Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Die Protagonistin Klara verliert ihr soziales Umfeld in einer fundamentalistischen Sekte. Das Trauma führt zu einem Selbstmordversuch. Sie bekommt professionelle Hilfe durch eine Gruppentherapie. Der Gruppe gelingt ein Perspektivwechsel bei der Definition von Religion und Glauben. Sie finden Antworten auf die Fragen: Was ist Wahrheit, hat Gott einen Namen, wie nahe ist das Weltende, was ist Sünde, wie kann man Liebe zu Gott beweisen? Ihre Suche befreit sie von Religions-Diktatur und antrainierten Ängsten. Sie entdecken das Gold im Dunkel ihrer Seele.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 271
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
1. Prolog
Verurteilt, gedemütigt, geächtet
Der Wettlauf um das Leben beginnt.
Orientierung außerhalb des Körpers
Der Abschiedsbrief
Der Kampf um eine Entscheidung
Bilder, Metapher, Verschränkung, der Ur-Ewige
Das Ur-Juju-Universum
Der Geist - der freie Wille
Der Wegweiser ist, das Vergangene verstehen.
Klara fragt, wer bin ich?
Wer ist Gott?
Klara wird leben
Sexuelle Bedürfnisse instrumentalisiert
Peter der Sünder.
Klara findet zurück ins Leben.
Die Herausforderung einer psychiatrischen Klinik.
Die erste Begegnung.
Maria war Scientologin.
Pater Benedikt ist Quirin.
Klara Munich stellt sich vor.
Gotthilf und die 12 Stämme.
Sophia verließ die Zeugen Jehovas.
Ein Katholik in Gewissensnöten.
Gotthilf beschreibt die 12 Stämme.
Sophia entkam den Zeugen Jehovas.
Marias Erfahrungen in der Orga.
Kindeswohl nach § 1631 BGB.
Klaras Leben mit den Geisterkannten.
Die Gemeinsamkeiten aufdecken.
Der Sinn des Lebens.
Strategie entwickeln.
Gotthilf resümiert.
Klaras Gedanken.
Quirin erklärt seine Theologie zu Dämonen.
Sophia hasst Religion.
Das Experiment mit den Pyramiden.
Die Macke ist nicht die ganze Pyramide.
Religion als Paradoxon beschrieben.
Gottesbild grausam und destruktiv.
Religion und Glauben auf dem Prüfstand.
Aspekte zu Religion - Marias Sicht.
Gotthilf schaut über den Tellerrand.
Klara lernt aus der Vergangenheit.
Quirin beginnt, die Perspektive zu wechseln.
Sophia will nichts mit Religion zu tun haben.
Die Suche nach dem gemeinsamen Nenner.
Krishnamurti beschreibt Religion.
Wer ist Gott?
Das Bild der Kiste.
Was haben Diktatur und Religion gemeinsam?
Die Quellen der Mythen.
Nicht warum fragen, sondern wozu.
Rolle der Frau im Fundamentalismus.
Wie vertrauen?
Information und Kommunikation.
Blaupause durch Erfahrung.
Der Rosenstock der Zarin.
Das Intelligenzzentrum Darm.
Kosmologische Verschränkungen.
Hologramme.
Der Jedi Orden - aus Star-Wars.
Veränderung durch Übersetzungsfehler.
Bilder und Metapher aus dem Aramäischen.
Biblische Normen zu Sex.
Moral außerhalb der westlichen Kultur.
Anomie und die Folgen.
Die Suche nach Gott.
Die Archetypen.
Das Experiment der Zeitreise.
Der ungesunde Glaube..
Reflexion und Ausblick.
Maria erkennt ihre geheimen Wünsche.
Sophia hatte keine Wahl.
Klara fühlt Schuld und Verantwortung.
Quirin will sein System nicht verlassen.
Gotthilf sucht Vergeltung
Das Gold im Dunkel der Seele entdecken.
Gotthilf deckt die Entstehung der Mythen auf.
Sophia sucht Spiritualität außerhalb der Zivilisation.
Maria entzaubert den Glauben an Geister.
Gott mit der erdbezogenen Wahrnehmung erklärt.
Klara erzählt die Geschichte des Bibelkanons.
Homosexualität neu gesehen.
Menschen brauchen soziale Gemeinschaft.
Was ist Wahrheit?
Das Experiment, eine Religionsgemeinschaft gründen.
Der unredliche Guru wird entlarvt.
Weitere Bücher der Autorin
»Ich wurde mit dem sozialen Tod bestraft«, übertitelte die Augsburger Allgemeine den Bericht zur Gründung meiner Selbsthilfegruppe und dem Angebot der Beratung von Sektenaussteigern an der Telefonhotline.
Einschlägige persönliche Erfahrungen motivierten mich zum Handeln.
60 Jahre Mitgliedschaft in der fundamentalistischen Gemeinschaft der Zeugen Jehovas. Danach der Totalverlust der Freunde, Familie und aller sozialen Verbindungen durch das Kontaktverbot. Die Herausforderung, sich in einer fremden »Welt« neu zu finden.
Die Achterbahn der Gefühle und Selbstzweifel.
Die unzähligen Gespräche mit Sektenaussteigern, die Ähnliches erlebten.
Mit den Jahren beantwortete ich die immer gleichen, bangen Fragen:
Zu wem soll ich gehen?
Was ist, wenn sie Recht behalten und das Gottesgericht kurz bevorsteht?
Gibt es die Wahrheit?
Welche Religionsgemeinschaft ist vertrauenswürdig?
Wie konnte mir das passieren?
Warum habe ich nichts hinterfragt?
Kann man der Bibel vertrauen?
