Der Stolz der Flotte - Alexander Kent - E-Book

Der Stolz der Flotte E-Book

Alexander Kent

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Beschreibung

1797: Nach achtzehn harten Monaten auf See kehrt Flaggkapitän Richard Bolitho nach Falmouth zurück, um dort neue Instruktionen entgegenzunehmen. Die Lage ist mittlerweile besorgniserregend, denn mitten im erbitterten Krieg gegen Napoleon meutern im Frühjahr sowohl die britische Kanalflotte in Portsmouth als auch die Nordseeflotte vor Sheerness an der Themsemündung. Da seine Euryalus und deren Besatzung als eines der wenigen noch zuverlässigen Linienschiffe gilt, erhält Bolitho Order, so rasch wie möglich wieder auszulaufen, um an der Spitze von Admiral Broughtons Geschwader Gibraltar zu passieren. Es gilt, den Zugriff der französisch-spanischen Allianz auf Nordafrika unter allen Umständen zu vereiteln. Weder arabische Piraten und ein Schiffbruch noch der weitüberlegene Gegner hindern Bolitho daran, mit seinem Einsatz dem tief in seinem Stolz getroffenen England wieder Vertrauen in seine königliche Flotte zu schenken.

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Der Autor

Alexander Kent kämpfte im Zweiten Weltkrieg als Marineoffizier im Atlantik und erwarb sich danach einen weltweiten Ruf als Verfasser spannender Seekriegsromane. Er veröffentlichte über 50 Titel (die meisten bei Ullstein erschienen), die in 14 Sprachen übersetzt wurden, und gilt als einer der meistgelesenen Autoren dieses Genres neben G.S. Forester. Alexander Kent, dessen richtiger Name Douglas Reeman lautet, war Mitglied der Royal Navy Sailing Association und Governor der Fregatte »Foudroyant« in Portsmouth, des ältesten noch schwimmenden Kriegsschiffs.

Das Buch

1797: Nach achtzehn harten Monaten auf See kehrt Flaggkapitän Richard Bolitho nach Falmouth zurück, um dort neue Instruktionen entgegenzunehmen. Die Lage ist mittlerweile besorgniserregend, denn mitten im erbitterten Krieg gegen Napoleon meutern im Frühjahr sowohl die britische Kanalflotte in Portsmouth als auch die Nordseeflotte vor Sheerness an der Themsemündung. Da seine Euryalus und deren Besatzung als eines der wenigen noch zuverlässigen Linienschiffe gilt, erhält Bolitho Order, so rasch wie möglich wieder auszulaufen, um an der Spitze von Admiral Broughtons Geschwader Gibraltar zu passieren. Es gilt, den Zugriff der französisch-spanischen Allianz auf Nordafrika unter allen Umständen zu vereiteln. Weder arabische Piraten und ein Schiffbruch noch der weitüberlegene Gegner hindern Bolitho daran, mit seinem Einsatz dem tief in seinem Stolz getroffenen England wieder Vertrauen in seine königliche Flotte zu schenken.

Alexander Kent

Der Stolz der Flotte

Flaggkapitän Bolitho vor der Barbareskenküste

Roman

Aus dem Englischen

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Neuausgabe bei RefineryRefinery ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin Juli 2018 (1)

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2018© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2010© für die deutsche Ausgabe: Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M. – Berlin 1979© 1971 by Alexander Kent Titel der englischen Originalausgabe: The Flag Captain Covergestaltung: © Sabine Wimmer, Berlin

ISBN 978-3-96048-141-6

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Inhalt

Der Autor / Das Buch

Titelseite

Impressum

I Laß fallen Anker!

II Der Besucher

III Flaggengruß

IV Als Warnung für alle

V Ein schlechter Anfang

VI Im Verband

VII Breitseite!

VIII Die Prise

IX Ein neuer Feind

X Dem Tode entronnen

XI Das Warten ist zu Ende

XII Das Kastell

XIII Die zweite Chance

XIV Ein Ort des Grauens

XV Vergeltung und Vergessen

XVI Ein Ehrenhandel

XVII Wiedervereint

XVIII In der Falle

XIX Im Gefecht

Epilog

Anmerkungen

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

I Laß fallen Anker!

Motto

Über den Meeren dieser Weltschweben die Geister der Väter.Das Schiffsdeck war ihr Ruhmesfeld,ihr Grab die tiefe See.

Campbell

I Laß fallen Anker!

Als an der Glocke im Vorderkastell sechs Glasen angeschlagen wurden, kam Captain Richard Bolitho unter der Kampanje hervor. Beim Kompaß blieb er einen Moment stehen. Der Steuermannsmaat am großen Doppelruderrad meldete eilig: »Nordwest zu Nord liegt an, Sir!« und schlug dann die Augen nieder, als Bolitho ihn ansah. Es ist, dachte Bolitho, als wüßten sie alle genau Bescheid, wie nervös und gespannt ich bin, und als wollten sie mich mit aller Gewalt aus dieser Stimmung herausreißen.

Er schritt über das breite Achterdeck zur Luvseite hinüber. Ohne hinzusehen wußte er, daß seine Offiziere ihn beobachteten, Vermutungen über seine Laune anstellten, neugierig waren, wie sich dieser Tag wohl anlassen würde.

Aber achtzehn Monate lang war das Schiff ununterbrochen auf See gewesen, und die Besatzung war, abgesehen von denen, die im Kampf gefallen oder ihren Verwundungen erlegen waren, noch die gleiche, die an jenem Oktobermorgen 1795 mit ihm ausgelaufen war. Sie hatten also reichlich Zeit gehabt zu begreifen, daß man ihn in diesen kostbaren ersten Minuten des Tages in Ruhe lassen mußte.

Nasser Nebel hatte das Schiff fast die ganze Nacht hindurch verfolgt, während es langsam im Kanal vordrang, und war nun dicker denn je. Er zog in Wirbeln um die schwarze Schraffur der Takelage und hing wie Tau am Schiffsrumpf. Jenseits der Netze mit den sauber weggestauten Hängematten hob und senkte sich die See in einer breiten ablandigen Dünung; ihre Oberfläche, matt und bleifarben, blieb jedoch unter der schwachen Brise beinahe glatt.

Ein leichter Schauer überfiel Bolitho; er verschränkte die Hände unter den Rockschößen und blickte zu den mächtigen Rahen hoch, über denen die Konteradmiralsflagge feucht und schwer vom Kreuzmast hing. Kaum zu glauben, daß dieser Himmel irgendwo auf der Welt klar, warm und freundlich war; an diesem Maimorgen hätte die Sonne eigentlich schon das Land berühren sollen, das immer näher kam. Sein Land: Cornwall.

Er wandte sich um. Da stand Keverne, der Erste Offizier, sah ihn aufmerksam an und wartete offenbar auf den richtigen Moment.

Bolitho rang sich ein Lächeln ab. »Guten Morgen, Mr. Keverne. Kein rauschender Willkomm, wie mir scheint.«

Keverne war deutlich erleichtert. »Guten Morgen, Sir. Der Wind ist stetig Südwest, aber viel ist es nicht damit.« Er drehte nervös an seinen Rockknöpfen. »Der Master meint, wir sollten lieber erst einmal hier draußen ankern und abwarten, bis der Nebel steigt; es könnte nicht lange dauern.«

Bolitho sah kurz zu dem kleinen rundlichen Segelmeister[1] hinüber. Sein abgetragener schwerer Rock war bis an das Doppelkinn zugeknöpft, und in dem seltsamen Gegenlicht sah der Mann aus wie ein runder blauer Ball. Er war vorzeitig ergraut, beinahe weiß, und trug das Haar im Nacken zu einem altmodischen Zopf gebunden, so daß es an die gepuderte Perücke eines Gutsbesitzers erinnerte.

»Na, Mr. Partridge«, Bolitho versuchte wieder, etwas Wärme in seinen Ton zu legen, »Sie sind doch sonst nicht so schüchtern vor einer Küste?«

Partridge trat nervös von einem Fuß auf den anderen. »Bin noch nie in Falmouth vor Anker gegangen. Das heißt, noch nie mit einem Dreidecker.«

Bolitho befahl dem Steuermannsmaaten: »Geht nach vorn und setzt zwei gute Lotgasten in die Rüsten. Das Lot braucht frischen Talg. Ich will keine falschen Meldungen hören!«

Wortlos eilte der Mann davon. Bolitho war überzeugt, er würde wie alle anderen an Bord auch ohne besonderen Befehl wissen, was zu tun war, ebenso wie er selbst wußte, daß er das nur gesagt hatte, um Zeit zu gewinnen und über seine Motive nachdenken zu können.

Warum ankerte er eigentlich nicht draußen, wie der Master vorgeschlagen hatte? Warum ging er immer näher an diese unsichtbare Küste heran? Wollte er damit zeigen, wie mutig er war? Oder war es einfach Eitelkeit?

Vom Vorschiff kam der langgezogene Ruf des Lotgasten: »Sieben Faden[2]!«

Die Segel waren in ständiger leichter Bewegung, sie glänzten im Nebel wie geölte Seide. Wie alles an Bord troffen auch sie vor Nässe und füllten sich kaum in der flauen Brise, die achterlich von Backbord kam.

Falmouth. Vielleicht war er deswegen so unsicher und verkrampft. Achtzehn Monate lang hatten sie erst Blockadedienst gefahren und dann die südlichen Zufahrtswege nach Irland überwacht. Von einer Woche zur anderen wartete man darauf, daß die Franzosen versuchen würden, in Irland zu landen und dort einen Aufstand zu organisieren; und als es vor fünf Monaten soweit gewesen war, hatte die Blockadeflotte nicht aufgepaßt. Daß der Versuch fehlschlug, war nicht das Verdienst der überbeanspruchten Patrouillenschiffe gewesen, sondern das französische Geschwader war durch Stürme auseinandergerissen worden.

