kommt ihr ja«, sagte Mama, als Schlunz und Lukas an diesem Abend von ihrer Audi-Suche nach Hause kamen. Mama saß mit Frau Rosenbaum, der Leiterin vom Jugendamt, im Wohnzimmer.
»Guten Abend, Jungs«, sagte Frau Rosenbaum und hob leicht ihre Hand.
»Guten Abend«, murmelten Schlunz und Lukas.
»Eure Mutter erzählt mir gerade von euren Erlebnissen im Urlaub. Das ist ja furchtbar, was euch da alles zugestoßen ist. Wenn das stimmt, dass da jemand versucht, dich zu töten, Schlunz, dann können wir dich ja gar nicht mehr allein vor die Tür lassen. Dann schwebst du ja unentwegt in Lebensgefahr.«
»So schlimm ist es nun auch wieder nicht«, sagte Schlunz schnell. »Dieser Killer, der mich töten wollte, ist doch jetzt im Gefängnis.«
»Schon«, sagte Frau Rosenbaum. »Aber der Auftraggeber des Killers ist noch nicht gefasst. Vielleicht bezahlt er einen neuen Killer. Oder er macht sich selbst auf den Weg. Das ist gefährlich.«
»Ich pass schon auf.«
Von der Frau im Audi hatten sie am Ende des Urlaubs nichts erzählt, obwohl sie Mama und Papa sonst alles über den Killer berichtet hatten und auch über das Ehepaar Schmücker, das ihnen die ganze Zeit so verdächtig gefolgt war. Der Schlunz hatte Lukas immer wieder eingeschärft, Mama und Papa nichts von dem Audi zu erzählen, obwohl der Schlunz genau wusste, dass der Audi etwas mit seiner Vergangenheit zu tun hatte und nichts Gutes bedeutete. Bis jetzt hatte Lukas seinem Freund noch den Gefallen getan. Aber wie lange könnte er das noch?
»Eure Mutter hat mir auch erzählt, dass du Angst vor der Nordsee und Angst vor dem Flughafen hattest«, sagte Frau Rosenbaum. »Kannst du denn darüber etwas sagen?«
»Nein«, sagte Schlunz und schaute zu Boden.
»Und über den Namen Marius, den du vor dem Flughafen laut gerufen hast?«
»Nein.«
»Ist Marius vielleicht jemand, der dir etwas Böses antun will?«
»Weiß nicht.«
»Ich werde dem Kinderpsychologen davon berichten. Er soll versuchen, mit dir zusammen herauszufinden, was das mit deiner Vergangenheit zu tun hat.« Sie lächelte. »Ich glaube, wir sind deiner Familie schon ganz dicht auf der Spur.«
»Hm.« Schlunz lächelte nicht. Stattdessen starrte er vor sich hin, als tauchte er mit seinen Gedanken wieder in eine Welt ein, die nur er kannte und von der er nichts berichten konnte.
»Wir sind gleich fertig«, sagte Mama. »Papa kommt auch gleich von der Arbeit nach Hause. Ihr könnt ja schon mal den Tisch fürs Abendbrot decken.«
Beim Tischdecken wurde Schlunz zum Glück wieder fröhlich. »Wo ist eigentlich Nele?«, fragte er ins Wohnzimmer hinein.
»In ihrem Zimmer.«
»Was macht sie da?«
»Keine Ahnung.«
»Die verdrückt sich und wir müssen den Tisch decken. Das könnte ihr so passen.«
Damit rannte Schlunz die Treppe nach oben. Lukas folgte ihm. Schlunz klopfte an Neles Zimmertür und trat ein. Nele erschrak, denn sie war gerade dabei, sich ein viel zu enges Prinzessinnenkleid anzuziehen. Gerade in dem Augenblick, als Schlunz eintrat, krachte der Reißverschluss an der Rückseite.
»Mensch, kannst du nicht anklopfen?«, schimpfte sie.
»Hab ich doch«, sagte Schlunz mit unschuldigem Gesicht.
