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Magisterarbeit aus dem Jahr 1998 im Fachbereich Anglistik - Kultur und Landeskunde, Note: 1,7, Ruhr-Universität Bochum (Englisches Seminar), Sprache: Deutsch, Abstract: Sex, Drogen, Gewalt, Teufelsanbetung, Selbstmord – die Liste dessen, was dem Heavy Rock seinen heutigen Ruf eingebracht hat, ist lang. Bei den meisten dieser Etiketten handelt es sich um Pauschalurteile, die mit der Wirklichkeit wenig zu tun haben und vielmehr Ausdruck des Wunsches sind, diese Musik aus dem Leben junger Menschen zu verbannen. Obwohl das Genre mittlerweile fast dreißig Jahre alt ist, gibt es bis heute keine Musikrichtung, die den Widerspruch von Eltern, Pädagogen, Musikwissenschaftlern, Rockkritikern und anderen, meist selbsternannten „Experten“, in dieser Weise auf sich vereint – sei es wegen der lauten, aggressiven Musik oder den oft radikalen Aussagen der Songtexte, die sich allen gesellschaftlichen Normen entgegenstellen. Oft werden Heavy Metal und Hardrock als künstlerisch minderwertig, pervertiert und uninspiriert bezeichnet und, im Gegensatz zur oft sakrosankt erscheinenden „klassischen“ Musik, einer Untersuchung nicht für wert gehalten. Doch genau dies wirft die Frage auf, warum der Heavy Rock zum vielleicht erfolg- und einflußreichsten Musikstil der letzten Jahrzehnte werden konnte und auf seine Anhänger wie auf seine Kritiker gleichermaßen eine so starke Wirkung ausübt. Um diese Frage zu klären, werde ich in Kapitel zwei die musik- und kulturhistorischen Wurzeln des Heavy Rock sowie die Voraussetzungen für die Entstehung dieses Genres veranschaulichen. Im Mittelpunkt von Kapitel drei steht die Entwicklung des Heavy Rock von seinen Anfängen bis zur Gegenwart, mit besonderer Berücksichtigung der zahlreichen Stilrichtungen, von denen sich viele im Laufe der Jahre zu Subgenres mit eigenen Szenen, eigener Symbolik und eigenen Botschaften entwickelt haben.
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Der Tod und die Gesellschaft:
Texte in der Hardrock- und
für die Magisterprüfung der Fakultät für Philologie an der Ruhr-Universität Bochum (Magisterprüfungsordnung vom 20. April 1993)
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Sex, Drogen, Gewalt, Teufelsanbetung, Selbstmord - die Liste dessen, was dem Heavy Rock1seinen heutigen Ruf eingebracht hat, ist lang. Bei den meisten dieser Etiketten handelt es sich um Pauschalurteile, die mit der Wirklichkeit wenig zu tun haben und vielmehr Ausdruck des Wunsches sind, diese Musik aus dem Leben junger Menschen zu verbannen. Obwohl das Genre mittlerweile fast dreißig Jahre alt ist, gibt es bis heute keine Musikrichtung, die den Widerspruch von Eltern, Pädagogen, Musikwissenschaftlern, Rockkritikern und anderen, meist selbsternannten „Experten“, in dieser Weise auf sich vereint - sei es wegen der lauten, aggressiven Musik oder den oft radikalen Aussagen der Songtexte, die sich allen gesellschaftlichen Normen entgegenstellen.
Oft werden Heavy Metal und Hardrock als künstlerisch minderwertig, pervertiert und uninspiriert bezeichnet und, im Gegensatz zur oft sakrosankt erscheinenden „klassischen“ Musik, einer Untersuchung nicht für wert gehalten. Doch genau dies wirft die Frage auf, warum der Heavy Rock zum vielleicht erfolg- und einflußreichsten Musikstil der letzten Jahrzehnte werden konnte und auf seine Anhänger wie auf seine Kritiker gleichermaßen eine so starke Wirkung ausübt. Um diese Frage zu klären, werde ich in Kapitel zwei die musik- und kulturhistorischen Wurzeln des Heavy Rock sowie die Voraussetzungen für die Entstehung dieses Genres veranschaulichen. Im Mittelpunkt von Kapitel drei steht die Entwicklung des Heavy Rock von seinen Anfängen bis zur Gegenwart, mit besonderer Berücksichtigung der zahlreichen Stilrichtungen, von denen sich viele im Laufe der Jahre zu Subgenres mit eigenen Szenen, eigener Symbolik und eigenen Botschaften entwickelt haben.
