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Hochzeit, Hass und grüne Hügel.
Die junge Fiona O’Connor hat alle Hände voll zu tun: Ihr kleines Bed & Breakfast ist ausgebucht, denn im idyllischen Ballinwroe wird geheiratet, und die Gäste des Paars haben sich bei Fiona einquartiert. Doch am Abend vor dem Fest wird die Großtante der Braut tot aufgefunden, erstochen mit einer Gartenschere. Während Inspector Aidan Connolly nach dem Mörder sucht und dabei selbst etwas zu verbergen hat, mischt Fiona sich sehr zu seinem Ärger in die Ermittlungen ein – und wirbelt alte Geheimnisse auf ...
Ein Krimi voller liebenswerter Figuren vor der malerischen Kulisse der irischen Westküste.
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Seitenzahl: 218
Die Familien O’Keefe und Murphy sind seit Jahrzehnten verfeindet, bis sich die Kinder ineinander verlieben und heiraten wollen. Die Hochzeitsgäste quartieren sich in Fionas Bed & Breakfast ein. Aber dann wird die Großtante der Braut tot aufgefunden, und schnell ist klar: Es war kein Unfall. Hat die alte Familienfehde doch noch ein Opfer gefordert? Schon bald kursieren im Pub wilde Gerüchte über Verdächtige. Inspector Aidan Connolly reist aus Dublin an, um den Mord aufzuklären. Doch auch er hat ein Geheimnis, das er niemandem anvertrauen kann – schon gar nicht Fiona, die sich in seine Ermittlungen einmischt und ihm dabei gefährlich nahe kommt.
Molly Flanaghan, geboren 1978, reiste vor Jahren während der Semesterferien mit dem Rucksack durch Irland und verliebte sich Hals über Kopf in das Land. Während einer zweiten Reise lernte sie ihren späteren Ehemann kennen, mit dem sie inzwischen in Deutschland lebt. Irland ist ihr zur zweiten Heimat geworden.
Im Aufbau Verlag ist bisher ihr Kriminalroman „Der Tag beginnt mit Mord“ erschienen.
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Molly Flanaghan
Der Tod bleibt über Nacht
Ein Krimi in Irland
Cover
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Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Impressum
Happy is the bride that rain falls on.
May your mornings bring joy and your evenings bring peace.
May your troubles grow few as your blessings increase.
May the saddest day of your future
Be no worse than the happiest day of your past.
May your hands be forever clasped in friendship
And your hearts joined forever in love.
Irischer Hochzeitssegen
Die ersten Blüten der hohen Ligusterhecken hatten sich an diesem Tag geöffnet und ihren Duft durch den Garten über die Wiesen und Felder geschickt. Die letzten Wochen waren ungewöhnlich mild gewesen und hatten der irischen Westküste viel Sonne und Wärme gebracht. Unzählige Hummeln und Bienen waren dem Duft gefolgt und hatten sich, berauscht vom ersten Nektar, erst mit der untergehenden Sonne wieder in ihre Bauten zurückbegeben.
Moira schritt den schmalen Gartenweg entlang und blieb ab und an stehen, um die milde Nachtluft zu genießen. Sie konnte nicht schlafen – nicht ungewöhnlich für eine Frau in ihrem Alter, immerhin würde sie im nächsten Monat ihren vierundachtzigsten Geburtstag feiern. Aber diesmal waren es nicht nur die schmerzenden Knochen oder das rastlose Karussell ihrer Erinnerungen und Gedanken. Nicht einmal das weiche Bett in dem herrlichen Cottage, in dem sie untergebracht war, konnte ihr helfen. Denn diesmal hielt sie eine Last, die sie seit Jahren auf ihrer Seele trug, vom Schlaf ab. Eine Last, die sie schon fast vergessen geglaubt hatte. Bis vor einem halben Jahr ihre Großnichte Hannah freudestrahlend zu ihr gekommen war. Sie hatte sich verlobt. Mit dem jungen Murphy. In Moiras Augen eine Liebe, wie sie nur in Irland durch das Schicksal selbst hatte zustande kommen können. Ihre Heimat hatte schon immer eine Verbindung mit den Göttern gehabt.