»Und? Hab ich ›Herein‹ gesagt?«
»Nein, aber das kannst du ja jetzt noch.«
»Kann ich nicht«, sagte Nele gequetscht, »weil ich gerade dabei bin, mein altes Kostüm anzuprobieren.« Sie versuchte weiter, das Kleid am unteren Rand zu packen und nach unten zu ziehen, aber jetzt platzte eine Naht unter dem Arm auf. »In zwei Wochen hab ich doch meinen neunten Geburtstag«, redete sie weiter und zog dabei umständlich an ihrem Kleidchen, »und das soll ein Prinzessinnenfest werden. Alle sollen sich als Prinzessinnen verkleiden und dann machen wir Spiele wie auf einem richtigen Schloss!«
»Ich will mich aber nicht als Prinzessin verkleiden«, schoss es sofort aus Lukas heraus.
»Du natürlich nicht«, sagte Nele. »Ihr Jungs verkleidet euch als Ritter oder als Prinzen. Ist doch klar!«
»Ich will mich aber überhaupt nicht verkleiden«, maulte Lukas weiter.
»Na klar willst du das«, sagte Nele. »Letztes Jahr auf meinem Schmetterlingsfest hast du dich doch auch verkleidet!«
»Ja«, erinnerte sich Lukas dunkel, »ich hab mir einen Kartoffelsack um den Bauch gebunden und gesagt, ich bin eine Raupe.«
Nele grinste und klimperte mit den Augen. »Genau. Und das sah doch schön aus!«
Lukas seufzte laut, aber Schlunz schien schon eine Idee zu haben: »Ich weiß was, Lukas. Wir verkleiden uns als Schlossgespenster, dann können wir alle erschrecken!«
»Mama hat gesagt, sie verkleidet sich auch«, sagte Nele noch. »Und Oma Sieglinde und Opa Urs auch.«
»Cool«, sagte Schlunz. »Auch Samy und Ruth und ihre Geschwister?«
»Beim letzten Mal hatten sie wenigstens einen Haarreif mit Fühlern auf dem Kopf, zumindest Samuel, Ruth, Esra und Nehemia. Onkel Torsten und Tante Lydia haben das nicht so gern, wenn man sich verkleidet.«
»Aber dein Prinzessinnenkleid ist wohl ein kleines bisschen zu eng«, sagte Schlunz und grinste spöttisch.
»Ich weiß«, sagte Nele, »eigentlich hab ich es bekommen, als ich im Kindergarten war. Aber vor zwei Jahren, als ich im ersten Schuljahr war, hat es noch gepasst.« Sie bückte sich, um ihr Kleid vorne noch ein bisschen nach unten zu ziehen. Im selben Augenblick sprang hinten im Nacken ein silberner Knopf ab und knallte gegen die Lampe an der Zimmerdecke. »Na gut«, sagte sie, »ich zieh es wieder aus.« Sie richtete sich auf und sah die Jungen streng an. »Aber dazu müsst ihr rausgehen!«
»Wir wollten dir nur sagen«, sagte Schlunz, »dass du uns beim Tischdecken helfen sollst.«
»Ich komm ja gleich.«
Als Lukas und Schlunz die Treppe nach unten kamen, war Papa schon nach Hause gekommen und Frau Rosenbaum war gegangen. »Seid ihr fertig mit Tischdecken?«, fragte Mama.
»Nein, wir machen jetzt weiter«, sagte Schlunz. Papa und Mama halfen mit. Als alles auf dem Tisch stand, war Nele immer noch nicht da.
»Nele, Essen!«, rief Schlunz laut.
Oben hörte Lukas Neles Zimmertür. Dann hörte er Nele am oberen Ende der Treppe. »Du musst mir helfen, Mama«, rief sie.
Als Lukas zur Treppe schaute, musste er laut loslachen. Nele hatte versucht, ihr Kleid über den Kopf auszuziehen, war aber irgendwo hoffnungslos stecken geblieben. Jetzt sah man nur ein umgestülptes rosafarbenes Kleid mit Beinen untendran langsam die Treppe runterkommen.
»Nele, was machst du denn da?« Mama eilte zu Nele und wollte ihr das Kleid über den Kopf ziehen. Dabei krachten mindestens zwei Nähte gleichzeitig. »Aua, meine Ohren!«, schrie Nele.
»Oh, hast du dich jetzt als Schlossgespenst verkleidet?«, lachte Schlunz.
