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Mit 16 ist Lisas bisheriges Leben vorbei: Ihre Organe drohen zu versagen, sie hat weit fortgeschrittene Leukämie. Kurz nach der Diagnose beginnt Lisa die Chemotherapie, darauf folgen ein Jahr mit Krankenhausaufenthalten und Schmerzen. Während dieser Zeit setzt sie sich notgedrungen mit dem eigenen Sterben auseinander - und hört trotz allem niemals auf, an ihre Zukunft zu glauben.
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Seitenzahl: 170
Lisa-Marie Huber
In Zusammenarbeit mit Veronika Vattrodt
Der Tod kriegt mich nicht
Mein Leben mit der Leukämie
In dieser Reihe außerdem erschienen:Ela Aslan: Plötzlich war ich im Schatten.Mein Leben als Illegale in Deutschland Bader/Braun/Sailer/Schober/Schreiber/Sellmaier: Die Schüler vonWinnenden.Unser Leben nach dem Amoklauf Christina Helmis: Mein Lollimädchen-Ich.Mein Leben mit der Magersucht Julia Kristin: Online fühle ich mich frei.Mein Leben im Netz Josephine Opitz: Auf dem Laufsteg bin ich schwerelos.Mein Leben als Model im Rollstuhl Angela S.: Dann bin ich seelenruhig.Mein Leben als Ritzerin Mihrali Simsek: Mit 18 mein Sturz.Mein Leben im Gefängnis Sabrina Tophofen: So lange bin ich vogelfrei.Mein Leben als Straßenkind
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1. Auflage 2013 ©2013 Arena Verlag GmbH, Würzburg Alle Rechte vorbehalten Alle Fotos im Innenteil: ©privat Einbandgestaltung: Frauke Schneider, unter Verwendung eines Fotos von ©Peter Frank ISBN 978-3-401-80379-1
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Inhaltsverzeichnis
Prolog
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
Epilog
Danke
Prolog
Hab ich geschlafen?!«
Verwirrt drehe ich den Kopf, mein Vater sitzt neben dem Bett, auf dem Nachttisch erkenne ich die Umrisse von ein paar leeren Dosen Red Bull. Wie lange sitzt er da schon?
Sofort beugt er sich zu mir. »Nein, Lisa, du hast nur ein paar Minuten gedöst.«
Um mich herum piepsen die Überwachungsgeräte, aus meinem Brovi an der Brust kommen zwei Infusionsschläuche, an meinem Finger hängt ein Sauerstoffmesser und auf meiner Brust kleben Elektroden.
Irgendwie fühle ich meinen Körper nicht mehr richtig, nur ab und zu schießt ein schreiender Schmerz durch ihn hindurch. Und plötzlich überkommt mich die Gewissheit: Das war noch nicht alles. Da kommt noch ein richtiges Tief auf mich zu. Scheiße, da kommt noch was!
Unruhig und unangenehm benebelt versuche ich, mich an den Augen meines Vaters festzuhalten, in ihnen den Mut und die Sicherheit zu finden, die ich vor lauter Erschöpfung und Schmerzen nicht mehr aufbringen kann.
Ganz langsam füllen sich seine Augen mit Tränen. Ich taste mit meinen Fingern, die sich seltsam taub anfühlen, nach seiner Hand.
»Du darfst jetzt nicht weinen, weil ich jetzt auch nicht weinen darf.« Meine Stimme ist nicht mehr als ein raues Krächzen.
Seine Hand umschließt vorsichtig meine kalten Finger und ich spüre seine Wärme. Er schnieft und richtet sich auf dem unbequemen Krankenhausstuhl auf. »Ich wein doch gar nicht. Ich hab nur was im Auge.« Und wie zur Bestätigung reibt er sich heftig über die Lider. Dann versucht er ein schiefes Grinsen. Wenn ich die Kraft hätte, würde ich jetzt lachen, so schrecklich misslingt ihm dieser Versuch.
Und dann, ohne jegliche Vorwarnung, bricht eine total heftige Übelkeitswelle über mir zusammen und ich fange an zu würgen. Im selben Moment beginnen die Überwachungsgeräte alarmiert zu piepen. Sofort hilft mein Vater mir, mich aufzurichten. Mein Rücken fühlt sich an, als ob er in Stücke brechen wollte, und mein Magen krampft sich so schmerzhaft zusammen, dass mir die Luft wegbleibt.