Es ist überraschend und bezeichnend zugleich, daß bisher nur wenige brauchbare wissenschaftliche Arbeiten über Texte und Musik des Heavy Rock veröffentlicht wurden. Die wenigen schriftlichen Zeugnisse der Auseinandersetzung mit diesem Genre sind meist von zwei Sachverhalten gekennzeichnet: Entweder werden die Texte sowie die
1Zur Benutzung der Begriffe: Ich werde, wie der Titel meiner Arbeit bereits impliziert, Hardrock und Heavy Metal als zwei eigene Musikstile behandeln. Da jedoch beide Stilarten die gleichen Wurzeln haben und die Grenzen zwischen ihnen stellenweise verschwimmen, werde ich sie zusammen- fassend als „Heavy Rock“ bezeichnen.
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Von der Literaturwissenschaft wurde nicht nur der Heavy Rock, sondern die gesamte populäre Textmusik bis heute in keiner Weise wahrgenommen, die ihrem sozialen Stellenwert gerecht wird, obwohl die entsprechenden Texte zweifelsfrei eine Form von moderner Massenlyrik sind und damit in den Forschungsbereich der Literaturwissenschaft fallen. Das bisherige Ausbleiben einer breiten Auseinandersetzung mit populärer Textmusik kann angesichts des Niedergangs der schriftlichen Lyrik nur erstaunen, denn quantitativ besitzt diese nur noch einen marginalen Anteil an den Publikationszahlen heutiger Literatur. Scotts GedichtbandThe Lady of the Lakewurde 1810, im ersten Jahr des Erscheinens, in 20.300 Exemplaren abgesetzt. Von ByronsThe Corsairwurden 1814 bereits am Tag der Veröffentlichung 10.000 Stück verkauft, und Tennysons Ge-dichtbandEnoch Ardenerschien 1864 in einer Erstauflage von 60.000. Im Vergleich dazu nehmen sich aktuellere Publikationszahlen geradezu winzig aus: 1973 kamen 897 Gedichtbände auf den britischen Markt, 1977 waren es insgesamt noch ganze 764 Bände - in durchschnittlichen Auflagen von 100 bis 200 Stück.2
Bedenkt man vor diesem Hintergrund, daß so mancher Musiker von einem einzigen Album binnen kurzer Zeit Hunderttausende von Exemplaren verkauft, stellt sich die Frage nach dem Aufbau, den Botschaften und der Wirkung moderner Textmusik um so dringender. In Kapitel fünf erläutere ich deshalb zunächst die zeichentheoretischen Grundlagen, die bei der Interpretation der Texte zur Anwendung kommen werden. Ein Grundsatz, der bisher meist mißachtet wurde, wird in dieser Arbeit eine besondere Rolle spie-2Zahlennach Faulstich, Werner.Rock - Pop - Beat - Folk: Grundlagen der Textmusik-Analyse.Tübingen: Narr 1978. Faulstich nennt folgende Quellen: Richard D. Altick:The English Common Reader. A Social History of the Mass Reading Public 1800-1900.Chicago, 1957, 1967, S. 386f;The Booksellerv. 29. 12. 1973, S. 2958, und v. 24. und 31. 12. 1977, S. 3261.
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In Kapitel sechs folgt die Darstellung der Ziele und Botschaften des Heavy Rock, gegliedert nach ihren thematischen Schwerpunkten und anhand von Interpretationen entsprechender Songs.3Da ich der musikalischen Struktur der Lieder folgen und deshalb Strophen und Refrains nacheinander analysieren werde, führe ich im Anhang noch einmal alle Texte in ihrer Gesamtheit auf, damit sie als geschlossene Einheiten betrachtet und parallel zur Musik, die auf einem Tonband beifügt ist, gelesen werden können. Die Nationalitäten der Musiker werden in dieser Untersuchung keine Rolle spielen, da bis auf eine verschwindend kleine Minderheit alle Heavy-Rock-Bands englischsprachige Texte verwenden und diese seit Jahrzehnten in nicht-englischsprachigen Ländern, wie auch in Deutschland, zum Alltag von Jugendlichen gehören und von ihnen als eine natürliche Form der Dichtung rezipiert werden. Zudem sind die thematischen und ideologischen Unterschiede zwischen den Subgenres des Heavy Rock bei weitem größer als die Differenzen, die sich aus der nationalen Herkunft der Musiker ergeben. In meinen Interpretationen werde ich zeigen, daß der Heavy Rock vor allem deshalb eine so starke Wirkung auf Kritiker und Fans besitzt, weil er als Reflex auf soziale Verhältnisse tief in der Gesellschaft verwurzelt ist und als eine Form der fundamentalen Kritik nicht als ein
3Bei der Nennung eines Songtitels folgen diesem der Name und das Erscheinungsjahr des Albums, auf dem er veröffentlicht wurde.