Wo bekomme ich Hilfe?
Wer versteht meinen seelischen Schmerz?
Welchen Namen hat Gott?
Solche und ähnliche Fragen quälen Menschen, die in den Fängen von Religionsdiktaturen, neureligiösen Gemeinschaften, Sekten, bei extremistischen Gurus, ihre Selbstbestimmung und das Selbstwertgefühl verloren.
Ihnen wurde der Zugang zum Gold im Dunkel ihrer Seele versperrt.
Mit den richtigen Fragen und Wegweisern lässt es sich finden.
Verfolgen sie den Weg einiger Personen als Beispiel, wie sie es schafften.
Klara Munich, der "Ex-Geisterkannten". Ihre Religionsgemeinschaft steht exemplarisch
für fundamentalistische Sondergemeinschaften, Sekten und sogenannte bibeltreue Christen.
Pater Benedikt, der im früheren Leben Quirin hieß, will seinen Selbstwert ohne das Dogma des katholischen Ordens definieren.
Gotthilf Herzog, entkam den 12 Stämmen.
Maria Obermüller verlor ein Vermögen an die Scientology Organisation.
Sophia Christ, eine Ex-Zeugin Jehovas, kämpft um ihr Kind.
Die Frau, die am Bahndamm kauert heißt Klara. Sie umklammert mit beiden Armen ihre hochgezogenen Beine. Die Morgensonne könnte sie wärmen. Doch Klara friert. Sie fröstelt aus ihrem Innern heraus. Sonnenschein kann ihre dunkle Seele nicht erreichen.
Sie überlegt: Bin ich heute entschlossen genug? Es ist kinderleicht, nur ein paar Schritte, wenn der 8.45 Uhr Zug kommt und alles ist vorbei.
Sie sitzt nicht zum ersten Mal an dieser Stelle. Bisher fand sie jeweils einen Grund, den Plan zu verschieben. Beim ersten Versuch dachte sie noch, es ist Sünde. Darum verließ sie der Mut.
Mir ist es egal, wenn zu der einen Sünde, die mich in die Einsamkeit verbannte, eine weitere dazukommt. Tot ist tot, war ein trotziger Gedanke beim zweiten Versuch.
Klara seufzt in tiefer Verzweiflung. Sie wurde aus der Gemeinde der geisterkannten Christen ausgeschlossen. Sie hatte gegen das Gehorsamsgebot ihrer Gemeinde verstoßen. Ihre geistgeleiteten Führer glauben, vom Geist Gottes befugt zu sein, im Namen Gottes zu handeln. Sie beanspruchen die Deutungshoheit über die Heilige Schrift, die sie das Geoffenbarte Buch nennen. Wer ihnen nicht demütig gehorcht, wird aus der Gemeinschaft ausgeschlossen, vom Leben abgeschnitten, ist geistig tot.
Drei Jahre ringe ich nun schon um Reue, wie von mir erwartet wird. Tausendmal las ich im geoffenbarten Buch nach. Es stimmt mit dem überein, was die Geisterkannten der treuen Führung aus unseren Schriften lehren, grübelt sie.
In Gedanken erlebte sie nochmals ihre damaligen Gefühle. Bewundernd denkt sie an die Kraft ihrer Freundin Esther. Sie grämt sich täglich, weil sie ihre abgeschnittene Tochter nicht mehr in die Arme nehmen darf. Die Ärmste ist physisch und psychisch nur noch ein Schatten ihrer selbst. Sie sprach oft verzweifelt und schluchzend, es wäre ihr lieber, Miriam wäre buchstäblich tot, dann bliebe wenigstens die Hoffnung, dass sie auferstehen wird. Sie dürfte sie nach der Auferstehung wieder in die Arme schließen. Klara fand keinen Trost für sie. Sie weinte mit ihr und wehrte sich gegen den ketzerischen Gedanken, dass so eine grausame Forderung nicht der Wille Gottes sein kann.
Weil ich nicht imstande bin, so bedingungslos zu verzichten, droht mir in Harmagedon, dem ultimativen Gerichtstag Gottes, auf jeden Fall der ewige Tod. Ich habe den Kontakt zu meinem Sohn nicht abgebrochen. Mein Glaube ist nicht brennend genug. Ebendrum ist es egal, wofür mich Gott für immer verwirft. So vertieft in ihre trostlosen Gedanken und Selbstgespräche, bemerkte sie den herannahenden Zug zu spät, um ihren Plan in die Tat umzusetzen.
Der nächste Versuch scheiterte an den Spaziergängern. Sie fingen genau in dem Moment ein Gespräch mit ihr an, als der Zug zu hören war. Der Platz, den sie gewählt hatte, lag zu nahe am Fußweg. Das nächste Mal wollte sie sich am Fuße der Böschung verstecken.
Es folgten quälende Wochen voller Schuldgefühle. Die tägliche Routine im Haushalt erschien ihr sinnlos. Sven, ihr Mann, versteht nicht, warum sie müde und traurig ist. Dass sie sich selbst und ihre Pflichten vernachlässigt, befremdet ihn.
Sie vermisst ihre Freunde. Wieso ist unsere Freundschaft wertlos, weil ich nicht bedingungslos glauben kann, denkt sie hoffnungslos. Schaudernd schlingt sie ihre Arme noch fester um ihre Beine. Die Bilder des Tribunals überfallen sie. Wie eiskalt und herzlos stellten die drei Männer des Rechtstribunals ihre Forderung! Sie hatte zu wählen: Entweder sie sagt sich von ihrem Sohn los, der die Organisation offen kritisiert, oder sie wird selbst als Abtrünnige ausgeschlossen.
