Der Sprung aus dem Karree - Walther H. Lechler - E-Book

Der Sprung aus dem Karree E-Book

Walther H. Lechler

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Beschreibung

Ich möchte versuchen, in uns Bilder zu erwecken, genauso in mir wie in jedem von uns, Bilder, die in uns aufkommen, Bilder die schon da sind. Ich möchte ein Wissen wieder zugänglich machen, was wir immer schon hatten, das nie weg war, sondern nur verstellt, verschüttet war. Es war, wie wir im Zeitalter der Computer sagen, unserem Zugriff nicht mehr zugänglich. Es ist etwas, wonach wir uns alle sehnen, nämlich einfach herauszukommen aus der Zerrissenheit, in der wir drin stehen und wieder eins zu werden, ganz zu werden und angekommen zu sein. Diese Bilder, dieses Wissen ermöglicht uns, das Leben leben zu lernen und uns das Leben zu nehmen, das uns zusteht. Walther H. Lechler

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Wichtig ist, Bibeltexte so zu interpretieren, dass sie uns das geben, was uns emotional und körperlich erfüllt. Die Interpretation, die unsere Beziehung zur Erde stärkt und Menschlichkeit in Eintracht mit der Schöpfung gedeihen lässt, ist wohl die sinnvollste.

Anne Pattel-Gray

Angehörige der First Nation (australische Ureinwohnerin)

Theologie-Professorin

Dieses Buch ist all denen gewidmet, die auf dem Weg sind, sich selbst mit ihren Sehnsüchten und Bedürfnissen ernst zu nehmen und sich berechtigt zu fühlen, sich das Leben zu nehmen, das ihnen zusteht.

Insbesondere allen, die an den Bad Herrenalber Begegnungs-wochen des Förderkreises für Ganzheitsmedizin seit 2013 teilge-nommen haben und künftig teilnehmen.

Inhaltsverzeichnis

Vermächtnis von Dr. Walther H. Lechler

Vorwort

«Bibelstunden» – wie es dazu kam und was sie wollen

Der Sprung aus dem Karree. Das Rätsel der neun Punkte

Das vierfache Ackerfeld

Das Unkraut oder das Tollkraut im Weizen

Rückblick auf die Parabel vom vierfachen Ackerfeld und dem Tollkraut im Weizen

Das Senfkorn

Die selbstwachsende Saat. Das Märchen von «Tischlein deck dich, Esel streck dich und Knüppel aus dem Sack».

Anhang

Die Bonding-Psychotherapie

Die 12 Schritte der Emotions-Anonymous, übernommen von der A-Bewegung

Socio-bologisches Bedürfnis (Grafische Darstellung)

Kurve der emotionalen Krankheit und Genesung (Grafische Darstellung)

Literatur zum Bad Herrenalber-Modell

Vermächtnis von Dr. Walther H. Lechler an Weggefährtinnen und Weggefährten

Mein Vermächtnis ist, dass wir das riesige und unendliche Wunder der Schöpfung Mensch und der Schöpfung überhaupt erfassen. Wir müssen lernen, sie mit Verehrung zu empfangen. Bis jetzt haben wir nur kleine Teile erkannt. Hätten wir die Verehrung dieses grossartigen Wunders begriffen, würden wir uns ganz anders verhalten als all das, was auf dieser Welt geschieht. Wir würden dieser Erkenntnis dienen, dass uns mit dem Leben ein wunderbares Geschenk gemacht wurde und aufhören nach irdischen Schätzen zu suchen, die dem tatsächlichen Wunder nicht entsprechen, es nicht deutlich machen.

Wir sind einfach noch nicht zu dieser Verehrung aufgewacht. Wir sind ständig am Erwachen. Immer wieder erwacht ein Teil, erkennen wir kleine Teile, aber wir sind noch nicht richtig aufgewacht, um dieses Wunder als riesiges, unendliches Geschenk zu empfangen und durch und durch zu ehren.

