Der Tod des Tizian. Idylle. Zwei Dichtungen - Hugo von Hofmannsthal - E-Book

Der Tod des Tizian. Idylle. Zwei Dichtungen E-Book

Hugo von Hofmannsthal

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Beschreibung

Der Tod des Tizian. Idylle. Zwei Dichtungen - Hugo von Hofmannsthal - Der Prolog, ein Page, tritt zwischen dem Vorhang hervor, grüßt artig, setzt sich auf die Rampe und läßt die Beine (er trägt rosa Seidenstrümpfe und mattgelbe Schuhe) ins Orchester hängen. Das Stück, ihr klugen Herrn und hübschen Damen, Das sie heut abend vor euch spielen wollen, Hab ich gelesen. Mein Freund, der Dichter, hat mirs selbst gegeben. Ich stieg einmal die große Treppe nieder In unserm Schloß, da hängen alte Bilder Mit schönen Wappen, klingenden Devisen, Bei denen mir so viel Gedanken kommen Und eine Trunkenheit von fremden Dingen, Daß mir zuweilen ist, als müßt ich weinen ... Da blieb ich stehn bei des Infanten Bild Er ist sehr jung und blaß und früh verstorben ... Ich seh ihm ähnlich sagen sie und drum Lieb ich ihn auch und bleib dort immer stehn Und ziehe meinen Dolch und seh ihn an Und lächle trüb: denn so ist er gemalt: Traurig und lächelnd und mit einem Dolch ... Und wenn es ringsum still und dämmrig ist, So träum ich dann, ich wäre der Infant, Der längst verstorbne traurige Infant ... Da schreckt mich auf ein leises, leichtes Gehen, Und aus dem Erker tritt mein Freund, der Dichter. Und küßt mich seltsam lächelnd auf die Stirn Und sagt, und beinah ernst ist seine Stimme: Schauspieler deiner selbstgeschaffnen Träume, Ich weiß, mein Freund, daß sie dich Lügner nennen Und dich verachten, die dich nicht verstehen, Doch ich versteh dich, o mein Zwillingsbruder. Und seltsam lächelnd ging er leise fort, Und später hat er mir sein Stück geschenkt. Mir hats gefallen, zwar ists nicht so hübsch Wie Lieder, die das Volk im Sommer singt, Wie hübsche Frauen, wie ein Kind, das lacht, Und wie Jasmin in einer Delfter Vase ... Doch mir gefällts, weils ähnlich ist wie ich: Vom jungen Ahnen hat es seine Farben Und hat den Schmelz der ungelebten Dinge; Altkluger Weisheit voll und frühen Zweifels, Mit einer großen Sehnsucht doch, die fragt. Wie man zuweilen beim Vorübergehen Von einem Köpfchen das Profil erhascht, Sie lehnt kokett verborgen in der Sänfte, Man kennt sie nicht, man hat sie kaum gesehen (Wer weiß, man hätte sie vielleicht geliebt, Wer weiß, man kennt sie nicht und liebt sie doch) Inzwischen malt man sich in hellen Träumen Die Sänfte aus, die hübsche weiße Sänfte, Und drinnen duftig zwischen rosa Seide Das blonde Köpfchen, kaum im Flug gesehn, Vielleicht ganz falsch, was tuts ... die Seele wills ...

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Hugo von Hofmannsthal
Der Tod des Tizian. Idylle. Zwei Dichtungen

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Der Tod des Tizian

Bruchstück. 1892

Dramatis Personae

Der Prolog, ein Page

Filippo Pomponio Vecellio, genannt Tizianello, des Meisters Sohn

Giocondo

Desiderio

Gianino (er ist 16 Jahre alt und sehr schön)

Batista

Antonio

Paris

Lavinia, eine Tochter des Meisters

Cassandra

Lisa

Spielt im Jahre 1576, da Tizian neunundneunzigjährig starb. Die Szene ist auf der Terrasse von Tizians Villa, nahe bei Venedig.

Prolog

Der Prolog, ein Page, tritt zwischen dem Vorhang hervor, grüßt artig, setzt sich auf die Rampe und läßt die Beine (er trägt rosa Seidenstrümpfe und mattgelbe Schuhe) ins Orchester hängen.

Das Stück, ihr klugen Herrn und hübschen Damen,

Das sie heut abend vor euch spielen wollen,

Hab ich gelesen.

Mein Freund, der Dichter, hat mirs selbst gegeben.

Ich stieg einmal die große Treppe nieder

In unserm Schloß, da hängen alte Bilder

Mit schönen Wappen, klingenden Devisen,

Bei denen mir so viel Gedanken kommen

Und eine Trunkenheit von fremden Dingen,

Daß mir zuweilen ist, als müßt ich weinen ...

Da blieb ich stehn bei des Infanten Bild –

Er ist sehr jung und blaß und früh verstorben ...

Ich seh ihm ähnlich – sagen sie – und drum

Lieb ich ihn auch und bleib dort immer stehn

Und ziehe meinen Dolch und seh ihn an

Und lächle trüb: denn so ist er gemalt:

Traurig und lächelnd und mit einem Dolch ...

Und wenn es ringsum still und dämmrig ist,

So träum ich dann, ich wäre der Infant,

Der längst verstorbne traurige Infant ...

Da schreckt mich auf ein leises, leichtes Gehen,

Und aus dem Erker tritt mein Freund, der Dichter.

Und küßt mich seltsam lächelnd auf die Stirn

Und sagt, und beinah ernst ist seine Stimme:

„Schauspieler deiner selbstgeschaffnen Träume,

Ich weiß, mein Freund, daß sie dich Lügner nennen

Und dich verachten, die dich nicht verstehen,

Doch ich versteh dich, o mein Zwillingsbruder.“

Und seltsam lächelnd ging er leise fort,

Und später hat er mir sein Stück geschenkt.

Mir hats gefallen, zwar ists nicht so hübsch

Wie Lieder, die das Volk im Sommer singt,

Wie hübsche Frauen, wie ein Kind, das lacht,

Und wie Jasmin in einer Delfter Vase ...

Doch mir gefällts, weils ähnlich ist wie ich:

Vom jungen Ahnen hat es seine Farben

Und hat den Schmelz der ungelebten Dinge;

Altkluger Weisheit voll und frühen Zweifels,

Mit einer großen Sehnsucht doch, die fragt.

Wie man zuweilen beim Vorübergehen

Von einem Köpfchen das Profil erhascht, –

Sie lehnt kokett verborgen in der Sänfte,

Man kennt sie nicht, man hat sie kaum gesehen

(Wer weiß, man hätte sie vielleicht geliebt,

Wer weiß, man kennt sie nicht und liebt sie doch) –

Inzwischen malt man sich in hellen Träumen

Die Sänfte aus, die hübsche weiße Sänfte,