Unter Tränen versicherte sie, der Kontakt zu ihrem Sohn diene dem verzweifelten Bemühen, ihn zur Reue zu bewegen. Es nützte nichts. Trotzdem wollte sie nicht zulassen, dass er durch Irrtum in Gefahr geriet. Das hieße mit Satan und den Dämonen im Feuersee vernichtet zu werden. Untröstlich wünschte sie, mehr Zeit und die Möglichkeit, zu beweisen, dass er sich irrt. Nach ihrer Überzeugung haben die Geisterkannten die geoffenbarte Wahrheit. Es ist ihre Berufung, sie der Welt zu verkünden und die Nichterleuchteten vor dem ewigen Gericht zu warnen.
Klara lebte ihren Glauben. Sie hatte ihn so verinnerlicht, dass sie an ihm sogar in Todesgefahr festgehalten hätte. Zum Beispiel würde sie niemals einer Bluttransfusion zustimmen. Eher als Märtyrerin sterben, als unter Druck dem Glauben abschwören, war ihre Devise. Wenn sie Berichte zu Christenverfolgungen hörte, war sie überzeugt, dass sie den Tod nicht gefürchtet hätte. Sven widerspricht jetzt Vielem, was er bisher als Wahrheit vertreten hatte. Er stimmt unserem Sohn zu, grübelte Klara. Warum lassen mich die Beiden allein? Es ist so schwer, die Zweifel zu verdrängen. Die Forderung des Rechtstribunals ist klar und unbeugsam: Entweder ich gehorche der treuen Führung und betrachte meinen Sohn als geistig Toten, oder ich folge ihm ebenfalls in die ewige Abschneidung.
Klara schaffte es nicht, ihren Sohn als Toten zu sehen. Für diese Sünde ist bei den "Geistgeleiteten" keine Gnade vorgesehen. Es gibt keine mildernden Umstände. Das Urteil lautete Gemeinschaftsentzug. Von einer Minute zur anderen war Klara in den Augen aller Geisterkannten geistig gestorben. Die Mitglieder der Kommune sehen sie nicht. Bei einer Begegnung schauen sie durch Klara durch. Niemand spricht mit ihr, um sich nicht selbst in Gefahr zu bringen. Keiner wagt es, die Entscheidung des Tribunals zu hinterfragen. Das Entsetzen stand ihren Freunden ins Gesicht geschrieben, als das Urteil öffentlich verkündet wurde. Jens wagte einen zaghaften Protest. Der Einspruch war angeblich ein Beweis für Rebellion und Ungehorsam. Darum bestand vermeintlich die Gefahr für die Kommune, eine Spaltung zu provozieren. Er wurde ebenfalls in die ewige Abschneidung verbannt.
Diese liebevolle Schutzvorkehrung sollte uns zur Besinnung bringen, dachte Klara untröstlich. Ich kann nichts Liebevolles erkennen, so sehr ich mir auch den Kopf zermartere.
Sven reagierte vollkommen anders als ich. Wütend schmiss er alles hin. Er wollte nichts mehr von der Vergangenheit und dem gemeinsam Erlebten wissen, erinnert sich Klara. Wieso ist er nicht ebenso bereit für seinen Glauben zu leben und zu sterben wie ich? Er verausgabte sich für die Kommune. Warum? Aus welchem Beweggrund? War er nur an seiner Stellung und seinem Ansehen interessiert, wenn er darauf bestand, dass wir alle Anweisungen genau befolgten? Klar, seine Beliebtheit war nicht zu übersehen. Die Vorsteher lobten ihn und gaben ihm immer mehr Verantwortung. Hatten sie wirklich keine andere Wahl als gnadenlos vorzugehen‹?
Nichts als Fragen und Gefühle in einer Sackgasse, sinnierte Klara. Das Karussell in ihrem Kopf begann, sich erneut in der Endlosschleife zu drehen.
Der Gedanke an ihren Sohn Peter stürzte Klara in tiefste Verzweiflung. Seine Wut und Abscheu für die Kommune erlaubt keine Gespräche mehr über den Glauben.
Klara fühlte sich zweifach isoliert. Der Grund für den Gemeinschaftsentzug war: Sie wollte sich nicht von ihrem Sohn trennen. Die Gründe für Peter, den Kontakt zur Mutter abzubrechen sind seine bitteren Vorwürfe. Er sagt, weil er in einer destruktiven Kommune diktatorisch erzogen und geprägt wurde: »Du hast mich manipuliert. Von Muttermilch an lernte ich ein Nicht-Vertrauen und ich kann auch nicht vertrauen. Du bekamst dafür Ansehen von der Kommune, darum hast du nichts hinterfragt.«
Klara hatte auf der Suche nach Antworten, eine Schrift des Neurobiologen Professor Gerald Hüter gelesen. Seine Gedanken scheinen Peter Recht zu geben.
Wer Mitglied einer Gemeinschaft sein will, wird sich zwangsläufig deren Überzeugungen angleichen müssen. Er wird deren Menschen-, Feind- und Weltbild sowie deren Ziele übernehmen. Die kollektiven Bilder dienen der praktischen Umsetzung der Vorhaben. Sie produzieren die erforderliche Haltung sowie die Entwicklung der nötigen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Die sozialen Strukturierungsprozesse finden durch die neuronalen Verschaltungsmuster in den Nervenbahnen im Gehirn statt.