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In den 50er Jahren begann sich eine musikalische Jugendkultur zu entwickeln, die sich von der Welt der Erwachsenen, dem ursprünglichen „Mainstream“, abhob und die Vorläuferin der Jugend-Musikkultur ist, so wie sie heute existiert: Aufgesplittert in zahlreiche Genres, höchst heterogen und komplex in ihren identitätsstiftenden Implikationen. In den Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs der 50er Jahre verfügten Jugendliche erstmals wieder über genug Geld, um ihre Freizeit zu gestalten und sich Möglichkeiten zu verschaffen, an der wachsenden Medienpräsenz zu partizipieren. Dies bedingte die Suche nach einer eigenen Identität in Abgrenzung von der Welt der Erwachsenen, was wiederum in die Bildung einer eigenen Subkultur mündete - ein verständliches Streben, denn die musikalischen Darbietungen einer Doris Day boten Jugendlichen kaum mehr die Möglichkeit, sich in ihnen wiederzuerkennen. Je größer jedoch der Anteil der Jugendlichen am potentiellen Musikpublikum wurde, desto größer wurde auch die Notwendigkeit eines eigenen Bereichs der Darstellung und Identifikation.
Der Rhythm and Blues bot eine Gelegenheit zur provokativen Abgrenzung: Im scharfen Kontrast zur bisherigen Musik propagierte dieser laute Stil Erregung, Hedonismus und Sexualität - wobei besonders letzteres dazu angetan war, konservative Kreise zu schockieren. Folgerichtig boykottierten die Rundfunksender die neue Musik. Erst als der Rhythm and Blues, der seinen Ursprung in der afro-amerikanischen Kultur hatte, mit „weißer“ Country- und Western-Musik vermischt, von weißen Interpreten vorgetragen und mit vergleichsweise harmlosen Texten versehen wurde, gelang ihm der Durchbruch. Die harten Rhythmen wurden indes beibehalten - ein Rezept, mit dem Musiker wie Bill Haley, Chuck Berry und Elvis Presley zu Weltruhm kamen. Besonders Elvis Presley war es, der durch den charakteristischen Gebrauch seiner Stimme und seines Hüftschwungs sexuell provozierte und damit zum frühen Vorbild für die Live-Performance zahlreicher Heavy-Metal-Musiker wurde.
Der Rock’n’Roll, der aus Country, Rhythm and Blues und Gospel hervorging, zeichnet sich nach Altrogge und Amann vor allem durch vier Charakteristika aus:
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und geben sich „bodenständig“.
•Integrität:Musiker und Rezipienten vertreten dieselben sozialen Kontexte, tragen
dieselbe Kleidung und sprechen dieselbe Sprache, wobei die Musiker - tatsächlich oder nur scheinbar - die Art und Weise „vorleben“, mit der sozialen Realität fertig zu werden.
•Rebellion:Rockmusik propagiert durchweg eine Ablehnung der Mutterkultur und
von dieser mehr oder minder stark differierende Werte.
•Expressivität:Lautstärke, Tempo und die Zurschaustellung von Emotionen durch
physische Verausgabung auf der Bühne.
Bei der Entwicklung von Rock’n’Roll zum Heavy Rock änderte sich im Grunde nur die Art der Authentizität: Zwar beschäftigt sich der Heavy Rock nach wie vor intensiv mit alltäglichen Problemen, tut dies allerdings nicht mehr mit einfachen und direkten musikalischen und textlichen Mitteln, sondern meist mit abstrakten, Transzendenz artikulierenden Texten und zunehmend komplizierter, teilweise virtuoser Musik.
