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Der Tod ist eigentlich gar nicht so ein außergewöhnlicher Kerl - wenn man von seinem Beruf absieht. Darüber hinaus hat er die Alltagssorgen, die wir alle kennen: Er ist mit der Steuererklärung in Verzug, hat gerade den Führerschein wegen Tempoüberschreitung abgeben müssen und leidet unter anhaltenden Knieschmerzen. Doch seit Neuestem plagt ihn auch noch die Liebe, und das wirft selbst den Tod aus der Bahn. Die Suche nach Rat führt ihn durch seine Heimatstadt Kassel in einen Beichtstuhl, in die Praxis einer Psychologin und sogar ins Tierheim.
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Seitenzahl: 62
Satirische Kurzgeschichten von Nicole Braun Illustrationen von Oliver Gerke Um was es geht: Der Tod ist eigentlich gar nicht so ein außergewöhnlicher Kerl ‒ wenn man von seinem Beruf absieht. Darüber hinaus hat er die Alltagssorgen, die wir alle kennen: Er ist mit der Steuererklärung in Verzug, hat gerade den Führerschein wegen Tempoüberschreitung abgeben müssen und leidet unter anhaltenden Knieschmerzen. Doch seit Neuestem plagt ihn auch noch die Liebe, und das wirft selbst den Tod aus der Bahn. Die Suche nach Rat führt ihn durch seine Heimatstadt Kassel in einen Beichtstuhl, in die Praxis einer Psychologin und sogar ins Tierheim.
Es war ein wundervoll wolkenverhangener Freitag der 13., als der Tod ein Schreiben aus dem Briefkasten zog. »Letzte Aufforderung mit Androhung von Zwangsgeld«, las er. Den Weg zum Finanzamt hatte er seit Monaten vor sich hergeschoben – es gab halt ständig etwas anderes zu erledigen. Auf dem Weg zurück in seine Wohnung musste er kurz auf dem Treppenabsatz anhalten – die Knieschmerzen waren an diesem Morgen kaum auszuhalten. Den Zwischenstopp nutzte sein polnischer Nachbar Viktor Perski dazu, sich aus seiner Wohnungstür zu stehlen und dem Tod den Weg zu versperren. Der greise Perski schien den ganzen Tag hinter dem Türspion zu lauern und auf Gelegenheiten wie diese zu warten. »Nu, isses immer noch nich besseeer mit denne Schmerzen?« Den breiten polnischen Dialekt hatte Perski nie verloren, obwohl er schon ewig in Deutschland leben musste. Der Tod hatte ihn nie danach gefragt, weil Perski mit Sicherheit in einem endlosen Monolog geantwortet hätte. Überhaupt hatte der Tod seinen Nachbarn nie etwas gefragt und trotzdem war dessen Mitteilungsbedürfnis ungebremst. Dazu trug er ein Doppelripp-Unterhemd über dem kugelrunden Bauch, eine ausgeleierte Jogginghose und Adiletten und kratzte sich in regelmäßigem Wechsel zwischen den Beinen und am schlecht rasierten Doppelkinn. Vor ein paar Wochen hatte sich der Tod von Perski eine Salbe gegen die Knieschmerzen aufschwätzen lassen. Das Knirschen hatte zwar etwas nachgelassen, aber die Schmerzen waren geblieben. Perski reckte das Kinn nach vorn, sodass sich die schlaffe Haut am Hals spannte. Der Tod schuldete ihm immer noch eine Antwort auf die Frage, wie es um seine Knie stand. Er schüttelte lediglich den Schädel und drückte sich an Perski vorbei zu seiner Wohnungstür. »Schlechte Neiigkeiten in der Poost? Sie gucken so unglicklich.« »Steuer«, antwortete der Tod. »Aiaiaiai.« Perski wedelte mit der Handfläche vor dem Gesicht, als habe er sich den Mund verbrannt. »Die Steier. Mit denen is nich zu spaaaßen. Ich hab vor ein paar Jahren …« Endlich hatte der Tod die Tür aufschließen können. Er ließ Perski im Hausflur stehen. Der Tod warf einen Blick an die Garderobe und überlegte, ob es für den Behördengang angebracht sei, das tiefschwarze Cape für besondere Gelegenheiten oder das fadenscheinige, ausgeblichene anzuziehen, und ob er die Sense noch mal aufpolieren solle, doch das ließ er bleiben. Womöglich würde man sie für eine neue halten und ihm einen Strick draus drehen. »Einen Strick draus drehen« – er mochte Redewendungen wie diese, und trotz des unliebsamen Termins musste der Tod schmunzeln. Er quetschte sich in die überfüllte Straßenbahn. Seit er vor ein paar Monaten den Führerschein wegen Tempoüberschreitung abgegeben hatte, hatte er Kassel von einer ganz anderen Seite kennengelernt. So viel engen menschlichen Kontakt war er gar nicht mehr gewohnt gewesen. Ihn erschreckten die grauen Gesichter und stumpfen Blicke der Menschen, wenn sie sich nicht gerade hinter einem Smartphone versteckten. Oft dachte er, dass er ziemlich überflüssig geworden