Die menschliche Schöpfung ist so ein grossartiges Wunder. Unser Organismus ist ein Wunder. Man stelle sich vor, dass aus einem mikroskopisch kleinen Samen und einem mikroskopisch kleinen Ei dieses grossartige Gebilde Mensch entstehen kann, mit Abläufen, die wir, auch die Mediziner, überhaupt noch nicht begriffen haben. Fragen wir uns ehrlich: Wie gehen wir mit diesem Wunderwerk von Milliarden von Zellen um? Wenn wir es verstehen würden, wüssten wir mehr über unseren Schöpfer, unsere Schöpferin. Und wir wüssten mehr über diese Welt, in der wir leben. Und wie wir leben sollen.

Die grossartige Mannigfaltigkeit des Daseins müsste geschätzt werden können als Riesengeschenk. Und das kann nur aus dem innersten Erleben des Einzelnen herauskommen.

Und jetzt noch drei Nachgedanken:

1. Beim Nachdenken ist mir aufgegangen, wie damals schon im 1. Weltkrieg Giftgas entwickelt und eingesetzt wurde und Gegenstände geschaffen wurden, welche die Menschen vergifteten und zerfetzten. Es ist unfasslich, dass der menschliche Geist Gegenstände entwickelte und entwickelt, um Menschen grausam umzubringen.

2. Ich lag im 2. Weltkrieg mit einer Kopfverletzung unter einem amerikanischen Bombenteppich. Als ich später in Amerika Vorträge hielt und an AA-Treffen teilnahm, konnte ich von Angehörigen des gleichen amerikanischen Volkes hören: «Sind wir froh, ja unendlich dankbar, dass man dich nicht umgebracht hat.» Ich musste nach Amerika, um das dort von ihnen zu hören! Es ist jetzt und immer an der Zeit aufzuwachen zum grossen Geheimnis der Menschlichkeit, zum Menschsein.

3. Ein grosses Thema des Menschseins ist die Auseinandersetzung mit Nähe. Sie macht uns Angst. Die Schulen hätten da eine riesige Aufgabe und Verantwortung mit den Kindern diese Auseinandersetzung einzuüben.

Aus einem Gespräch mit Walther Lechler. Verfasst von Alfred Meier in Absprache mit dem Autor.

Dr. Walher H. Lechler, 1923-2013, war Gründer und ärztlicher Leiter der Sozio-psychosomatischen Klinik in der Kullenmühle in Bad Herrenalb von 1971-1988. Er schuf mit seinem Team das sogenannte Bad Herrenalber Modell. 1989 gründete er mit Freunden und Freundinnen, Weggefährten, wie er sie nannte, den Förderkreis für Ganzheitsmedizin Bad Herrenalb e.V., der bis heute existiert.

Vorwort

Sie waren legendär, die «Bibelstunden», die Dr. Walther H. Lechler an Samstagen oder Sonntagen in der sozio-psychosomatischen Klinik in der Kullenmühle in Bad Herrenalb im Nordschwarzwald gehalten hat. Es versammelten sich im Aufenthaltsraum eine immer grösser werdende Zahl von Menschen, die sich davon angesprochen, berührt, ja sich vom Leben, das in diesen Bildern entdeckt werden kann, anstecken liessen, sich aus Verstrickungen zu lösen und nach einem Mehr an Leben zu suchen.

Walther Lechler nannte das «ansteckende Gesundheit».

Der Ausdruck «Der Sprung aus dem Karree» war sprichwörtlich für die Klinik. Wenn ihn jemand verwendete, wusste man sofort, aha, der oder die war in Bad Herrenalb.

Im Nachlass von Walther Lechler habe ich vier von Tonbandkassetten abgeschriebene Texte von solchen sogenannten «Bibelstunden» gefunden, die 1981 in einer Reihe hintereinander stattfanden, die alle vom Säen, Wachsen, Blühen und Ernten handeln und was sich damit verbindet.

Der oder die mir namentlich nicht bekannten Person, die mühevoll diese «Bibelstunden» abhörten und niederschrieben, danke ich ganz herzlich. Die Arbeit war es wert, diese Texte zugänglich zu machen und sie so zu erhalten.

Als Auftakt zu diesem Buch soll ein Gedicht von Courtney A. Walsh stehen, das uns auf die Spur führen kann, worum es in diesem Buch geht:

Lieber Mensch,

Du hast es alles falsch verstanden!