»Na warte, wenn ich hier draußen bin, dann kriegst du’s mit mir zu tun«, kam Neles Stimme aus dem zerfetzten Kleid heraus. Mama zog Nele mit einem Ruck das Kleid über den Kopf. Es machte RATSCH und das Oberteil war in zwei Teile gerissen. Nele schrie laut auf und fiel auf den Po. »Mama, mein Kleid!«
»Du hast doch bald Geburtstag«, sagte Mama, »vielleicht kriegst du ja ein neues. Und jetzt gehst du nach oben und ziehst dir was Richtiges an. Es gibt Essen.«
3
Auch in den nächsten Tagen suchten Schlunz und Lukas nach dem silbernen Audi, aber ohne Erfolg. Manchmal konnten sie auch nicht so auffällig suchen, weil Nele so lange quengelte, bis sie sie mit auf ihre Fahrradtouren nahmen. Dann fuhren sie einfach die Straßen auf und ab und schauten sich unauffällig die Autos am Straßenrand an. Der gesuchte Audi war nie dabei.
Einmal blieb der Schlunz an einer Straßenecke ganz plötzlich stehen und rief die anderen beiden zu sich: »Schaut euch mal das Plakat an. Am Wochenende ist auf dem Festplatz ein Feuerwehrfest!«
»Das ist jedes Jahr im Sommer da«, sagte Lukas. »Aber wir sind noch nie da gewesen.«
»Warum nicht?«, fragte Schlunz. »Schau mal, was hier steht. Da gibt’s auch einen Autoscooter, Karaoke-Singen und Kinderflohmarkt! Sollen wir da nicht mal hingehen?«
»Das erlauben Mama und Papa niemals«, seufzte Nele.
»Warum nicht? Das wäre doch stark! Lukas, wir fahren Autoscooter und stoßen Nele aus dem Auto, ja?«
»Pah, das schafft ihr gar nicht«, lachte Nele.
»Dann wollen wir noch danken«, sagte Papa, als die Familie am Abend gemeinsam um den Tisch saß. Mit diesen Worten leitete Papa immer das Gebet vor dem Essen ein. Lukas und Nele kannten das schon, solange sie sich erinnern konnten. Und weil Schlunz inzwischen über vier Monate bei den Schmidtsteiners wohnte, fragte er auch nicht mehr nach, sondern faltete wie die anderen seine Hände und schloss die Augen. Auf Papas »Amen« antworteten Nele und Lukas mit: »So soll es sein«, und Schlunz schob ein »Ende der Durchsage« hinterher. Das taten sie nun so, seit der Schlunz bei ihnen wohnte.
Gleich nach dem Beten brachte Schlunz seinen Vorschlag ein: »Lasst uns am Sonntag zum Feuerwehrfest gehen! Das wird lustig! Lukas und ich wollen Autoscooter fahren und Nele auch!«
Mama und Papa schauten sich lange an. Irgendetwas schienen sie mit ihren Augen besprechen zu wollen. »Da waren wir noch nie«, sagte Papa dann.
»Na und?«, fragte Schlunz. »Ich auch nicht. Dann wird es Zeit, dass wir alle zum ersten Mal hingehen.«
»Da wird nur gesoffen und getanzt«, sagte Papa und schmierte langsam sein Brot.
»Echt?«, wunderte sich Schlunz. »Davon stand nichts auf dem Plakat.«
»Nein«, sagte Papa, »das müssen die nicht extra aufschreiben. Das weiß jeder auch so.«
»Muss man sich da besaufen und tanzen, wenn man hingeht?«
»Nein, aber das machen da alle.«
»Woher weißt du das, wenn du noch nie da warst?«
Papa schaute wieder zu Mama und Mama schaute auf ihr Brot. »Das weiß ich eben«, sagte Papa.
»Und wenn man nur hingeht, um Autoscooter zu fahren oder was auf dem Flohmarkt zu kaufen – wird man dann rausgeschmissen?«
»Nein, sicher nicht.« Papa schüttelte langsam den Kopf.
»Na klasse«, freute sich Schlunz. »Dann können wir doch hingehen und uns nicht besaufen. Und ihr müsst sicher auch nicht tanzen, wenn ihr nicht wollt.«
»Ich würde ja gern mal tanzen«, sagte Mama und schmunzelte ein bisschen.
»Mensch, Ute«, sagte Papa, als hätte jemand ein Spiel verdorben. Er runzelte die Stirn und sagte zum Schlunz: »Außerdem kennen wir da niemanden.«
»Du kennst doch uns.« Schlunz biss in sein Brot. Mama und Papa tauschten wieder ihre geheimnisvollen Blicke aus.
