Der Sechste Tibeter - Christian Salvesen - E-Book

Der Sechste Tibeter E-Book

Christian Salvesen

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Beschreibung

Den Sechsten Tibeter hat Peter Kelder in seinem Buch 'Die Fünf Tibeter' "Die Krönung des ganzen Übungssystems" genannt. Christian Salvesen macht in diesem Buch klar, worum es beim Sechsten Tibeter wirklich geht: Er erläutert den philosophisch-psychologischen Hintergrund der Übung, verdeutlicht ihre tatsächlichen Wirkungen und zeigt, wie man mit Hilfe weiterer, ergänzender Übungen und Meditationen ein intensiveres Körpergefühl entwickeln, die individuelle Liebesfähigkeit stärken und eine sexuelle Beziehung vertiefen und bereichern kann.

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Hinweis

Die in diesem Buch vorgestellten Übungen sind in Kursen und Seminaren unterrichtet und ausgeführt worden. Bei gesundheitlichen Problemen können sie Rat und Hilfe eines Arztes nicht ersetzen. Autor und Verlag übernehmen keine Haftung für Schäden, die sich aus dem Gebrauch oder evtl. Missbrauch der in diesem Buch beschriebenen Übungen ergeben.

Inhalt

Vorwort zur Neuauflage

Einleitung

TEIL 1 Der Sechste »Tibeter« auf dem Prüfstand

Kapitel 1 Colonel Bradford erzählt

Die Legende

Auslese für den Sechsten »Tibeter«

Supermann und Superfrau

Zölibat

Folgenreiches Missverständnis

Der sechste »Tibeter« bei Bradford

Kapitel 2 Erfahrungen mit dem Sechsten

»

Tibeter«

Verhängnisvolle Zweiteilung

Übung: Bringen Sie Ihren Körper zum Beben.

Entmystifizierung des Sechsten »Tibeter«

Heilung der Sexualorgane

Der Fragebogen

Neue Horizonte

Unbegrenzte Energie

Beckenboden und Sexualtherapie

Ein Interview und ein Tagebuch

Innere und äußere Schönheit

Eigene Erfahrungen mit dem »Sechsten«

Übung: Die Sechs »Tibeter«

Kapitel 3 Weiterführende Fragen

Was ist das überhaupt - sexuelle Energie?

Wie lässt sich die Lebensenergie steigern?

Wie wird sexuelle Energie umgewandelt?

Ist das Zölibat nicht doch sinnvoll und nötig?

Aus welcher Tradition kommt der sechste »Tibeter«?

Risiken und Nebenwirkungen beim sechsten »Tibeter«?

Kann der sechste »Tibeter« vor Krankheiten wie AIDS schützen oder sie gar heilen?

Hat der sechste »Tibeter« für Frauen eine andere Funktion als für Männer?

Was ist der Unterschied zwischen Sex und Liebe?

Was bedeutet der sechste »Tibeter« meine-Beziehung?

Gibt es ergänzende Übungen, auch für Paare?

TEIL 2 Yoga und Tantra

Kapitel 4 Die sieben Energiewirbel

Das Chakra-System

Das Wurzelchakra

Das Sakralchakra

Das Nabelchakra

Das Herzchakra

Das Halschakra

Das Stirnchakra

Das Kronenchakra

Chakrameditation mit Musik

Kapitel 5: Wenn die Schlange erwacht: Die Kundalini-Energie

Kundalini

Der sechste »Tibeter« im Yoga

Das PCE-Training von Gerhard H. Eggetsberger

Übung: Anspannen des PC-Muskels und Ashvini Mudra

Die Hirschübung

Evolution

Übung: Das Tagebuch zum sechsten »Tibeter«

Andere Wege der Energie

Kapitel 6: Sexualität verstehen

Wann haben wir etwas wirklich verstanden?

Das Kamasutra

Das Vigyana Bhairava Tantra.

Vom Sex zum kosmischen Bewusstsein

Übung: Die Dynamische Meditation

TEIL 3 Im Hier und Jetzt

Kapitel 7 Zeit und Zeitlosigkeit

Kann der Körper unsterblich werden?

Keine Zeit mehr

Präsenz: den Körper von innen spüren

Übung: Der Sechste »Tibeter« als „Körpergebet“

Kapitel 8 Sex oder Liebe?