Sie hatte Hannah ihren Segen gegeben – und auch die beiden Väter des Brautpaares mithilfe sanfter Überredung dazu gebracht, zuzustimmen. Moira lachte leise auf. Sanfte Überredung! Pure Erpressung war es gewesen, aber manchmal rechtfertigte der Zweck doch die Mittel. Zumindest hoffte sie das sehr. Und wer wie sie so viele Jahre des Lebens damit verbracht hatte, Augen und Ohren offen zu halten, wusste meist genug, um die Dinge ein wenig zu lenken.
»Und meistens hast du doch die richtige Richtung gewählt, Moira.«
Leise mit sich selbst zu sprechen, war eine Angewohnheit, die sie schon seit vielen Jahren begleitete, die aber in den letzten Monaten immer stärker geworden war.
Wieder blieb sie stehen und atmete tief ein und wieder aus. Leichter fühlte sie sich dadurch aber nicht.
»Wem willst du etwas vormachen? Richtige Richtung … Du hast das eine oder andere Mal zu sehr selbst Schicksal gespielt. Und damals …«
Sie brach ab, als sie hinter sich ein Geräusch hörte, und lauschte in die Nacht. Ein Tier. Ein Igel wahrscheinlich, auf der Suche nach einer Schnecke oder einem dicken Regenwurm.
Damals hatte sie auch die Dinge in die Hand genommen. Und es war richtig gewesen, oder? Sie hatte eine Menge Leid verhindert.
»Aber wenn du ihnen jetzt in die Augen blickst, dann überwältigt dich die Schuld.«
Sie hatte den letzten Satz mehr gemurmelt als laut ausgesprochen. Sogar hier, in der Unbeobachtetheit des Gartens, zwischen den hohen und duftenden Hecken, fiel es ihr schwer, sich die eigene Schuld einzugestehen. Und Schuld trug sie, es war in so vieler Hinsicht falsch gewesen, und sie hätte das damals schon sehen müssen. Oder vielleicht hatte sie es gesehen, aber sich entschieden, lieber das eine Leid zu verhindern – ohne Rücksicht darauf, was sie damit an neuem Leid erzeugen würde.
Der süße Duft der Hecken umgab sie und hüllte sie ein. Sie würde reden müssen, sie würde offenlegen müssen, was vor so vielen Jahren geschehen war. Aber langsam, vorsichtig, Schritt für Schritt.
Moira blieb stehen und lauschte in die Nacht. Sie spürte ein Prickeln zwischen ihren Schulterblättern. Da war etwas. Oder jemand.
»Hallo?«
Sie zuckte zusammen, als sie eine Bewegung im Halbdunkel der Hecke sah, dann lachte sie leise auf.
»Ach du bist es. Hast du mich erschreckt!«
Beruhigt streckte sie ihre Hand aus und griff lachend nach der Person im Schatten.
Wenig später tapste ein Igel durch den Garten, die Schnauze mit der feinen Nase dicht am Boden, und suchte im Schatten der Ligusterhecke nach Nahrung. Ein Wurm, eine Schnecke mussten doch aufzutreiben sein, immerhin hatte es am Tag geregnet und die Erde war warm und feucht. Doch bisher hatte er kein Glück gehabt, und seit einigen Minuten überdeckte ein widerlich süßer und schwerer Geruch jede seiner Spuren. Neugierig folgte er dem seltsamen Geruch. Ein Mensch lag auf dem Boden, ohne Bewegung, ohne Herzschlag.
Die Pfote des Igels berührte den Boden, und er hielt inne. Blut. Das Klebrige, das da kurz vor seiner Nase warm und schwer in die Erde sickerte, war Blut. Menschenblut.
Ohne weiter nach einem Wurm oder einer Schnecke zu suchen, drehte er sich um und rannte, so schnell seine kurzen Beine ihn trugen, zurück zu der schützenden Feldsteinmauer, unter der er sein Nest hatte.
