Der Team-Entwickler - Jens Corssen - E-Book
SONDERANGEBOT

Der Team-Entwickler E-Book

Jens Corssen

0,0
17,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 17,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Team-Building ist wichtiger denn je. Jens Corssen, Deutschlands gefragtester Coach für Persönlichkeitsentwicklung und Zielerreichung, zeigt mit seinem Coaching-Partner Stefan Gröner in ihrem aktuellen psychologischen Sachbuch, wie aus dem Selbst-Entwickler ein erfolgreicher Team-Entwickler wird – unverzichtbar für Führungskräfte, Teamleiter, Trainer. Als Team-Entwickler unterstützt ein guter Vorgesetzter seine Mitarbeiter nicht nur fachlich, sondern er ist auch aufmerksamer Beziehungsmanager. Er vermittelt den Mitarbeitern Orientierung und Vertrauen und leitet sie an, die Herausforderungen in einer nicht mehr berechenbaren Welt entschlossen und leidenschaftlich anzunehmen. Zusammen mit seinem Coaching-Partner Stefan Gröner hat der renommierte Business-Coach Jens Corssen auf der Grundlage der Philosophie und Praxis des Selbst-Entwicklers® spezielle Teamrollen entwickelt, die den innovativen Führungsstil des Team-Entwicklers anschaulich machen. Die beiden erfahrenen Profis vermitteln auf eine überzeugende Weise, wie Führungskräfte, Teamleiter und Trainer in einer motivierenden Haltung und mit neuartigen Führungstools aus individuellen Persönlichkeiten ein begeistertes, selbst-bewusstes und erfolgreiches Team entwickeln können.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 322

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Jens Corssen / Stefan Gröner

Stephanie Ehrenschwendner

Der Team-Entwickler

Gemeinsam gewinnen lernen

Knaur e-books

Über dieses Buch

Als Team-Entwickler unterstützt ein guter Vorgesetzter seine Mitarbeiter nicht nur fachlich, sondern er ist auch aufmerksamer Beziehungsmanager. Er vermittelt den Mitarbeitern Orientierung und Vertrauen und leitet sie an, die Herausforderungen in einer nicht mehr berechenbaren Welt entschlossen und leidenschaftlich anzunehmen.

Zusammen mit seinem Coaching-Partner Stefan Gröner und der Verlagsexpertin Stephanie Ehrenschwendner hat der renommierte Business-Coach Jens Corssen auf der Grundlage der Philosophie und Praxis des Selbst-Entwicklers® spezielle Teamrollen entwickelt, die den innovativen Führungsstil des Team-Entwicklers anschaulich machen. Die beiden erfahrenen Profis vermitteln auf eine überzeugende Weise, wie Führungskräfte, Teamleiter und Trainer in einer motivierenden Haltung und mit neuartigen Führungstools aus individuellen Persönlichkeiten ein begeistertes, selbst-bewusstes und erfolgreiches Team entwickeln können.

Inhaltsübersicht

VorwortDie komplexe Welt von TeamsIV. QUARTAL15. Dezember: Im freien Fall18. Dezember: Aufgeben ist keine OptionKurz & bündigI. QUARTAL10. Januar: Auf und ab22. Januar: Eine Haltung der Unerschütterlichkeit31. Januar: Im Unvorhersehbaren stabilisieren12. Februar: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt8. März: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner TeileKurz & bündigII. QUARTAL5. April: Einer für alle, alle für einenKurz & bündigIII. QUARTAL2. Juli: Nach dem Spiel ist vor dem SpielKurz & bündigDie Toolbox des Team-EntwicklersLeaderTeam-Entwickler-Tools für LeaderGraue EminenzTeam-Entwickler-Tools für Graue EminenzenSupporterTeam-Entwickler-Tools für SupporterAufsteigerTeam-Entwickler-Tools für AufsteigerDivaTeam-Entwickler-Tools für DivenJungstarTeam-Entwickler-Tools für JungstarsAltstarTeam-Entwickler-Tools für AltstarsResignierterTeam-Entwickler-Tools für ResignierteVerzeichnis: Aus dem Handbuch des Team-Entwicklers
[home]

Vorwort

Die komplexe Welt von Teams

In einer Welt, die sich zunehmend schneller dreht und komplexer gestaltet, ist Teamarbeit zu einer vielschichtigen Aufgabe geworden, die nicht mehr mit den Führungsrezepten von gestern zu bewältigen ist. Heutzutage bedeutet erfolgreiche Team-Entwicklung nicht nur, Menschen mit entsprechendem Know-how zu einer Gruppe zu formen, sondern eine inspirierende Atmosphäre zu schaffen, in der alle Beteiligten selbst in dramatischen Umbruchsituationen ihr Bestes geben und ihr Potenzial voll einbringen. Diese Erkenntnis ist nicht neu – im stress- und krisengebeutelten Arbeitsalltag jedoch oft nicht umzusetzen. Warum eigentlich nicht?

Der Grund dafür liegt in der Bedeutung der zwischenmenschlichen Beziehungen, die in den klassischen Führungsmodellen nur wenig Berücksichtigung finden. Führungskräfte fokussieren sich bei der Team-Entwicklung vorrangig auf die jeweilige Position ihrer Mitarbeiter: Welche Verantwortungen liegen in ihrem Bereich? Welche Kompetenzen und Erwartungen werden an die Mitarbeiter gestellt? Welche Voraussetzungen bringen sie mit, und woran fehlt es ihnen? Das ist aber nur ein Teil der Realität. Denn die Position eines Mitarbeiters sagt nichts darüber aus, welche Rolle er im Team spielt, welche Haltung er sich selbst, seinen Kollegen und der Firma gegenüber einnimmt. Stimmen Position – Fähigkeiten und Zuständigkeiten – und die Rolle – Einstellung und Verhalten – nicht überein, sind Reibungsverluste bei der Zusammenarbeit vorprogrammiert. In Gruppen mit ungünstigem Rollenverhalten fühlen sich die einzelnen Mitglieder schnell unter Druck gesetzt, unverstanden und strapaziert. Dieser Effekt verstärkt sich in besonderem Maße, wenn sich Teams mit Krisen konfrontiert sehen, etwa weil bestehende Systeme brüchig werden.