Ein Test

Präsenz und körperliche Liebe

Die stille Vereinigung

Übung: Liebemachen nach Barry Long

Das Tao der Sexualität

Übung 1: Sexuelle Energie spüren.

Übung 2: Sich in die Augen schauen.

Übung 3: Lieben wie im Traum

Epilog: Welt oder Erde?

Anhang

Literatur, Tonträger/Videos

Anmerkungen

Vorwort zur aktuellen Ausgabe

Seit dem Erscheinen von „Der Sechste »Tibeter«®“ (2001) sind etliche Dinge geschehen, die in einer Neuausgabe berücksichtig werden könnten. Hat der Terroranschlag von 9/11 mit unerfüllter Sexualität zu tun? Höchstwahrscheinlich. Würde die Abschaffung des Zölibats zu weniger sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche führen? Anzunehmen. Ist die „Me-Too“-Debatte hilfreich für eine liebevollere Beziehung zwischen Männern und Frauen? Wohl kaum. Wie sollten gegenseitige Beschuldigungen zu einem tieferen Verstehen der Sexualität und der sexuellen Energie führen können? Würden sich Mann und Frau endlich einmal wirklich vereinen, dann hätte der „Friede auf Erden“ eine gewisse Chance. Diese kühne Hoffnung steht in diesem Buch Pate – und das nicht unbegründet.

Der „Sechste“ der auch heute noch populären „Fünf »Tibeter«“ galt Ende der 90er Jahre vielen als heikel. Man musste angeblich auf Sex verzichten, wie eine Nonne oder ein Mönch zölibatär sein, um diese Yogaübung überhaupt ausführen zu dürfen, sonst…? Ja, was sonst? In meinem Buch, das 2001 herauskam, habe ich wohl bei etlichen Praktizierenden und auch Lehrerinnen der Übung für Erleichterung und Aufatmen gesorgt. Das kam jedenfalls ganz klar für mich als Feedback bei einem Treffen der Fünf-Tibeter-TrainerInnen in Kißlegg 2003 rüber, als ich mein Buch dort vorstellte. Natürlich muss ich nicht zölibatär leben, um den 6. »Tibeter« auszuüben!

Der „Sechste »Tibeter«“ war mit über 100.000 verkauften Büchern das wohl erfolgreichste „Spin-Off“ der Fünf »Tibeter«. Dabei habe ich das Original von Peter Kelder kritisiert. Nicht wie die Mainstream-Presse als Bauernfängerei, Fälschung Tibetischer Tradition oder Vortäuschung eines nicht existenten Autors. Diese Art von Kritik geht an der Essenz vorbei.

Auch wenn Kelder mit seiner Geschichte vom verjüngten Bradford geschwindelt hat und das Tal der Ewigen Jugend ein Traum ist so hat die Story doch nachweislich motivierend gewirkt. Und wer täglich Yoga übt, bleibt nun mal jünger, innerlich und äußerlich.

Doch wichtiger war und ist mir immer noch, die Irrtümer aufzudecken, die sich rings um die Sexualität aufgebaut haben. Als Hauptgrund für diesen Krieg der Geschlechter sehe ich den ständigen Versuch des Ich – ja, von mir ganz persönlich -, alles kontrollieren zu wollen. Das Ich des Mannes hat stets Strategien entwickelt, die Frau als Lustobjekt gefügig zu machen. Und die Frau hat darauf mit ihren Waffen geantwortet. Was wäre, wenn sich die Liebe auch und gerade körperlich wieder so entfalten und gelebt werden könnte, wie sie aus dem Moment, dem Gegenwärtig-Sein natürlich entsteht?

Das alles geht weit über den Ritus des Sechsten »Tibeters« hinaus. Wir haben bereits im zweiten Teil des Buches mit dem Vergleich von Tantra und Yoga die Halle der Kultur des Menschen nicht nur in Indien, sondern auf der gesamten Erde betreten. Und nun, im dritten Teil, sind wir im Grunde an einem Wendepunkt: Wenn Mann und Frau sich wieder wirklich vereinen, kann der Friede, das Paradies auf Erden erschaffen werden – die Neue Erde.

Gmund, Oktober 2018

Einleitung

Was ist die stärkste Kraft in Ihrem Leben?