Du bist nicht hier, damit dir bedingungslose Liebe gelingt.

Die ist dort, woher du kamst und wohin du gehen wirst.

Du bist hier, um menschliche Liebe zu lernen.

Allumfassende Liebe. Schmuddelige Liebe. Schwitzige Liebe. Verrückte Liebe. Gebrochene Liebe. Ungeteilte Liebe. Durchtränkt vom Göttlichen. Lebendig durch die Anmut des Stolperns.

Offenbart durch die Schönheit … des Scheitern. Und das oft.

Du bist nicht auf die Welt gekommen, um perfekt zu werden.

Du bist es schon.

Du bist hier, um herrlich menschlich zu sein. Fehlerhaft und fantastisch. Und um im Erinnern wieder aufzustehen.

Aber bedingungsglose Liebe?

Erzähl mir nichts davon.

Denn wahre Liebe kommt ohne Adjektiv aus.

Sie braucht keine näheren Bestimmungen.

Sie braucht keine perfekten Umstände.

Sie bittet dich nur, dass du kommst.

Und dein Bestes gibst.

Dass du im Hier und Jetzt ganz da bist.

Dass du leuchtest und fliegst und lachst und weinst und verwundest und heilst und fällst und wieder aufstehst und spielst und machst und tust und lebst und stirbst

als unverwechselbares DU.

Das genügt. Und das ist viel

Alfred Meier, CH-7435 Splügen/Schweiz

Ende März 2024

Alfred Meier war von 1977 bis 2010 Gemeindepfarrer von reformierten Kirchgemeinden in der Schweiz, zusammen mit seiner Frau. Nach einem jahrelangen Suchen nach einer Therapie nach einem psychischen Zusammenbruch fand er 1987 die sozio-psychosomatische Klinik in Bad Herrenalb. Durch sie fand er auf einen Genesungsweg, der bis heute anhält. Ab 2008 war er Vorstandsmitglied des Förderkreises für Ganzheitsmedizin Bad Herrenalb, den er von 2017 bis 2023 als erster Vorsitzende im Team mit weiteren Vorstandsmitgliedern leitete. Mit Walther Lechler zusammen verfasste er einige Bücher zum Bad Herrenalber Modell, insbesondere über das darin wesentliche spirituelle Verständnis.

«Bibelstunden» -Wie es dazu kam, und was sie wollen

Ich bin kein Theologe. Ich habe nie Theologie studiert. Ich möchte auch Theologen keine Konkurrenz machen. Ermutigt durch meinen alten Freund und Lehrer, dem Genfer Arzt Dr. Paul Tournier, dem Begründer der Médecine de la personne und durch Emmet Fox, dem bekannten irisch-amerikanischen Schriftsteller, der viel über Spiritualität schrieb, habe ich einfach eines Tages hier in der Klinik in der Kullenmühle als Laie und Arzt angefangen sogenannte Bibelstunden zu halten.

Wir waren zunächst ein ganz kleiner Kreis. Klein war er, weil ich selbst eine Riesenangst hatte. Ich stand selbst noch nicht so ganz dazu. Ich wusste selbst noch nicht genau, was ich eigentlich mache und ob ich es machen soll. Und dann hatte ich Angst vor meinen Kollegen hier im Haus. Schon nach der Gründung der Klinik 1971/1972 gab es Kontroversen und wurden viele Diskussionen geführt, ob das überhaupt zusammenpasst, Bibel und Psychotherapie, Glaube und Psychotherapie. Die Unternehmer der Klinik waren entsetzt, als sie eines Tages erfuhren, dass ich so etwas machte. Dann hat sich das langsam entwickelt. Und dann haben immer wieder soundso viele von euch 1. danach gefragt und sind 2. dann gekommen zum Zuhören, ja nicht nur zum Zuhören, sondern haben geholfen mitzugestalten und mitzuwirken.