Kinder, die in eine soziale Gemeinschaft, eine Familie, eine Sippe, eine dörfliche oder städtische Lebens- und Kultrugemeinschaft hineinwachsen, werden so ganz selbstverständlich assimiliert. Die Verschaltungen sind in fast beliebiger Weise jeweils durch das Vorbild der Eltern, Verwandte, Freunde zu prägen. Durch Belohnung oder Bestrafung werden die Reaktionsmuster geformt. Diese immense Formbarkeit des Gehirns ist die Voraussetzung für die transgenerationale Weitergabe der wichtigen Fähigkeiten, Fertigkeiten, Kenntnisse und Überzeugungen einer Gemeinschaft. Ohne diese Formbarkeit gäbe es keine Erziehung und Sozialistion, keine Bildung, keine Kultur.
Doch alles, was formbar ist, ist auch verformbar.
Die von Mitgliedern fundamentalistischer Gruppen geformten Bilder sind destruktiv. Schlimmstenfalls engen sie soweit ein, dass nur noch in den Dimensionen schwarz/weiß gedacht werden darf. Die Kinder in solchen Gemeinschaften werden vom frühesten Zeitpunkt an gezwungen in dem engen Rahmen des Kollektivs zu denken. Sie bekommen durch Regeln und Vorschriften ihre Fragen beantwortet, noch ehe sie sie gestellt haben. Das behindert ihre Entwicklung zum selbstständigen und selbstwerten Individuum. Sie sammeln ihre Erfahrungen nicht spielerisch durch Erfolg oder Misserfolg. Sie werden abhängig vom Kollektiv. Es entsteht eine antrainierte Hilflosigkeit. Je eingeengter die Sicht, desto bereitwilliger wird man den Erzählungen von Wundern glauben schenken.
War meine Erziehungsmethode zum Wohl Peters, überlegte Klara. Wesentliche Erkenntnisse der Erziehungswissenschaft und Psychologie zu Autorität und Gottesbild hatte ich nicht. Für uns Eltern zählte die Erziehung zum Glauben. Ließen wir uns als Handlanger für die Religionsgemeinschaft instrumentalisieren? Wir sind getrennt von anderen sozialen Systemen. In unserem System erfahren auch die Kinder Isolation. Sie sind in der Welt der anderen nicht gesellschaftsfähig. Klara fühlt sich irrsinnig schuldig und einsam. Ihr ist bewusst, dass sie ein williges Werkzeug für ein einengendes Wertesystem war. Ich bin völlig wertlos und überflüssig, klagte sie innerlich. Niemand braucht meine Hilfe. Es gibt weit und breit niemanden, der mich verstehen kann. Klaras verzweifelte Gedanken führten sie in einen dunklen Abgrund. Sie durfte nicht mehr an dem Rettungswerk für die Menschheit mitwirken. Sie dachte an wunderbare, gemeinsame Erlebnisse, bei denen sie glaubte, die Geistleitung zu verspüren. Ihre Vorstellungen und Visionen haben sich verflüchtigt. In der anderen Welt der nicht Erleuchteten nützten sie nichts als Orientierungshilfe. Sie sind unbrauchbar für die Planung ihres Handelns. Es ist ein paradoxes Chaos in ihren Gedanken übrig geblieben. Ich kann unmöglich ein Teil dieser bösen, zum Untergang verdammten Welt sein, dachte sie untröstlich. Allein die Vorstellung verursachte ihr Magenschmerzen. Sie fühlte panische Angst. Ihr Herz raste. Kalter Schweiß stand auf ihrer Stirn. Sie hatte keine Perspektive für eine lebenswerte Zukunft.
Nach dem Streit mit Peter, als er seine Verbitterung, seine Wut, seine Vorwürfe und Schuldzuweisungen auf sie abgeladen hatte, saß Klara wieder am Bahndamm. Sie wartete auf den Zug 8.45 Uhr. Wieder hatte sie nicht die Kraft, im entscheidenden Augenblick die letzten Schritte zu gehen.
Plötzlich dachte sie: Ich muss wissen, ob ich schuldig bin. Wenn ja, kann ich diese Schuld wieder gut machen? Sie vertraute sich ihrer Hausärztin an. Obwohl Dr. Wieland ihr Problem nicht wirklich verstand, hatte sie Mitgefühl. Sie riet ihr zu einer Psychotherapie.
Darüber war Sven entsetzt: »Du bist doch eine intelligente Frau«, rief er aus, »Du brauchst doch keinen Psychokram!«
Die Vergangenheit ist unüberwindlich. Psychokram nannten sie diese Form der medizinischen Behandlung verächtlich. Sie galt als Mittel des Teufels, um Rechtgläubige in die Irre zu führen.
Klara war verwirrt. Hatte sich Sven nun von den Rechtgläubigen gelöst oder waren die Lehren für ihn weiter bindend? Wenn Klara den Rat ihrer Ärztin befolgte, verlor sie die Anerkennung ihres Mannes, der überzeugt schien, dass nur dumme Menschen Psychotherapeuten brauchen. Sie wagte nicht, Svens Achtung aufs Spiel zu setzen. Obwohl sie fühlte, dass sie ihre persönlichen Bedürfnisse damit verriet, verzichtete sie auf die Therapie.
Die Zweifel an ihrer Entscheidung raubten ihr den Schlaf. Der Gedanke: Was, wenn es nur ein Vorwand ist, um uns davon abzuhalten, Interna der Kommune an Aussenstehende weiterzugeben, bedrängte sie. Ähnlich wie ihr Sohn konnte sie nicht mehr vertrauen. Weder sich selbst, denn sie hatte viel zu lange blind geglaubt, noch den Fremden in einer Welt, die sie nie kennengelernt hatte. Eine Welt, die angeblich unter der Macht des Bösen stand.