Was ist die stärkste und intimste, am meisten missbrauchte und zugleich unbekannteste Kraft in unser aller Leben? Sex, Liebe? In diesem Buch behaupte ich: Es ist die sexuelle Energie. Sie ist weder Sex noch Liebe, doch sie kann sich als Sex oder als Liebe ausdrücken. Sie treibt uns ins Leben, lässt uns tanzen. Den Tanz der Lust, der Leidenschaft und der Freude, des Geldverdienens und der Macht, des Krieges, der Ausbeutung und Zerstörung. Sie macht uns verliebt, verlegen, verlogen, verzweifelt. Sie macht uns erfahren, reif, liebevoll und weise.

Doch all dies liegt nicht in ihrer Absicht. Ihre biologische Funktion ist, neues Leben zu produzieren. Was wir aus dieser treibenden Kraft machen, das ist die eigentliche Frage. Wie können wir sie zum Segen nutzen, statt Unheil anzurichten? Die Antwort ist: Wir müssen sie überhaupt erst einmal kennen lernen, direkt erfahren, so wie sie ist. Was Sex ist, wissen Sie aus eigener Erfahrung. Sie können sicher auch über die Liebe einiges sagen. Doch sexuelle Energie? Klingt irgendwie gestelzt oder abstrakt. Was soll das sein?

1,5 Millionen deutschsprachige Leser haben in den vergangenen 12 Jahren Peter Kelders Buch Die Fünf »Tibeter« gekauft. Ich nehme an, dass es wenigsten ebenso viele gelesen haben, denn ein Exemplar wird ja oft auch von mehreren Menschen genutzt. Die dort beschriebenen Übungen wurden und werden tatsächlich von Zig-Tausenden praktiziert. Die Fünf »Tibeter« zählen zu den populärsten Yoga-Übungen im deutschsprachigen Raum.

Doch eine Übung, die im Buch von Kelder als die „Krönung des Ganzen“ beschrieben wird, wurde bisher fast völlig ignoriert. Der Sechste »Tibeter«. Eine Yogatechnik, die dazu dient, sexuelle Energie zu erfahren, zu erforschen und umzuwandeln – in Kreativität, Langlebigkeit, Klarheit und Liebe. Man sollte meinen, auf diese Übung würde sich jeder als erstes stürzen. Sie ist es wert. Doch anscheinend gibt es da Wächter, die diesen Schatz schützen sollen.

Peter Kelder hat selbst dafür gesorgt, dass sich seine Leser vor dem Sechsten »Tibeter« fürchten. Seine Gründe dafür sind nachvollziehbar, aber nicht stichhaltig. Ein Mythos kann zur Übungs-Praxis anregen. Doch unversehens kann eine einfache Übung auch zu einem Mythos werden, der die Praxis erschwert. Darum geht es im ersten Kapitel. Sie werden das Kelder-Buch neu kennen lernen.

Einen Einblick in die aktuelle Arbeit der bekanntesten »Tibeter«-Trainer erhalten Sie im zweiten Kapitel. Die wollen den Sechsten »Tibeter« “entmystifizieren“, die mit der Sexualität verbundenen Wünsche und Ängste bewusst machen und die ursprüngliche Funktion und Bedeutung dieser Übung vermitteln. Das betrifft jeden, gleichgültig, ob er regelmäßig die Fünf »Tibeter« übt oder nie davon gehört hat.

Die „Weiterführenden Fragen“ im dritten Kapitel - Was ist eigentlich sexuelle Energie? Was bedeutet Zölibat? usw.- beantworte ich zunächst ziemlich allgemein und theoretisch. Es sind Verständnisfragen, die in den folgenden Kapiteln nicht zuletzt durch Übungen vertieft werden.

Das vierte Kapitel will mit dem Chakra-System ein umfassendes „Energie-Modell“ bieten. Da können Sie die unterschiedlichsten Eigenschaften, Gefühle und Energien einordnen und besser verstehen. Vielleicht kann ich Sie auch dazu verführen, einige der Übungen anzutesten.

Im fünften Kapitel geht es um „Kundalini“ – so nennen die Inder die sexuelle Energie. Wie eine Schlange zusammengerollt wartet sie in der Höhle unseres Unterbewusstseins darauf, erweckt zu werden. Und wie wird sie erweckt? Wie fühlt sie sich an? Was bewirkt sie? Wie kann sie kontrolliert werden? Der Sechste »Tibeter« ist die Antwort - keine theoretische, sondern eine, die sich in der Übungspraxis und alltäglichen Erfahrung immer mehr vertieft.