Das Ganze hat den Namen «Bibelstunden» bekommen – man könnte es auch anders nennen - weil sie auf den Geschichten aus dem sogenannten Alten und Neuen Testament basieren, wie sie dort überliefert worden sind. Aber, ich will das nochmals betonen, was hier geschieht, ist überhaupt keine theologische Auslegung, keine katholische oder protestantische Auslegung oder irgendeiner andern Konfession.

Mein Anliegen war und ist, mit diesen Bibelstunden diejenigen zu erreichen und packen zu können, die ich ekklesiogen Geschädigte nenne, so wie es bei mir der Fall war. Damit meine ich Menschen, die statt mit der Frohbotschaft des christlichen Glaubens angesteckt wurden, sich mit einer Drohbotschaft infizierten. Ich gebe keiner Kirche die Schuld. Es ist viel mehr die Frage, ob wir in ein Alter kommen, indem wir entdecken, dass wir selbst verantwortlich sind für das, was wir glauben oder nicht glauben und dass wir das selbst entscheiden müssen. Es ist an uns, zu suchen, wo unser spiritueller Weg sein wird. Vielleicht dauert es lange Jahre, bis wir aufwachten oder aufwachen.

Für meinen Aufwachprozess waren mir die Gruppen und das 12-Schritte- oder Stufenprogramm der Anonymen Alkoholiker (AA) eine ganz entscheidende Hilfe. Ich lernte sie als Bataillonsarzt im Juni 1954 in der amerikanischen Armee kennen. Ich habe in diesen Gruppen bei diesen Menschen etwas entdeckt, zum Glück in englischer Sprache, was sie höhere Macht nannten oder Gott, wie wir ihn verstanden. Diese Fremdsprache half mir, zuzuhören statt sogleich abzuwehren. Ich bin kein Alkoholiker, aber ihre Art von Ehrlichkeit und die Lebendigkeit in der sie in den Gruppen von sich und ihrem Leben, auch von ihrer Not sprachen, machten ein so grossen und bleibenden Eindruck auf mich, dass diese Begegnungen zukunftsweisend für mein persönliches Leben und mein späteres Wirken als Arzt wurde.

Was ich jetzt mit den Bibelstunden anbiete, ist privatissime gratis. Wie das Wort es sagt, ist es umsonst und ein ganz persönliches Angebot von mir. Aber umsonst gibt es ja nichts in dieser Welt. Und so muss man mindestens hierherkommen und zuhören und sich hoffentlich einladen lassen mitzugestalten.

Eine Deutsch-Amerikanerin, Corie mit Namen, Mitbegründerin der amerikanisch-kanadischen Gruppe der Anonymen Alkoholiker in unserer Klinik hier in Bad Herrenalb, hat als Weisheit herausgefunden: Das Wichtigste ist, dass ich meinen Körper hinbringe, mehr muss ich nicht tun, der Geist kommt von selbst nach.

Ich empfinde das eine geniale Formulierung.

Wir sollen erfahren und draufkommen, dass jedes Märchen, jede mythologische Erzählung, jedes Symbol, also alles Urwissen, was Menschen zunächst mündlich überliefert haben und später dann auch niedergeschrieben haben, und was sie sich gesungen haben und weitererzählt haben, immer meine Geschichte ist. Und ich stehe immer an einer ganz bestimmten Stelle dieser bestimmten Geschichte. Das gilt selbst auch für die absonderlichsten, grausamsten und schrecklichsten Geschichten, die es in der Bibel über das Volk Israel gibt und die zu vielen Ablehnungen führten, weil man sagte, diese ganzen Kriegsgeschichten sind einfach grausam, wie sich die Menschen da untereinander behandelt haben. Und ein Teil davon ist reine Pornografie, ist Unzucht und voll von Unsittlichkeit und was man sonst noch so dazu sagen will. Doch sie sind eben auch unsere Geschichten, die sich auch in uns abspielen mit all ihren Elementen. In uns sind die Widersacher. In uns sind die sich bekämpfenden Heere. In uns ist der Feind. In uns sind die Anteile, die auf der Flucht sind und sich verbergen müssen und vor Angst zittern. Auf der andern Seite sind auch die Anteile in uns, die siegreich aus der Schlacht hervor gehen. Oder die, die jahrzehntelang in Knechtschaft sind, die davon losgelöst werden wollen und befreit worden sind.