Denn da, wo Menschen ihr Blut einmal vergossen hatten, würde immer mehr und noch mehr Blut folgen – so viel hatte seine Art über die letzten Jahrhunderte auf diesem Boden gelernt.
Einen Tag zuvor saß Fiona O’Connor im Frühstücksraum von Greenhill Cottage, ihrem kleinen Bed & Breakfast, sah durch die großen Panoramafenster nach draußen und ließ den Blick über die grün leuchtenden Wiesen zwischen kleinen Steinmauern und ihr Heimatdorf Ballinwroe gleiten.
Nur wenige Kilometer von den beeindruckenden Cliffs of Moher – den Aillte an Mhothair, wie sie auf Gälisch hießen – entfernt, schmiegte sich ihr Ballinwroe in eine vom Fluss über Jahrhunderte geformte Senke.
Der helle Frühstücksraum wurde von der fröhlichen Stimme ihrer Großcousine Hannah erfüllt, die aufgeregt über ihren Verlobten Collin erzählte. Morgen war der große Tag. Hannahs Hochzeit stand bevor – die erste Hochzeit, die Fiona in ihrem neu eröffneten Cottage ausrichten würde.
Es war Mitte Mai, was an der Westküste Irlands, nur wenige Meter von den tosenden Wellen des Atlantiks entfernt, alles bedeuten konnte, von peitschendem Regen und Temperaturen im einstelligen Bereich bis hin zu strahlendem Sonnenschein und lauen Abenden. An diesem Morgen trieb der Wind Wolken wie Spielbälle vor sich her, deren Umrisse von der immer wieder hervorblitzenden Sonne als Schatten auf die Wiesen und Felder geworfen wurden. Die See hatte ihre Launen, aber die Bewohner der Küste hatten über die Jahrhunderte gelernt, damit umzugehen.
Fiona liebte ihren Frühstücksraum im Obergeschoss des modernen und zunächst von allen Dorfbewohnern eher skeptisch beäugten Anbaus an ihrem Elternhaus. Aus Stein und Glas errichtet, schmiegte er sich doch erstaunlich gut an die alten Mauern des Cottage und bot Fionas Gästen bei ihren Mahlzeiten eben jenen atemberaubend schönen Ausblick über das Dorf, den Fluss und die Wiesen, wie sie ihn selbst gerade bewunderte.
Sie hoffte nur, dass die Wolken am nächsten Tag keinen Regen brachten. Wobei laut einem alten irischen Hochzeitssegen diejenige Braut glücklich sei, die vom Regen geküsst wurde. Fiona war sich nur nicht sicher, ob es auch sie glücklich machen würde. Denn vor ihrem Cottage hatten Handwerker in den letzten Tagen einen Holzboden verlegt und darüber ein großes Zelt aufgebaut. Ein wenig Regen von oben würde der Feier nicht schaden, aber in ihrem windigen Heimatdorf fielen die Tropfen nicht immer von oben, wahrlich nicht.
Außerdem würden das Brautpaar und die Gäste nach der Trauung in der kleinen Kirche des Dorfes zu Fuß den Hügel zum Greenhill Cottage erklimmen müssen. Immerhin hatte Fiona schon einen Haufen Regenschirme im Vorraum der Kirche gelagert. Es war immer besser, auf alles vorbereitet zu sein. Aber auch Regenschirme machten an der Küste nicht immer Sinn. Wenn sie vielleicht …
Die helle Stimme ihrer Cousine holte sie wieder in die Gegenwart zurück, und Fiona griff nach der Sticknadel, die sie in Gedanken hatte sinken lassen.