Im Gang unter der Kampanje waren Schritte zu hören – der Admiralssteward brachte seinem Herrn das Frühstück in die große Oberdeckskajüte.

Seltsam, wie sich das alles noch ergeben hatte, ehe sie hier in Falmouth, Bolithos Heimatstadt, einliefen. Was galten Dienstvorschriften und Admiralitätsorder – das Schicksal hatte sie einfach überrannt.

»… und sechsdreiviertel«, sang der Lotgast aus.

Bedächtig, das Kinn tief in der Halsbinde, schritt Bolitho an der Luvseite auf und ab. Vizeadmiral Sir Charles Thelwall, dessen Flagge dort oben so schlapp im Masttopp hing, war jetzt seit einem Jahr an Bord. Schon als seine Flagge zum erstenmal gehißt worden war, galt er als kranker Mann. Er war verhältnismäßig alt für seinen Dienstrang, und die Verantwortung für ein übermäßig beanspruchtes Geschwader machte ihm schwer zu schaffen. In dem Nebel und der schneidenden Kälte der letzten Wintermonate war seine Gesundheit zusammengebrochen. Als sein Flaggkapitän[3] hatte Bolitho getan, was er konnte, um den Druck zu mindern, der auf dem müden, runzligen kleinen Admiral lastete, und es war schmerzlich mit anzusehen, wie dieser Tag um Tag vergeblich gegen seine Krankheit ankämpfte, der er schließlich doch erliegen sollte.

Nun kehrte das Schiff endlich nach England zurück, um seine Vorräte zu ergänzen und neu ausgerüstet zu werden. Sir Charles Thelwall hatte bereits eine Korvette mit Berichten, Anforderungen und der Mitteilung über seinen Gesundheitszustand vorausgeschickt.

»Sechs Faden!«

Wenn das Schiff Anker warf, würde also der Admiral an Land gehen und dort bleiben. Aber er würde wohl kaum lange genug leben, um sich seines Ruhestandes zu erfreuen.

Und da war noch so eine Laune des Schicksals. Vor zwei Tagen, als das Schiff eben majestätisch Wolf Rock gerundet hatte, kam eine schnellsegelnde Brigg mit neuen Befehlen für den Admiral. Dieser lag zu der Zeit in seiner Koje, von trockenem, tödlichem Husten geschüttelt, der sein Taschentuch mit roten Blutstropfen sprenkelte; er hatte Bolitho gebeten, die Depesche zu lesen, welche die Jolle der Brigg an Bord gebracht hatte.

Die Order besagte mit aller Kürze, daß Seiner Britannischen Majestät Schiff Euryalus so schnell wie möglich die Bucht von Falmouth anlaufen sollte, nicht Plymouth, wie ursprünglich vorgesehen. Dort sollte es die Flagge von Sir Lucius Broughton, Ritter des Bath-Ordens[4], übernehmen und weitere Instruktionen abwarten.

Sobald die Order quittiert war, segelte die Brigg mit beinahe unhöflicher Eile wieder ab. Das war ebenfalls merkwürdig. Das Land befand sich in einem immer wütender und grimmiger werdenden Krieg, und da war für zwei Schiffe, die sich auf hoher See trafen, und für deren Besatzungen, die bei jedem Wetter und unter schwierigsten Bedingungen nach dem Feind Ausschau halten mußten, jede, auch die geringfügigste Nachricht von hohem Wert. Die Brigg hatte sich der Euryalus sogar nur sehr vorsichtig genähert. Daran war Bolitho gewöhnt, denn sie war ein Prisenschiff und sah noch so französisch aus, wie man es von einem erst vier Jahre alten Schiff nicht anders erwarten konnte.

Aber trotzdem – auch diese Einzelheit verstärkte Bolithos Gefühl der Unsicherheit.

»Sechs Faden!«

Er wandte sich um und befahl: »Lassen Sie mir das Lot bringen, Mr. Keverne; sie sollen aber unterdessen mit dem zweiten Lot weitermachen!«

Ein barfüßiger Matrose kam mit klatschenden Sohlen aufs Achterdeck und führte grüßend die Handknöchel an die Stirn. Dann hielt er Bolitho das große, tropfende Lot hin und sah interessiert zu, wie dieser mit dem Finger in die Höhlung fuhr; die Talgfüllung war voll mattglänzender Körner, die wie rötlicher Korallenbruch aussahen. Bolitho rieb die Körnchen in der Handfläche auseinander und sagte zerstreut: »Die ›Sechs Schweine‹.«

Hinter ihm murmelte Partridge bewundernd: »Also, wenn ich’s nicht gesehen hätte, ich würd’s nicht glauben.«

Bolitho sagte: »Fallen Sie einen Strich ab und lassen Sie ›An die Brassen‹ pfeifen.«

Keverne hüstelte und fragte leise: »Was bitte sind die ›Sechs Schweine‹, Sir?«

»Sandbänke, Mr. Keverne. Wir sind jetzt ungefähr zwei Meilen südlich von St. Anthony’s Head.« Doch auf einmal genierte er sich, weil er so tat, als könne er Wunder wirken, und erläuterte lächelnd: »So heißen diese Sandbänke – warum, weiß ich auch nicht. Aber seit ich denken kann, bedecken dort diese kleinen Steine den Grund.«

Rasch wandte er sich um und sah, daß ein Streifen Sonnenlicht durch den Nebel drang und das Achterdeck wie ein blaßgoldener Finger berührte. Partridge und die anderen würden die Ehrfurcht vor seiner Navigationskunst sehr rasch verlieren, wenn er sich in seinen Berechnungen geirrt hatte. Vielleicht war es auch mehr Instinkt als Berechnung gewesen. Schon lange bevor er als schlaksiger zwölfjähriger Midshipman zur See geschickt worden war, kannte er jede Bucht und Einfahrt in weitem Umkreise von Falmouth. Aber trotzdem konnte einem das Gedächtnis einen Streich spielen, und es wäre weder für den Admiral noch für seine eigenen Beförderungsaussichten sehr erfreulich gewesen, hätte die Euryalus am frühen Morgen, in Sichtweite seiner Heimatstadt, entmastet und aufgelaufen vor der Küste gelegen.

Laut killten die großen Marssegel, das Deck krängte unter dem Andruck einer plötzlichen Brise, und wie ein fliehendes Geisterheer zog der Nebel durch die Takelage weg vom Schiff.

Bolitho unterbrach sein Auf- und Abgehen. Er starrte auf das sich ständig erweiternde Panorama der grünen Küste vor dem Bug. Sie wurde immer breiter, immer lebensvoller. Dort – es sah fast aus, als balanciere er auf dem Bugspriet – stand der Leuchtturm von St. Anthony, normalerweise der erste Gruß der Heimat an den heimkehrenden Seemann. Etwas nach Backbord hockte der graue Steinklotz von Pendennis Castle bedrohlich auf der Landzunge. Seine grauen Mauern trotzten der Sonne und ihrer Wärme; seit Jahrhunderten bewachte die Festung die Hafeneinfahrt und die Straße ins Landesinnere.

Bolitho leckte sich die Lippen. Sie waren trocken, und das nicht nur von der Salzluft.

»Kurs auf die Reede, Mr. Partridge! Ich gehe inzwischen zum Admiral.«

Partridge starrte ihn an und faßte dann an seinen zerbeulten Hut. »Aye, aye, Sir.«

Unter der Kampanje war es kühl und dunkel nach der blendenden Helligkeit auf dem Hüttendeck; und als Bolitho zum Niedergang schritt, der zur Wohnkajüte des Admirals führte, grübelte er immer noch darüber nach, was die Zukunft ihm und seinem Schiff wohl bringen würde. Während er leichtfüßig den Niedergang hinabeilte, wurde ihm plötzlich wieder einmal klar, mit welch gemischten Gefühlen er damals das Kommando über die Euryalus übernommen hatte. Es war durchaus nichts Ungewöhnliches, Prisenschiffe in die Flotte zu übernehmen und gegen ihre früheren Herren einzusetzen, und meistens ließ man ihnen auch den alten Namen. Viele Matrosen glaubten, den Schiffsnamen zu wechseln bringe Unglück; aber was Seeleute so daherredeten, beruhte meist nur auf alten Überlieferungen und nicht auf Tatsachen.

Sie hatte vorher Tomade geheißen und war das Flaggschiff des französischen Admirals Lequiller gewesen, der die britische Blockade durchbrochen hatte und in den Westatlantik bis zu den Kariben vorgestoßen war, wo er Tod und Verderben verbreitete; doch schließlich hatte ihn ein relativ kleines britisches Geschwader in der Biskaya gestellt. Lequiller hatte vor Bolithos Schiff die Flagge streichen müssen, vor der alten Hyperion; aber er hatte den hochbetagten Zweidecker vorher so zusammengeschossen, daß er nur noch ein schwimmendes Wrack war.[5]

Die Lords der Admiralität hatten entschieden, daß Bolithos große Prise umbenannt werden sollte, wohl hauptsächlich aus verletzter Eitelkeit, denn Lequiller hatte sie mit diesem Schiff mehr als einmal überlistet. Komisch, dachte Bolitho damals, daß die Herren, die Seiner Majestät Kriegsflotte von den Höhen der Admiralität aus leiteten, so wenig von Schiffen und Seeleuten verstanden, daß sie einen solchen Namenswechsel für nötig hielten.

