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Wo dubiose Absprachen und schattenhafte Institutionen beginnen, endet unsere Demokratie
Gibt es einen Staat im Staat? Verborgene Strukturen, die ihre eigenen Ziele verfolgen? Die jüngsten Erkenntnisse im NSU-Prozess lassen ein geheimes Geflecht rechtsextremer Verbindungen erahnen, das die staatlichen Institutionen durchzieht. Welche Rolle spielen dabei die bundesdeutschen Geheimdienste? Herrscht eine stille Komplizenschaft zwischen antidemokratischen Gruppen und öffentlichen Behörden? Es sind solche Entwicklungen, aus denen der zunehmende Vertrauensverlust der Bürger in eine staatliche Politik resultiert, deren Motive und deren Handeln immer intransparenter werden.
Bestsellerautor Jürgen Roth deckt diese verborgenen Netzwerke auf: einen »tiefen Staat«, in dem Geheimdienstagenten, Politiker und Kriminelle zusammenwirken. Sie agieren außerhalb jeglicher Legalität und sind für keine parlamentarische Kontrolle zu fassen – schattenhafte Strukturen, die ans Licht gebracht werden müssen.
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Seitenzahl: 436
Zum Buch
Gibt es einen Staat im Staat? Verborgene Strukturen, die ihre eigenen Ziele verfolgen? Die jüngsten Erkenntnisse im NSU-Prozess lassen ein geheimes Geflecht rechtsextremer Verbindungen erahnen, das die staatlichen Institutionen durchzieht. Welche Rolle spielen dabei die bundesdeutschen Geheimdienste? Herrscht eine stille Komplizenschaft zwischen antidemokratischen Gruppen und öffentlichen Behörden? Es sind solche Entwicklungen, aus denen der zunehmende Vertrauensverlust der Bürger in eine staatliche Politik resultiert, deren Motive und deren Handeln immer intransparenter werden.
Bestsellerautor Jürgen Roth deckt diese verborgenen Netzwerke auf: einen »tiefen Staat«, in dem Geheimdienstagenten, Politiker und Kriminelle zusammenwirken. Sie agieren außerhalb jeglicher Legalität und sind für keine parlamentarische Kontrolle zu fassen – schattenhafte Strukturen, die ans Licht gebracht werden müssen.
Zum Autor
Jürgen Roth, geboren 1945, ist einer der bekanntesten investigativen Journalisten in Deutschland. Seit 1971 veröffentlicht er brisante TV-Dokumentationen und aufsehenerregende Bücher über Politik, Korruption und Kriminalität. Zuletzt erschienen von ihm „Der stille Putsch“, „Gazprom – Das unheimliche Imperium“ und „Gangsterwirtschaft“ die allesamt Bestseller waren.
JÜRGEN ROTH
DERTIEFE
STAAT
Die Unterwanderung der Demokratie durch Geheimdienste, politische Komplizen und den rechten Mob
Wilhelm Heyne Verlag
München
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Copyright © 2016 by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Redaktion: Thomas Bertram
Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich
Satz: EDV-Fotosatz Huber/Verlagsservice G. Pfeifer, Germering
ISBN: 978-3-641-16033-3V001
www.heyne.de
INHALT
Vorwort
Das stetige Schwinden von Freiheit und Brüderlichkeit
DER STAAT UND SEINE SCHMUTZIGEN GEHEIMNISSE
Das Nazi-Netzwerk der CIA im Nachkriegsdeutschland
Die »Partisanen« aus dem Odenwald
Operation Kibitz – die Geheimorganisation der CIA in Deutschland
Noch eine militärische Geheimarmee, von der die Bundesregierung bis 2014 keine Kenntnisse gehabt haben will
Der Kalte Krieg und Gladio
Ein politischer Skandal wird plötzlich öffentlich
DER LANGE SCHATTEN DER VERGANGENHEIT
Die schmachvolle Geschichte des Bundeskriminalamtes
Der tiefe braune Stempel in der deutschen Justiz
Undurchsichtige bayerische Beziehungsgeflechte
Das unheimliche Oktoberfest-Attentat
Weitere Gladio-Spuren in Deutschland?