Oh, oh! Das hier läuft nicht gut. Das läuft hier überhaupt nicht gut!
Hektisch greife ich nach dem Notfallknopf, und bevor mein Vater reagieren kann, schreie ich schon heiser in die Gegensprechanlage: »Es ist nicht mehr gut. Es geht nicht mehr. Ich krieg keine Luft mehr! Hilfe!«
Die Zimmertür wird aufgerissen, das grelle Licht der Flurbeleuchtung fällt wie ein Spot auf mein Bett. Dany, meine Lieblingsschwester, beugt sich über mich.
»Lisa, was ist los?«
»Keine Luft … krieg keine Luft mehr!« Ich hechle panisch, während grelle Sterne durch mein Gesichtsfeld flitzen. Ich hab so eine Angst, ich muss unbedingt die Augen offen halten, bei Bewusstsein bleiben, die Kontrolle behalten.
Ärzte beugen sich über mich, jemand rollt mich in die stabile Seitenlage. Überall Hände, die mich anfassen, meinen Blutdruck messen, ruhige und konzentrierte Stimmen, die Anweisungen geben. Ich erkenne meine Ärztin Frau Dr. Kallen und den Chefarzt der Klinik, die ein paar Schritte von meinem Bett entfernt miteinander reden und mich dabei keine Sekunde aus den Augen lassen. Mein Vater wird von einer Schwester nach draußen gebracht. Bevor er geht, schaut er mich an, seine Augen quellen über vor Liebe und Sorge und in mir drin zerreißt etwas in Stücke. Das ist das Schlimmste überhaupt – den Schmerz in den Augen meiner Eltern zu sehen, das halte ich kaum aus. Denn dann wird das alles hier plötzlich Wirklichkeit.
Ich zucke zusammen, als das kalte Gleitgel des Ultraschallgeräts meine Bauchdecke berührt. Ein Arzt drückt meinen Arm. »Lisa, bist du noch bei uns? Wie oft hast du dich übergeben?«
Ich versuche, den Arzt mit meinen Augen zu fokussieren, um ihn scharf zu sehen. Es ist der Chefarzt der Klinik.
»Keine Ahnung. Vielleicht fünf, sechs Mal.«
»Aha, gut.«
Es ist fast gespenstisch ruhig im Raum, obwohl so viele Menschen hier sind. Meine Augen fangen wieder an zu flattern, alles verschwimmt und ich spüre erneut, wie mir von einer Sekunde auf die andere speiübel wird.
Oh Gott, ich kann nicht mehr. Aber ich will noch nicht sterben – meine Eltern, Anja, alles schießt mir gleichzeitig durch den Kopf.
Nicht jetzt. Nicht auf dem letzten Stück, ich hab’s doch schon fast geschafft!
»Lisa, bist du noch hier? Lisa – kannst du mich noch hören?«
Mit letzter Kraft schaue ich den Arzt böse an und nuschele: »Ich bin noch hier, aber Sie müssen sich beeilen, lange kann ich das nicht mehr halten.«
Dann kann ich nichts mehr sehen, obwohl ich meine Augen offen habe. Alles wird schwarz.
Scheiße. Ich glaube, ich sterbe jetzt.
1. Kapitel
Drei Dinge, die ich mir geschworen habe:
1. Wenn meine Schwester Anja auf die Welt kommt, geht’s mir so gut, dass ich sie sehen darf und im Arm halten kann.
2. Wenn Tim seinen Abiball hat, will ich wieder stehen können und ihn begleiten.
3. Meinen siebzehnten Geburtstag will ich mit meiner Familie und meinen Freunden zusammen feiern können.
Ich bin Lisa und sechzehn Jahre alt. Vor einem Jahr sah ich noch so aus: zierlich, lange, dicke braune Haare, dunkle, lebhafte Augen, die frech und selbstbewusst aufblitzen konnten, dichte Wimpern und ausdrucksstarke Augenbrauen. Ich fand mich echt hübsch und hab mich wohlgefühlt mit mir und meinem Körper.