Die ganze Geschichte zum Beispiel des Exodus, des Auszugs aus Ägypten und später auch aus der babylonischen Gefangenschaft, das alles sind Bilder, die davon berichten, was auch in uns vorgeht. In jedem Moment kann ich anhand dieser Geschichten meine betreffende Situation erkennen. Und ich weiss dann haargenau, woher ich gekommen bin und wenn ich dabei bleibe, wohin ich gehe. Und so sind alle diese Bücher und speziell auch die Bibel mein persönliches Buch und dein persönliches Buch und jede Geschichte meine und deine persönliche Geschichte. Nur muss jeder und jede herausfinden, wo er oder sie bei welcher Geschichte gerade steht, und wie er oder sie diese begreift und versteht. Dazu ist es so wichtig, dass wir aufhören, die Geschichten mit dem Verstand verstehen zu wollen. Mit dem Verstand diese Geschichten verstehen zu wollen ist Unsinn. Sie stellen sich dann als Unsinn heraus, als Quatsch. Und es müssen dann so Bücher geschrieben werden wie «Die Bibel hat doch recht», wo anhand von archäologischen Funden nachgewiesen wird, dass das alles doch stimmt, wie es da geschrieben steht.

Nein, die archäologischen Funde sollen wir in uns machen, teilweise in den Trümmern verlassener Stätten, von denen wir nichts mehr wissen wollen und deren wir uns schämen.

Alle diese Metaphern wie die vom Himmel, vom Himmelreich, dem Königreich Gottes oder vom Willen Gottes und der Hand Gottes usw. bezeichnen etwas, was sich eigentlich nicht bezeichnen lässt, sondern das man nur erleben kann. Manchmal sehen sich diese Metaphern ja an wie geografische Bezeichnungen. Beim Wort Himmel denken wir sofort an den Himmel dieser Erde, der den Gegensatz bildet zur Erde: Himmel und Erde. Im Englischen hat man dafür zwei Worte, heaven für den inneren Himmel und sky für den Himmel, wo die Astronauten und die Satelliten herumfliegen und manchmal auch wir.

Diese Geschichten muss man immer wieder hören, ihnen zuhören und sie zu begreifen versuchen. Wir sind nie in der gleichen Verfassung. Auf einmal geht einem neu etwas davon auf, was eigentlich gemeint ist. Natürlich steht nicht Neues drin, das wissen wir ja, sondern wir begreifen bloss ein bisschen mehr.

So wie wir den Akzent unserer Muttersprache aufnehmen und den kaum verlieren, so können wir auch den Akzent und das Wesentliche dieser Geschichten nach und nach in uns aufnehmen und dann mit ihrem Akzent, den sie setzen, sprechen, wenn wir nur oft genug zuhören. Das Meiste lernen wir durch Zuhören.

Es soll aber jetzt keiner und keine sich Selbstvorwürfe machen und sich vorallem auch nicht mit andern vergleichen, von denen er oder sie meint, die würden die Geschichten besser verstehen und hätten sie eher kapiert. Es geht hier um keine Noten, um keine schulischen Leistungen, sondern einfach darum, zuzuhören. Und vor allem sich keine Gedanken zu machen, wenn’s noch keinen Sinn macht. Allein die Tatsache, dass wir uns die Zeit nehmen, hier zusammen zu sitzen, das ist es schon. Das ist allein schon grossartig.

