5,99 €
Es ist ein heißer Morgen. Ein Mann entsteigt in Sundown dem Zug. Minuten später geht die Nachricht wie der Eishauch des Todes durch die Stadt: Les Gunnell ist zurückgekommen!
Vor fünf Jahren hatte er Sundown verlassen. Aber niemand hatte vergessen, wie er mit den Danvers und den Horans umgesprungen war und wie er die wilde Stadt gezähmt hatte.
Doch jetzt ist alles schlimmer als zuvor: Mord und Terror haben die Menschen eingeschüchtert. Unbekannte Männer haben den Marshal erschossen.
Was wird Gunnell jetzt unternehmen?
Gordon D. Shirreffs (* 15. Januar 1914 in Chicago, Illinois; † 9. Februar 1996 Granada Hills, Kalifornien) war ein US-amerikanischer Western-Autor. Der Roman Der Tod wartet in Sundown erschien erstmal im Jahre 1961; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte 1973.
Der Tod wartet in Sundown erscheint als durchgesehene Neuausgabe in der Reihe APEX WESTERN.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
GORDON D. SHIRREFFS
Der Tod wartet in Sundown
Roman
Apex Western, Band 41
Apex-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
DER TOD WARTET IN SUNDOWN
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebtes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Es ist ein heißer Morgen. Ein Mann entsteigt in Sundown dem Zug. Minuten später geht die Nachricht wie der Eishauch des Todes durch die Stadt: Les Gunnell ist zurückgekommen!
Vor fünf Jahren hatte er Sundown verlassen. Aber niemand hatte vergessen, wie er mit den Danvers und den Horans umgesprungen war und wie er die wilde Stadt gezähmt hatte.
Doch jetzt ist alles schlimmer als zuvor: Mord und Terror haben die Menschen eingeschüchtert. Unbekannte Männer haben den Marshal erschossen.
Was wird Gunnell jetzt unternehmen?
Gordon D. Shirreffs (* 15. Januar 1914 in Chicago, Illinois; † 9. Februar 1996 Granada Hills, Kalifornien) war ein US-amerikanischer Western-Autor. Der Roman Der Tod wartet in Sundown erschien erstmal im Jahre 1961; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte 1973.
Der Tod wartet in Sundown erscheint als durchgesehene Neuausgabe in der Reihe APEX WESTERN.
Der Maschinist der Standard betätigte die Dampfpfeife an der Kreuzung unmittelbar vor Sundown. Das Echo verhallte über den niedrigen Hügeln von New Mexico, die sich westlich der Minenstadt hinzogen. Die helle Morgensonne schien durch die schmutzigen Abteilfenster.
Les Gunnell öffnete die Augen, als der Zug auf der Station mit einem solchen Ruck zum Stehen kam, dass den Reisenden sämtliche Knochen durcheinandergerüttelt wurden. Er rieb sich die steifgewordene rechte Schulter, stand auf, griff nach Sattel, Winchester und Deckenrolle und stieg aus. Auf dem Bahnsteig sah er über die Railroad Avenue hinweg die Front Street hinab. Sundown hatte sich nicht sehr verändert in den Jahren, die er im entfernten Soledad Country gelebt hatte. Es war noch immer diese eigenartige Mischung aus dickwandigen Adobe-Häusern der mexikanischen Kolonialperiode und hässlichen, mit falschen Fassaden versehenen Gebäuden der amerikanischen Gründerzeit.
Westlich der Stadt, auf den von Gebüsch und Bäumen bewachsenen Hängen der Hügel, standen die verrotteten Bauwerke der alten Silver-Nugget-Minen, schon lange dem Verfall preisgegeben. Unterhalb der dunklen Gerippe der verlassenen Gebäude befanden sich die Abraumhalden aus verwittertem Gestein und geschwärzter Schlacke. Diese aufgeschütteten Haufen hatten Les immer an Gräber erinnert. In gewissem Sinne waren sie das ja auch - Gräber für die Minen, die seit vielen Jahren tot waren.
Die Silver Nugget. Dort hatte man vor kurzem den Mexikaner jungen, der zu viel über den Tod von Marshal Will Ripley gewusst hatte, mit gebrochenem Genick aufgefunden.
Les ging vom Bahngelände auf die Straße hinab. Die Front Street war praktisch verlassen. Kein Pferd stand an den Haltestangen von den Saloons. Hier und da war ein fleißiger Storekeeper damit beschäftigt, seinen Laden auszufegen und Wolken feinen Staubs aufzuwirbeln, der in der Morgensonne ranzte.