Die Rebellion hatte nicht zuletzt eine ökonomische Komponente: Die großen Musikverlage gaben ihren Widerstand gegen die Rockmusik erst auf, als die Marktanteile der unabhängigen Verlage rapide anstiegen. Der Einstieg der großen Labels in die Veröffentlichung von Rock’n’Roll führte allerdings dazu, daß sich die Musik immer stärker an kommerziellen Kriterien orientieren mußte und seitdem unter einem hohen Innovationsdruck steht. Dieser Innovationsdruck ist einer der Hauptgründe für die immer schneller voranschreitende Aufsplitterung in Subgenres. Dennoch liegen Altrogge und Amann mit der Behauptung falsch, daß der Innovationsdruck die eigentlichen Funktionen der Rockmusik, die Artikulierung von Rebellion und eines neuen Lebensgefühls sowie die Abgrenzung vom „Mainstream“ der Erwachsenenwelt, ersetze.4Das Verlangen nach immer Neuem bestimmt von jeher die populäre Musik, hat aber der Artikulation ihrer sozialen Botschaften nie geschadet: Wird eine Band oder ein Subgenre vom kommer-
4Altrogge,Michael /Amann, Rolf.Videoclips - die geheimen Verführer der Jugend? : Ein Gutach- ten zur Struktur, Nutzung und Bewertung von Heavy-Metal-Videoclips.Berlin: Vistas 1991. S.17.
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Am Übergang der 60er zu den 70er Jahren bildete der Heavy Rock die Speerspitze der musikalischen wie textlichen Radikalisierung: Der Schlagzeugtakt ist bis heute gekennzeichnet von der Betonung der Hauptzählzeiten, die Gitarren werden mit einem hohen Verzerrungsgrad gespielt, und der Gesang ist sowohl nach „unten“ durch grollende, brüllende Laute als auch nach „oben“ durch Falsettgesang5in neue Gebiete vorgestoßen. In textlicher Hinsicht zeichnete sich der Heavy Metal durch eine Verstärkung der Kritik an sozialen Zuständen aus, die verstärkt wurde durch die Benutzung radikaler Elemente wie Okkultismus und Satanismus. In dieser Hinsicht prägten besondersLed ZeppelinundBlack Sabbathdie spätere Entwicklung des Genres: Sie mischten den harten Klängen ihrer Musik Mystizismus bei, indem sie das Übernatürliche, keltische Legenden und fernöstliche Kulturelemente
einfließen ließen.Black Sabbathbetonte das Okkulte besonders stark und erhielt durch den verzweifelt wimmernden Gesang von Ozzy Osbourne den Anstrich des, wie Walser es treffend formuliert, „gothic horror“.6
5„Falsettstimme“ bezeichnet ein Register der männlichen Stimmlage, bei dem die Kopfstimme durch die Resonanz des Brustraumes verstärkt wird, im Umfang zwischen der weiblichen Altimme und dem Sopran. In mittelalterlicher Renaissance- und Barockmusik wird die männliche Falsettstimme auch als Kontratenor bezeichnet.
6Walser, Robert.Running with the Devil: Power, Gender and Madness in Heavy Metal Music.Hanover: Wesleyan University Press 1993. S. 10.
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Es gibt kaum einen Begriff für ein musikalisches Genre, der dessen Inhalte, seine musikalischen und textlichen Botschaften so genau trifft wie „Heavy Metal“. Sowohl in der Szene als auch in einschlägigen Magazinen herrscht weitgehende Einigkeit darüber, wo der Begriff „Heavy Metal“ zum ersten Mal im Zusammenhang mit Musik auftauchte: Die BandSteppenwolfbesang in ihrem Hit „Born to be Wild“ (1968) den „heavy metal thunder“ des schnellen Lebens. Der Inhalt des Liedes sowie der aus ihm resultierende Begriff stifteten einen Teil der Programmatik des Heavy Metal: grenzenlose persönliche Freiheit als ein Fluchtweg aus einer Gesellschaft voller Restriktionen. „Heavy Metal“ eröffnet großen Raum für Interpretationen: Der Begriff bezeichnet hochgiftige Substanzen und impliziert Gewicht und Härte. Die Bands identifizieren sich durch ihre Namen mit Waffen oder Folterinstrumenten (IronMaiden, Artillery, Whiplash, Battery),dem Weltuntergang (Armageddon,Apocalyptica),Blasphemie (BadReligion, Black Sabbath, Judas Priest, Sinner, Deicide, God Dethroned),kriegerischer Massenvernichtung (AgentOrange, Anthrax, Gamma Ray7, Napalm Death, Annihilator),mythologischen Figuren (MorganaLefay8, Tiamat9), gefährlichen Tieren (Pantera,Scorpions, Ratt),elektrischer oder mechanischer Kraft (AC/DC,Tesla, Motörhead, Machine
7Die radioaktive Strahlung, die nach der Explosion einer Atombombe entsteht, zerfällt in Alpha-, Beta- und Gammastrahlung. Letzte ist die „härteste“ Strahlung und hat den gleichen Effekt wie Röntgenstrahlen.