Auch ihren Mann verstand sie nicht mehr. Was glaubte er wirklich? Wer war ihr Mann? Wann hat er eine Rolle gespielt, um ein Ziel zu erreichen? In welchen Situationen hat er nach seiner eigenen Überzeugung gehandelt und wann fremdbestimmt? Es wurde ihr zunehmend peinlich, über ihre Vergangenheit zu reden. Das mitleidige Unverständnis für ihre Probleme, empfand sie demütigend. Es verunsicherte sie. Sie hatte die Orientierung und den Halt vollständig verloren.
Klara sah keinen Grund, ein Leben weiterzuführen, das ihr nur Schuldgefühle, Isolation und Perspektivlosigkeit zu bieten hatte. Sie entschied, es zu beenden.
Wie fühle ich mich denn jetzt gerade?, fragte sie sich neugierig und doch eher teilnahmslos, als sie ihren Platz am Bahndamm eingenommen hatte. Sie schaute sich um. Die Schlehenbüsche gaben Sichtschutz. Die weißen Blütensterne bildeten Kaskaden zarter Schönheit. Bienen summten darin. Ein Schmetterling tanzte um eine gelbe Löwenzahnblüte. In ihrem vormaligen Leben hätte Klara das romantische Treiben mit tiefem Behagen bestaunt. Jetzt versuchte sie, ihre bohrenden Fragen zu beantworten.
›Lieber Schmetterling‹ dachte sie, ›ich fühle mich so stark wie du. Kannst du meine Gefühle tragen? Angst, Kummer, Schuld, Einsamkeit, Trauer, Sehnsucht, Hoffnungslosigkeit, Dunkelheit, Schlaflosigkeit? ... nein, du kannst es nicht. Ich kann es auch nicht mehr‹. »Darum bin ich heute bereit«, sagte sie entschlossen zu sich selbst.
Klara sah auf ihre Armbanduhr. Noch 5 Minuten. Sie holte tief Luft und stand auf. Lächerlich, dass sie gerade jetzt mit Genugtuung an ihre Entscheidung dachte, die Kommunenkleidung anzuziehen. Den knöchellangen Plisseerock in der undefinierbaren Farbe oliv mit grünem, gelbem, roséfarbenem Muster. Diese entsetzlich schlabberige Mode. Er galt als schickliche Kleidung für alle Veranstaltungen der Kommune. Er war vor allem praktisch. Der Rat der Geistleitung in Sachen Mode besagte, mit Wenigem zufrieden zu sein. Man sollte nicht mit der Mode gehen, sondern die Garderobe so wählen, dass Blusen, Pullis und Röcke in vielen Farben miteinander kombinierbar und zeitlos waren. Das ersparte Geld wurde für die christlichen Interessen gespendet.
Klara hatte ihre Röcke, Kleider und Blusen mit den Blümchenmustern vor Jahren entsorgt. Ihr Sohn spottete häufig über den kitschigen Geschmack. Die Frauen hätten kein Modegefühl, monierte er. Klara wollte nicht, dass er sich ihretwegen schämte.
Irgendwie hat Peter ja Recht, dachte sie, ich tat alles, um etwas Ansehen zu bekommen. Wann fragte ich mich je, was mir persönlich gefiel? Ich hatte mich verloren. Wie sollten mich die Anderen kennen, wenn ich mich selbst nicht mehr kannte? Ich verwechselte Anerkennung mit Liebe.
Klara legte ihre Handtasche unter einen der Büsche. Die Polizei sollte ihren Abschiedsbrief finden. Aus der Ferne hörte sie den herannahenden Zug. Es blieben ihr nur noch wenige Augenblicke.
Entschlossen kletterte sie den Rest der Böschung hinunter und betrat die Gleise. Ihr Herz pochte wie ein Presslufthammer. In dem Moment als sie den Zug sah, streckte sie instinktiv die Arme aus und schrie: »Nicht, nicht bremsen!« Sie vernahm dieses unerträglich laute Quietschen der blockierenden Räder auf den Schienen und nahezu gleichzeitig nichts mehr. Der Zug hatte sie erfasst und die restlichen Meter mitgeschleift, bis er endgültig zum Stehen kam.
Es geschah in Bruchteilen von Sekunden, doch Zeit war für Klara nicht mehr vorhanden. Reglos lag sie mitten in den Gleisen.
In Stellwerk und Hauptbahnhof liefen die Notfallroutinen an. Der Notruf des Lokführers lautete Person im Gleis vom Zug erfasst.
Durch die Notbremsung gab es in den Waggons Tumult. Die Fahrgäste wurden aus den Sitzen geschleudert. Einige kreischten vor Schreck. Eine Frau stürzte auf dem Weg zur Toilette.
Dann gespenstische Stille. Die Durchsage aus dem Lautsprecher kam: »Wir bitten den unplanmäßigen Halt, wegen Person im Gleis zu entschuldigen. Falls unter den Fahrgästen ein Arzt ist, bitte dringend beim Zugführer melden«.
Zufällig - doch es gibt bestimmt keine Zufälle - saßen wie jeden Tag um diese Zeit drei Ärzte im Zug. Es waren Kollegen auf dem Weg zu ihrer Arbeit im Zentralklinikum. Einer sprang auf, um der gestürzten Frau zu helfen. Die beiden anderen liefen in den vorderen Zugteil und meldeten sich beim Zugführer.
Mit einem Blick erfassten sie die Situation. Sie sprangen aus dem Wagen und liefen zu der Frau, die reglos in den Gleisen lag. Doktor Kurz verschaffte sich einen ersten Eindruck. Er ließ sich mit der Rettungsleitstelle, die bereits verständigt war, verbinden.