Ein Mann fegte den Gehsteig vor dem Miner's Friend Saloon. Ein Hund schlief am Rand der Planken, In unmittelbarer Nähe lag ein schnarchender Betrunkener auf der Straße.
Les grinste vor sich hin. Er hätte darauf schwören mögen, denselben Betrunkenen und auch denselben Hund dort liegen gesehen zu haben, als er seinerzeit Sundown verlassen hatte... vor vielen Jahren.
Er ging mitten auf der Straße entlang. Es hatte gar keinen Zweck, sich unauffällig bewegen zu wollen. In weniger als einer Stunde würde die ganze Stadt wissen, dass Les Gunnell nach Sundown zurückgekehrt war. An der Ecke Willow und Front Street blieb er stehen und sah zur Cottonwood Street hinüber. Das Büro der Sundown News lag in der Mitte zwischen Willow und Cottonwood Street auf der südlichen Straßenseite. Les Gunnell überlegte, ob Ruth Ripley wohl schon so früh dort war.
Es gab zwei Hotels in der Willow und Front Street. Sie standen sich diagonal an zwei Straßenecken gegenüber. Das Sundown House und der Silver Nugget. Er überquerte die Straße und ging zum Silver Nugget. Das massive Hotel war aus den Erträgen der Mine gebaut worden, die ihm auch den Namen gegeben hatte. Die Halle war verlassen. Zur Rechten befand sich der breite Eingang zum Barraum und zum ersten Mal in seinem Leben entschied sich Les Gunnell bereits zu so früher Stunde für einen Drink. Er brauchte ihn jetzt.
Unmittelbar neben dem Eingang legte er sein Gepäck auf den Boden und ging in den langen Schankraum. Ein Mann war damit beschäftigt, den Fußboden hinter der langen Mahagonibar zu reinigen.
»Ist noch nicht geöffnet!«, brummte er mürrisch.
»Hallo, Foss!«, sagte Les.
Der Kopf des alten Mannes ruckte hoch wie bei einem gereizten Puter. Aus verwaschenen, blauen Augen starrte er Les an. Hastig wischte er eine Hand an seiner schmutzigen Schürze ab und streckte sie Les entgegen.
»Um Himmels willen! Les Gunnell!«, sagte er sichtlich erfreut.
Les drückte die feuchte Hand.
»Bekomme ich jetzt einen Drink?«
»Sicher, Les, sicher!« Der alte Mann langte bereits nach Flasche und Glas. »Brandy, nicht wahr?«
»Gut. Und einen für dich, Foss.«
»Das ist sehr freundlich von dir, Les.« Foss füllte die Gläser und sah Les scharf an. »Lange her«, sagte er.
Les trank seinen Schnaps. »Und ich bin einigermaßen überrascht, dich immer noch bei dieser Beschäftigung zu finden, Foss. Was ist denn aus dem kleinen Geschäft geworden, das du dir kaufen wolltest?«
Die wässerigen Augen blinzelten. »Oh... das? Tja, sieh mal, Les, also das war so... ich...«
»Reden wir nicht mehr darüber, Foss.«
Der alte Mann war schon in Sundown, als der Ort noch eine verschlafene placita in den Hügeln von New Mexico gewesen war. Das war noch in der Zeit, bevor das Silber entdeckt wurde. Manche Leute behaupteten, Foss hätte als erster Silber gefunden, wäre aber um seine Ansprüche betrogen worden. Das Leben des Alten war ein ständiger Kampf zwischen strikter Abstinenz und vollkommener Trunkenheit, und niemand schien je richtig zu wissen, wann er wieder für längere Enthaltsamkeit oder eine ausgedehnte Zechtour fällig war. Um genau zu sein, niemand machte sich viel daraus. Für Les jedoch hatte der Alte stets eine unschätzbare Eigenschaft gehabt: Er kannte jedermann in Sundown und Umgebung. Es gab kaum etwas, wovon Foss nichts wusste.. Er kannte sich wie kein zweiter in der Geschichte von Sundown aus und erinnerte sich an alle Ereignisse aus Vergangenheit und Gegenwart. Vielleicht wusste er manchmal nicht mehr, wo er die letzte Nacht verbracht hatte, aber er kannte alle Namen, Gesicht- und Personenbeschreibung jedes Banditen, jedes Geächteten, jedes Spielers, jedes Betrügers und auch jeder Madam in diesem County.