Ich hatte seit anderthalb Jahren einen festen Freund – Tim. Er war zwei Jahre älter als ich und bereitete sich auf sein Abi an derselben Schule vor, auf die ich auch ging. Ich will niemanden mit Details langweilen, deshalb in aller Kürze: Es war kein Blitzeinschlag, keine Liebe auf den ersten Blick. Ich habe mich Stück für Stück in ihn verliebt, er war wirklich sehr nett, hat mich zu nichts gedrängt und konnte total witzig sein. Und verdammt gut aussehen tat er auch noch. Er war zwar manchmal etwas wehleidig und ganz schön auf sich bezogen, aber als verliebte Vierzehnjährige, die fit und gesund durchs Leben springt, war es einfach, darüber hinwegzusehen.
Ich war kein Superstar in meinem Jahrgang, kein Mädchen, das die ganze Schule kennt. Ich war aber auch kein Außenseiter, sondern fest integriert. Meine beiden Freundinnen Lea und Jassi waren mit mir in derselben Stufe.
Meine Familie war mir immer schon sehr wichtig. Meine Mutter hat meinen Adoptivvater geheiratet, da war ich zehn Jahre alt. Marcel ist toll, ich kenne ihn, seit ich fünf Jahre alt bin, und für mich ist er mein eigentlicher Vater. Als ich elf Jahre alt wurde, hat Marcel mich dann, mit dem Einverständnis meines leiblichen Vaters, adoptiert. Marcel ist mein Leben lang immer für mich da gewesen, egal, wie schlimm es auch wurde. Ich könnte mir keinen liebevolleren und besseren Vater vorstellen. Und dann gibt es noch meine kleine Schwester Anja. Und einen ganzen Haufen Hunde – Golden Retriever, die meine Eltern züchten.
Aber schon als Kind war da etwas. Immer mal wieder spürte ich eine ganz tiefe Angst, ein Wissen, dass irgendwas mit mir nicht stimmte, dass ich mal schwer krank werden würde. Irgendwann, da war ich vielleicht so elf, zwölf Jahre alt, lief im Fernsehen ein Spielfilm über ein Mädchen, das an Leukämie stirbt und vorher noch ihre Wunschliste abarbeiten will.
So eine Scheiße!, schoss es mir durch den Kopf. Völlig aus dem Nichts spürte ich auf einmal: Das ist es, was mich mal erwartet.
Das war grausam. Ich saß stocksteif auf dem Sofa und versuchte mit aller Kraft, dieses Gefühl zu verdrängen, es wegzuschieben. Ich musste ja wohl einen Vollschatten haben, wenn ich glaubte, so was wissen zu können. Damit beschwor ich es ja geradezu herauf. Ich hab mich für total gaga gehalten.
In meiner Not habe ich meiner Mutter von diesem Gefühl erzählt.
»Mach dich mal nicht verrückt, Lisa. Du hast viel Fantasie und gerade diesen Film geguckt. Du bist vollkommen gesund.«
Ich wollte ihr so gerne glauben, auch wenn ich tief in mir drin wusste, dass ich schon lange vor diesem Film das sichere Gefühl hatte, dass da noch was auf mich zukommt …
Dann habe ich lange Zeit versucht, nicht mehr daran zu denken, hab ganz normal weitergelebt – was sollte ich auch machen? Aber sobald ich Verletzungen hatte oder mich mal krank fühlte wegen eines dicken Schnupfens, kam diese tiefe Angst wieder hochgekrochen und ich bin sofort zum Arzt gerannt. Ich wusste ja nicht, woran ich merken könnte, dass ich Leukämie habe. Und jedes Mal, wenn ich beim Arzt saß, hatte ich einfach nur Bammel, dass ich doch nicht spinne und recht behalten würde.
Dementsprechend hielten mich meine Eltern und meine Freunde irgendwann für einen Hypochonder, jemanden, der sich in jedes Wehwehchen hineinsteigert. Meine Freundin Lea hat ihre Witze darüber gemacht und oft habe ich mitgelacht und mir zutiefst gewünscht, dass ich tatsächlich einfach nur mit einer blühenden Fantasie gesegnet bin.
Alles in allem habe ich wirklich einen gesunden Körper gehabt. Ich habe gesund gegessen, keinen Mist mit meinem Körper angestellt und viel Sport gemacht. Ein Jahr vor der Diagnose hat unser Hausarzt mein Blut gecheckt – alles bestens! Mir ging’s auch echt gut.