Es reicht also nicht mehr, wenn Führungskräfte hauptsächlich fachliche Anleiter sind. Um hinderliche Gruppendynamiken aufzudecken und ein starkes Team zu formen, sind darüber hinaus die Qualitäten eines Beziehungsmanagers erforderlich. In Zeiten des Wandels braucht es einen Team-Entwickler, der seinen Mitarbeitern auch in schwierigen Phasen Richtung, Halt und Vertrauen gibt sowie Mut und Überwindung von ihnen fordert. Der aus komplexen individuellen Persönlichkeiten ein begeistertes, selbstbewusstes und in sich stimmiges Team macht, das Hand in Hand arbeitet und – unabhängig von Größe und Konstellation – Energie und Kreativität aus der Gruppe zieht.

Mit Hilfe der in diesem Buch vorgestellten Rollenmatrix kann der Team-Entwickler erkennen, welche Gefahren (Opferverhalten) und Chancen (Gewinnerverhalten) sich aus den rollenspezifischen Verhaltensweisen der Team-Mitglieder ergeben, und daraus einen Veränderungsprozess ableiten. Die präsentierten Denkansätze und Tools helfen Führungskräften, Teamleitern oder auch Trainern dabei, im Kontext einer gemeinsamen Strategie starke, widerstandsfähige Einheiten zu formen und zu führen und gemeinsam Höchstleistungen zu erbringen.

Wie das gelingt, zeigen wir in Form einer Geschichte um das Team eines krisengeplagten Medienkonzerns. Die Medienbranche, die aufgrund der Digitalisierung mit großen Herausforderungen konfrontiert ist, dient dabei als Platzhalter für ein System, das von neuen Entwicklungen blockiert wird. Die Rollenmatrix lässt sich aber ebenso in anderen Branchen und Bereichen anwenden.Warum ein erzählter Text und kein modellhaftes Sachbuch? Weil die reine Erkenntnis die Menschen noch nicht dazu bringt, sich zu verändern. Nur das wiederholte emotionalisierte Erleben einer aus den Erkenntnissen gewonnenen Erfahrung bewirkt, dass sie als Lerneffekt im Gehirn abgespeichert wird. Mit den Schlüsselsituationen, die das Team um CEO Ralf Hübner macht, erleben Sie die gewinnbringenden Aspekte des Team-Entwicklungsprozesses gewissermaßen hautnah mit. Je mehr Spaß Sie bei der Lektüre haben und je emotionaler Sie sich mit der Geschichte und den Figuren identifizieren, desto mehr Aha-Erlebnisse und Lerneffekte können sich einstellen. Entwicklung ist ein Naturgesetz. »Wandel« steht für »Leben«. »Und solang du das nicht hast, dieses Stirb und Werde«, schreibt schon Goethe, »bist du ein trüber Gast auf dieser Erde.« Nutzen Sie den Team-Entwickler als spielerische Anleitung, um notwendige Veränderungsprozesse im Team voranzutreiben, Gewinnerverhalten zu trainieren und gemeinsam Höchstleistungen zu erbringen. Jeder Einzelne zählt!

[home]

IV. QUARTAL

15. Dezember: Im freien Fall

Baustellen. Überall. Ständig. Ralf spielte in Gedanken versunken mit dem goldenen Clip seines Kugelschreibers. Er atmete schwer aus. Die ersten hundert Tage als CEO des Verlags MeineStars lagen hinter ihm. Zur Neupositionierung der Marke hatte er seine Cross-Media-Strategie in allen Abteilungen implementiert, um den Verlag ins digitale Zeitalter zu überführen. Dieser Schritt war längst überfällig gewesen. Aber die Dinge entwickelten sich einfach nicht so, wie er es sich vorgestellt hatte. Er legte den Stift beiseite und überflog zum x-ten Mal die Umsatztabellen, was die jüngste Hochrechnung auf den Jahresabschluss leider nicht besser machte. Der Dezember neigte sich dem Ende zu, und der Verlag blickte auf ein Katastrophenjahr zurück. »Ich kann doch nicht zaubern!«, murmelte er und stöhnte auf. Die Gesamtsituation des Medienkonzerns war mehr als schwierig. Aufgrund der wachsenden digitalen Konkurrenz kämpfte der Verlag bereits seit Jahren mit Auflagerückgängen. Nicht nur, dass mehr und mehr kostenlose Promi-News im Netz zur Verfügung standen, auch die Beschaffung heftrelevanter Inhalte gestaltete sich zunehmend schwieriger, weil die Stars jede Neuigkeit über ihre eigenen Social-Media-Kanäle schneller und aus erster Hand verbreiteten. Parallel wandten sich die Werbekunden den neuen Mobil- und Social-Media-Plattformen zu, was die Anzeigenerlöse dramatisch reduzierte. Kurz: Die Branche stand kopf.

Obwohl Ralf gewusst hatte, dass es nicht einfach werden würde, und frühere Kollegen und Freunde ihn gewarnt hatten, die Geschäftsführung bei MeineStars anzunehmen, war er in seinem Inneren überzeugt, genau der Richtige dafür zu sein. Die Gespräche mit Dr. Rütting, dem Vorstandsvorsitzenden des Medienkonzerns, in dem MeineStars erschien, hatten ihm vor Beginn seiner Tätigkeit bestätigt, dass man auch in der obersten Etage des Konzerns die Notwendigkeit einer konsequenten digitalen Aufrüstung sah, wie sein ausgefeiltes Konzept sie beschrieb. Warum hätte man ihn sonst eingestellt? Die Herren im Vorstand konnten einfach nicht mehr die Augen davor verschließen, dass seine Vorgänger, allesamt Vertreter der Spezies Tyrannosaurus rex, die den Verlag mit harter Hand geführt hatten, gescheitert waren. Ihre ehrgeizigen Ziele, die Kosteneinsparungen und der drastische Personalabbau hatten die Marke nicht aus den roten Zahlen geholt, dafür aber das gesamte Haus so verunsichert, dass viele Mitarbeiter ihm, dem nächsten Neuen, mit großer Skepsis begegneten und mit gezogener Handbremse zu arbeiten schienen.

Meyer-Langenfeldt, der letzte CEO vor ihm, hatte versucht, mit einem Relaunch des Magazins im hochpreisigen People-Segment neues Umsatzwachstum zu generieren. Umsonst! Die Leute interessierten sich zwar mehr denn je für Klatsch und Tratsch und wollten unbedingt am Leben der Stars und Sternchen teilhaben, aber eben nicht mehr zwingend auf gedrucktem Papier. Ob in der Politik oder in der Welt der Reichen und Schönen, der Hunger nach den neuesten Nachrichten musste sofort gestillt werden. Print würde überleben, das war nicht der Punkt, aber nur im Premiumbereich – und dazu gehörten Promi-News nun mal nicht. Wer unter den herrschenden Marktbedingungen die Nase vorn behalten wollte, musste virtuos die gesamte Klaviatur der Wertschöpfungskette spielen – analog wie digital.