Foss hob sein Glas. »Salud!«
»Salud!«
Foss trank und wischte sich den Mund ab, dann blinzelte er Les an.
»Bist du zurückgekommen, um deinen alten Job wieder aufzunehmen?«
»Nein. Außerdem ist doch - wenn ich recht unterrichtet bin - jetzt Tracy Gant Marshal.«
Foss verzog verächtlich das Gesicht »Der? Drei erstklassige Männer hintereinander... und dann haben wir einen Tracy Gant gekriegt!«
»Tracy ist ein guter Mann«, sagte Les. Er hob sein Glas und betrachtete die klare Flüssigkeit.
»Sicher! Sicher!«
Foss füllte sein Glas nach. »Will Ripley war 'n guter Mann. Das Dumme war nur, dass er und Ruth nicht nur die Stadt, sondern auch gleich das ganze County aufräumen wollten. Deshalb hat er sterben müssen.«
»Ruth Varney ist nun mal Reporterin, Foss.«
»Yeah, nur heißt sie nicht mehr Varney, Les. Du hast vergessen, dass sie Will Ripley heiratete, nachdem ihr Mann getötet wurde.«
Die grauen Augen verdüsterten sich ein wenig. »Nein... ich hab's nicht vergessen.«
»Aber es kam noch schlimmer. Kaum ist Ripley tot, taucht Ted Varneys Sohn Holt in der Stadt auf, schleppt zwei Kanonen in tiefgebundenen Halftern mit sich 'rum und sucht Streit, weil man seinen Stiefvater Will Ripley umgebracht hat. Heath Sabin verwundet den Jungen. Der Bengel hat Glück gehabt, dass er jetzt nicht einen Anzug aus Kiefernholz, mit Messinggriffen verziert, tragen muss!«
»Wie schlimm sieht's aus, Foss?«
Foss lehnte sich noch etwas weiter zu Les hinüber. »Wirklich böse, Les. Schlimmer, als ich's je erlebt habe und du weißt ja, dass niemand mehr über Sundown weiß als der alte Foss. Es wird noch mehr Tote geben, Les. Steige lieber wieder in den Nachmittagszug, Les, und komm nie mehr hierher zurück. Geh wieder dorthin, wo du dich die letzten Jahre versteckt hattest. War clever von dir, Sundown damals zu verlassen. Verschwinde, amigo, und lass dich nie wieder hier blicken.«
Die Vordertür wurde geöffnet. Foss warf einen raschen Blick hinüber. Er wurde ein bisschen blass. »Chihuahua!«, sagte er leise.
Les drehte sich nicht um, als er die Stiefelschritte hinter sich näher kommen hörte.
»Bourbon, Foss«, sagte eine angenehm klingende Stimme. »Und wie geht's Ihnen, Mister Gunnell?«
Les drehte sich um. Ein großer Mann stand knapp zwei Schritte hinter ihm und stützte sich mit dem rechten Arm leicht auf die Bar. Das schmale, stattliche Gesicht zeigte ein Lächeln. Die blauen Augen schienen vor Freundlichkeit zu tanzen. Aber Les war zu lange in diesem County gewesen, um den Fehler zu begehen, vom Aussehen eines Mannes auf dessen Charakter zu schließen. »Hallo, Sabin«, sagte er.
»Ich hörte, dass Sie wieder in der Stadt sind.«
»Heute mit dem Morgenzug gekommen.«
»Von meinem Zimmer im Sundown House hab' ich Sie gesehen. Bleiben Sie lange?«
Les trank seinen Brandy. Für einen Moment empfand er ein merkwürdiges Gefühl der Angst. Es wäre schon in alten Zeiten schwer genug gewesen, mit einem Mann wie Heath Sabin fertig zu werden, aber jetzt, wo Les eine steife Schulter hatte und auch schon viel zu lange aus dem alten Beruf heraus war, da hatte er doch das Gefühl, als wäre Heath Sabin für ihn zu schnell.
»Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet, Sir«, sagte Sabin. Sein südlicher Akzent hörte sich weich an, aber in seiner Stimme schwang ein stahlharter Unterton mit.