DIE FINGERABDRÜCKE DES STAATES IM STAATE UND DER NATIONALSOZIALISTISCHE UNTERGRUND (NSU)
NSU und bundesdeutsche Geheimdienste
Zum Hintergrund der Affäre um den NSU
Die im Dunkeln ihrer rassistischen Vorurteile tappenden Verfassungsschützer und Polizisten
Wie der NSU per Zufall entdeckt wurde
Einige Widersprüche nach der Enttarnung des NSU
Der ehrenwerte Verfassungsschutz-Chef aus Thüringen, oder Ohne Verfassungsschutz kein NSU?
Der Mord an einer Polizistin und zu viele offene Fragen
Geschichten über merkwürdige V-Männer
Die besondere sächsische Demokratie – der Fingerabdruck eines Staates im Staate?
Sachsen – das unfreieste Bundesland Deutschlands?
DAS MÄRCHEN VOM MÜNDIGEN BÜRGER
Exkurs über die ungebrochene Macht des Ressentiments
Szenen aus menschenfeindlichen Landschaften in der Ex-DDR am Beispiel von Freital und anderen Orten
Ein CDU-Landrat und rechte Umtriebe in Meißen
Stresow: ein gottverlassenes Dorf und ein Rechtsradikaler
Tröglitz: Rassismus im Schatten eines KZ-Außenlagers
Die braunen Brigaden von Halle
Verfassungsschutz: Lichtenhagen war kein Pogrom – die Geschichte hinter der Geschichte
Der III. Weg und der Herr Krebs aus Frankfurt am Main
Die Scheinheiligkeit der offiziellen Asylpolitik und die tödlichste Grenze der Welt
Die Arbeitsteilung von Biedermännern und Brandstiftern am Beispiel der Flüchtlingsfrage
Anstelle eines Nachwortes
Ist die demokratische Zivilgesellschaft am Ende?
Anmerkungen
Literaturverzeichnis
Nützliche Internetlinks
»Unsere Welt verändert sich gerade auf eine Weise, die Ängste wiederaufleben lässt, die zu Hitlers Zeiten vertraut waren und auf die Hitler eine Antwort gab. Die Geschichte des Holocaust ist nicht vorbei. Er ist ein Präzedenzfall, der ewig währt, und seine Lektionen haben wir noch nicht gelernt.«
Timothy Snyder, 2015
VORWORT
Das stetige Schwinden von Freiheit und Brüderlichkeit
Verabschieden wir uns endlich von den Träumereien und dem idealistischen Glauben, dass es in diesen Zeiten eine gerechte und humane Gesellschaft geben könne. Es ist vergeudete Lebenszeit. »Leben einzeln und frei wie ein Baum, und dabei brüderlich wie ein Wald, diese Sehnsucht ist unser.«1 Aus dem umfangreichen Werk des türkischen Lyrikers Nazim Hikmet ist das der einzige Satz, der in Deutschland auffällig häufig zitiert wird. Das spricht dafür, dass er die Sehnsüchte und Hoffnungen vieler Bürgerinnen und Bürger nach gesellschaftlichen Veränderungen widerspiegelt. Aber seien wir ausnahmsweise einmal ehrlich. Diese Sehnsucht nach Freiheit und Brüderlichkeit ist wie ein bunter Schmetterling, der, kaum zum Leben erwacht, schon wieder sterbend zu Boden taumelt. Eine vergiftete Atmosphäre entzieht ihm jegliche Überlebenschancen.
In dieser vergifteten Atmosphäre herrscht klirrende soziale Kälte, ist rassistische Gewalt alltäglich, während gleichzeitig Demokratieentleerung und Bürgerwut dramatisch zunehmen.
Die vergiftete Atmosphäre ist ein idealer Lebensraum für Menschen, die, wie eine Sandra, bedenkenlos fordern: »Buchenwald auf machen und weg damit!!!« Buchenwald war während der NS-Zeit ein berüchtigtes Konzentrationslager. Maja postete kurzerhand: »Ab aufs Meer mit denen. Das nimmt noch genug Asylanten auf.« Ein Torsten aus Berlin schrieb: »Kann man die nicht einfach anzünden und sagen die haben sich verbrannt beim sonnen.« Oder Manuel M.: »Deutschland braucht mehr Züge die mit pack gefüllt werden und dann direkt in die Gaskammer oder den Hochofen entfernt.« Daraufhin antwortete ihm ein Dirk L.: »Stimmt genau. Ich melde mich auch freiwillig als oberster Begrüßer an der Rampe.« Was alle verbindet? Es sind junge Frauen und Männer, die sich mit ihren kleinen Kindern oder mit putzigen Tierfotos auf Facebook präsentieren.