Nur die neue Galionsfigur der Euryalus war englisch. Jethro Miller in St. Austell, Grafschaft Cornwall, hatte sie geschnitzt, ein Geschenk der Bürger von Falmouth für einen der berühmtesten Söhne ihrer Stadt. Miller war Schiffszimmermann auf der Hyperion gewesen und hatte in jener letzten furchtbaren Seeschlacht ein Bein verloren. Aber seine Kunstfertigkeit war ihm geblieben, und die Figur, die aus kalten blauen Augen nach vom starrte, mit Schild und erhobenem Schwert, hatte das Wesen des Schiffes ein wenig verändert. Vielleicht sah sie dem Helden der Belagerung von Troja nicht sehr ähnlich, aber es reichte aus, um das Herz so manchen Feindes mit Furcht zu erfüllen, der sie sah und ahnte, was auf ihn zukam.

Denn der mächtige Dreidecker repräsentierte eine Kampfkraft, mit der man rechnen mußte. In Brest von einer der besten Werften Frankreichs erbaut, besaß er alle modernen Verfeinerungen und Verbesserungen in Bau und Besegelung, die sich ein Kommandant nur wünschen konnte.

Vom Vorsteven bis zur Heckreling maß das Schiff 225 Fuß[6], und in seinem zweitausend Tonnen Raum trug es nicht nur hundert Geschütze, darunter die schweren Zweiunddreißigpfünder[7] der Unterdeckbatterie, sondern auch über achthundert Mann Besatzung – Offiziere, Matrosen und Marine-Infanteristen. Sie konnten, wenn sie richtig geführt wurden, ein respektheischendes, ja vernichtendes Wort mitreden.

Als sie in Dienst gestellt wurden, mußte Bolitho jeden Mann nehmen, den er kriegen konnte, denn der rund um die Uhr gehende Schiffsdienst erforderte eine Menge Menschen. Bleiche Schuldner und Taschendiebe aus den Gefängnissen, ein paar ausgebildete Seeleute von anderen im Dock liegenden Schiffen und die übliche Mischung, die von den gefürchteten Preßkommandos[8] eingebracht wurde. Denn die Zeiten waren hart, und die menschenhungrige Kriegsflotte hatte schon jeden Hafen, jedes Dorf durchsiebt und bejagt; und da man immer stärker mit der Möglichkeit einer französischen Invasion rechnen mußte, konnte es sich kein Kapitän leisten, noch groß zu wählen und auszusuchen, wenn er sein Schiff kampffähig machen wollte.

Es hatte auch Freiwillige gegeben, meistens Männer aus Cornwall, die Bolithos Namen und Ruf kannten, doch waren viele darunter, die ihn nie im Leben persönlich gesehen hatten.

Im Grunde war er mit der Euryalus dienstlich ein gutes Stück vorwärtsgekommen, wie er sich damals oft gesagt hatte. Sie war ein großartiges und noch dazu neues Schiff. Außerdem war dieses Kommando sowohl eine offene Anerkennung seiner bisherigen Leistungen als auch das Sprungbrett zu weiterer Beförderung. Von so etwas träumte jeder ehrgeizige Marineoffizier; und in einer Laufbahn, bei der das Avancement oftmals vom Tode eines Ranghöheren abhing, mußte die Euryalus Bewunderung und Neid bei denen erregen, die weniger Glück hatten.

Doch für Bolitho bedeutete sie noch etwas mehr, etwas sehr Persönliches. Während er die Karibische See durchstreifte und dann zu jener letzten Schlacht in die Biskaya zurücksegelte, hatte ihn die Erinnerung an Cheney, seine Frau, gequält, die unterdessen in Cornwall gestorben war; er war in ihrer Todesstunde, als sie ihn am nötigsten gebraucht hätte, nicht bei ihr gewesen. Er hätte zwar nichts tun können, dessen war er sich bewußt. Die Kutsche war umgestürzt; Cheney war dabei ums Leben gekommen, und ihr ungeborenes Kind auch. Es hätte nichts genutzt, wenn er dabeigewesen wäre. Und doch ließ ihn der Gedanke daran nicht los, und er zog sich von seinen Offizieren und der Mannschaft so sehr zurück, daß er zu allem anderen auch noch unter seiner Einsamkeit litt.

Und jetzt war er wieder zu Hause, in Falmouth. Das große, graue steinerne Haus wartete auf ihn wie immer, wie es auf alle anderen vor ihm gewartet hatte. Doch nun würde es ihm leerer denn je vorkommen.

Aufstampfend nahm der vor der Kajütentür Posten stehende Marine-Infanterist Haltung an, die Augen starr auf einen Punkt über Bolithos Schulter gerichtet. Wie ein Spielzeugsoldat sah er aus mit seinem ausdruckslosen Gesicht und dem scharlachroten Uniformrock.

Das Sonnenlicht stach durch die großen Heckfenster und warf zahllose Reflexe über die Täfelung und die dunklen Möbel. Der grauhaarige Sekretär des Admirals war damit beschäftigt, allerlei Papiere durchzusehen und sie in einem langen Metallbehälter zu verstauen. Er machte Miene aufzustehen, aber Bolitho schüttelte nur den Kopf und schritt langsam zur anderen Seite der Kajüte. Er hörte, wie sich der Admiral in seiner Schlafkammer nebenan bewegte, und konnte sich vorstellen, was ihm während dieser letzten Stunden an Bord seines Flaggschiffes durch den Kopf ging.

Am Schott hing ein Spiegel; Bolitho blieb einen Moment stehen, prüfte sein Aussehen und zog sich den Rock zurecht wie vor der Musterung durch einen kritischen Vorgesetzten.

Er konnte sich immer noch nicht an die neue Uniformmode gewöhnen, an die schweren Goldepauletten, die seinen Rang als Kapitän höherer Dienstalterstufe bezeichneten. Es kam ihm völlig verkehrt vor, daß in einem Land, welches sich im schwersten Krieg seiner Geschichte befand, neue Rangabzeichen entworfen und hergestellt wurden. Letzten Endes diente dergleichen doch nur dem persönlichen Schmuckbedürfnis; diese Leute hätten sich lieber etwas Neues auf dem Gebiet der Strategie und Taktik einfallen lassen sollen, fand er.

Er strich die rebellische Haarlocke aus der Stirn, die ihm immer wieder über das rechte Auge fiel. Unter ihr erstreckte sich bis in den Haaransatz hinein die grausame Narbe, die ihn nie vergessen ließ, daß er damals dem Tode so nahe gewesen war. Aber sein Haar war noch schwarz; nicht eine graue Strähne deutete an, daß er vierzig Jahre alt war, von denen er achtundzwanzig auf See verbracht hatte. Als er jetzt ein bißchen lächelte, wirkte sein Mund etwas weicher und verlieh seinen gebräunten Zügen den Ausdruck jugendlicher Unbekümmertheit. Er wandte sich von seinem Spiegelbild ab, wie man einen Untergebenen entläßt, mit dem man zufrieden ist.

Die Tür der Schlafkajüte öffnete sich, und der kleine Admiral schritt unsicher auf einen schwankenden Flecken Sonnenlicht zu.

»Wir werden in einer knappen Stunde Anker werfen, Sir«, sagte Bolitho. »Ich habe entsprechenden Befehl gegeben, so daß Sie an Land gehen können, sobald es Ihnen genehm ist.« Plötzlich fielen ihm die langen Meilen auf schlechten, holperigen Straßen ein, die Schmerzen und Unbequemlichkeiten, die der Admiral auszuhalten hatte, bis er in seinem Heim in Norfolk war. »Mein Haus steht Ihnen selbstverständlich so lange zur Verfügung, wie Sie es wünschen, Sir.«

»Danke.« Der Admiral rückte die Schultern in dem schweren Rock zurecht. »Im Kampf für sein Vaterland zu fallen ist eine Art zu sterben, aber …« Er seufzte und ließ den Rest ungesagt.

Bolitho sah ihn ernst und nachdenklich an. Er hatte den Admiral schätzengelernt, seine gemessene Anteilnahme, seine Menschlichkeit gegenüber den Angehörigen des kleinen Geschwaders.

»Wir werden Sie vermissen, Sir«, sagte er. Es war ganz ehrlich gemeint, und doch empfand er seine Worte als unangebracht. »Ich vor allem schulde Ihnen sehr viel, wie Sie wissen.«

Der Admiral kam um den Tisch herum. Neben Bolithos hoher schlanker Gestalt wirkte er sehr alt und sehr wehrlos seinem Schicksal gegenüber. Nach einer kleinen Pause erwiderte er: »Sie schulden mir gar nichts. Ohne Ihre Loyalität wäre ich schon ein paar Wochen nachdem ich meine Flagge hier gehißt hatte erledigt gewesen.« Er hob die Hand. »Nein, lassen Sie mich ausreden. Viele Flaggkapitäne hätten meine Krankheit ausgenutzt, um sich persönliche Vorteile zu verschaffen und vor den Höchstkommandierenden ihre Unentbehrlichkeit zu beweisen. Doch Sie haben immer nur gegen die Feinde des Vaterlandes gekämpft und sich mit ganzer Kraft für Ihre Untergebenen eingesetzt; wenn Sie auch ab und zu Ihre eigenen Interessen wahrnehmen würden, dann hätten Sie bestimmt schon längst den Rang, den Sie verdienen. Es ist keine Schande, daß Sie sich nicht genügend um Ihren persönlichen Aufstieg gekümmert haben, aber es ist ein Verlust für England. Vielleicht wird Ihr neuer Admiral ebenso wie ich zu schätzen wissen, was Sie für ein Mann sind, und wird besser als ich imstande sein, Ihre …« Ein Hustenanfall unterbrach seine Rede; er preßte das blutige Taschentuch vor den Mund, bis der Krampf vorüber war. »Sorgen Sie dafür«, sagte er mühsam, »daß mein Sekretär und mein Steward rechtzeitig an Land gehen. Ich komme gleich an Deck.« Er wandte den Kopf ab. »Aber jetzt möchte ich ein Weilchen allein sein.«

Stumm und nachdenklich ging Bolitho wieder hinauf an Deck. Der Himmel war jetzt klar und hellblau, die See vor der nächsten Landzunge blinkte und glitzerte. Dieses Wetter, dachte er, würde es dem Admiral nur noch schwerer machen, von Bord zu gehen.