Das sechste Kapitel ist dem ursprünglichen indischen Tantra und dem Verstehen von Sexualität gewidmet. Das mittlerweile im Internet pornografisch vermarktete Kamasutra beschreibt Techniken zur Steigerung sexueller Lust, doch Tantra geht weit darüber hinaus. „Gehe in der Umarmung auf wie im immerwährenden Leben“ empfiehlt Gott Shiva seiner Geliebten Devi in einer alten tantrischen Schrift. Wir beginnen zu ahnen, dass der Liebesakt eine Tür zur Zeitlosigkeit öffnen kann. Dazu werde ich die Thesen des seinerzeit im Westen als „Sexguru“ verschrienen Bhagwan Shree Rajneesh vorstellen. Ohne ihn würde es die heute so rege Tantra-Szene mit all ihren Seminar-Angeboten nicht geben. Rajneesh sieht im Orgasmus den Schlüssel zur Transformation sexueller Energie. Warum?

Die verschiedenen Fäden laufen im dritten Teil zusammen. Es geht um diesen Moment, jetzt. Um die sexuelle Energie spüren zu können, noch bevor sie sich in alle möglichen Fantasien ergießt, und um Ihren Partner erfüllend lieben zu können, müssen Sie wach, bewusst und präsent sein. Das lässt sich üben.

Ich bin weder Therapeut noch Fünf »Tibeter« Trainer. Bei meiner ersten Begegnung mit den Übungen erschienen sie mir im Vergleich zu dem, was ich in fast zwanzig Jahren bei spirituellen Lehrern wie Bhagwan/Osho oder Barry Long erfahren hatte, zunächst eher belanglos. Ein großer Irrtum, die mir bewusst wurde, als ich tatsächlich mit dem Üben des Sechsten »Tibeter« begann. Welch eine Intensität der Empfindung! Weder Lust noch Schmerz, sondern einfach eine ungeheure Intensität, die sich bei mir unwillkürlich in Schütteln entladen wollte. Und dass ich mich danach frischer, wacher, energiegeladener fühlte als sonst, war auch nicht zu leugnen. Was konnte das nur sein?

Während ich dieses Buch schrieb, wurde mir klar: Der Schlüssel zur alchimistischen Umwandlung sexueller Energie liegt im unmittelbaren Empfinden dieser Energie. Es geht nicht darum, irgendetwas mit ihr „zu machen“, sondern sie einfach wahrzunehmen, so bewusst wie möglich. Alles andere geschieht von selbst. Die Auswirkungen werden bei jedem anders ausfallen. Doch ich bin sicher: Ihr Leben wird durch das bewusste Wahrnehmen dieser letztlich undefinierbaren Energie erfüllter, intensiver, geheimnisvoller, „zeitloser“.

(München 2001)

TEIL 1

DER SECHSTE >TIBETER< AUF DEM PRÜFSTAND

Kapitel 1 Colonel Bradford erzählt

Die Legende

Es war einmal ein Offizier der britischen Armee namens Bradford. Er hörte in Indien von einer sagenumwobenen Quelle der ewigen Jugend. Ein von weisen Meistern gehütetes Geheimnis in einem Tal irgendwo im Himalaja, das für normale Sterbliche unerreichbar war. Der Gedanke daran ließ Bradford nicht mehr los. Er vertraute sich – mittlerweile über 70 Jahre alt, klapprig und mit einem Krückstock bewehrt - einem jungen Mann in Los Angeles an und brach anschließend zu einer Expedition in den Himalaja auf, um das Tal und die Quelle der Jugend zu finden.

Nach drei Jahren kehrte Colonel Bradford von seiner Reise zurück und suchte seinen jungen Freund in Kalifornien auf, der ihn fassungslos anstarrte. Der Colonel war nicht wiederzuerkennen. „Anstelle eines gebeugten, blässlichen alten Mannes mit einem Stock sah ich eine große, aufrechte Gestalt. Sein Gesicht strahlte Gesundheit aus, und er hatte dichtes, dunkles Haar mit kaum einer Spur von Grau.“ i

Der Colonel hatte tatsächlich das Tal gefunden und war von den Weisen, den Lamas des Klosters, in das Geheimnis der ewigen Jugend eingeweiht worden. Doch was er von dort mitbrachte, waren weder Zauberformeln noch ein Zaubertrank, sondern sechs Körper-Übungen. Der Schlüssel zum Geheimnis der Verjüngung liegt in der Praxis. Etwas eigener Einsatz ist schon nötig. Und so zeigte Bradford einer 16-köpfigen Gruppe von Menschen, wie die Übungen oder Riten auszuführen waren.