»… und dann musste ich einfach jemandem von Collins Antrag erzählen. Ich bin zu Aintín Moira gegangen, und sie hat zuerst ganz große Augen gemacht und dann gelacht und gesagt, ich sollte mir keinen Kopf machen, sie würde schon mit Dad sprechen und dass es nicht an ihm sei, sich gegen das Schicksal zu stellen. Das hat sie dann tatsächlich gemacht, und was immer sie ihm auch gesagt hat, es hat ihn zur Vernunft gebracht. Und jetzt stehe ich hier mit euch und besticke den Saum meines Hochzeitskleides!«
Fiona schaute belustigt in das vor Freude und Aufregung leuchtende Gesicht ihrer Großcousine Hannah O’Keefe. Fionas Familie und die der O’Keefes waren über so viele unterschiedliche Zweige miteinander verwandt, dass niemand sich noch die Mühe machte, die Verwandtschaftsverhältnisse genauer herauszufinden. Alle Familienmitglieder unter fünfzig bezeichneten einander schlicht als Cousine oder Cousin, alle Mitglieder über fünfzig wurden mit Tante oder Onkel angesprochen. Wahrscheinlich gab es viele irische Familien, die es ähnlich hielten.
Aintín Moira, also Tante Moira, saß mit Fiona und Hannah an den in der Mitte des Raumes zusammengeschobenen Tischen und lächelte leise. Mit ihren dreiundachtzig Jahren war sie das älteste noch lebende Familienmitglied, geliebt von den Jüngeren aufgrund ihres Humors und ihrer oft unkonventionellen Einstellungen, respektiert und ein wenig gefürchtet von den Älteren aufgrund ihrer Erfahrung und ihrer Ehrlichkeit. Die langen weißen Haare zu einem dicken Dutt geschlungen und gekleidet in ein schlichtes grünes Wollkleid, waren es vor allem ihre wachen hellblauen Augen, die auch jeden Fremden sofort erkennen ließen, dass er einer schlauen und trotz der vielen Falten und des gebeugten Rückens sehr aufgeweckten Frau gegenübersaß.
Moira lauschte der fröhlichen Stimme ihrer jüngsten Großnichte, während ihre von Altersflecken überzogenen Hände geschickt die feine Nadel durch den weichen Stoff stachen und ein feines Muster aus Blüten aufstickten.
»Wobei zurzeit eher meine und Fionas Hände mit dem Sticken beschäftigt sind, mein liebes Mädchen.«
Moiras Stimme war erstaunlich tief und voll, und Fiona sah, wie Hannah rot wurde und schnell wieder zu ihrer Nadel griff.
Es war eine alte Tradition, dass die Braut am Tag vor der Hochzeit mit Freundinnen oder Verwandten den Saum ihres Kleides bestickte – und Hannah hatte Fiona und Tante Moira gebeten, ihr dabei zu helfen.
Wahrscheinlich hatten schon vor langer Zeit genervte Brauteltern nach einem Weg gesucht, die nervöse und aufgeregte Braut für einige Stunden zu beschäftigen und aus dem Weg zu räumen, und hatten sich die Tradition einfach ausgedacht. Fiona schüttelte den Kopf. Sie sollte nicht so zynisch sein. Es war schön, das Kleid so zu verzieren, und sie genoss die Zeit mit den beiden Frauen. Hannah hatte sich ein Muster aus den Blumen gewünscht, die im Sommer die Cliffs von Moher bedeckten: Cat’s Ears und Sea Pinks – Ferkelkraut und Grasnelken. Und so stickten sie gemeinsam mit dem dünnen Garn aus Seide kleine Blüten auf das Kleid.
Die lange Liste der Dinge, die Fiona noch bis zum Mittag des nächsten Tages erledigen musste, wenn das Brautpaar nach der Kirche ins Greenhill Cottage kommen würde, um zu feiern, schob sie einfach zur Seite. Sie würde das schon schaffen, hatte in ihrer Zeit als Managerin eines der größten und elegantesten Hotels in Dublin schon ganz andere Feiern ausgerichtet. Aber dies war nun mal die erste Feier in ihrem eigenen Cottage, in ihrem kleinen Bed & Breakfast, und die erste Feier in ihrem Heimatdorf Ballinwroe, in das sie nach vielen Jahren aus Dublin zurückgekehrt war.