»Ich werde eine Weile hierbleiben.«
»Sie waren reichlich lange fort und ein bisschen verändert haben Sie sich auch, nicht wahr?«
»Inwiefern?«
Die blauen Augen musterten ihn sorglos von oben bis unten. »Bisschen grau an den Schläfen. Sieht aber gut aus. Und hier und da schon ein paar Falten.«
»Das geht uns allen so, Sabin.«
Foss stellte eine Flasche Bourbon und ein Glas vor dem Revolvermann auf die Bar. Sabin goss sich einen Drink ein. Seine Hand war ruhig wie ein Amboss. »Sie sind doch nicht etwa wegen der Schießerei hergekommen, die wir letzte Woche hier hatten?«
»Warum ich gekommen bin, das ist wohl meine Sache.«
Sabin lächelte. »Sicher!« Er kippte seinen Drink sehr schnell. »War nur so 'ne Idee von mir... Will Ripley war niedergeschossen worden und kaum kalt in seinem Grabe... und sein Stiefbengel suchte Streit, so dass ich gezwungen war, ihn anzukratzen... da dachte ich eben, dass Sie auf den Gelanken gekommen sind, hier in Sundown wieder den großen Mann von einst zu spielen.«
Foss schluckte sehr hart.
Les war müde und seine rechte Schulter schmerzte wie ein entzündeter Zahn. »Ich weiß nicht, wer Will Ripley ermordet hat«, sagte er ruhig. »Und was ich über Ihre Schießerei it dem jungen Varney gehört habe... nun, da haben Sie doch verdammt dafür gesorgt, dass er nicht zurückschießen konnte. Warum, Sabin? Haben Sie vielleicht geglaubt, dass er für Sie zu schnell sein könnte?«
Er wurde plötzlich so still, dass man das Ticken der großen Uhr draußen in der Hotelhalle hören konnte.
Sabins Augen wirkten wie bläulich glitzerndes Eis. »Sie haben 'ne ganze Menge gehört«, sagte er leise. »Ich kann leicht mit ihm fertig werden.«
»Ach? Und warum haben Sie's dann nicht getan? Oder wurden Sie nur dafür bezahlt, ihn zu warnen?«
»Oh, mein Gott...«, murmelte Foss.
Unter dem Eis in den blauen Augen flackerte Feuer. Das südliche Heißsporn-Blut geriet in Wallung. Sabin riss einen Arm hoch, um Les ins Gesicht zu schlagen, aber Les blockte den Schlag mit dem linken Unterarm ab und knallte dem anderen gleichzeitig die rechte Faust haargenau auf die Kinnspitze. Sabin landete längelang auf dem Rücken und sah ziemlich benommen drein. Er hatte einen Spucknapf umgerissen. Die Flüssigkeit breitete sich unter Sabin aus und durchtränkte seine Jacke und Hose.
»Oh, mein Gott!«, sagte Foss. Er schnappte sich die Brandy-Flasche und verschwand hinter der Mahagonibar.
Rasender Schmerz durchzuckte Les' rechte Schulter. »Aufziehen, Sabin! Mach' dein Spiel!«
Heath Sabin kam auf die Beine. Seine Augen waren noch leicht glasig.
Les lächelte. »Verschwinde von hier, Sabin! Geh zurück und sag' Matt Horan, dass dein Bluff nicht gewirkt hat.«
Der Revolvermann drehte sich um und ging auf die Tür zu.
Der Schmutz aus dem Spucknapf bildete einen unregelmäßigen Flecken auf der Rückseite von Jacke und Hose.
Les wartete auf die katzengleiche Kehrtwendung und das blitzschnelle Ziehen des anderen, aber beides blieb aus. Stattdessen schloss sich die Schwingtüre pendelnd hinter dem langen Mann aus dem Süden.
»Wo ist die Flasche, Foss?«, fragte Les. »Du willst sie doch nicht etwa allein austrinken?«
Der Alte kam hinter der Bar hoch und füllte die beiden Gläser. Die Flasche klirrte dabei gegen die Schnapsgläser.
»Mein Gott, Les... das war Heath Sabin! Niemand kann so was mit ihm machen!«
»Ich hab's doch eben getan, wenngleich ich mir jetzt nicht mehr ganz so sicher bin, ob's richtig gewesen ist.«
»Yeah«, sagte Foss trocken. »War wohl richtig.«
Les fühlte sich hundemüde. Innerhalb einer Stunde würde sich die Geschichte wie ein Lauffeuer in Sundown verbreitet haben. Ein schneller Reiter würde auf schaumflockendem Pferd zu Matt Horans Box-H-Ranch jagen und dem Besitzer erzählen, dass Les Gunnell wieder in der Stadt war und Heath Sabin im Barraum des Silver-Nugget-Hotels niedergeschlagen hatte. Old Foss würde eifrig bei der Arbeit sein - sowohl mit der Schnapsflasche als auch mit der Zunge. Na, und wenn schon...