»Eine Person, weiblich, nicht ansprechbar, Vitalfunktionen schwach wahrnehmbar, Verdacht auf Schädelhirntrauma, Verdacht auf Rippenserienfraktur, Frakturen an beiden Unterarmen«, informierte er die Kollegen. Damit begannen in der Notaufnahme des Klinikums die Vorbereitungen für erforderliche Rettungsmaßnahmen.
Der Rettungswagen traf bald an der Unfallstelle ein. Sie befand sich nicht weit vom Klinikum entfernt. Mit viel Lärm fuhren Polizeifahrzeuge vor. Auf der Bahnüberführung sammelten sich Schaulustige. Handykameras wurden auf die Unfallstelle gerichtet, die gut einsehbar war.
Doktor Kurz stellte sicher, dass die Atemwege der Verletzten frei blieben. Da seine Kollegen vom Rettungsdienst bereits herbeieilten, bat er Frau Doktor Richter, sich um den offensichtlich unter Schock stehenden Lokführer zu kümmern. Sie ist Psychologin.
Wenige Minuten nach dem Notfallsignal leistete das Rettungsteam am Unfallort mit professioneller Routine die notwendige Erstversorgung zur Lebenserhaltung der Schwerstverletzten. Kreislaufmittel wurden gespritzt, die Beatmung sichergestellt, eine Infusion gelegt und vor allem der behutsame Transport aus dem Gleis in den Rettungswagen vorgenommen.
Die Polizei suchte an dem weiträumig abgesperrten Unglücksort nach Hinweisen, um den Unglückshergang zu rekonstruieren. Sie fanden die Handtasche der Frau mit den Ausweispapieren und dem Abschiedsbrief. Daraus ergab sich, dass sie ihr Leben freiwillig beenden wollte.
Wieso lebt die Person noch?, musste zunächst ermittelt werden. Wieso war die Kollision von Mensch und Lokomotive nicht tödlich?
Stockend beantwortete der Lokführer die Frage des Polizisten: »Ich ahnte, dass hier eines Tages etwas passiert. Ich hatte an dieser Stelle ständig ein mulmiges Gefühl. Von der Straßenbrücke zum Bahndamm gibt es einen leichten Zugang. Ich beobachtete das Brückengeländer und dachte, eines Tages springt mir hier jemand vor den Zug. Bereits vor der leichten Kurve drossele ich gewöhnlich das Tempo. Es ist bis zum Hauptbahnhof nicht weit. Ich kann die Geschwindigkeit variieren. Als ich das Gleis überblickte und die Bewegung in der Böschung bemerkte, reagierte ich instinktiv mit Vollbremsung. Ich sah noch, wie die Frau beide Arme ausstreckte und dachte, sie will den Zug aufhalten. Aber mein Bremsweg war einfach zu lang. Ich erfasste sie und schleifte sie diese ganze Strecke mit.«
Frau Doktor Richter redete beruhigend auf den Lokführer ein: »Sie haben wunderbar reagiert. Gott sei Dank, haben sie auf ihre Gefühle gehört. Die Frau ist schwer verletzt. Durch ihre Aufmerksamkeit lebt sie.«
Klaras ICH war in einem Zustand der veränderten Wahrnehmung. Sie fühlte sich außerhalb ihres Körpers. Das gefiel ihr. Sie empfand Licht und Wärme. Ein wundervolles Schweben gab ihr Freiheit. Sie hatte keine Sprache oder Worte. Sie verstand nur ihre Gedanken.
Den leblosen Körper auf den Gleisen nahm sie wahr. Sie suchte keine Verbindung zu ihm. Sie mochte Tote nicht. Sie wusste, dass dieser Körper zu ihr gehörte. Sie verspürte keinerlei Gefühlsregung ihm gegenüber. Sie wollte sich von dem Geschehen entfernen. Gleichzeitig beobachtete sie die Menschen, die sich um die Person bemühten. Sie begriff nicht, dass sie mit der Spiegelwahrnehmung die räumliche Dimension sah. Sie war ausserleibig und gleichzeitig gebunden. Sie versuchte zu verstehen.
Sie fragte sich: Bin ich tot oder sterbe ich gerade? Warum widmen die Leute dem Körper auf den Gleisen so viel Aufmerksamkeit? Es ist schön in dieser wundervollen Umgebung. Hier will ich sein. Hier kann ich dem geoffenbarten Buch widersprechen. Ich werde nicht siebzig oder achtzig Jahre alt. Ich bin schon viel früher tot. Ich wagte den Schritt. Welche Verwandlung wird mir nun begegnen? Darauf bin ich nicht vorbereitet.
Wer werde ich sein? Was bin ich? Seele? Geist? Seltsam, dass die Begriffe nicht passen. Ich verfüge über keinen Körper, sondern über Bewusstsein. Bin ich Energie? Ich kann mich nicht erfassen. Ich kann mich nicht beschreiben. Existiere ich? Wer stellt hier Fragen ohne Worte?
Plötzlich erfasste Klara Antworten. Sie vernahm keine Worte, nur Informationen. Ich bin im Plasmazustand. Das verwirrt mich. Ich verstehe Begriffe, die ich nie gekannt hatte. Die Kommunikation funktioniert körperlos. Energie fließt und beantwortet meine Fragen mit passenden Gedanken. Klara versucht einen Vergleich mit googlen. Wenn ich ein Stichwort denke, wird die Lösung damit abgerufen.