»Schlunz hat recht«, sagte Nele. »Ich würde auch gern mal Autoscooter fahren.« Dann grinste sie und sagte: »Ich verspreche euch auch, dass ich mich nicht besaufe und nicht tanze!«
Mama lachte. Papa nicht.
»Wir überlegen es uns noch«, sagte Mama dann. »Okay?«
»Okay«, sagten Schlunz und Nele und sahen sich verschwörerisch an.
Und tatsächlich: Am nächsten Tag verkündeten Mama und Papa, dass sie mit den Kindern zum Feuerwehrfest gehen wollten. Natürlich erst nach dem Gottesdienst. Damit waren Lukas, Nele und Schlunz einverstanden.
Weil noch Ferien waren, fand am nächsten Sonntag kein Kindergottesdienst statt. Darum saßen Lukas, Schlunz und Nele mit im Gottesdienst bei den Erwachsenen. Zum ersten Mal erkannte Lukas heute Herrn und Frau Schütterling unter den Besuchern. Sie saßen im hinteren Bereich ziemlich am Rand und waren in ein Buch vertieft, das ein Gesangbuch oder eine Bibel sein konnte. Hinter ihnen saß Hannes. Er hatte seinen Kopf zwischen die Schultern gezogen und sang bei keinem einzigen Lied mit.
Schlunz kannte hier im Gottesdienst natürlich erst recht keine Lieder, aber er fand unentwegt etwas, das er Lukas ins Ohr flüstern musste.
Arthur Preisel, einer aus dem Gemeindevorstand, las zu Beginn etwas aus der Bibel vor: »Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Weg.«
»Was redet der da für ein Zeug?«, flüsterte Schlunz Lukas zu. »Was für ein Wort meint der?«
»Er meint die Bibel«, flüsterte Lukas zurück. »Zur Bibel sagen manche ›Gottes Wort‹.«
»Dann kann er doch auch gleich sagen: ›die ›Bibel‹, oder?«, flüsterte Schlunz zurück.
»Ja, aber so steht es in der Bibel.« Lukas bemühte sich, leise zu reden. Eine Frau direkt vor ihnen hatte sich schon umgedreht und einen strengen Blick nach hinten geworfen.
»In der Bibel steht, dass die Bibel ›Gottes Wort‹ heißt?«, fragte Schlunz weiter. »Ist ja komisch. Und wieso ist die Bibel eine Fußleuchte? Ist da denn eine Taschenlampe drin?«
»Pssst«, machte die Frau vor ihnen und legte ihren Finger auf den Mund. »Hört mal lieber auf das Wort.«
»Auf welches?«, flüsterte Schlunz der Frau zu.
»Auf Gottes Wort«, flüsterte sie zurück.
Schlunz beugte sich wieder zu der Frau hinüber: »Aber wenn das Wort doch eine Taschenlampe ist, kann man es nicht hören, sondern sehen.«
Die Frau schüttelte ihren Kopf und sagte nichts mehr dazu.
Später sang die Gemeinde bei einem der Lieder lauthals: »Wir tanzen Herr, vor dir, und erheben unsere Hände.« Da beugte sich Schlunz zu Papa rüber und flüsterte: »Papa, ich denke, tanzen macht man nur im Festzelt der Feuerwehr!«
»Wir tanzen ja auch vor Gott«, flüsterte Papa zurück.
»Vielleicht tanzen die Leute im Zelt ja auch für Gott.«
»Garantiert nicht.«
»Aber hier tanzt gar niemand«, flüsterte Schlunz wieder, »die sitzen alle steif auf den Stühlen, als wären sie gefesselt. Und die Hände erhebt auch niemand!«
»In unseren Herzen tanzen wir«, zischte Papa zurück, »und jetzt sei still!«
Schlunz beugte sich zu Lukas rüber und flüsterte: »Und in meinem Herzen fahre ich schon Autoscooter!«
Gegen Ende des Gottesdienstes kündigte Arthur Preisel an, in vier Wochen finde das alljährliche Gemeindefest statt, zu dem alle Gemeindeglieder herzlich eingeladen seien. Alle sollten ihre Freunde und Familien mitbringen.