Les leerte seinen letzten Drink und legte Geld auf die Bar.
»Wenn du wieder nüchtern bist, Foss«, sagte er, »könnte ich vielleicht Arbeit für dich haben.«
»Nüchtern...? Ich? Herrje, ich hab' mir ja kaum die Kehle richtig angefeuchtet, Les!«
»Meinst du? Dann... bis später, Foss.«
Der Angestellte hinter dem Empfangspult des Hotels machte einen noch ziemlich verschlafenen Eindruck. Er warf Les nur einen flüchtigen Blick zu, schob ihm das Gästebuch hin und langte nach einem Schlüssel. Als er das Buch zurückzog, gähnte er. Kaum hatte er jedoch den Namen gelesen, den Les eben eingetragen hatte, als er jäh den Kopf hob. Seine Schläfrigkeit war wie weggewischt.
»Les Gunnell! Entschuldigen Sie vielmals, Mister Gunnell! Warten Sie, ich werde Ihnen ein besseres Zimmer geben. Im ersten Stock. Ein Eckzimmer. Von dort kann man die Front und Willow Street übersehen.«
»Ausgezeichnet.«
Les ging über die läuferbelegte Treppe nach oben. Ein gähnender Page folgte ihm mit dem Gepäck. Der Weg bis zum Zimmer schien sehr lang zu sein, aber Les schaffte es bis dorthin, ohne irgendeinem anderen Menschen zu begegnen. Er hatte genug von den Menschen, vor allem von den Leuten in Sundown... und dabei war er noch nicht länger als fünfundvierzig Minuten in der Stadt.
Der Page schloss die Tür von außen.
Les zog die Stiefel aus, setzte den Hut ab, legte die Jacke ab und stellte sich ans Fenster. Der frische Morgenwind spielte mit seinem feuchten Haar. Er sah die Front Street hinauf und hinab. Diese Straße hatte in alten Zeiten eine blutige Rolle gespielt. Les hatte beinahe den Eindruck, gespenstische Stimmen der Vergangenheit zu hören. Er legte sich aufs Bett und schloss die Augen. Nun war er also wieder zu Hause. Er war heimgekommen. Ob nun zum Guten oder Schlechten - er war nach Sundown zurückgekehrt... Fast wie eines dieser Gespenster der Vergangenheit, deren Stimmen er vorhin gehört zu haben geglaubt hatte, als hätte der Wind sie ihm ins Ohr geflüstert.
Das Klopfen wiederholte sich in ständigem Rhythmus.
Les Gunnell setzte sich auf und gähnte.
»Ja...«, rief er.
»Les?« Die Stimme klang vertraut. »Ich bin's - Tracy Gant.«
Les wälzte sich vom Bett, ging zur Tür und öffnete sie. »Hallo, Tracy!«, sagte er.
Der lange Marshal nickte, als er das Zimmer betrat, von einem Pagen gefolgt, der auf einem Tablett Kaffeekanne, Tassen und Brötchen hereinbrachte. Während er das Tablett auf die Marmorplatte des Tisches stellte, sah er Les Gunnell halb ängstlich, halb bewundernd an.
Gant bezahlte den Jungen.
»Verschwinde, Esteban«, sagte er.
Les lächelte den Jungen an.
»Ich kenne einen Esteban«, sagte er. »Esteban Rios. Wir sind vor Jahren zusammen geritten. Manchmal war er mein Deputy.«
Das Gesicht des Jungen hellte sich auf.
»Tio Esteban!«, sagte er. »Nach ihm wurde ich benannt.«
Les schnippte ihm eine Münze zu.
»Dulces für deine Brüder und Schwestern, Esteban«, sagte er.
»Gracias, Señor Gunnell«, bedankte sich der Junge, dann verließ er das Zimmer und schloss die Tür hinter sich.
Gant holte ein silbernes Zigarrenetui aus der Tasche und bot es Les an, der sich eine Zigarre aussuchte und die Spitze abbiss. Gant riss ein Zündholz am Daumennagel an und gab Les Feuer.