Eine energetische Antwort ließ sie verstehen, dass es einen spirituellen Zustand gibt. Sie fühlte sich verschränkt mit weiteren körperlosen, nicht stofflichen Informationen. Sie definierte diese als Wesen. Sie folgerte, es seien Geistwesen. Sie wollte zu ihnen gehören, von ihnen willkommen geheißen werden. Sie hatte die »gesicherte Erkenntnis«, dass sie dort in den allumfassenden Zustand des universellen Ganzen gelangte. Von den pulsierenden, schwingenden Wogen, die sie tröstlich umfingen, wollte sie nie mehr getrennt sein.
Sie denkt: Was da unten auf dem Bahngleis geschah, war meine Entscheidung. ICH trage die Verantwortung. Diese Menschen, die hektisch um den leblosen Körper hantieren, ignorieren meine Entscheidung. ICH will das nicht. ICH muss versuchen, sie daran zu hindern. Wozu all diese Schläuche und Injektionen?
Klara beobachtet, wie der Körper, ihr anderes ICH, aus den Gleisen transportiert wird. Sie verspürt nichts für ihn. Sie möchte ihn in Ruhe endgültig verlassen.
Sie müssen die Handtasche finden und verstehen, warum ich gezwungen bin zu gehen, war Klaras wortlose Wahrnehmung aus dem Energiefluss. Klaras Seele kann anwesende körperlose Wesen identifizieren, die ihr Informationen übermitteln. Sie versteht, dass sie zu dem Geschehen in dem stofflichen Bereich keine Verbindung hat. Sie fühlt ihren Zustand nicht, kann ihn nicht erklären. Sie kennt keine Worte dafür. Sie versteht intuitiv.
Die Erfahrung lehrt sie, dass die geistige Ebene Licht ist. Sie reicht in die Unendlichkeit. Für die Kommunikation ist keine Sprache erforderlich. In der materiellen Ebene verständigt man sich mittels der Sprache. Diese formt Bilder mittels Metaphern. Die dreidimensionale Ebene erfordert Bilder oder Metapher, um Wissen verständlich zu übertragen. In der transzendenten Dimension funktioniert Verständigung ohne Bilder. Das Wissen ist vermittelt durch Energie.
Unter dem Schlehenbusch wurde die Handtasche gefunden. Der Ausweis darin, gab der Polizei Auskunft über Klaras Identität und Anschrift. Ein Kriminalbeamter übernahm die schwere Aufgabe, den Angehörigen von dem Unglück zu berichten und den Abschiedsbrief zu überreichen.
Klara kennt den Inhalt.
Mein lieber Sven, ich hoffe, Du kannst mir eines Tages verzeihen, dass ich diesen Weg für mich gewählt habe. Ich kann die Schuld nicht mehr tragen. Sie erdrückt mich. Sie raubte mir alle Kraft.
Du bist mein Mann und es war für Dich immer selbstverständlich, dass ich Dir demütig untertan bin. Du hast mich zwar nie mit körperlicher Gewalt dazu gezwungen. Dein Anspruch war, dass ich mich freiwillig hingebe und unterwerfe. Du hast mir keinen Raum gelassen. Ich suchte verzweifelt Deine Liebe und Anerkennung. Als Person fühlte ich mich nie wahrgenommen. Ich durfte keine eigenen Bedürfnisse zulassen. Dir kam nie in den Sinn, den psychischen Druck zu hinterfragen, der mein Leben beschwerte.
Schon Eva im Paradies verschuldete die Sünde. Isebel verführte König Salomo zur Baalsanbetung. Ich wurde beschuldigt, Isebels Geist zu pflegen, weil ich zweifelte. Ich bin eine Gefahr für die Kommune.
Ich verausgabte mich, um die Erwartungen aller zu erfüllen.
Ich bin schuld, weil ich eine Frau bin. Dina war schuld, dass ihre Brüder alle Männer einer Stadt ermordeten. Sie hatte Freundinnen aus der Stadt. Glaubte denn die Familie Abrahams auch, dass Nicht-Hebräer schlechte Gesellschaft sind? Für uns sind Nicht-Geistgeleitete »Weltmenschen« und »schlechte Gesellschaft«. Dinas Familie war Gast in einem fremden Land. War Dina wirklich selbst Schuld? Hat sie die Vergewaltigung tatsächlich provoziert?
Das alles studierte und glaubte ich. Jetzt verstehe ich den Zusammenhang nicht mehr. Dina, Eva und Isebel sind Vergangenheit. Ich hatte keine Freundschaft mit der Welt. Meine Schultern sind zu schwach, um alle Bürden zu tragen. Die Welt der Nicht-Geisterkannten kann nicht verstehen, was mich bedrückt. Meine Ärztin schüttelt ungläubig den Kopf. Sie meint es gut, wenn sie mir diese Pillen verschreibt.
Wie sollte sie auch nachvollziehen können, warum mir keine Pillen helfen werden.
Das Schlimmste ist, dass Peter mir die Schuld gibt. Ich habe ihn in der Lehre der Geisterkannten erzogen. Frauen sind in allen Kulturen die Vermittler des Wissens und der Tradition.
Ich habe ihn nicht verraten. Ich liebe ihn. Trotzdem hatte ich keine Chance.
Peter spürte instinktiv, wenn ich von den Regeln der Kommune abweichen wollte. Wenn ich ihm etwas Verbotenes erlaubte, brachte ich ihn in Gewissenskonflikte.
Egal was geschah - die Drohung der Schuld und Sünde war allgegenwärtig.
Mein liebster Sohn Peter, Du bist ein Mann und siehst Dich als Opfer und Verführter.
Du hast Recht. Ich hatte einen großen Anteil daran, Dich unseren Glauben zu lehren.
Ich tat es, weil ich demütig und gehorsam war. Ich wurde gedemütigt.
Ich habe mich sehr bemüht und erntete immer mehr Mühe.