Peter Kelder schrieb sein Buch Die Fünf »Tibeter« 1939, inspiriert von Hiltons Erfolgsroman „Der verlorene Horizont“ (1933). Die Hollywoodverfilmung hatte die Legende von Shangrila, dem zeitlosen Paradies im Himalaja, gerade weltberühmt gemacht. Kelder wohnte damals in Hollywood und versuchte sich ebenfalls als Drehbuchautor. ii Seine Idee, den Shangrila-Mythos durch praktische Übungen in das alltägliche Leben einzubringen, darf rückblickend als genial bezeichnet werden.

Die Geschichte von Colonel Bradford motiviert, die Riten tatsächlich regelmäßig auszuführen. Ein großes Plus der Fünf »Tibeter« gegenüber ähnlichen Übungen, wie Dr. Magyarosy von der Rehabilitationsklinik der Universität München in einem Gutachten feststellte. Die Motivation hängt nicht davon ab, ob die Geschichte faktisch wahr ist oder nicht. Der Mythos wirkt psychologisch auf das Unterbewusstsein, vergleichbar angeleiteten Fantasiereisen im therapeutischen Bereich.

Doch vor sechzig Jahren war ein solches Konzept zu ungewohnt. Erst in den Achtzigerjahren des 20. Jahrhundert - mit dem Boom des New Age - war eine breite Leserschaft bereit, die eigene Gesundheit, Vitalität und spirituelle Entwicklung selbstverantwortlich in die Hand zu nehmen. So begannen Tausende, die fünf Übungen oder Riten zu praktizieren. Zunächst geschah das allein aufgrund der im Buch enthaltenen Anleitungen. Doch bald gab es auch Kurse und Trainings zu den Fünf »Tibetern«. Dabei zeigte sich, dass etliche Teilnehmer die Riten nicht ganz richtig eingeübt hatten. Das konnte zu körperlichen oder psychischen Problemen führen. Es wurde eine Hotline für Fragen eingerichtet. Die Übungen erwiesen sich hinsichtlich der Ausführung und Auswirkungen als so vielschichtig und subtil, dass eine professionelle Anleitung angebracht schien.

Das alles betrifft allerdings nur die fünf Grundübungen. Der sechste Ritus steht außen vor. Er wird schon im Buchtitel nicht mitgerechnet und nur von wenigen „Mutigen“ praktiziert. Dabei ist er laut Colonel Bradford „die Krönung des Ganzen!“ Was hat es mit der Sonderstellung des Sechsten »Tibeters« auf sich? Warum wird er so gemieden? Desinteresse ist sicher nicht der Grund. Denn immer wieder wurden und werden Fragen gestellt wie: Muss man wirklich sexuell abstinent – im „Zölibat“ - sein, um den Sechsten »Tibeter« auszuüben? Kann die Übung impotent machen? Kann sie die Partnerschaft gefährden?

Durch aktuelle Forschungsergebnisse von langjährigen Fünf »Tibeter« - Trainern sollen die wichtigsten Fragen und Probleme geklärt werden. Doch zunächst möchte ich im Originaltext, dem Buch von Peter Kelder, nach möglichen Ursachen für die allgemeine Verwirrung suchen.