»Willkommen in Sundown, Les«, sagte er trocken.
Les setzte sich und sah den hochgewachsenen Marshal an, dessen Körper bereits Ansätze von Fett und weichem Fleisch verriet. Zu seiner Zeit war Tracy Gant ein ungewöhnlich kräftiger Mann gewesen, der bei Catch-as-catch-can-Ringkämpfen und Gewichtheben so manche Wette gewonnen hatte. Er war ein gutmütiger Mann, hasste Konflikte und hatte es stets irgendwie geschafft, die eine Seite des Gesetzes gegen die andere auszuspielen. Obwohl er weiß Gott kein Feigling war, hatte ihm die Rolle eines Friedensstifters mehr gelegen, als dem Gesetz durch Strenge und Härte Geltung zu verschaffen.
»Wie geht's Amy?«, fragte Les.
Im runden Gesicht des Marshals schien es kurz aufzuleuchten.
»Gut, Les, einfach prima! Sie hat immer wieder von dir gesprochen.«
»Eine prächtige Frau, Tracy.«
»Ja, Les. Zu schade, dass du nie geheiratet hast. Tut einem Mann gut.«
»Woher weißt du, dass ich inzwischen nicht geheiratet habe?«
»Der Junge hat's mir gesagt.«
»Holt Varney?«
»Ja.« Gant setzte sich und goss Kaffee ein. »Du hattest ja schon immer eine Schwäche für Ruth, nicht wahr?«
»Du bist doch nicht hergekommen, um darüber mit mir zu sprechen, Tracy.«
Jetzt huschte es wie ein Schatten über das freundliche Gesicht des anderen.
»Nein, deswegen nicht«, sagte Gant.
»Na, dann raus mit der Sprache.«
»Du hast dich nicht sehr verändert, Les.«
Wenn der Mann wüsste! Wenn es nur alle wüssten!, dachte Les und sagte: »Gracias.«
»War nicht bös gemeint, Les. Du hast ja schon immer den Stier gleich bei den Hörnern gepackt.«
»So wie heute früh, was?«
Gant ließ die Lider über die braunen Augen sinken.
»Nun ja... jetzt, wo du es selbst erwähnst...«
»Ich bin nicht nach Sundown zurückgekommen, um mich von einem Heath Sabin schlagen zu lassen oder mich gar vor ihm zu ducken.«
Als Tracy sich etwas bewegte, spiegelte sich das durchs Fenster hereinströmende Sonnenlicht im Marshal-Stern aus Bronze und Silber, einem der Prunkstücke, auf das der Stadtrat von Sundown besonders stolz war. Es war derselbe Stern, den der alte Varney an Les Gunnell weitergereicht hatte. Les hatte ihn an Will Ripley abgegeben. Und jetzt...
»Warum bist du zurückgekommen, Les?«
»Quien sabe, Tracy?«
Der Marshal zündete sich nun ebenfalls eine Zigarre an und paffte eine Rauchwolke zum Fenster hinüber.
»Ich könnte ein paar Vermutungen anstellen«, sagte er.
»Nur zu«, forderte Les ihn höflich auf. Er füllte seine Kaffeetasse nach. Sehr rücksichtsvoll von Tracy Gant, Kaffee und Brötchen aufs Zimmer bringen zu lassen. Aber das war nur; mal seine Art.
»Wie bereits gesagt... und das ist nicht beleidigend für dich oder für eine prächtige Frau gemeint... aber du könntest zurückgekommen sein, weil du für Ruth Ripley immer noch eine Schwäche hast.«
»Nur weiter.«
»Ihr Junge wurde zusammengeschossen, direkt vor ihren Augen, Les. Er hatte seinen Stiefvater, Will Ripley, rächen wollen. Vielleicht warst du der Meinung, dass er mit diesem Job nicht fertig werden könnte und deshalb bist du nach all den Jahren doch noch mal hergekommen, um ihn selbst zu erledigen.«
Les schüttelte den Kopf.
»Holt Varney hat auf seinem Wege von Colorado hierher auf meiner estancia in Soledad Station gemacht. Mein Gott, ich hab' wirklich geglaubt, Ted Varney, seinen Vater, in voller Lebensgröße vor mir zu haben.«
Tracy nickte. »Gleiches Aussehen. Gleiches Benehmen.«
Les' Augen zeigten einen beunruhigten Ausdruck.