»Cool«, flüsterte Schlunz Papa zu, »ein Feuerwehrfest im Gemeindehaus!«
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Auf dem Festplatz war ein riesengroßes Zelt aufgebaut. Schon von Weitem hörte man die laute Musik einer Blaskapelle und wenn man näher kam, hörte man auch, wie etliche zu der Musik sangen. »Das wird klasse!«, freute sich Schlunz. Nele sprang vor Aufregung auf der Stelle und hüpfte dabei prompt in eine Wasserpfütze am Straßenrand. Lukas schaute vorsichtig zu Mama und Papa hinüber.
Sie wirkten wie Erstklässler am ersten Schultag.
»Kommt, hier geht es rein!« Schlunz stand schon am Eingang des Zeltes. »Da gibt es Bratwurst mit Brötchen! Los, für jeden eine Wurst, und danach fahren wir Autoscooter, ja?«
In dem Zelt standen unzählige Tische und Bänke in langen Reihen. Viele Hundert Leute saßen da, aßen, tranken, sangen und unterhielten sich, sofern das bei der Lautstärke möglich war.
Papa kaufte an einer der langen Theken für jeden eine Bratwurst und für die Kinder je eine Limo. Mama und Papa teilten sich ein Mineralwasser. Dann hielten sie nach einem Tisch Ausschau, an dem für alle Platz war.
»Da ist Frau Rosenbaum!«, rief Nele plötzlich und zeigte mit ausgestrecktem Finger mitten in die Menge.
»Tatsächlich«, staunte Mama.
Frau Rosenbaum hatte die Schmidtsteiners auch erkannt und winkte sie fröhlich zu sich.
»Siehst du, Papa«, grinste Schlunz, »nun kennt ihr ja doch jemanden auf dem Fest!«
Als sie näher kamen, sahen sie noch jemand Bekanntes: Neben Frau Rosenbaum saßen Herr und Frau Schmücker, die sie im Urlaub kennengelernt hatten.
Herr Schmücker erhob sich sofort und gab Papa und Mama die Hand: »Diesmal sind wir Ihnen aber wirklich nicht gefolgt«, lachte er.
Mama und Papa setzten sich zwischen Frau Rosenbaum und Herrn Schmücker. Lukas, Nele und Schlunz setzten sich ihnen gegenüber auf die Bank, wobei Neles Wurst schon das erste Mal unter den Tisch rollte. Schnell holte Nele die Wurst wieder hoch und rieb mit den Fingern den Dreck ab.
»So, dann lasst es euch mal schmecken«, sagte Herr Schmücker und klopfte Papa freundschaftlich auf die Schulter.
Schlunz faltete seine Hände und legte sie auf den Tisch. »Dann wollen wir noch danken!«, sagte er so laut, dass es nicht nur Papa, sondern auch die Schmückers und Frau Rosenbaum hörten.
Papa lächelte gequält und legte seine Hände unter dem Tisch zusammen. »Heute betet mal jeder für sich«, sagte er zu Schlunz und neigte seinen Kopf.
»Aber Papa«, protestierte Schlunz, »du betest doch immer für uns alle vor dem Essen!«
»Ja«, sagte Papa, »aber doch nicht im Festzelt!«
»Warum nicht? Denkst du, Gott hört uns hier nicht?«
»Doch. Aber Gott hört uns auch, wenn jeder im Stillen betet.«
»Moment mal«, hakte Schlunz nach, »zu Hause würde Gott uns auch hören, wenn jeder im Stillen betet. Da betest du aber so, dass wir es alle hören.«
»Schlunz, es reicht jetzt.«
Schlunz stemmte seine Hände auf den Tisch und beugte sich zu Papa rüber: »Schämst du dich etwa?«
Papa schaute verlegen nach rechts und links zu Frau Rosenbaum und Herrn Schmücker. »Schlunz, bitte.«
Schlunz schaute in die Luft und redete laut drauflos: »Gott, hast du das gesehen? Der Papa traut sich nicht! Lustig, was? Das darfst du ihm nicht übel nehmen, er ist zum ersten Mal hier, weißt du? Da muss er erst mal locker werden! Aber gleich betet er, okay? Ende der Durchsage!«
Dann schaute er wieder zu Papa: »Also, du kannst loslegen. Ich hab Gott schon darauf vorbereitet, dass gleich dein Gebet kommt.«