Auslese für den sechsten »Tibeter«

„Ich habe Ihnen fünf Riten gegeben, deren Zweck es ist, Ihnen jugendliche Gesundheit und Vitalität zu verleihen. Sie werden Ihnen auch helfen, ein jüngeres Aussehen zurückzugewinnen. Aber wenn Sie wirklich wollen, dass die Gesundheit und das Aussehen der Jugend vollständig wiederhergestellt werden, gibt es einen sechsten Ritus, den Sie üben müssen. Ich habe bis jetzt nichts darüber gesagt, weil er sinnlos für Sie gewesen wäre, wenn Sie nicht zuerst gute Ergebnisse aus den anderen fünf erzielt hätten.“

Was Colonel Bradford seinen Schülern nach dieser Eröffnung vermittelt, ist einer eingehenden Untersuchung wert. Der sechste Ritus wird im Originaltext auf drei Textseiten (und einer Bildseite) vorgestellt. Die Gruppe der angesprochenen Schüler des „Himalaja-Klubs“ besteht nach Vorgabe des Colonels aus sechzehn Männern und Frauen, die alle älter als fünfzig Jahre sind. Sie haben die fünf Riten wochenlang regelmäßig und mit erstaunlichen Erfolgen praktiziert. An diesem Abend verrät der Colonel sein wirkliches Alter. Alle hatten ihn auf Mitte vierzig geschätzt. Dass er über siebzig sein soll, klingt so unglaublich, dass jeder ein weiteres Geheimnis vermutet. Und ja, es gibt den Sechsten »Tibeter«! Doch der ist mit besonderen Umständen verbunden.

Zunächst: Man muss „wirklich wollen“. Und man muss zuerst die anderen fünf Riten geübt und „gute Ergebnisse“ erzielt haben. Das ist für den Leser, der selber praktiziert, eine ziemlich ungenaue Messlatte. Bin ich wirklich bereit? Bin ich schon gut genug? Die erste Unsicherheit. Doch es kommt noch viel dicker: „Der Colonel warnte die Gruppe, dass sie, um aus diesem sechsten Ritus Nutzen ziehen zu können, sich eine sehr harte Disziplin auferlegen müssten. Er schlug uns vor, einige Zeit darüber nachzudenken, ob wir gewillt waren, dies für den Rest unseres Lebens zu tun.“

Sehr harte Disziplin für den Rest des Lebens? Fünf von sechzehn Teilnehmern sind dazu bereit. „Der Colonel sagte, dass dies ein besseres Ergebnis sei, als ihm mit irgendeiner seiner Gruppen in Indien gelungen sei.“

Kommt Ihnen diese Art der Auslese bekannt vor? Genau! Der klassische Einweihungsweg. Die Prüfungen. Ist der Schüler nicht bereit, können ihn die Lehren und Praktiken für Fortgeschrittene nicht weiterbringen, ja sogar gefährlich für seine Entwicklung werden. Die Warnungen: Achtung! Hier geht es um starke Energien, die außer Kontrolle geraten könnten. Jeder muss selbst die Verantwortung übernehmen!

Supermann und Superfrau

Unermüdlich warnt der Colonel: Harte Disziplin, Selbstbeschränkung, Zölibat! Manche Menschen finden Warnungen besonders motivierend. Die meisten schrecken jedoch zurück oder sind verärgert. Lassen Sie sich nichts vormachen! Achten Sie einfach nur auf die Sache selbst, um die es geht. Hier werden alte und wirksame psychologische Techniken eingesetzt, um die Aufmerksamkeit zu erhöhen. Das hat seinen Sinn. Bradford hat den Bogen jedoch vielleicht etwas überspannt. Fällt Ihnen beim Lesen der folgenden Passage irgendetwas unangenehm auf?

„Beim Durchschnittsmann und der Durchschnittsfrau wird ein großer Teil der Lebenskraft, der die sieben Energiewirbel nährt, in sexuelle Kraft umgewandelt. Ein großer Teil dieser Energie geht schon in den unteren Wirbeln verloren, so dass sie nie in die oberen Chakren gelangen kann.

Um ein ‚Supermann’ oder eine ‚Superfrau’ zu werden, muss diese gewaltige Energie zuerst aktiviert und dann nach oben gerichtet werden, so dass sie von allen Wirbeln genutzt werden kann, ganz besonders vom siebten. Mit anderen Worten: Es ist notwendig, sich auf das Zölibat einzulassen, so dass die Sexualenergie zu einem höheren Nutzen umgelenkt werden kann.“

Diese beiden Absätze enthalten zwar die Quintessenz von Yoga und Tantra, von allen Traditionen, die sich mit der Transformation sexueller Energie befasst haben. Unzählige authentische, uralte Texte untermauern also, was Bradford vermitteln will. Wer diese Grundkraft über bloße sexuelle Entladung hinaus in höhere Bereiche des Fühlens, Erkennens und Handelns oder Wirkens lenken kann, der erlebt Vitalität, Kreativität und Freiheit in einem bisher unbekannten Ausmaß – grenzenlos!