Er überschaute das Oberdeck in seiner ganzen Länge, sah die Matrosen an den Brassen, die Toppsgasten, die schon auf die Rahen ausgeschwärmt waren und sich schwarz vom klaren Himmel abhoben. Die Euryalus machte kaum Fahrt, da nur noch Mars- und Klüversegel standen; der breite Rumpf stampfte leicht, als wolle er prüfen, wieviel Wasser er noch unterm Kiel hatte. Wer von der Mannschaft nichts zu tun hatte, spähte zur Küste mit den sauberen Häusern und den grünen Hügeln hinüber. Die Hügel waren mit winzigen Kühen gesprenkelt; unter den Mauern von Pendennis Castle grasten Schafherden.

Stille hing über dem Schiff, nur vom Klatschen des Wassers gegen die Luvseite, vom taktmäßigen Quietschen der Takelage, vom Flüstern der Segel hoch oben unterbrochen. Der weitaus größte Teil der Besatzung würde nicht an Land gehen dürfen, das wußten die Männer ganz genau. Und doch war es wie ein Nachhausekommen; jeder Seemann empfand das so, selbst wenn er es sich nicht erklären konnte.

Bolitho ließ sich von einem Midshipman ein Teleskop geben und studierte die Küstenlinie. Er verspürte das bekannte Ziehen im Herzen dabei. Ob wohl seine Haushälterin und Ferguson, sein Verwalter, wußten, daß er kam, und ob sie jetzt das langsame Näherkommen des Dreideckers beobachteten?

»Also schön, Mr. Keverne, Sie können halsen.«

Der Erste, der ihn genau beobachtet hatte, hob die Sprechtrompete, und die kurze Spanne Frieden war vorbei.

»An die Leebrassen! Klar zur Halse!«

Nackte Füße schurrten über das Deck, und die Luft erzitterte unter dem Quietschen der Blöcke und dem Schnarren der Fallen.

Wenn man diese gut gedrillten Matrosen sah, konnte man sie sich kaum noch als jenen buntscheckigen Haufen vorstellen, der damals an Bord gekommen war. Selbst die Unteroffiziere fanden wenig Grund zum Schimpfen, als die Männer auf ihre Stationen flitzten; damals, als das Schiff in Dienst gestellt worden war, hatte es so viele Flüche und Prügel gegeben, daß von irgendwelcher Ordnung kaum die Rede sein konnte. Eine gute Mannschaft, fand Bolitho, wie sie sich ein Kapitän nur wünschen konnte.

»Marsschoten los!«

Wieselschnell legten die Männer auf den Rahen aus, und er sah ihnen mit einer Art Neid zu. Da oben zu arbeiten, manchmal zweihundert Fuß über Deck, hatte ihm in seiner Kadettenzeit jedesmal Übelkeit verursacht, und jedesmal war er verlegen und wütend darüber gewesen.

»Hol an die Geitaue!« Keverne war schon ganz heiser; vielleicht machte es ihn nervös, daß ihm die ganze Stadt bei diesem Manöver zusah.

Langsam, aber zielbewußt glitt die Euryalus auf ihren Ankerplatz zu; ihr Schatten schwamm auf dem ruhigen Wasser vor ihr her.

»Leeruder!«

Die Radspeichen knarrten, und das Schiff schwang widerstrebend in den Wind. Schon verschwand, wie von einer einzigen Kraft bewegt, die Leinwand von den Rahen.

»Laß fallen Anker!«

Laut platschend fiel der Anker neben dem Bug ins Wasser, und wie ein Seufzen ging es durch Schiffsrumpf und Takelage, als beide zum erstenmal seit Monaten am straffgespannten Ankertau zur Ruhe kamen.

»Sehr schön, Mr. Keverne. Sie können mein Boot klarmachen und dann Kutter und Jolle aussetzen lassen.«

Bolitho wandte sich ab – auf Keverne konnte er sich durchaus verlassen. Er war ein guter Erster; allerdings wußte Bolitho weniger von ihm als von irgendeinem seiner früheren Offiziere. Das war zum Teil seine eigene Schuld, zum Teil lag es aber auch an der zusätzlichen Arbeit, die ihm die Krankheit des Admirals verursacht hatte. Vielleicht war es auch ganz gut so für sie beide, dachte Bolitho. Die zusätzliche Verantwortung, die Notwendigkeit, sich immer intensiver mit der strategischen und taktischen Führung nicht eines, sondern mehrerer Schiffe zu befassen, hatten ihn so in Anspruch genommen, daß ihm nicht viel Zeit zum Nachgrübeln über den Tod seiner Frau geblieben war. Auf der anderen Seite mußte Keverne, da Bolitho mit den Angelegenheiten des Admirals beschäftigt war, mehr Verantwortung übernehmen, was ihm sehr zustatten kommen würde, wenn er einst sein eigenes Schiff hatte. Keverne war außerordentlich tüchtig; er hatte nur einen Fehler: während der Reise hatte er mehrfach kurze Ausbrüche von Jähzorn gehabt. Er war Ende Zwanzig, groß, schlank und sehnig, tiefbrünett und auf eine beinahe zigeunerhafte Art gutaussehend. Mit seinen dunklen, blitzenden Augen und außerordentlich weißen Zähnen mußte er Glück bei Frauen haben, dachte Bolitho.

Doch als der Admiral, den Hut in der Hand und mit seinen blassen Augen in die Sonne blinzelnd, an Deck kam, dachte Bolitho nicht mehr an Keverne. Sekundenlang sah er zu, wie die Kommandantengig gefiert wurde – Blöcke und Taljen quietschten, und Tebbutt, der Bootsmann mit den mächtigen Oberarmen, blaffte seine Befehle vom Steuerbord-Decksgang hinunter.

Bolitho beobachtete den Admiral genau: für diesen zählte jede dieser letzten Sekunden, er speicherte gewiß die kurzen Bilder der Bordroutine in seinem Gedächtnis wie einen Schatz.

Jetzt erklang eine wohlbekannte Stimme aus nächster Nähe; Bolitho fuhr herum: da stand Allday, sein Bootsführer, und sah ihn gelassen an.

»Das wär’s, Captain«, grinste er und blickte dann zu dem Admiral hinüber. »Soll ich Sir Charles jetzt an Land bringen?«

Bolitho antwortete nicht gleich. Wie oft hatte er es einfach selbstverständlich gefunden, daß Allday da war. Er kannte ihn durch und durch, seine Treue, seine Unbezahlbarkeit … Er konnte sich ein Leben ohne Allday nur sehr schwer vorstellen. Jetzt war er nicht mehr der ranke Toppmatrose von damals, den vor so vielen Jahren ein Preßkommando an Bord seiner geliebten Fregatte Phalarope gebracht hatte. Er war breiter, untersetzter geworden. Sein dichtes Haar hatte graue Strähnen bekommen, und sein gemütliches, gebräuntes Gesicht war durchgearbeitet wie altes Schiffsholz. Aber im Grunde war er der gleiche geblieben, und das erfüllte Bolitho unvermittelt mit Freude und Dankbarkeit.

»Ich frage ihn gleich, Allday.«

»Wachboot kommt, Sir«, unterbrach Keverne.

Bolitho fuhr herum und spähte über das glitzernde Wasser: da kam ein armierter Kutter schnell und zielstrebig auf den vor Anker liegenden Dreidecker zu. Jetzt erst fiel es Bolitho auf, daß außer dem Kutter kein einziges Boot den Hafen verlassen hatte. Ein plötzliches Angstgefühl überkam ihn. Was stimmte da nicht? Irgendein furchtbares Fieber im Hafen? Es war bestimmt nicht so, daß man die Euryalus für einen Franzosen hielt. Dann hätte die Festungsbatterie schon von sich aus ihr Mißfallen kundgetan.

Er nahm ein Teleskop aus der Halterung und richtete es auf den Kutter. Die braunen Segel, ein paar verkniffene Matrosengesichter schwammen über die Linse. Aber in der Plicht saß ein Kapitän, dessen leerer Ärmel am Rock festgesteckt war, und blickte starr zur Euryalus herüber. Beim Anblick der Uniform mit dem leeren Ärmel durchfuhr Bolitho wiederum ein schmerzliches Gefühl. So hätte sein toter Vater ausgesehen, wenn er plötzlich wieder zum Leben erwacht wäre.

»Was ist los?« fragte der Admiral irritiert.

»Irgendwelche Formalitäten, Sir Charles«, antwortete Bolitho. Und zu Keverne: »Lassen Sie bitte antreten zum Seitepfeifen.«

Hauptmann Giffard von der Marine-Infanterie zog seinen Degen, marschierte gewichtig zur Fallreepspforte und musterte seine Männer, die in dichtgeschlossenen, scharlachroten Reihen angetreten waren, um den ersten Besucher an Bord vorschriftsmäßig zu empfangen. Auch mehrere Bootsmannsmaaten und Schiffsjungen waren mit angetreten. Bolitho ging die Achterdeckstreppe hinunter und trat zu Keverne und dem Offizier der Wache.