Ralf lehnte sich in seinem Sessel zurück und schaute aus dem Fenster in den grauen Winterhimmel, der ein trübes Licht auf die brachliegenden Maisfelder warf. Was hätte er jetzt für eine Dosis Sonne gegeben. Im Augenblick fand er alles einfach nur trist. Das lag sicher auch an der Gesamtsituation des Marktes. Die Umwälzungen, die mit der Digitalisierung der Branche einhergingen, hatten nicht nur bei MeineStars zu massiven Verlusten geführt. Einige bekannte Marken waren bereits eingestellt worden. Eigentlich gab es für Ralf keinen Grund zu schlechter Stimmung. Denn genau deshalb hatte sich der Vorstand ja für sein Konzept entschieden. Und Ralf hatte nicht vor, seine Chefs zu enttäuschen. Er war sich seiner Sache sicher. Schließlich war ihm das schon einmal gelungen! Innerhalb eines Jahres hatte er die Geschäftszahlen seines letzten Arbeitgebers, ein Fachverlag, um zehn Prozent gesteigert. Damals verpasste ihm die Presse den Titel »Mister Digital« und rühmte sein Gespür für den technologischen Wandel. Mit einem Grinsen im Gesicht dachte er an den Abend beim Edelitaliener zurück, als Rütting ihm bei einem Glas Champagner den Zuschlag erteilte. »Noch nie waren die Menschen so nah dran an ihren Idolen«, hatte er in einer flammenden Rede zu seinem neuen Chef gesagt und ihm zugeprostet, »das World Wide Web hat die Tür zum Privatleben der Prominenten aufgestoßen. Das ist unsere Chance, wir müssen sie nur strategisch ergreifen. Der fein abgestimmte Cross-Media-Mix macht den Erfolg!« Das hatte Rütting gefallen. Danach hatte er die Dringlichkeit des Themas bestätigt. Im Anschluss an ihr Gespräch ließ sich der sonst recht reservierte Hanseate sogar hinreißen, von seiner heimlichen Leidenschaft, dem Kitesurfen, zu erzählen. Ralf, der seinen Chef eher für einen klassischen Segler gehalten hatte, war begeistert, wie viel jugendlicher Elan auf einmal in ihm steckte. Mit der Rückendeckung eines solchen Mannes würde er die Medienbranche aufmischen und den Verlag in eine neue Erfolgsära führen.

Allerdings schien die Aufgabe knapp drei Monate später kniffliger als ursprünglich gedacht. Ralf griff nach den Papieren und ordnete sie auf Kante. Ihm blieb nicht viel Zeit – um genau zu sein, gar keine. Deshalb arbeitete er seit hundert Tagen fast rund um die Uhr, sieben Tage die Woche, und kämpfte wie ein Löwe, um seine Vision einer digital erfolgreich aufgestellten Marke voranzutreiben: Er hatte neue Mitarbeiter mit digitaler Kompetenz ins Unternehmen mitgebracht, strategisch wichtige Veränderungen am hierarchischen Gefüge vorgenommen; nach und nach versucht, die analog verkrusteten Organisationsstrukturen aufzubrechen; neue, digitale Plattformen etabliert und ein Konzept erarbeitet, um eine neue, jüngere Zielgruppe für das Magazin zu erschließen. Dabei hatte er von den Personalkosten über die technologische Aufrüstung bis hin zu Marketingmaßnahmen bereits viel Geld in die Neuausrichtung der Marke investiert. Aber irgendwie war es wie verhext. Die Printauflage des Magazins, Rüttings Lieblingskind, sank Woche für Woche – langsam, aber kontinuierlich. Und obwohl sich an den Zugriffszahlen auf die Onlineplattformen erste Erfolge zeigten, spielten sie bei weitem nicht die Erlöse ein, um das Printdefizit zu kompensieren. Zu allem Übel wendeten sich auch noch Anzeigenkunden, die dem Blatt jahrelang verbunden gewesen waren, den neuen Formaten zu.

Ralf stützte den Kopf in die Hände. Warum war es nur so schwer, seine Vision einer multimedialen Medienmarke umzusetzen? Er rieb sich mit beiden Händen das Gesicht, um etwas munterer zu werden. Langsam machte sich die viele Arbeit körperlich bemerkbar. In den letzten zwei Wochen war er fast jede Nacht gegen vier Uhr aufgewacht mit einem gefühlten Ruhepuls von 95, so als wollte ihm sein Geist sagen: Genug geschlafen! Los, steh auf und geh arbeiten. Dann kreisten seine Gedanken um all die Dinge, die noch nicht geschafft waren. Und je länger die Liste wurde, desto weniger fand er wieder in den Schlaf. Meist verließ er das Bett irgendwann und setzte sich an den Schreibtisch im Homeoffice, bis es Zeit war, sich fürs Büro fertig zu machen. Manchmal schlief er in den frühen Morgenstunden wieder ein, nur um wenig später wie gerädert vom Wecker in den Tag geholt zu werden. Was ihn am allermeisten fuchste, war, dass er sich anscheinend als Einziger Sorgen machte. Viele Mitarbeiter, die den Veränderungsprozess eigentlich hätten begrüßen müssen, zogen nicht wirklich mit bei den Neuerungen. Dabei ging es doch um die Sicherung ihrer Arbeitsplätze! Es war zum Haareraufen! Die Fluktuation war so hoch wie der Krankenstand. Der Anzeigenleiter fehlte in regelmäßigen Abständen bis zu drei Wochen, weil ihn angeblich die Bandscheiben plagten. Wen wunderte es da, dass wichtige Werbekunden absprangen. Ohne Verlagsleiter Heinrich Hagendorf, der interimsmäßig die Leitung der Abteilung übernommen hatte, und Tobi, den Onlinevermarkter, wäre er aufgeschmissen gewesen. Warum konnten nicht mehr Mitarbeiter so engagiert und fleißig wie Tobi sein? Er war zwar noch sehr jung und unerfahren, aber er riss die Aufgaben förmlich an sich und brachte jede Menge Ideen ein, um neue – auch digitale – Werbekundengruppen zu erschließen.