Aber dann in dem Jahr hat sich diese Krankheit in meinem Körper entwickelt. Weshalb, kann mir keiner sagen, man weiß bislang noch nicht genau, wie Leukämie entsteht.
Es fing an, als ich mit Lea auf einem Katy-Perry–Konzert war. Eigentlich war ich genauso fit wie Lea. Aber an dem Abend bin ich einfach zusammengeklappt und mir ging’s echt dreckig. Ich bin raus aus der Halle, musste mich hinsetzen und was trinken. Hab noch zu Lea gesagt, dass ich überhaupt nicht wüsste, was los sei, dass ich einfach nicht mehr könne. Und obwohl ich die ganze Zeit so hinterher war, habe ich mir zunächst überhaupt nichts dabei gedacht.
Danach wurde es wieder besser, nur extreme Sachen gingen nicht mehr. Ich hab echt gedacht, dass ich zu untrainiert wäre, und hab dementsprechend noch mehr Ausdauersport gemacht. Aber trotzdem wurde ich immer schlapper und kurzatmiger. Schulsport (wo ich sonst immer mindestens eine Zwei hatte) war plötzlich voll der Horror. Lea hat mich oft vom Spielfeld gebracht und mir immer wieder gesagt, dass irgendwas nicht stimme mit mir.
Meine Eltern fingen an, sich ernsthaft Sorgen um mich zu machen. Meine Mutter ist mit mir zum Arzt, und als wir im Wartezimmer saßen, kam diese alte Angst wieder hoch und ich wusste einfach, dass jetzt was richtig Blödes kommt.
Der Arzt war sich nach der Untersuchung ganz sicher: »Ihre Tochter hat Asthma und wird in Zukunft immer ein Kortisonnotfallspray mit dabeihaben müssen.«
Ich konnte mir das zwar beim besten Willen nicht vorstellen, wollte es aber nur zu gern glauben. Versuch ich’s halt, dachte ich erleichtert, der Arzt muss es ja wissen. Außerdem war Sommer, überall flogen Pollen durch die Luft und meine Beschwerden passten genau zum Krankheitsbild, das durch Asthma hervorgerufen wurde.
In den nächsten Wochen wurde es mit meiner Kurzatmigkeit immer schlimmer. Unsere Schule liegt oben auf einem Berg. Den mit dem Fahrrad hochzuradeln, hatte ich schon vor einiger Zeit aufgegeben. Aber auch zu Fuß hatte ich an manchen Tagen Schwierigkeiten, musste Pausen einlegen und kam schweißgebadet in der Schule an. Hab ein paar Mal zu Hause mit meinen Eltern Stress gekriegt, weil das Spray nur dann half, wenn ich es regelmäßig benutzte. Was hab ich mir in diesen Wochen Kortison in die Lungen gepumpt!
An meinem sechzehnten Geburtstag wollte ich mit Lea und Jassi ins Phantasialand, das hatten wir schon ewig geplant und wir freuten uns total darauf. Die Sonne schien, es war warm, und sobald wir bezahlt hatten, zogen mich Lea und Jassi zu so einem Doppelüberschlagshorrorkarussell.
Ich hatte mich schon fast daran gewöhnt, dass ich mich oft schlapp und schlecht fühlte. Aber gerade heute hatte ich schon etliche Male das Asthmaspray benutzen müssen, weil ich so schlecht Luft bekam.
»Oh nein! Ohne mich, Leute, da kriegen mich heute keine zehn Pferde rein!«
Lea und Jassi wussten, dass ich bei so was ein echter Schisser bin, und versuchten, mich aus der Reserve zu locken.
»Los, Lisa, du alter Angsthase! Mit sechzehn wird alles anders. Bitte, bitte! Wir nehmen dich auch zwischen uns.«
Das war die schlimmste Karussellfahrt meines Lebens – ich hab Sternchen gesehen und immer wieder gedacht: Jetzt muss ich brechen vor lauter Hoch und Runter, Vor und Zurück.
Danach ging’s mir echt bescheiden und ich kämpfte mit aller Kraft, um auf den Beinen zu bleiben. Aber ich hatte mich so verdammt auf diesen Tag mit meinen Freundinnen gefreut, da würde ich jetzt ganz bestimmt nicht wegen so ’nem bisschen Asthma schlappmachen.