Die Segel des Kutters wurden eingeholt, der Buggast schlug seinen Haken in die Rüsten, die Bootsmannsmaatenpfeifen trillerten ihren Salut, der einarmige Kapitän kletterte unbeholfen durch die Fallreepspforte und lüftete seinen Hut zum Achterdeck hin, wo der Admiral stand und gleichmütig, ohne sichtbares Interesse, die Szene beobachtete. Vielleicht fühlte er sich schon gar nicht mehr dazugehörig, dachte Bolitho.

»Captain James Rook, Sir.« Der Besucher setzte den Hut wieder auf und blickte sich rasch um. Er hatte die Lebensmitte schon weit überschritten; wahrscheinlich hatte man ihn reaktiviert, um einen jüngeren Mann zu ersetzen. »Ich bin Befehlshaber der Hafenwache und der Preßkommandos, Sir.« Unter Bolithos gelassenen grauen Augen wurde er etwas unsicher. »Habe ich die Ehre, mit Sir Charles Thelwalls Flaggkapitän zu sprechen?«

»Der bin ich.«

Bolitho blickte an ihm vorbei in den Kutter. Im Bug war ein Drehgeschütz montiert, und außer der Normalbesatzung waren noch einige bewaffnete Matrosen an Bord.

»Erwarten Sie einen Angriff?«

Rook gab keine direkte Antwort. »Ich habe eine Depesche für Ihren Admiral.« Er räusperte sich, als wüßte er genau, daß ihn alle gespannt beobachteten. »Vielleicht gehen wir nach achtern, Sir?«

»Gewiß.«

Bolitho war über Gebühr irritiert durch die wichtigtuerische und ausweichende Art des Mannes. Schließlich hatten sie ihre Order, und was ihnen dieser Kapitän auch erzählen konnte, hätte bestimmt Zeit gehabt, bis der Admiral an Land war.

Am oberen Ende der Leiter drehte er sich scharf um. »Sir Charles befindet sich nicht wohl. Ist diese Sache denn so eilig?«

Captain Rook holte tief Atem, und Bolitho bekam einen scharfen Brandygeruch in die Nase, als Rook leise fragte: »So wissen Sie also noch nichts? Sie hatten keinen Kontakt mit der Flotte?«

»Zum Donnerwetter«, fuhr Bolitho ihn an, »hören Sie endlich mit dem Drumherumreden auf, Mann! Ich muß heute noch ein Schiff ausrüsten, Kranke an Land bringen und noch zweihundert andere Dinge erledigen. Sie können doch nicht vergessen haben, was es heißt, ein Schiff zu kommandieren!«

Er sah, wie sich die Augen des Mannes verdunkelten, und legte ihm die Hand auf den Arm. »Das war unfair von mir. Entschuldigen Sie!« Er schämte sich seiner Ungeduld. Meine Nerven müssen wohl noch schlechter sein als ich glaubte, dachte er bitter.

Captain Rook schlug die Augen nieder. »Meuterei, Sir.« Mit seiner einen Hand knöpfte er sich sorgfältig die Uniform am Halse auf und zog einen großen versiegelten Umschlag hervor.

Bolitho starrte auf diese Hand, und das eine furchtbare Wort hallte wie ein Glockenton in seinem Kopf. »Meuterei«, hatte Rook gesagt – aber wo? Die Festung sah aus wie sonst, die Flagge leuchtete wie buntes Metall am hohen Mast. Die Garnison konnte sowieso wenig Grund zur Meuterei haben. Dort standen hauptsächlich Freiwillige und Milizen aus dieser Gegend, die genau wußten, daß es ihnen hier, wo sie ihr eigen Haus und Hof verteidigten, besser ging, als wenn sie irgendwo weit weg auf einem Feldzug durch Matsch oder Sand stapfen müßten.

Langsam sprach Rook weiter. »Die Flotte in Spithead hat gemeutert. Vorigen Monat ging es los; die Besatzungen haben die Schiffe in ihre Gewalt gebracht und stellten Bedingungen.« Verlegen zuckte er die Achseln. »Es ist schon vorbei. Lord Howe hat mit den Anführern verhandelt, und die Kanalflotte ist wieder auf See.« Er sah Bolitho bedeutsam an. »Ganz gut, daß Ihr Geschwader nichts davon wußte. Es hätte Ihnen sonst schlimm ergehen können.«

Bolitho blickte an ihm vorbei und sah Keverne mit einigen anderen Offizieren, die von der gegenüberliegenden Deckseite herüberstarrten. Sicher hatten sie gemerkt, daß etwas nicht stimmte. Wenn sie die Wahrheit wüßten … Brüsk wandte er ihnen den Rücken zu.

»Ich habe schon oft gedacht, daß es auf dem einen oder anderen Schiff einmal losbrechen würde.« Seine Stimme zitterte vor mühsam unterdrücktem Zorn. »Manche Politiker und Seeoffiziere denken, einfache Matrosen sind nicht viel besser als Ungeziefer, und dementsprechend behandelt man sie auch.« Starr sah er Rook in die Augen. »Aber daß eine ganze Flotte wie ein Mann meutert! Furchtbar!«

Rook schien sich etwas erleichtert zu fühlen, weil er seine schlimme Nachricht losgeworden war. Oder vielleicht hatte er halb und halb erwartet, die Euryalus in den Händen von Meuterern zu finden, die haarsträubende Forderungen stellten.

»Manche Leute fürchten«, sagte er, »daß das Schlimmste erst noch kommt. Auch bei der Nore-Flotte[9] hat es Unruhen gegeben; wir wissen allerdings noch nicht, in welchem Ausmaß. Unter den dortigen Rädelsführern sollen mehrere Iren sein, und vielleicht hält die Admiralität diese ganze Geschichte für das Ablenkungsmanöver vor einer beabsichtigten Invasion.« Er seufzte bedrückt. »Daß ich so etwas noch erleben muß, geht über meinen Verstand!«

Meuterei! Bolitho blickte zu dem Admiral hinüber, der dort drüben im eifrigen Gespräch mit seinem Sekretär stand. Das wäre ein schlimmes Ende für seine Karriere. Bolitho wußte aus eigener böser Erfahrung, wieviel hitzige, sinnlose Wut bei einer Meuterei stets zum Ausbruch kam. Aber bisher hatte es sich immer nur um einzelne Schiffe gehandelt, wo Lebensbedingungen oder Klima, Entbehrungen oder schiere Brutalität des Kommandanten die Ursachen waren. Daß aber eine ganze Flotte explosionsartig gegen die Disziplin, gegen die Autorität ihrer Offiziere und damit gegen König und Parlament rebellierte, war etwas völlig anderes. Dahinter mußten Organisation und außerordentliche Geschicklichkeit stecken, und ein willensstarker, vorwärtsdrängender Kopf mußte an der Spitze stehen, sonst hatte ein solches Unternehmen keinerlei Aussicht auf Erfolg. Aber zweifellos hatte es Erfolg gehabt.

»Ich spreche sofort mit Sir Charles«, sagte Bolitho und nahm Rook den Umschlag aus der Hand. »Das ist eine bittere Heimkehr.«

Rook wollte zu Keverne und den anderen treten, doch Bolitho sagte scharf: »Sie werden so freundlich sein und nicht darüber sprechen, bis ich Erlaubnis gebe!«

Rook blieb stehen.

Der Admiral hörte mit gesenktem Kopf schweigend zu, bis Bolitho mit seinem Bericht fertig war. Dann sagte er: »Wenn die Franzosen jetzt einen Großangriff unternehmen, ist England erledigt.« Er hob die Hände und ließ sie dann resigniert fallen. »Wo ist Konteradmiral Broughton? Kommt er nun doch nicht?«

Bolitho hielt das Kuvert hoch und sagte beschwichtigend: »Vielleicht steht hier drin, was wir tun sollen, Sir.«

Widerstrebende Gefühle zerwühlten das gefurchte Gesicht des Admirals. Der Gedanke, seine Flagge endgültig streichen zu müssen, war ihm scheußlich, aber er hatte die Tatsache akzeptiert. Das war wie seine Krankheit – nicht zu ändern. Doch jetzt, da die Möglichkeit weiterzumachen auftauchte, wurde er vermutlich von gegensätzlichen Empfindungen hin und her gerissen.

»Geleiten Sie unseren Besucher nach achtern«, sagte er und versuchte, die Schultern entschlossen zu straffen. »Und dann geben Sie der Mannschaft etwas zu tun. Es wäre unklug, sie merken zu lassen, daß ihre Führung ratlos ist.« Mühsam schritt er, von seinem Sekretär gefolgt, in den Schatten der Kampanje.

Als Bolitho wieder zu ihm in die große Kajüte trat, saß der Admiral am Schreibtisch, als hätte er immer dort gesessen.

»Die Depesche ist von Sir Lucius Broughton«, sagte er und winkte Bolitho, Platz zu nehmen. »Die Euryalus bleibt in Falmouth und wird sein Flaggschiff, doch zur Zeit ist er in London. Anscheinend wird dort ein neues Geschwader zusammengestellt, aber zu welchem Zweck, das sagt er nicht.« Der Admiral mußte sehr müde sein. »Sie sollen dafür sorgen, daß unsere Leute keinen Kontakt mit dem Land haben; die Verwundeten und Kranken, die an Land geschickt werden, kommen nicht wieder an Bord.« Ärgerlich verzog er den Mund. »Zweifellos hat man Angst, sie könnten die Leute an Bord anstecken.«

Bolitho war stehengeblieben und versuchte sich klarzumachen, was diese Worte bedeuten konnten.