Viele im Team klagten über zu viel Arbeit. Klar, die Personaldecke war dünn, aber so dramatisch konnte es nicht sein, wenn sie, wie er oft beobachtete, statt die Ärmel hochzukrempeln, ratschend in der Küche standen. Kaum kam er in die Nähe, verstummten die Gespräche und die Grüppchen lösten sich auf. Und irgendwie wurde er das Gefühl nicht los, als würde man alles, was in der Vergangenheit im Verlag schiefgelaufen war, ihm anlasten, als würde man ihn an den Fehlern seiner Vorgänger messen. Natürlich musste ein CEO vom ersten Tag an souverän sein und Lösungen parat haben für Probleme, die er nicht verursacht hatte – aber er war doch nicht schuld an der Misere! Früher liebte er seine Führungsaufgaben und den kreativen Austausch mit dem Team. Aber seit er bei MeineStars arbeitete, war ihm der Spaß am Umgang mit den Mitarbeitern vergangen.

Berger, der Chefredakteur des Magazins und ein Urgestein des Verlags, machte ihm am meisten Probleme. Statt sich auf die Neuausrichtung des Heftes zu konzentrieren, suchte er ständig Streit, blockierte die Entwicklungen und erging sich in Rechthabereien. Eigentlich untragbar für einen alten Hasen, ein hervorragender Journalist der alten Schule, der die Branche wie seine Westentasche kannte und über ausgezeichnete Kontakte verfügte. Ralf fiel es in Meetings von Mal zu Mal schwerer, ruhig und geduldig zu bleiben, vor allem nach einer kurzen Nacht. Warum sah Berger nicht, dass sie auf einen riesigen Eisberg zusteuerten? Und dass ihm, wenn sie die Maschine nicht in den Griff bekamen, falsch: wenn Ralf die Maschine nicht in den Griff bekam, seine alten Seilschaften und die guten Beziehungen zum Vorstand auch nichts mehr nützen würden. Weil er dann genauso auflaufen würde wie alle anderen.

Ralf musste schlucken bei dem Gedanken, mit seinem Konzept scheitern zu können. Versagen – das war in seinem Plan nicht vorgesehen. Der Druck wuchs von Woche zu Woche und lastete schwer auf seinen Schultern. Es war richtig, was in all den Management-Büchern stand: Je weiter nach oben man die Erfolgsleiter erklomm, desto dünner die Luft und desto einsamer die Entscheidungen.

Die Mitarbeiter konnten oder wollten seinen Traum von den kleinen analog-digitalen Teameinheiten, die sich je nach Bedarf zu einer innovativen Task Force formierten, nicht realisieren. Das können doch nicht alles Ignoranten sein, dachte er kopfschüttelnd, nur um sich gleich darauf zur Ordnung zu rufen. Er durfte nicht so hart sein. Ein Stück weit konnte er sogar verstehen, dass sie ihm, dem Neuen, so viel Misstrauen entgegenbrachten. Sie waren gebeutelt aufgrund der häufigen Wechsel in der Chefetage, des harten Sparkurses seines Vorgängers Meyer-Langenfeldt, der ausbleibenden Erfolge und der vielen Arbeit, die sich bedingt durch die rigide Personalpolitik auf immer weniger Köpfe verteilte.

Ralf trank seinen Espresso aus und sah auf die Uhr: 9 Uhr 45. Noch fünfzehn Minuten bis zum Beginn des »Digital Dream Tank«, einem monatlichen Workshop, den er ins Leben gerufen hatte, damit das Team geeignete Strategien erarbeitete, um die Arbeitsprozesse auf die neue Strategie auszurichten, den Content optimal in der Wertschöpfungskette zu plazieren und Probleme wie Fortschritte zu besprechen. Leider arbeiteten einige Mitarbeiter nicht richtig mit, allen voran Berger, der im gedruckten Magazin die Königsdisziplin sah. Wegen seiner Sturheit, mit der er sein Redaktionsteam ansteckte, hatten sie im letzten Workshop fast den halben Tag mit der Diskussion vertrödelt, warum nicht jede Nachricht zuerst im Heft publiziert wurde. Ein Unding – angesichts der verheerenden Marktsituation und des horrenden Zeitnachteils der wöchentlichen Erscheinungsfrequenz im Vergleich zu den Onlineportalen, die sich im Minutentakt aktualisierten!

Eigentlich hatte er gar nicht vorgehabt, nach dem Auftakt-Workshop weiterhin an den Treffen teilzunehmen, schließlich ging es hauptsächlich um Organisations- und Umsetzungsdetails, für die ja eigentlich Martin zuständig war, den er in einer ersten Amtshandlung als Content-Chef über der Print- und Onlineredaktion installiert hatte, damit er die Vernetzung und Verteilung aller Inhalte auf die verschiedenen Kanäle organisierte und entschied, welche Storys wann, wo und in welcher Form erschienen. Er hatte Glück gehabt, dass Martin, ein Hochkaräter in der Branche, gerade frei gewesen war, weil er nach zwei Jahren bei einem Medienverlag in New York wieder ins »rückständige« Deutschland zurückkehren wollte, wo man, wie er nicht müde wurde zu betonen, seine Expertise und sein Know-how dringender brauchte. Martin war ein charismatischer Mann, aber sein extrem selbstsicheres Auftreten, das manchmal fast an Arroganz grenzte, brachte ihm viel Neid und Kritik ein. Dennoch musste man dem Kerl eins lassen: Er kannte die digitale Welt wie kaum ein anderer und war international bestens vernetzt. Sein Können hatte er bereits erfolgreich in New York unter Beweis gestellt. Ralf hatte die Gelegenheit beim Schopf ergriffen und den Top-Mann kurzerhand trotz der Bedenken seitens des Vorstands angesichts des hohen personellen Aufwands eingestellt. Mit Martin und einigen weiteren Neuzugängen, hatte er gedacht, würde der Rest der Belegschaft schon mitziehen. Aber das schien nach allem, was Martin ihm berichtete beziehungsweise über den Flurfunk zu ihm kam, nicht zu klappen. Er griff nach den Papieren, erhob sich aus seinem Sessel und machte sich auf den Weg in den großen Sitzungsraum. Auch wenn er eigentlich Wichtigeres zu tun gehabt hätte, sah er sich angesichts der alarmierenden Zahlen genötigt, beim zweiten Workshop erneut einen Appell an die Mitarbeiter zu richten und zu überprüfen, welche Fortschritte das Team machte.

Die Angst vor dem Neuen

Die wissenschaftliche Literatur ist voll von Erklärungsansätzen, weshalb es etablierten Unternehmen schwerfällt, auf dramatische, durch neue Technologien bedingte Marktveränderungen zu reagieren. Eines ist dabei augenfällig: Wenn der Wandel scheitert, dann häufig weniger aufgrund von mangelndem technischem oder strategischem Know-how, sondern wegen der zwischenmenschlichen Beziehungsfaktoren im Team.