Ich biss die Zähne zusammen und versicherte Lea und Jassi nachdrücklich, dass es mir gut ginge, ich aber lieber unten auf sie warten würde. Wieder und wieder bat ich sie, doch in dieses oder jenes Karussell zu steigen, auch ohne mich. Schließlich gaben die beiden auf, und nachdem Lea mich mit einer Cola versorgt hatte, hüpften sie ins nächste Mörderkarussell. Irgendwann kamen wir bei einem Fotografen vorbei und spontan gingen wir hinein und ließen uns in irgendwelchen Westernkostümen fotografieren. Der Fotograf machte noch eine witzige Bemerkung, dass ich ja wohl, so kalkweiß, wie ich aussehen würde, schon zu viel Karussell gefahren wäre. Als wir raus ins grelle Sonnelicht traten, merkte ich, dass mich Lea und Jassi prüfend ansahen.
»Was?! Was ist denn?«
Lea betrachtete mich, als ob sie mich seit Langem das erste Mal wiedersehen würden. »Du siehst wirklich verdammt scheiße aus, Lisa. Durch deine Haut kann man fast durchgucken und deine Augenränder machen jedem Vampir Konkurrenz.«
»Wisst ihr, was?«, mischte sich Jassi schnell ein, noch bevor ich eine scharfe Bemerkung zurückschießen konnte. »Ich hab mordsmäßigen Hunger. Wollen wir uns nicht was Nettes suchen, wo wir uns gemütlich hinsetzen können?«
Lea verstand den Wink, und ohne meine Antwort abzuwarten, hakten mich die beiden unter und wir suchten uns ein ruhiges Plätzchen. Wir quatschten, lachten und aßen dabei leckere Pizza und keine der beiden sprach das Thema noch mal an. Als ich nach diesem tollen Tag total erschöpft, aber glücklich im Bett lag, musste ich breit grinsen, weil es sich einfach wunderbar anfühlte, zwei so tolle Freundinnen zu haben.
2. Kapitel
»Ich wusste spätestens nach ihrem Geburtstag, dass es Lisa total beschissen geht. Als wir mal Sport im Freibad hatten, konnte sie irgendwann auf dem Weg dorthin nicht mehr. Wir haben da am Straßenrand gesessen, bis ich Lisa huckepack weitergetragen habe. Da hab ich ganz deutlich gefühlt, jetzt stimmt irgendwas nicht mehr. Aber dass sie schwerstkrank sein könnte, das habe ich mir gar nicht vorstellen können.«
(Lea, Lisas Freundin)
Der nächste Tag war ein Sonntag und Tim kam zu mir. Ich war mit Seitenstechen aufgewacht, scheinbar hatte ich mich irgendwie im Schlaf verlegen. Wir lagen faul oben in meinem Zimmer herum, hörten Musik. Außer meinem sechzehnten Geburtstag gab es noch etwas zu feiern – meine Mutter war schwanger! Fast schüchtern hatten sie und Marcel mir am Morgen die frohe Nachricht verkündet. Ich freute mich wahnsinnig für sie und konnte es kaum erwarten, endlich eine kleine Schwester oder einen Bruder durch die Gegend zu tragen.
Abends bestellten meine Eltern dann zur Feier des Tages für uns alle was bei der Pizzeria. Ich hatte mir meinen Lieblingssalat gewünscht, auf den ich mich schon den ganzen Tag freute – ich liebe den einfach.
Tim und ich gingen zu meinen Eltern in die Küche runter. Beim Treppensteigen erschrak ich total, so doll tat mir auf einmal meine Seite wieder weh. Beim Essen unterhielt Tim sich mit meinen Eltern, während ich vor meinem köstlich aussehenden Salat saß und immer verzweifelter in ihm rumstocherte. Was war bloß los mit mir? Jule, meine junge Golden-Retriever-Hündin, legte ihren weichen, schweren Kopf auf mein Knie und schaute mich mit ihren Hundeaugen an. Sie hatte sich unter den Tisch geschlichen, obwohl sie das nicht durfte, aber anscheinend spürte sie, dass etwas mit mir nicht stimmte.