Mit der gleichen ausdruckslosen Stimme fuhr der Admiral fort: »Sie werden Ihren Offizieren natürlich mitteilen, was Sie für richtig halten; aber unter keinen Umständen darf die Mannschaft etwas über die Nore-Unruhen erfahren. Es ist schlimmer, als ich gefürchtet habe.« Mit einem Blick auf Bolithos grimmiges Gesicht fügte er noch hinzu: »Captain Rook wird Sie bei der Neuausrüstung des Schiffes unterstützen; er hat Anweisung, alle Lebensmittel, neue Spieren, neues Tauwerk und so weiter unverzüglich an Bord zu bringen.«

Nachdenklich erwiderte Bolitho: »Sir Lucius Broughton – ich weiß wenig von ihm. Schwierig, seine Wünsche vorauszusehen.«

Der Admiral lächelte flüchtig. »Seine Flagge wehte auf einem der Schiffe, die in Spithead gemeutert haben. Ich kann mir vorstellen, sein Hauptanliegen ist, daß ihm so etwas nicht noch einmal passiert.« Er tastete nach seinem Taschentuch und hielt sich an der Tischkante. »Ich muß ein Weilchen ruhen und nachdenken. Es wäre besser, wenn Sie statt meiner an Land gingen. Vielleicht sehen Sie, daß es gar nicht so gefährlich ist, wie wir denken. Aber an Ihrer Stelle würde ich zuallererst Hauptmann Giffard informieren, damit die Seesoldaten bereit sind, falls es Ärger gibt.« Er blickte Bolitho bedeutsam in die Augen, wandte sich dann ab und sprach weiter: »Ich habe gesehen, wie Ihre Leute zu Ihnen aufblicken, Bolitho. Matrosen sind einfache Menschen und erwarten zum Lohn für ihr schweres Leben auf See nicht viel mehr als Gerechtigkeit. Aber –«, und das Wort hing in der Luft, »sie sind auch nur Menschen. Und unsere erste Pflicht ist es, sie wieder unter Kontrolle zu bekommen, koste es, was es wolle.«

Bolitho nahm seinen Hut. »Ich weiß, Sir.« Die zusammengepferchte Welt jenseits dieser paneelverkleideten Schottenwand! Auf See, in der Schlacht, kämpften und starben sie, ohne auch nur eine Frage zu stellen. Die ständigen Anforderungen der harten Disziplin und die Gefahr ließen wenig Raum. Aber wenn der Funke einmal die latente Kraft in diesen Männern zündete, dann konnte alles mögliche passieren; dann hatte es keinen Zweck zu sagen, man hätte nichts gewußt oder wäre ihnen zu fern gewesen.

Als er wieder auf dem Achterdeck war, merkte er die Veränderung. Wie konnte man auch erwarten, daß so etwas geheim bleibt? Neuigkeiten breiteten sich auf einem vollgestopften Schiff aus wie ein Waldbrand, ohne daß jemand sagen konnte, wie das möglich war.

Er winkte Keverne und sagte knapp: »Gehen Sie bitte nach achtern zu Captain Rook.« Das brünette Gesicht Kevernes erstarrte zu einer erwartungsvollen Maske. »Sie werden dann die Leutnants und die höheren Deckoffiziere über die allgemeine Lage informieren. Sie sind für das Schiff verantwortlich, bis ich wieder an Bord bin. Veranlassen Sie, daß die Kranken und Verwundeten an Land gebracht werden, aber nicht in unseren Booten – verstanden?«

Keverne öffnete den Mund, schloß ihn aber wieder und nickte nur.

»Ich sage Ihnen jetzt, was los ist«, fuhr Bolitho fort. »Es gehen Gerüchte um von einer Meuterei in der Nore-Flotte. Falls ein Fremder versucht, an Bord zu kommen, ist er abzuweisen. Ist das nicht möglich, so wird er festgenommen und sofort in Einzelhaft gesteckt.«

Keverne faßte an seinen Degengriff. »Wenn ich so einen verdammten See-Advokaten[10] erwische, dann werde ich ihm schon zeigen, wo es langgeht, Sir.« Gefährlich blitzten seine Augen.

Unbewegt sah Bolitho ihm ins Gesicht. »Sie werden tun, was ich befehle, Mr. Keverne. Nicht mehr und nicht weniger.« Er wandte sich um und schaute nach Alldays untersetzter Gestalt aus. Er stand bei den Netzen. »Lassen Sie sofort meine Bootsbesatzung antreten.«

»Sie nehmen Ihr eigenes Boot, Sir?« fragte Keverne.

»Wenn ich denen nicht trauen kann«, erwiderte Bolitho kalt, »nach allem, was wir zusammen durchgemacht haben – dann ist die Lage völlig aussichtslos.«

Ohne ein weiteres Wort schritt er die Treppe hinunter zur Fallreepspforte, wo bereits die Ehrenwache wartete. Unten lag auch schon das schwankende Boot.

Er blieb noch einen Moment stehen und sah auf sein Schiff zurück und auf die Mannschaft, die bereits geschäftig Bahren aufriggte und den Kranken die Niedergänge hinaufhalf. Seiner Gewohnheit nach hatte er dafür gesorgt, daß jeder Mann, der neu an Bord kam, Dienstkleidung faßte. Darin war er anders als manche geizigen Kommandanten, die ihre Männer in den Lumpen herumlaufen ließen, die sie angehabt hatten, als sie in der Stadt oder auf dem Dorf gepreßt worden waren. Doch im Moment fand er keinen Trost beim Anblick der weiten Hosen, der karierten Hemden, der gesunden Gesichter und der allgemeinen Geschäftigkeit. Auf Kleidung und anständiges Essen, wenn es nur irgend verfügbar war, hatten sie ein Recht; das war keine Gnade, die ein gottähnlicher Kommandant austeilte. Und es war wenig genug Gegenleistung für das, was die Männer gaben.

Er verdrängte diese Gedanken, lüftete den Hut zum Achterdeck und zur Ehrenwache hin und kletterte dann hinunter in die Gig, welche Allday absichtlich zwischen den Kutter und den turmhohen Schiffsrumpf manövriert hatte.

»Legt ab!« Allday blinzelte in die Sonne und paßte genau auf, daß die Gig klar von dem anderen Boot und der Bordwand kam.

»Rudert an! Zu-gleich!«

Dann, als die Gig Fahrt aufnahm und die Riemen sich im exakten Gleichtakt hoben und senkten, blickte er auf Bolithos Rücken hinunter und kniff die Lippen zusammen. Er kannte Bolithos Stimmungen beinahe besser als seine eigenen und konnte sich recht wohl vorstellen, was dieser jetzt dachte. Meuterei in dem Dienst, den er liebte und für den er alles hingegeben hatte! Durch den Bootsmann des Kutters, einen ehemaligen Schiffskameraden, wußte Allday Bescheid. Wie konnte auch ein solches Geheimnis länger als ein paar Minuten Geheimnis bleiben?

Sein Auge glitt über Bolithos straffe Schultern mit den komischen neuen Goldepauletten und über das jettschwarze Haar unter dem Dreispitz. Der hat sich kaum verändert, dachte er, obwohl er uns alle durch eine Gefahr nach der anderen getragen hat!

Wütend starrte er den Bugmann an, der nicht auf paßte und einer Möwe nachsah, die voraus nach einem Fisch herabschoß, und überdachte dann, was den Captain von Rechts und Gottes wegen in Falmouth hätte erwarten sollen: seine reizende Frau und sein Kind, die ihn froh willkommen hießen. Statt dessen hatte er nichts als Ärger und mußte wieder einmal anderer Leute Arbeit neben seiner eigenen machen.

Jetzt trommelten Bolithos Finger im Takt auf den Degengriff. Allday entspannte sich etwas, als er das sah. Sie beide hatten viel zusammen erlebt und geleistet. Dieser Degen faßte das alles weit besser zusammen, als Worte oder Gedanken es könnten.

Die Gig schwang herum und glitt in den Schatten der Pier, der Bugmann schlug den Haken ein, Allday nahm seinen Hut ab, Bolitho stand auf, kletterte über das Dollbord und die abgetretenen, wohlbekannten Stufen hinauf.

Er hätte Allday gerade jetzt gern bei sich gehabt, aber es wäre falsch gewesen, die Gig ohne Aufsicht zu lassen.

»Sie kehren zum Schiff zurück, Allday.« Er sah Besorgnis in des Bootsführers Augen aufblitzen und fügte gelassen hinzu: »Ich weiß ja, wo Sie sind, wenn ich Sie brauche.«

Allday blieb noch einen Moment stehen und sah Bolitho nach, der zwischen zwei salutierenden Milizsoldaten auf den Kai trat. Halblaut murmelte er: »Bei Gott, Käpt’n, wir brauchen Sie!« Dann sah er auf die müßigen Rudergasten hinunter und knurrte: »Na, ihr faulen Hunde, laßt mal sehen, ob ihr dieses Boot heute noch in Fahrt kriegt!«

Der Schlagmann, ein abgehärteter Vollmatrose mit dickem rotem Haar, sagte mit zusammengebissenen Zähnen: »Haste Angst, wir kriegen was von der Schweinerei zu hören?«

Allday sah ihn an, ohne eine Miene zu verziehen. Also wußten sie es schon. Er grinste. »Ein Wort ist wie Dung, Mann. Es muß breitgestreut werden, wenn’s wirken soll.« Und etwas leiser: »Also liegt es an uns, daß das nicht geschieht – oder?«

Als er sich umschaute, war Bolitho bereits außer Sicht. Was mochte wohl zu Hause auf ihn warten?