Halten Mitarbeiter und Führungskräfte an Altem fest, statt sich gemeinsam auf den Innovationsprozess zu konzentrieren, gestaltet sich der Spagat zwischen dem Erhalt des Kerngeschäfts (im alten Markt) und der Etablierung zukünftiger Geschäftsfelder (im neuen Markt) kompliziert.

Die folgenden Verhaltensweisen kennzeichnen eine Neophobie, den Schrecken und die Angst vor Neuem und Unbekanntem:

Selbstgefälligkeit aufgrund früherer oder aktueller Erfolge;

Angst vor neuen Märkten mit neuen Herausforderungen;

Lösungsansätze auf Basis alter Denkmuster und bestehender Produkte suchen;

Besitzstandswahrung aus Sorge, die eigene Machtposition zu verlieren;

kurzfristiges Profitdenken;

Angst vor der Kannibalisierung des alten Geschäftsfelds;

Blockierung von notwendigen Restrukturierungen;

»Lippenbekenntnisse« ohne wirklichen Glauben an den Wandel und die Absicht, diesen mit voller Kraft anzugehen.

*

»Uns bleibt nicht viel Zeit! Ich darf Sie daher einmal mehr mit Nachdruck bitten, Martin mit vollem Einsatz bei allen Maßnahmen zur Umsetzung der neuen Cross-Media-Strategie zu unterstützen«, schloss Ralf zwanzig Minuten später seine Rede ans Team, nachdem er die Zahlen und die katastrophale Lage, in der sich MeineStars befand, noch einmal in aller Deutlichkeit geschildert hatte. Er sah von seinem Platz an der Stirnseite des riesigen, u-förmig aufgestellten Konferenztisches in die Runde und fügte hinzu: »Noch Fragen?«

Einige Mitarbeiter schauten zu Boden, andere wichen seinem Blick aus oder kritzelten auf ihren Papieren herum. Manche lümmelten sich gelangweilt in ihren Stühlen, ein paar Printressortleiter, die an der linken Längsseite neben Fritz Berger eine Phalanx bildeten, flüsterten sich etwas zu. Ihnen gegenüber trommelte Martin mit den Fingern auf der Tischplatte. »Ich würde gern etwas sagen, wenn es gestattet ist«, meldete sich Chefredakteur Berger zu Wort.

»Bitte«, antwortete Ralf und überhörte den zynischen Unterton der Bemerkung.

»Das ist ja alles schön und gut mit dieser Digitalisierung. Aber ich halte es für nötig, noch etwas beizutragen, um die Kräfteverhältnisse wieder geradezurücken.« Berger zog ein DIN-A4-Blatt, auf dem ein Kopf mit Gehirn abgebildet war, aus dem vor ihm liegenden Stapel und hielt es hoch. »Das Magazin MeineStars ist die erfolgreichste Marke im Portfolio des Verlags«, referierte er betont langsam, »die Milchkuh, die uns – einige verkraftbare Einbrüche hin oder her – seit bald drei Jahrzehnten finanziert. Man kann also sagen, das Heft ist so etwas wie das Großhirn des Verlags.« Dabei deutete er auf ein rot markiertes Areal in der Zeichnung. »Ich bin ja nicht prinzipiell gegen die neuen Medien. Wer mich kennt, weiß: Ich stehe für Fortschritt. Aber wir können diesen größten und am besten entwickelten Teil des Gehirns nicht einfach vernachlässigen wegen irgendwelcher neumodischen Randgebiete, die sich noch nicht bewährt haben.«

Martin runzelte die Stirn und richtete sich kerzengerade auf. Er schien etwas entgegnen zu wollen, kam aber nicht mehr dazu, weil auf einmal die Tür aufging. Im nächsten Moment steckte Sandro, der junge Starreporter des Blattes, den Kopf mit einem »Morgen« herein und huschte begleitet von einem jungenhaften Grinsen in den Raum.

Berger schaute auf die Uhr. Ärger blitzte aus seinen Augen. »Fast dreißig Minuten zu spät!«, schimpfte er. »Was hast du zu deiner Entschuldigung vorzubringen?«

Sandro ignorierte die Bemerkung und setzte sich mit gelangweilter Miene auf einen leeren Platz am Rand des Tisches.

»Was hast du diesmal für eine Entschuldigung?«, wiederholte Berger entnervt.

»Kein Taxi bekommen. War bis drei mit Missy Soraya auf der Afterparty bei Supersong. Für den Fall, dass es jemand entgangen sein sollte: Ich covere die Castingshow fürs Heft.« Damit schien die Sache für ihn erledigt, und er zog sein Smartphone aus der Tasche.

»Das ist kein Grund, unpünktlich zu unserem Workshop zu erscheinen. Wie oft soll ich das noch sagen? In deiner Glamourwelt mag das so üblich sein, aber in meiner Redaktion dulde ich ein solches Verhalten nicht!«

»Ich mach hier aber keinen Nine-to-five-Job«, brachte Sandro trotzig vor. »Und irgendwer muss sich um die geilen Storys kümmern. Ich meine, Missy kriegt nicht jeder.«

»Es ist mir wurscht, mit wem du dir die Nächte um die Ohren schlägst. Deine Promisternchen lassen sich vielleicht von deinen blauen Augen einwickeln, aber ich nicht. Das wird ein Nachspiel haben.«

Der Blick, den Sandro dem Chefredakteur zurückwarf, kühlte den Raum auf Gefriertemperatur. Bergers Augen verengten sich zu kleinen Schlitzen. »Ich erwarte mehr Engagement, junger Mann. Immerhin steht noch nicht fest, wer im Januar zur Berichterstattung zu den Golden Globes fährt!«

Diese Bemerkung schien Sandro kaltzulassen. Er fläzte sich in den Stuhl und begann demonstrativ, auf seinem Smartphone herumzuspielen.

Berger schüttelte den Kopf und atmete einmal tief durch. »Wo war ich stehengeblieben? Ach ja, richtig, MeineStars, das Großhirn der Verlags …«

Missy? Missy Soraya?! Ralf verlor die Konzentration für den Vortrag seines Chefredakteurs, der sich gerade vor versammelter Mannschaft der Lächerlichkeit preisgab. Er entschied, ihn nicht zu unterbrechen, und zog stattdessen sein Handy aus der Jacketttasche, um unter dem Tisch verborgen nach Sandros Account auf Instagram zu suchen. Wie war noch gleich sein Username? Irgendwas mit Sandro … Er gab den Namen seines Mitarbeiters in der Suchleiste ein, und sofort erschien sandro_superstar ganz oben auf einer Übersicht. Ralf musste schmunzeln. Wenn es dem jungen Kerl an einem nicht fehlte, war es Selbstbewusstsein.