Oft hören wir etwas und verstehen es zunächst gar nicht. Aber jedenfalls geht der Inhalt in uns hinein, vor allem dann, wenn es sich um einen Inhalt handelt, von dem wir zwar Kenntnis haben, aber es nicht mehr wissen, weil es uns nicht bewusst ist. So geschieht das bei all diesen Gleichnis- oder Bilder-Geschichten. Alles, was in diesen Geschichten vorkommt, sei es im sogenannten Neuen oder im Alten Testament der Bibel oder in sämtlichen Geschichten, die wir Menschen uns erzählt haben in Mythen und Heldensagen, in all den heiligen Büchern, sei es im jüdischsemitischen Bereich bis zum indischen und in den vielen Märchen, Mythen und Geschichten der indigenen Völker usw., ist Kunde von einer Urerfahrung der Menschen. Im Grunde genommen wissen wir also in uns schon, was in diesen Parabeln, Bildgeschichten und Gleichnissen niedergelegt ist, so wie sie Jesus erzählt haben soll und es Spätere niedergeschrieben haben. Wir wissen insbesondere, was unser Sehnen ist. Keiner und keine von uns könnte jemand anderem irgendetwas verständlich machen, wovon er noch nicht wüsste. Es ist nur die Frage, ob wir dazu aufwachen und uns dessen gewiss werden.

Jeder und jede von uns hat diese Kunde von dieser Urerfahrung des Menschen mitbekommen, nur ist das verschüttet worden. Es ist verschüttet worden nicht nur, aber auch von den Eltern, die uns das nicht vermitteln konnten, weil sie es ja auch nicht wussten.

Ich erzähle da gerne die Version, dass wir unsere Eltern so lange drangsaliert haben bis sie nicht mehr anders konnten. Und sie haben uns dann einfach gezeugt. Sie hielten es nicht mehr aus, wie die Seelen sie drangsalierten. Und später wollten die Seelen natürlich nichts mehr davon wissen, dass sie so drangsaliert hatten. Gefällt euch die Idee, dass wir unsere Eltern drangsaliert haben, bis wir endlich da waren? Später dann haben wir das als Gelegenheit benutzt, um unsern Eltern Vorwürfe zu machen, wie sie überhaupt so gewissenslos sein konnten, uns zu zeugen und auf die Welt zu setzen, in der es immer schlimmer werde.

Also diejenigen, zu denen wir auf dieser Welt gekommen sind, und auch die, welche um uns herum waren, angefangen vom Kindergarten zum Kindergottesdienst oder Sonntagschule bis hin zu den andern Schulen, den Universitäten usw., konnten uns diese Urerfahrung nicht vermitteln, weil sie es ja auch nicht wussten. Meist erst eine Krise führt uns dazu, uns mit dem zu beschäftigen, was uns weiterbringen könnte und uns aus dem Loch, in das wir hinein gefallen sind, herausführt, nämlich dass wir durchstossen zu dem Wissen, das wir schon immer in uns haben. Der Schmerz, die Not und die Verzweiflung, auf Deutsch gesagt, der Hunger und der Durst nach Leben und die erlebten Entbehrungen treiben uns dann dazu, wirklich das zu suchen, mit dem wir satt werden können und womit wir unseren Hunger stillen und unseren Durst löschen können. Und deswegen heisst es in der ganzen Botschaft, die dieser Christus, dieser Jesus, in unsere Welt gebracht hat, dass es ein Brot gibt, wenn man von dem isst, man nicht mehr hungrig sein wird, und es Wasser gibt, wenn man davon trinkt, nicht mehr durstig sein wird.

Was ich versuchen möchte, ist, Bilder in uns zu erwecken, genauso in mir wie in jedem von euch, Bilder, die in uns aufkommen, Bilder, die schon in uns da sind. Ich möchte ein Wissen wieder zugänglich machen, was wir immer schon hatten, das nie weg war, sondern nur verstellt, verschüttet war. Es war, wie wir im Zeitalter der Computer sagen, unserem Zugriff nicht mehr zugänglich. Es ist etwas, wonach wir uns alle sehnen, nämlich einfach wieder eins zu werden, herauszukommen aus der Zerrissenheit, in der wir drinstehen und die Entfernung zu überwinden von allem Ganzen und wieder zurückzufinden und wieder daheim zu sein. Bei vielen, die hier dann nach der «Bibelstunde» wieder hinausgehen mit einem völlig anderen Gesicht und anders in die Welt hineingehen und anders in die Welt hineinschauen, könnte man sagen, jetzt ist sie oder er wieder daheim, mindestens zeitweise. Er oder sie hat eine ganz bestimmte Atmosphäre erlebt, wo wir uns miteinander wohl fühlen können. Und das kommt schon sehr nahe heran an das, von dem diese Geschichten erzählen.