war. An diesem Morgen war das Gefühl besonders nachdrücklich; niemand in der Straßenbahn nahm Notiz von ihm, so als ob es ihn gar nicht gäbe. Tiefe Wolkenknäuel lagen über der Stadt, und das würde sich im Laufe des Tages auch nicht ändern. Im Talkessel von Kassel hingen die Wolken fest, wenn sie sich erst mal darin verfangen hatten. Eigentlich ein wundervoller Tag, dachte der Tod. Viel zu schade, ihn derart sinnlos zu verschwenden, und außerdem war seit Silvester so viel Arbeit liegen geblieben. Er stieg am Altmarkt aus der Straßenbahn. Er scherte sich nicht um die Fußgängerampel und überquerte die Straße, ohne auf Grün zu warten. Vor einem Auto, das mit quietschenden Reifen um die Ecke bog, konnte er gerade noch auf den Bürgersteig springen. Aus dem Augenhöhlenwinkel nahm der Tod einen Aufkleber wahr, der auf dem Kofferraum klebte. »Es gibt zwei Arten von Fußgängern: die schnellen und die toten«, stand darauf. Er sah dem Auto kopfschüttelnd nach. »Ts, ts, ts …«, machte er. Er betrat das Finanzamt und schaute sich um. Grau, Glas, Beton. Sterbenslangweilig. Hinter einem Glasverschlag saß eine Dame. Er ging auf sie zu und schob das Schreiben mit der Aufforderung durch einen Schlitz. Sie las es, schaute auf und fragte: »Tod? Und wie weiter?« »Nur Tod«, antwortete der Tod. »Nur Tod? Gut, dann Buchstabe T. Zweiter Stock, Zimmer 207.« Der Tod nahm sein Schreiben entgegen und ging Richtung Aufzug. Er überlegte, ob er dem Rat seines Arztes folgen und die Treppen nehmen sollte, aber die Knie knirschten bei jeder Bewegung. Er stieg in den Aufzug und drückte auf die zweite Etage. Eine junge Dame mit rosigen Wangen quetschte sich in letzter Sekunde zu ihm in die Kabine. Sie lächelte nett und offenherzig. Nichts für mich, dachte der Tod, viel zu jung. In Zimmer 207 saß ein Mann hinter einem leer gefegten, beigefarbenen Schreibtisch vor einer beigefarbenen Schrankwand. Die Farbe der Einrichtung schien auf den Mann abgefärbt zu haben; Knitterfalten im Gesicht und eine ungesunde Sitzhaltung kamen bedauerlicherweise dazu. Nach grober Schätzung des Todes würde der Mann noch eine Weile in dieser menschenunwürdigen Umgebung ausharren müssen. Er tat dem Tod leid, aber jeder suchte sich seine Arbeit ja nun mal selbst aus. Der beigefarbene Beamte schaute auf. »Ja, bitte?« Der Tod nahm Platz, lehnte die Sense an den Schreibtisch und schob das Schreiben auf die andere Seite. Der Beamte überflog die Zeilen, dann tippte er auf der Computertastatur herum. »Soso. Sie haben also noch nie eine Einkommensteuererklärung abgegeben?«
»Ich wüsste nicht, wieso«, erwiderte der Tod. »Es sieht ja nun so aus, dass Sie einer gewerbsmäßigen Tätigkeit nachgehen. Da müssen Sie selbstverständlich eine Einkommensteuererklärung abgeben.« Meine Tätigkeit ist nicht gewerbsmäßig.« »Sondern?« Der Tod kratzte sich am Schädel. »Na ja, vielleicht eher künstlerischer Natur.« »Dann müssen Sie auch eine Einkommensteuererklärung abgeben. Sind Sie in der Künstlersozialkasse?« »Nicht, dass ich wüsste.« »Dann sind Sie auch kein Künstler.« »Dann vielleicht was Handwerkliches?«, warf der Tod ein. »Auch einkommensteuerpflichtig«, kam gelangweilt von jenseits des Schreibtisches. »Sehen Sie, ich habe keine Ahnung, wie man so etwas macht: Einkommensteuererklärung.« »Dann nehmen Sie sich einen Steuerberater, der wird Ihnen helfen.« Der Beamte legte eine Reihe Formulare auf den Tisch. »Die müssen Sie ausfüllen. Vor allem die Anlage GuV. Das ist ganz einfach: Dort setzen Sie Ihre Einnahmen ein und dort Ihre Ausgaben.« »Ausgaben?« »Sie werden doch sicher Arbeitsmaterial brauchen.« »Ich brauche nur hin und wieder einen Schleifstein und alle paar Jahre eine neue Kutte. Und die Sense hab ich schon ewig.« »Dann ist die Sense schon abgeschrieben. Tragen Sie die Kutte auch privat?« »Wie bitte?« »Ja, wenn Sie die nach der Arbeit nicht ausziehen, ist es auch keine Arbeitskleidung.« »Dann habe ich also keine Arbeitsmaterialien, die ich angeben kann.« »Sie müssen doch irgendetwas zur Ausübung Ihrer Tätigkeit verbrauchen. Papier, Briefmarken. Haben Sie ein Fahrzeug?« »Nicht mehr.« »Wie, nicht mehr?« »Führerschein weg«, antwortete der Tod kleinlaut. »Zu schnell gefahren. Den Wagen hab ich verkauft.« »Also auch kein Fahrzeug. Wie gehen Sie denn bei Ihrer Tätigkeit vor?« »Ich mache häufig Hausbesuche.« »Ach, dann sind Sie ein Vertreter?«