Er überflog die auf dem Account geposteten Bilder: Sandro Arm in Arm mit einem Model, das bei einer Castingshow den ersten Platz belegt hatte. Sandro auf der Fashion Week in Berlin neben einer angesagten Designerin. Sandro, wie er auf einer Party Brüderschaft trinkt mit einem Schauspieler, der mit dem Bambi ausgezeichnet worden war. Es schien keine Veranstaltung zu geben, wo der 26-Jährige nicht vertreten war. Obwohl er erst seit achtzehn Monaten für MeineStars arbeitete, kannte er alle wichtigen Leute. Vielleicht war das der Grund für seine 180000 Follower. Beachtlich!

Das letzte Foto, gepostet am Vorabend, genauer gesagt um drei Uhr morgens, zeigte Sandro mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Er saß auf einem riesigen Samtsofa, eng umschlungen mit Missy Soraya, die einen lilafarbenen Seidenpyjama anhatte. Unter dem Bild standen einige Hashtags: #bestfriendsforever #wirsindsupersong #ganeshassecret und #missyisbeautiful.

Das gibt’s doch nicht!, dachte Ralf. Missy war eine der angesagten deutschen Sängerinnen mit persischen Wurzeln, die mit Indian Electro Pop den Musikmarkt aufmischte. Ihr aktueller Song »Lullaby-Rap« führte die deutschen Hitlisten an und war gerade in den US-Charts eingestiegen. Zu diesem Erfolg, hieß es, habe ihr neuer Freund, der amerikanische Rapper Sammy D, nicht unwesentlich beigetragen. Die wasserstoffblonde Sängerin hatte nicht nur eine sexy Stimme, sondern auch umwerfende Kurven. Vor allem aber war sie ein Vermarktungsgenie. Vom ersten Tag ihrer Karriere an trug sie eine Maske, die dem Gesicht der indischen Gottheit Ganesha nachempfunden war. Niemand kannte ihr Gesicht. Paparazzi verfolgten sie deshalb auf Schritt und Tritt.

Ralf sah aus den Augenwinkeln zu Sandro hinüber, der immer noch mit seinem Smartphone hantierte. Er war ein Chaot, dem es oft an Respekt mangelte. Er nahm sich viele Freiheiten heraus, aber eins musste man ihm lassen: Er hatte einen heißen Draht zu den Stars. Alle liebten ihn, er wurde überallhin eingeladen und war mit der Crème de la crème gut Freund. Und das brachte gute und vor allem intime Storys ein, die MeineStars – analog wie digital – so dringend brauchte.

»Pack das Ding weg! Wenn du nicht mitmachen willst beim Workshop, dann kannst du auch gehen.« Bergers polternde Stimme holte Ralf aus seinen Gedanken. »Ich brauche keine Leute, die nur rumsitzen und mit dem Handy spielen.« Er schaute zu Ralf und setzte dazu: »Auch wenn wir in dem Workshop nur unsere Zeit vergeuden.«

Sandro rollte mit den Augen und packte das Telefon weg.

O Mann, dachte Ralf und ließ sein Smartphone ebenfalls in der Tasche verschwinden. Berger machte gerade wieder einen kapitalen Fehler. Die Jungen ließen sich heutzutage nicht mehr so viel gefallen und waren schneller weg, als man schauen konnte. Es war nur eine Frage der Zeit, bis ein anderer Verlag versuchen würde, Sandro abzuwerben. Und wenn er ginge, weil er die Nase voll von Bergers autoritärem Gehabe hatte, würde er eine nur schwer zu schließende Lücke hinterlassen. Sandro war nicht nur hochtalentiert als Personality-Reporter, sondern auch als einer der wenigen – wie Martin bestätigt hatte – digital auf den verschiedensten Kanälen aktiv. Seine Follower machten ihn gewissermaßen zur Marke in der Marke. Das brauchte MeineStars, um sich als Marke ins digitale Netzwerk einzuflechten.

»Ich schlage vor, dass wir das Thema Großhirn an der Stelle ruhen lassen und uns wieder den Aufgaben des Workshops widmen, den ich, ganz nebenbei, nicht für eine Zeitverschwendung, sondern als dringend notwendig erachte, Fritz«, stoppte Verlagsleiter Heinrich Hagendorf, der neben Ralf saß, den Redeschwall des Chefredakteurs. Hagendorf war wie Berger ein alteingesessener Verlagsmitarbeiter, aber im Gegensatz zu ihm ein sehr integrer Charakter. Er verstand die Bedeutung des Digitalen, zumindest theoretisch, und war ein guter Manager: gewissenhaft, zuverlässig, fast preußisch, dabei zugleich kollegial mit dem Team und bescheiden. Nur leider hatte er zu wenig Biss. Das war vielleicht seinem Alter und der jahrzehntelangen Zugehörigkeit zum Unternehmen geschuldet und vermutlich auch der Grund, warum der Vorstand ihn vor ein paar Jahren übergangen und Ralfs Vorgänger wegen dessen vermeintlich größerer Onlinepraxiserfahrung den Vorzug im Hinblick auf die Geschäftsführung gegeben hatte. Und nun saß Ralf auf dem Posten, den sein Sitznachbar seinerzeit gewollt hatte, was ihn manchmal befangen machte im Umgang mit dem eigentlich sympathischen Mann.

Hagendorfs ruhiger und besonnener Tonfall schien den Chefredakteur zu besänftigen. »Also gut«, sagte er, »dann komme ich nun zum Thema Redaktionssystem.«

Dieses Stichwort weckte erneut Ralfs Aufmerksamkeit. Die Einführung der teuren und komplexen Multimedia-Software zum Austausch und Publizieren von Daten beschäftigte die Gemüter in den Redaktionen seit Wochen.