II Der Besucher

Ein paar Minuten lang stand Bolitho reglos und starrte auf sein Haus. Er war absichtlich nicht durch die Stadt gegangen, sondern hatte den enggewundenen, angenehm ländlich duftenden, heckenumwachsenen Feldweg genommen. Nun stand er im hellen Sonnenschein und spürte, wie still es war und wie hart das Land gegen seine Schuhsohlen drückte. Es war alles so anders als an Bord, es fehlten die ständigen Geräusche, die ständige Bewegung. Diese Erkenntnis überraschte und erfreute ihn sonst jedesmal. Diesmal allerdings war es nicht dasselbe. Mit halbem Ohr lauschte er auf das freundliche Summen der Bienen, das ferne Gebell eines Schäferhundes, der die Herde umkreiste; aber seine Augen ruhten auf dem Haus. Kantig und kompromißlos stand es vor dem Himmel und den sanften Hängen, die es umgaben und zur Landzunge hinunterführten.

Mit einem Seufzer schritt er weiter, seine Schuhe wirbelten Staub auf, und er blinzelte in die grelle Sonne. Als er das breite Tor in der Steinmauer durchschritten hatte, stockte er wieder – er hätte lieber nicht herkommen sollen, dachte er.

Doch als die Doppeltür oben an den Treppenstufen aufging und er Ferguson erblickte, seinen einarmigen Verwalter, und die beiden Dienstmädchen hinter ihm, die ihn begrüßen wollten, da war ihr Lächeln so aufrichtig erfreut, daß er für den Augenblick seine eigenen trüben Gedanken vergaß und gerührt war.

Ferguson ergriff seine Hand und murmelte: »Gott segne Sie, Sir. Schön, daß wir Sie wieder mal zu Hause haben.«

Bolitho lächelte. »Nicht für lange. Aber ich danke Ihnen.« Da kam auch Fergusons Frau herbeigeeilt, rundlich, rosig, mit weißem Häubchen und makelloser Schürze, und in ihren Zügen kämpften Freude und Tränen miteinander, als sie ihn begrüßte. »Wir hatten ja keine Ahnung, Sir. Wenn nicht Jack, der Zollwächter, gewesen wäre, hätten wir gar nicht gewußt, daß Sie wieder da sind! Er hat Ihre Obersegel gesehen, als der Nebel hochging, und ist extra hergeritten, um uns Bescheid zu sagen!«

»Vieles ist jetzt anders geworden.« Bolitho nahm den Hut ab und ging durch das hohe Entree. Da war es wieder: der kühle Stein, das alterslose Eichenpaneel, das matt im einfallenden Sonnenlicht glänzte. »Früher konnten die jungen Männer von Falmouth ein Schiff des Königs schon riechen, wenn seine Masten noch gar nicht über der Kimm standen!«

Ferguson wandte den Blick ab. »Sind nicht mehr viele junge Männer hier, Sir. Die keine feste Stellung haben, sind alle gepreßt worden oder haben sich freiwillig gemeldet.« Er folgte Bolitho in die große Halle mit dem leeren Kamin und den hochlehnigen, lederbezogenen Stühlen. Auch hier war es ruhig – es war überhaupt, als hielte das ganze Haus den Atem an.

»Ich hole Ihnen ein Glas Wein, Sir«, sagte Ferguson, und hinter Bolithos Rücken winkte er seiner Frau und den Mägden, hinauszugehen. »Sie werden in der ersten Stunde ein bißchen allein sein wollen.«

Bolitho drehte sich um. »Danke.« Er hörte, wie sich die Tür hinter ihm schloß, und trat an den Fuß der Treppe, wo die Bilder all derer hingen, die hier vor ihm gelebt hatten. So vertraut … Nichts war verändert worden, und doch …

Langsam stieg er die knarrenden Stufen hinan, an den Porträts vorbei, die ihn anblickten: Kapitän Bolitho, sein Ururgroßvater, der in der Bantry Bay gegen die Franzosen gekämpft hatte. Kapitän David Bolitho, sein Urgroßvater, hier an Deck seines brennenden Schiffes dargestellt, gefallen vor der afrikanischen Küste im Kampf gegen Piraten. Wo die Treppe einen Bogen nach rechts machte, wartete der alte Denziel Bolitho, sein Großvater – der einzige der Familie, der es bis zum Konteradmiral gebracht hatte –, auf ihn. Bolitho konnte sich noch erinnern, oder glaubte es wenigstens, daß er als kleines Kind auf seinen Knien gesessen hatte. Aber vielleicht waren es auch nur die Erzählungen seines Vaters und das vertraute Bild, woran er sich erinnerte. Vor dem letzten Porträt blieb er stehen.

Sein Vater, Kapitän James Bolitho, war jünger als die anderen gewesen, als es gemalt wurde. Hoch aufgerichtet, gelassen blickend, den leeren Ärmel quer am Rock festgesteckt – das hatte der Maler nachträglich geändert, nachdem er den Arm in Indien verloren hatte. Es war schwer, sich daran zu erinnern, wie er bei ihrem letzten Zusammensein vor vielen Jahren ausgesehen hatte, damals, als er Bolitho von der Schande seines älteren Bruders berichtet hatte. Hugh, sein Augapfel, der einen Offizierskameraden im Duell getötet hatte, war nach Amerika geflohen und hatte bei der Revolution gegen sein eigenes Vaterland gekämpft.

Tief seufzte Bolitho auf. Sie waren alle tot, auch Hugh, der seine Missetaten vor Bolithos eigenen Augen mit dem Leben gebüßt hatte. Dieser Tod war immer noch ein Geheimnis, das er mit niemandem teilen konnte. Hughs Leben, ein Leben voller Mißerfolg und Betrug, würde ein Geheimnis bleiben; was ihn, Richard Bolitho, anging, so mochte Hugh im Frieden der Vergessenheit ruhen.

Ferguson rief vom Fuß der Treppe: »Das Glas steht hier beim Fenster, Sir. Rotwein.«

Er zögerte, ehe er weitersprach: »Da ist etwas im Schlafzimmer, Sir.« Anscheinend traute er sich kaum, es zu sagen. »Es sollte eine Überraschung sein, aber sie waren noch nicht fertig, als Sie das letzte Mal hier waren.« Seine Stimme verklang; Bolitho schritt rasch zur Tür am Ende des Treppenabsatzes und stieß sie auf.

Im ersten Moment fiel ihm nichts Besonderes auf: da war das Himmelbett in einem breiten Strahl fleckigen Sonnenlichts, das durch das Fenster kam – und der hohe Spiegel, vor dem sie gesessen und ihr Haar gekämmt haben mußte, wenn er weg war … Aber die Kehle wurde ihm trocken, als er sich umwandte und die beiden neuen Bilder an der Rückwand sah. Als ob sie wieder lebte, hier in diesem Zimmer, wo sie vergeblich auf ihn gewartet hatte. Er wollte näher herantreten, aber er hatte Angst – Angst, daß der Zauber weichen würde. Der Maler hatte sogar das Seegrün ihrer Augen getroffen und das herrliche Kastanienbraun ihres langen Haares. Und ihr Lächeln. Langsam trat er einen Schritt näher. Das Lächeln war wunderbar. Freundlich, etwas belustigt, so wie sie ihn immer lächelnd angesehen hatte, wenn sie beieinander waren.

Unter der Tür hörte er einen Schritt und dann Fergusons leise Stimme: »Sie wollte, daß sie nebeneinander hängen, Sir.«

Jetzt erst warf Bolitho einen Blick auf das andere Bild. Er war in seinem alten Galarock gemalt, dem mit den breiten weißen Aufschlägen, den Cheney so gern gehabt hatte.

»Danke«, sagte er heiser. »Schön, daß Sie ihren Wunsch erfüllt haben.«

Damit trat er rasch ans Fenster und lehnte sich über das warme Sims. Dort, gerade hinter jenem Hügel, konnte er die glitzernde Linie des Horizonts sehen. Es war dieselbe Landschaft, die Cheney von diesem Fenster aus gesehen hatte. Er hätte vielleicht zornig oder traurig sein können, weil Ferguson die Bilder hier aufgehängt, Erinnerungen an sie und seinen Verlust heraufbeschworen hatte. Aber das wäre falsch gewesen; jetzt, als er hier stand, die Hände auf das Sims gestützt, hatte er zum erstenmal seit langer Zeit ein seltsam friedvolles Gefühl.

Ein alter Gärtner unten spähte herauf und schwenkte seinen verbeulten Hut, aber Bolitho sah ihn nicht.

Er trat ins Zimmer zurück und wandte sich erneut den Bildern zu. Hier waren sie wieder beieinander. Cheney hatte dafür gesorgt, und nichts konnte sie jetzt mehr trennen. Wenn er wieder auf See war, vielleicht auf der anderen Seite der Erdkugel, dann konnte er an dieses Zimmer denken. An die beiden Porträts nebeneinander, die zusammen auf den Horizont hinaussahen.

»Ich komme gleich hinunter«, sagte er. »Der Wein ist sicher schon warm.«

Später, als er an seinem großen Schreibtisch saß und Briefe an Hafenbeamte und Schiffsausrüster schrieb, dachte er darüber nach, was dieses Haus alles erlebt hatte. Was würde damit geschehen, wenn er starb? Der einzige, der Anspruch auf das Erbe der Bolithos hatte, war sein junger Neffe, Adam Pascoe, Hughs illegitimer Sohn. Er tat zur Zeit unter Kapitän Thomas Herrick Dienst; aber Bolitho war entschlossen, dem Jungen so bald wie möglich die Besitzrechte an dem Haus zu sichern. Er biß die Zähne zusammen. Sosehr er seine Schwester Nancy liebte, aber es kam gar nicht in Frage, daß ihr Mann, Ratsherr in Falmouth und einer der größten Grundbesitzer der Grafschaft, das Haus in die Hände bekam.

