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1964: Kaum aus den USA in sein nordhessisches Heimatdorf Wickenrode zurückgekehrt, stolpert der jüdische Arzt Edgar Brix über eine Leiche. Erinnerungen an einen ungeklärten Mord aus dem Jahr 1938 werden wach. Gemeinsam mit dem pensionierten Bergmann Albrecht Schneider gerät er in eine Geschichte hinein, die sie nicht nur in Konflikt mit den ermittelnden Behörden bringen wird. Der Ernst der Lage wird ihnen erst klar, als ein weiterer Mord geschieht. Und dann verschwindet auch noch Albrecht Schneider spurlos.
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Seitenzahl: 385
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Nicole Braun
Heimläuten
Kriminalroman
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch
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Alle Rechte vorbehalten
1. Auflage 2016
Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt
Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © E. Schittenhelm – Fotolia.com
ISBN 978-3-8392-4976-5
Für Charlie Braun
1941 – 2010
Es liegt ein Dörflein im Kaufunger Wald,
an Schätzen reich, an Geschichte alt.
Es liegt dort zwischen Wäldern versteckt,
wo des Hirschbergs kühner Gipfel sich reckt,
wo die Äcker so schmal, doch die Wiesen so grün,
wo die herrlichsten goldenen Trollblumen steh’n.
Ich grüße dich, Dörflein im Wedemannstal,
sei gegrüßt mir viel tausendmal.
Dort oben am Hirschberg sitz’ ich so gerne
und schaue zum Dörflein und weit in die Ferne.
Es rauschen die Bächlein dort unten im Tal,
aus des Berges Tiefe dringt dumpfer Hall.
Dort steigt aus dem Stollen der Bergmann herauf,
dem Dörflein gilt sein erstes »Glück Auf«.
Ich grüße dich, Dörflein im Wedemannstal,
sei gegrüßt mir viel tausendmal.
Und drüben im Taufstein lauscht oft ich zur Nacht,
wenn im finstren Tann der Waldkauz lacht,
wenn im Siechen im Frühling die Nachtigall singt,
wenn im Herbst im Gemenge der Brunftschrei erklingt.
Wenn der Hirschberg prangt im schneeweißen Kleid
und die Wälder in Raureif Herrlichkeit.
Ich grüße dich, Dörflein im Wedemannstal,
sei gegrüßt mir viel tausendmal.
Und bin ich weit draußen im fernen Land,
mein Blick ist immer zur Heimat gewandt.
Mag die Fremde auch noch so herrlich sein,
niemals, mein Dörflein, vergesse ich dein.
Dir halte ich die Treue, bis in den Tod,
O Heimat, mein liebes Wickenrod’.
Ich grüße dich, Dörflein im Wedemannstal,
sei gegrüßt mir viel tausendmal.
Carl Löwer
Albrecht Schneider sog diesen trügerisch friedlichen Augustmorgen in tiefen Zügen ein, während er mit klammen Gliedern aus seiner Haustür auf den Treppenabsatz trat. Ein leiser Sommerregen glitzerte in der aufgehenden Sonne und waberte in dichten Schwaden über das vom Vortag aufgeheizte Kopfsteinpflaster. Selbst hier draußen breitete sich eine Schwüle aus, die das Atmen schwer und jede Bewegung zu einer schweißtreibenden Angelegenheit machte.
Kurz vor dem Morgengrauen war Johann endlich auf der Eckbank in der Küche eingeschlafen. Ein kleines Wunder, dachte Albrecht Schneider, dass er sich überhaupt beruhigt hatte, nach dem, was am Abend vorgefallen war. Er hatte schon Einiges erlebt, aber so etwas war ihm auch noch nicht passiert. Eine lange Aussprache zwischen Johann Veit und seinem Schwiegervater Karl Wagner wäre noch das Geringste, um das Geschehene wieder geradezurücken. Immerhin war es nur um Haaresbreite gut ausgegangen. Aber wirklich nur um Haaresbreite.
Jetzt schlief der Johann wie ein Säugling auf Albrechts Küchenbank, dabei war er dem Axthieb seines Schwiegervaters nur um Millimeter entgangen, als er sich am Abend zuvor in größter Not in den Hausflur von Albrecht Schneider retten konnte. Es musste eine göttliche Fügung gewesen sein, dass Albrecht just in dem Augenblick die Tür öffnete, als ihm Johann buchstäblich in die Arme fiel. Keine Sekunde später, und der vor Wut rasende Karl Wagner hätte seinem Schwiegersohn mit der Axt den Garaus gemacht. So aber saß Johann völlig verstört in Albrechts Hausflur. Fassungslos starrte er ihn an, während Albrecht noch immer rücklings an der Haustür lehnte, als wolle er sicherstellen, dass Karl Wagner auch bestimmt draußen bliebe. Zu allem Unglück war nun auch noch Albrechts Frau Edith aufgewacht und stand völlig zerzaust im Nachthemd auf dem Treppenabsatz. Alles, was sie sagen konnte, war: »Allemächtcher. Als hätt er dem Leibhaftigen in ’n Schlund geschaut!«
Albrecht und Edith Schneider hatten ihre liebe Mühe, den Johann erst auf die Beine und anschließend in die Küche zu bringen. Obwohl Albrecht Schneider ein gestandenes Mannsbild war, war es alles andere als leicht zu bewerkstelligen, den stämmigen Kerl auf seine Füße zu stellen. Johann hing unhandlich wie ein nasser Sack auf Albrechts Schulter, so sehr steckte ihm der Schock in den Gliedern. Als sie ihn endlich auf der Küchenbank hatten, betrachtete Albrecht Schneider das gesamte Ausmaß des Dilemmas. Eine beträchtliche Platzwunde zierte Johanns Kinn, und ein dunkler Fleck auf seiner Hose stammte offensichtlich nicht vom Blut aus der Kinnwunde.
»Edith, hol doch mal was zum Anziehen«, sagte er und ergänzte nach einem kritischen Blick auf Johann: »Und einen Waschlappen.«
Ein heißer Tee. Das bringt den armen Kerl wieder auf die Beine, dachte Albrecht. Er schürte die restliche Glut vom Abendessen im Ofen und setzte den Kessel auf die Herdplatte, dann wandte er sich dem Häufchen Elend auf seiner Küchenbank zu. »Was ist denn bloß in euch gefahren?«
Johann gelang mit Mühe ein knapper Augenkontakt, dann sank ihm der Kopf zurück auf seine Brust.
»Ach, weißt du was? Morgen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus. Dann hat sich alles beruhigt und wir sehen weiter, nicht wahr?« Albrechts Hand ruhte aufmunternd auf Johanns Schulter.
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