Und es war nicht irgendeine Hochzeit, sondern die ihrer Cousine Hannah mit dem reichen und begehrten Collin Murphy, dem einzigen Sohn und Erben der Familie Murphy. Die Murphys besaßen einen riesigen Hof im Süden des Landes, kamen aber ursprünglich auch von hier. Schon immer reich an Land und Erfolg, hatte schließlich Fergus Murphy, Collins Vater, in den letzten Jahrzehnten diesen Wohlstand durch geschickte und den Gerüchten nach oft auch skrupellose Geschäfte vervielfacht. Der Kauf eines der größten und berühmtesten Gestüte im Land hatte ihn endgültig bekannt gemacht. Bilder von ihm und seinen beiden Kindern bei den Galway Races, den größten Pferderennen des Landes, bei denen man regelmäßig Sieger aus seinem Reitstall bewundern konnte, gingen durch die Presse. Gerade Collin mit seinem guten Aussehen und seinem unbekümmerten Charme hatte es den Zeitungen angetan.
Die O’Keefes hingegen hatten vor Jahren ihren kleinen Hof außerhalb Ballinwroes aufgegeben und waren nach Dublin gezogen, wo sie sich in einem der vielen Vororte ein neues, wenn auch bescheidenes Leben aufgebaut hatten.
Und so hatte die Presse aus der Liebesgeschichte zwischen Collin und Hannah die Geschichte vom Prinzen und der armen Cinderella gemacht.
Es machte die Sache wahrlich nicht einfacher, dass es Collins Vater Fergus Murphy gewesen war, der damals den Hof der O’Keefes aufgekauft hatte. Die Stimmung zwischen den beiden Vätern war nicht sonderlich entspannt. Hannah war mit ihren Eltern und den drei Brüdern im Greenhill Cottage untergekommen. Auch Tante Moira hatte eines der Gästezimmer bezogen. Collin war mit seinem Vater und seiner Schwester Kelly im Hotel im Ort untergekommen, dem Ballinwroe Inn, wo auch alle anderen Gäste die Nacht verbringen würden. Collins Mutter war früh verstorben, und die resolute Kelly hatte als große Schwester ihre Aufgaben übernommen.
Der Empfang und die Feier würden aber auf Greenhill stattfinden, das Essen von der Hotelküche zu Fiona gebracht, die in ihrer eigenen Küche unter dem Frühstücksraum alles anrichten würde.
Glanzstück der Feier war die mehrstöckige Hochzeitstorte, die die Konditorin Leah McGowan, die in Dublin und Paris gelernt hatte, gezaubert hatte.
Fiona seufzte und ließ die Sticknadel erneut sinken.
Leah, Tochter von Nathan Flynn und Ehefrau von Dylan McGowan und neuerdings auch die Managerin des Ballinwroe Inn. Es gab wohl keinen Menschen, der sich mehr wünschte, dass Fiona ihre Siebensachen packte und zurück nach Dublin verschwand. Sie verband eine lange Geschichte: Dylan McGowan, ihr Jugendschwarm, hatte sie damals geschwängert und auf ihre Weigerung, ihn daraufhin zu heiraten, mit dem gleichen Unverständnis reagiert wie auch Fionas Eltern und der Rest des Dorfes. Sie war mit sechzehn, schwanger und ohne einen Penny in der Tasche, nach Dublin geflohen. Und eben jener Dylan, der im Dorf geblieben, die Sägemühle und Tischlerei seines Vaters übernommen und schließlich Leah geheiratet hatte – konnte Fiona nicht in die Augen sehen, ohne dabei … Fiona schüttelte sich. Sie würde das Ganze gerne in die hinterste Ecke ihres Kopfes verbannen. Was schwer war, da Leah gerade in diesem Moment in der Küche von Greenhills stand und an der Torte arbeitete, zähneknirschend und widerwillig. Doch ein Transport der Hochzeitstorte über die gewundenen und mit jahrhundertealtem Kopfsteinpflaster bedeckten Straßen des Dorfes den Hügel herauf wäre zu riskant gewesen.
»Mädchen, wenn du weiterhin so ein finsteres Gesicht machst, werden sich die Sorgenfalten so tief eingraben, dass sie nie wieder verschwinden.«
Fiona blickte auf und sah in Moiras hellblaue Augen.