»Ein einheitliches Programm zum Arbeiten ist ja sinnvoll. Ich verstehe aber nicht, warum wir in Krisenzeiten so viel Geld für ein System ausgeben, das der ohnehin schon reduzierten Belegschaft mehr Arbeit macht und nicht wirklich etwas bringt. Lisa«, er deutete auf die knapp dreißigjährige Frau, die ein paar Stühle weiter saß, »die als Chefin vom Dienst eigentlich als Schnittstelle zwischen der Redaktion und den anderen Abteilungen zuständig ist, hat die letzten vierzehn Tage neben ihrer Arbeit damit zugebracht, den Kollegen die Fallstricke des Programms zu erklären und Probleme zu lösen, die wir ohne das Redaktionssystem nicht gehabt hätten. Das geht nicht!«

Ralf bemerkte, wie Lisa rot anlief und sich etwas unglücklich dreinblickend auf die Lippe biss. Das Verhalten, das Berger beschrieb, passte zu Lisa. Sie war eine echte Perle: engagiert, aber nicht zu forsch; fleißig, verlässlich und vielseitig; loyal, soweit er das bisher beurteilen konnte; meist gut gelaunt und positiv. Sie packte immer mit an und war sich für nichts zu schade.

Von Lisa wanderte Ralfs Blick zu Martin, der Bergers Ausführungen mit stoischem Blick verfolgte. Warum sagte er nichts? Weshalb ließ er sich als Verantwortlicher für das gesamte Redaktionsteam von Berger das Zepter aus der Hand nehmen? Musste tatsächlich er jetzt dazwischengehen? Als hätte Martin seine Gedanken erahnt, schoss er auf einmal heraus: »Das ist doch nicht das Problem! Wie oft soll ich es noch wiederholen: Wenn hier alle analog weiterarbeiten, macht das Redaktionssystem auch keinen Sinn. Logisch! Im letzten Workshop haben wir genau besprochen, wie wir vorgehen wollen. Leute, warum passiert das nicht?« Er klopfte mit der flachen Hand auf den Tisch und wandte sich Sophia zu, die zwei Stühle weiter rechts von ihm saß: »Du trägst die Verantwortung für die Onlineredaktion. Wenn du endlich dafür sorgst, dass das Ding bei dir vernünftig genutzt wird, klappt es vielleicht auch irgendwann beim Heft. So schwer kann das doch nicht sein!«

»Aber ich …«, setzte Sophia an, die Martins Kritik mit irritiertem Gesicht entgegennahm. Doch ihr Chef ließ ihr keine Zeit zu einer Antwort: »Und wenn wir schon mal dabei sind: Es ist ja nicht bloß die Umsetzung, die nicht funktioniert. Wo sind die frischen, jungen Storys? Das betrifft alle von der Redaktion«, er zeigte auf die Phalanx um Berger, »aber vor allem die Social-Media-Kanäle.« Martins Finger blieb bei Tom stehen, der den Platz rechts von Sophia hatte. »Sorry, aber deine Beiträge auf Facebook und Instagram sind irgendwie kalter Kaffee. Ehrlich gesagt habe ich mir das alles origineller, irgendwie szeniger vorgestellt. So kriegen wir den Staub nicht von den Schultern und gewinnen auch keine Follower! Fürs Protokoll: Wir müssen deutlich schneller und besser als die Konkurrenz sein, sonst brauchen wir uns nicht wundern, wenn der Laden den Bach runtergeht.«

Ralf beobachtete, wie der Onlineredakteur Tom mit blassem Gesicht in sich zusammensackte. Selbst als Sophia ihm etwas zuflüsterte, reagierte er kaum. Leider hatte Martin mit seiner Kritik nicht ganz unrecht, auch wenn es suboptimal war, einen Mitarbeiter vor dem versammelten Team zurechtzuweisen. Es war Ralf auch schon aufgefallen, dass Toms Beiträge in den letzten Wochen langweilig geworden waren. Warum eigentlich?

»Tja«, riss Berger das Wort wieder an sich. »Das ist genau der Punkt. Qualität braucht eben Erfahrung. Nichts für ungut, aber die fehlt unserem jungen Freund aus der Onlineredaktion, einem Quereinsteiger, leider. Ich weiß nicht, wie oft ich das noch wiederholen soll.«

Berger ist doch einfach ein verstocktes Fossil, musste Ralf wieder einmal feststellen. Wer nicht von der Journalistenschule kam, den betrachtete er als Dilettanten. Dabei waren es junge Leute wie Tom, die der Bereich Social Media bei MeineStars brauchte, um die in die Jahre gekommene Marke für ein jüngeres Zielpublikum attraktiv zu machen. Das hatte er zumindest im Sinn gehabt, als er den jungen Querdenker wegen seiner kreativen und frechen Art von einer Agentur abwarb, wo er einen Blog voller provokanter und lustiger Promigeschichten verantwortete. Umso ärgerlicher war es, dass er die Chance, die Ralf ihm gegeben hatte, nicht besser nutzte. Wieso ließ seine Performance nach weniger als drei Monaten schon zu wünschen übrig, wo er doch mit einigen spannenden Storys angefangen hatte, die sich wohltuend vom sonst üblichen Ton der Zeitschrift absetzten. Ralf hatte solche Hoffnungen in den jungen Mann gesetzt – und seine Fähigkeiten überschätzt?

»Das führt mich zu meinem nächsten Punkt«, nahm Berger den Faden wieder auf. »Was braucht ein erfolgreiches Heft am notwendigsten? Richtig, guten Content, wie es so schön auf Neudeutsch heißt. Aller Augen ruhen auf uns, aber wie bitte soll ich jede Woche gute Inhalte für mein Heft liefern, wenn mir nur noch die Hälfte der Belegschaft zur Verfügung steht? Denn neuerdings werden ja nur noch die …«, er sah zu Ralf, »… digitalen Plattformen personell gestützt.«

»Ich würde gern noch etwas zu Martins Bemerkung sagen«, meldete sich Sophia, die Onlinechefredakteurin zu Wort. Ralf war froh, nicht auf Bergers Seitenhieb eingehen zu müssen. Er hätte es nur schwer geschafft, der Abwehrhaltung seines Chefredakteurs gelassen zu begegnen. Bisher war er trotz aller Sturheit auf seiner Seite, denn es war sicher nicht leicht gewesen, den Arbeitsaufwand nach dem Personal- und Kostenabbau seiner Vorgänger zu kompensieren und die verbliebene Mannschaft auf Trab zu halten. Aber mittlerweile ging ihm Bergers destruktiver Kampfgeist gehörig auf den Wecker.