Solch eine verbale Barbarei als Sprüche einzelner, sozial und psychisch schwer gestörter Menschen zu verharmlosen wäre eine bequeme Diagnose, aber politisch wie gesellschaftlich brandgefährlich. Diese Stimmen sind in Wirklichkeit nur die zugespitzte Stumpfsinnigkeit unterschwellig vorhandener menschenfeindlicher und nationalistischer Einstellungen in viel breiteren Bevölkerungskreisen, als wir es uns bislang vorzustellen wagten.
Die Eskalationsstufen, die diese Einstellungen auslösen, sind spätestens Anfang der Neunzigerjahre bekannt. Erst werden von rechtsradikalen (NPD), klerikal-konservativen (CSU) und rechtspopulistischen Politikerinnen und Politikern (Alternative für Deutschland, AfD) Ressentiments geschürt, in diesem Fall gegen Asylsuchende und/oder Migranten. Dann wird gegen sie demonstriert. Seit Mitte September 2015 gehen Zehntausende sogenannter »besorgter Bürger« in symbiotischer Eintracht mit Neonazis fast täglich auf die Straße, insbesondere in den neuen Bundesländern, mit dem Ziel, die hier Schutz suchenden Menschen zu vertreiben.
Dann werden Flüchtlingsheime angezündet, Flüchtlinge, Migranten und politische Gegner des rechten Mobs attackiert. In der Nacht zum 11. Oktober 2015, um nur ein Beispiel von vielen zu nennen, sprühten in Erfurt Unbekannte an das Wahlkreisbüro der Thüringer Landtagsabgeordneten Katharina König (Die Linke) die Neonazi-Parolen »Judenhure« sowie zwei Hakenkreuze und einen Davidstern. Ein anderes Gebäude in Erfurt wurde mit dem Davidstern und dem Wort »Juden« markiert.
Und es ist nur eine Frage der Zeit, wann wieder die ersten Todesopfer zu beklagen sein werden. Erinnerungen an die Dreißigerjahre werden zwangsläufig wach. Lebt dieser rassistische und nationalistische Geist immer noch und wenn ja, warum? Auch diese Frage soll in diesem Buch beantwortet werden.
Blanker Hass schlägt darüber hinaus demjenigen entgegen, der Flüchtlinge unterstützt und/oder sich gegen Fremdenfeindlichkeit engagiert. »Jetzt den Mund aufzumachen ist lebensgefährlich«, sagt Karen Larisch, die in Güstrow (Mecklenburg-Vorpommern) die soziale Hilfsorganisation »Villa Kunterbündnis« gegründet hat. Sie wurde bereits mehrmals zusammengeschlagen, mit dem Tod bedroht und steht deshalb unter Polizeischutz.2 Dem Initiator einer Petition für die Initiative »HeimeOhneHass«,die sich gegen fremdenfeindliche Demonstrationenvor Flüchtlingsheimen richtete, wurde die Ermordung seiner Eltern und Geschwister angekündigt. Er hat daraufhin sein Engagement eingestellt.