Ich habe mich sehr angestrengt und konnte nicht mehr locker sein.
Ich habe gegen meine Bedürfnisse gekämpft und mich verloren.
Nun gebe ich den Kampf auf.
Ich bitte Euch, versucht, mich zu verstehen.
In aller Aufrichtigkeit
Mama - Klara
In Klaras Wahrnehmung gab es eine deutliche Veränderung. Sie fühlte sich an die Aura der Person gebunden, die sie nicht mehr sein wollte. Lichtseile umgrenzten ihren Raum. Sie stand vor der Wahl, sich jetzt in die Dunkelheit zu entfernen oder diesen Körper zu begleiten.
Sie beobachtete, wie der bewusstlose Körper in den Rettungswagen gebracht wurde. Sie war gefordert, eine Entscheidung zu treffen. Wollte sie die Bemühungen der Menschen unterstützen? Das hieße bleiben. Was hinderte sie, zu gehen? Sie bekam von magischen Anwesenden in ihrem Matrix-Feld eine Antwort - wieder auf wundersame Weise, ohne Worte. Es wurde ihr ein Wissen mit einer Gegenfrage übermittelt. Bin ich überzeugt, dass mein Handeln richtig war? Sofort empfand sie ein NEIN.
Habe ich alle Folgen bedacht? NEIN. Bin ich darauf vorbereitet, was mich erwartet? NEIN.
Sie lenkte ihre Aufmerksamkeit weg von der ICH Perspektive und begann das Geschehen zu beobachten.
Sie beobachtete einen Rettungswagen, in den eine andere Frau getragen wurde. Sie ist wegen meiner Tat verletzt, wusste Klaras Seele. Klara wählte diese Bezeichnung für ihre ungewohnte Wahrnehmungsebene. Sie brauchte eine Sprachbrücke zwischen den Dimensionen. Seele ist die Metapher für das unsichtbare Selbst einer stofflichen Person. Als Klara die Frage dachte: Was ist ihr passiert? Kannte sie die Antwort - sie stürzte bei der Notbremsung und brach sich den Oberschenkelhals. Ein Fahrgast, der Arzt auf dem Weg zur Arbeit, leistete ihr erste Hilfe. Er begleitet sie nun im Notarztwagen.
Der Lokführer erlitt einen Schock. Ein Polizist steht bei ihm. Eine Ärztin spricht beruhigend auf ihn ein. Ich dachte nicht an die Konsequenzen. Dieser Gedanke half Klara, eine Entscheidung zu treffen. Sie wusste nicht, ob sie ihn selbst gedacht hatte, oder ob er einer Spiegelung aus der Mitte der magischen Anwesenden entsprang.
Sie wollte bleiben. Im Augenblick des Gedankens folgte sie im Rettungswagen dem schwer verletzten Körper zur Notaufnahme des Klinikums. Noch hatte sie nicht entschieden, ob sie den Zustand der Spiegelwahrnehmung in die metakosmische Zeit hinein wieder verlassen würde. Die Rückkehr in den Körper hing von den Antworten ab, die sie finden wollte.
Gibt es noch einen Auftrag für mich? JA
Kann ich für die Menschen, die mir etwas bedeuten, nützlich sein? Wieder JA aus dem Gedankenspeicher.
Gedankenübertragung durch kosmische Energie, als mystische Erfahrung, war für Klara überwältigend. Sie widersprach ihrem bisherigen Glauben, dass es keine Existenz nach dem Tod gab.
Diese Erfahrung könnte der heilige Paulus in seinem 2. Brief an die Versammlung in Korinth erzählt haben:
»Ich weiß einen Menschen in Christus, der vor vierzehn Jahren - ob im dem Leib, ich weiß es nicht, Gott weiß es - entrückt wurde bis in den dritten Himmel ....«
Der Bericht einer Nahtoderfahrung. Ich verstand seine Bedeutung nie. Für das Paradies hatte ich irdische Bilder. Über eine Dimension höher als die stoffliche Existenz habe ich nie nachgedacht. Solche Gedanken verboten sich zwangsläufig. Von Dämonen inspirierte Äußerungen erlaubte ich mir nicht.
Nun wusste Klaras Seele es besser. Ich bin Einheit von Köper, Seele und Geist, formierte sich die Information. Wie funktioniert das? Lautete ihre gedachte Frage. Sie brauchte einen Vergleich - eine Metapher damit sie begriff. Wasser bleibt dasselbe Element - egal, in welchem Aggregatzustand: flüssig, Eis, Dampf. Der Mensch ist Körper. Er ist Seele. Er ist Geist. Das ist seine dreidimensionale Existenz. So ist er Teil des gesamten Universums. Sie bekam die Vorstellung, dass eine metakosmische, universelle Dimension Raum und Zeit transzendiert und so universelles Wissen nutzt. Das bedeutet, eine Transformation der Erfahrungen längst vergangener Zeiten ist denkbar. Wahrlich ein überwältigender Gedanke in Klaras unbewusster Wahrnehmungsebene.
»Überlege, warum der Vergleich »Wasser« nicht völlig übereinstimmt, mit dem, was du gerade verstehen willst.«
»Habe ich mir diese Frage gestellt, oder wurde ich aufgefordert zu fragen?«
Klaras Bewusstsein war außer Betrieb. Die neuronalen Funktionen des Unbewussten überwanden die Schranken der Materie. Die Spiegelneuronen analysierten die momentane Situation. Klara verstand, dass nur in der Einheit aller Komponenten der Mensch lebendig ist. Wenn sich die Seele, - Klara dachte sie als »mein Selbst«, - aus der Einheit löst,