»Und es wäre doch wirklich schöner, wenn du später in ein Gesicht voller Lachfalten blicken kannst, oder?«
»So wie du, Moira?«
Moiras Hände hatten die Stickarbeit wieder aufgenommen, gleichmäßig und ruhig.
»Ja, so wie ich. Auch wenn ich in meinem Leben wirklich mehr als genug Sorgen hatte, so denke ich doch, dass mehr Stunden von Glück erfüllt waren als von Gram.«
»Sehe ich so aus, als würde ich mich grämen?«
Moira strich ihr kurz über die Wange.
»Ja, ein wenig. Aber wenn du lachst, dann lacht die Welt mit dir.«
Hannah schaltete sich ein.
»Aber warum sollte sich heute überhaupt jemand grämen? Ich werde heiraten, die Sonne wird scheinen, Fiona hat ein fabelhaftes Cottage aufgebaut, und die Gäste und Freunde von Collin werden dich in Zukunft mit Aufträgen überschütten. Moira wird sich auf der Feier vor lauter jungen Männern, die mit ihr tanzen wollen, nicht retten können und …«
Moira lachte.
»Wenn du damit deine großen Brüder meinst, so schütze mich Gott vor ihren noch größeren und ungeschickten Füßen. Ich weiß noch, wie sie damals zu Besuch waren und nach wenigen Minuten versucht haben, aus dem Fenster auf das Dach des Hühnerstalls zu klettern. Sloan ist als Erster vorgeschickt worden und natürlich durch das Dach gebrochen, mitten zwischen die Hühner. Und fast auf meinen alten Hahn gefallen, der sich dem Eindringling sofort in den Weg gestellt hat. Zum Glück ist keinem der Hühner etwas passiert.«
»Tante Moira! Sloan hat sich bei der Aktion den Arm gebrochen.«
»Und, hat es ihn auch nur ein bisschen vernünftiger werden lassen? Du, mein Fräulein, warst übrigens auch nicht besser. Ich bin mir ziemlich sicher, dass du damals sehr wohl wusstest, was mit dem Erdbeerwein aus meinem Keller passiert ist, oder?«
Fiona beobachtete amüsiert, wie Hannah, mittlerweile wahrlich kein kleines Fräulein mehr, rot wurde und sich schnell und eifrig wieder über ihr Kleid beugte.
Fiona zwinkerte Moira zu und stickte weiter. Ihre Tante hatte recht. Was hatte man vom Leben, wenn man seinen Sorgen erlaubte, die Oberhand zu gewinnen? Sie würde erst einmal die Hochzeit über die Bühne bringen – und sich dann um Leah und alles andere kümmern.
»Hannah, erzähl mir doch noch mal von den Plänen für eure Hochzeitsreise. Ihr wollt nach Italien?«
Und während Hannah zu einer begeisterten Schilderung der geplanten Reise ansetzte, stickte Fiona an den feinen Blütenblättern einer Grasnelke und lauschte dem gerade einsetzenden Regen, wie er sanft gegen die Scheiben schlug.
Neben sich hörte sie Moira leise murmeln.
»Happy is the bride that rain falls on …«
Pater Michael Moran holte tief Luft, rückte den Kragen seiner Soutane zurecht und blickte ein letztes Mal in den Spiegel über dem kleinen Waschbecken in der Sakristei.
Gleich würde er sich den kritischen Augen und Fragen der Familien Murphy und O’Keefe stellen – und er konnte sich wahrlich schönere Dinge ausmalen, die er an einem Samstag im Mai tun könnte. Aber die Schwester des Bräutigams, Kelly Murphy, hatte auf eine Art Generalprobe bestanden, und nach allem, was Michael über die beteiligten Familien und ihre Vorgeschichte wusste, wäre etwas göttlicher Segen wahrscheinlich gar nicht verkehrt.