Ines Kummer ist eine engagierte Grünen-Politikerin aus Freital in Sachsen, die sich für Flüchtlinge einsetzt. Sie schrieb am 22. Oktober 2015 auf ihrer Facebook-Seite einen erschütternden Kommentar. »Fremdenfeindlichkeit ist in Freital allgegenwärtig. Wiederholt wurden mein Pflegesohn und ich beleidigt und bepöbelt. Und nur auf Grund der Tatsache, dass er nicht weiß ist. Ihm wurden Prügel angedroht, unterlegt mit den Worten: ›Ich hasse Flüchtlinge und die Politik‹. Und ich musste mir anhören: ›Und du, Alte, was glotzt du da noch so blöd, willste auch was drauf ham?‹ Mein Pflegesohn sagte mir heute noch: ›Muddy, ich bin so traurig, dass die Menschen wegschauen, wenn ich beschimpft werde. Ich bin doch kein schlechter Mensch.‹ Mir zerreißt es das Herz. Ich bin immer noch wütend. Wütend auf diese jungen, Bier trinkenden Leute. Und ich werde meine Klappe nicht halten. Ich mach sie auf gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Und ich hoffe, es bekommen in Freital endlich mal mehr Menschen ihren Hintern hoch und machen ihren Mund auf gegen diesen Fremdenhass, für Menschlichkeit und Respekt.«
Wo bleibt in dieser vergifteten Atmosphäre der öffentliche Aufschrei? Wo die nachhaltige Verdammung des rechten Mobs durch führende Regierungspolitiker? Insbesondere Politiker der CDU/CSU hüllen sich mehr oder weniger in feiges Schweigen. Der Verdacht ist daher nicht von der Hand zu weisen, dass einigen politisch-konservativen Entscheidungsträgern diese menschenfeindliche Stimmung durchaus ins politische Kalkül passt, weil sich der Hass gegen die Schwächsten der Gesellschaft richtet und zum Beispiel nicht gegen jene Kräfte, die ihre wirtschaftliche Macht missbrauchen, weil Gemeinwohl für sie ein Fremdwort ist. Denn, so stellt Armen Avanessian für Zeit Online fest, »der Kapitalismus war und ist – und wird es bis in seine letzten Züge bleiben – ein auf systematischer Ungerechtigkeit und strukturellem Rassismus aufbauendes Wirtschaftssystem, das naturgemäß zu Migrationsbewegungen der Ausgebeuteten führt.«3
Wie weltfremd ist daher der Satz des türkischen Lyrikers Nazim Hikmet: »Leben einzeln und frei wie ein Baum, und dabei brüderlich wie ein Wald, diese Sehnsucht ist unser.«
Liberté, Égalité, Fraternité – drei bedeutungsschwere Wörter. Tatsächlich ist diese Parole aus der Französischen Revolution heutzutage nicht mehr als eine wohlfeile Sprechblase. Bevorzugt zitiert wird sie bei festlichen politischen oder kulturellen Inszenierungen, wie weiland durch Gerhard Schröder (SPD), den »Genossen der Bosse«, am 22. Januar 2003 in Versailles. Damals war er noch Bundeskanzler. Anlässlich des 40. Jahrestages der Unterzeichnung des Élysée-Vertrages äußerte er sich über Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit:
»Sie sind die gemeinsame Grundlage für unsere gemeinsame Politik in unseren beiden Ländern, in Europa und darüber hinaus. Sie sind Grundlage und Leitbild dessen, was wir in den vergangenen 40 Jahren miteinander erreicht haben, wie auch dessen, was wir in der Zukunft auf unserem gemeinsamen Kontinent miteinander ins Werk setzen können und gewiss auch wollen.«4
Von wegen wollen. Realität ist, dass es im 21. Jahrhundert noch nicht einmal im demokratisch organisierten Europa möglich ist, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit in konkrete gesellschaftliche wie politische Wirklichkeit umzusetzen. Das krasse Gegenteil ist der Fall. Während Rechtsextremismus und Rechtspopulismus in Deutschland wie in Österreich zusammenwachsen, drohen rechtsradikale Parteien in Europa an die Macht zu kommen.
Institutioneller Rassismus, Menschenfeindlichkeit und soziale Spaltung verdrängen Gleichheit und Brüderlichkeit. Und Freiheit, dieses Wort, das von Bundespräsident Joachim Gauck als Maxime der Demokratie zitiert wird? Ja, die gibt es tatsächlich – leider aber auch für Mitglieder der rechtsradikalen Partei Die Rechte. Sie patrouillieren in einheitlichen T-Shirts durch den Stadtteil Dortmund-Dorstfeld, einer »National Befreiten Zone«, wie sie es nennen, hetzen gegen Migranten, ziehen vor Asylbewerberheime, spähen ihre politischen Gegner aus, bedrohen sie oder schlagen sie zusammen. Sie haben ein Klima der Angst geschaffen. Und Dortmund ist nur ein Beispiel von vielen dafür, dass die Trias Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit ein Traum geblieben ist.