Doch das ist viel zu knapp dargestellt. Und noch dazu überlagert von zwei Reizworten, die von der eigentlich wichtigen Aussage ablenken: „Durchschnittsmann/-frau“ und Supermann/-frau“. Für uns heute sind das fragwürdige Begriffe und Vorstellungen. Durch harte Selbstdisziplin und Zölibat vom Durchschnitts- zum Supermenschen? Das spricht doch nur eingefleischte Asketen und Fanatiker an, oder?

Beobachten Sie sich selbst. Welche Vorstellungen lösen die Begriffe „Supermann“ und „Superfrau“ in Ihnen aus? Sie mögen abwehrend den Kopf schütteln und insgeheim fasziniert sein. Die meisten Hollywoodfilme setzen auf Supermänner und Superfrauen. Möchten Sie nicht aus dem Durchschnitt herausragen?

Das Gefährliche an diesen Reizworten ist: Sie zielen auf Vergleich und Bewertung. „Ich möchte besser sein als die anderen!“. Diesen Wunsch hat jeder! Er ist Teil unseres Verstandes. Und der ist darauf konditioniert, sich in diesem Leben, dieser Gesellschaft gegen andere durchzusetzen.

Bei diesen „gewaltigen Energien“ ist äußerste Vorsicht geboten. Da hat Bradford recht. Leider hängt er dem angehenden Yogi, der aufrichtig strebenden Yogini einen Erkenntnisapfel vor die Nase, der nur zu unnötigen Magenverstimmungen und Verdauungsstörungen führt. Sich so richtig stark und gut fühlen – warum nicht? Doch ist das nicht etwas, das von innen kommt, ohne dass man sich mit anderen vergleichen muss? Begriffe wie Durchschnitts- und Supermensch passen hier doch gar nicht. Sie appellieren an das Ego, an Machtgelüste und Profilierungssucht. Vielleicht haben sich einige Leser dadurch abhalten lassen, sich mit dem Sechsten Ritus zu befassen – zu Recht, wie ich finde,

Zölibat

Der Colonel sagt, die Lebensenergie müsse in die höheren Wirbel (Chakras, Energiezentren) gelenkt werden. Richtig! Und dann heißt es unvermittelt: „Mit anderen Worten, es ist notwendig, sich auf das Zölibat einzulassen, so dass die Sexualenergie zu einem höheren Nutzen umgelenkt werden kann.“

Das ist der wohl missverständlichste und tatsächlich am meisten missverstandene Satz im gesamten Kelder-Buch. Rechnet man die Anfragen von Lesern zu diesem Punkt hoch, dürften viele tausend demotiviert gewesen sein, den sechsten »Tibeter« überhaupt jemals auszuprobieren – obwohl sie bereits „gute Erfolge“ mit den anderen Übungen erzielt hatten.

Sehr schade, denn die eigentliche Übung ist nicht nur, wie es bei Kelder nach all den Vorwarnungen und Restriktionen unverhofft heißt, „ganz einfach“. Sie ist vor allem ein wissenschaftliches Experiment und Instrument zur Energiesteigerung und Bewusstseinsentwicklung, jenseits aller Moralvorstellungen, Emotionen und Glaubensrichtungen.

Zölibat – schon das Wort lässt wohl die meisten innerlich zusammenzucken. Keuschheitsgelübde von Priestern, Mönchen und Nonnen: Sexuelle Enthaltsamkeit, und das lebenslänglich! Erotische Beziehung zu anderen Menschen ausgeschlossen. Keinerlei Sex, weder in Gedanken, Worten oder Taten.

Kann Bradford das wirklich meinen? Die Riten kommen schließlich nicht aus dem Vatikan, sondern aus Tibet. Und er weist selbst darauf hin, dass die Kirche beim Umgang mit sexueller Energie etwas grundsätzlich missverstanden hat.