Ferguson trat ins Zimmer. »Entschuldigung, Sir«, sagte er stirnrunzelnd, »aber da ist ein Mann, der Sie unbedingt sprechen will. Er ist außerordentlich hartnäckig.«

»Wer ist’s?«

»Ich habe den Kerl noch nie gesehen. Ein Seemann, keine Frage, aber weder Offizier noch Gentleman, auch das ist keine Frage.«

Bolitho lächelte. Es war schwierig, sich Ferguson als den Mann vorzustellen, den einst ein Preßkommando an Bord der Phalarope gebracht hatte, zusammen mit Allday übrigens. Zwei grundverschiedene Charaktere, wie es damals den Anschein hatte. Jedoch waren die beiden sehr gute Freunde geworden; und selbst als Ferguson seinen Arm verloren hatte, wollte er in Bolithos Diensten bleiben. So war er hier Verwalter geworden. Ebenso wie Allday ging er sofort in Abwehrstellung, wenn irgend etwas Unerwartetes oder Ungewöhnliches auf Bolitho zukam.

»Lassen Sie ihn ein, Ferguson«, sagte er. »Er wird ja wohl nicht allzu gefährlich sein.«

Ferguson führte den Besucher herein und schloß die Tür mit offensichtlichem Mißbehagen hinter ihm. Bestimmt wartet er direkt davor für alle Fälle, dachte Bolitho.

»Was kann ich für Euch tun?«

Der Mann war untersetzt und muskulös, tiefgebräunt und trug sein Haar in einem altmodischen Zopf. Er hatte einen Rock an, der ihm viel zu klein war, und Bolitho kam auf die Idee, daß er ihn nur trug, damit man nicht gleich sah, daß er Seemann war. Aber schon die weiten Hosen waren unverkennbar. Auch wenn er splitternackt gewesen wäre, hätte man gewußt, daß er Seemann war.

»Entschuldigung, daß ich so frei bin, Sir.« Er klopfte grüßend mit der Faust an die Stirn; dabei flitzten seine Augen durch den Raum. »Mein Name ist Taylor, Steuermannsmaat auf der Auriga, Sir.«

Bolitho sah ihn ruhig und aufmerksam an. Er sprach mit einem leichten Nordengland-Tonfall und war offensichtlich nervös. Ein Deserteur, der auf Gnade hoffte, oder auf einem anderen Schiff untertauchen wollte? Es war gar nicht so ungewöhnlich, daß solche Leute wieder in die eine und einzige Welt zurückwollten, wo sie mit ein bißchen Glück Sicherheit finden konnten.

Rasch fuhr Taylor fort: »Ich war bei Ihnen auf der Sparrow, Sir. Damals im Jahr 79, in Westindien.« Gespannt blickte er Bolitho an. »Ich war Topsgast.«

Langsam nickte Bolitho. »Natürlich, ich erinnere mich jetzt.« Auf der kleinen Korvette Sparrow, seinem allerersten Kommando, als er dreiundzwanzig war, als das Leben noch Spaß machte und ihm die ganze Welt ein Tummelplatz für seinen grenzenlosen Ehrgeiz schien.

»Wir hörten, Sie sind zurück, Sir.« Taylor redete sehr schnell. »Und weil ich Sie sozusagen kenne, haben sie mich gewählt, daß ich zu Ihnen geh’n soll.« Er lächelte bitter. »Hab’ erst gedacht, ich müßt’ ’n Boot klauen oder zu Ihrem Schiff schwimmen. Aber Sie sind ja an Land, da war’s einfacher, sozusagen.« Unter Bolithos starrem Blick schlug er die Augen nieder.

»Seid Ihr in Schwierigkeiten, Taylor?«

Mit plötzlicher Abwehr im Blick schaute der Mann auf. »Hängt von Ihnen ab, Sir. Mich haben sie gewählt, daß ich mit Ihnen spreche, und weil ich weiß, daß Sie ’n fairer und gerechter Käpt’n sind, Sir, hab’ ich mir gedacht, Sir, Sie würden mich vielleicht anhören …«

Brüsk stand Bolitho auf und sah ihn fest an. »Wo liegt Euer Schiff?«

Taylor deutete mit dem Daumen über die Schulter. »Ostwärts an der Küste, Sir.« Etwas wie Stolz erhellte sein tiefgebräuntes Gesicht. »Fregatte, sechsunddreißig Geschütze, Sir.«

»Ah.« Langsam schritt Bolitho an den leeren Kamin und wieder zurück. »Und Ihr und Euresgleichen habt das Schiff in Eure Gewalt gebracht, ist es so? Seid Ihr ein Meuterer?« Der Mann zuckte zusammen. »Wenn Ihr mich kennt, wirklich kennt, müßtet Ihr wissen, daß ich nicht mit Leuten verhandle, die ihr Land verraten haben«, schloß Bolitho hart.

Leise erwiderte Taylor: »Wenn Sie mich zu Ende anhören wollen, Sir – mehr will ich ja gar nicht. Dann können Sie mich hängen lassen, wenn Sie wollen – das weiß ich.«

Bolitho biß sich auf die Lippen. Einfach hierherzukommen, dazu gehörte Mut. Mut und noch etwas anderes. Dieser Taylor war kein frisch gepreßter Mann, kein Querulant vom unteren Deck. Er war Berufsseemann. Es konnte nicht leicht für ihn gewesen sein. Jede Minute seines Weges nach Falmouth hätte ihn jemand sehen können, der sich bei den Behörden in ein günstiges Licht setzen wollte, und sogar in diesem Moment konnte eine Patrouille zum Stadttor unterwegs sein.

»Schön«, sagte er, »ich kann Euch nicht versprechen, daß ich Euren Ansichten zustimme, aber anhören will ich Euch. Das ist alles, was ich sagen kann.«

Taylor schien etwas erleichtert. »Wir gehören zur Kanalflotte, Sir, und waren zwei Jahre lang ständig im Dienst. Wir hatten nich viel Ruhe, denn Fregatten sind knapp, wie Sie ja wissen. Wir waren in Spithead, als die Geschichte vorigen Monat losging, aber unser Käpt’n stach in See, bevor wir unsere Solidarität mit den anderen zeigen konnten.« Er preßte die Hände zusammen und fuhr bitter fort: »Ich muß Ihnen das sagen, Sir, damit Sie verstehen. Unser Käpt’n ist ein harter Mann, und der Erste Offizier hat sich angewöhnt, die Leute so zu piesacken, daß kaum einem der Rücken nich von der Katze[11] zerfetzt is!«

Bolitho preßte die Hände zusammen. Ich müßte ihm jetzt das Wort abschneiden, ehe er noch mehr sagt; schon indem ich ihm zuhöre, habe ich mich auf Gott weiß was eingelassen, dachte er. Doch er entgegnete nur kalt: »Wir sind im Krieg, Taylor. Die Zeiten sind eben hart, für Offiziere ebenso wie für Matrosen.«

Doch Taylor war hartnäckig. »Als die Geschichte in Spithead losging, waren sich die Delegierten darüber einig, daß wir raussegeln und gegen die Frogs[12] kämpfen. Da war kein einziger Mann, der nich loyal gewesen wäre, Sir. Aber manche Schiffe haben eben schlechte Offiziere, Sir, das kann keiner bestreiten. Da gibt’s welche, die haben seit Monaten keinen Sold bekommen, und die Leute sind halb tot vor Hunger, weil das Fleisch so schlecht is. Der Schwarze Dick –«, Taylor errötete –, »’tschuldigung, Sir, ich meine Lord Howe, hat mit den Delegierten gesprochen, und da war alles klar. Er is auf ihre Forderungen eingegangen, so gut er konnte.« Böse zog er die Brauen zusammen. »Aber die Auriga war zu der Zeit auf See, für uns galt das anscheinend nich. Im Gegenteil, unser Käpt’n wurde immer schlimmer statt besser! Und das is die Wahrheit, ich schwör ’s Ihnen!«

»So habt ihr also das Schiff in eure Gewalt gebracht?«

»Aye, Sir. Bis uns Gerechtigkeit zugesichert wird.« Er sah zu Boden. »Wir haben gehört, daß wir zu diesem neuen Geschwader kommen sollen, unter Vizeadmiral Broughton. Das bedeutet, wir sind vielleicht wieder jahrelang weg von England. Es is nich fair, was man uns angetan hat. Wir haben Admiral Broughton in Spithead gesehen. Er soll ’n guter Offizier sein, aber er würde mächtig hart durchgreifen, wenn ’s wieder Ärger gibt.«

»Und wenn ich Euch sage, daß da nichts zu machen ist – was dann?«

Taylor sah ihm in die Augen. »Es gibt ’ne ganze Menge an Bord, die schwören, sie hängen uns sowieso alle. Die wollen das Schiff nach Frankreich segeln und es da gegen ihre Freiheit eintauschen.« Er biß die Zähne zusammen. »Aber ich und noch andere, wir wollen das nich. Wir wollen nur unser Recht – wie die Jungs in Spithead.«

Bolitho kniff die Augen zusammen. Wieviel wußte Taylor von den Unruhen in der Nore-Flotte? Vielleicht war er aufrichtig, vielleicht war er aber auch das Werkzeug in den Händen eines erfahreneren Aufrührers. Was er da von seinem Schiff gesagt hatte – daran war kaum zu zweifeln.

»Hat es Verletzte bei den Offizieren gegeben?«