Und da wäre man bei einigen strukturell-politischen Ursachen, die mit der politischen Situation in Deutschland oder Österreich zu tun haben. Dazu gehört sicher die scheinheilige Doppelmoral einiger Repräsentanten (oder Ex-Repräsentanten) des Staates, eine Doppelmoral, an die sich die Bürger längst gewöhnt haben. Bei geheimen Machtstrukturen, die eine lange, unselige Tradition haben, sieht das schon ganz anders aus. Davon wissen die Bürger kaum etwas. Dafür wiederum umso mehr davon, dass sie mit politischen Lügen oder Halbwahrheiten abgespeist werden. Sie erleben es selbst, oder sie lesen in den seriösen Medien (sofern sie die überhaupt lesen) von staatlicher Willkür, sozialer Deklassierung, Demütigung, hemmungsloser Raffgier und Korruption sowie Amts- und Machtmissbrauch. Diese Erfahrungen führen bei ihnen dazu, dass der soziale und demokratische Rechtsstaat nur noch als prächtige Fassade wahrgenommen wird.
Ob diese subjektiven Wahrnehmungen den Tatsachen entsprechen, steht auf einem anderen Blatt, doch sie prägen ein grundsätzliches Einstellungsmuster gegenüber dem demokratischen Staat – Ablehnung, was rechtsradikale oder rechtspopulistische Heilsbringer und deren Handlanger schamlos auszubeuten wissen. Das war schon immer so, und warum sollte sich im 21. Jahrhundert daran etwas ändern?
Schließlich gibt es noch ein Element, das dafür verantwortlich ist, dass das gesamte demokratische Gebäude einzustürzen droht. Es geht um verborgene Machtstrukturen, welche die Verfassung und eine lebendige Demokratie außer Kraft setzen wollen, die durch ihr Handeln aktiv die demokratische Zivilgesellschaft bekämpfen, quasi einen Staat im Staat bilden konnten.
Ein Rückblick in die jüngere deutsche Geschichte zeigt, dass sich seit der Befreiung vom Nationalsozialismus und der Gründung der Bundesrepublik im Jahr 1949 bis in die späten Achtzigerjahre tatsächlich geheime Machtstrukturen bilden konnten. Sie waren maßgeblich durch ehemalige Nazi-Verbrecher, Geheimdienste, rechtsradikale Terroristen und nationalkonservative Politiker geprägt. Diese Machtstrukturen sind durch ihren politischen Fingerabdruck nachzuweisen. Ihre wichtigsten Erkennungsmerkmale sind institutioneller Rassismus, Elitismus, völkischer Nationalismus, Autoritarismus und Menschenfeindlichkeit. Und heute? Niemand wird bezweifeln wollen, dass es eine gefährliche Schnittmenge zwischen nationalkonservativen Bewegungen und Parteien und neofaschistischen Organisationen gibt, deren Protagonisten sich immer erfolgreicher in den politischen und gesellschaftlichen Vordergrund schieben. Fest steht ebenso, dass nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa ein ausgeprägtes völkisches, antidemokratisches und rassistisches Milieu an Bedeutung gewinnt, in dem der politische Fingerabdruck (institutioneller Rassismus, Elitismus, Autoritarismus, völkischer Nationalismus und Menschenfeindlichkeit) wiederzufinden ist. Da stellt sich zwangsläufig die ketzerische Frage, ob demokratisch nicht legitimierte Machtstrukturen auch heute noch dieses Milieu düngen, um politisch und wirtschaftlich nicht genehme Entwicklungen, wie eine humane, soziale und demokratische Gesellschaft, zu verhindern.
Mit dieser Frage nähert man sich der auch in Deutschland sehr heftig geführten kontroversen Diskussion um den sogenannten Tiefen Staat. Für die unsäglichen Verschwörungstheoretiker ist er eine Wundertüte, um ihr simpel gestricktes Weltbild zu bestätigen. Was ist jedoch tatsächlich mit diesem Begriff verbunden? Gemeinhin wird unter dem Tiefen Staat verstanden, dass neben den funktionierenden staatlichen Institutionen eine demokratisch nicht kontrollierbare Struktur innerhalb der legitimen staatlichen Institutionen ein Eigenleben führt. Sie besteht in der Regel aus Nachrichtendiensten, Unternehmern, Polizei, Rechtsextremisten und Politikern, die außerhalb der Legalität agieren und sich jeglicher parlamentarischen Kontrolle entziehen können. Zentrales Ziel der Protagonisten des sogenannten Tiefen Staates war seit Anfang der Fünfzigerjahre zum einen, gegen einen Angriff der Sowjetunion gewappnet zu sein, und zum anderem die Bekämpfung systemkritischer Bewegungen oder Parteien und die Absicherung der Herrschaft der nationalen Eliten, sollten sich diese existenziell bedroht fühlen.