Den Spiegel hatte sein Vorgänger anbringen lassen, der dem Dorfklatsch zufolge oft am Sonntag erst so spät aus dem Bett gekommen war, dass er sich in der allerletzten Sekunde in der Sakristei rasiert hatte. Nachdem Michael kurz nach seinem Einzug in das alte Pfarrhaus an den unmöglichsten Stellen auf versteckte Flaschen mit Poitín, irischem, selbst gebrautem Schnaps, gestoßen war, neigte er dazu, dem Klatsch in dieser Hinsicht zu glauben. Ebenjener Vorgänger hatte dann auch an einem eisigen Januarmorgen auf dem Rückweg vom Pub beschlossen, ein kleines Nickerchen auf den Stufen des Pfarrhauses zu machen, und war dort Stunden später von seiner Zugehfrau entdeckt worden. Er war erfroren, den Gerüchten nach mit einem Lächeln auf den eisblauen Lippen und einer Flasche Messwein in den Händen, aber an Phantasie hatte es den Iren ja noch nie gemangelt.
Fast zwanzig Jahre war das Dorf, wie so viele andere, auch größere Gemeinden, dann ohne eigenen Priester ausgekommen, bis Michael vor zwei Jahren seinen Bischof um eine Versetzung an die Westküste, weit weg von Dublin, gebeten hatte. Seiner Bitte war stattgegeben worden. So viel war die Kirche ihm schuldig gewesen. Sehr zur Verwunderung der Dorfbewohner war Ballinwroe so zu einem jungen Priester gekommen, der sich um alle Aufgaben kümmerte und in seiner Freizeit Pfarrhaus, Garten und Kirche mit seinen nach und nach immer rauer werdenden Händen renovierte.
Die Verwunderung war schnell in Klatsch und auch böse Gerüchte umgeschlagen. Aber wenn einige Mitglieder seiner Gemeinde glauben wollten, er wäre strafversetzt worden, dann sollten sie das tun. Die Wahrheit war schlimmer – und das Dorf war für Michael keine Strafe, sondern eine Fluchtstätte und sein letzter Versuch, wieder zu seinem Glauben zu finden.
Bisher war es ihm nicht schlecht ergangen. Er konnte, wenn ihn seine Erinnerungen einholten, über die weiten, windgepeitschten Felder laufen, bis seine Lunge brannte.
Außerdem hatte er in der kleinen Kirche unter den dicken Schichten von Farbe alte Wandmalereien gefunden, die er zentimeterweise freilegte und die seine Hände beschäftigten und sein Herz seltsam ruhig hielten.
Und er hatte in Fiona O’Connor, die auf dem Hügel das Greenhill Cottage führte, eine Freundin gefunden, die ihm zuhörte und deren Nähe ihm guttat. Dass das Dorf über diese Freundschaft natürlich ebenfalls hinter vorgehaltener Hand tratschte, war ihm klar. Aber es gab wirklich Schlimmeres. Fiona hatte ihn nur ausgelacht, als er ihr davon erzählt und ihr angeboten hatte, seine morgendlichen Frühstücksbesuche in ihrer Küche einzustellen. Fiona O’Connor gab nichts auf den Klatsch der anderen Dorfbewohner. Und ihr Lachen tat ihm gut.
Michael blickte erneut in den Spiegel und versuchte, seinem Gesicht unter den blonden Locken einen festen und sicheren Ausdruck zu verleihen. Vergeblich. Warum war er nicht beim Friseur gewesen und hatte seine Locken bändigen lassen, die sich über Kragen und Ohren kringelten und ihm in die Augen fielen, wenn er sie nicht zurückstrich? Wer würde ihn denn so ernst nehmen? Und warum in aller Welt waren Hannah und Collin nicht einfach durchgebrannt und hatten still und heimlich geheiratet? Las Vegas, das wäre doch eine gute Möglichkeit gewesen. Und Gott war es wirklich egal, ob eine Ehe vor einem Elvis-Imitator oder einem Priester geschlossen wurde. Wahrscheinlich hatte der Elvis-Imitator sogar größere Chancen, die richtigen Worte zu finden.