Der Sprung aus dem Karree. Das Rätsel der neun Punkte

Wir nehmen ein kleines Rätsel als Denkhilfe und als Vergleich. Man kann es in lerntheoretischen und lernpsychologischen Büchern finden und zwar zum Thema Problemlösung und Problemlösungsversuche. Diejenigen, die Paul Watzlawik kennen, die finden dieses Rätsel in seinem Buch «Lösungen».

Die gestellte Aufgabe lautet ganz schlicht:

Die neun Punkte sollen durch vier Linien ohne den Stift abzusetzen, ohne Unterbruch, und ohne dass Punkte zweimal berührt werden, verbunden werden.

Ein elfjähriger Junge meldet sich und versucht das Rätsel zu lösen.

Du bist aber sehr mutig. Ich hätte das in deinem Alter nicht gewagt, mich zu melden. Ich hätte mich irgendwo verkrochen, ganz hinten in die Ecke und hätte so getan, als wäre ich gar nicht da.

Also los, vier Striche. Nicht schieben. Vielleicht musst du etwas springen. An der Tafel können wir das ja immer korrigieren. Jetzt noch der vierte Strich. Was passiert jetzt? Es fehlt immer noch ein Strich, damit alle neun Punkte verbunden sind. Was machen wir jetzt? Probieren wir es einfach nochmals.

Was wir im Leben nicht haben, ist ein Schwamm, der jetzt das Gezeichnete löscht. Im Leben ist es eher wie beim Schachspiel, gezogen ist gezogen, so heisst die Regel da. Probier’s nochmals. Und lass dich nicht jagen.

Ja, es bleibt einfach immer ein Punkt übrig! Komisch nicht?

So wie wir das hier sehen, wie du dich so hartnäckig abmühst und es immer wieder mit neuer Hoffnung probierst, machen wir es doch auch bei unseren Problemlösungsversuchen in unserem Leben, nicht? Es gibt ja Aufgaben, die hat noch niemand gelöst, das ist zum Beispiel die Quadratur des Kreises und, ein uralter Traum des Menschen, das Perpetuum Mobile. Und es sind dauernd auf der ganzen Welt Bastler dabei, die ihr ganzes Leben opfern und sich sagen: Ich werde das doch schaffen mit dem Perpetuum Mobile!

Unser Rätsel zeigt uns, dass wir eine ganz bestimmte Vorstellung von der Anordnung der neun Punkte haben. Das ist nämlich der Clou. Wie die neun Punkte angeordnet sind, stellen sie ja ein Quadrat dar. Wir sehen in ihnen sofort eine Quadrat, mit einem zusätzlichen Punkt in der Mitte. Und so beschränk, wie wir diese neun Punkte sehen, so begrenzt ist auch unsere Vorstellung von der Welt, die wir im Moment von ihr haben und in der wir leben.

Ich male jetzt ein grosses «C» in dieses Quadrat der neun Punkte hinein.

Festgefahren, oft gefangen im Karree, im eigenen Bewusstsein «C». Im folgenden Text sind ganz viele solche »C’s» beschrieben.

«C» steht für unsere Vorstellung, die sich durch unsere Erfahrungen gebildet und in uns angesammelt hat, lateinisch «C»ognitio. In diesem Wort steckt das Wort «erkennen» drin. Im Englischen «Cognition». Das ist die Summe meiner Erfahrungen. Es ist genau das, was ich jetzt in meinem Hiersein bin, eingepackt in den Rahmen von Zeit und Raum, also sichtlich begrenzt. Es fällt uns doch allen sehr schwer, uns vorzustellen, dass es ausserhalb von uns, auch ausserhalb der Menschheit, noch irgendetwas gibt, denn wir scheinen das letzte Glied in der Schöpfung zu sein. Das ist mit ein Grund, dass wir solche Schwierigkeiten haben mit dem Begriff Gott und dem Begriff Himmel.