Das in der Vergangenheit in einzelnen europäischen Ländern ganz sicher eine solche geheime Organisation agierte, unter anderem in der Türkei, in Griechenland, Italien, Belgien, Österreich, der Schweiz oder Luxemburg, steht inzwischen außer Frage. Aber ist sie auch heute noch in Deutschland aktiv? Professor Hajo Funke, der bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2010 an der Freien Universität Berlin Politikwissenschaft lehrte und ein angesehener Experte für Rechtsextremismus ist, sagt:
»Tiefer Staat meint für Deutschland: eine eigene Struktur, die nicht kontrolliert wird, die nicht rechtsstaatlich eingebunden ist, in der diese tiefe Struktur nach eigenen Opportunitätsgesichtspunkten handeln und walten kann. Ohne rechtsstaatliche Einhegung und ohne Kontrolle durch die gewaltengeteilte Demokratie.«5
Dieser Tiefe Staat, wie ihn Hajo Funke definiert, ist jedoch nur dann möglich, wenn es, wie in Deutschland, eine gefährliche demokratiefeindliche Unterströmung in der Gesellschaft gibt. Diese bezieht einerseits ihre gewaltige Kraft aus einer steigenden Zahl von Bürgern am nationalkonservativen und rechtsradikalen Rand, die das demokratische System verachten und mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpfen. Andererseits muss diese Unterströmung von bestimmten wirtschaftlichen, politischen und nachrichtendienstlichen Zirkeln angetrieben werden, damit diese geheime Struktur ihr Ziel erreichen kann.
DER STAAT UND SEINE SCHMUTZIGEN GEHEIMNISSE
Eher unbedacht löste die baden-württembergische Integrationsministerin Bilkay Öney eine Diskussion um den klassischen Tiefen Staat aus. Die Online-Ausgabe der Zeitung Hürriyet zitierte sie am 4. März 2012 im Zusammenhang mit dem rechtsextremen Terrornetzwerk Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) mit den folgenden Worten:
»Den Staat im Staate gibt es auch in Deutschland. Er funktioniert geheim und heimtückisch. Um die Nazis unter Kontrolle zu halten, gab Deutschland den Nazis Geld und machte aus ihnen Spione. Die gleichen Spione wurden von Nazis gegen hohe Gelder ausgenutzt. Also spielten sie ein Doppelspiel. Das Ergebnis ist, dass sie uns kontrollierten. Nicht wir sie. Nun versuchen wir, diese Blamage zu unterbinden.«
In einem früheren Zeitungsartikel zum Thema NPD hatte Öney schon einmal den Tiefen Staat erwähnt:
»Den Tiefen Staat gibt es überall, aber es gibt keinen Staat, der über den ›Tiefen Staat‹ spricht. Die seit 2000 verübte Mordserie muss aufgeklärt werden. Damit zukünftig keine weiteren Menschen ermordet werden, trägt der Staat eine große Verantwortung. Ich appelliere an den Staat, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Man muss sich mit dem Rassismus auseinandersetzen.«6
Die Entrüstung über die für eine Ministerin ungewöhnlichen Aussagen war kolossal, insbesondere natürlich in der CDU. Peter Hauk, der CDU-Fraktionsvorsitzende im baden-württembergischen Landtag, warf ihr vor, sie erschüttere absichtlich das Vertrauen von Einwanderern in den deutschen Staat.
Sein Kollege Bernhard Lasotta, der Integrationspolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion in Stuttgart, schlug in die gleiche Kerbe:
»Hinzu kommt, dass es für die Existenz eines ›Tiefen Staates‹ in Deutschland keine Anhaltspunkte gibt. Ihre Ausführungen erscheinen deshalb irrational. Außerdem unterstellen die Äußerungen offensichtlich fehlende Rechtsstaatlichkeit und mafiose Strukturen in Deutschland. Das schädigt das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland und des Landes Baden-Württemberg.«7
Nach der Sturmflut der Kritik entschuldigte sich Bilkay Öney für den Vergleich:
»Ich habe bereits mehrfach klargestellt, dass ich keinerlei Thesen zu einem Tiefen Staat in Deutschland vertrete. Es ging um Ermittlungsfehler im Rahmen der NSU-Mordserie. (…) Die Aussage Tiefer Staat wurde falsch verstanden. Indem die CDU mit den Wörtern spielt, versucht sie, meine Staatstreue zu prüfen.«
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