»Ich bin auch nicht mit der Umsetzung der Cross-Media-Strategie zufrieden«, fuhr Sophia nach einem kurzen Nicken von Martin und Berger fort. »Der Prozess gestaltet sich schwieriger, als wir dachten. Ich sehe das Problem allerdings weniger auf der organisatorischen als auf der Teamebene. Wir arbeiten nicht so reibungslos und gut zusammen, wie ich es mir wünschen würde. Die Onlineredakteure geraten ständig mit den Redakteuren vom Heft aneinander wegen der Frage, wo was als Erstes erscheint. Ich habe wirklich alles versucht, damit die Inhalte besser zwischen den Abteilungen abgestimmt werden. Deshalb wäre ich froh, wenn wir das hier im Workshop diskutieren könnten, um eine klare Regelung für das Problem zu finden. In der ersten Januarhälfte kommt Missys Verlobter Sammy D in der Stadt. Wir haben ein Interview mit dem Rapper, der ja in den sozialen Medien extrem präsent ist. Das ist die perfekte Gelegenheit, eine jüngere Zielgruppe über unsere neuen Digitalplattformen zu erreichen. Da sollten wir optimal vorbereitet sein. Ach ja, und es wurde auch noch nicht festgelegt, wer das Interview mit ihm führt.« Sie sah zu Sandro.

»Ich bin raus«, warf der Starreporter ein, »Golden Globes!«

Berger begegnete Sandro mit strengem Blick. Dann überflog er mit einem Blick die Köpfe der Redakteure um ihn herum.

»Ich bin für Supersong zuständig, solange Sandro weg ist«, sagte einer.

»Ich bin im Urlaub«, sagte der nächste.

»Ich mache eine Fortbildung«, kam es von einem dritten.

»Vielleicht wäre es ja eine gute Gelegenheit, Tom zum Interview zu schicken«, schlug Sophia vor. »So kann er zum einen zeigen, dass er auch als Reporter was drauf hat. Und außerdem ein Konzept entwickeln, wie wir das Interview nicht nur im Heft, sondern auch online verarbeiten.« Sie drehte sich zu ihrem jungen Kollegen, der immer tiefer in seinem Stuhl versank, und sagte mit einem aufmunternden Lächeln: »Wenn einer Sammy mit ein paar coolen Sprüchen aus der Reserve locken kann, dann bist du das. Mach dir doch bitte bis zur ersten Januarwoche Gedanken, wie sich das Interview bestmöglich für die einzelnen Sparten verwerten lässt und was wir auf den digitalen Plattformen dazu auf die Beine stellen können. Und vielleicht sollten wir heute schon mal andiskutieren, wie wir die Vermarktungskette für Print und Digital konkret umsetzen.«

»Das ist eine sehr gute Idee, Tom zu schicken«, flankierte Ralf den Vorschlag und war einmal mehr darin bestätigt, dass Sophia nicht nur klug und kompetent war, sondern auch ein gutes Händchen im Umgang mit Mitarbeitern hatte. Tom musste motiviert und zugleich aus der Reserve gelockt werden. Das Interview würde ihn sicher anspornen. Auch wie Sophia eben Berger ausgehebelt hatte, hatte ihm gefallen. Vermutlich hätte der Printchefredakteur sonst noch ewig palavert. Er sah auf die Uhr, schon nach halb elf und sie waren noch nicht wirklich vorwärts gekommen.

»Werden hier neuerdings wichtige Entscheidungen im Kollektiv getroffen?«, entgegnete Berger mit versteinertem Gesicht. »Aber bitte …«, er blies schnippisch die Luft aus, »mir soll es recht sein.« Dann schaute er zu Tom, wedelte mit seinem Zeigefinger und blaffte: »Aber, mein Freund, vermassele das bloß nicht! Denn ich hol die Kohlen dann nicht aus dem Feuer.« Er drehte sich in Richtung Sophia. »Und wenn wir schon mal dabei sind: Ich weiß nicht, was es zu diskutieren gibt! Wichtige und gute News müssen als Erstes im Heft plaziert werden. Sonst kannibalisieren wir uns selbst und machen uns vor der gesamten Leserschaft lächerlich!«

»Geht das jetzt schon wieder los?«, ging Martin dazwischen. »Ich bin nicht aus den USA zurückgekommen, um mir hier einen solchen Bullshit anzuhören. Wie oft soll ich es noch sagen?« Er öffnete sein Tablet und scrollte mit dem Zeigefinger den Bildschirm herunter, während er »Wo ist denn bloß die verdammte Mail …« murmelte, »… ach hier.« Dann fing er an vorzulesen: »Die Bereitschaft der Leser, Geld für Celebrity News auszugeben, die weder auf ihre individuellen Interessen zugeschnitten sind noch einen added value gegenüber kostenlosen Diensten darstellen, sinkt weiter. Deshalb liegt unser Fokus auf der inhaltlichen Wertschöpfung über alle Kanäle hinweg – und da sind die News ganz zu Anfang online zu plazieren. Mit dem Heft müsst ihr halt Zusatzinfos und Hintergrundstorys dazu liefern. Das kann doch nicht so schwer sein.« Er fuchtelte mit dem Tablet in der Luft herum. »Payed content. Das Internet ist ein Vertriebskanal geworden. Geht das nicht in Ihren Kopf?«

»Ich kenne diese E-Mail nicht«, antwortete Berger trocken.

Martin ließ sich stöhnend in den Sitz zurückfallen. »Wie ich diese Ausreden satt habe! Zum letzten Mal, Berger: Virtualität ist Realität. Wer jetzt nicht mitmacht, ist raus. Welchen Teil von Digital First verstehen Sie eigentlich nicht?« Er schlug sich mit der Hand an die Stirn. »Bis Sie mit Ihrem Heft rauskommen, sind die News doch schon von gestern. Die Leser von MeineStars sind in die Jahre gekommen. Sie sterben aus. Auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole: Aller Augen ruhen auf Online, weil Sie Ihr Magazin bald allein lesen werden!« Nach diesen Worten verschränkte er die Arme hinter dem Kopf und starrte seinen Chefredakteur mit spitzem Gesicht an.

»Gut. Dann kommunizieren wir in Zukunft eben nur noch schriftlich. Mir auch recht. So lassen sich sowieso viel besser irgendwelche Fehlentscheidungen nachweisen.« Berger schien kurz davor, zu explodieren. Doch bevor Ralf die Situation entschärfen konnte, lenkte ihn das Brummen seines Handys ab. Er zog das Gerät aus der Tasche und warf einen kurzen Blick darauf. Eine WhatsApp-Nachricht seiner Assistentin: »DRINGEND *** Videocall mit Vorstand vorgezogen auf 11:00 Uhr. Bereite alles in Ihrem Büro vor und würde Sie um 10:50 Uhr aus dem Workshop holen. OK?«