„Nun ist es eine sehr einfache Sache, vitale Lebenskraft nach oben zu richten, und doch sind die Versuche der Menschen durch die Jahrhunderte für gewöhnlich fehlgeschlagen. Im Westen haben religiöse Orden genau dies verursacht und sind gescheitert – weil sie versuchten, Fortpflanzungsenergie zu beherrschen, indem sie sie unterdrückten. Es gibt nur einen Weg, diesen mächtigen Trieb zu beherrschen, und das ist nicht, indem man ihn vergeudet oder unterdrückt, sondern indem man ihn umwandelt – ihn umwandelt und zugleich emporhebt. Auf diese Weise haben Sie das ‚Lebenselixier’, wie es die Alten nannten, nicht nur entdeckt, Sie haben es dann auch zur Anwendung gebracht, was den Alten nur selten gelungen ist.“

Doch ein einziger Begriff kann, wenn er – psychologisch ausgedrückt - „emotional stark besetzt ist“, das Verständnis der Sache blockieren. „Zölibat“ ist so ein Begriff. Und leider wird er im Kelder-Buch – nachdem die einfache Übung anschaulich beschrieben worden ist - noch einmal in seiner abschreckenden Strenge verstärkt und zugleich in eine falsche Richtung gezerrt:

„Für die große Mehrheit der Menschen ist die Wahl eines Lebens im Zölibat kein gangbarer Weg, und sie sollten einfach die ersten fünf Riten ausüben. Doch ist es möglich, dass die fünf Riten mit der Zeit zu einer Veränderung der Prioritäten und zu dem aufrichtigen Verlangen führen, ein ‚Supermann’ oder eine ‚Superfrau’ zu werden. Zu diesem Zeitpunkt sollte die oder der Betreffende den festen Entschluss fassen, einen neuen Lebensweg zu beginnen. Ein solcher Mensch sollte dann bereit sein, diesen Weg fortzusetzen, ohne zurückzuschauen. Wer dazu fähig ist, befindet sich auf dem Weg, wahre Meisterschaft zu erlangen. Er ist fähig, die vitale Lebenskraft zu benutzen, um alles zu erreichen, was er wünscht.“

Motivierend? Hier sei vorweg nur so viel gesagt: Weit über die Hälfte aller bedeutenden spirituellen Meister und Meisterinnen (auch und gerade die des Kundalini-Yoga) haben ihren Partner körperlich geliebt. Sie befürworten keinesfalls das Zölibat, sondern eine natürliche Sexualität. Und: Kein echter spiritueller Meister spricht je vom Erreichen eines Zieles oder der Verwirklichung von Wünschen, schon gar nicht davon, ein Supermann oder eine Superfrau zu werden.

Richtig und wichtig bleibt andererseits die mitschwingende Warnung. Übungen, die sexuelle Energie transformieren, bedürfen höchster Achtsamkeit. Ich möchte in diesem Buch jedoch zeigen, dass es nicht darum geht, sich seine Wünsche zu erfüllen, ganz gleich mit welcher Energie und Technik. Transformation sexueller Energie bedeutet etwas viel Umfassenderes.

Folgenreiches Missverständnis

„Nun, um den sechsten Ritus auszuführen, beachten Sie folgendes: Er sollte nur geübt werden, wenn Sie einen Überschuss an sexueller Energie haben und ein natürliches Verlangen besteht, dem Ausdruck zu verleihen. Zum Glück ist dieser Ritus so einfach, dass Sie ihn überall und jederzeit ausüben können, wann immer Sie das Bedürfnis haben.“

Wie ist das gemeint? Ich muss gestehen, dass mir der logische Zusammenhang zwischen den beiden Sätzen nicht klar ist – und vielen Lesern erging es anscheinend ähnlich. Es klingt fast so, als sollte der Sechste »Tibeter« immer dann praktiziert werden, wenn einen ein sexuelles Verlangen überkommt. Sie sehen in der U-Bahn einen Menschen, der Sie sexuell erregt. Statt Kontakt aufzunehmen oder sich in Phantasien zu verlieren, üben Sie den Sechsten »Tibeter«? Oder – noch fragwürdiger: Seit Wochen hatten Sie mit Ihrem Ehepartner keinen sexuellen Kontakt. Da, endlich, überkommt Sie das Verlangen. Der richtige Zeitpunkt, sich nach vorne zu beugen, tief aus- und einzuatmen und die Energie nach oben zu lenken?

Der erste Satz scheint – für sich genommen - zunächst einleuchtend: Wo keine Energie ist, kann auch nichts nach oben geleitet werden. Und so beharrt der Colonel nach der Darstellung der Übung auch darauf: