Der Tod der dreckigen Anna - Tina Seel - E-Book

Der Tod der dreckigen Anna E-Book

Tina Seel

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  • Herausgeber: Emons Verlag
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

Nach einem wahren Fall aus den siebziger Jahren. 1974, ein kleiner Ort in der Provinz: Die geistig verwirrte Anna Hager wird in ihrem Haus brutal ermordet aufgefunden. Wer ist zu so einer grausamen Tat fähig? Die Dorfbewohner sind sicher, dass es keiner von ihnen war. Man kennt sich, man vertraut sich. Doch nach und nach setzt sich ein Bild zusammen, das jede Vorstellungskraft sprengt – denn der Mörder lebt mitten unter ihnen.

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Tina Seel wurde 1965 in Landau/Pfalz geboren und lebt seit 2007 in Berlin. Sie war Inhaberin und kreativer Kopf einer Werbeagentur in Karlsruhe, seit 2011 betreibt sie in Berlin den Laden »smilla – Dein kreatives Universum/Alles rund ums Nähen«. Ihr Debütroman »Der Tod der dreckigen Anna« basiert im Kern auf einer wahren Begebenheit aus ihrem Heimatdorf in der Pfalz.

Dieses Buch ist ein Roman. Obwohl ein wahrer Kriminalfall die inspirierende Grundlage war, sind die literarischen Figuren die Erfindung der Autorin. Im Anhang finden sich ein Verzeichnis der wichtigsten Personen sowie ein Nachwort.

© 2022 Emons Verlag GmbH

Alle Rechte vorbehalten

Umschlagmotiv: Ben Schreck/Arcangel.com

Umschlaggestaltung: Nina Schäfer

Lektorat: Uta Rupprecht

E-Book-Erstellung: CPI books GmbH, Leck

ISBN 978-3-96041-900-6

Originalausgabe

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FürIngrid KaechGabriele JungNikohleMitchundHerrn Endres

Kommen wir lieb auf die Welt,werden wir böse geboren?Ist es nur Willkür oder wird einer auserkoren?

Prolog

Sie kam die Treppe heruntergepoltert und wäre ihm fast in die Arme gefallen. Ihre Schlappen flogen durch die Luft und verschwanden in der Dunkelheit. Eine Sekunde lang sahen sie einander tief in die Augen. Dann schlug er zu. Unbarmherzig. Es knirschte ganz leise, wie in Zeitlupe sackte sie in sich zusammen. Ihr Kopf schlug auf dem Holzboden auf, die Augen sahen ihn erstaunt an. Er umfasste ihren dürren Hals und legte sein ganzes Gewicht in beide Hände. Sie sollte aufhören, ihn so anzuglotzen, wie die Sau vorm Schlachter. Sie sollte auf-hö-ren. Immer wieder schmetterte er ihren Kopf auf den Boden. Dumpfe Paukenschläge, die den Tod ankündigten. Er ließ von ihr ab, keuchte in höchster Erregung und riss ihr wie ein wild gewordenes Tier die schwarzen Lumpen vom Leib. Dann zog er das Messer und setzte einen tiefen Schnitt von oben nach unten. Mit dem Beil hieb er ihren ausgemergelten Brustkorb entzwei.

Verschisse.

Heiligabend 1974

Die große Standuhr im Wohnzimmer schlug halb zwölf. Marlies Meierle hatte Zahnschmerzen und war ein bisschen gereizt. Sie stand auf einem Stuhl vor dem Weihnachtsbaum und hatte Mühe, die Christbaumspitze zu befestigen. Leise fluchte sie vor sich hin, schon ein paarmal war sie kurz davor gewesen, das Gleichgewicht zu verlieren. Durch den Kamin drang Wind in den Ölofen, sodass er immer wieder laut brummte. In dem kleinen Zimmer mit der niedrigen Decke breitete sich eine unerträgliche trockene Hitze aus. Es roch nach Heizöl, daran konnten auch die vier Duftkerzen nichts ändern, die auf dem dürren Adventskranz schon seit Stunden brannten. Aus der Küche rief ihre Schwester Hedwig, aber weil der Fernseher lief und ein Kirchenchor Weihnachtslieder sang, verstand Marlies kein Wort. »Leck mich«, knurrte sie, der rechte Backenzahn wummerte. Laut stöhnend stieg sie vom Stuhl und schlüpfte in ihre Hausschuhe.

»Die Anna, wo steckt jetzt die blöde Funzel? Die müsst doch schon längst da sein.« Hedwig stand im Türrahmen und wischte sich die Hände an der Kittelschürze ab. Als Marlies nicht reagierte, ging sie zum Fernseher und drehte ihn leiser. Die Schwester warf ihr einen mürrischen Blick zu und begann seelenruhig, große Mengen Lametta auf dem Baum zu verteilen.

Hedwig legte ein paar Mandarinenschalen auf den Ofen, es zischte kurz und roch süßlich. Mit einem betont lauten Seufzer schlurfte sie zurück in die Küche und schaute in den Backofen. Der Käsekuchen hatte bereits eine goldgelbe Farbe und duftete herrlich. Heute würde er nicht in sich zusammenfallen, da war sie sich ganz sicher. Schwerfällig ließ sie sich am Küchentisch nieder und strich mit ihren klobigen Händen über das gemusterte Wachstuch. Vor ihr stand das Gemüse, das Anna schälen und putzen sollte. Kartoffeln, Bohnen, Karotten, Zwiebeln und Lauch. Es war alles gerichtet, so wie immer. Die Küchenuhr tickte gemächlich vor sich hin.

Plötzlich stand Marlies in der Tür. »Schon drei viertel zwölf? Wo bleibt die denn, die Anna? Die ist ja noch gar nicht da!«

»Himmelherrgott, was red ich denn die ganze Zeit?« Genervt haute Hedwig mit der flachen Hand auf den Tisch. Marlies warf einen neugierigen Blick auf den Kuchen und wollte gerade die Backofentür öffnen, da sprang Hedwig auf und schlug ihr mit dem Geschirrtuch auf den Arm. Marlies zuckte zurück.

Mit zusammengekniffenen Augen schaute sie erneut auf die Küchenuhr. »Hat die das jetzt vergessen, oder was?«

Hedwig antwortete nicht. Sie ließ sich laut aufstöhnend auf die Eckbank sinken und zog mit dem Finger das Muster auf der Tischdecke nach.

»Da ist doch was im Busch«, murmelte Marlies, ging in den Flur und zog sich umständlich ihren schwarzen Mantel an.

Hedwig stand wieder in der Küchentür. »Ah was, Busch. Vergessen hat sie’s. Die hat doch mit Weihnachten nix am Hut.«

Marlies warf sich ein Tuch über die Haare und knotete es sorgfältig unter dem Kinn. Sie war gestern beim Friseur gewesen und hatte sich eine neue Dauerwelle verpassen lassen. »Die ist zwar nicht ganz dicht, die Anna, aber so was vergisst die doch nicht. Wir haben sie doch so schön hergerichtet gestern. Die hat da doch schon am Geruch merken müssen, dass heut was anders ist.«

Hedwig lenkte ein und hielt ihrer Schwester fürsorglich den Regenschirm hin. Sie war froh, dass sie nicht selbst gehen musste. Draußen war es nass und ungemütlich, seit Stunden regnete es in Strömen. Marlies spannte den schwarzen Stockschirm auf, zog den Mantelkragen enger und ärgerte sich. Die Haare würden sich kringeln. Statt zum Friseur wäre sie gestern besser zum Zahnarzt gegangen. Jetzt war es zu spät.

Mit eiligen Schritten stampfte sie die Hochgasse entlang, bog in den Ludolfsweg ab, überquerte die Hauptstraße und marschierte durch die Wingerterstraße. Alles war wie ausgestorben, und obwohl es noch mitten am Tag war, brannte in den meisten Häusern das Licht. Es war ein ungewöhnlich milder Dezember. Die Natur spielte ein wenig verrückt, von einer weißen Weihnacht war weit und breit nichts zu sehen.

»Geht’s zur Hagern?«, schrie Friederich Graf von seinem Fenster herunter. Marlies hielt erschrocken an und sah zu ihm hinauf, der Regen plätscherte ihr aufs Gesicht.

»Habt ihr sie heut schon gesehen?«

»Nicht einmal von Weitem«, fistelte Friederich in gestelztem Hochdeutsch. Er musste es wissen, denn die meiste Zeit des Tages verbrachte er am Fenster und beobachtete das Geschehen. Auch das Hager-Haus am Anfang der Krittergasse hatte er stets im Visier. Als Marlies weitergehen wollte, legte er schnell noch einmal nach. »Hat wohl beschlossen, zum frohen Feste liegen zu bleiben, wie?« Friederich keuchte vor Lachen und hing schon gefährlich weit über dem Fensterbrett.

»Wieso?«, fragte Marlies.

Er reckte den Hals und streckte seinen langen Zeigefinger in Richtung Hager-Haus. »Ha, weil halt die Fensterläden noch nicht auf sind. Das sehen Sie doch. Oder sehen Sie das nicht?«

Marlies sah zum Haus hinüber.

»Die hat sich wahrscheint’s zur Feier des Tages ein paar Schnapsbohnen reingepfiffen, wie?« Friederich schnaufte begeistert und sah von oben auf Marlies herab.

Ärgerlich drehte sie sich um und beschleunigte ihre Schritte. Friederich bettete seine Arme wieder bequem aufs Kissen und sah ihr hinterher. »Einen Arsch hat die Meierle, wie ein Brauereigaul«, grummelte er vor sich hin und strich sich genüsslich über die Halbglatze.

Mittlerweile war Marlies am Haus ihrer Cousine angekommen und wunderte sich tatsächlich über die geschlossenen Läden an den unteren Fenstern.

Sie rüttelte am großen braunen Hoftor und stellte erstaunt fest, dass es abgeschlossen war. »Herrgott’s!«, fluchte sie, als sie sah, dass der Schlüssel von innen steckte. »Die schließt doch sonst nie ab, die dumme Orschel!« Mit dem Stockschirm klopfte sie heftig gegen den Fensterladen. Nichts geschah.

Marlies wurde immer wütender, denn sie war schon völlig durchnässt. Dann hob sie einen Stein auf und warf ihn mit voller Wucht an eines der oberen Fenster. Es gab einen lauten Knall, die Scherben flogen. Marlies seufzte und sah sich um. Ihre Zahnschmerzen fielen ihr wieder ein.

Da öffnete sich leise quietschend das Hoftor nebenan und heraus kam Hiltrud Winzer. Sie hatte hinter dem Vorhang gestanden und sofort gespürt, dass etwas nicht stimmte. In leicht geduckter Haltung lief sie auf Marlies zu. »Macht sie nicht auf?«, nuschelte sie und stellte sich zu ihr unter den Regenschirm.

»Nä«, antwortete Marlies. »Sie hätt ja schon längst bei uns sein sollen. Das Tor ist verrammelt.« Hiltrud Winzer zog sich fröstelnd die braune Strickjacke vor der großen Brust zusammen und glotzte so angestrengt auf das braune Hoftor, als müsste es sich jeden Moment von selber öffnen.

»Der Schlüssel steckt von innen«, erklärte ihr Marlies ratlos. Hiltrud bückte sich und überprüfte die Richtigkeit der Aussage. Als sie wieder hochkam, entdeckte sie ein paar Meter weiter Heinrich Wurz, den alten Dorfschmied. Er war auf dem Weg nach Hause.

»Da drüben«, Hiltruds Stimme brach vor Aufregung, »der Dings … der soll euch das Tor aufbrechen.«

Marlies riss die Augen auf und zögerte einen Moment, aber Hiltrud ließ sich nicht abbringen. Sie packte Marlies am Arm und schob sie über die Straße. Heinrich Wurz hörte die beiden zwar rufen, tat aber so, als sehe er sie nicht. Er wollte gerade im Hof verschwinden, als Hiltrud ihn keuchend am Kittel packte.

»Die Hagern da drüben, die macht das Tor nicht auf.«

»Und?«, knurrte er und überlegte, wie er sie abwimmeln konnte. Er hatte großen Hunger, und drinnen stand das Essen auf dem Tisch.

Hiltrud fing an, auf ihn einzureden, sie sprach vom Brecheisen und »mit Gewalt« und dass etwas passiert sein müsse, weswegen jetzt schleunigst was passieren müsse. Marlies stand peinlich berührt daneben und zerrupfte nervös ein altes Tempotaschentuch in ihrer Manteltasche.

Schließlich brummelte der alte Heinrich etwas in seinen Bart, dann ging er betont langsam in seine Werkstatt und kam mit einem großen Brecheisen und einem Schlaghammer zurück. Hiltrud grunzte zufrieden. Gemeinsam überquerten sie die Straße. Marlies wollte den Schirm über den Schmied halten, er ging aber auf Abstand und schob sich die Schirmmütze zurecht.

Bevor er das Brecheisen ansetzte, rüttelte er noch einmal heftig am Tor. Mittlerweile hatte sich schon jede Gardine im näheren Umkreis bewegt, und auch Friederich Graf schien beglückt über die willkommene Abwechslung. Drei Mal hieb Heinrich auf den Spalt zwischen Schloss und Tür ein und trat gleichzeitig mit seinen Stahlkappenschuhen dagegen, dann endlich sprang das Hoftor auf. Für einen Moment standen sie alle regungslos davor und warteten darauf, dass sich etwas rührte. Hiltrud Winzer trat vorsichtshalber zwei Schritte zurück und zog sich zum Schutz gegen den Regen die Strickjacke über den Kopf. Es wurde ernst.

»Anna?«, rief Marlies mit heiserer Stimme. Umständlich beugte sie sich mit dem Oberkörper in den Hof hinein, die Beine standen noch draußen auf der Gasse. »Anna, verdammt, jetzt komm halt!«

Totenstille. Sie warf dem alten Heinrich einen verzweifelten Blick zu.

Der strich sich mehrfach über den grauen Schnurrbart, schob sie dann zur Seite und machte einen ersten Schritt in den Hof hinein. Marlies folgte ihm zaghaft. Die Haustür war nur angelehnt. Heinrich ging die Steintreppe hoch und schob sie vorsichtig auf. Sie knarrte ein bisschen, dann ging es nicht mehr weiter. Etwas lag auf dem Boden.

»Jesusmariaundjosef«, entfuhr es Marlies, »da liegt sie ja. Schnell, machen S’ die Tür auf!«

Heinrich drückte mit beiden Händen dagegen, der leblose Körper wälzte sich behäbig zur Seite und gab den Eingang frei. Dann fiel er wieder zurück und wurde sichtbar. Marlies schlug die Hand vors Gesicht und stieß einen gellenden Schrei aus.

Heinrich wich zurück, schluckte zweimal und ging dann ganz langsam die Steintreppe rückwärts wieder hinunter. Er zog die Mütze ab, hob das Brecheisen und den Hammer auf und wankte mit eiserner Miene zum Tor hinaus. Zwei Amseln sausten im Tiefflug an ihm vorbei, es hatte aufgehört zu regnen, und das Wasser lief die Straße hinunter, um irgendwo zu versickern.

Hiltrud Winzer stand auf der anderen Seite und sah ihn mit flackernden Augen an. Fast gleichzeitig kamen die Nachbarn aus ihren Häusern und liefen auf ihn zu.

»Was ist da los?« Hermann Gimpflinger packte ihn am Arm, aber Heinrich antwortete nicht und riss sich los.

»Allmächtiger!« Von hinten kam Ludwig Herberger mit seiner Frau Gertrud angerannt und wollte in den Hof hinein, aber Heinrich stellte sich ihm in den Weg. »Bleib lieber, wo du bist«, brummte er heiser, »und ruf die Gendarmerie.« Dann marschierte er, steif wie ein Zinnsoldat, aus der Krittergasse hinaus, überquerte die Wingerterstraße und verschwand in seinem Haus.

Wie aus dem Nichts stand plötzlich Marlies Meierle am Tor. Alles Blut war ihr aus dem Gesicht gewichen, sie zitterte am ganzen Körper und hielt sich noch immer den Schirm krampfhaft über den Kopf. »Die Anna«, wimmerte sie, »abgeschlachtet … ab-ge-schlachtet.« Verstört schaute sie die Leute vor sich an, alle schwiegen.

Da packte Hiltrud sie am Arm und schob sie zu sich ins Haus. Ludwig Herberger überlegte kurz, dann rannte er zu seinem Haus, um die Polizei zu rufen. Was los war, konnte er ihnen nicht genau sagen, aber dass es schlimm sein musste, da war er sich sicher. Und einen Krankenwagen oder einen Leichenwagen – so genau wusste er es nicht –, den täten sie auch brauchen, meinte er.

Vor dem Hager-Haus wurde die Menschentraube immer größer, aber keiner traute sich hinein. Friederich Graf hatte zwischenzeitlich beschlossen, dass diese Sache es allemal wert war, den Mantel anzuziehen, den Stock zu holen und sich dazuzugesellen. Als er über die Straße humpelte, tauchte hinter ihm Hedwig Meierle auf, die nach Luft schnappte, weil sie die letzten Meter gerannt war. Sie hatte den Käsekuchen aus dem Ofen geholt und sich dann aus Sorge doch auf den Weg gemacht. Schon von Weitem hatte sie die Horde Menschen vor dem Haus gesehen, sich bekreuzigt und alle Erzheiligen, die an Weihnachten Dienst hatten, angefleht, sie möchten jetzt bitte dafür sorgen, dass das alles hier nichts mit ihnen zu tun hatte. Jemand fing sie ab und schob sie kommentarlos in das Haus von Hiltrud Winzer.

»Ich hab’s ihr ja gesagt«, winselte Friederich Graf von hinten und wedelte mit seinem Stock. Auch er war etwas außer Atem. Alle drehten sich zu ihm um.

»Was gesagt?«

»Ha, dass die Fensterläden noch zu sind. Und dass das ja nicht normal ist, weil, die sind ja sonst immer offen. Und dass ich kein gutes Gefühl hab. Dass was passiert sein muss. Dass sie aufpassen soll, hab ich gesagt. Nicht dass da was passiert ist.« Friederich war in Fahrt. Er hätte gerne noch weiter ausgeholt, da kam ein Wagen der Polizei.

Mordkommission Pirmasens

Als Hauptkommissar Rudolf Melchinger gegen eins aufs Revier kam, herrschte eine ungewohnte, aber sehr angenehme Stille. Er hängte seine braune Lederjacke an den Haken, knöpfte die Strickweste über dem Hemd zu und lockerte seinen Hosengürtel um ein Loch. Nach den Feiertagen, so viel wusste er schon, musste er wieder ein paar Kilo loswerden. Seine Leidenschaft für Marzipan und Lebkuchen ließ ihn jedes Jahr über die Stränge schlagen.

»Fröhliche Weihnachten, Herr Kriminalhauptkommissar«, begrüßte ihn sein Kollege Udo Wachtel und machte eine theatralische Verbeugung.

Melchinger klopfte ihm auf die Schulter. »Dann schauen wir mal, wie fröhlich’s wird.«

Wachtel zündete alle vier Kerzen auf dem Adventskranz an, der auf einer Anrichte neben der Kaffeemaschine stand. »Und, die Hanne? Sauer wegen der Weihnachtsschicht?«

Melchinger nahm eine Prise Schnupftabak und legte für einen Moment die Beine auf den Tisch. »Wir sind seit neunundzwanzig Jahren verheiratet. Da macht die doch wegen dem Dienst kein Fass mehr auf. Ein Gläschen Wein, ein gutes Buch und die Frau ist glücklich«, brummte er und nieste laut.

»Wohlsein!« Wachtel goss sich einen Kaffee ein und fing an, Weihnachtslieder zu singen. Das Telefon schepperte. Melchinger nickte, dankbar für die Unterbrechung des Gesangs, und hob den Hörer ab. Seine Miene verfinsterte sich zusehends.

DAVOR

An einem Samstag im Februar 1950 saß Elsa Hager um die Mittagszeit in der Küche, löffelte genüsslich einen Pott saure Milch und musterte ihre Schwester Anna, die am Herd stand und in einem Topf rührte.

»Der Regärtner Erwin hat das Zeitliche gesegnet«, krächzte sie heiser und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.

»Verschisse«, ranzte Anna und rührte teilnahmslos weiter.

Elsa lachte schnaufend in sich hinein. »Wohl wahr. Verschissen hat er’s, der alte Depp.« Eine Weile lang zerdrückte sie mit den Fingernägeln Brotkrümel, dann packte sie die Schwester, die an ihr vorbeischlich, plötzlich am Arm. »Weißt du überhaupt, wer das ist, der Regärtner Erwin?« Anna glotzte sie an, entzog ihr mit einem Ruck den dünnen Arm und ging schnell wieder zurück an den Herd. Elsa seufzte laut. »Du weißt es halt nicht. Du weißt ja noch nicht einmal, wer du überhaupt selber bist.«

Anna Hager war schon als Kind nicht ganz dicht. Als jüngste der drei Hager-Mädels hatte sie im Januar 1902 das Licht der Welt erblickt. Bei der Geburt hatte sich die Nabelschnur um ihren Hals gewickelt und für einen langen Moment nicht nur ihr, sondern auch ihrem Verstand die Luft abgedreht.

Anna war von jeher mickrig und hager, ihr Kopf glich dem eines Vogels. Dünne braune Haare hingen ihr ins Gesicht, und die seltsamen hellen Glubschaugen lagen tief in den Höhlen. Sie war stumm wie ein Fisch, außer »Verschisse« sagte sie so gut wie gar nichts. »Verschisse« war alles und jeder. Woher sie das hatte, wusste man nicht.

Als Kind hatte sie sich die meiste Zeit bei der Mutter in der Küche aufgehalten und auf der Eckbank gewartet, bis man ihr etwas zum Schälen hinstellte. Kartoffeln, Mohrrüben, Zwiebeln, was immer der Garten hergab. Annas flinke Finger mit den abgeknabberten Nägeln glitten unsagbar schnell und sanft über das Gemüse. Ihre Technik war einzigartig. Die Abfälle waren so hauchdünn, man hätte sie in den Mülleimer pusten können.

Mit dem kleinen Küchenmesser in der Hand war sie in ihrem Element. Auf dem hölzernen Knauf war ein großes A zu sehen, der Rest der Aufschrift war verschwunden. A wie Anna. Es war ihr Messer. Niemand sonst durfte es benutzen, und es war immer scharf. Abends, vor dem Zubettgehen, zog sie es über den Wetzstein, wickelte es in ein Taschentuch und legte es sorgsam unter ihr Kopfkissen.

Solange die Mutter noch lebte, hatte Anna sich nie an den Herd getraut. Was jedoch damals niemand ahnte, war, dass sie jeden Handgriff aufmerksam verfolgte. Jeden Schritt der Zubereitung, jede Zutat, in welcher Menge – alles speicherte sie in ihrem schmalen Vogelkopf. Sie hätte schon im Alter von neun Jahren die kargen Gerichte der Mutter eigenständig zubereiten können. Im Kopf kochte sie mit, schmeckte ab und würzte immer nach.

Für den Vater war Anna ein Dummschädel, er schenkte ihr wenig Beachtung. Und sie selbst würdigte ihn nie eines Blickes. Daher war ihr auch nicht gleich aufgefallen, als er irgendwann nicht mehr da war. Sie brauchte eine Zeit lang, bis sie ihm keinen Teller mehr hinstellte. Damals.

Elsa horchte auf. Sie hatte einen Schrei vernommen, von draußen, aus der Nachbarschaft. Schwerfällig erhob sie sich und schlurfte in den Hof. Da, wieder, ein kurzer, gellender Schrei. Aufgeregt lauschte sie in die Stille hinein, dann steuerte sie auf das alte Hoftor zu, zog es langsam auf und lugte hinaus in die Gasse. Lange hatte sie auf diesen Tag gewartet, heute war es endlich so weit.

Innerhalb von Minuten kam die ganze Nachbarschaft aus den Häusern, um nach dem Rechten zu sehen. Einige hatten ihren Besen mitgebracht, damit ihre Neugier nicht allzu offensichtlich war, und wie es der Zufall wollte, standen sie schon nach kurzer Zeit beieinander und starrten gebannt hinüber zu dem kleinen alten Fachwerkhaus mit der Hausnummer 5. Drinnen lag Liesel Gehringer in ihrem Bett und schrie. Sie schrie um ihr bisschen Leben, um das sie fürchtete. Die Schmerzen waren stärker als alles, was sie sich bisher vorzustellen vermocht hatte. Ihr war, als hätte sie der Teufel geholt, um ihren Leib in tausend Stücke zu zerreißen.

Die Hebamme Elfried Ritzler hatte die Ärmel hochgekrempelt, mit hochrotem Kopf und Schweiß auf der Stirn stand sie kerzengerade zwischen Liesels Beinen. Sie betete um den Beistand des Allmächtigen und gab wie ein General, der sein Heer antrieb, die Befehle zum Atmen, zum Pressen, zum Atmen, zum Pressen. Zum Durchhalten eben, bis es rum war. »Die Sach war nicht ohne«, pflegte sie immer zu sagen, wenn sie einen neuen Erdenbürger auf die Welt geholt hatte. Es sollte ja keiner denken, dass sie eine einfache Arbeit verrichtete. Und die »Sach« hier, die war in der Tat nicht ohne.

Liesel Gehringer war eine schmächtige, zarte Frau, und sie war nicht mehr die Jüngste. Mit zweiundvierzig Jahren war sie plötzlich doch noch schwanger geworden. Ein Zustand, den sie zwanzig Jahre lang herbeigesehnt hatte, ein Wunsch, der schon fast begraben gewesen war. »Der Herrgott lässt sich nicht ins Handwerk pfuschen«, hatte sie zu ihrer Rechtfertigung stets verkündet, während alle anderen im Dorf der festen Überzeugung waren, der Walter, ihr Mann, könnte halt nicht, wie er wollte. Oder wollte nicht können. So war man dann doch erstaunt, als es plötzlich hieß, die Gehringer Liesel sei in anderen Umständen.

Nun standen sie in stiller Eintracht vor dem Gehringer-Haus und bekräftigten leise noch einmal das, was sie schon seit Monaten sagten: Dass man sich das ja nun überhaupt nicht … und wie die Jungfrau Maria zum Kind … Die heilige Liesel und der bockige Walter. Niemand mochte sich allen Ernstes vorstellen, dass es hier eine andere Art der Empfängnis gegeben haben könnte als über den Heiligen Geist. Das war ja schließlich schon einmal passiert.

»Aber«, so betonte Hermann Gimpflinger auch heute wieder und schob seinen braunen Cordhut in den Nacken, »es ist halt, wie es ist.«

»Und«, so fügte seine Frau Ilse, die nur in Ausnahmefällen seiner Meinung war, beschwörend hinzu, »wollen wir mal hoffen, dass alles gut geht.«

Hiltrud Winzer und Gertrud Herberger bekreuzigten sich träge und verzogen beim nächsten Schrei mitfühlend das Gesicht.

Nach einiger Zeit wurde es den meisten Nachbarn doch zu viel, denn man konnte sich angesichts der »Sach« dort oben nicht einfach über etwas anderes unterhalten. Und so gingen sie wieder zurück in ihre Häuser und schlossen fürs Erste die Fenster. Alle, bis auf Elsa. Sie hatte gewohnheitsmäßig an ihrem Hoftor Stellung bezogen und würde nicht weichen, bis dass die »Sach« ein Ende gefunden hatte. Eisern stand sie da, in ihrer grauen Strickweste, dem braun gemusterten Wollpullover, dem alten Baumwollrock, den blickdichten Strumpfhosen in den ausgelatschten Tretern.

Elisabeth Hager war im Oktober 1896 im Haus Nummer 1 in der Krittergasse in Gödelsheim, einem kleinen Dorf in der Südpfalz, zur Welt gekommen, und sie würde, da war sie sich sicher, auch genau hier sterben. Sie war die mittlere der drei Hager-Schwestern, sechs Jahre trennten sie von der jüngeren Anna und sechs von der älteren Hildegard. Sie lag genau in der Mitte, nur gewichtsmäßig, da tanzte sie aus der Reihe, denn Elsa war äußerst korpulent. Von Kindesbeinen an war sie jeglicher Arbeit gekonnt aus dem Weg gegangen. Im Winter saß sie am Fenster zur Gasse, im Sommer am liebsten auf der Steintreppe im Hof. Am allerliebsten aber stand sie am Holztor und lugte nach draußen. Sie kannte in der Krittergasse jeden Pflasterstein, jeden Blumenkübel, jede Katz und jede Maus. Sie wusste, wer und warum, wann und mit wem, denn Elsa Hager war mit einer solch unverhohlenen Neugier gesegnet, dass ihr niemand im Dorf das Wasser reichen konnte. An Elsa kam so leicht keiner vorbei, und das lag nicht nur an der Tatsache, dass die Krittergasse eine Sackgasse war. Abends beim Essen hatte sie schon als Kind ihre schweigsame Familie mit ihren Geschichten unterhalten und nicht selten war nur noch ein Fünkchen Wahrheit daran, denn die Wirklichkeit, die war für Elsa eigentlich viel zu langweilig.

Endlich, nach Stunden des Schmerzes, war der Kopf zu sehen. Ein großer Kopf, der sich nur mühsam nach draußen bewegte. Ein Dickkopf wohl, der nicht recht wusste, wie ihm geschah und warum er gerade heute seine warme, friedliche Höhle verlassen sollte. Nach einem letzten Schrei, einem letzten Aufbäumen war es geschafft. Liesel Gehringer fiel vor Erschöpfung halb ohnmächtig in die Kissen, schloss wimmernd die Augen und wollte nur noch sterben.

Elfried Ritzler verlor ihre resolute Haltung und hätte sich vor Erleichterung auch gerne in die Kissen geworfen. Stattdessen durchtrennte sie routiniert die Nabelschnur, entlockte dem Jungen einen ersten Schrei und säuberte ihn behutsam. Dann legte sie Liesel das plärrende Bündel in den Arm und sagte leise: »Es ist ein Bub, ein gesunder.«

»Dieterle«, hauchte Liesel und schaute, erfüllt von Glück und Seelenfrieden, auf den roten Kopf, der wie auf Kommando zu schreien aufhörte und etwas bedröppelt in die Welt schaute. Die Hebamme wusch sich eilig die Hände und lief die Treppe hinunter, um Liesels Mann vom gesegneten Ausgang der »Sach« zu berichten.

Elsa Hager hatte derweil das Hoftor geschlossen und sich zufrieden über das Doppelkinn gestrichen. »Das kann nur ein dreckiger Bankert sein, so wie die Gehringern geschrien hat«, sagte sie zu Hilde, die mit einem geköpften Huhn über den Hof kam. »Geh mir aus dem Weg!«, kläffte ihre Schwester, zog den Rotz durch die Nase und schob Elsa zur Seite.

Walter Gehringer stand hinten im Hof in seiner Werkstatt. Als die Hebamme ihn fand, war er gerade dabei, ein Stück Metall zu bearbeiten, und hämmerte so laut, als wollte er die Schreie aus dem Haus übertönen. Deshalb hatte er auch nicht mitbekommen, dass sie längst aufgehört hatten.

»Es ist ein Bub, ein gesunder«, rief Elfried in die Werkstatt hinein. Walter stand mit dem Rücken zu ihr und nahm die Flex in die Hand. Die Funken spritzten in alle Richtungen, es roch nach erhitztem Metall, der Krach war ohrenbetäubend. Elfried griff nach einem Besenstiel und klopfte ihm aus sicherer Entfernung fest auf die Schulter. Endlich drehte er sich um und brachte das Gerät zum Stillstand.

»Es ist ein Bub, ein gesunder«, wiederholte sie. Walter schaute sie hilflos an. Dann legte er die Flex zur Seite, wischte sich die dreckigen Finger an seinem blauen Arbeitskittel ab und folgte ihr wortlos. Oben in der Schlafstube vergrub er die Hände verlegen in den Hosentaschen, grunzte vor sich hin und warf einen kurzen Blick auf das Bündel, das ihm Liesel erwartungsvoll entgegenhielt.

»Ein Dieterle, gell«, sagte sie mit glucksender Stimme, und Walter nickte ein paarmal mit dem Kopf.

»Die Liesel muss jetzt schlafen«, verkündete Elfried schnell und schob ihn wieder aus dem Zimmer.

Liesel und Walter Gehringer lebten bescheiden in ihrem kleinen, schiefen Fachwerkhaus, das schon zwei Jahrhunderte und auch die Kriege gut überstanden hatte. Im Sommer standen große Oleanderbäume mit weißen und rosafarbenen Blüten in Töpfen vor dem Haus, von den Fenstern hing ein Meer roter Geranien herab und nur zu gerne bauten die Vögel ihr Nest unter dem Dach oder im Gestrüpp des wilden Weines, der an einem eigens gefertigten Eisengestänge über dem Hof wuchs. Es war ein schöner Blickfang in der sonst eher kargen Krittergasse, wo die Häuser eng aneinanderstanden und dazwischen wenig Schönes zu sehen war.

Unten im Erdgeschoss gab es zur Gasse hinaus ein gemütliches Wohnzimmer, von der Küche aus schaute man auf die abbröckelnde Wand des Nachbarhauses, und weiter hinten, mit Blick in den Hof, befand sich noch ein kleines Badezimmer. Der alte Dielenboden im Flur hatte sich gut gehalten, er knarrte nur an wenigen Stellen und wurde regelmäßig gewachst. In der Küche lagen alte Mosaikfliesen, deren ehemals schöne Farben verblasst waren. Der eierschalenfarbene Küchenschrank neben dem Herd war kunstvoll mit Bauernmalerei verziert. In der Ecke standen eine kleine Eckbank aus Holz, zwei Stühle und ein Küchentisch, nur sonntags wurde im Wohnzimmer gegessen.

Liesel Gehringer häkelte und klöppelte leidenschaftlich gerne. Ihre Handarbeiten – Spitzenvorhänge und Tischdeckchen, Glasuntersetzer und Sofakissen – waren im ganzen Haus verteilt. Überhaupt wirkte alles sehr überladen. Kleine Vasen mit Trockenblumensträußen, Keramikschalen in allen Variationen, Krüge, Heiligenfiguren, Kerzenständer, Porzellansammeltassen, zahlreiche Fotos, jedes Ding hatte seinen festen Platz. Auf dem Fensterbrett standen liebevoll gepflegte Zimmerpflanzen, daneben das eine oder andere Wasserglas, in dem Ableger ihre Wurzeln entwickelten, bis sie eingepflanzt und wieder zur Zimmerpflanze wurden. Auf der Rückenlehne des Sofas saßen zwei stolze Porzellanpuppen in rosa und hellblauen Rüschenkleidchen, an die Liesel noch zusätzlich Spitze gehäkelt hatte.

Viel Platz gab es nicht im Haus, auch war bislang kein Kinderzimmer vorgesehen gewesen, und so hatte Walter kurzerhand die ehemalige Abstellkammer unter dem Dach entrümpelt. Nachdem der ganze Sperrmüll nach draußen geschafft worden war, hatte Liesel erleichtert festgestellt, dass die Kammer ein ganz passables Zimmer werden würde, welches praktischerweise in unmittelbarer Nähe des elterlichen Schlafzimmers lag. Und während Liesel gleich mit dem Klöppeln der kleinen Gardinen begann, türmten sich vor dem Haus ausgemusterte Möbelstücke, Matratzen, ein Bettrost, ein Polstersessel, diverse Latten und tonnenweise überflüssiger Hausrat. Es dauerte nicht lange, und Elsa Hager hatte das Angebot geprüft und ihre Schwester Hilde so lange bearbeitet, bis die beiden nach Einbruch der Dunkelheit die Möbelstücke ihrer Wahl beschlagnahmten und gleich zu sich nach Hause brachten. Am nächsten Morgen war der Müllberg um die Hälfte geschrumpft, was den Gehringers nur recht war.

Mit der Einrichtung des Kinderzimmers hatte Liesel sich dann besonders viel Mühe gegeben. Die Wiege und das kleine Bettchen zimmerte Walter selbst, die Wand zierte eine Tapete mit kleinen Eichhörnchen, und auf dem Boden lag ein blauer Teppichboden in dankbarer Qualität. Über dem Bett hingen ein Kreuz und ein kleiner Weihwasserkelch. Wie schon ihre Mutter, so würde auch sie ihrem Kind zur guten Nacht ein Weihwasserkreuz auf die Stirn zeichnen, auf dass der Herrgott auf ihn achtgebe und ihm nichts Schreckliches widerfuhr. Zum Schluss hatte Liesel dann noch ein Holzschild mit einer goldenen Inschrift über die Tür gehängt.

Gott spricht: Siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr’s denn nicht?

Jesaja, Kapitel 43, Vers 19a

***

Es war nicht schwer, denn das Fenster zur Waschküche stand einladend offen. Er hatte es tagsüber schon von Weitem gesehen. Leise lachte er in sich hinein und schüttelte den Kopf. Dann entriegelte er den rechten Flügel, sah sich noch einmal um und zog sich vorsichtig hoch. Bevor er durch das Fenster schlüpfte, horchte er noch einmal aufmerksam in das Haus hinein. Unter allen Wipfeln war Ruh.

Die Ruhe vor dem Sturm

»Der Wind … hat mir ein Lied erzählt …« Maria Draumer stand in der Küche und versuchte sich mit Zarah Leander, die im Radio sang, in weihnachtliche Stimmung zu bringen. Mit beiden Händen knetete sie beharrlich die Füllung für die Weihnachtsgans, als das Telefon im Flur klingelte. Sie stöhnte laut auf und bemühte sich verzweifelt, die klebrige Masse von den Fingern zu kriegen, aber als sie endlich den Hörer abnahm, hatte der Anrufer bereits aufgegeben. Ärgerlich wischte sie sich eine Strähne aus dem Gesicht und ging zurück in die Küche. Ärmel, ein Mischlingshund mit großen Ohren und treuen Augen, lag unter dem Tisch und bellte kurz, als wollte auch er sich über die Ungeduld des Anrufers beschweren.

»Wenn’s was Wichtiges ist, ruft er wieder an, Ärmel«, beruhigte Maria den Hund und sich selbst und warf einen Kontrollblick durch das Fenster des Backofens, wo ein Streuselkuchen langsam Form annahm. Dieses Jahr wollten die Kinder Heiligabend bei ihr verbringen, seit vielen Jahren zum ersten Mal. Sohn Erich, Tochter Karin, Klaus, ihr Schwiegersohn, und die zwei Enkel, alle hatten sich angekündigt. Im Radio lief das Weihnachtswunschkonzert, Maria drehte ein wenig lauter.

Als sie den Kühlschrank öffnete, fiel ihr auf, dass sie vergessen hatte, Feldsalat zu kaufen. Leise fluchend warf sie die Kühlschranktür wieder zu, suchte nach ihrem Portemonnaie, warf den Mantel über die Schürze und griff nach dem Regenschirm. Bis halb zwei sollte der Krämerladen am anderen Ende der Gasse noch geöffnet haben, sie musste sich also ein bisschen beeilen.

Als Rudolf Melchinger und Udo Wachtel in der Krittergasse ankamen, hatte sich Wachtmeister Lutz schützend vor dem braunen Hoftor aufgebaut und bemühte sich, die Menschen, die sich dort versammelt hatten, auf Abstand zu halten. Er war kreidebleich im Gesicht und schob immer wieder nervös seine Mütze zurecht. Als er die beiden Kommissare sah, winkte er ihnen aufgeregt zu und folgte ihnen durch das Tor.

»Das ist … nicht schön da drin«, faselte er und zeigte auf die Haustür, die offen stand. Dann verschwand er wieder nach draußen und machte vorsorglich das Hoftor hinter sich zu.

Melchinger holte tief Luft, zog Handschuhe und Schuhschützer über und ging mit Wachtel langsam auf die Haustür zu. Es waren diese Momente, die auch ihnen Unbehagen bereiteten.

Als Maria Draumer aus ihrem Haus trat und die Menschenmenge am anderen Ende der Gasse sah, blieb sie abrupt stehen. Ihr Herz klopfte. Sie kniff die Augen zusammen und runzelte die Stirn. Fast alle Nachbarn standen dort zusammen, es musste etwas passiert sein. Schließlich setzte sie sich wieder in Bewegung und ging immer schneller auf die Menge zu.

»Die Hager Anna, jemand hat sie abgeschlachtet«, plärrte ihr Hermine Emberger schon entgegen.

»Abgeschlachtet?« Maria begriff nicht, was das heißen sollte.

»Wir wissen ja nix«, ereiferte sich Hermine, »wir dürfen nicht rein. Aber die Meierle aus der Hochgass, die wollt sie holen, zum Weihnachtsfest. Drüben sitzt sie, bei der Winzern. Bringt kein vernünftiges Wort heraus. Sie sagt, es hätt sie einer abgeschlachtet. Wie ein Viech. Wie ein Stück Viech!« Hermine drehte sich hektisch um und suchte in den Gesichtern nach Bestätigung. Maria fuhr es frontal in den Magen, ängstlich zog sie den Mantel enger.

Melchinger und Wachtel hatten einige Mühe, Haltung zu bewahren. Im Innern des Hauses bot sich ihnen ein Bild des Grauens. Auf dem Boden lag eine schmächtige alte Frau in einem Meer von Blut und starrte sie aus großen Glubschaugen an, als wäre noch Leben in ihr. Der Mund mit den wenigen Zähnen stand weit offen, ein erstickter Schrei schien ihr noch in der Kehle zu hängen. Sie hatte ein beachtliches Hämatom am Kopf, die dünnen grauen Haare klebten zerzaust in ihrem Gesicht. Am Hals zeigten sich heftige Würgemale, ein blutiges Silberkreuzchen lag wie zur Zierde darüber. Der linke Arm war verdreht, der rechte weit ausgestreckt, während die mageren Beine seltsam korrekt und kerzengerade nebeneinander lagen.

Melchinger drehte sich zu Wachtel um, der wie versteinert dastand. So etwas hatten sie beide noch nicht gesehen. Der Täter hatte sein Opfer von oben bis unten aufgeschlitzt, den Brustkorb durchtrennt und die kompletten Eingeweide herausgerissen. Herz, Lunge, Leber, Magen, Gedärme, alles lag neben ihr. Es war ein Anblick, der sich auf ewig ins Gedächtnis einbrennen sollte, gepaart mit einem Geruch, der so schnell nicht wieder aus der Nase verschwinden würde. Melchinger und Wachtel pressten sich verzweifelt Taschentücher aufs Gesicht.

Der Mörder musste wie im Rausch gewesen sein, völlig von Sinnen. Alles war mit Blut besudelt, die Wände, die Stufen der Treppe, der Fußabstreifer. An der Tür war es hinaufgespritzt bis zu den verdreckten Fenstern, die auf den Hof hinausgingen. Bizarre Bilder, eine Art Glasmalerei, zierten die Scheiben. Die alte Kommode im Flur war umgefallen, eine Porzellanvase in tausend Stücke zersprungen. In der Ecke lag ein Schlappen des Opfers und daneben ein Plastikblumenstrauß. Eine kleine Maus rannte panisch an der Wand entlang, ihre Pfoten hinterließen winzige blutige Punkte auf dem Boden und zeichneten ihren Weg. Melchinger schluckte, Wachtel würgte. Beiden stand der Schweiß auf der Stirn.

Als die Kollegen der Spurensicherung eintrafen, lösten sie sich langsam aus ihrer Erstarrung. Die Spezialisten nickten ihnen kurz zu, starrten dann aber ebenso entgeistert auf den Anblick, der sich ihnen bot.

Fast zeitgleich erschienen zwei Sanitäter und der Rechtsmediziner Dr. Bruno Weininger am Tatort. »Mein lieber Schieber«, entfuhr es ihm beim Anblick der Leiche, »da war aber einer in seinem Element.« Er wedelte mit der Hand in der Luft herum und bedeutete den Sanitätern, dass hier nichts mehr zu machen sei.

Melchinger nahm erst eine Prise Schnupftabak und zündete sich dann im Hof eine Zigarette an. Er musste etwas gegen den Gestank tun. »Sag uns den ungefähren Todeszeitpunkt, Bruno, den Rest musst du dir einpacken lassen.«

Weininger erwiderte nichts und wandte sich dem Opfer zu.

»Gehen Sie jetzt bitte nach Hause! Es gibt hier nichts zu sehen«, brüllte der Polizeibeamte vor dem Hoftor. Er war dabei, den Tatort großflächig abzuriegeln. Als die Sanitäter herauskamen, machte man sie darauf aufmerksam, dass im Nachbarhaus eine Frau unter Schock stehe und notärztliche Hilfe gut gebrauchen könne.

»Wie sieht’s denn da drinnen aus?«, rief ihnen Hermann Gimpflinger hinterher, er bekam keine Antwort.

Neben ihm stand Walter Gehringer, hatte die Hände tief in seinem »blauen Anton« vergraben und schüttelte den Kopf. »Wenn ich den erwisch, der wo das gemacht hat, dem dreh ich eigenhändig die Gurgel rum!«, tönte er.

Erwin Kaltenbacher, der sich Minuten zuvor in Begleitung seiner Frau Erna und seines Sohnes Stefan zu ihm gesellt hatte, klopfte ihm kameradschaftlich auf die Schulter. »Lass gut sein, Walter, ich glaub, es wär schon besser, wenn du den gar nicht treffen tust.«

»Ich würde mal sagen, bei der ist gestern Nacht zwischen zwölf und zwei das Licht ausgegangen«, sagte Dr. Bruno Weininger und betrachtete aufmerksam sein Thermometer.

»Gut«, erwiderte Melchinger. »Woran sie gestorben ist, können wir uns ja ungefähr denken.«

»Wohl«, sagte Weininger. »Die Details kommen nach Weihnachten. Ich will ja keinem das Fest verderben, meine Freunde.«

Wachtel verdrehte die Augen und ging nach hinten in den Garten. »Habt ihr was?«, fragte er seinen Kollegen von der Spurensicherung.

»In dem Chaos und bei dem Sauwetter? Wenn da jemals was war, hat es der Regen weggeputzt.«

Wachtel wischte sich frustriert die Wassertropfen aus dem Gesicht.

»Aber gekommen ist der bestimmt von hier.« Sein Kollege zeigte auf den beschädigten Zaun. »Und dort, da liegen sieben Streichhölzer.«

Die packte Wachtel sorgfältig in eine Klarsichttüte und steckte sie ein. Verkokelte Streichhölzer, dachte er, na bravo.

DAVOR

Ein paar Wochen nach der Geburt hatte ein jeder in der Krittergasse und Umgebung seine Begegnung mit dem Gehringer Dieterle gehabt. »Es war keine leichte Geburt nicht, gell«, sagte Liesel Gehringer, wann immer sie Besuch bekam oder jemand auf der Straße einen Blick in den Kinderwagen warf. Es war ihr wichtig, dass die Leute sahen, zu was sie fähig war und dass sie die Zähne zusammenbeißen konnte, wenn es darauf ankam. Sie wusste, wie zerbrechlich sie wirkte und dass ihr keiner etwas zutraute, körperliche Arbeit schon gleich gar nicht. Das Erlebnis der Geburt war wie ein Befreiungsschlag für sie gewesen, es machte sie unsagbar stolz.

Das Dieterle beäugte das Geschehen um sich herum gemeinhin mit einem Lächeln und schrie nur, wenn es Hunger oder die Hosen voll hatte. Da nun der Bub den ersten Platz bei Liesel eingenommen hatte, zog sich Walter noch mehr zurück. Liesel hatte ihm wortlos, aber dennoch unmissverständlich signalisiert, dass es jetzt genug sei, mit allem und überhaupt. Walter erledigte daraufhin immer öfter auch nach Feierabend handwerkliche Arbeiten in der Nachbarschaft. Zu Hause störte er nur.

An einem sonnigen Morgen Anfang April stand Elsa Hager erneut am Hoftor und schnüffelte vor sich hin. Es roch schon nach Frühling, und die ersten Sonnenstrahlen brachten die ersehnte Wärme.

Zwei Häuser weiter ging die Tür auf, heraus kam Liesel Gehringer mit dem Kinderwagen. Sie wollte einen Spaziergang machen und kam auf Elsa zu. Diese richtete sich erwartungsvoll auf und starrte ihr gespannt entgegen. Liesel strahlte sie schon von Weitem an.

»Tag, Elsa, wieder am Gucken, gell?«

Elsa ignorierte die saudumme Frage und kam gleich zur Sache. »Ah, der Bub. Wie heißt er denn?« Die Antwort kannte sie natürlich schon.

»Dieterle«, sagte Liesel Gehringer glucksend und wunderte sich ihrerseits, dass Elsa das noch nicht wusste. Elsa schaute neugierig in den Wagen und versuchte, unter all den Kissen und gehäkelten Decken das Gesicht eines Säuglings zu finden. Liesel drückte das Daunenkissen sanft hinunter, bis es endlich erschien. Das Dieterle sah sie neugierig an und nuckelte an seinem Schnuller.

»Er guckt ein bisschen komisch«, sagte Elsa, obwohl das nicht stimmte.

»Was? Ach so?« Liesel lachte etwas verunsichert. »Wahrscheint’s hat er ein paar Blähungen, gell?«

»Kommen S’ doch mal rein«, sagte Elsa plötzlich und war selbst überwältigt von diesem gewagten Vorschlag.

Liesel schaute sie irritiert an. Obwohl die Hager-Schwestern schon seit Jahr und Tag in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft wohnten, war sie noch nie im Hager-Haus gewesen.

»Die Anna und die Hilde, die wollen das Kind doch auch einmal sehn«, erklärte Elsa und stieß einladend das Hoftor auf. Das wiederum leuchtete Liesel ein, und mit einem verlegenen Lächeln schob sie den Wagen in den Hof. Sofort kam Anna aus der Küche herausgeschossen und glotzte abwechselnd auf Liesel und auf den Kinderwagen. Liesel erschrak ein wenig bei dem Anblick, denn Anna hatte völlig zerzauste Haare und einen äußerst wirren Blick. Außerdem hielt sie ein Messer in der Hand.

Liesel hielt sich krampfhaft am Kinderwagen fest und räusperte sich fortwährend. Elsa hingegen fand großen Gefallen an der Ausnahmesituation und ermunterte sie: »Holen S’ den Kleinen doch mal raus, man sieht ihn ja gar nicht, den Burschi.«

Liesel zögerte einen Moment, wurde dann aber von einer Welle des Stolzes übermannt. Sie tauchte in den Kinderwagen und buddelte den kleinen Dieter aus.

»Ja, Dieterle, schau mal, wer da ist.«

Das Dieterle schmatzte vor sich hin und verzog keine Miene.

Elsa beäugte ihn neugierig und fand, dass er einen zu großen Kopf hatte. Diese Erkenntnis behielt sie aber vorerst für sich. Anna wischte das Messerchen an ihrer schwarzen Kittelschürze ab, als wollte sie ihm gleich etwas abschneiden, dann wippte sie auf den Fußsohlen hin und her und ranzte ein lautes »Verschisse.«

Erschrocken hob Liesel das Kind in die Höhe und roch an seinem Hinterteil.

»Ja, was denn? Hast du in die Hose gemacht, Dieterle?« Sie konnte aber nichts dergleichen feststellen und schaute Anna verunsichert an.

In diesem Moment kam Hilde in schwarzen Gummistiefeln und einem graublauen Kittel über den Hof gestapft. Ihr grauer Dutt hing ein wenig schief, und sie schnaufte schwer. Sie war hinten im Garten gewesen und hatte Stimmen gehört. Im Gegensatz zur mickrigen Anna und der fetten Elsa war Hildegard Hager von großer Statur. Massig und muskulös war sie, fast wie ein Kerl und wie geschaffen für Feld und Stall. Der Vater war einst froh drüber gewesen, denn er hatte ja nichts als nur Mädchen zustande gebracht. Hilde hatte ihn ein wenig darüber hinweggetröstet. Sie war gerne an der frischen Luft, konnte zupacken, Hühner auf dem Hackklotz erledigen und kleine Katzen im Wasserkübel ertränken.

Als Hilde nun den Kinderwagen sah, beschleunigte sie ihre Schritte. Liesel sah ihr schon neugierig entgegen und streckte Hilde zur Begrüßung die Hand entgegen. Diese zuckte jedoch zurück und wischte die dreckigen Finger verschämt an ihrem Kittel ab. Dann blickte sie lächelnd auf den Säugling in Liesels Arm. Sie machte Anstalten, ihm über den Kopf zu streichen, fuhr aber erneut zurück.

Liesel, überwältigt von dieser ehrlichen Geste der Zuneigung, legte ihr den in Decken eingewickelten Dieter kurzerhand in den Arm. Hilde verschlug es die Sprache. Langsam, ganz langsam löste sie sich aus ihrer Erstarrung, fing an zu lächeln und wiegte das Dieterle hin und her. Dieser machte das Spielchen eine Weile mit, während Anna und Elsa ihre Schwester fassungslos anstarrten. Dann, wie um der Idylle ein Ende zu bereiten, spuckte er sein gesamtes Mittagessen auf Hildes Kittel und fing vor Schreck so laut zu schreien an, dass Anna sofort ins Haus rannte, Elsa sich das Kopftuch über die Ohren zog und Hilde das Kind sofort wieder der rechtmäßigen Mutter übergab. Schnell legte Liesel den Säugling zurück in den Wagen, deckte ihn zu und verließ mit ein paar Worten der Entschuldigung panikartig den Hof.

Hilde stand noch einen Moment regungslos da, als wüsste sie nicht, was sie als Nächstes tun sollte, dann drehte sie sich zu Elsa um und schaute die Schwester verzagt an. Die saß friedlich grunzend auf der alten Steintreppe und empfahl Hilde eindringlich, sich zumindest die Schulter abzuwischen. Denn so, wie sie aussehe, sagte sie, könne man heute keinen Besuch mehr empfangen.

»Bei den Hager-Schwestern waren wir heut, gell, Dieterle?« Es war Abend, und Liesel war dabei, für Walter ein ordentliches Essen zu kochen. Sie rannte zwischen Herd, Wiege und Tisch hin und her. Walter Gehringer ließ die Zeitung sinken und sah sie ungläubig an.

»Bei den Weibsbildern da drüben?«

»Wieso?« Liesel war sofort beleidigt. »Die Elsa wollt ihn halt auch mal sehen. Und ihre Schwestern auch, gell?« Sie sah zum Dieterle, in der leisen Hoffnung, dass er ihr zustimmte. »Jedenfalls, die Ältere, die Hildegard, die war ja ganz arg mit dem Bub.«

Walter schüttelte den Kopf und zog lauthals den Rotz in den Rachen.

»Ha ja, und die Hager Anna, die hab ich ja … Wann hab ich die denn überhaupt mal g’sehn? Die sieht man ja nie, gell. Die guckt ja schon ein bisschen komisch … Wie soll ich sagen? Also in der Nacht dürft die mir halt nicht …«

»Und was schleichst du dann da drüben rum? Dein Sohn hat einen Schaden fürs Leben.«

Liesel warf erneut einen Blick in die Wiege und rührte beleidigt im Topf. »Das Dieterle hat nicht einmal geweint, gell, Bub? Also zuerst nicht. Dann hat er halt gespuckt. Auf den Kittel von der Hildegard. Alles voll halt.«

Walter sah sie entgeistert an und fing plötzlich an, keuchend in sich hineinzulachen. Liesel stellte ihm zornig den Teller hin, räumte den ihren demonstrativ wieder ab und verschwand mit Dieter im Wohnzimmer.

Auch bei den Hager-Schwestern gab es um diese Zeit Abendbrot. Elsa und Hilde hatten sich wie immer in der Küche eingefunden und warteten, bis Anna ihnen etwas zu essen hinstellte. Elsa spielte mit der Gabel und versuchte, sich mit einem alten Geschirrhandtuch einen Rest klebriger Marmelade vom Ellenbogen zu wischen. Vergeblich. Seit Jahren nahm man es mit dem Putzen nicht mehr so genau. Anna spülte das Geschirr nur, weil sie es wieder zum Kochen brauchte. Im Hause Hager hatte es auch nach seiner Erfindung nie einen Staubsauger gegeben. Die Böden wurden in immer größer werdenden Zeitabständen gewischt, die Teppiche klopfte Hilde alle paar Jahre im Hof aus. Ab und an war Waschtag, das schwere Bügeleisen jedoch hatte seit Jahren kein Tageslicht mehr erblickt.

»Einen Schädel hat der Bankert …«, murmelte Elsa und seufzte laut. Hilde fand das nicht, sie lächelte verträumt vor sich hin. Elsa schlug mit dem Kaffeelöffel auf den Tisch. »Der hat den Feind im Blick, ich sag es euch. Den Feind hat der im Blick. Das hätt unsere Mutter sofort gesehn.«

Hildegard war genervt von Elsas dummem Gerede. Anna sah zu den beiden hinüber. Wenn von der Mutter die Rede war, dann horchte sie immer ganz genau hin. Sie war gestorben, als Anna zehn Jahre alt war. Warum, das hatte sie bis heute nicht begriffen. Es war ihr nur aufgefallen, weil ihr damals, an einem Tag im August, niemand etwas zum Schälen auf den Tisch gestellt hatte. Sie hatte in der Küche auf der alten Eckbank gesessen, bei sich ihr Messerchen, aber nichts war geschehen. Vor lauter Langeweile hatte sie angefangen, kleine Vertiefungen ins Holz zu ritzen. Die Küchenuhr tickte, der Wind bewegte das kleine Küchenfenster auf und wieder zu. Eine riesige Schmeißfliege landete vor ihr auf dem Tisch, Anna fixierte sie kurz, bewunderte den schwarzblau schimmernden Körper, dann haute sie drauf, mit aller Kraft, und wischte sich die Hand an der Schürze ab. Der Fall war erledigt.

Gegen Mittag hatte es im Haus und auf dem Hof ein Riesengeschrei gegeben. Anna hatte kurz aufgehorcht, war aber wenig beeindruckt gewesen. Später erschien Elsa, setzte sich zu ihr und sagte: »Die Mutter kommt nicht mehr.«

Anna hatte sie nur angeglotzt. Lange, ohne auch nur einmal zu blinzeln. Dann war sie plötzlich aufgestanden und hatte ein zaghaftes »Verschisse« gezischt. Sie machte Feuer im Herd, holte Kartoffeln und Mohrrüben aus dem Schrank, nahm die drei Hühnerbeine aus der Kammer und fing an, das Abendessen zu kochen. Sie machte alles genauso wie die Mutter. Als sie den großen Topf auf den Tisch haute, saß Elsa immer noch fassungslos da.

»Kei Hunger?«, fragte Anna und hatte sie noch verstörter angeschaut als sonst. Der heiße Topf brannte sich ins Holz und hinterließ auf ewig einen schwarzen Fleck.

Elsa erhob sich schwerfällig, murmelte leise: »Ich komm gleich«, und verließ verwundert die Küche. An diesem Abend war keiner mehr zum Essen gekommen. Und Anna hatte sowieso keinen Hunger, sie wollte nur, dass das Kochen erledigt war. Danach war sie ins Bett gegangen.

Am nächsten Morgen schaute sie ins Wohnzimmer. Da lag die Mutter aufgebahrt und hatte die Augen zu. Elsa und Hilde saßen daneben und nestelten an ihren Rosenkranzketten. Anna guckte die Mutter an, nahm eine der Nelken und warf sie ihr ins Gesicht. Sie rief ihr ein verärgertes »Verschisse« zu und ging wieder in die Küche. Dort lächelte sie ein wenig vor sich hin, denn sie spürte, dass jetzt eine neue Zeit anbrach und sie eine wichtige Rolle einnehmen würde.

***

Seine Hände zitterten vor Wut, am liebsten hätte er die Tür eingeschlagen. Dann atmete er tief durch. Mit der flachen Hand drückte er noch einmal sanft, dann fester dagegen. Die Tür bewegte sich nicht. Er schluckte und lief geduckt an der Mauer entlang, erst nach hinten, dann zur Straße. Irgendwo musste es doch gehen. Es ging immer irgendwo.

Tuchfühlung

Es waren bereits zwei Stunden vergangen, der Menschenauflauf in der Krittergasse löste sich langsam auf. Es gab nichts Neues mehr zu erfahren, und mittlerweile wollte man es so genau auch gar nicht mehr wissen. Was würde das jetzt für ein Weihnachtsfest werden? Und wie, ja wie sollte man zukünftig überhaupt noch ruhig schlafen können? Jetzt, wo ein Mörder, eine Bestie, frei herumlief?

Plötzlich öffnete ein Polizeibeamter das Hoftor und ging auf die Menschen zu. »Meine Damen, meine Herren, ich nehme an, Sie wohnen alle in der unmittelbaren Nachbarschaft? Wir werden in den nächsten Tagen erste Befragungen durchführen. Bitte seien Sie so nett, hinterlassen Sie Namen und Adresse bei meinem Kollegen hier und halten Sie sich auch während der Feiertage bereit. Auch wenn heute Heiligabend ist, wir sind auf Ihre Mithilfe angewiesen. Und jetzt gehen Sie bitte nach Hause.«

In der stillen Hoffnung, dass bei dieser Befragung mehr zu erfahren sein würde, zogen sich alle resigniert in ihre Höhlen zurück. Der eine oder die andere machte sich vorsichtshalber schon einmal Gedanken, wer es gewesen sein könnte.

Maria Draumer wandte sich als Letzte um und lief mit hektischen kleinen Schritten die Gasse hoch nach Hause. Vergessen war der Salat, stattdessen stand ihr der Schweiß auf der Stirn, und sie zitterte leicht. Bevor sie hinter dem Hoftor verschwand, drehte sie sich noch einmal um und seufzte leise in sich hinein.

Noch am selben Nachmittag machten sich Melchinger und Wachtel auf den Weg zu Hedwig Meierle. Sie saß allein in ihrem Wohnzimmer und bemühte sich verzweifelt, einen klaren Gedanken zu fassen. Tür und Tor hatte sie verrammelt und den Fernseher ungewöhnlich laut aufgedreht, weil sie sich sonst zu Tode gefürchtet hätte. Es war der schrecklichste Heiligabend, den sie je erlebt hatte, sie zählte die Stunden, bis es endlich zur Christmette läutete. Ihre Schwester war für diese Nacht im Krankenhaus geblieben, sie war in keiner guten Verfassung, und Hedwig wusste noch nicht, wie sie die Nacht ohne sie überstehen sollte. Im ganzen Haus brannte Licht, nur der Weihnachtsbaum stand traurig und dunkel in der Ecke. Als es an der Tür schellte, schrak Hedwig zusammen, dann lief sie zum Fenster und schob vorsichtig die Gardine zur Seite. Die Polizei hatte sich ja angekündigt.

»Es tut uns sehr leid, Frau Meierle, dass wir Sie am Heiligabend noch aufsuchen, aber …« Melchinger reichte ihr zur Begrüßung die Hand. Hedwig schloss das Tor zweimal ab, steckte den Schlüssel in ihre Strickjacke und komplimentierte die beiden Beamten ins Haus.

»Heiligabend, sagen Sie? Ich sing heut keine Lieder, das können Sie mir glauben. Setzen S’ sich.«

Melchinger und Wachtel nahmen Platz. Hedwig schaltete den Fernseher aus und strich sich den Rock glatt, bevor sie sich auf dem Sessel niederließ.

»Ja, das können wir uns vorstellen«, sagte Melchinger und hustete kurz. »Frau Meierle, wir brauchen dringend ein paar Informationen zur Frau Hager. Das war Ihre Cousine, wenn ich das richtig verstanden habe? Können Sie uns etwas über sie erzählen? Oder über ihr Umfeld?«

»Umfeld, was für ein Umfeld?«, stammelte Hedwig nervös und bemühte sich redlich, Hochdeutsch zu sprechen.

»Leute, die Frau Hager gekannt haben, die sie besucht haben, mit denen sie in Kontakt gestanden hat«, erklärte Wachtel.

»In Kontakt gestanden? Die hat doch mit niemandem in Kontakt gestanden, die Anna. Das war ein verwirrter, armseliger Geist. Die hat doch niemandem was gemacht.« Hedwig schluchzte laut auf.

Wachtel schlug vor, mit den Personalien des Opfers zu beginnen. Da tat sich Hedwig allerdings schwer. Das Alter konnte sie noch ungefähr erraten, unter Vorbehalt, wie sie sagte, aber beim Geburtsdatum musste sie passen. Dass man im Hager-Haus einen Personalausweis finden würde, hielt sie für völlig ausgeschlossen, ein Stammbuch möglicherweise. »Nie abgeschlossen hat sie, die Anna, die saudumme Kuh!« Hedwig schniefte in ihr Taschentuch. »Hab ich ihr nicht jeden Tag gepredigt, sie soll das verreckte Hoftor zulassen? ›Irgendwann holt dich noch der Teufel‹, hab ich immer gesagt. Aber gemeint hab ich’s doch nicht so!«

»Das Tor war aber verschlossen, als Ihre Schwester kam«, unterbrach sie Melchinger. Hedwig sah ihn verwundert an.

»Der Herr Wurz, der hat das Tor aufgebrochen«, erklärte er ihr.

»Ah ja? Ja, wieso hat denn die Anna jetzt grad in der Nacht das Haus verrammelt?«

»Und die Fensterläden waren auch zu«, fügte Wachtel hinzu.

»Ja, das hat sie immer gemacht. Seit die Elsa, ihre Schwester, gestorben war, hat die am Abend unten die Fensterläden zugemacht. Fragen Sie mich nicht, warum.«

»Hat Ihre Cousine Kontakt zu männlichen Zeitgenossen gehabt?«

»Wie?«

»Waren da auch schon mal Männer drin?«

Hedwig zog die buschigen Augenbrauen zusammen, über ihrer Nase entstand eine tiefe Furche.

»Handwerker, Landstreicher, der Briefträger?«, half ihr Udo Wachtel.

Hedwig winkte ab und schniefte wieder. »Der Briefträger bringt das Zeugs zu uns, wir kümmern uns doch um alles. Die kann ja gar nix lesen. Glauben Sie, die hätt was lesen können? Die war doch von Geburt an … schwachsinnig. Manchmal hab ich sogar gemeint, die hört und sieht auch nix. Die hat nie mit jemandem gesprochen. Glauben Sie’s mir.«

»Aber wenn das Tor immer offen war, dann hat doch praktisch jeder Zugang gehabt«, hakte Melchinger nach.

»Ja. Ha ja, schon. Aber ich glaub halt, dass, wenn die Anna an der Tür erschienen ist, jeder wieder rückwärts raus ist. Verstehen Sie? Die war schon eine Erscheinung. Den ganzen Tag ist die doch mit ihrem Schälmesser durch die Gegend gerannt. Ich glaub nicht, dass da jemand mehr als Guten Tag und Auf Wiedersehen gesagt hätt.« Hedwig nickte voller Überzeugung.

»Und hat sie das Haus denn nie verlassen?«

»Doch, doch, doch. Zu uns ist sie gekommen. Einmal in der Woche. So geduckt ist sie immer durch die Straßen gehuscht.« Hedwig zog den Kopf ein. »Beinah gerannt ist die. Jedenfalls, die hätt da draußen nie mit einem gesprochen. Und nur, wenn die bei uns war, dann hat sie das Hoftor abgeschlossen, mein ich jedenfalls. Weil, den Schlüssel hat sie immer mitgebracht und schön neben ihren Teller gelegt.«

»Und die Nachbarschaft?«

»Die Nachbarschaft.« Hedwig schnaufte verächtlich und machte eine vielsagende Pause. »Die stehn doch jetzt nur alle dumm herum, weil was passiert ist und weil sie neugierig sind. Fragen Sie die ruhig. Da wird Ihnen keiner was über die Anna erzählen können. Und wenn, dann ist es hundertprozentig gelogen. Wenn nämlich wir uns nicht so arg um die gekümmert hätten, würd die nächstes Jahr noch da drinliegen. So sieht’s aus.« Hedwig hatte sich in Rage geredet. »Man kann auch unter vielen Menschen sehr einsam sein, meine Herren«, fügte sie mit hochgezogenen Augenbrauen hinzu.

»Aber wie hat sie sich denn versorgt?«

»Alles unsereins.« Hedwig hackte mit dem Zeigefinger auf ihren Brustkorb. »Eingekauft haben wir, gekocht hat sie selber. Die kocht schon, seit die Mutter tot ist. Die hat immer gekocht, das hat sie irgendwie können. So saudumm war sie dann halt auch wieder nicht«, sagte Hedwig nachdenklich, als würde ihr das erst jetzt bewusst. »Ich weiß ja nicht, ob das, was die da fabriziert hat, geschmeckt hat. Ich hab da ja nix … Aber ihre zwei Schwestern, Gott hab sie selig, die hat sie immer versorgt. Und so fett, wie die Elsa war …«, Hedwig machte eine ausschweifende Handbewegung um ihre Hüften, »muss es ja geschmeckt haben, verstehn Sie?«

Wachtel verstand. Und auch wieder nicht. »Ein geistig zurückgebliebener Mensch, der kocht und den Haushalt führt? Merkwürdig.«

»Den Haushalt führt? Sie waren doch da drin. Herrschaft’s noch mal, das war doch kein Haushalt, kein geführter. Wenn, dann waren doch wir diejenigen, die geputzt haben. Wir haben die Anna alle paar Wochen in den Bottich mit warmem Wasser gesetzt und gewaschen und frisiert. Wir …« Hedwig haute sich erneut den Zeigefinger zwischen die Brüste.

»Wann waren Sie das letzte Mal bei ihr?«, unterbrach sie Melchinger.

»Gestern. Dass sie zum Fest einigermaßen anständig aussieht. Und halt nicht so stinkt.«

»Ist Ihnen etwas aufgefallen?«

»Nix.«

»Hat sie was erzählt, jemanden erwähnt, war sie irgendwie anders als sonst?«

»Nä, die Anna erzählt nix. Die sagt nur was, wenn sie gefragt wird. Und dann auch nicht immer.« Hedwig dachte nach. »›Verschisse‹ hat sie immer gesagt. Zu allem und jedem. Verschisse halt.«

Um wenigstens irgendwas zu haben, notierte sich Wachtel »Verschisse« in sein kleines Buch, klappte es dann aber gleich wieder zu.

»Ein Teller hat da gestanden«, sagte Hedwig plötzlich und legte vor Anstrengung die Stirn in Falten. »Ein Teller von einem sehr vornehmen Service. ›Wilde Rose‹ … mit rosa Blüten, das werden Sie ja kennen. Von wem der ist, hab ich sie schon vor Wochen gefragt. ›Verschisse‹ hat sie gesagt und die ganze Zeit ihr Messer über den Wetzstein gezogen. Ich seh sie noch vor mir.« Hedwig schluchzte wieder auf. »Ich hab mir dann ja auch keine Gedanken mehr darüber gemacht. Was weiß ich, wo die den hergehabt hat. Was red ich überhaupt …«

»Das heißt, es war jemand zu Besuch?«, fasste Melchinger noch einmal nach.

»Besuch?« Hedwig kräuselte die Lippen. »Wer soll die denn …? Tja. Ja, also von uns war der Teller halt nicht. So was Vornehmes gibt’s bei uns nicht, Herr Kommissar.«

DAVOR

Es war wie verhext gewesen an diesem Tag. Draußen regnete es in Strömen, und Liesel hatte die Nachricht erhalten, dass es ihrer Mutter sehr schlecht ging, sie war ins Krankenhaus eingeliefert worden. Walter war bei der Arbeit, und so rannte sie mit Dieter von Pontius zu Pilatus, keiner hatte Zeit. Liesel wurde immer nervöser, sie musste zum Zug. Als sie verzweifelt auf der Straße stand, da tauchte plötzlich Elsa Hager mit einem alten schwarzen Regenschirm am Hoftor auf, auch das schlechteste Wetter konnte sie nicht davon abhalten, nach dem Rechten zu sehen. Neugierig beobachtete sie Liesel. »Kann man helfen?«, fragte sie mit heiserer Stimme.

Liesel drehte sich zu ihr um.

»Ja, ähm, nein, ich … Es ist wie verhext. Die Mutter ist im Krankenhaus, und ich find keinen für den Kleinen.« Sie war den Tränen nahe.

»Kommen S’ her, die Hilde … die Hilde hat ihn doch so gern«, drängte Elsa und winkte sie zu sich. Liesel zögerte, dann fiel ihr ein, wie liebevoll Hilde den Säugling einst in den Armen gehalten und sich sogar, als er spuckte, nicht sonderlich ereifert hatte. Eilig holte sie die Sachen vom Dieterle und gab ihren Sohn kurzerhand in die Obhut der Hager-Schwestern.

Es war Adventszeit. Anna stand in der Küche und trocknete mit einer frischen Windel, welche Liesel Elsa mitgegeben hatte, das Geschirr ab. Im Wohnzimmer hörte man das Holz im Ofen knarzen, und die Kerze auf der Anrichte verbreitete ein diffuses Licht. Seit über einer halben Stunde schon hockte das Dieterle auf dem alten, abgewetzten Sofa, hatte zwei Kissen im Kreuz und spielte angestrengt mit einer Socke, die ihm Hilde gegeben hatte. Sie selbst saß verzückt daneben, strich ihm immer wieder über den Kopf und herzte ihn mit Leib und Seele. Mit Wehmut dachte sie an die Zeit zurück, als sie noch jung gewesen war und heimlich davon träumte, ein Mannsbild würde sie zur Frau nehmen und Kinder mit ihr haben. Hätte Elsa nicht immer dazwischengefunkt, hätte es damals auch geklappt.

Sie war sechsundzwanzig gewesen und brachte ab und an dreißig Eier zum Ehrenberger Weingut. Die Ehrenbergers waren gut betucht und sehr bequem. Sie ließen sich gerne etwas bringen und bezahlten auch dafür.

An einem Samstagnachmittag traf sie im Hof des Weingutes auf den Ranzmann Georg. Er war dabei, den Traktor zu reparieren, als er Hilde entdeckte und sie in ein Gespräch verwickelte. Ein wenig dicklich war er und hatte auch nicht mehr allzu viele Haare auf dem Kopf. Auch schielte er ein bisschen, aber all das störte sie nicht, denn sie war von der Tatsache, dass sich ein Mannsbild für sie interessierte, so angetan, dass sie über jedweden Mangel großzügig hinwegsah.