Gant schüttelte den massiven Kopf. »Ein junger Hitzkopf mit so verdammt langen Sporen, dass er darüber stolpern wird. Sie werden ihn in einem hübschen, schwarzen Anzug aufbahren und all die schmucken, kleinen Huren in der Oak Street werden sich seinetwegen die Augen ausweinen. Irgendein dreckiger, gemeiner Kerl mit Kuhmist an den Absätzen wird ihn auf die richtige Größe zurechtstutzen.«
Les nippte an seinem Kaffee. Es war beinahe angenehm, so dazusitzen und sich mit einem Mann zu unterhalten, den er in alten Zeiten wirklich gemocht hatte.
»Holt hat gesagt, sie haben nach mir gesucht, als sie Will Ripley töteten«, sagte er ruhig.
»So lautet die Geschichte, Les.« Tracy seufzte. »Er wollte nie auch nur einen Zoll nachgeben und deswegen haben sie ihn getötet.«
»Sie?«
Die braunen Augen sahen Les aufmerksam und prüfend an. »Yeah... sie. Er wurde in den Rücken geschossen.«
Les hob eine Hand. »Holt hat mir die Geschichte erzählt, als er bei mir war. Will hat mit Frank Hendries gekegelt. Frank soll recht nervös gewesen sein und Will aufgefordert haben, etwas zurückzutreten. Es ging bei dieser Partie um 'ne Menge Geld. Das Schrotgewehr wurde durch die obere Glashälfte der Hintertür gerammt. Will wirbelte herum und bekam die volle Ladung ins Gesicht.«
Gant füllte seine Kaffeetasse nach. »Sieht ganz so aus, als könnte ich dir kaum noch was Neues über den Mord erzählen.«
»Nein. Mit einer Ausnahme... wer's getan hat.«
Die Vorhänge flatterten. Der Tabakrauch wehte zum offenen Fenster hinaus.
»Wenn ich das wüsste, Les, hätte ich sie mir längst geschnappt.«
»Davon bin ich überzeugt.« Les lehnte sich nach vorn. »Molt hat mich aufgefordert, mit ihm zurückzukommen und in Sundown aufzuräumen, wie er es ausdrückte. Ich habe abgelehnt. Er wollte sich aber nicht damit zufriedengeben.«
»Nein?«
Les' Gesicht nahm eine dunklere Färbung an. »Bevor er endlich ging, habe ich mir mehr Unsinn von ihm angehört, als ich mir je zuvor von einem anderen Mann bieten ließ.«
»Nun ja, ein bisschen zudringlich und aufsässig ist er schon, wie ich zugeben muss.«
Les sah den Marshal an. »Aber es hat doch mindestens einen Zeugen gegeben.«
»In gewisser Hinsicht. Ein mexikanischer Junge will gesehen haben, wie zwei Männer aus dem Gang hinter der Kegelbahn gelaufen kamen. Ein dritter Mann soll drei Pferde bereitgehalten haben. Diese drei Männer sind dann angeblich zur Estancia Road geritten.«
»Und den Jungen haben sie ein paar Tage später mit gebrochenem Genick auf dem Grunde eines Schachtes in der Silver-Nugget-Mine gefunden.«
»Ja.«
»Saubere Arbeit.«
Tracy zerteilte mit einer Hand die Rauchschwaden. »Und du bist also zurückgekommen, um den Schlamassel aufzuklären, was?«
»Das habe ich nicht behauptet.«
»Es gibt doch keinen anderen Grund. Du und dein verdammter Stolz. Du warst hier mal der große Mann. Vor fünf Jahren hast du Sundown regiert. Nicht unser geliebter Bürgermeister oder dieser lahmarschige Stadtrat. Nicht die Leute hier. Und auch nicht Matt Horan. Es war Les Gunnell.«
Draußen erwachte die Stadt zum Leben. Wagen ratterten auf den Straßen vorbei. Pferde wieherten. Peitschen knallten. Von der Schmiede in Willow Street klang das Hämmern von Stahl auf Metall herüber.
»Wei hat Will mm wirklich getötet, Tracy?«
Gant sah zum Fenster hinaus. »Ich weiß es nicht.«
»Bist du auch ganz sicher?«
»Verdammt noch mal... ja!«
»Wie ich hörte, sollen Ruth und Will hier ganz gute Arbeit geleistet haben, um die Stadt zu säubern.«
»Dazu hatten sie sich weder den rechten Ort noch den rechten Zeitpunkt ausgesucht.«