Jeder und jede erlebt sich als eine Persönlichkeit und ist auch so geprägt. Als Ausdruck dieser Prägung steht sein Name da. In einem Gespräch, das ich einmal mit Graf Dürkheim haben konnte, und das könnte auch die Lösung für unser Rätsel sein, sagte er: der Karlfried, das ist sein Vorname, muss durch die Dürkheims hindurch zum Karlfried kommen. Und so muss ich als Walther durch den Clan der Lechler hindurch zum Walther kommen. Jeder und jede kann das für sich selbst durchspielen. Die Frauen, die haben es da noch schwerer, wenn man ihre Namensänderung durch die Heirat nimmt, sie müssen durch ihren eigenen Clan durch und dann noch durch den Clan von dem, den sie sich angelacht haben. Das muss der Mann auch, nur fällt es im Namen nicht so auf. Er behält dann lieber seinen Namen und sagt: Da ist alles schon inbegriffen. Das, was uns so einen furchtbaren Schrecken macht, ist nämlich, das aufzugeben, was wir gerade so sind und wo wir uns unter Umständen gerade noch wohlfühlen, um dann zu etwas Anderem, etwas Grösserem zu kommen.

Wenn wir es in uns nicht mehr aushalten, nennt man das ja auch Krise. Das «C» könnte also auch für «C»risis stehen. Dann für Konditionierung, «C»onditioning, das heisst, so wie wir hingetrimmt wurden. Alles, was an uns gewirkt hat und uns geformt hat. All das, was ohne diese herumhängenden Geschlechtsorgane geboren wird, wird hingetrimmt zu der Vor-stellung, die wir vom Mädchen und der Frau haben. Und das, was geboren wird und diese Attribute hat, die herumhängen in der Gegend, wird automatisch hingetrimmt zu dem, was wir im Moment noch für den Mann halten. Und es gibt da ganz bestimmte Dinge, die der Frau und dem Mann zugeordnet werden. Man(n) darf nicht weinen, Man(n) muss tapfer sein usw., eine Frau darf weinen, das ist typisch weiblich. Zum Jungen sagt man dann auch: verhalte dich nicht wie ein Mädchen. Das nur ein paar Beispiele. Wir werden dann dahinkonditioniert, wir werden davon geprägt. Und das ist zunächst wie unser Gefängnis, unsere Bastion, unsere Festung. Man könnte das zum «C» dazuschreiben: das ist unser Karzer. Früher gab es in den Schulen noch Karzer. Wenn man gegen die Regeln verstossen hat, musste man nachsitzen im Karzer oder bekam man Karzer. Im Englischen könnte das «C»ave heissen, Höhle, oder französisch la cave, der Keller. Man ist im Keller, also an einem Ort, wo man es nicht mehr aushält und man wirklich Probleme bekommt und in der Krise ist. Und die möchte man jetzt lösen.

Und suchen tun wir die Lösung im Rahmen dessen, in dem wir uns erleben und wohlfühlen bzw. uns jetzt gerade eben nicht mehr wohlfühlen, aber wo wir geglaubt haben, wir hätten uns wohlgefühlt, denn etwas anderes kennen wir nicht. Dafür steht in unserem Rätsel das Karree. Und wir zwingen auch andere genau dort die Lösung zu suchen. Und da diese anderen auch nicht mehr sehen als wir, fangen die auch tatsächlich an die Lösung dort zu suchen.

Da gibt es ein schönes Beispiel dafür, einen uralten Witz, den ihr wohl schon kennt. Ein Betrunkener kriecht nachts um einen Laternenpfahl herum, sehr unkontrolliert in seinen Bewegungen, und sucht etwas. Wie es so sein will, kommt ein Polizist, dein Freund und Helfer, vorbei und erkundigt, was er denn suche. Da sagt der: Ich suche, hick, meinen Schlüssel, hick. Und so sieht man nach kurzer Zeit auch diesen Polizisten herumkriechen und beide suchen nun den Schlüssel. Der eine hat einen Schluckauf, der andere natürlich, nicht der Polizist. Nach einiger Zeit wagt es der Polizist den Mann zu fragen: Sagen Sie mal, haben Sie den Schlüssel hier verloren? Der sagte: Nein, dort drüben, aber hier ist es heller.