Denn – und Michael würde das sicherlich nicht der Schwester des Bräutigams auf die Nase binden – die Hochzeit zwischen Collin und Hannah war für ihn eine Premiere.
Nervös strich er seine Locken erneut glatt.
»Verdammte Scheiße.«
In dem Moment, in dem der Fluch über seine Lippen kam, erinnerte sich Michael, dass er in der Sakristei stand, und zuckte kurz schuldbewusst zusammen.
Aber sie hätten doch auch im Süden des Landes heiraten können, wo die Murphys – soweit er dem Klatsch aus Edna McCarthys Dorfladen glauben konnte – ein riesiges Gut mitsamt eigener Kapelle hatten.
Aber Hannah O’Keefe hatte sich eine Hochzeit in ihrer Taufkirche gewünscht. Und da der junge Collin Murphy seiner Braut keinen Wunsch abschlagen konnte, waren nun seine gesamte Familie und der O’Keefe-Clan ins Dorf eingefallen und nahmen alles in Beschlag.
Immerhin war es für Fiona gut, ihr Cottage war ausgebucht.
Michael atmete noch einmal durch.
»Du schaffst das!«
Sein Spiegelbild schien nicht davon überzeugt. Verdammt.
Als er aus der Sakristei in den hellen Altarraum seiner Kirche trat, kam eine in einem eleganten dunkelblauen Hosenanzug gekleidete Frau von vielleicht vierzig Jahren mit energischen Schritten auf ihn zu. Sie war sorgfältig geschminkt, das Haar zu einem konservativen Knoten im Nacken zusammengebunden. Kelly Murphy schien immer in Eile zu sein, immer damit beschäftigt, den nächsten Schritt zu planen. Sie war schön, aber auf eine steife, unbewegliche Art und Weise. Michael hatte sie zuvor nur neben der aufgeregten und in ihrer unbeschwerten Fröhlichkeit entwaffnenden Braut gesehen – zwei Frauen, die sich äußerlich gar nicht so unähnlich waren, aber nebeneinander wirkten wie Tag und Nacht.
Auch jetzt waren Kelly Murphys Augenbrauen zusammengezogen, und ihre Stimme hallte scharf und mit deutlicher Verärgerung durch die Kirche.
»Ist es wahr, dass Sie keine Fotografen in der Kirche dulden? Einige Reporter werden extra anreisen, und …«
»Ah, Miss Murphy. Schön, Sie zu sehen.«
Michael lächelte ihr zu und drehte sich dann kurz zum Altar, bekreuzigte sich und beugte sein Knie. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Kelly es ihm genervt nachtat, aber schon Sekunden später wieder auf ihn einredete.
»Mein Bruder meinte, Sie hätten sich dagegen ausgesprochen? Aber …«
»Nein. Keine Reporter.«
Michael versuchte, sich nicht von der aggressiven Energie der Frau überrollen zu lassen. Er fragte sich, was sie wohl erlebt und erfahren hatte, um sich der Welt gegenüber so feindselig zu positionieren. Er sah sie genauer an. Nein, nicht feindselig. Eher … verteidigungsbereit.
Michael setzte sich auf die vordere Bank und wartete, bis sich Kelly Murphy widerwillig neben ihn gesetzt hatte. Bevor sie sprechen konnte, zeigte er auf die Wand neben dem Altarraum.
»Sehen Sie das Wandbild dort?«
Ihr Blick folgte seiner Hand irritiert.
»Normalerweise steht dort noch das Gerüst, ich restauriere die Malereien Stück für Stück. Es ist eine langwierige Arbeit, Schicht für Schicht die alte Farbe abzutragen. Es zeigt den heiligen Christophorus, der das Jesuskind über den Fluss trägt.«
»Ist es wertvoll?«
»Wertvoll?«
Michael sah Kelly Murphy erstaunt an. Das hatte ihn noch nie jemand gefragt.
»Ja. Hat es jemand Bekanntes gemalt, ist es besonders alt? Wird es Menschen in die Kirche locken? Werden die Zeitungen darüber berichten? Wird es Ihnen nutzen?«