Tim schlang seine Pizza runter und stand auf. »Ich muss jetzt los, schreib ja übermorgen meine Matheklausur. Danke für die Pizza.«
Er drückte mir einen schnellen Kuss auf die Wange und weg war er.
Meine Mutter hatte mir schon beim Essen immer wieder heimliche Blicke zugeworfen. Jetzt stand sie auf und räumte den Tisch ab. »Was ist denn los mit dir, Lisa? Du isst ja gar nichts. Und blass bist du heute auch. Habt ihr euch gestritten?«
Ich holte tief Luft, um etwas Zeit zu gewinnen – ja, was war hier eigentlich los?
Das mit dem Luftholen hätte ich lieber sein lassen sollen, denn auf einmal schoss ein so starker Schmerz durch meine Seite, dass ich aufstöhnte und mich zusammenkrümmte. Jule jaulte leise und drängte sich noch näher an mich.
Meine Mutter war sofort bei mir und fing mich auf, sonst wär ich einfach so vom Stuhl gefallen.
»Marcel, schnell. Hol das Asthmaspray aus Lisas Zimmer!«
Nach wenigen Sekunden kam mein Vater polternd die Treppe wieder runter.
Als ob in meinem Körper irgendein Damm gebrochen wäre, rasten jetzt immer wieder wellenartige Schmerzen durch mich durch und meine Eltern trugen mich zu zweit rüber aufs Sofa.
Nachdem meine Mutter bei mir die Temperatur gemessen hatte, beschloss sie: »Wir fahren jetzt ins Krankenhaus, du hast Fieber.«
Das war eine der schlimmsten Autofahrten meines Lebens – ich hatte solche verdammten Schmerzen in der Seite. Es fühlte sich an, als ob irgendwas in mir drin explodieren würde. Und mir blieb immer mehr die Luft weg, wie einem Fisch auf dem Trockenen.
Meine Mutter fuhr und ich saß auf dem Beifahrersitz, mein Vater musste wegen der Hunde daheim bleiben, wir hatten sechs kleine Welpen, die versorgt werden mussten. Als ich Mamas sorgenvoll zusammengepresste Lippen sah, da wusste ich plötzlich: Ich fahre jetzt ins Krankenhaus und werde da so schnell nicht wieder rauskommen.
Die Notaufnahme war gut gefüllt, und als meine Mutter hektisch meine Symptome beschrieb, betrachtete mich die Schwester und stellte fest: »Sie hat sich wohl einen Hexenschuss zugezogen oder eine Rippe geprellt.«
Das war’s. Wir wurden aufgefordert, uns ins Wartezimmer zu setzen. Langsam kroch Panik in mir hoch – die würden mich doch wohl nicht vor ihren Augen krepieren lassen?!
Ich versuchte, mich gerade aufzurichten, sah aber immer noch aus wie ein kleines, buckliges Männlein.
»Behandeln Sie mich jetzt vielleicht mal? Hallo! Ich krieg keine Luft mehr!« Und wie zur Bestätigung sackten mir nach dieser Kraftanstrengung die Beine weg und ich fing an zu hyperventilieren.
Noch immer unwillig, jetzt aber gezwungen zu reagieren, half mir die Schwester zusammen mit meiner Mutter auf eine Behandlungsliege in einem der Untersuchungszimmer.
»Du kriegst keine Luft mehr, weil du hyperventilierst, das ist der Grund.«
Fassungslos und wütend starrte ich sie an – was glaubte sie denn, warum ich das tat? Aus lauter Spaß an der Freude oder was?
Wenn ich in dem Moment in meinen Körper hätte reinschauen können, dann hätte ich sie angeschrien, dass ich tatsächlich keine Luft mehr kriegte, weil mein Blut den Sauerstoff aus den Lungen nicht mehr richtig aufnehmen konnte, weshalb meine Organe kaum mehr mit Sauerstoff versorgt wurden – ich erstickte gerade innerlich, Stück für Stück.
Aber so schossen mir vor lauter Hilflosigkeit, Schmerzen und Angst nur die Tränen in die Augen, während sie in meine Vene stach, um mir Blut abzunehmen. Ich konnte ihr ansehen, dass sie mich jetzt vollends für eine Memme hielt, für einen wehleidigen Teenie.